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Akzentstruktur Notation als Repräsentation der

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Academic year: 2022

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(1)

W o l f g a n g H o r n

N o t a t i o n als Repräsentation d e r Akzentstruktur

D i e Erscheinungsformen des Zweier- u n d Dreiertaktes i n d e n A u t o g r a p h e n J o h a n n D a v i d Heinichens

I. 'Nichts als die euserliche Kleidung, ich meine die Noten'

Mit der bildhaften Rede von der Notation als "Einkleidung"1 benennt Johann David Hei­

nichen den Verweischarakter der Notenschrift: sie ist für ihn ein Zeichensystem, ein Code. W a s Takt, Metrum, Rhythmus oder Tempo "sind", wie sie sich konstituieren, ist nicht einfach an der Notation ablesbar. Das Zeichen repräsentiert die "Sache", aber es bestimmt sie nicht, wenngleich in der Art der Bezeichnung Züge des "Wesens" aufschei­

nen können (dies ist ein Grundgedanke terminologischer Forschung). Die "Sache" ist prä­

sent im "Denken" des Autors und des Interpreten. Dieses "Denken" wird bei verschie­

denen Menschen nie ganz dasselbe sein. Ein Teil dessen, was ein Komponist meint, läßt sich aufschreiben; den Vorgang kann man als Codierung des Codierbaren betrachten.2

Die Disziplin, die sich mit den Verschlüsselungsregeln beschäftigt, heißt "Notationskun­

de". Sie ist ein Propädeutikum par excellence: indem wir lernen, Schriften zu entziffern, werden wir auf etwas verwiesen, das sich nicht mehr entziffern läßt. Die Entzifferung ist nicht gleichbedeutend mit dem Erkennen von Sinn. Doch ist die Fähigkeit zur Entzifferung eine notwendige Bedingung für die Möglichkeit, dem Text einen Sinn zu geben.

Im folgenden geht es um die Entzifferung einer scheinbar vertrauten Notenschrift im Hinblick auf diejenigen Aspekte, die mit der "Zeit" zu tun haben: Akzentstruktur, Takt­

schlag und Tempo. Natürlich hat nicht nur Heinichen die Notenschrift in dieser Weise be­

nutzt. Bei ihm aber sind wir in der glücklichen Lage, sowohl über sprachlich explizite Äu­

ßerungen zu Fragen der Notation und der zu notierenden "Sache" als auch über einen großen Bestand autographer Notationsdokumente zu verfügen. Deshalb können wir Hei­

nichen mit einigem Recht als "exemplarischen" Fall behandeln.3 Es scheint der Mühe wert, die Probleme mit der "Musikalischen Zeit" und ihrer Fixierung in Zeichen einmal an einem Einzelfall in extenso zu durchdenken.4 Die hier sich zeigenden Schwierigkeiten po­

tenzieren sich bei der Weitung der Perspektive so sehr, daß sich kein einzelner Autor mehr finden läßt, dessen Aussagen für das Ganze gültig wären. So kommt es heute leicht zu dem Vorwurf an die Älteren, sie hätten verworren oder inkonsequent gedacht.

Dieser Vorwurf aber sollte stets die ultima ratio jedes Interpretationsversuchs sein, grenzt er doch an das Eingeständnis seines Mißlingens.5

Heinichen argumentiert im vierten Kapitel seines 1728 erschienenen Buches Der Gene- ral-Baß in der Compositiorß unter der Überschrift Von geschwinden Noten, und mancher- ley Tacten zu einem Problemkreis, den man etwa wie folgt rekonstruieren könnte.7 Der Generalbaßspieler, an den sich Heinichen wendet, schlägt bei schlichter Begleitung seine

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4 Wolfgang Horn • Notation als Repräsentation der Akzentstruktur Akkorde nicht z u j e d e r Note der Komposition an. Vielmehr h a b e n die A k k o r d e ihre Posi­

tionen im Zeitgefüge; der Spieler reduziert die Vielfalt rhythmischer Verläufe innerhalb der konkreten Kompositionen auf einige w e n i g e Muster. Den R h y t h m u s in der rechten H a n d des Spielers n e n n e n wir "Akkordrhythmus". Die Positionen, die in e i n e m konkreten W e r k für Akkordanschlag prädestiniert sind, erlangen die Funktion v o n "Zählzeiten". Nicht sel­

t e n kommt a u c h der erste Unterteilungsgrad der Zählzeit für einen A k k o r d a n s c h l a g in Be­

tracht; diese Positionen nennen wir "Zählzeitteile". Taktarten mit A k k o r d a n s c h l a g nur auf d e n Zählzeitpositionen nennen wir "einschichtig"; "zweischichtig" s i n d Taktarten, in d e n e n a u c h die Positionen der Zählzeitteile A k k o r d e tragen können. V o r a u s z u s e t z e n ist dabei, d a ß die Zählzeiten gegenüber ihren Teilen kompositorisch h e r v o r g e h o b e n sind (etwa durch die größere Häufigkeit v o n Harmoniewechseln auf diesen Positionen). Zählzeit ist d e m n a c h kein notationstechnisch, sondern ein kompositorisch definierter Begriff. Z u r Auszeichnung eines Wertes als Zählzeit trägt (unter anderem) d a s Faktum d e s H a r m o ­ niewechsels bei, d e s s e n Gangart sich im Akkordrhythmus spiegelt. H a r m o n i e w e c h s e l for­

dern d e n Anschlag eines n e u e n Akkordes; dies ist der G r u n d dafür, d a ß sie bei der Be­

handlung der Taktfrage im R a h m e n eines Generalbaßtraktats im V o r d e r g r u n d stehen.

Das Zählen der Zeiten, die (unter anderem) durch H a r m o n i e w e c h s e l ausgezeichnet sind, ist kein Vorgang, der gleichsam n e b e n der Musik herliefe, s o n d e r n A u s d r u c k d e s aktiven menschlichen U m g a n g s mit Musik. Descartes hat beobachtet, d a ß wir beim Er­

fassen v o n Musik stets eines v o n zwei Grundmustern a n w e n d e n : e n t w e d e r ein Z w e i e r ­ oder ein Dreiermuster.8 Diese Muster beziehen sich nicht direkt auf d e n rhythmischen Verlauf einer konkreten Komposition, deren Noten etwa gezählt u n d geordnet w ü r d e n , sondern auf ein der konkreten Musik vorgelagertes "Allgemeines", d a s m a n sich im Bilde einer gleichmäßig pulsierenden Kette veranschaulichen könnte. In dieser Kette ist n u n entweder jeder 1., 3., 5. usw. oder jeder 1., 4., 7. usw. Impuls besonders ausgezeichnet oder "akzentuiert". Im ersten Fall konstituiert sich der Zweiertakt, d e s s e n einzelne Grup­

pen wir als "Zweier-Akzenteinheiten" bezeichnen; im zweiten Fall entsteht d e r Dreiertakt mit seinen "Dreier-Akzenteinheiten". Unter welchen konkreten B e d i n g u n g e n dies jeweils geschieht, w i e die akustisch w a h r n e h m b a r e n "Angebote" beschaffen sein m ü s s e n , d a m i t wir in dieser oder jener W e i s e gruppieren, kann hier offen bleiben. Wichtig ist allein, d a ß auf dieser E b e n e d e s "Realtakts" nur die erklingende Musik als "Empfindungsmaterie"

und die subjektiv-formende Tätigkeit d e s aktiven Hörens eine Rolle spielen, nicht a b e r die Notation: die Notation verweist auf d e n Realtakt, sie bestimmt ihn a b e r nicht. Die Art d e s Verweisens ist geregelt; die Regeln aber sind Konventionen, die d e m geschichtlichen W a n d e l unterworfen sind. G e r a d e Heinichen hat sich d a r u m bemüht, Klarheit über die Vereinbarungen z u schaffen, die der Notation seiner und d e r v o n i h m untersuchten Musik zugrunde liegen (oder z u g r u n d e liegen sollten).

Im Z u s a m m e n h a n g mit d e m Bereich "Takt" lautet die entscheidende Frage: w e l c h e No­

tenform repräsentiert in e i n e m g e g e b e n e n Notenbild die Zählzeit? A u s der Beantwortung dieser Frage ergibt sich unmittelbar die Bestimmung der Akzenteinheit in der Notation.

Akzenteinheiten (die elementaren G r u p p e n auf der E b e n e d e s "Realtakts") m ü s s e n kei­

neswegs übereinstimmen mit d e n "Notationseinheiten" (der N o t e n w e r t s u m m e z w i s c h e n zwei Taktstrichen). Umfaßt der R a u m zwischen zwei Taktstrichen m e h r als eine Ak­

zenteinheit, s o liegt eine "zusammengesetzte Taktart (lies: Notationsweise)" vor.9 Bei Heinichen ist der Taktschlag, der in jeder Notationsform nur a u s einer Abwärts- und einer A u f w ä r t s b e w e g u n g der H a n d besteht, strikt a n die Notationseinheit g e b u n d e n . Der Nie­

derschlag erfolgt stets und ausschließlich a m Beginn, nie in der Mitte einer Notationsein­

heit. A n g a b e n w i e "langsam" oder "schnell" können sich auf d e n Zählzeitenablauf bezie­

hen; sie m e i n e n d a n n d a s "Realtempo", besagen mithin etwas über die Gangart d e s

(3)

W o l f g a n g H o r n • Notation als Repräsentation der Akzentstruktur 5

Stückes. Sie können sich aber auch auf den Taktschlag beziehen. Darin liegt eine Quelle vieler Mißverständnisse. Enthält eine Notationseinheit mehrere Akzenteinheiten, wie es in den "zusammengesetzten Taktarten" der Fall ist, so kann die Schlagbewegung "lang­

s a m ' , der Ablauf der Zählzeiten aber - entsprechend dem Faktor der Zusammensetzung - um e i n Mehrfaches schneller sein.10 Das Takt- oder Zeitvorzeichen ist nur bei den Dreier­

takten - dort sind die Verhältnisse insgesamt übersichtlicher - ein sicherer Indikator für Akzentstruktur und Umfang der Notationseinheit, nicht aber bei den Zweiertakten.11

Die richtige Bestimmung der Akzenteinheiten (von denen es nach Heinichen nur zwei Arten gibt) in den vielfältigen Möglichkeiten der Notation ist eine conditio sine qua non für jedes konsistente Reden über "Melodiebau" oder "Periodenbildung"; nicht ohne Grund besteht gerade Heinrich Christoph Koch auf einer strengen Beachtung der "einfachen"

Takte, mithin der Akzenteinheiten des Realtakts.12 Deshalb gilt diesem wahrhaft grundle­

genden Aspekt das Hauptaugenmerk der folgenden Darstellung, die Heinichens Äuße­

rungen im GbC anhand von Beispielen aus seinem reichhaltigen Autographenbestand er­

läutert und gegebenenfalls verdeutlicht.13 Andere als die erläuterten Notationsweisen fin­

den sich bei Heinichen nicht.14 Insbesondere an den verschiedenen Notationsmöglich­

keiten des Zweiertaktes wird sich zeigen, welche Unschärfen hier die musikwissenschaft­

liche "Alltagssprache" bedrohen.

W i e zu erwarten, betrachtet Heinichen die verschiedenen Notationsmöglichkeiten für den Zweier- oder Dreiertakt grundsätzlich zwar als "Multiplication von Identitates".15 Die

"Identität" in der Vielfalt wird gewährleistet durch eine der beiden grundsätzlichen Mög­

lichkeiten: der Bildung von Zweier- oder Dreier-Akzenteinheiten. Doch gibt es daneben auch jeweils einen Eigen-Sinn der meisten besonderen Einkleidungsweisen, der auf Kon­

ventionen beruht und zum einen das Tempo, zum anderen die Zugehörigkeit eines Stückes zu einem bestimmten Stilbereich betrifft. Hat eine Notationsart keinen Sinn, der sie v o n anderen Arten unterschiede, so handelt es sich um "überflüssige Bezeichnungen"

(vgl. S. 290, Anm. m).

Zu Heinichens kompositorischem Werdegang und seinem Schaffen genügen hier ei­

nige kurze Stichworte. Heinichen wurde 1683 geboren. In den Jahren vor 1700 war er Schüler der Leipziger Thomasschule; dort genoß er den Unterricht der Thomaskantoren Johann Schelle (1648-1701) und Johann Kuhnau (1660-1722). A n der Leipziger Universi­

tät studierte Heinichen die Rechte, scheint sich aber mehr um die Musik gekümmert zu haben. Aus den frühen Jahren besitzen wir kein einziges Autograph. Abschriftlich erhal­

ten sind einige deutsche Kirchenkantaten. Von 1710 bis 1717 weilte Heinichen in Italien (vornehmlich in Venedig, gelegentlich auch in Rom). Der kompositorische Ertrag dieser Jahre bestand vor allem in Solokantaten mit oder ohne obligate Instrumente; auch zwei Opern konnte er in Venedig herausbringen. 1716 war Heinichen mit dem in Venedig wei­

lenden sächsischen Kurprinzen zusammengetroffen. Auf dessen Wunsch hin stellte Au­

gust der Starke Heinichen als Hofkapellmeister an. Anfang 1717 traf er in Dresden ein. Er komponierte nun vor allem Serenaden und Instrumentalmusik. Als in den Jahren nach 1720 der katholische Hofgottesdienst immer reicher ausgestaltet wurde, konzentrierte Heinichen sein Schaffen auf die Kirchenmusik. Er, der zeitlebens Lutheraner blieb, schrieb zwölf Messen (einige davon liegen zusätzlich in einer "abgekürzten" Fassung vor), zahlreiche Vesperpsalmen, neun Magnificat, einige Passionsoratorien, Litaneien, T e Deum und etliche weitere Kirchenwerke. Das Schaffen auf dem Gebiet der weltlichen Mu­

sik trat demgegenüber zurück; in den Jahren nach 1721 lassen sich nur noch wenige In­

strumentalwerke und weltliche Kantaten nachweisen. Heinichen starb 1729 an einer "er­

erbten Schwindsucht".

(4)

6 Wolfgang Horn • Notation als Repräsentation der Akzentstruktur

II. Die Zweier-Akzenteinheiten in der Notation

Die Einkleidungsformen des Zweiertakts sind in der folgenden Tabelle zusammengestellt.

Die Spalten verwenden die im GbC gebrauchten Namen, die Rubriken verzeichnen die wesentlichen Bestimmungsmerkmale. "Vollständigkeit" herrscht hier nur im Hinblick auf Heinichens Lehre und die Praxis im Gesamtbestand seiner Autographen. Aus dem GbC und aus der Durchsicht von mehr als 500 Einzelsätzen stammen die Angaben zu den je­

weils möglichen Zeitvorzeichen, ferner die Angaben in den Rubriken zu den bevorzugten Tempoangaben und zur Häufigkeit der Verwendung einzelner Taktarten. Manche Taktar­

ten begegnen in Heinichens Werk so selten (auch dies ist signifikant), daß sich keine sinnvollen statistischen Befunde ergeben. In solchen Fällen blieben die betreffenden Ru­

briken leer.

Keine der im folgenden unterschiedenen Taktarten weist einen identischen Merkmals­

komplex auf. Aus Tabelle 1 läßt sich schnell entnehmen, wodurch sich graphisch ähnli­

che Taktarten (wie das echte Allabreve und das Allabreve spurium oder der normale C-Takt und das Semiallabreve) voneinander unterscheiden. Da die Notation sowohl Homonymien als auch Synonymien kennt, ist die Ermittlung der Zählzeiten nicht lediglich ein "passiver" Lesevorgang, sondern ein Akt der Interpretation, der die (und sei es nur

"innerliche") Vergegenwärtigung der Musik voraussetzt. "Dieselben" Taktarten werden einmal mit C, in anderen Stücken mit <2 bezeichnet, ja sogar der 2/4-Takt begegnet in den

"Cantate" gelegentlich mit c oder C. In solchen Fällen eröffnet die Tabelle keine eigene Spalte; sofern die verschiedene Vorzeichnung einen erkennbaren Sinn hat, wird er bei der Besprechung der betreffenden Taktart erläutert. Dasselbe gilt auch für die Fälle mit einem "ja" in der Rubrik "Bindung an besondere Schreibarten".16 Eine eigene Bewandtnis hat es mit d e m in der letzten Spalte genannten "2/8-Takt". Damit ist keine selbständige Notationsweise gemeint - die Zeitvorzeichen 2/8 oder 4/8 verwendet Heinichen nie -, son­

dern eine gleichsam "interne" Erscheinung des Zweiertakts: das Umspringen der Zählzeit v o n den Vierteln auf die Achtel. In der Rubrik "Träger des Akkordrhythmus" haben die einschichtigen Taktarten ein Kreuz bei "Zählzeiten"; die anderen Taktarten realisieren den Akkordrhythmus zweischichtig.

Da von Heinichens Kompositionen fast nichts gedruckt ist, werden die Werke nach den Signaturen der Autographen in der Sächsischen Landesbibliothek Dresden zitiert.17 Wir verwenden eine Kurzform: anstelle der kompletten Signatur Mus. 2398-D-25 schreiben wir nur D-25; das für Heinichen stehende "Mus. 2398-" ist also stets stillschweigend zu ergänzen. U m Raum zu sparen, teilen wir von den Beispielen nur die wichtigsten Stim­

men mit.

1. Das "echte Allabreve"

Das "echte Allabreve" ist für Heinichen mehr als nur eine "Taktart", es ist ein "Stil", eine Schreibart in der Kirchenmusik. "Dieser antique pathetische stylus ist wohl der schönste und bequehmste, worinnen ein Componist seine fundamentale Wissenschafft und Ac- curatesse in [sie] componiren am besten zeigen kan. Denn die Sätze dieses Styli müssen jederzeit reine, derselben progressiones und resolutiones legal und von allen Übertäten entfernet, das Cantabile ohne viele Sprünge in allen Stimmen continuiret, diese mit Rückungen und schönen syncopationibus der Con- und Dissonantien überhäuftet, und durch und durch, ohne fantasirendes Wesen, mit pathetischen Gedancken, Thematibus und Imitationibus aller Stimmen, angefüllet seyn. Hier suche man einen legalen Compo-

(5)

WolfgangJHornHslotation als Repräsentation der Akzentstruktur 7

Tabelle 1: Zweiertakte

E c h t e s A l l a b r e v e 1—

Al labreve s p u r i u m ' — Ouverteur--Tact ~1 1

O r d i n a i r e r e g a l e r T a c t1 1

Z W E I E R T A K T E E c h t e s S e m i a l l a b r e v e1

( Z w e i e r - A k z e n t e i n h e i t e n und " Z e r t e i l t e r T a c t "

d i e a u s ihnen gebiIdeten " 2 / 8 - T a k t "

N o t a t i o n s e i n h e i t e n ) 2 C C 2 / 4 C

C

i

$ $

c

$

C 1 . 2 . 3 . 4 . 5 . 6 . 7 .

A k z e n t e i n h e i t (AE, x- H a l b e - H a l b e X X

z u g l e i c h A n g a b e d e r V i e r t e l - V i e r t e l X X X X

Z ä h l z e i t e n ) A c h t e l - A c h t e l X

T r ä g e r d e s Z ä h l z e i t e n X X X X

A k k o r d r h y t h m u s Zz. + Z z . - t e i l e X X X ( X )

U m f a n g d e r G a n z e X X X X X X

N o t a t i o n s e i n h e i t H a l b e X

e n t s p r e c h e n d d e n

A k z e n t e i n h e i t e n > m X l X X X

(mit A n g a b e d e s 2 A E x - : x - X X X

T a k t s c h l a g s A b r A u f ) 4 A E x - x - : x - x - X

Bindung an b e s o n ­ .ia X X X

d e r e S c h r e i b a r t e n nein ' X X X X

B e v o r z u g t e T e m p o ­ u n b e z e i c h n e t X X

angaben schnei 1 X X X X

m i t t e l X

langsam X

N o r m a l e r Z ä h l z e i t e n ­ schnei 1 X X ( X ) X X X

a b l a u f (beim Fehlen m i t t e l X

v o n T e m p o a n g a b e n ) langsam ( X ) X

H ä u f i g k e i t d e r V e r ­ sehr o f t X

w e n d u n g im Gesamtwerk o f t X

z u w e i l e n X X X X

s e l t e n X

nisten" (S. 333, Anm. a; auf d e n folgenden Seiten nennt Heinichen noch einige satztech­

nische Besonderheiten dieser Schreibart). Bereits Bsp. 1 zeigt, daß dieses "echte Alla- breve" wenig mit der Renaissance-Musik verbindet (D-12, 1722; M 3, Nr. 11: Cum Sancto Spiritu, T. 24-31). Die Themen und Klangfolgen orientieren sich an einfachen kadenz­

harmonischen Verläufen. Allenfalls in der Textdeklamation lebt etwas v o n der Eigenstän­

digkeit der Stimmen in der Renaissance-Polyphonie weiter. S o ist in Alt u n d T e n o r d a s Wort "amen" zuweilen so unterlegt, daß die zweite Halbe metrisch aufgewertet wird. Hin-

(6)

8 Wolfgang Horn • Notation als Repräsentation der Akzentstruktur z u kommt in T . 2 4 i m Alt n o c h e i n " H ö h e n a k z e n t " auf der z w e i t e n Halben. D a s e c h t e Al- labreve und d a s e c h t e S e m i a l l a b r e v e s i n d diejenigen Takt- u n d Schreibarten, in d e n e n der Akzenttakt bei H e i n i c h e n a m w e n i g s t e n klar, aber i m m e r n o c h merklich a u s g e p r ä g t ist.

Beispiel 1: Heinichen, Messe 3 (D-12), Cum Sancto Spiritu

( m c n ) mcn,

( C o r o ) mcn, a- T . 2 4 a-

men.

m e n ,

j J — U

C u m g l o - Pa- tris, ( m e n )

Im "echten Allabreve" w e r d e n "eintzig u n d alleine die 4tel, als in d i e s e n T a c t e gebräuchli­

che geschwinde N o t e n a n g e s e h e n " (§ 3 8 , S. 333); Achtel k o m m e n selten u n d nur "in gewissen R ü c k u n g e n u n d C l a u s u l n " v o r (ebd.). Der A k k o r d r h y t h m u s ist einschichtig: die Akzenteinheit ( G a n z e ) w i r d stets nur a u s d e n Zählzeiten (Halben) z u s a m m e n g e s e t z t . D a s

"echte Allabreve" w i r d "mit d e m C o d e r c bezeichnet" (§ 37, S . 332). A u c h Heinichen selbst v e r w e n d e t g e l e g e n t l i c h d a s undurchstrichene C bei "echten" Allabreve-Sätzen;

dies könnte auf e i n e t w a s l a n g s a m e r e s S c h l a g t e m p o hinweisen.1 8 Die V e r w e c h s l u n g s g e ­ fahr mit a n d e r e n Z w e i e r - N o t a t i o n s a r t e n ist gering, d a die Bindung d e s e c h t e n Allabreve a n "polyphone" C h o r m u s i k i m V e r e i n mit d e r einschichtigen Realisierung d e s A k k o r d ­ rhythmus bei Z ä h l z e i t - R e p r ä s e n t a t i o n d u r c h die Halbe (die man natürlich nur b e i m N o t e n ­ lesen bemerkt) e i n e e i n d e u t i g e Identifizierung erlaubt. Zuweilen kennzeichnet Heinichen solche Sätze, s e i e n s i e n u n mit <2 o d e r C bezeichnet, a u c h durch die v e r b a l e A n g a b e "Al­

labreve".1 9 Der g e w ö h n l i c h e P u l s d e s " e c h t e n Allabreve" ist recht schnell. A u s d e n A n g a ­ ben Heinichens z u r A u f f ü h r u n g s d a u e r s e i n e r Kirchenwerke läßt sich ein Halbe-Wert v o n etwa 130-150 M. M . e r r e c h n e n .2 0

2. Das "Allabreve s p u r i u m "

Das Adjektiv "spurius" b e d e u t e t eigentlich "unehelich"; e s ist hier aber in übertragenem Sinne zu v e r s t e h e n , g a n z s o , w i e d a s W o r t "spurious" im Englischen gebraucht wird: "Not genuine o r authentic; not w h a t it a p p e a r s , Claims, or pretends t o be".2 1 Das "Allabreve spurium" ist nichts a n d e r e s a l s d i e N o t a t i o n einer modernen, nicht (wie e t w a die Franzö­

sische Ouverture, d i e G a v o t t e o d e r B o u r r e e ) v o n vornherein d u r c h Gattungskonventionen g e b u n d e n e n "C-Takt-Musik" i m n ä c h s t h ö h e r e n Notenwert, wobei der Real-Inhalt d e r No­

tationseinheit halbiert wird; s i e u m f a ß t n u n nur noch eine einzige Zweier-Akzenteinheit.

Die Beurteilung d e r Viertel (als d e r Zählzeitteile) im Hinblick auf Akkordfähigkeit orientiert sich a n der B e h a n d l u n g d e r A c h t e l im n o r m a l e n C-Takt. Der Sinn dieser Notation liegt in

"kürtzerer Abtheilung, u n d b e s s e r e r Direction d e s Tactes" (S. 343, A n m . f). Es liegt hier (mutatis mutandis) d i e U m k e h r u n g d e s s e n v o r , w a s bei der Übersetzung d e s Allabreve in das Semiallabreve g e s c h i e h t (vgl. weiter unten).

(7)

; W o l f g a n g H o r n » Notation als Repräsentation der Akzentstruktur 9

Heinichen unterscheidet zwei Arten des "Allabreve spurium". Die Unterscheidung be­

trifft aber nicht den Akkordrhythmus - sonst könnte er sie nicht unter einem gemeinsamen Namen zusammenfassen sondern den Verlaufsrhythmus der Baßstimme. Im "echten Allabreve" ist der Akkordrhythmus einschichtig, der kleinste Wert in der rechten Hand ist die Halbe. Nun "theilen hingegen einige die Harmonie iedweden Tactes in 4. Theile, und geben iedweden 4tel einen eigenen Accord, brauchen auch die Freyheit, mit vielen Varia- tionibus und bizarren Sprüngen gedachter 4tel zu verfahren, wieder die Natur des Anti­

quen [= echten] Allabreve, ob sie gleich dieses dabey in gewöhnlichen Rückungen und Syncopationibus der Con und Dissonantien zu imitiren suchen" (S. 343). Mit "Harmonie des Tactes" (an anderer Stelle verwendet Heinichen synonym die Worte "Caesur" und

"numerus sectionalis") meint Heinichen die Notationseinheit der Ganzen; der Akkord­

rhythmus ist hier zweischichtig realisiert, auch die Viertel sind auf den geraden Positionen akkordfähig. Der Verlaufsrhythmus der Baßstimme (und auch der anderen Stimmen) hält sich im wesentlichen an die Viertel als die Zählzeitteile (vgl. Heinichens Beispiel S. 344- 346, v. a. T . 1-10). Das folgende Beispiel 2 stammt aus einer Cantata Heinichens (D'Eu- rilla sempre amata e mai amante. Beginn der Arie Siete ritrose, luci vezzose-, J-2, Nr. 21, S. 322).2 2

Beispiel 2: Heiniohen, Aria Siete ritrose, luci vezzose (J-2, Nr. 21) Fl, VI

f 0

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Die zweite Art des "Allabreve spurium" steigt im Verlaufsrhythmus bis zum zweiten Grad der Zählzeitunterteilung (den Achteln) hinab. Diese aber sind nur noch auf den ungera­

den Positionen akkordfähig; das Viertel als Zählzeitteil bleibt der kleinste Wert des Akkordrhythmus. Heinichen beschreibt dies so: "Andere gehen noch weiter, und ausser dem daß ihr Allabreve gar keine Profession von Rückungen, Bindungen und syncopatio­

nibus machet, so procediren sie über dieses mit vielen fantasirenden passagien und Sprüngen der Achtel eben wie der ordinaire langsame Tact mit denen 16theilen [also den Teilgliedern] thut" (S. 343f.). Zu dieser von Heinichen selbst nur selten verwendeten Art kann man den Satz Deposuit potentes (Beispiel 3) aus d e m F-Dur-Magnificat (1721, D- 22, S. 29f., T. 1-9) für Basso solo und Basso continuo (mit verdoppelnden Violinen und Violen) rechnen. Die Textdeklamation und dann die Takte 6 und 7 zeigen, daß es sich hier - in Übereinstimmung mit dem vorgezeichneten <t allegro - um eine 2/2-Struktur han­

delt, die nichts mit den Stilbindungen des echten Allabreve oder des "Ouverteur-Tactes"

zu tun hat. Es ist ein "erborgtes Allabreve", ein "Allabreve spurium". Bei Reduktion auf den normalen C-Takt wären die Achtel in Sechzehntel (entsprechend auch die anderen Notenformen) zu verwandeln und die Notationseinheit durch Beseitigung des ersten und jedes übernächsten Taktstriches zu verdoppeln.

(8)

10 W o l f g a n g Horn « Notation als Repräsentation der Akzentstruktur Beispiel 3 : Heinichen, Magnificat F-Dur (D-22), Deposuitpotentes

m j0

-j

a l l c g r o B c , c o l / I e V a

B sol (8va alta

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o: De- X)- SU-

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-M-

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4 f [

x r su-it

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pot- en-

- r - q

W a s ist n u n aber der spezifische Sinn dieser Notationsweise? Die Halbierung der Nota­

tionseinheiten verdoppelt die Geschwindigkeit der H a n d b e w e g u n g . Dies könnte m a n für u n b e q u e m halten. Andererseits ist aufgrund d e s raschen Auf und A b der H a n d d a s koor­

d i n i e r e n d e M a ß stets in überdeutlicher W e i s e präsent, w a s bei schnellem T e m p o w ü n ­ s c h e n s w e r t erscheinen m a g . Heinichen schreibt dazu: "Hieher gehören einige ausländi­

s c h e Concerte, ingleichen s o viele Cantaten und Oper-Arien, welche a u c h brave C o m p o - sitores auff solche Arth z u setzen pflegen. Allein sie t h u n e s nicht mit der Intention, ein re- gulirtes Allabreve z u setzen, sondern nur z u kürtzerer Abtheilung, und besserer Direction d e s T a c t e s , e b e n w i e m a n sich des 2/4, 4 / 82 3 etc. statt d e s ordinairen langsamen T a c t e s [d. h. d e s C-Takts] bedienet. M a n entdecket auch gar bald a u s der Entreprise des C o m - positeurs, o b er z u seiner Invention nur hat wollen d e n Allabreve-Tact erborgen, oder o b er ist willens, und z u ohnmächtig g e w e s e n , ein ächtes Allabreve zu setzen" (S. 343, A n m . f). Nicht v e r w e c h s e l n darf m a n d a s "Allabreve spurium" mit d e m Semiallabreve: dieses u m f a ß t j e Notationseinheit zwei einschichtig realisierte Akzenteinheiten, j e n e s d a g e g e n nur e i n e einzige, dabei zweischichtig realisierte Akzenteinheit. Betrachtet m a n nach Hei­

nichens E m p f e h l u n g einige "Entreprisen" anderer "Compositeurs", s o bestätigen sich sei­

ne H i n w e i s e e t w a im Bereich der "Oper-Arien".2 4 Beispiel 4 zeigt d e n Beginn einer Arie a u s A n t o n i o Maria Bononcinis Griselda (1718/19).

Beispiel 4 : A . M. Bononcini, A r i a Giä col vostro splendor (1718/19)

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1

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1

3. Der "Ouverteur-Tact"

S e i n e n N a m e n hat dieser T a k t "von der bekandten Ouverteur, weil er allda a m meisten, nicht allein bey d e m Eingange, sondern a u c h in verschiedenen piecen derselben gebrau­

c h e t wird" (§ 48, S. 348). Er findet sich also nicht allein im Einleitungsteil der "Französi­

s c h e n Ouverture" oder in der "Entree", s o n d e r n auch in einigen Tanzsätzen der Suite, na­

mentlich d e r Bourree u n d der Gavotte.2 5 A l s Zeitvorzeichen w e r d e n anscheinend unter­

s c h i e d s l o s verwendet 2, $, C und e.2 6 Heinichen hat nur wenige Suiten komponiert; Bei­

spiele a u s seinen W e r k e n sind daher s c h w e r beizubringen. Eine mit $ bezeichnete En-

(9)

W o l f g a n g H o r n • N o t a t i o n a l s R e p r ä s e n t a t i o n d e r Akzentstruktur 11 tree (das Zeichen muß nicht unbedingt auf schnelles Tempo deuten) findet sich im Con- certo com Violino, Oboe e Traversiere, G-Dur (0-2; Abschrift von der Hand Pisendels, bei Hausswald2 7 unter 1,7,a verzeichnet). Beispiele für regelrechte Gavotten oder Bourrees habe ich nicht gefunden28; deshalb seien hier die Anfangstakte des Gavotten-Beispiels aus d e m GbC zitiert (S. 353f.).

Beispiel 5 : H e i n i c h e n , C o n c e r t o ( 0 - 2 ) , Entree

E n t r e e

F ^ V , r h fi f r n T T ' - h » Ä

•<* 0

Bc

- s y - n i i j k | n J

' y 11 J J

r . M lk .

^ 4 =

m 9 * +J

_ =

_|

L 1 1

p K]

Beispiel 6 : Heinic

h l Ü j l

hen, GbC, S . 353f. ("<

J .

U j J . } :

3avotte")

j J | j j J 4 = F

F H F r W

I J i ! _ _ J

V -

4 4

p S l j r H I = ;

6

3 - 5 — ^ - 1 — t -

6 6 6 6

j t f

6 6

H j J ] | I I

6

p ir r r r r .

r ~

m %

6

' ' - I rL H

y = y

H ' -

Betrachtet man die "Ouverturen", Gavotten und Bourrees in Bachs Suiten, so gewinnt man den Eindruck, daß normalerweise sowohl in der langsamen als auch in der ge­

schwinden Form die Viertel (und nicht die Halben) als Zählzeiten behandelt sind. Man versuche einmal, den 2/4-"Auftakt" in Heinichens Gavotten-Beispiel wirklich als "realen"

Auftakt z u verstehen. Jeder unbefangene Hörer ohne Notenkenntnis (und ohne Kenntnis der hier womöglich zu bedenkenden Tanzschritte) kann eine Gavotte abtaktig auffassen und einschichtige Akzenteinheiten aus zwei Vierteln bilden. Dem steht nur scheinbar Hei­

nichens Erklärung entgegen, daß man die "zusammen gezogenen 8tel (...) tractiret, wie die 16theil im ordinairen langsamen (...) Tacte" (§ 48, S. 348, ähnlich in § 51, S. 352).

Denn zugleich bemerkt er zur schnellen Variante des Ouverteur-Takts, daß in diesem

"muntern stylo" auch "die virtualiter kurtzen [d. h. die "geraden"] 4tel in allen Fällen, ihrer Geschwindigkeit ungeachtet, immer gern eine neue Harmonie haben" (S. 351, Anm. h).

Schließlich ist zu verweisen auf § 13 (S. 268); dort hatte Heinichen Semiallabreve und Ouverteur-Takt als Beispiele für den C-Takt mit geschwinder Mensur angeführt. Der Ou- verteur-Takt steht also dem Semiallabreve nahe, während er vom Allabreve spurium un­

terschieden ist. Sein Akkordrhythmus geht nur bis zu den Vierteln hinab29; diese aber sind zugleich die Zählzeiten.30 Die Notationseinheit des Ouverteur-Taktes enthält in der Regel zwei einschichtige Zweier-Akzenteinheiten.31

(10)

12 W o l f g a n g H o r n • N o t a t i o n a l s R e p r ä s e n t a t i o n d e r A k z e n t s t r u k t u r

4. D e r "ordinaire egale Tact" (der normale C-Takt)

D a s Beispiel 7 (D-14, 1723; M 5, Nr. 6: Laudamus te, T . 1-2, 7 u n d 14-15) zeigt e x e m p l a ­ risch d i e 2x2/4-Struktur d e s C-Taktes in mittlerem T e m p o . D a s " T h e m a " k a n n unter­

schiedslos auf d e m ersten (T. 1) und dritten Viertel (T. 7) einsetzen, d i e Kadenzschlußno­

t e n fallen jeweils regelmäßig auf d a s dritte Viertel (auch im Schlußtakt). Der Periodenbau ( w e n n m a n diesen T e r m i n u s hier v e r w e n d e n will) läßt sich sinnvoll nur in 2/4-Einheiten beschreiben. Die Continuostimme ist (wie z u m e i s t bei Heinichen) unbeziffert; d e n Akkord­

r h y t h m u s h a b e n wir durch die Zeichen x (für Akkordanschlag) u n d - (für Durchgänge) über d e m Continuosystem angedeutet.3 2 D a s dritte u n d vierte Viertel in T . 2 erhalten j e e i n e n e i g e n e n A k k o r d (6/4 u n d 5/3). Die Viertel zeichnen sich d a d u r c h als Zählzeiten aus, d a ß ihre Position stets mit e i n e m A k k o r d besetzt ist, w ä h r e n d die "geraden" Achtelpositio­

n e n z u w e i l e n leer sind (was sie als "geschwinde Noten" kennzeichnet). In den beiden T a k t e n 1 u n d 2 sieht m a n gut, wie der Akkordrhythmus z u r G r u p p e n b i l d u n g auf d e r d e n Einzeltakt überschreitenden E b e n e beiträgt. K o c h hätte d i e b e i d e n C - T a k t e als 4x2/4 be­

trachtet u n d die g e s a m t e G r u p p e als einen viertaktigen "Quintabsatz" bezeichnet, der a u s z w e i zweitaktigen "Einschnitten" bestehe. Heinichen hätte d e m sicher z u s t i m m e n können.

Z u g l e i c h a b e r zeigt d a s Beispiel, wie e i n e dichte A k k o r d f o l g e eine T e n d e n z zur G r u p p e n b i l d u n g a u c h auf Achtel-Ebene fördert.

B e i s p i e l 7 : H e i n i c h e n , M e s s e 5 (D-14), Laudamus te Fl t r c V I

- H J J . T . 1 4

fr r A n d a

x - n t e

X X X X

r f r f ^

XX X X - X X

rr - r r T i v i-

T . 7 A s o

X

p P 0

o:Lau-da-mus X - X - X X

? r

( g l o r i f i c X X

a - ) X X X X

- m u s te.

XX X - X - X • X X

f = t = X I

Nicht s e l t e n findet sich bei eindeutiger, e t w a d u r c h T h e m e n e i n s ä t z e oder Kadenzfälle auf

"3" a u s g e w i e s e n e r 2x2/4-Struktur der durchstrichene Halbkreis vorgezeichnet. Er zeigt nicht 2 / 2 a n (also eine einzige zweischichtige Akzenteinheit), s o n d e r n einen "geschwin­

d e n C - T a k t " (also zwei einschichtige Akzenteinheiten), d e s s e n Akzentstruktur (nicht aber die stilistische Bindung) mit d e m echten Semiallabreve u n d d e m schnellen Ouverteur- T a k t ü b e r e i n k o m m t . Ein mit < bezeichneter 4/4-Takt findet sich niemals im Verein mit ei­2 ner l a n g s a m e n T e m p o a n g a b e ; typisch ist e t w a die Kombination c-Allegro. In seiner er­

s t e n M e s s e (D-5a) notierte Heinichen d e n S a t z "Credo in u n u m D e u m " im C-Allegro (vgl.

d a s Incipit bei Schmitz, S. 221, M 1, Nr. 12). In der Kurzfassung der M e s s e (D-5) behält Heinichen dieselben Notenformen und die A n g a b e "Allegro" bei, "verdeutlicht" aber d a s T e m p o n u n d u r c h die Vorzeichnung d e s durchstrichenen Halbkreises c (bei Schmitz kein Incipit).

(11)

Wolfganig Horn • Notation als Repräsentation der Akzentstruktur 13 5. Das "echte Semiallabreve"

Das "echte Semiallabreve" (oder auch das "pathetische antique Semiallabreve") ist die Übersetzung eines "echten Allabreve" in die nächstkleineren Notenformen unter Auf- rechteirhaltung der Größe der Notationseinheit (jeweils Ganze), die im Semiallabreve so­

mit z w e i Akzenteinheiten umfaßt. Dadurch wird zugleich - und das ist ein Sinn dieser No- tations'weise - die Frequenz des Taktschlages halbiert. Es gibt Beispiele, in denen Heini­

chen Stücke aus einer ursprünglichen Allabreve-Notation in der geschilderten Weise in eine S.emiallabreve-Einkleidung "übersetzt" hat. So ist das "Osanna" aus der ersten Mes­

se (M 1, Nr. 19; 1721; D-5a) als "echtes Allabreve" mit dem Zusatz "presto" (korrigiert aus ursprünglichem "Allegro") notiert. Um 1725 hat Heinichen eine kürzere Fassung dieser M e s s e hergestellt (M 1a; D-5); im Autograph der Langfassung hat er beim Osanna die Absicht der Umnotierung mit dem Vermerk festgehalten: "NB semiallabreve". In der Kurz­

fassung ist das Stück dann mit beibehaltener Vorzeichnung <t und der Angabe "Allegro"

im nächstkleineren Notenwert aufgezeichnet (Beispiel 8). Ähnliche Beispiele finden sich des öfteren; sie sind die direkte Bestätigung für Heinichens Satz, daß das echte Semial­

labreve "von dem wahren Allabreve nicht viel weiter unterschieden, als in der Mensur, und euserlicher Geldung der Noten" (§ 47, S. 346).

Beispiel 8: Heinichen, Messe 1 u n d 1a (D-5a und D-5), Osanna

p r e s t o A l l e g r o [ " N B s e m i a l l a b r e v e " ]

O " s a n - - n a in ex* c e l - - ( s i s ) O - s a n - - n a in e x - c e l - - ( s i s )

Das "echte Semiallabreve" ist an "Polyphonie" gebunden. Allein durch die Stilbindung ist es vorn stilistisch neutralen geschwinden C-Takt unterschieden, während "in beyden Ar- then d a s Accompagnement [der Akkordrhythmus] einerley" ist (§ 47, S. 346). Da der Un­

terschied auf der Ebene bloßer Taktarithmetik nicht greifbar ist, gibt es hier eine Grauzo­

ne. Das folgende Beispiel aus einem Magnificat (Es-Dur, 1724; D-27, S. 7: Et misericor- dia, T . 13-17) weist zu Beginn des Vokalbasses die Angabe "sostenuto" auf. Dies ist bei Heinichen eine Aufforderung zu nachdrücklichem und kräftigem Musizieren, nicht not­

wendig zu verhaltenem Tempo. Die Notationseinheit umfaßt zwei einschichtige Ak­

zente: nheiten. Ob Heinichen einen solchen Satz noch als "echtes" Semiallabreve be­

zeichnet hätte?

Beispie l 9: Heinichen, Magnificat Es-Dur (D-27), Et misericordia

u m ,

t i - m c n * t i- b u s

(c-) u m ,

s e - ri* c o r d i - a p r o -

(12)

14 W o l f g a n g Horn * Notation als Repräsentation der Akzentstruktur

Der Terminus "Semiallabreve" hat a n s c h e i n e n d nicht z u m Vokabular etwa Matthesons oder Walthers gehört. In e i n e m der Z u s ä t z e a m Ende des Traktats (S. 945f.) betont Hei­

nichen, daß er sich allgemein eingebürgert habe, wenngleich er sprachlich nicht korrekt gebildet sei und eigentlich "Alla Semibreve" lauten müsse. Zugleich finden sich hier Hin­

weise auf die Bedeutungsentwicklung d e s Terminus. Im "Alla Breve" gemäß den Nota­

tionsgepflogenheiten d e r Alten h a b e der Taktschlag noch einer Brevis-Note entsprochen (jeweils Semibrevis a b u n d Semibrevis auf). Im Laufe der Zeit habe sich jedoch die Praxis durchgesetzt, allgemein auf der nächstkleineren Stufe zu notieren; die Brevis wurde durch die Semibrevis ersetzt, d e r e n "formale" Nachfolgerin die G a n z e ist. In diesem Sta­

dium findet Heinichen d a s "Allabreve" vor, u n d so verwendet er es auch. Die Änderung der Notationspraxis habe nicht z u einer Ä n d e r u n g der Benennung geführt; der Terminus

"Allabreve" kann n u n nicht m e h r in der alten Weise erklärt werden. Denn der Taktschlag erfolgt hier ebenso auf die notierte "Semibrevis" wie im Semiallabreve, im Ouverteur-Tact oder im C-Takt. Z u r Unterscheidung m ü s s e n also andere Kriterien herangezogen werden (wie der Akkordrhythmus o d e r d i e Stilbindung). "Allabreve" ist a u s einem schlagpraktisch bestimmten zu e i n e m musikalisch substantiierten Begriff geworden, über dessen Bedeu­

t u n g die Erklärung d e s N a m e n s "Allabreve" keinen Aufschluß mehr geben kann. (Analog ließe sich wohl d a s Verhältnis v o n tactus/Taktschlag z u Takt/Akzentprinzip beschreiben.)

6. Der 2/4-Takt

Der 2/4-Takt entspricht d e r Hälfte d e s normalen C-Takts, oder anders gesagt: er stellt die Akzenteinheit des C-Takts dar, der ein zusammengesetzter Takt (als Notationsweise) ist.

Die Bevorzugung der C-Notation m a g m a n mit der bequemeren Schreibarbeit (man spart Taktstriche), mit der ruhigeren Dirigierbewegung und schließlich auch mit d e m alten Her­

k o m m e n erklären. 2/4-Notation ist in Heinichens Kirchenmusik äußerst selten: wir können (unter mehr als 3 0 0 geradtaktigen Sätzen) nur 2 Beispiele anführen.3 3 In der weltlichen Musik begegnet m a n d e r 2/4-Notation d a g e g e n häufig. Es besteht eine deutliche (wenn­

gleich nicht ausschließliche) Affinität z w i s c h e n der 2/4-Notationsweise und d e m Rhyth­

m u s kurz-lang-kurz (Achtel-Viertel-Achtel).

In d e n italienischen Cantate zeichnet Heinichen (oder der jeweilige Kopist) häufig d e n durchstrichenen Halbkreis £ bei Taktstrichen im 2/4-Abstand vor.3 4 Dies soll mit Sicher­

heit anzeigen, d a ß die Viertel im unbezeichneten 2/4-Takt schneller sind als die Viertel im normalen C-Takt.3 5 D a s d u r c h die Halbierung der Notationseinheit ohnehin verdoppelte Schlagtempo ist also noch zusätzlich beschleunigt (sofern bei d e n klein besetzten Canta­

t e der Takt überhaupt geschlagen wurde). Es gelten hier dieselben Erwägungen wie oben b e i m "Allabreve spurium". D a s folgende Beispiel 10 (Beginn der Arie Si dolce mio ben; J- 2, Nr. 2 1 , S. 330; Lorber, S. 285-287) ist derselben Cantata entnommen wie Beispiel 2.

Allabreve spurium u n d 2/4-Notation s i n d synonyme Einkleidungen eines schnellen Zweiertaktes; sie unterscheiden sich nur d u r c h die W a h l der Notenform für die Zählzeit.

Die Gemeinsamkeiten u n d Unterschiede w e r d e n aus d e n Beispielen ohne weiteren Kom­

mentar deutlich.

(13)

W o l f g a n g H o r n • Notation als Repräsentation der Akzentstruktur 15

Beispiel 10: Heinichen, Aria Si dolce mio ben (J-2, Nr. 21)

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A l c g r o

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3

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7. Das Problem d e s "2/8-Takts"

Theoretisch läßt sich jede Note bis ins Unendliche teilen'; e n t s p r e c h e n d würde sich die Folge "relativ betont" und "relativ unbetont" noch bei unendlich kleinen Werten ergeben.

Das z u einer bestimmten Zeit als musikalisch sinnvoll Geltende setzt d e n Teilungsmög­

lichkeiten jedoch enge Grenzen. Der harmonische Rhythmus, der sich im Akkordrhyth­

m u s abbildet, zeichnet in der Regel nur die Zählzeiten u n d die Zählzeitteile aus. Die Tei­

lung d e r Akzenteinheit ist daher entweder einschichtig oder zweischichtig. Das Erkennen der Schichten ist ein Akt der Interpretation, die sich nicht allein auf d e n Akkordrhythmus stützt. Dieser kann jedoch die Unterscheidung der Zählzeitschicht v o n der Schicht d e r Zählzeitteile dadurch fördern, daß - gemäß den, V o r g a b e n der Komposition - auf der er­

sten regelmäßig, auf der zweiten nur gelegentlich ein A k k o r d a n g e s c h l a g e n wird. Verhält es sich dagegen so, daß in einem Stück, d a s im normalen C-Takt notiert ist, Harmonie­

wechsel auf j e d e m Achtel stattfindet, dann sind die Viertel g e g e n ü b e r d e n Achteln akkordrhythmisch nicht mehr hervorgehoben. Die Bildung v o n Zweiergruppen k a n n primär auf der Achtel-Ebene geschehen, so d a ß fraglich wird, o b ein recht geschwinder, dabei einschichtiger Zweiertakt, oder ein gemäßigter, dabei zweischichtiger Zweiertakt gilt. K o m m e n gar noch die Sechzehntel ins Spiel oder k o m m t e i n T e x t mit seinen Beto­

nungsvorgaben hinzu, so kann sich die Frage z u g u n s t e n d e r Akzenteinheit Achtel-Achtel mit schnellen Zählzeiten entscheiden. Es entsteht der "2/8-Takt" - d. h.: die Zweierak­

zenteinheiten sind durch zwei Achtelnoten repräsentiert -, der bei Heinichen nie aus­

drücklich vorgezeichnet ist, dennoch aber musikalisch realisiert sein kann.

Wir führen hier zur Verdeutlichung ein Beispiel a u s der C a n t a t a Lä dove al pado in riva an. Die kleine Arie Vuoi ti dica (J-1, Nr. 14)36 zwingt in ihren beiden Anfangstakten d e n Hörer förmlich dazu, jedes ungerade Achtel als gleichwertig auszuzeichnen. Eine Nota­

tionseinheit enthielte somit 4 Zweier-Akzenteinheiten. In der Generalbaßaussetzung3 7

müssen sogar die Sechzehntel als akkordfähig, mithin als Zählzeitteile u n d nicht als Teil­

glieder, betrachtet werden. Die Zäsur a m Ritornellschluß in T . 2 fällt auf das siebte A c h ­ tel; auch dies führt zu dem Urteil "2/8".

(14)

16 W o l f g a n g Horn • Notation als Repräsentation der Akzentstruktur Beispiel 11: Heinichen, Aria Vuoi ti dica (J-1. Nr. 14)

un p o c o ailcgro

t d ü L i - r ' ü * \i [ 1 ' ^

V u o i i d i - c a s e n - t o a - m

1 % % f

o-re che l'an-ti-ca f i a m - m a al c o -

R, 1

L L f ' L L f L j - J *

i•- P f £

Betrachten wir noch ein weiteres Beispiel zur Frage der Bildung von Akzenteinheiten auf Achtel-Ebene. Heinichen brachte als Dresdner Hofkapellmeister auch Werke anderer Komponisten zur Aufführung. Eines dieser Werke war eine Missa con Trombe in C-Dur des seinerzeit vor allem als Theorbist berühmten, in Wien tätigen Francesco Conti (1681 - 1732). Heinichen hat fremde Werke gelegentlich mit spitzer Feder kommentiert. In der genannten Messe (Partitur in der SLB Dresden, Mus. 2367-D-1) findet sich ein Beispiel, das in unserem Zusammenhang aufschlußreich ist.38 Contis Arie Laudamus te ist im C- Takt mit der Angabe "Andante" notiert; Beispiel 12 gibt die fünf Schlußtakte (T. 16-20) wieder. Die nach oben gerichteten Hälse deuten eine Vereinfachung an, die Heinichen im Sechzehntel-Baßverlauf der Contischen Komposition vorgenommen hat.

Beispiel 12: Conti, Missa con Trombe, Laudamus te

A n d a n t e

I ' " ' P i ' Q r J ' ' F i ' i L i T L i r o r r L i r i ^ ' i " r ^ • • •

T s o l o : g l o T i - f i - c a - m u s , g l o - r i T r ca* - - - - . mu s , g l o - r i - f i - c a - m u s t e .

T . 1 6 | | + " n o n fa da c o m p o s i t o r e ma da sonatore"

Den Beginn des vorletzten Taktes hat Heinichen mit zwei Kreuzen markiert. Sein etwas herablassender Kommentar zu dieser Stelle lautet: "non f ä da compositore mä da sonato­

re", zu übersetzen etwa: "das zeugt nicht von einem Komponisten, sondern von einem In­

strumentenspieler". Was er damit meint, erscheint zunächst klar. Im C-Takt kann ein Ka­

denzschluß auf das erste oder dritte Viertel fallen (deshalb ist der Schluß in T. 20 völlig in Ordnung). Ein Kadenzschluß auf der 2 ist dagegen ausgeschlossen. Aber ist denn das zweite Viertel in T. 19 wirklich eine 2? Versucht man, die fünf mitgeteilten Takte auf Vier­

tel als Zählzeiten zu beziehen, so mag das in T. 16 und 17 noch gelingen. In T. 18 aber dürfte es kaum möglich sein, dem ersten Viertel mehr Gewicht beizulegen als dem zwei­

ten. Und die Noten bis zum Tenorschluß lassen sich sinnvoll nur noch auf Zweier-Akzent- gruppen beziehen, deren Zählzeit die Achtel sind. Die a m Ende von T. 16 praktizierte Textdeklamation: "glorifi-CA-mus" ist am Ende von T. 18 eindeutig ersetzt durch: "glo-RI- fi-CA-mus TE". Ob Conti wirklich wollte, daß man diese Arie im schnellen einschichtigen, deshalb etwas kurzatmig wirkenden 2/8-Takt auffassen soll, bleibe dahingestellt. Daß man es kann und daß nur auf diese Weise der von Heinichen monierte Schluß einen Sinn

(15)

W o l f g a n g H o r n • Notation als Repräsentation der Akzentstruktur 1 7

b e k o m m t , s t e h t a b e r außer Frage. Im übrigen k a n n d a s U m s p r i n g e n der Z ä h l z e i t v o n ei­

ner N o t e n f o r m auf eine a n d e r e innerhalb eines S a t z e s durchaus v o n e i g e n e m Reiz sein.

Vielleicht g e s c h i e h t dies öfter, als m a n g e m e i n h i n denkt.

D a s a u s f ü h r l i c h e Eingehen auf d a s P r o b l e m d e s 2/8-Taktes sollte zeigen, d a ß d i e B e ­ s t i m m u n g d e r "musikalischen Zeit" v o m a k z e n t i s c h geordneten Puls her d u r c h a u s nicht bei e i n e r V o r s t e l l u n g v o m Einzeltakt als starrer u n d unveränderlicher B e z u g s g r ö ß e halt­

m a c h e n m u ß . W a s Heinichen a n Conti kritisiert: die Zäsurbildung auf Positionen, d i e in der N o t a t i o n e i n e "gerade" Stelle e i n z u n e h m e n scheinen, ist ihm selbst nur g a n z v e r e i n ­ zelt u n t e r l a u f e n (vgl. oben, Beispiel 11, u n d GbC, S. 262, in der Mitte der o b e r e n A k k o l a - de). G r u n d s ä t z l i c h aber betrachtet e r e i n e s o l c h e "Einkleidung" als fehlerhaft.3 9 Abhilfe ist z u s c h a f f e n d u r c h die W a h l einer a n d e r e n Notationsart, in d e r die Z ä s u r e n a u c h g r a ­ phisch a u f "ungerade" Positionen fallen. S o l a n g e aber kein "Zäsurkonflikt" d a s D i l e m m a sichtbar m a c h t , kann sich der 2/8-Takt im G e w ä n d e einer g e w ö h n l i c h e n C - N o t a t i o n g l e i c h s a m verstecken. Die Notation repräsentiert d a s musikalisch G e m e i n t e d a n n a b e r nicht mit d e r gebotenen Deutlichkeit.

III. Die Dreier-Akzenteinheiten in der Notation

Die T r i p e l t a k t e sind in Heinichens L e h r e und Praxis wesentlich eindeutiger b e s t i m m t a l s die Z w e i e r t a k t e . Als eine weithin verläßliche Faustregel kann m a n formulieren, d a ß in d e n v o n H e i n i c h e n verwendeten Tripeltakten der Nennerwert d e s Zeitvorzeichens z u g l e i c h die kompositorisch realisierte, i m A k k o r d r h y t h m u s sinnfällig w e r d e n d e Zählzeit darstellt.

Wir m ü s s e n uns mit diesen T a k t e n d a h e r nicht m e h r lange aufhalten (vgl. T a b e l l e 2).

Beachtenswert sind die Tripelnotationen i m Hinblick auf die T e m p o k o n v e n t i o n e n , d i e Heinichen mit ihnen verbindet: j e g r ö ß e r der Nennerwert, desto l a n g s a m e r d a s G r u n d ­ t e m p o .4 0 D a g e g e n existiert das Problem der "vermischten Taktarten" (6/8 o d e r 12/8), bei d e n e n m a n im Zweifel sein kann, o b es sich u m z u s a m m e n g e s e t z t e Tripel o d e r u m Z w e i ­ ertakte mit triolisch unterteilten Zählzeiten handelt, für Heinichen praktisch nicht. V o n 191 Tripel-Sätzen in der Kirchenmusik s t e h e n 7 7 im 3/2 u n d 8 4 im 3/4-Takt; d i e s s i n d z u ­ s a m m e n 8 4 % . Alle anderen Tripel-Notationen h a b e n hier einen A u s n a h m e s t a t u s . S i e b ­ z e h n m a l findet m a n das Zeitvorzeichen 6/4, f ü n f m a l d a s Z e i c h e n 3/8, s e c h s m a l 6/8, z w e i ­ mal 12/8 u n d nicht ein einziges Mal 9/8 (für d i e s e Taktart kann ich nur ein e i n z i g e s Bei­

spiel anführen, vgl. Beispiel 15).

Z w i s c h e n der weltlichen Musik u n d d e r Kirchenmusik gibt e s a u c h im B e r e i c h d e r Tri­

peltakte einige charakteristische Unterschiede. Der 3/2-Takt k o m m t in weltlichen A r i e n bei Heinichen überhaupt nicht vor, der 3/4-Takt nur sehr selten. Der 6/4-Takt k o m m t in O p e r n u n d Cantate nicht vor; nur in Heinichens Instrumentalmusik findet sich g e l e g e n t l i c h eine im 6/4-Takt notierte Loure. D a g e g e n d o m i n i e r e n im weltlichen Bereich d i e A c h t e l s - Tripel eindeutig4 1, und hier ist b e s o n d e r s bemerkenswert, d a ß Heinichen d i e " v o n N a t u r a u s schnellen" Achtels-Tripel häufig d u r c h T e m p o a n g a b e n a u s d e m l a n g s a m e n B e r e i c h mäßigt.4 2 Er bedient sich also der Praxis, d i e er selbst mit d e n W o r t e n beschreibt: "wie d e n n a u c h der sonst geschwinde 3/8-Tact mit e i n e m Adagio verbrehmet, b e y h e u t i g e n berühmten Practicis nichts rares ist" (S. 2 9 1 , A n m . n).

D a die Tripeltakte bei Heinichen s o w o h l theoretisch als a u c h praktisch recht übersicht­

lich sind, sollen im folgenden nur drei Beispiele angeführt werden. Unter d e n z a h l r e i c h e n Sätzen, die Heinichen im 3/2-Takt notiert, f i n d e n s i c h nur wenige, in d e n e n a u c h d i e Z ä h l ­ zeitteile (hier: die Viertel) im A k k o r d r h y t h m u s auftauchen. In Beispiel 13 ( D - 1 1 , 1729; M 12, Nr. 2: Christe eleison, T . 39-44) ist Generalbaßbegleitung nicht v o r g e s e h e n ;

(16)

1 8 Wolfgang Horn « Notation als Repräsentation der Akzentstruktur Tabelle 2: Dreiertakte

Triplae simplices:

DREIERTAKTE

(Dreier-Akzenteinheiten und die aus ihnen gebildeten Notationsei nheiten)

"Halt >er Tr Vier

i pe 1"

tels-Tr1pel Achtels-T ripel DREIERTAKTE

(Dreier-Akzenteinheiten und die aus ihnen gebildeten

Notationsei nheiten) Triplae compos itae:

3/2 1.

3/4 2.

3/8 3.

6/4 4.

6/8 5.

9/8 6.

12/8 7.

Akzenteinheit (AE, Halbe-Halbe-Halbe X

x=-; zugleich Angabe 4tel-4tel-4tel X X

der Zählzeiten) 8tel-8tel-8tel X X X X

Träger des doppelte Zz.+Zz. X X X X X X X

Akkordrhythmus ... + Zz.-teile ( X ) ( X ) ( X )

Notationseinheit laut 1 AE x-:- X X X

Zeitvorzeichen ent­ 2 AE x=-:x=- X X

sprechend den AE (mit 3 AE x=-x=-:x=- X

Taktschlag Ab:Auf) 4 AE x=-x=-:x=-x=- X

Bindung an beson­ ,1a ( X ) ( X ) X ( X )

dere Schreibarten nein X X X X X X X

Bevorzugte Tempo­ unbezeichnet X X X

angaben schnei 1 X X

mittel X X X

1angsam X

Normaler Zählzeiten­ schnei 1 X

ablauf (beim Fehlen mittel X X

von Tempoangaben) langsam X

Häufigkeit der Ver­ oft X X ( X )

wendung im Gesamtwerk zuweilen X

selten X X ( X ) X

e s ist d e s h a l b v o m h a r m o n i s c h e n R h y t h m u s z u s p r e c h e n . Dieser ist hier i n s g e s a m t s e h r r u h i g . L e d i g l i c h i m v o r l e t z t e n T a k t b e s c h l e u n i g t er s i c h merklich: d a s e r s t e u n d z w e i t e V i e r t e l s o w i e d i e n a c h f o l g e n d e G a n z e h a b e n j e e i n e e i g e n e H a r m o n i e . D a s V o r f e l d d e r K a d e n z ist bei H e i n i c h e n d e r t y p i s c h e ( u n d b e i n a h e e i n z i g e ) Ort f ü r Z ä h l z e i t t e i l e im har­

m o n i s c h e n R h y t h m u s d e r Tripeltakte.

(17)

Wolfgang H o r n « Notation als Repräsentation der Akzentstruktur 19

Beispiel 1 3 : Heinichen, Messe 12 (D-11), Christe eleison

•J

T . 3 9 O b I I

u a p o c o a n d a n t e ( a t c m p o )

V I c Va unis.

VI

V a ("senz" Organo e Bassi")

Das Beispiel 14 (D-8, 1724; M 7, Nr. 4: Qui tollis peccata mundi, T. 47-51) zeigt einen 6/4-Takt, d e s s e n Notationseinheit zwei 3/4-Akzenteinheiten enthält. Das erste u n d dritte Viertel s i n d völlig gleichberechtigt; der Kadenzschluß in T. 49 fällt auf die 4 . In e i n e m T e D e u m Heinichens (D-17) ist der Satz Per singulos dies im 6/4-Takt mit der A n g a b e "An­

dante" notiert. Im Autograph der später angefertigten Kurzfassung (D-17a, Nr. 8) ist der­

selbe S a t z im 3/4-Takt ebenfalls mit der Angabe "Andante" aufgezeichnet. 3/4- u n d 6/4- Takt unterscheiden sich also nur in der "Weite" des Taktschlags, nicht aber im Abiauf­

t e m p o d e r Zählzeiten.

Beispiel 14: Heinichen, Messe 7 (D-8). "Qui tollis"

Fl tr, V I . O b

" i r r — — J jujJJu •- 4 i - -

- p M J |

j r

r

t p

• ff i «

~i '—r -1

^ t . < 7 * *r r

A s o l o : m i - s e - T s o l o : m i- s c - r c - r c ,

r

#p. J

. j 4| l

J *

cJ'i r e r r

re* re, mi-se- r e -

m i - s c - rc-

• J i W

- p f r r >

r e n o - bis.

- r c no* bis. \

f.X r .r

1

—^ r *—

U l i — ^ — * r

( V c , senz' Organo)

l ^ ' H

Abschließend sei ein für Heinichen singuläres Beispiel besprochen (Beispiel 15; Si lagna alla campagna aus der Serenata Zeffiro e Clori, 1714; L-6, S. 29ff.). Es bleibt hier fraglich, auf welcher Ebene die für die "Gangart" der Musik bezeichnende Einheitenbildung a n z u ­ setzen ist. Zunächst wird man d u r c h d i e beiden ersten Takte auf einen 3/4-Takt einge­

stimmt; in d e n Takten 3ff. macht sich dagegen die Tripel-Gangart auf Achtel-Ebene bemerkbar. In T. 7 erhält die Achtelgliederung durch die Synkopenbildung v o m dritten z u m vierten Achtel einen besonderen Nachdruck; in d e n Takten 9ff. gewinnt sie fast die Oberhand. Im ganzen Stück aber hält sich Heinichen daran, Zäsuren nur auf d e r 1 eines jeden 9/8-Taktes eintreten zu lassen4 3; die Möglichkeit einer 3/4-Auffassung bleibt so durchgehend gewahrt.

(18)

20 W o l f g a n g Horn « Notation a l s R e p r ä s e n t a t i o n d e r A k z e n t s t r u k t u r

Beispiel 15: Heinichen, A r i a Si lagna alla campagna (L-6)

C h a l u m e a u o O b c o n s o r d i n o

J FFCFIJ F J R

Fl t r a v o O b c o n s o r d i n o A n d a n t e e s e m p r c piano

V I I. II ( d i v . )

V a

A s o l o : S i l a ­ g n a a l - la c a m- p a_ g n a i l T o r - to*

In seiner Studie Das Musikalische Hören der Neuzeit unterstreicht Heinrich Besseler die B e d e u t u n g d e s Akzentprinzips, d a s er aus der T a n z m u s i k herleitet, für d e n m o d e r n e n Taktbegriff.4 4 Dies führt ihn z u der generellen A n n a h m e eines vierteiligen T a k t e s mit Haupt- u n d Nebenakzent. Der "Hauptakzent" entspricht d e m Schritt d e s ersten Fußes.

"Ein solcher Schritt verlangt d a s Nachziehen des a n d e r e n Fußes, u n d z w a r in der Takt­

mitte. Dort erfolgt ebenfalls ein Druckakzent, der j e d o c h schwächer ist als d e r zu Beginn."

S o entsteht der sogenannte "Akzentstufentakt", d a s ist ein 4/4-Takt mit "Hauptakzent auf 1, N e b e n a k z e n t auf 3, Tonlosigkeit auf 2 u n d 4. Wir beobachten eine Stufung der Akzen­

t e n a c h drei verschiedenen Qualitäten." Dies gilt in gleicher W e i s e für d e n 4/4-, d e n 6/8-, d e n 3 / 4 - u n d d e n 6/4-Takt: "Auf 1 erfolgt der Hauptakzent, auf 2 oder 3 oder 4 oft ein Ne­

b e n a k z e n t , w ä h r e n d d a s Übrige o h n e Druck bleibt." Z w a r scheint d a s Wort "oft" eine ge­

w i s s e Relativierung anzudeuten, d o c h läßt Besseler keinen Zweifel daran, d a ß die Stu­

f u n g d e r A k z e n t e die Regel ist, "wie j e d e s Tanzlied v o n Gastoldi, Morley oder Hassler veranschaulicht".4 5 Vergegenwärtigt m a n sich Gastoldis "Balletti" (1591), die Besseler für e p o c h e m a c h e n d hält, s o v e r m a g die Interpretation nach d e m Akzentstufentakt nicht d u r c h w e g z u überzeugen - insbesondere d a n n nicht, w e n n der Diminutionsgrad der No­

t e n i m Verhältnis zur Zählzeit steigt.4 6 Der historiographische wie theoretische und ana­

lytische Stellenwert d e s Begriffs "Akzentstufentakt" m ü ß t e wohl einmal gründlich über­

prüft w e r d e n ; vorerst wirft er m e h r Fragen auf, als er beantwortet.

Sieht m a n v o n der Hervorhebung Gastoldis ab, so ist Besselers Auffassung kei­

n e s w e g s neu. Ihre W u r z e l n zeigen sich etwa in A r r e y v o n D o m m e r s 1865 erschienener N e u b e a r b e i t u n g d e s K o c h s c h e n Lexikons. Da K o c h in d e r Frage d e s C-Takts mit Hei­

n i c h e n übereinstimmt, bildet v o n D o m m e r s Ä u ß e r u n g gleichsam das Bindeglied zwischen d e r "alten" u n d der "neuen" Interpretation. V o n D o m m e r schreibt (und er widerspricht da­

mit d e r K o c h s c h e n Vorlage): "Zusammengesetzte Taktarten bestehen a u s m e h r als drei

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