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Gericht. Entscheidungsdatum. Geschäftszahl. Spruch. Text BVwG W W /17E IM NAMEN DER REPUBLIK!

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Gericht BVwG

Entscheidungsdatum 29.04.2015

Geschäftszahl W139 1433257-1

Spruch

W139 1433257-1/17E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Kristina HOFER als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX, StA. Afghanistan, vertreten durch ZEIGE Zentrum für Europäische Integration und Globalen Erfahrungsaustausch, Ottakringer Straße 54/4/Top 2, 1170 Wien, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 14.02.2013, Zl. 12 07.625-BAS, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 25.03.2015 zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Die Beschwerdeführerin, eine afghanische Staatsangehörige von der Volksgruppe der Tadschiken und Sunnitin, reiste illegal und schlepperunterstützt in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 22.06.2012 einen Antrag auf internationalen Schutz. Am 19.10.2012 wurde in Österreich ihr jüngster Sohn (Zl.

W139 1433258-1) geboren; für diesen stellte die Beschwerdeführerin als gesetzliche Vertreterin am 11.12.2012 auch einen Antrag auf internationalen Schutz. Am 19.06.2013 reisten der Ehegatte der Beschwerdeführerin (Zl.

W139 1438520-1) und die beiden älteren, minderjährigen Kinder der Familie (Zl. W139 1438521-1 und W 139 1438522-1) legal im Zuge der Familienzusammenführung ein und stellten ebenfalls Anträge auf internationalen Schutz.

2. Im Rahmen ihrer Erstbefragung bei der Polizeiinspektion Traiskirchen am 23.06.2012 gab die Beschwerdeführerin an, sie stamme aus Kabul. Sie habe in Kabul die Schule besucht und später als Finanzbeamtin gearbeitet. Zum Fluchtgrund führte sie Folgendes an:

Im Jahr 1997 habe sie mit einem Mann die Ehe geschlossen, jedoch nicht die Hochzeit gefeiert. Er sei eines Tages verschwunden, sie habe auf ihn warten müssen und seither nichts mehr von ihm gehört. Eines Tages seien dann Taliban bei ihr im Büro aufgetaucht und hätten ihre Gewehre gegen sie gerichtet. Sie hätten gesagt, die Beschwerdeführerin müsse eine Burka tragen und sofort aus dem Amt verschwinden. Die Taliban seien danach zu ihnen nach Hause gekommen und hätten ihre Schwester mitnehmen wollen. Da seien sie zum Nachbarn geflüchtet und in weiterer Folge in den Iran. Von 1997 bis 2008 habe sie im Iran gelebt. Ihr jetziger Ehemann

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habe im Iran keinen Aufenthaltstitel bekommen und sei ständig in Schubhaft genommen worden. Sie habe dann immer die Polizei bestechen müssen, dass er nicht nach Afghanistan ausgeliefert würde. Die Kinder hätten immer geweint und nicht in die Schule gehen dürfen, weil der Vater (ihr Ehemann) keinen Aufenthaltstitel gehabt habe. 2008 seien sie nach Griechenland geflüchtet und nun sei sie allein hierher gekommen. Der Grund, warum die Beschwerdeführerin in Österreich um Asyl ansuche, sei, weil sie gehört habe, dass die Leute hier gut behandelt würden und weil ihre Tochter hier medizinisch versorgt würde.

3. Bei einer niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesasylamt, Außenstelle Salzburg, am 29.01.2013 gab die Beschwerdeführerin zunächst an, sie mache für ihren jüngsten Sohn keine eigenen Flucht- oder Asylgründe geltend. Ihre Tochter, die am Down-Syndrom leide, habe ein Loch im Herz gehabt und sei in Griechenland operiert worden. Weiters führte die Beschwerdeführerin an, in Afghanistan habe sie selbst gearbeitet, sie sei Angestellte im Finanzministerium gewesen und sei auch von ihrem Vater unterstützt worden. Sie habe 1997 schon einmal geheiratet, aber ihr erster Mann sei nach zwei Jahren spurlos verschwunden, sie wisse nicht, wo er sich aufhalte und sie habe nichts mehr von ihm gehört. Ihren jetzigen Mann habe sie 2001 im Iran geheiratet. Zu ihren Fluchtgründen führte sie an:

Einer der Gründe sei, dass nach dem Verschwinden ihres ersten Ehemannes dessen Angehörige aufgrund der islamischen Gesetze von ihr verlangt hätten, dass sie 70 Jahre warten müsse und erst danach dürfe sie einen zweiten Mann heiraten. Der zweite Grund sei, dass sie eines Tages in ihrem Büro von den Taliban aufgesucht und mit dem Gewehr bedroht worden sei. Sie dürfe als Frau nicht arbeiten, nicht mehr zur Arbeit kommen und müsse zuhause sitzen, ansonsten würde sie von ihnen umgebracht. Die Taliban hätten erfahren, dass die Beschwerdeführerin eine jüngere Schwester zuhause gehabt habe. Die Taliban seien dreimal abends zur Familie nach Hause gekommen, hätten geklopft und gesagt, sie wollten das junge Mädchen mitnehmen. Anschließend habe sich der Vater der Beschwerdeführerin entschlossen, dass sie das Land verlassen sollten, weil sie sonst keinen Ausweg hätten. Auf den Vorhalt, dass dies schon länger her sei und dass derartiges in Afghanistan nicht mehr vorkomme, antwortete die Beschwerdeführerin zur gegenwärtigen Situation in Afghanistan, ihre ganzen Familienangehörigen würden im Iran leben, sie könne nicht sagen, wie es derzeit in Afghanistan aussehe, weil sie niemanden dort habe, den sie fragen könne. Abschließend führte die Beschwerdeführerin auf Nachfrage an, sie sei in Afghanistan nicht vorbestraft, sei dort nicht in Haft gewesen, habe keine Probleme mit Behörden gehabt, es werde auch nicht nach ihr gefahndet und sie habe nicht an bewaffneten Auseinandersetzungen teilgenommen. Sie sei in Afghanistan nie politisch tätig oder Parteimitglied gewesen. Sie habe keine Probleme wegen ihrer Volksgruppe gehabt. Von der Möglichkeit, zu den Länderfeststellungen zu Afghanistan Stellung zu nehmen, machte die Beschwerdeführerin keinen Gebrauch.

4. Mit dem angefochtenen Bescheid vom 14.02.2013 wies das Bundesasylamt den Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt I.). Weiters wurde der Beschwerdeführerin der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf ihren Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 nicht zuerkannt (Spruchpunkt II.) sowie diese gemäß § 10 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Afghanistan ausgewiesen (Spruchpunkt III.).

Die belangte Behörde hielt in ihrer Begründung zunächst fest, ein afghanischer Bürger sei, sofern er keiner ethnischen und/oder religiösen Minderheit angehöre und politisch oder religiös unauffällig sei, von den schwierigen allgemeinen Lebensbedingungen nicht deutlich schwerer betroffen als es sonst die Mitbürger seien.

Irgendwelche diese Überlegungen in Frage stellenden Aussagen habe die Beschwerdeführerin trotz entsprechender Nachfrage nicht getroffen. Es liege bei ihr kein politisches Engagement vor, sie habe nichts über religiös motivierte Aktivitäten erwähnt und es gebe auch keine Hinweise auf Übergriffe bzw. religiös bedingte Probleme oder geschlechtsspezifische bzw. ethnisch bedingte Verfolgungsmechanismen. Weiters habe sie auch nicht von einer individuell besonders herausragenden Stellung ihrer Person innerhalb der afghanischen Gesellschaft berichtet. Von einer gezielten allgemeinen Verfolgung sunnitischer Moslems bzw. Angehörigen der Volksgruppe der Tadschiken sei nichts bekannt. Den von der Beschwerdeführerin vorgebrachten Sachverhalt betreffend sei davon auszugehen, dass ihre illegale Einreise und der Asylantrag offenkundig einzig und alleine auf den Wunsch nach besseren Lebensbedingungen zurückzuführen seien. Die Beschwerdeführerin habe in der Erstbefragung am 23.06.2012 angegeben, sie suche hier um Asyl an, weil sie gehört habe, dass die Leute hier gut behandelt würden und weil ihre Tochter hier medizinisch versorgt würde. Es handle sich somit eindeutig um einen Versuch, in ein günstig erscheinendes Land einzuwandern, das die bestmöglichen Leistungen anbiete. Die von der Beschwerdeführerin genannten Schwierigkeiten in Afghanistan würden alle rund 16 Jahre zurückliegen und seien nicht Anlassfall für die jetzige Asylantragstellung. Es gebe keine Hinweise darauf, dass sich zwischen den Ereignissen 1997 und der Asylantragstellung 2012 in Österreich irgendein kausaler Zusammenhang ergebe.

Zudem würden die Taliban heute keine alles bestimmende Größe mehr in Afghanistan darstellen und seien nicht staatstragend, sie würden im offiziellen Afghanistan als eine außerhalb der Rechtsordnung stehende gewalttätige Gruppierung gelten. Im Fall einer Rückkehr nach Afghanistan wäre es der Beschwerdeführerin zumutbar, zu arbeiten, um für ihren Lebensunterhalt zu sorgen und sie sei auch gesund. Sie kenne die landestypischen Verhältnisse und es bestehe ein verwandtschaftliches Umfeld (Ehegatte). Weiters könne Rückkehrhilfe in

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Anspruch genommen werden. Aus diesen Gründen könne auch kein subsidiärer Schutz zuerkannt werden. Seine Ausweisungsentscheidung begründete das Bundesasylamt mit einer zu Lasten der Beschwerdeführerin ausgehenden Interessenabwägung nach Art. 8 Abs. 2 EMRK.

5. Mit Verfahrensanordnung vom 14.02.2013 informierte das Bundesasylamt die Beschwerdeführerin darüber, dass ihr ein Rechtsberater amtswegig zur Seite gestellt werde.

6. Am 28.02.2013 brachte die Beschwerdeführerin - rechtzeitig - Beschwerde gegen den Bescheid ein. Die Beschwerdeführerin habe klar ihre asylrelevanten Gründe erkennen lassen, nämlich den Zwang seitens der Verwandten des ersten Ehemannes nach dessen Verschwinden, wonach sie erst nach 70 Jahren einen zweiten Mann heiraten dürfte, und weiters die Bedrohung durch die Taliban, dass sie nicht mehr arbeiten dürfte und sonst ermordet werden würde, sowie die Entführungsversuche der Taliban an der Schwester der Beschwerdeführerin.

Die belangte Behörde habe nicht nach den näheren Umständen dieser Vorfälle gefragt und es werde beantragt, entsprechende Erhebungen an Ort und Stelle durchzuführen. Die Ausführungen im Bescheid - etwa dass die Beschwerdeführerin bei einer Rückkehr in ihre Heimat auch niedrige Arbeiten annehmen könnte - seien von Zynismus getragen. Wenn die belangte Behörde anführe, für die Beschwerdeführerin und ihre Familie seien in Griechenland die elementaren Lebensbedürfnisse gesichert gewesen und sie hätten dort auch medizinische Versorgung erhalten, dann sei der Behörde eine faktische, wirtschaftliche, rechtliche und politische Entwicklung in Griechenland entgangen; dazu wurden Berichte betreffend Griechenland angeführt, mit dem Antrag, diese in die Entscheidungsfindung einzubeziehen. Betreffend den subsidiären Schutz habe es die belangte Behörde verabsäumt, dazu gesonderte Erhebungen durchzuführen. Die Behörde habe selbst festgestellt, dass Rückkehrer auf Schwierigkeiten stoßen könnten, wenn sie außerhalb des Familienverbandes oder nach einer längeren Abwesenheit im Ausland zurückkehren und ihnen ein soziales oder familiäres Netzwerk sowie aktuelle Kenntnisse der örtlichen Verhältnisse fehlen. Die Familie der Beschwerdeführerin (bis auf ihren Mann und zwei Kinder in Griechenland) halte sich seit 1997 im Iran auf; beantragt wurden ergänzende Erhebungen hinsichtlich des aktuellen Aufenthaltsortes der Familienangehörigen. Abschließend beantragte die Beschwerdeführerin die Zuerkennung von internationalem Schutz, alternativ subsidiärem Schutz, und die Aufhebung der Ausweisungsentscheidung. Beigelegt wurden Berichte zu Griechenland, eine Übersetzung der Heiratsurkunde der Beschwerdeführerin und ein fremdsprachiges Schreiben.

7. Mit Schreiben vom 16.08.2013 wurde eine Beschwerdeergänzung betreffend die Beschwerdeführerin und ihren jüngsten Sohn eingebracht. Eine Frau und ihr Kleinkind sei in Hinblick auf die Lage in Afghanistan dem Personenkreis der besonders Schutzwürdigen zuzurechnen, dies zusätzlich auch aus der persönlichen Vorgeschichte der Beschwerdeführerin. Diese sei in Afghanistan bereits verheiratet gewesen und ihr erster Ehemann sei verschwunden. Das islamische Recht sehe für solche Fälle vor, dass eine Entlassung aus der Ehe und Wiederverheiratung erst nach 70 Jahren möglich sei. Eine verheiratete Frau in Afghanistan unterstehe der Gewalt der Familie des Ehemannes, was im vorliegenden Fall bedeute, dass die Beschwerdeführerin 70 Jahre lang in der Gewalt der Familie ihres verschwundenen Ehemannes gewesen wäre. Jedes Zuwiderhandeln gegen die islamischen traditionellen Vorschriften, z.B. eine neue Beziehung oder Familiengründung der betroffenen Frau, wäre ein Verbrechen des Ehebruches, was zu Ehrenmord, Steinigung oder langer Haft führen könne. Ein sogenannter Ehebruch ("Zina") stehe in Afghanistan sowohl nach islamischer Tradition als auch nach staatlicher Gesetzgebung unter Strafe. Im Jahr 1997 habe die Beschwerdeführerin, um der de facto lebenslänglichen Bindung an die Familie des ersten Ehemannes zu entgehen, Afghanistan verlassen und sich im Iran niedergelassen, wo sie 2001 ihren zweiten Ehemann geheiratet und eine Familie gegründet habe. Seitdem sei die Beschwerdeführerin nicht mehr in Afghanistan gewesen und ihre Familienangehörigen würden sich im Iran befinden. Somit stünden für den Fall der Rückkehr kein familiäres Netzwerk und keine Existenzgrundlage zur Verfügung. Eine erhöhte Gefahrenprognose und Vulnerabilität (die die belangte Behörde verneint habe) im Fall einer Rückkehr treffe umso mehr zu, als die Beschwerdeführerin so lange nicht mehr in ihrer Heimat gewesen sei. Weiters gehöre sie der Personengruppe der Frauen an, welche in Afghanistan rechtlich massiv benachteiligt seien und schwerwiegenden Einschränkungen und Benachteiligungen, auch von Seiten der Behörden, ausgesetzt seien. Die belangte Behörde habe keine Länderfeststellungen zur Lage der Frauen in Afghanistan getroffen.

8. Mit Schreiben vom 29.10.2013 wurde mitgeteilt, dass dem Ehegatten der Beschwerdeführerin und den beiden anderen mit ihm eingereisten Kindern mit Bescheiden des Bundesasylamtes vom 10.10.2013 der Status von subsidiär Schutzberechtigten zugesprochen worden sei. Die Beschwerdeführerin, ihr jüngstes Kind, ihr Ehegatte und die beiden älteren Kinder seien alle Mitglieder einer gemeinsamen Kernfamilie. Angeregt wurde, die getrennt geführten Asylverfahren iSd § 34 AsylG 2005 zu einem einzigen Familienverfahren zusammenzuführen und der Beschwerdeführerin und ihrem jüngsten Sohn alleine aufgrund der Zugehörigkeit zu einer gemeinsamen Kernfamilie zumindest subsidiären Schutz zu gewähren.

9. Mit Schreiben vom 24.03.2014 legte die Beschwerdeführerin Dokumente vor: ihre Deutschkurs- Teilnahmebestätigung (Niveau A1) und Schulbesuchsbestätigungen und Schulnachrichten der beiden schulpflichtigen Kinder.

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10. Im Strafregisterauszug der Republik Österreich vom 24.03.2015 - geführt von der Landespolizeidirektion Wien - scheint keine Verurteilung auf.

11. Am 25.03.2015 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung statt, bei welcher die Beschwerdeführerin sowie ihr Ehegatte einvernommen wurden. Ein Vertreter des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl ist nicht erschienen.

Im Zuge der mündlichen Verhandlung legte die Beschwerdeführerin ein Schreiben vom 24.03.2015 vor, in dem im Wesentlichen das bisherige Vorbringen wiederholt wurde und die Zuerkennung des Status von Asylberechtigten für alle Familienmitglieder beantragt wurde.

Im Rahmen der Befragung bestätigte die Beschwerdeführerin zunächst die bisherigen Angaben zu ihrer Person und bekräftigte, bei den bisherigen Einvernahmen die Wahrheit gesagt zu haben. Sie habe in Kabul die Schule besucht und bis zum Verlassen des Herkunftslandes im Jahr 1997 als Finanzbeamtin im Personalbüro des Finanzministeriums gearbeitet. Dort sei sie von den Taliban wegen ihrer Arbeit mit einem Gewehr bedroht worden. Weiters seien Taliban zu ihrer Familie nach Hause gekommen und hätten die Verheiratung der Beschwerdeführerin oder deren Schwester mit einem Talib gefordert. Über Vorhalt, dass sie das bislang nicht erwähnt habe, gab die Beschwerdeführerin an, dass sie diese Forderung der Taliban gemeint habe, als sie ausgesagt habe, dass die Taliban die Schwester mitnehmen wollten. Die Beschwerdeführerin sei überdies nach islamischem Recht verheiratet gewesen, allerdings sei das Hochzeitsfest noch nicht gefeiert worden. Sie gelte daher als verlobt. Sie könne kein genaues Jahr angeben, seit wann sie verlobt gewesen sei. Sie könne auch nicht genau sagen, wann dieser Mann, mit dem sie verlobt gewesen sei, verschwunden sei. Die Cousins dieses Mannes hätten dann gefordert, dass sie einen von ihnen heirate. Über Vorhalt, dass sie dies bislang nie erwähnt habe, gab die Beschwerdeführerin an, dass sie entweder einen Cousin heiraten oder 70 Jahre lang warten sollte. Beides habe sie nicht gewollt, weswegen sie auch aus diesem Grund Afghanistan verlassen habe. Sie habe nach Verlassen des Herkunftsstaates nie wieder von der Familie des verschollenen Mannes gehört. Diese habe auch nicht mit ihr Kontakt aufgenommen.

Im Übrigen führte sie aus, dass sie sich hier in Österreich im Gegensatz zu Afghanistan frei bewegen und auch alleine einkaufen gehen könne. Sie habe in Afghanistan gearbeitet und auch hier in Österreich möchte sie einen Beruf erlernen und arbeiten gehen. Sie sei sehr bemüht, die deutsche Sprache zu lernen und würde gerne als Köchin oder Betreuerin für alte Menschen arbeiten. Ihr Ehemann wäre damit einverstanden. Hier seien Männer und Frauen gleichberechtigt. In Afghanistan würden sich Frauen nicht frei bewegen können. Selbst Künstlerinnen und Sängerinnen müssten eine Burka tragen. Eine Frau in Afghanistan könne nicht so leben wie hier, nämlich die Kinder zur Schule, in welcher die Kinder sicher seien, bringen und dann in Ruhe zur Arbeit gehen.

Die Beschwerdeführerin verzichtete auf eine Stellungnahme zu den ihr ausgehändigten Länderfeststellungen zu Afghanistan.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen (Sachverhalt):

1.1. Zur Person der Beschwerdeführerin und ihren Fluchtgründen:

Die Beschwerdeführerin ist afghanische Staatsangehörige der Volksgruppe der Tadschiken und gehört der Religionsgruppe der Sunniten an. Die Beschwerdeführerin ist die Mutter der Beschwerdeführer zu Zl. W139 1433258-1, W139 1438521-1 und W 139 1438522-1. Die Beschwerdeführerin stammt aus der Provinz Kabul.

Sie besuchte die Schule und arbeitete bis zu ihrer Ausreise aus dem Herkunftsstaat Afghanistan im Jahr 1997 als Finanzbeamtin. Sie lebte bis 2008 im Iran, wo sie 2001 ihren Ehemann, XXXX, heiratete.

In Österreich bewegt sich die Beschwerdeführerin auch ohne die Begleitung ihres Ehemannes. Sie geht alleine einkaufen und ist bemüht, die deutsche Sprache im Rahmen von Sprachkursen, mithilfe des Internets sowie gemeinsam mit den Kindern zu lernen und sich weiter zu bilden. Sie möchte gerne als Köchin oder Betreuerin für alte Menschen arbeiten. Sie ist um eine gute Ausbildung ihrer Kinder und um deren Integration bemüht. Der älteste Sohn besucht die Volksschule.

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Die Lebensbedingungen von Frauen in Afghanistan widersprechen klar den Vorstellungen der Beschwerdeführerin. Frauen und Männer sind dem Verständnis der Beschwerdeführerin zufolge in der Gesellschaft gleichberechtigt.

Die Beschwerdeführerin ist in Österreich nicht vorbestraft.

1.2. Zur Situation in Afghanistan:

1.2.1 Allgemeines:

Afghanistan ist eine islamische Republik und hat schätzungsweise 24 bis 33 Millionen Einwohner. Die afghanische Verfassung sieht ein starkes Präsidialsystem mit einem Parlament vor, das aus einem Unterhaus und einem Oberhaus, deren Mitglieder von den Provinz- und Distriktsräten sowie vom Präsidenten bestellt werden, besteht (Country Report des U.S. Department of State vom 19.04.2013).

Nach mehr als 30 Jahren Konflikt und 13 Jahre nach dem Ende der Herrschaft der Taliban befindet sich Afghanistan in einem langwierigen Wiederaufbauprozess. Anstrengungen, die zur Sicherung bisheriger Stabilisierungserfolge und zur Verbesserung der Zukunftsperspektiven der Bevölkerung beitragen, werden noch lange Zeit notwendig sein (Bericht des Deutschen Auswärtigen Amtes vom 31.03.2014).

Am Nato-Gipfeltreffen im Mai 2012 in Chicago wurden der schrittweise Abzug der internationalen Truppen bis 2014 sowie die Grundzüge des Nachfolgeeinsatzes diskutiert (Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 03.09.2012). Nach einer Strategie der Übergabe der Sicherheitsverantwortung ("Transition") haben die afghanischen Sicherheitskräfte schrittweise die Verantwortung für die Sicherheit in Afghanistan von den internationalen Streitkräften übernommen. Ein Abzug aller ausländischen Streitkräfte aus dem Land ist bis Ende 2014 geplant. Es wird eine Intensivierung des Konflikts zwischen regierungstreuen und -feindlichen Kräften infolge des Abzugs der internationalen Truppen erwartet, sofern nicht vorher eine Friedensvereinbarung geschlossen wird (Richtlinien des UNHCR vom 06.08.2013).

Die afghanische Regierung ist weiterhin weit davon entfernt, ihren Bürgerinnen und Bürgern Sicherheit, effiziente Regierungsinstitutionen, Rechtsstaatlichkeit, soziale Basisdienstleistungen und Schutz vor Menschenrechtsverletzungen bieten zu können (Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 30.09.2013).

Mittlerweile reklamieren die Taliban mit der systematischen Einrichtung parallelstaatlicher Strukturen in immer weiter nördlich gelegenen Gebieten den Anspruch für sich, als legitime Regierung Afghanistans betrachtet zu werden. Die regierungsähnlichen Strukturen in den von den Taliban kontrollierten Gebieten (mit Schattengouverneuren und in wichtigeren Gebieten mit verschiedenen Kommissionen z.B. für Justiz, Besteuerung, Gesundheit oder Bildung) sind relativ gut etabliert (Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 03.09.2012).

1.2.2 Sicherheitslage:

Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt unvorhersehbar, die Zivilbevölkerung trägt weiterhin die Hauptlast des Konflikts (UNAMA-Midyear Report von Juli 2013). Im Jahr 2013 stieg die Zahl der Verluste unter den Zivilisten um 14% gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres. Die steigende Zahl der Toten und Verletzten revidiert den Rückgang im Jahr 2012 und steht im Einklang mit den hohen Rekordzahlen von Zivilopfern im Jahr 2011 (UNAMA-Annual Report vom Februar 2014). Der Rückgang der Zahl der Anschläge regierungsfeindlicher Gruppierungen im Jahr 2012 war als taktische Reaktion der Aufständischen auf den Rückzug der internationalen Truppen und keineswegs als Verlust an operationeller Fähigkeit interpretiert worden (ANSO Quarterly Report vom Juni 2012). Schon im Frühjahr 2013 waren die Anschläge regierungsfeindlicher Gruppierungen im Vergleich zum Vorjahr um 47% angestiegen. Zudem nahmen militärische Konfrontationen zwischen regierungsfeindlichen Gruppierungen und afghanischen Sicherheitskräften in den ersten sechs Monaten 2013 zu (Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 30.09.2013). Das Jahr 2013 wurde mittlerweile als das gewaltreichste seit 2001 bezeichnet; zuletzt stieg die Besorgnis über den drastischen Anstieg getöteter und verletzter Zivilisten, die im Kreuzfeuer bei Gefechten zwischen aufständischen und afghanischen Truppen oder aufgrund von unkonventionellen Spreng- und Brandvorrichtungen, die regierungsfeindliche Gruppen gezielt platzierten, ums Leben kamen oder verletzt wurden. Der Anstieg der Gewalt wird unter anderem auch im Zusammenhang mit den Präsidentschaftswahlen gesehen (Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 22.07.2014).

Mittlerweile betrifft der Konflikt, der sich zuvor auf den Süden und Osten des Landes konzentrierte, die meisten Landesteile, insbesondere den Norden, aber auch Provinzen, die zuvor als die stabilsten im Land gegolten hatten.

Die zwölf Provinzen mit den insgesamt meisten Sicherheitsvorfällen im Jahr 2012 waren Helmand, Kandahar

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und Urusgan (südliche Region), Ghazni, Paktika und Khost (südöstliche Region), Nangarhar und Kunar (östliche Region), Herat und Farah (westliche Region) und Kabul und Wardak (Zentralregion). Die südliche, die südöstliche und die östliche Region entwickelten sich zu einem zunehmend zusammenhängenden Kampfgebiet.

In den Provinzen Kandahar, Kunar, Nangarhar, Logar und Wardak kam es im Jahr 2012 zu einem deutlich höheren Grad an Sicherheitsvorfällen als 2011 (Richtlinien des UNHCR vom 06.08.2013). In Kandahar und Ghazni erreichte die Zahl der Vorfälle Rekordhöhen (INSO-Report vom Jänner 2014).

1.2.2.1. Sicherheitslage im Raum Kabul:

Infolge militärischer, überwiegend afghanisch geführter Operationen, starker Präsenz im Raum sowie politischer und wirtschaftlicher Maßnahmen konnte eine partielle Stabilisierung in der Hauptstadt Kabul erzielt werden (Länderinformation der Staatendokumentation vom September 2013). Dennoch verüben die Taliban (einschließlich das Haqqani-Netzwerk) in Kabul weiterhin öffentlichkeitswirksame Angriffe und demonstrieren, dass die Aufständischen überall im Land zuschlagen und selbst den "Stahlring" der afghanischen Sicherheitskräfte um die Zentren großer Städte überwinden können, was anscheinend darauf abzielt, die Aufmerksamkeit internationaler Medien und möglicher "Geldgeber" zu erregen und Unsicherheit in der afghanischen Bevölkerung, der afghanischen Regierung und den afghanischen Streitkräften zu verbreiten (Ruttig, After the "operational pause", vom 02.06.2013).

In den ersten Monaten des Jahres 2014 nahm die Gewalt in Kabul deutlich zu, was u.a. mit den im April abgehaltenen Präsidentschaftswahlen zu tun hatte. Beispielhaft sind folgende Meldungen:

Am 17.01.2014 töteten drei Angreifer bei einem Anschlag auf ein bei Ausländern beliebtes Lokal insgesamt 21 Menschen, darunter 13 Ausländer: Ein Attentäter sprengte sich vor dem gut gesicherten Eingang in die Luft, zwei weitere stürmten in das gut besuchte Lokal und schossen wahllos um sich (APA vom 18.01.2014).

Am 18.01.2014 kamen bei einem Terroranschlag auf ein Restaurant in Kabul vier zivile Mitarbeiter der Vereinten Nationen ums Leben. Insgesamt stieg die Opferzahl auf 21. Die Taliban behaupten, ihre Attacke habe deutschen Diplomaten gegolten (dpa vom 18.01.2014).

Am 20.03.2014 kamen bei einer Schießerei in einem Luxushotel in Kabul mehrere Menschen ums Leben.

Männer hatten das Restaurant des bei Ausländern beliebten Hauses gestürmt und wurden von Sicherheitskräften erschossen. Offenbar handelte es sich um eine Attacke der Taliban (Reuters vom 20.03.2014).

Am 25.03.2014 berichtete die dpa, dass die Taliban ihre Drohung der Sabotage der afghanischen Wahlen im April 2014 bereits umsetzen:

Angreifer attackierten in Kabul ein Wahlbüro, zwei Menschen wurden verletzt.

Am 29.03.2014 berichtete die dpa, dass eine Woche vor den afghanischen Präsidentschaftswahlen Extremisten erneut in der Hauptstadt Kabul zugeschlagen haben. Sie griffen das Hauptquartier der Wahlkommission an, feuerten auf Sicherheitskräfte. Augenzeugen berichten von Explosionen.

Am 02.04.2014 wurde der Wahlkampfabschluss in Afghanistan von neuer Gewalt überschattet. Bei einem Selbstmordanschlag auf das Innenministerium in Kabul kamen mehrere Polizisten ums Leben. Die Taliban drohten für die Wahl mit weiteren Angriffen (Spiegel Online am 02.04.2014).

Am 24.04.2014 berichtete die Nachrichtenagentur Reuters, dass bei einem Anschlag in einem Kabuler Krankenhaus mindestens drei US-Ärzte getötet wurden. Ein Wachmann soll das Feuer eröffnet haben. Wer hinter dem Attentat steckt, ist unklar.

Am 06.06.2014 wurde ein Anschlag auf den Präsidentschaftskandidaten Abdullah verübt, bei welchem dieser unverletzt blieb, aber mindestens sechs Zivilisten getötet wurden (Spiegel Online am 06.06.2014).

Am 02.07.2014 sind in der afghanischen Hauptstadt Kabul laut offiziellen Angaben mindestens 8 Militäroffiziere bei einem Selbstmordanschlag auf einen Bus der Luftwaffe in der Nähe der Kabuler Universität getötet und 13 weitere Personen verletzt worden. Die Taliban haben sich zu dem Anschlag bekannt (BBC News am 02.07.2014).

Am 03.07.2014 wurde der militärische Teil des Kabuler internationalen Flughafens von mindestens 2 Raketen getroffen, getötet oder verletzt wurde laut Berichten allerdings niemand. Laut Angaben der Taliban, die sich zu

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dem Angriff bekannt haben, wurde bei dem Vorfall eine Reihe von Flugzeugen zerstört. (RFE/RL Radio Free Europe/Radio Liberty am 03.07.2014).

Am 05.07.2014 hat die Kabuler Polizei bekannt gegeben, dass Dutzende Tanklastwagen am Rande der Hauptstadt durch die Explosion einer Magnetbombe in Brand geraten sind. Dabei soll niemand getötet oder verletzt worden sein. Die Taliban haben sich zu dem Anschlag bekannt (RFE/RL am 05.07.2014).

Am 15.07.2014 berichtete BBC News, dass zwei Mitarbeiter des Medien-Teams des scheidenden Präsidenten Karzai bei der Explosion einer am Straßenrand platzierten Bombe getötet wurden. Die Taliban haben sich zu der Tat bekannt und mitgeteilt, dass der Angriff einem Fahrzeug galt, das Mitarbeiter des Präsidentschaftspalastes zur Arbeit beförderte (BBC News am 15.07.2014).

Am 17.07.2014 haben die Taliban ein Nebengebäude des Kabuler Flughafens angegriffen. Der Angriff endete, nachdem 4 Angreifer von Sicherheitskräften getötet wurden oder sich selbst in die Luft gesprengt hatten (AFP am 17.07.2014).

Am 22.07.2014 sind bei einem Taliban-Selbstmordanschlag in der Nähe des Kabuler internationalen Flughafens 3 Ausländer und ein afghanischer Dolmetscher getötet und mehrere weitere Personen verletzt worden. Laut Aussagen des stellvertretenden Innenministers ereignete sich der Anschlag vor einem Gebäude, in dem ausländische Berater der afghanischen Regierung untergebracht sind. (RFE/RL am 22.07.2014).

Bei einem Anschlag auf eine Delegation der internationalen Schutztruppe ISAF in Kabul sind ein US-General getötet und ein deutscher General verletzt worden (ua Blick online am 05.08.2014).

Bei einem Selbstmordanschlag auf einen Militärkonvoi der NATO in Kabul sind am 10.08.2014 mindestens vier Zivilisten getötet und zahlreiche weitere Menschen verletzt worden. Nach Angaben des afghanischen Innenministeriums bekannten sich die radikalislamischen Taliban zu der Tat (ua ORF online am 10.08.2014).

Ein Selbstmordattentäter hat bei einem Anschlag auf einen afghanischen Armeebus in der afghanischen Hauptstadt Kabul mindestens drei Menschen mit in den Tod gerissen. Zehn Menschen seien verletzt worden. Die radikalislamischen Taliban bekannten sich zu dem vierten tödlichen Anschlag in der afghanischen Hauptstadt seit der Vereidigung des neuen Präsidenten Ashraf Ghani. Bei einem Angriff auf den internationalen Flughafen zu Wochenbeginn und zwei Bombenexplosionen im Osten und Westen der Stadt waren insgesamt mindestens 14 Menschen getötet worden (ua ORF online am 02.10.2014).

In Kabul wurde in der Nähe des Parlaments auf das Auto der prominenten afghanischen Parlamentsabgeordneten Shukria Barakzai ein Selbstmordattentat verübt, bei dem laut einem Sprecher des Innenministeriums drei Passanten getötet und mehr als 20 Zivilisten verletzt wurden. Barakzai selbst habe das Attentat mit leichten Verletzungen überlebt. Ein Taliban-Sprecher machte zunächst keine Angaben dazu, ob die radikalislamischen Aufständischen den Anschlag verübt haben. Die Extremisten versuchen immer wieder, mit Anschlägen auf Staatsvertreter das Land vor dem Abzug der internationalen Schutztruppen zu destabilisieren (Spiegel Online am 16.11.2014).

Im internationalen Viertel von Kabul ist am 19.11.2014 eine Autobombe explodiert, auch mehrere Schüsse sind gefallen. Die vier Angreifer sind ums Leben gekommen, weitere Opfer gab es nicht, so ein Vertreter des Innenministeriums. Der Anschlag, zu dem sich die Taliban bekannten, ereignete sich laut Angaben der Polizei vor dem "Green Village", einem schwer bewachten Gebäudekomplex, in dem ausländische Staatsbürger untergebracht sind. Kabul war in den vergangenen Tagen mehrfach Schauplatz von Attentaten: Bei einem Selbstmordanschlag auf ein von ausländischen Firmen genutztes Gelände, zu dem sich die Taliban bekannten, wurden am 18.11.2014 mindestens zwei afghanische Wachleute getötet (ua ORF online am 19.11.2014).

1.2.3. Versorgungslage:

Die Grundversorgung ist für große Teile der Bevölkerung eine tägliche Herausforderung. Für Rückkehrer gilt dies naturgemäß verstärkt. Eine hohe Arbeitslosigkeit wird verstärkt durch vielfältige Naturkatastrophen. Das World Food Programme reagiert das ganze Jahr hindurch in verschiedenen Landesteilen auf Krisen bzw.

Notsituationen wie Dürre, Überschwemmungen oder extremen Kälteeinbruch. Auch der Norden des Landes ist extremen Natureinflüssen wie Trockenheiten, Überschwemmungen und Erdverschiebungen ausgesetzt.

Außerhalb der Hauptstadt Kabul und der Provinzhauptstädte fehlt es an vielen Orten an grundlegender Infrastruktur für Transport, Energie und Trinkwasser.

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Die medizinische Versorgung ist trotz erkennbarer Verbesserungen landesweit immer noch unzureichend. Die Behandlung psychischer Erkrankungen - insbesondere Kriegstraumata - findet (abgesehen von einzelnen Pilotprojekten) nach wie vor nicht in ausreichendem Maße statt (Bericht des Deutschen Auswärtigen Amtes vom 31.03.2014).

1.2.3.1. Medizinische Versorgung:

Die medizinische Versorgung ist trotz erkennbarer Verbesserungen landesweit (die Anzahl der Gesundheitseinrichtungen hat sich seit 2002 vervierfacht) aufgrund ungenügender Verfügbarkeit von Medikamenten, Ausstattung der Kliniken, Ärzten und Ärztinnen sowie mangels gut qualifizierten Assistenzpersonals (v.a. Hebammen) immer noch unzureichend. Dies führt dazu, dass Afghanistan weiterhin zu den Ländern mit der höchsten Mütter- und Kindersterblichkeitsrate der Welt gehört. Die Lebenserwartung der Frauen liegt bei 51, Männer werden im Schnitt 48 Jahre alt.

Durch die überdurchschnittlich gute ärztliche Versorgung im French Medical Institute in Kabul können Kinder auch mit komplizierteren Krankheiten in Kabul behandelt werden. Afghanische Staatsangehörige mit guten Kontakten zum ausländischen Militär oder Botschaften, können sich unter Umständen auch in Militärkrankenhäusern der ausländischen Truppen behandeln lassen. Die Militärkrankenhäuser können Zivilisten (jeglicher Staatsangehörigkeit) allerdings nur in beschränktem Maße aufnehmen, da Betten für Mitglieder der internationalen Streitkräfte vorgehalten werden müssen.

Die Behandlung von psychischen Erkrankungen stellt Afghanistan nach wie vor große Herausforderungen. Die wenigen Kliniken, die es in einigen größeren Städten gibt, sind klein und überfüllt.

(Deutsches Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan, vom 4. Juni 2013, S. 18)

Während sich der Zugang zu Gesundheitseinrichtungen für die städtische Bevölkerung verbessert hat, hat sich dieser für die ländliche Bevölkerung sowie für Nomaden verschlechtert. Insbesondere für Personen, welche in Gebieten unter der Kontrolle regierungsfeindlicher Gruppierungen leben, sind medizinische Einrichtungen schwer zu erreichen. 10 Prozent der Kinder sterben, bevor sie das 5. Lebensjahr erreichen und die Müttersterblichkeit gehört noch immer zu den weltweit höchsten.

(Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe, Afghanistan: Update vom 30. September 2013, S. 21)

Physisch und psychisch behinderte Personen und Opfer von Misshandlungen, die erwägen, in ihr Heimatland zurückzukehren, müssen eine starke Unterstützung seitens ihrer Familie und der betreffenden Kommune sicherstellen. Medizinische Versorgung ist für eine Vielzahl von Krankheiten weitestgehend nicht erhältlich.

Chirurgische Eingriffe können nur in ausgewählten Orten durchgeführt werden; generell fehlt es an adäquater Ausrüstung und Fachpersonal. Diagnosegeräte wie zum Beispiel Computertomographen, von denen es nur in Kabul einen gibt, sind ebenfalls nicht erhältlich. Der Zugang zu Medikamenten verbessert sich, wobei einige dennoch den meisten Afghanen nicht zugänglich sind.

(BAMF_IOM, Länderinformationsblatt - Afghanistan, vom Oktober 2012, S. 16)

1.2.4. Frauen in Afghanistan:

Während sich die Situation der Frauen seit dem Ende der Taliban-Herrschaft erheblich verbessert hat, bleibt die vollumfängliche Durchsetzung der Gleichberechtigung der Geschlechter und dementsprechend die Wahrung der Rechte der Frauen fragil und unzureichend. Die konkrete Situation von Frauen kann sich allerdings je nach regionalem und sozialem Hintergrund stark unterscheiden. Wenngleich gemäß Art. 22 der afghanischen Verfassung Männer und Frauen gleiche Rechte und Pflichten haben, ist davon auszugehen, dass insbesondere Schuras die Rechte von Frauen tendenziell weniger achten, oft überhaupt nicht.

Die Situation der Frauen war bereits vor dem Taliban-Regime durch sehr strenge Scharia-Auslegungen und archaisch-patriarchalische Ehrenkodizes geprägt. So war die Burka auch vor der Taliban-Herrschaft bei der ländlichen weiblichen Bevölkerung ein übliches Kleidungsstück. Viele Frauen tragen sie noch immer, weil sie sich damit vor Übergriffen sicher fühlen. Während Frauenrechte in der Verfassung und teilweise im staatlichen Recht gestärkt werden konnten, liegt ihre Verwirklichung für den größten Teil der afghanischen Frauen noch in weiter Ferne. Gesetze zum Schutz und Förderung der Rechte von Frauen werden nur langsam umgesetzt. Das

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Personenstandsgesetz enthält diskriminierende Vorschriften für Frauen, insbesondere in Bezug auf Heirat, Erbschaft und Beschränkung der Bewegungsfreiheit.

Die Lage der Frauen unterscheidet sich je nach regionalem und sozialem Hintergrund stark. In weiten Landesteilen erlaubt es die unbefriedigende Sicherheitslage den Frauen nicht, die mit Überwindung der Taliban und ihrer frauenverachtenden Vorschriften erwarteten Freiheiten wahrzunehmen. Die meisten sind sich ihrer in der Verfassung garantierten und im Islam vorgegebenen Rechte nicht bewusst. Eine Verteidigung ihrer Rechte ist in einem Land, in dem die Justiz stark konservativ-traditionell geprägt und überwiegend von männlichen Richtern bestimmt wird und in dem kaum qualifizierte Anwältinnen oder Anwälte zur Verfügung stehen, in den seltensten Fällen möglich. Staatliche Akteure aller drei Gewalten sind häufig nicht in der Lage - oder aufgrund konservativer Wertvorstellungen nicht gewillt - Frauenrechte zu schützen.

Frauen werden weiterhin im Familien-, Erb-, Zivilverfahrens- sowie im Strafrecht benachteiligt. Dies gilt vor allem hinsichtlich des Straftatbestands "Ehebruch", wonach selbst Opfer von Vergewaltigungen bestraft werden können. Fälle, in denen Frauen wegen "Ehebruchs" von Ehemännern oder anderen Familienmitgliedern umgebracht werden (so genannte "Ehrenmorde"), kommen besonders in den paschtunischen Landesteilen vor.

Im August 2010 hatten Taliban in der Provinz Kundus ein unverheiratetes Liebespaar wegen "Ehebruchs"

öffentlich gesteinigt, was durch Präsident Karzai verurteilt wurde. Im August 2010 haben die Taliban in der Provinz Badghis eine Witwe wegen Ehebruchs gehängt, die vier Jahre nach dem Tod ihres Mannes schwanger geworden war. Am 8. Dezember 2010 haben Taliban in der Provinz Takhar eine Frau wegen angeblichen Ehebruchs erschossen. Die AIHRC verurteilte die Tat.

Das durchschnittliche Heiratsalter von Mädchen liegt bei 15 Jahren, obwohl ein Mindestheiratsalter von 16 Jahren gesetzlich vorgeschrieben ist. Zwangsheirat bereits im Kindesalter, "Austausch" weiblicher Familienangehöriger zur Beilegung von Stammesfehden sowie weit verbreitete häusliche Gewalt kennzeichnen die Situation der Frauen. Opfer sexueller Gewalt sind auch innerhalb der Familie stigmatisiert. Das Sexualdelikt wird in der Regel als "Entehrung" der gesamten Familie aufgefasst. Sexualverbrechen zur Anzeige zu bringen hat aufgrund des desolaten Zustands des Sicherheits- und Rechtssystems wenig Aussicht auf Erfolg. Der Versuch endet u.U. mit der Inhaftierung der Frau, sei es aufgrund unsachgemäßer Anwendung von Beweisvorschriften oder zum Schutz vor der eigenen Familie, die eher die Frau oder Tochter eingesperrt als ihr Ansehen beschädigt sehen will.

Viele Frauen sind wegen sogenannter Sexualdelikte inhaftiert, weil sie sich beispielsweise einer Zwangsheirat durch Flucht zu entziehen versuchten, vor einem gewalttätigen Ehemann flohen oder weil ihnen vorgeworfen wurde, ein uneheliches Kind geboren zu haben.

Berichte der Afghanischen Menschenrechtskommission und der VN Mission in Afghanistan, UNAMA, registrierten eine steigende Anzahl von angezeigten Misshandlungen, Vergewaltigungen, Zwangsehen und ähnlichen v.a. gegen Frauen gerichtete Straftaten. Weitgehend besteht aber Einigkeit darüber, dass diese Zunahme im Wesentlichen darauf zurückzuführen ist, dass solche Straftaten vermehrt angezeigt werden. Auch eine erhöhte Sensibilisierung auf Seiten der afghanischen Polizei und Justiz führt zu einer sich langsam aber stetig verbessernden Lage der Frauen in Afghanistan. Die internationale Gemeinschaft in Afghanistan verfolgt sehr aufmerksam die Umsetzung des Gesetzes zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen aus dem Jahr 2009, welches viele Straftaten erstmalig einführte.

Kulturelle Verbote für die freie Fortbewegung und das Verlassen des Hauses ohne Begleitperson, hindern viele Frauen daran, außerhalb ihres Hauses zu arbeiten und begrenzen ihren Zugang zu Bildung, Gesundheitsvorsorge, Polizeischutz und andere soziale Leistungen. Öffentliche Schande wird Frauen angeheftet, die ihr Haus ohne männliche Begleitperson verlassen. Der "Rat der Höchsten Rechtsgelehrten in Afghanistan" gab Erklärungen ab, die die Möglichkeit der Frauen an der Gesellschaft teilzunehmen, einschränkte.

Internationale Aufmerksamkeit erregte im Frühjahr 2009 die Verabschiedung des schiitischen Personenstandsgesetzes durch das Parlament. Es enthielt zahlreiche Frauen diskriminierende Bestimmungen.

Nach massiven Protesten unterzeichnete Präsident Karzai am 19.07.2009 eine überarbeitete Fassung des Gesetzes, die er als Dekret in Kraft setzte. Bislang ist das Gesetz vom Parlament nicht wieder aufgenommen worden. Die Zivilgesellschaft begrüßte die in Kraft getretene Fassung des Gesetzes mehrheitlich; mehr sei in Anbetracht der politischen Kräfteverhältnisse nicht zu erreichen. Das in Kraft getretene Gesetz stellt eine deutliche Verbesserung gegenüber dem ursprünglichen Entwurf dar. Gestrichen wurden unter anderem die höchst umstrittenen Passagen, die regeln sollten, wie häufig die Eheleute einander zu Geschlechtsverkehr verpflichtet sind. Zudem wurden einige Textstellen getilgt, die die Ehe mit/unter Minderjährigen bestrafen und diese damit implizit anerkannten sowie ein Artikel abgeändert, der das Verlassen des Hauses durch die Frau an die Zustimmung des Mannes knüpfte.

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Zahlreiche Bestimmungen stehen aber im Widerspruch zu völkerrechtlichen Verpflichtungen Afghanistans, vor allem zur Konvention zur Beseitigung aller Formen von Diskriminierung gegen Frauen (CEDAW). Zwar erhält der Ehemann in der von Präsident Karzai in Kraft gesetzten Fassung kein "Vetorecht" mehr, wenn seine Frau das Haus verlassen möchte, doch darf die Frau nur zu "legalen Zwecken" ausgehen, und auch dies nur "in dem Maße, wie örtliche Gewohnheit es zulässt". Problematisch sind daneben unter anderem Bestimmungen zum Vormundschaftsrecht von Vater und Großvater, zur Einschränkung des Rechts der Frau zu arbeiten, zur Polygamie, zur finanziellen Kompensation für Geschlechtsverkehr mit Minderjährigen, zur Verweigerung des Unterhalts durch den Mann bei Verweigerung "ehelicher Rechte" durch die Frau und zu Unterschieden im Erbrecht zwischen Männern und Frauen, v.a. in Bezug auf Immobilien.

Die Situation der Frau in Afghanistan wird in der Theorie durch die Verabschiedung des "Gesetzes zur Beseitigung aller Formen von Diskriminierung gegen Frauen" (EVAW-Gesetz) verbessert, das am 19.07.2009 von Präsident Karzai unterzeichnet wurde. Das EVAW-Gesetz genießt nach seinem Schlussartikel Vorrang vor allen entgegenstehenden Normen. Es enthält zahlreiche Bestimmungen und hat zum Ziel, Gewalt gegen Frauen in allen Formen zu bekämpfen und zur Schaffung eines Bewusstseins von der Würde und den Rechten der Frau beizutragen. Von einer effektiven Umsetzung des Gesetzes sind die Behörden, die es nach einer UNAMA-Studie von Dezember 2010 zum Teil gar nicht kennen, weit entfernt.

Traditionell sind Mädchen und Frauen in der Region Herat in ihrer Bewegungs- und Handlungsfreiheit aufgrund eines ausgeprägt traditionellen Verhaltenskodex besonders stark eingeschränkt. In dieser Region wird - mit abnehmender Tendenz - eine erhebliche Zahl von Selbstverbrennungen von Frauen verzeichnet. Überwiegend handelt es sich dabei um aus Iran zurückgekehrte Flüchtlingsfrauen, von denen angenommen wird, dass sie sich hauptsächlich aus Verzweiflung wegen Zwangsverheiratung selbst verbrannt haben. Verlässliche Statistiken liegen nicht vor.

Frauen waren unter den Taliban (1996 bis 2001) von jeglicher Bildung ausgeschlossen. Die Alphabetisierungsrate bei Frauen liegt Schätzungen zufolge in der Größenordnung von 10 Prozent.

Nach Angaben von UNICEF können nur 18 Prozent der Mädchen und Frauen im Alter zwischen 15 und 24 Jahren lesen und schreiben. Für die wenigen hochqualifizierten Afghaninnen hat sich jedoch der Zugang zu adäquaten Tätigkeiten bei der Regierung verbessert. Die Entwicklungsmöglichkeiten für Mädchen und Frauen bleiben durch die strenge Ausrichtung an Traditionen und fehlender Schulbildung weiterhin wesentlich eingeschränkt. Wiederholte Gasangriffe auf Mädchenschulen (25.10.2010, Totja-Oberschule, Kabul - der fünfte mutmaßliche Gasangriff auf eine Mädchenschule in Kabul 2010; 2011 wurden keine derartigen Vorkommnisse bekannt; Afghan girl's school feared hit by poison gas, Reuters vom 21.04.2014) bestätigen, dass Schulbildung für Mädchen immer noch von einem Teil der Bevölkerung abgelehnt wird. Mädchen stehen Armut, frühe Heirat, Unsicherheit, Fehlen familiärer Unterstützung, Mangel an weiblichem Lehrpersonal sowie weite Distanzen zu Schulen einem Schulbesuch im Wege. Im Süden des Landes verhindert die unsichere Lage, die konservative Haltung sowie die Armut die Bildung unzähliger Kinder.

Im Juni 2008 wurde der mit Unterstützung von UNIFEM erarbeitete National Action Plan for Women of Afghanistan (NAPWA) von der Regierung gebilligt. NAPWA soll helfen, die Situation der Frauen in Afghanistan zu verbessern, insbesondere ihre Diskriminierung zu beenden, die Entfaltung ihrer Fähigkeiten zu ermöglichen und ihnen volle und gleichberechtigte Beteiligung in allen Lebensbereichen (Wirtschaft, Gesundheit, Bildung) zu gewähren. Die staatlichen Institutionen sind jedoch bisher nicht fähig, die Vorgaben des NAPWA wirksam durchzusetzen. Oft liegt dies auch an den weiterhin bestehenden, den Forderungen des NAPWA entgegenstehenden kulturell verankerten Traditionen.

(Deutsches Auswärtiges Amt, Berichte über die asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Islamischen Republik Afghanistan, vom 10.01.2012, S 20ff, und vom 04.06.2013, S. 12f, 31.03.2014, S. 13.; Bericht der Schweizer Flüchtlingshilfe vom 05.10.2014; Country Report des U.S. Department of State vom 19.04.2013;

BFA-Staatendokumentation vom 28.01.2014)

Derzeit steht ein vom afghanischen Parlament verabschiedeter Gesetzesentwurf in der Kritik der EU, westlicher Regierungen und von Menschenrechtsorganisationen. Dieser Entwurf soll das afghanische Strafrecht dahingehend abändern, dass ein "Verbot der Befragung von Personen als Zeugen" vorgesehen wird. Davon betroffen sind Verwandte, Kinder, Ärzte und Anwälte der mutmaßlichen Täter. Opfer und Zeugen von häuslicher Gewalt sind somit zum Schweigen verurteilt. Präsident Karzai und sein Kabinett haben eine Überarbeitung der umstrittenen Passage angeordnet. Die neue Formulierung ist bisher nicht bekannt. Auch bei einer geplanten Änderung ist zu befürchten, dass die Position der Frauen weiter geschwächt wird, da über das Vernehmungsverbot hinaus ein sehr weitreichendes Zeugnisentschlagungsrecht vorgesehen ist. Da der Begriff der Familie nicht definiert ist, kann dies künftig dazu führen, dass die Bewohner des gesamten Dorfs vom Zeugnisentschlagungsrecht profitieren.

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(derstandard.at: Afghanistan: "Geplantes Gesetz schränkt Rechte der Frauen drastisch ein" vom 05.02. 2014;

Frankfurter Allgemeine Zeitung: "Afghanistan: Neues Gesetz beschneidet Frauenrechte drastisch" vom 05.02.2014, Statement by EU High Representative Catherine Ashton on the Criminal Procedure Code in Afghanistan vom 10.02.2014, The Guardian "Hamid Karzai orders changes to draft law amid fears for Afghan women" vom 17.02.2014, The Guardian:

"Campaigners welcome Hamid Karzai's intervention on domestic abuse law" vom 17.02.2014)

In der Provinz Balkh ist die Lage der Frauen laut der Frauenbeauftragten der Regionalregierung zwar besser als in anderen Provinzen. Allerdings wird gerade hier v.a. in den letzten beiden Jahren von einer Welle von Selbstmorden von jungen Frauen berichtet. Die meisten schlucken Rattengift oder Pestizide. Als Grund werden Zwangsheiraten oder das Verbot, die Ausbildung fortzusetzen, angenommen (Neue Züricher Zeitung: "Verliebte junge Frauen schlucken Rattengift" vom 06.02.2014).

Die Müttersterblichkeit gehört weiterhin zu den weltweit höchsten. Der Gesundheitszustand von Frauen und Kindern bleibt weiterhin schlecht. Sie sterben unverhältnismäßig oft an Krankheiten, die eigentlich heilbar wären (Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 05.10.2014).

2. Beweiswürdigung:

Der oben angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unbedenklichen und unzweifelhaften Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des Bundesasylamtes und des Verfahrensaktes des Bundesverwaltungsgerichtes.

Die Länderfeststellungen basieren auf den angeführten Länderberichten angesehener staatlicher und nichtstaatlicher Einrichtungen. Angesichts der Seriosität der Quellen und der Plausibilität ihrer Aussagen besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln, sodass sie den Feststellungen zu Afghanistan zugrunde gelegt werden konnten.

Die Feststellungen zu Nationalität, Volksgruppenzugehörigkeit, Religionszugehörigkeit, Herkunft und Familienverhältnissen der Beschwerdeführerin ergeben sich aus deren schriftlichen und mündlichen Angaben.

Betreffend die Feststellungen zur Situation der Beschwerdeführerin und ihren Wertvorstellungen war zu berücksichtigen, dass es, trotz mancher Ungereimtheiten des bisherigen Vorbringens mit jenem in der mündlichen Verhandlung, als glaubhaft anzusehen war, dass die

Beschwerdeführerin bereits vor Verlassen ihres Herkunftsstaates ein durchaus selbstbestimmtes, eigenständiges Leben zu leben gewohnt war und sich einem durch Fremdbestimmung geprägten Rollenbild der Frau nicht unterwerfen wollte (so hat sie etwa damals in Kabul die Schule besucht, maturiert und später als Finanzbeamtin gearbeitet). Die auf ein selbstbestimmtes Leben gerichtete und insofern ein streng

konservatives Rollenbild ablehnende innere Einstellung ("westliche Gesinnung") der Beschwerdeführerin kann darüber hinaus ihren

Aussagen im Hinblick auf ihre Bemühungen um Weiterbildung und Berufsausübung, die Zukunft ihrer Kinder sowie auf die als

selbstverständlich angesehene gleichberechtigte Stellung von Frauen und Männern entnommen werden. So hat sie etwa in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht angegeben: "Auch hier möchte ich die Sprache lernen und dann einen Beruf erlernen und arbeiten ... Ich möchte entweder Köchin werden oder ich möchte als Betreuerin für ältere Menschen arbeiten ... Ich möchte, dass mein älterer Sohn Ingenieur wird ... Hier sind Frauen und Männer

gleichberechtigt" (S. 11-13 der Verhandlungsniederschrift). Auch steht ihr äußeres Erscheinungsbild (modische Kleidung, dezent geschminkt, gepflegtes Haar, kein Kopftuch) und die Identifikation mit diesem mit dieser Annahme unzweifelhaft in Einklang. Wenngleich die Beschwerdeführerin bereits seit mehr als 17 Jahren nicht mehr in Afghanistan gelebt hat, so ist sie sich der sozio-kulturellen Problematik der Stellung der Frauen in Afghanistan bewusst (vgl. etwa die Aussagen der Beschwerdeführerin, S. 12-13 der Verhandlungsniederschrift:

"Als Frau darf man sich nicht frei bewegen. Auch die Künstlerinnen oder die Sängerinnen müssen eine Burka tragen. Insgesamt ist die Situation für Frauen sehr schlecht

in Afghanistan ... Es besteht ein Riesenunterschied zwischen dem

(12)

Leben als Frau in Afghanistan und dem Leben hier. Wie man als Frau hier lebt, darf man als Frau gar nicht in Afghanistan [leben]").

3. Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 6 BVwGG, BGBl. I 10/2013, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Eine derartige Regelung wird in den einschlägigen Normen (VwGVG, BFA-VG, AsylG 2005) nicht getroffen und es liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl.

I 33/2013 idF BGBl. I 122/2013, geregelt (§ 1 leg. cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte (siehe insbesondere § 1 BFA-VG, BGBl. I 87/2012 idF BGBl. I Nr. 40/2014).

Gemäß Art. 151 Abs. 51 Z 7 B-VG, BGBl. 1/1930 idF BGBl. I Nr. 102/2014, wird der Asylgerichtshof mit 01.01.2014 zum Verwaltungsgericht des Bundes und hat daher das vorliegende Beschwerdeverfahren zu führen.

Gemäß § 75 Abs. 19 AsylG 2005, BGBl. I 100/2005 idF BGBl. I 144/2013, sind alle mit Ablauf des 31.12.2013 beim Asylgerichtshof anhängigen Beschwerdeverfahren ab 01.01.2014 vom Bundesverwaltungsgericht nach Maßgabe des Abs. 20 zu Ende zu führen.

3.1. Zu A):

3.1.1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit der Antrag nicht wegen Drittstaatsicherheit oder wegen Zuständigkeit eines anderen Staates zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge BGBl. 55/1955 (Genfer Flüchtlingskonvention, in der Folge GFK) droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005, die auf Art. 9 Statusrichtlinie [RL 2011/95/EU]

verweist.).

Die Verfolgung kann gemäß § 3 Abs. 2 AsylG 2005 auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Fremde seinen Herkunftsstaat verlassen hat (objektive Nachfluchtgründe) oder auf Aktivitäten des Fremden beruhen, die dieser seit Verlassen des Herkunftsstaates gesetzt hat, die insbesondere Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind (subjektive Nachfluchtgründe).

Gemäß § 3 Abs. 3 AsylG 2005 ist der Asylantrag bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG 2005) offensteht oder wenn er einen Asylausschlussgrund (§ 6 AsylG 2005) gesetzt hat.

Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 ist die Entscheidung, mit der Fremden von Amts wegen oder auf Grund eines Antrages auf internationalen Schutz der Status eines Asylberechtigten zuerkannt wird, mit der Feststellung zu verbinden, dass dem Fremden damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK (in der Fassung des Art. 1 Abs. 2 des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge BGBl. 78/1974) - deren Bestimmungen gemäß § 74 AsylG 2005 unberührt bleiben - ist, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen, oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

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Zentraler Aspekt des Flüchtlingsbegriffs der GFK ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung.

Wohlbegründet kann eine Furcht nur dann sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers und unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist (vgl. z. B. VwGH 22.12.1999, 99/01/0334; 25.01.2001, 2001/20/0011).

Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation (aus Konventionsgründen) fürchten würde.

Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 21.12.2000, 2000/01/0131; 25.1.2001, 2001/20/0011). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in einem der Gründe haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK nennt (VwGH 09.09.1993, 93/01/0284; 23.11.2006, 2005/20/0551); sie muss Ursache dafür sein, dass sich der Asylwerber außerhalb seines Heimatlandes bzw. des Landes seines vorigen Aufenthaltes befindet.

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. VwGH 28.03.1995, 95/19/0041; 23.07.1999, 99/20/0208; 26.02.2002, 99/20/0509 mwN; 17.09.2003, 2001/20/0177; 28.10.2009, 2006/01/0793) ist eine Verfolgungshandlung nicht nur dann relevant, wenn sie unmittelbar von staatlichen Organen (aus Gründen der GFK) gesetzt worden ist, sondern auch dann, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, Handlungen mit Verfolgungscharakter zu unterbinden, die nicht von staatlichen Stellen ausgehen, sofern diese Handlungen - würden sie von staatlichen Organen gesetzt - asylrelevant wären. Eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung kann nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewandt werden kann (VwGH 22.03.2000, 99/01/0256 mwN).

Von mangelnder Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe Dritter präventiv zu schützen (VwGH 13.11.2008, 2006/01/0191; 28.10.2009, 2006/01/0793; 19.11.2010, 2007/19/0203). Für die Frage, ob eine ausreichend funktionierende Staatsgewalt besteht - unter dem Fehlen einer solchen ist nicht "zu verstehen, dass die mangelnde Schutzfähigkeit zur Voraussetzung hat, dass überhaupt keine Staatsgewalt besteht" (VwGH 22.03.2000, 99/01/0256) -, kommt es darauf an, ob jemand, der von dritter Seite (aus den in der GFK ge-nannten Gründen) verfolgt wird, trotz staatlichem Schutz einen - asylrelevante Intensität er-reichenden - Nachteil aus dieser Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten hat (vgl. VwGH 22.03.2000, 99/01/0256 im Anschluss an Goodwin-Gill, The Refugee in International Law² [1996] 73; weiters VwGH 26.02.2002, 99/20/0509 mwN; 20.09.2004, 2001/20/0430; 17.10.2006, 2006/20/0120; 13.11.2008, 2006/01/0191;

28.10.2009, 2006/01/0793; 19.11.2010, 2007/19/0203).

Für einen Verfolgten macht es nämlich keinen Unterschied, ob er auf Grund staatlicher Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einen Nachteil zu erwarten hat oder ob ihm dieser Nachteil mit derselben Wahrscheinlichkeit auf Grund einer Verfolgung droht, die von anderen ausgeht und die vom Staat nicht ausreichend verhindert werden kann. In diesem Sinne ist die oben verwendete Formulierung zu verstehen, dass der Herkunftsstaat "nicht gewillt oder nicht in der Lage" sei, Schutz zu gewähren (VwGH 26.02.2002, 99/20/0509). In beiden Fällen ist es dem Verfolgten nicht möglich bzw. im Hinblick auf seine wohlbegründete Furcht nicht zumutbar, sich des Schutzes seines Heimatlandes zu bedienen (vgl. VwGH 22.03.2000, 99/01/0256;

13.11.2008, 2006/01/0191; 28.10.2009, 2006/01/0793; 19.11.2010, 2007/19/0203).

Wenn Asylsuchende in bestimmten Landesteilen vor Verfolgung sicher sind und ihnen insoweit auch zumutbar ist, den Schutz ihres Herkunftsstaates in Anspruch zu nehmen, be-dürfen sie nicht des Schutzes durch Asyl (vgl.

zB VwGH 24.03.1999, 98/01/0352 mwN; 15.03.2001, 99/20/0036). Damit ist nicht das Erfordernis einer landesweiten Verfolgung ge-meint, sondern vielmehr, dass sich die asylrelevante Verfolgungsgefahr für den Betroffenen - mangels zumutbarer Ausweichmöglichkeit innerhalb des Herkunftsstaates - im gesamten Herkunftsstaat auswirken muss (VwSlg. 16.482 A/2004). Das Zumutbarkeitskalkül, das dem Konzept einer

"internen Flucht- oder Schutzalternative" (VwSlg. 16.482 A/2004) innewohnt, setzt daher voraus, dass der Asylwerber dort nicht in eine ausweglose Lage gerät, zumal da auch wirtschaftliche Benachteiligungen dann asylrelevant sein können, wenn sie jede Exis-tenzgrundlage entziehen (VwGH 08.09.1999, 98/01/0614, 29.03.2001, 2000/20/0539; 17.03.2009, 2007/19/0459).

Wie der Verwaltungsgerichtshof bereits wiederholt ausgeführt hat, können neue - während des Aufenthaltes in Österreich eingetretene - Umstände, mit denen ein Asylwerber seine Furcht vor Verfolgung (nunmehr) begründet (sogenannte "Nachfluchtgründe"), grundsätzlich zur Asylgewährung führen. Diese sind daher zu

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überprüfen, wenn sie geeignet sind, die Annahme einer "wohlbegründeten Furcht vor Verfolgung" zu rechtfertigen (VwGH 18.09.1997, 96/20/0923).

3.1.2. Aus dem festgestellten Sachverhalt ergibt sich, dass die Furcht der Beschwerdeführerin vor Verfolgung im Sinne der GFK wohlbegründet ist.

Im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan wäre die Beschwerdeführerin zunächst mit einer für sie prekären Sicherheitslage konfrontiert. Das bedeutet, dass für sie in fast allen Teilen Afghanistans ein erhöhtes Risiko besteht, Eingriffen in ihre physische Integrität und Sicherheit ausgesetzt zu sein. Den Feststellungen zufolge ist dieses Risiko sowohl als generelle, die afghanischen Frauen betreffende Gefährdung zu sehen (Risiko, Opfer einer Vergewaltigung oder eines sonstigen Übergriffs bzw. Verbrechens zu werden), als auch als spezifische Gefährdung, bei nonkonformem Verhalten (d.h. bei Verstößen gegen gesellschaftliche oder religiöse Normen, wie beispielsweise Bekleidungsvorschriften, die Gewährleistung des Schulbesuchs der Kinder oder eine Berufsausübung außerhalb des Hauses) einer "Bestrafung" ausgesetzt zu sein. Aus beiden Aspekten resultierend ist die Beschwerdeführerin im Fall ihrer Rückkehr nach Afghanistan mit einer Situation konfrontiert, in der sie in der Ausübung grundlegender Menschenrechte beeinträchtigt ist.

Für die Beschwerdeführerin wirkt sich die derzeitige Situation in Afghanistan so aus, dass sie als Frau im Falle einer Rückkehr einem Klima ständiger latenter Bedrohung, struktureller Gewalt und unmittelbaren Einschränkungen und - durch das Bestehen dieser Situation - einer Reihe von Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt ist. Hinzu tritt, dass es sich bei der Beschwerdeführerin um eine Frau mit einer persönlichen Wertehaltung handelt, die im Gegensatz zu dem in Afghanistan vorherrschenden und das traditionell-religiöse Rollenbild der Frau prägende Werteverständnis steht, sodass sie insofern einem erhöhten Gefährdungsrisiko unterliegt.

Zwar stellen diese Umstände keine Eingriffe von "offizieller" Seite dar, d. h. sie sind von der gegenwärtigen afghanischen Regierung an sich nicht angeordnet, andererseits ist es der Zentralregierung auch nicht möglich, für die umfassende Gewährleistung grundlegender Rechte und Freiheiten hinsichtlich der Bevölkerungsgruppe der afghanischen Frauen Sorge zu tragen. Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt - wie bereits erwähnt (siehe oben 3.1.1.) - auch von privaten Personen oder Gruppierungen ausgehender Verfolgung asylrechtliche Relevanz zu, wenn der Staat nicht in der Lage oder nicht gewillt ist, Schutz zu gewähren. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt bestehen in Afghanistan weder ein funktionierender Polizei- noch ein funktionierender Justizapparat. Darüber hinaus ist nicht davon auszugehen, dass im Wirkungsbereich einzelner lokaler Machthaber effektive Mechanismen zur Verhinderung von Übergriffen und Einschränkungen gegenüber Frauen bestünden; ganz im Gegenteil liegt den Länderfeststellungen zufolge ein derartiges Vorgehen gegenüber Frauen teilweise ganz im Sinne der lokalen Machthaber. Für die Beschwerdeführerin ist damit nicht mit ausreichender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass sie angesichts des sie als Frau liberal-egalitärer (bzw.

im Verhältnis zu den afghanischen Wertvorstellungen alternativer) Orientierung betreffenden Risikos, Opfer von Übergriffen und Einschränkungen zu werden, ausreichenden Schutz im Herkunftsstaat finden kann. Die sie im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan bedrohende Situation ist in ihrer Gesamtheit von asylrelevanter Intensität.

Ein in seiner Intensität asylrelevanter Eingriff in die vom Staat zu schützende Sphäre des Einzelnen führt dann zur Flüchtlingseigenschaft, wenn er an einem in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK festgelegten Grund, nämlich die Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politische Gesinnung anknüpft. Für die Qualifikation der Verfolgung hinsichtlich der in der GFK genannten Verfolgungsmotive kommt im Fall der Beschwerdeführerin einerseits ihrer Ablehnung der in Afghanistan vorherrschenden sozio- kulturellen und religiös geprägten Wertvorstellungen entscheidungswesentliche Bedeutung zu, da nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes eine Verfolgung aus religiösen Gründen auch dann vorliegen kann, wenn die Eingriffe deshalb erfolgen, weil die verfolgte Person sich weigert, sich den mit der Religion verbundenen Riten und Gebräuchen ganz oder teilweise zu unterwerfen (vgl. z.B. VwGH 25.01.2011, 98/20/0555; siehe ferner Putzer, Asylrecht² 45 mwN). Andererseits kommt im Fall der Beschwerdeführerin ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe als Ursache des drohenden Eingriffs eine herausragende Bedeutung zu. Generell wird eine soziale Gruppe durch Merkmale konstituiert, die der Disposition der betreffenden Personen entzogen sind, beispielsweise das Geschlecht. Frauen stellen eine derartige "besondere soziale Gruppe" im Sinne der GFK dar (vgl. etwa Köfner/Nicolaus, Grundlagen das Asylrechts in der Bundesrepublik Deutschland, II, 456). Bei einer Beschwerdeführerin, deren persönliche Wertehaltung als aufgeschlossene Frau im Gegensatz zu der in Afghanistan weiterhin vorherrschenden Situation für Frauen steht, liegt das dargestellte Verfolgungsrisiko im Zusammenhang mit ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe vor (vgl. dazu VwGH 16.04.2002, 99/20/0483; 20.06.2002, 99/20/0172).

In Bezug auf die Situation von Frauen in Afghanistan hat der Verwaltungsgerichtshof dazu bereits in seinem Erkenntnis vom 16.01.2008, Zl. 2006/19/0182 auf eine diesbezügliche Stellungnahme des UNHCR vom Juli

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