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19. November 2011: "Bürger, Staat und Stiftungen - ein kompliziertes Dreieck?"

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Festvortrag 10. Geburtstag BürgerStiftung Hildesheim

"Bürger, Staat und Stiftungen - ein kompliziertes Dreieck?"

Festveranstaltung am 19. November 2011

Dr. Wilhelm Krull, Vorsitzender des Vorstandes, Bundesverband Deutscher Stiftun- gen, Berlin

Sehr geehrter Herr Minister Möllring,

sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Machens,

sehr geehrter Herr Stiftungsratsvorsitzender Professor Bertrand, sehr geehrter Herr Vorstandsvorsitzender Dr. Geyer,

verehrte Stifterinnen und Stifter der BürgerStiftung Hildesheim, meine sehr geehrten Damen und Herren!

„Wer den Hafen nicht kennt, in den er segeln will, für den ist kein Wind ein günstiger", wusste Seneca schon vor 2.000 Jahren seinen Landsleuten mit auf den Weg zu geben.

Wer sich auf den Weg macht, um Neues und Unbekanntes zu erkunden, der braucht eine starke Vision sowie viel Mut und Durchhaltevermögen. Er muss damit rechnen, dass ihm ein scharfer Gegenwind ins Gesicht bläst.

Er muss manch einen Sturm bestehen und bei Flaute neue Strategien entwickeln, um das gesteckte Ziel doch noch zu erreichen.

Der gebürtige Hildesheimer Seefahrer Didrik Pining war ein solcher Pio- nier. Er zeigt uns auch heute noch, was Großes gelingen kann, wenn man sich von hohen Anforderungen nicht abschrecken lässt, sondern sich ent-

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schlossen auf den Weg zu neuen Ufern begibt. In den Jahren 1471 bis 1473 leitete er im Auftrag König Christians I. von Dänemark und Norwe- gen eine Expedition in den Nordatlantik. Wenn auch die Einzelheiten der Reise in der Forschung umstritten sind, so wird doch vermutet, dass die Expedition bis Neufundland und Labrador gelangte und er so – 19 Jahre vor Kolumbus – Amerika entdeckte. Bis heute wird das Andenken an die- sen Seefahrer in Hildesheim hochgehalten: sei es durch die „Didrik-Pining- Grundschule“ oder den „Didrik Pining Sitzungssaal“ im Hildesheimer Rat- haus.

Pioniere ganz anderer Art machten sich vor nunmehr zehn Jahren auf den Weg, um die Hildesheimer BürgerStiftung zu errichten. Ein bis zu diesem Zeitpunkt noch wenig erkundetes Terrain bürgerschaftlichen Engage- ments. Nicht mehr als 20 Bürgerstiftungen gab es im Jahr 2001 verstreut über ganz Deutschland. Über weite Strecken also eine terra incognita:

Was ist eine Bürgerstiftung? Für welche Werte steht sie? Hat diese Form des bürgerschaftlichen Engagements eine Chance, tatsächlich nachhaltig zu wirken? – Das sind viele Fragen, die die Pioniere zu erforschen und zu beantworten hatten, wenn sie ihre Mitbürgerinnen und Mitbürger von der Sinnhaftigkeit des Vorhabens überzeugen wollten. 70 Stifterinnen und Stif- ter ließen sich schließlich für die Jungfernfahrt anheuern, um im Novem- ber 2001 die Bürgerstiftung mit einem Startkapital von immerhin 113.500 Euro flottzumachen.

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Mit der Stiftungserrichtung verließ die Bürgerstiftung dann den sicheren Hafen und begab sich auf Hohe See. Hier galt es, Windstillen auszuhalten und bei Gegenwind zu kreuzen: Wächst das Stiftungskapital nicht viel zu langsam? Ist die Bürgerstiftung nicht bloß eine Konkurrenz zu bereits etablierten Organisationen bürgerschaftlichen Engagements? Nimmt sie diesen gar das Geld weg?

Nach zehn Jahren können wir sagen: Die Bürgerstiftung hat mit klarem Kompass einen guten Kurs aufgenommen. Das Stiftungskapital beträgt mittlerweile stolze 1,5 Millionen Euro. Zusammen mit den eingeworbenen Spenden sind das günstige Windverhältnisse für tatkräftiges Agieren. In den letzten zehn Jahren haben Vorstand und Stiftungsrat ihr Handwerk nicht nur gelernt, sondern auch überaus wirkungsvoll ausgeübt: Sie ver- stehen es, im richtigen Moment die richtigen Segel zu setzen und mit großartigen Projekten Sichtbarkeit zu erlangen – mit Fotowettbewerb und Leseförderung, einem Förderwettbewerb für Jugendprojekte und der Un- terstützung von Selbsthilfegruppen.

Auf diese Erfolge können Sie stolz sein!

Hierfür sei allen Engagierten ein herzlicher Dank ausgesprochen.

Sie verdienen unser aller Applaus!

„Wer den Hafen nicht kennt, in den er segeln will, für den ist kein Wind ein günstiger!" Wohin geht also die Fahrt in den kommenden zehn Jahren?

Was sind die Ziele, die Sie sich stecken? Welche Vision verfolgen Sie?

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Und welche Wünsche gebe ich Ihnen mit auf die vor Ihnen liegende Rei- se?

Bei vielen Bürgerstiftungen stellt sich nach zehn Jahren ihrer Tätigkeit er- neut die Frage nach dem spezifischen Profil und der inhaltlichen Ausrich- tung. Die erste Generation der Stifterinnen und Stifter scheidet langsam aus den Gremien aus; das Stiftungskapital wächst; die Satzung wird nach- justiert; die Bürgerstiftung wird als Akteur für das Gemeinwesen vor Ort zunehmend wahr- und ernstgenommen.

Bevor ich auf die BürgerStiftung Hildesheim zu sprechen komme, möchte ich den Blick ein wenig weiten. Denn die skizzierten Fragen stellen sich nicht nur bei Ihnen als Bürgerstiftung immer wieder aufs Neue. Auch die großen kapitalbasierten Stiftungen wie etwa die VolkswagenStiftung ste- hen regelmäßig vor der Herausforderung, den eigenen Standort zu bestimmen, das Kursziel neu zu justieren und die Konturen der eigenen Tätigkeit zu schärfen.

Von besonderer Bedeutung erweist sich dabei das Zusammenspiel von Bürger, Staat und Stiftung. Denn das Wachstum des deutschen Stiftungs- sektors lässt auch das Verhältnis zwischen Staat und Stiftungen nicht un- berührt. Nur zur Erinnerung: Trotz fast tausendjähriger Stiftungsgeschichte in Deutschland sind weit mehr als die Hälfte aller deutschen Stiftungen in- nerhalb der letzten 20 Jahre errichtet worden und jeden Tag kommen zwei bis drei neue hinzu. Als Vorstandsvorsitzender des Bundesverbandes

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Deutscher Stiftungen konnte und kann ich miterleben, wie sich sowohl das Selbstverständnis von Stiftungen als Impulsgeber und politischer Akteur als auch der Blick des Staates auf die Stiftungen in den letzten Jahren gewandelt hat.

Der moderne, demokratische, sich aktivierend verstehende Staat hat ein wachsendes Interesse an einer lebendigen Bürgergesellschaft. Indem sie wichtige Aufgaben in ganz unterschiedlichen Bereichen übernimmt, ent- lastet sie den Staat und sorgt dafür, dass für den gesellschaftlichen Zu- sammenhalt elementare Aspekte wie Solidarität, bildungs- und kulturpoliti- sches Engagement sowie Gemeinwohldenken nicht ins Hintertreffen gera- ten. Häufig kümmern sich in Stiftungen engagierte Bürgerinnen und Bür- ger um die Belange, die der Staat nicht oder noch nicht auf seinem Ra- darschirm hat, sie suchen Nischen und füllen sie, geben vielfältige Impulse und haben zudem ein feines Gespür für neue Herausforderungen.

Denken Sie nur an die Fortschritte im Umweltschutz, in der Integrations-, Bildungs- oder Verkehrspolitik. Ohne bürgerschaftliches Engagement wä- ren diese Themen – und vor allem konkrete Lösungsvorschläge im Sinne exemplarischen Gelingens! – nicht oder nur verzögert auf die Tagesord- nung von Politik und Gesellschaft gekommen. Es waren und es sind Stif- tungen, die immer wieder die notwendige Funktion eines unkonventionel- len Anstoßgebers und einer Korrekturinstanz bei Fehlentwicklungen wahr- nehmen.

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Diese Impulse helfen dem Staat, die Bedürfnisse der Gesellschaft besser zu erkennen. Und sie stützen ihn da, wo er nicht in der Lage ist, adäquat zu agieren, sei es weil noch ein gemeinsamer politischer Wille fehlt oder die Rahmenbedingungen ein stärkeres Engagement noch nicht zulassen.

Nur eines können, wollen und sollen Stiftungen keinesfalls: den Staat er- setzen.

Der Staat ist ein machtvoller Akteur; er bleibt unverzichtbar. Nur hat sich die Beziehung zwischen dem Staat einerseits und seinen Bürgerinnen und Bürgern andererseits grundsätzlich gewandelt. In den letzten Jahrzehnten ist eine Aufbruchstimmung entstanden, die derzeit an einem wichtigen Kristallisationspunkt angekommen zu sein scheint. Mehr als ein Drittel der Bevölkerung ist mittlerweile bürgerschaftlich engagiert. Die zugrunde lie- gende Erkenntnis lautet: „Auch wir haben etwas zu sagen, wir wollen mit- reden. Es ist uns nicht egal, wie bestimmte Entscheidungen ausfallen, selbst wenn sie uns nicht unmittelbar betreffen.“

Vorbei sind die Zeiten, in denen sich der Handlungsradius der meisten Bürgerinnen und Bürger auf die Privatsphäre beschränkte, in denen das Engagement außerhalb des konventionellen Rahmens – zum Beispiel in den Volksparteien – misstrauisch beäugt wurde. Die Menschen engagie- ren sich, sie stehen dazu und sind stolz darauf mitzuwirken, mitzugestal- ten, die Dinge exemplarisch – und das heißt beispielgebend – zu verän- dern. Das gilt auch für immer mehr Stiftungen, von denen sich viele vor gar nicht allzu langer Zeit in dieser Hinsicht noch bedeckt hielten. Weil

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sich das geändert hat, weil sie den Veränderungsbedarf anzeigen und ak- tiv kommunizieren, weil sie transparenter und sichtbarer geworden sind, erhalten Stiftungen zugleich weiteren gesellschaftlichen Auftrieb.

Wer sich heute für die Gesellschaft einsetzt, wer Geld, Zeit und Ideen in- vestiert, um bestimmte Änderungen zu bewirken, der hat Lob und Aner- kennung verdient. Heute ist dieses Engagement wichtiger denn je. Nicht nur, weil Einzelne davon profitieren, weil es ein Zeichen der Solidarität ist, ein Zeichen dafür, dass die Gesellschaft funktioniert, sondern auch aus prinzipiellen Gründen. Auch die VolkswagenStiftung mit ihren 95 hauptbe- ruflich tätigen Mitarbeiter(inne)n könnte ihre Aufgaben in der Wissen- schaftsförderung nicht adäquat erfüllen ohne die Unterstützung von jähr- lich etwa 800 bis 1.000 Sachverständigen, die uns ehrenamtlich mit ihrer fachlichen Expertise, ihrem klugen Rat und ihrer wissenschaftspolitischen Überblickskompetenz zur Seite stehen. Sie sehen also: das Zehnfache an Personen in Relation zum Mitarbeiterstab ist nötig, um die Stiftungsarbeit zum Erfolg zu führen!

Der amerikanische Sozialwissenschaftler Robert D. Putnam hat bereits Ende der 1990er Jahre die Bedeutung von „social capital“ für den inneren Zusammenhalt und den Erfolg von Gesellschaften beschrieben. Das sozi- ale Kapital einer Gesellschaft ist für Putnam definiert durch die Fähigkeit und Bereitschaft ihrer Mitglieder zur gemeinwohlorientierten Zusammen- arbeit. Denn das soziale Kapital ist der Kitt, der die Gesellschaft im Inne- ren zusammenhält. Putnam zufolge ist das freiwillige Engagement so

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wichtig, weil es die Menschen zivilisiert, weil es für Durchlässigkeit und Austausch sorgt, weil dabei demokratische Muster eingeübt werden. So können beispielsweise Vereinssitzungen lehren, das hohe Gut der Mei- nungsfreiheit zu achten und Toleranz zu praktizieren. Demokratische Prin- zipien wie Wahlen erhalten hier im Kleinen Geltung.

Bürgerschaftliches Engagement – Engagement im Rahmen einer Bürger- stiftung – fördert den sozialen Zusammenhalt und schafft eine Identifikati- on der Bürgerinnen und Bürger mit dem lokalen Gemeinwesen. Das so entstehende Verantwortungsbewusstsein ist ein großer Wert, von dessen Erträgen Staat und Gesellschaft profitieren.

Denn auch der Staat hat die Grenzen seiner Handlungsfähigkeit erkannt.

Gegenwart und Zukunft fordern andere Ansätze als die Vergangenheit, weil sich die Welt dramatisch verändert hat. Heute sind zumindest die westlichen Gesellschaften charakterisiert durch zunehmende internationa- le Verflechtung, durch hohe Komplexität, durch eine Vielzahl von Akteuren und sehr spezifische Problemlagen sowie durch einen Pluralismus außer- ordentlich heterogener Interessen. Zudem haben viele vormals stabilisie- rende Institutionen wie Kirche, Familie oder Parteien an Bindungskraft eingebüßt. Angesichts dieser Gemengelage fällt es dem Staat schwer, den Überblick zu behalten; in allen Bereichen gleichermaßen präsent zu sein, erweist sich gar als unmöglich. Auch deshalb braucht es eine starke und vitale Zivilgesellschaft.

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Ulrich Beck hat diese Beobachtung zugespitzt, indem er der „Unbeweg- lichkeit des staatlichen Apparates“ die „Beweglichkeit der vielen Akteure auf allen möglichen Ebenen der Gesellschaft“ gegenüberstellte. Noch deutlicher wird Roland Roth in seiner gerade in der Edition Körber-Stiftung erschienenen „Streitschrift für mehr Partizipation“. Sie trägt den Titel „Bür- germacht“. Sehr klar fordert der Politikwissenschaftler darin die Bürgerin oder den Bürger auf: „Habe den Mut, Nein zu sagen. Kündige die gren- zenlose Hinnahmebereitschaft auf. Dies ist der erste Schritt zum Ausstieg aus der Alternativlosigkeit. Er eröffnet neue Denkräume und Handlungs- perspektiven.“

Roland Roth weist selbst zu Recht darauf hin, dass es sich bei dem Mut, Nein zu sagen, lediglich um einen ersten Schritt handeln kann. Noch wich- tiger erscheint es mir, in einem zweiten Schritt die Dinge wiederum kon- struktiv zu wenden, „Ja“ zu sagen zu notwendigen Veränderungen, neue Ideen, innovative Konzepte und überzeugende Lösungsansätze für aktuel- le Herausforderungen des Gemeinwesens zu erarbeiten. Die Entwicklung der Bürgerstiftungs-Szene in den letzten zehn Jahren unterstreicht sowohl diese Beobachtung als auch die Schlussfolgerungen: In den Bürgerstif- tungen finden sich Akteure, die fähig sind, Probleme genau zu analysie- ren, die tatkräftig und zugleich hinreichend kompetent sind, um passge- naue Lösungen zu entwickeln.

Die Bundesregierung hat die Bedeutung, die Stiftungen in diesem Zu- sammenhang haben, erkannt und sich daher im letzten Jahrzehnt die För-

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derung der Stiftungskultur in vielfältiger Weise auch selbst zur Aufgabe gemacht. Im Vordergrund stand und steht dabei die Weiterentwicklung der privaten Stiftungskultur. Dies schließt nicht aus, dass sich die Politik in be- stimmten Fällen auch selbst als Stifter betätigt. So ist etwa auch die VolkswagenStiftung, für die ich im Hauptberuf als Generalsekretär tätig sein darf, schon vor 50 Jahren durch die öffentliche Hand errichtet wor- den. Ihr Beispiel unterstreicht bereits in wenigen Kennzahlen, wie nachhal- tig Stiftungen wirken können. Nicht nur ist das ursprüngliche Stiftungskapi- tal von 1,1 Milliarden DM auf mittlerweile 2,4 Milliarden Euro angewach- sen. Es konnten in den vergangenen 49 Jahren auch mehr als 30.000 Vorhaben mit rund 3,8 Milliarden Euro gefördert werden. Während das Stiftungskapital annähernd in seinem realen Wert erhalten geblieben ist, konnten vor allem immer aufs Neue Tausende talentierter Nachwuchsfor- scher(innen) in entscheidenden Qualifikationsphasen wirksam gefördert werden. Und das wird – allen Finanzmarktkrisen zum Trotz! – wohl auch in Zukunft so bleiben.

Wie effizient und nachhaltig vom Staat errichtete Stiftungen wirken kön- nen, hängt letztlich entscheidend davon ab, inwieweit der Staat bereit ist, sowohl für ein angemessenes Stiftungsvermögen als auch für weisungs- freie Stiftungsorgane zu sorgen. Was sowohl im Fall der VolkswagenStif- tung als z.B. auch bei der in Osnabrück ansässigen Deutschen Bundes- stiftung Umwelt vorbildlich gelungen ist, hat die Politik in der jüngsten Ver- gangenheit leider nicht immer beachtet.

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So schafft der Staat zum Teil rechtliche Gebilde, die er zwar Stiftung nennt, die aber ohne ausreichendes eigenes Kapital von Zuweisungen aus dem laufenden Haushalt abhängig und deren Entscheidungsorgane zudem mit Funktionsträgern besetzt sind, die in erster Linie den politi- schen Einfluss sicherstellen sollen. Mittlerweile gilt auf diesem Feld immer mehr der Satz: Nicht überall, wo Stiftung draufsteht, ist auch Stiftung drin!

Hier ist die Gefahr groß, dass solche öffentlich-rechtlichen Stiftungen zum Spielball politischer Entscheidungen werden. Dies macht das Beispiel der Hamburger Wissenschaftsstiftung deutlich. Der Staat nutzt in diesen Fäl- len lediglich die Reputation des Namens Stiftung, respektiert aber nicht die Anforderungen, die er selbst an private Stifter und Stiftungen stellt. Einen innovativen und nachhaltigen Beitrag zur Weiterentwicklung der Zivilge- sellschaft vermögen diese äußerst fragilen Stiftungsgebilde, die im Grunde nichts anderes als Agenturen des Staates sind, nicht zu leisten. Wie effi- zient und nachhaltig wirksam vom Staat errichtete Stiftungen agieren kön- nen, hängt letztlich neben der auf Dauer gesicherten Rechtsform vor allem von zwei Faktoren ab: der angemessenen Kapitalausstattung und der Au- tonomie der Stiftung. Soweit sich die öffentliche Hand zur Erfüllung staatli- cher oder kommunaler Aufgaben der Rechtsform der privaten Stiftung be- dient, hat sie daher für ein angemessenes Stiftungsvermögen und nicht zuletzt für weisungsfreie Stiftungsorgane zu sorgen. Gerade Letzteres fällt staatlichen Stellen oft schwer. Ein Stück weit Kontrolle aus der Hand zu geben ist nicht gerade ihre Stärke. Loslassen können ist im Stiftungsbe- reich jedoch eine wichtige Erfolgsbedingung. Dies unterstreichen die

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überaus positiven Erfahrungen mit den Stiftungshochschulen in Nieder- sachsen.

Lassen Sie mich nun wieder den Blick auf die BürgerStiftung Hildesheim richten. Welche Aufgabe kommt ihr zu, um den sozialen Zusammenhalt in dieser Stadt zu fördern und die Identifikation der Bürgerinnen und Bürger mit der Stadt Hildesheim zu stärken?

Gemeinsame Grundlage der Arbeit aller Bürgerstiftungen in Deutschland bilden die „10 Merkmale einer Bürgerstiftung“, die der Arbeitskreis Bürger- stiftungen im Bundesverband Deutscher Stiftungen bereits im Jahr 2000 verabschiedet hat. Diese können auch eine gute Grundlage für die Her- ausbildung des eigenen Profils und die Festlegung der weiteren Route bil- den.

Aufgrund der Kürze der mir zur Verfügung stehenden Zeit will ich mich al- lein auf das erste der zehn Merkmale konzentrieren. Danach ist eine Bür- gerstiftung „gemeinnützig und will das Gemeinwesen stärken. Sie versteht sich als Element einer selbstbestimmten Bürgergesellschaft.“

In Hildesheim wird schnell verständlich, was unter „Elementen einer selbstbestimmten Bürgergesellschaft“ zu verstehen ist. Diese Bürgerge- sellschaft ist es, die hier vor Ort maßgeblich zur Lebensqualität beiträgt.

Ihnen bekannte Beispiele aus Ihrer Stadt mögen dies belegen:

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Nicht nur die Hildesheimer BürgerStiftung feiert in diesem Jahr ein Jubi- läum, sondern auch das Roemer- und Pelizaeus-Museum. Der Kaufmann, Bankier und Konsul Wilhelm Pelizaeus hatte im Jahr 1907 seine Samm- lung ägyptischer Funde seiner Heimatstadt gestiftet, mit deren Bestand im Jahr 1911 das Pelizaeus-Museum eröffnet werden konnte.

Bereits im Jahr 2009 feierte das Stadttheater Hildesheim sein 100jähriges Bestehen. Ohne den Einsatz von Hildesheimer Bürgerinnen und Bürgern wäre die Gründung des Theaters im Jahre 1909 nicht denkbar gewesen. – Institutionen wie die gerade 50 Jahre alt gewordene Musikschule würde es ohne bürgerschaftliches Engagement in dieser Form wohl nicht geben. – Die jüngsten Spardiskussionen und Sparbeschlüsse im Rahmen des so- genannten „Zukunftsvertrages“ zur Entschuldung der Stadt Hildesheim haben gezeigt, dass der Einsatz der Menschen vor Ort für das erfreulich breite kulturelle Angebot dieser Stadt künftig noch stärker von Bedeutung sein wird. Die Zukunft des Theaters, für dessen Erhalt sich im Frühsom- mer Tausende von Bürgerinnen und Bürgern mit ihrer Unterschrift enga- giert haben, ist gesichert – bis Ende 2014. Und was kommt dann? Es zeichnet sich bereits jetzt ab, dass die Diskussion über die Verantwortung der Hildesheimer Bürger und Politiker, auch künftig ein breites Kulturan- gebot vorzuhalten, mit Sicherheit eine Fortsetzung finden wird.

Die Beispiele aus Ihrer Heimatstadt zeigen, was eine selbstbestimmte Bürgergesellschaft bewirken kann:

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Sie gibt Impulse für die Gestaltung des örtlichen Umfelds; nicht in Konkur- renz zu bestehenden Verwaltungsstrukturen, sondern in Ergänzung zu diesen. Die Beispiele verdeutlichen aber auch, dass die Frage, welches Engagement der Bürgerinnen und Bürger für welche Zwecke mobilisiert werden kann, künftig eine noch bedeutendere Rolle spielen wird.

In diesem Zusammenhang dürfte auch die Herausforderung für Bürgerstif- tungen als Innovationsschmieden, Katalysatoren und Moderatoren von Entscheidungsprozessen weiter wachsen. Die „Dreiecksbeziehung“ zwi- schen Bürger, Staat und Stiftungen wird dabei sicherlich noch enger, ver- netzter und kooperativer werden müssen.

Das Potenzial, auf das Sie dabei gerade hier in Hildesheim zurückgreifen können, ist groß. Der Umfang des bürgerschaftlichen Engagements in ganz Deutschland entspricht der Arbeitskraft von etwa 3,2 Mio. Vollzeit- Beschäftigten. Eine aktive Bürgergesellschaft ist damit in weiten Teilen hierzulande bereits Wirklichkeit.

Dieses Engagement gilt es zu nutzen, um das Gemeinwesen vor Ort aktiv zu fördern und zu gestalten. Bürgerstiftungen schauen nicht weg. Sie wol- len sich dort engagieren, wo Not am Mann oder an der Frau ist. Sie wollen den Zusammenhalt der Bürgerinnen und Bürger vor Ort stärken und damit das Leben in der eigenen Gemeinde (noch) lebenswerter machen.

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Da ist die Bürgerstiftung Achim, die sich den Erhalt und die Pflege des Stadtparks zur Aufgabe gemacht hat. Aus einem verkommenen Stück Er- de ist der attraktive Mehrgenerationenpark entstanden: mit Boule-Bahn, Spielplatz und Blumenbeeten. Hier treffen sich Achimer Bürgerinnen und Bürger und kommen miteinander ins Gespräch.

Da ist die Selbsthilfekontaktstelle „BIGS“ der Bürgerstiftung Gütersloh: Sie bündelt Beratungs-, Informations- und Veranstaltungsangebote im Ge- sundheitswesen und macht so den Dschungel des Gesundheitssystems für Gütersloher leichter zugänglich.

Da ist das Mentorprojekt "Yoldaș" der Hamburger BürgerStiftung, in dem erwachsene Ehrenamtliche als Mentoren Kinder mit türkischem Migrati- onshintergrund begleiten. So werden Brücken zwischen den Kulturen ge- baut, Bildungsimpulse gesetzt und Kinder in ihrer Persönlichkeitsentwick- lung äußerst positiv unterstützt.

Rund 300 Bürgerstiftungen gibt es mittlerweile in Deutschland. Jede die- ser Stiftungen hat ganz spezifisch für die jeweiligen Bedürfnisse vor Ort Projekte entwickelt, die sie nicht nur mit Geld, sondern auch mit der Zeit und Kompetenz der ehrenamtlich Engagierten umsetzt.

So unterschiedlich diese Projekte auch sein mögen, es lässt sich doch ein gemeinsames Selbstverständnis der Bürgerstiftungen herausarbeiten. Zu- sammenfassen könnte man es wohl am besten unter dem Motto, das sich

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die Bürgerstiftung Barnim Uckermark für ihre Arbeit gewählt hat: „Men- schen verbinden – Zukunft gestalten!“

So werden Bürgerstiftungen zu unabhängigen Plattformen – zu Projekt- schmieden –, die neue, innovative Ansätze für gesellschaftliche Heraus- forderungen entwickeln und ausprobieren. Schlanke Entscheidungsstruk- turen ermöglichen zugleich eine schnelle Umsetzung der Ideen.

Bei aller Vielfalt der Zwecke, die Sie als Bürgerstiftung Hildesheim verfol- gen, empfehle ich Ihnen, auch die Förderung des bürgerschaftlichen En- gagements in den Fokus zu nehmen. Die nachhaltige Förderung des bür- gerschaftlichen Engagements ist schließlich das Alleinstellungsmerkmal, das Sie als Bürgerstiftung auszeichnet.

Ich wünsche Ihnen, dass es Ihnen gelingen möge, die Ideen-, die Zeit- und die Geldreichen unter dem Dach Ihrer Bürgerstiftung zu versammeln und so gemeinsam die Energie zu entwickeln, derer es zur Gestaltung künftiger Herausforderungen im Gemeinwesen bedarf. Letztlich läuft es auf die Frage hinaus: Wie kann es gelingen, die Hildesheimer Bürgerinnen und Bürger von Ihrer Arbeit zu überzeugen und sie zum Mitstiften und Mitmachen zu animieren?

In Hildesheim gedenken Sie in diesem Jahr in besonderer Weise Rainald von Dassels, des Stifters der Johannishofstiftung. Dabei handelt es sich um eine der ältesten, durchgehend aktiven Stiftungen Deutschlands, die

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vor nicht weniger als 850 Jahren gegründet worden ist. In gleicher Weise werden die Namen der Stifterinnen und Stifter der Bürgerstiftung Hildes- heim über die kommenden Jahrhunderte hinweg mit der Stadt verbunden bleiben. Daher meine Aufforderung an die Gäste, die bislang noch nicht aktiv in der Bürgerstiftung Hildesheim mitwirken: Schaffen Sie Nachhalti- ges und tragen Sie damit auch zum Erhalt Ihres Namens als Stifter der Bürgerstiftung Hildesheim für die nächsten Jahrhunderte bei!

An der Apsis des Mariendoms wächst der 1000jährige Rosenstock. Mit der Gründung der Bürgerstiftung im Jahr 2001 haben Sie eine weitere Blume in und für Hildesheim gepflanzt. Die Blume Bürgerstiftung, noch ei- ne zarte Pflanze, wird wachsen und – ebenso wie der Rosenstock – auch in 100, 200 und 1.000 Jahren großartige Blüten und reiche Frucht tragen.

Dies ist mein großer Wunsch für Sie, den ich nun nur noch mit zwei Ge- schenken für Sie, Herr Dr. Geyer, und die Bürgerstiftung Hildesheim un- termauern kann. Alles Gute für die Zukunft!

Herzlichen Dank!

Referenzen

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