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Akute Otitis media: wie erkennen, wie behandeln?

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Academic year: 2022

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ARS MEDICI: Sehen Sie häufig Mittel- ohrentzündungen in Ihrer Praxis ?

Urs Thommen: Ja, sehr oft. Die städtische Bevölkerung geht häufig direkt zum Spezialisten. Von Grundversorgern zugewiesen bekomme ich vor allem Pati- entInnen mit rezidivierenden Otitiden oder mit Komplikationen.

ARS MEDICI: Wie alt sind Ihre PatientInnen mit Otitis media?

Thommen: Eine Otitis media kann in jedem Alter auftreten, aber meistens sind es Kinder – in meiner Praxis am häu- figsten Ein- bis Sechsjährige. Zur epide- miologischen Tatsache, dass Otitis media besonders oft Säuglinge und Kleinkinder trifft, gibt es eine amüsante Hypothese:

Der Mensch werde zwölf Monate zu früh geboren, und dies führe zu einer Reihe von ORL-Leiden – unter anderem zur Oti- tis media –, welche sich im ersten Lebens- jahr «auswachsen» würden. Tatsächlich wird mit zunehmendem Alter die Belüf- tung des Mittelohrs besser. Etwas mecha- nistisch erklärt, verlegt beim Kind oft eine grosse Rachenmandel den Zugang zu den Eustach’schen Röhren, und die Luft in der Paukenhöhle wird vom Gewebe resor- biert. Strömt keine neue Luft nach, ent- steht ein Unterdruck, welcher aus der Mittelohrschleimhaut Flüssigkeit saugt.

Dieser «Paukenerguss» ist ein idealer Nährboden für Bakterien, die sich expo- nentiell vermehren. Entzündungszellen wandern ein, und schon ists eine eitrige Mittelohrentzündung, mit Schmerzen, Schallleitungsschwerhörigkeit und Fieber.

ARS MEDICI: Also eine klare Symptomatik?

Thommen: Nein, leider eben oft nicht, besonders nicht bei den ganz klei- nen Kindern. Dort kann man nicht auf das Fieber gehen, und das gern beschriebene

«Greifen ans Ohr» ist oft erst bei älteren Kindern zu beobachten. Bei Säuglingen schildern die Mütter oft, dass sie nicht recht essen und trinken, schlecht schla- fen, weinen und allgemein «mudere».

ARS MEDICI: Wie kann die Diagnose gestellt werden?

Thommen: Mit dem Otoskop! Ge- nau das machen die Pädiater und Allge- meinpraktiker immer, wenn ein Kind un- spezifische Krankheitszeichen zeigt. Im typischen Fall sieht man ein milchig aus- sehendes, «entdifferenziertes» Trommel- fell, bei dem man den Hammergriff nicht mehr vom übrigen Trommelfell abgrenzen

kann. Ist das Mittelohr eitergefüllt, dann wölbt sich das Trommelfell vor. Obwohl Kinder einen geraden, kurzen Hörgang haben, ist es nicht einfach, ein schreien- des und sich windendes Kleinkind zu oto- skopieren. Bei Erwachsenen ist der Gehör- gang länger und stärker gekrümmt.

ARS MEDICI: Dann hat es keinen Sinn, wenn der Allgemeinmediziner otoskopiert?

Thommen: Ganz im Gegenteil! Die Mehrzahl der otoskopischen Diagnosen von Grundversorgern trifft zu. Zudem sollte man so oft wie möglich otoskopie- ren, um den Blick zu schulen, idealerweise auch im Rahmen des normalen Status.

Fragliche Befunde kommentieren wir ORLer gerne. Mit dem Ohrmikroskop steht uns ja auch ein besseres Hilfsmittel zur Verfügung. Durch Zerumen können un- terschiedlichste Befunde verblüffend echt vorgetäuscht werden. Mir wurde einmal ein Patient mit der Verdachtsdiagnose «hä- morrhagische Grippeotitis mit Hämatotym- panon» zugewiesen, wo blauschwarzes, unregelmässig strukturiertes Zerumen tatsächlich diesen Befund imitierte. Weiss- liches, scholliges Zerumen kann leicht für ein Cholesteatom gehalten werden.

ARS MEDICI: Wie behandeln Sie eine Otitis media?

Thommen: Nach den US-amerikani- schen Richtlinien, die nicht nur ständig den neuesten evidenzbasierten Erkennt- nissen angepasst werden, sondern auch dem Arzt ausdrücklich einen Ermessens-

Akute Otitis media:

wie erkennen, wie behandeln?

Fragen an Urs Thommen,

Spezialarzt für Otorhinolaryngologie, Hals- und Gesichtschirurgie

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I N T E R V I E W I N T E R V I E W

Dr. med. Urs Thommen

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spielraum bei Diagnostik und Therapie zu- gestehen, wie dies auch Prof. Richard Rosenfeld, der amerikanische Otitisexperte, stets betont. Vorab eine kleine Begriffs- definition: Das Serotympanon, im Engli- schen «OME = otitis media with effusion», also der reine Paukenerguss ohne Eiter, bedarf keiner Antibiose. Anders jedoch die akute eitrige Otitis media (engl. AOM), bei der ich meist Antibiotika gebe, wenn möglich Amoxycillin mit Clavulansäure.

Häufige Erreger sind nämlich verschie- dene Serotypen des Streptococcus pneu- moniae (Pneumokokken), Branhamella catarrhalis, Staphylokokken sowie beim Säugling der Haemophilus influenzae.

Dank Antibiotika sieht man heutzutage viel weniger Komplikationen wie Mastoi- ditiden und Meningitiden als in früheren Zeiten.

ARS MEDICI: Was halten Sie vom Trommelfellschnitt?

Insbesondere in Japan, Finnland und Grossbritannien wird grosszügig myringo- tomiert, oft auch ohne Antibiotikagabe, und die Resultate sind gut. Bei der My- ringotomie oder Parazentese wird das Trommelfell im vorderen unteren Qua- dranten radiär inzidiert. Ich führe diesen Eingriff nie ohne Anästhesie durch. Bei kooperativen, informierten Erwachsenen reicht oft eine Oberflächenanästhesie. Bei Kindern ist meist eine kurze Vollnarkose nötig. Häufig drängt es sich auf, bei dieser Gelegenheit auch noch ein hypertrophes, entzündetes Adenoid zu entfernen. Damit wird die künftige Belüftung des Mittelohrs sichergestellt, und es treten dann keine weiteren Otitiden mehr auf. Die Parazen- tese-Stichinzision im Trommelfell verheilt gewöhnlich innerhalb von zwei bis drei Wochen. Atrophe Membranen und Schwachstellen im Trommelfell entstehen

eigentlich nur bei grossflächigen Perfora- tionen.

ARS MEDICI: Wann sind Paukenröhrli indiziert?

Thommen: Generell muss ja jeder operative Eingriff sehr kritisch abgewogen werden, insbesondere im Säuglings- und Kindesalter. Falls er wirklich indiziert ist, sollte er sorgfältig mit den Eltern und dem behandelnden Hausarzt oder Pädiater be- sprochen werden. Dauer und Schwere der Symptome, Zahl der Rezidive sowie mögli- che Auswirkungen einer Schallleitungs- störung auf die Sprachentwicklung des Kindes müssen genauso berücksichtigt werden wie der Allgemeinzustand und die generellen Lebensumstände, wie zum Bei- spiel die Betreuung in Krippe oder Hort, wo die Erregerexposition grösser und da- mit das Infektionsrisiko höher ist. Die meis- ten meiner PatientInnen mit chronischem Erguss, mit Serotympanon, wurden vom Grundversorger bereits sehr sorgfältig ab- geklärt, sogar mit Tympanometrie, und die Symptomatik wurde über einen langen Zeitraum hinweg gut dokumentiert. Fast immer besteht der Paukenerguss schon mehr als drei Monate, oft noch länger. Re- zidivierende Infekte und ein Entwicklungs- rückstand sowie eine Obstruktion, wie ein grosses Adenoid, lassen dann einen Ein- griff als ratsam erscheinen, oft eine Kom- bination von Parazentese und Adenoid- ektomie oder eben eine Tympanostomie.

ARS MEDICI: Hat die Impfung einen Platz?

Thommen: Ja, auf jeden Fall. Die Impfstoffe werden immer besser. Sie decken ein grosses Spektrum der Pneumo- kokken-Serotypen ab, und auch die Imp- fung gegen Haemophilus influenza hat sich durchgesetzt.

ARS MEDICI: Und was halten Sie von Zwiebelumschlägen?

Thommen: Meine PatientInnen hal- ten sehr viel davon! Sie versichern glaub- haft, dass rohe, aufgeschnittene Zwie- beln, in einem sauberen Gazetüchlein aufs Ohr gelegt, gut gegen die Schmerzen wirken. Zwar habe ich keine wissenschaft- lichen Studien gefunden, die mir die Wirkung erklären oder evaluieren. Doch Zwiebelgewächse enthalten schwefelhal- tige Substanzen und ätherische Öle, die eine Reihe von interessanten Wirkungen zeigen – deshalb kann ich mir einen Effekt vorstellen. Als Schmerztherapie empfehle ich aber die grosszügige Gabe von Para-

cetamol. ●

Das Interview führte Uwe Beise.

Interessenkonflikte: keine

Aktuelle Literaturempfehlungen:

Bluestone CD: Humans are born too soon:

impact on pediatric otolaryngology. Int J Pediatr Otorhinolaryngol. 2005; 69 (1): 1–8.

Rosenfeld R.M. et al.: Clinical practice guideline: Otitis media with effusion. Oto- laryngolog Head Neck Surg. 2004; 130 (5 Suppl): 95–118.

American Academy of Pediatrics Sub- committee on Management of Acute Oti- tis Media: Diagnosis and management of acute otitis media. Pediatrics. 2004; 113 (5): 1451–1465.

Leibovitz E., Jacobs M.R., Dagan R.:

Haemophilus influenzae: A significant pa- thogen in acute otitis media. Pediatr Infect Dis J. 2004; 23 (12): 114–115.

Bernatoniene J., Finn A.: Advances in pneumococcal vaccines: advantages for infants and children. Drugs 2005; 65(2):

229–255.

Akute Otitis media: wie erkennen, wie behandeln?

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