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Kann ich mich ändern? So variabel ist unsere Persönlichkeit

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Academic year: 2022

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D57525

Psychologie. Hirnforschung. Medizin.

Nr. 01/2020 € 7,90 · 15,40 sFr. · www.gehirn-und-geist.de

Gehirn&Geist 01/2020

Kann ich

mich ändern?

Wurzeln der Gewalt

Autisten

Nehmen sie die Welt intensiver wahr?

Schlaf

Warum er uns schlank hält

Arbeitswelt

Was bringt das Homeoffice?

Homeoffice · Metaanalysen · Münchhausen-Stellvertreter-Syndrom · Aggression · Schlafmangel · Individuelles Gehirn · Autismus · Keto-Diät · Persönlichkeit

So variabel ist

unsere Persönlichkeit

(2)

EDITORIAL

Die Psychologin Cornelia Wrzus von der Universität Heidelberg erforscht den Wandel

der Persönlichkeit. Sie erklärt im Interview ab S. 19, ob und wie wir uns verändern können.

Wir können uns ändern

W

as würdest du am liebsten an dir ändern?« Meine Antwort auf diese Frage ist ganz eindeutig: Ich wäre

gerne geduldiger – etwa wenn die Kinder trödeln oder es an der Supermarktkasse nicht schnell genug vorwärts- geht. Und etwas ordentlicher. Wenn ich meinen Schreibtisch mit dem mancher Kolleginnen und Kollegen vergleiche, so

herrscht bei mir doch regelmäßig Chaos, vom dem ich wenigstens hoffe, dass es kreativ ist.

Wie die Forschung beweist, kann sich die Persönlichkeit eines Men- schen im Lauf des Lebens durchaus ändern. Auch das sehe ich an mir selbst: Als Kind war ich schüchtern und mochte es beispielsweise gar nicht, vor der versammelten Klasse zu stehen oder mit mir unbekannten Altersgenossen in Kontakt zu treten.

Heute macht es mir dagegen nichts mehr aus, vor Publikum Vorträge zu halten oder Diskussionen zu moderieren.

Wie mir das gelungen ist, vermag ich rückblickend kaum zu sagen. Sicher spielte die persönliche Reifung mit dem Alter eine Rolle, ebenso der Zuspruch von Familie, Dozenten oder Vorgesetzten. Fest steht: Mit dem Wunsch nach gezielter Veränderung des Ichs bin ich nicht allein. In Umfragen wün-

schen sich 85 bis 95 Prozent der Menschen, zumindest an manchen ihrer Eigenschaften zu drehen, wie meine Kollegin Liesa Bauer in ihrem Artikel zum Wandel der Persönlichkeit schreibt (ab S. 12).

Kleine Maßnahmen können dabei schon große Wirkung zeigen: Wer beispielsweise sein Zuhause aufgeräumter haben möchte, sollte sich jeden Tag auf einen kleinen Bereich der Wohnung konzentrieren und dort Ordnung schaffen – statt

sich im Großen und Ganzen zu verlieren, was dann letztlich demotiviert.

Sie sehen also: Veränderung ist möglich! In diesem Sinne werde ich jetzt versuchen, deutlich weniger Papier auf meinem Schreibtisch anzuhäufen.

Herzlichst Ihr

I N D I E S E R A U S G A B E

Macht zu wenig Schlaf dick – und wenn ja, warum? Der Neurobiologe

Michael Lazarus sichtet ab S. 56 die aktuelle Forschung zu dieser Frage.

R. Douglas Fields von der University of Maryland in Bethesda interessiert sich für die

Entwicklung des Nervensystems. Ab S. 48 beschreibt er, welche Schaltkreise im Gehirn

Aggression erzeugen.

GEHIRN&GEIST / PHILIPP ROTHE

Daniel Lingenhöhl Chefredakteur lingenhoehl@spektrum.de

(3)

IN DIESER AUSGABE

Psychologie

Was bringt das Homeoffice?

26

Bei Bedarf zu Hause ar beiten können – das hat viele Vorteile! Wenn man dabei einige Risiken beachtet, profitieren unterm Strich die Mitarbeiter wie auch der Arbeitgeber davon.

Von Katja Gaschler

34 Schlechter als ihr Ruf Sind sich Forscher bei einer wissen­

schaftlichen Frage uneinig, ver­

suchen sie den Streit oft durch eine Metaanalyse zu schlichten. Doch solche Übersichtsarbeiten haben ihre ganz eigenen Tücken.

Von Jop de Vrieze 40 Gute Frage

Führen strengere Waffengesetze zu weniger Gewalt?

Der Münchner Politikwissenschaft­

ler Steffen Hurka weiß, ob ein erschwerter Zugang zu Schusswaf­

fen tatsächlich die Mordrate senkt.

42 Der Mama zuliebe krank Frauen mit Münchhausen­Stellver­

treter­Syndrom täuschen bei ihrem Kind Krankheiten vor, manche mit allen Mitteln und bis zu dessen Tod.

Von Christiane Gelitz

Hirnforschung

Die Wurzeln der Aggression

48

Neurowissenschaftler ergründen, welche Hirn­

regionen Gewalt erzeugen.

Damit wollen sie eines Tages Straftaten verhindern.

Von R. Douglas Fields 56 Dick durch

Schlafmangel In den Industriestaaten leiden immer mehr Menschen an Schlaf­

defiziten – und zugleich nimmt die Fettleibigkeit zu. Offenbar be­

steht da zwischen sogar ein ursächlicher Zusammenhang.

Von Michael Lazarus

62 Abschied vom Durchschnittshirn Menschliche Gehirne differieren stärker als gedacht. Das zeigt sich auch an individuellen Aktivitäts­

mustern bei Scans, die ihrerseits auf unterschiedliche kognitive Strategien hindeuten.

Von Christian Wolf

Medizin

Die Theorie der

»intensiven Welt«

70

Autismus geht auf die Überreizung bestimmter Teile des Gehirns zurück, glaubt das Forscherehepaar Kamila und Henry Markram. Die These der beiden findet bei vielen Betroffenen Anklang, aber es mangelt ihr

an wissenschaftlichen Belegen.

Von Michael Groß

76 Diät als Therapie Zum Frühstück Eier, Speck und Spinat, kein Brot, kein Zucker: Wer sich ketogen ernährt, verzichtet fast gänzlich auf kohlenhydrat­

reiche Lebensmittel. Das verändert den Energiestoffwechsel im Gehirn und könnte bei der Behandlung so mancher neurologischer Erkran­

kung helfen.

Von Christian Honey

LINKS: STOCKROCKET / GETTY IMAGES / ISTOCK; MITTE: NITO100 / GETTY IMAGES / ISTOCK; RECHTS: GOODMOMENTS / GETTY IMAGES / ISTOCK

(4)

Titelthema: Persönlichkeit

Können wir uns ändern?

12

Wie es Menschen gelingt, das eigene Ich gezielt zu verändern, erforschen Psychologen gegenwärtig intensiv. Demnach erfordert es neben Mut und Gelegenheit vor allem soziale Unterstützung.

Von Liesa Bauer 19 Interview

»Es wäre schlimm, wenn wir alle gleich wären«

Die Heidelberger Persönlichkeitsforscherin Cornelia Wrzus weiß, was zum Wunsch nach persönlichem Wandel hinzukommen muss, damit er Früchte trägt.

Editorial 3 Geistesblitze

u. a. mit diesen Themen: Ratten am Steuer / Die Folgen des Lügens / Auch Normalgewich­

tige können magersüchtig sein / Hilft Cannabis gegen Ängste und Depressionen? 6 Leserbriefe 24 Impressum 25 Therapie kompakt

Psychotherapie: Das Prinzip Hoffnung / Angststörungen: Mit der Entspannung kommen die Schatten / Tourette­Syndrom:

Eine Zahnschiene gegen Tics 68 Bücher und mehr

u. a. mit Claudia Hammond:

Tick Tack / Rolf Dobelli: Die Kunst des digitalen Lebens 82 TV- & Radiotipps 87

Vorschau 89

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Gehirn & Geist

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SILVIAJANSEN / GETTY IMAGES / ISTOCK (AUSSCHNITT)

TITELBILD: ALVAREZ / GETTY IMAGES / ISTOCK; BEARBEITUNG: GEHIRN&GEIST

STEFFEN JÄNICKE; MIT FRDL. GEN. VON ECKART VON HIRSCHHAUSEN

(5)

GEISTESBLITZE

F

ür viele Menschen bedeutet Autofahren Stress.

Ganz anders geht es Ratten: Sie genießen es offenbar, durch ihren Käfig zu tuckern und dabei Leckereien einzusammeln. So jedenfalls deuten Psychologen der University of Richmond um Kelly Lambert die Ergebnisse ihrer Studie, für die sie Labor- ratten Fahrstunden erteilten.

Die Wissenschaftler wollten untersuchen, was passiert, wenn man den Nagern über einen längeren Zeitraum komplexe Verhaltensweisen antrainiert. Typi- scherweise sind die Verhaltenstests, die Forscher mit ihren Versuchstieren anstellen, sehr simpel und nicht besonders anregend für die Tiere. Doch schätzen die Ratten offenbar eine Herausforderung.

Lambert und Kollegen bauten aus einer Klarsicht- plastikbox und Rädern eine Art Rattenauto (ROV,

»rodent-operated vehicle«), das sich durch Berührung dreier Hebel steuern ließ. Zielvorgabe für die Ratten war, mit ihrem fahrbaren Untersatz einen ihnen hingehaltenen Leckerbissen anzusteuern. Den gab es dann natürlich auch zu essen.

Es spräche für die geistige Flexibilität der Tiere, dass sie eine derart komplexe – und für sie unnatürliche – Aufgabe bewältigen können, erklären die Forscher. Ziel

ihrer aktuellen Studie sei es aber primär gewesen he- rauszufinden, wie es den Ratten dabei ergeht. Lambert

UNIVERSITY OF RICHMOND

Verhaltensforschung

Ratten am Steuer

und Kollegen maßen dazu Stressmarker im Kot der Tiere. Tatsächlich fühlten sich die Tiere, die Auto fahren übten, weniger gestresst als Artgenossen – und das, obwohl diese viel einfacher an ihre Nahrung gelangten. In einem ferngesteuerten Auto herumgefah- ren und dabei gefüttert zu werden, befriedigte die Ratten ebenfalls nicht so sehr, wie selbst ans Steuer zu dürfen. Es gelang den Forschern nicht einmal, den Nagern ihre frisch erworbenen Fähigkeiten mit Versuchsdurchläufen ohne Belohnung wieder abzu- trainieren.

Die Psychologen vermuten, dass das, was man beim Menschen Selbstwirksamkeit nennt, für die positiven Effekte verantwortlich sei, schreibt der britische »New Scientist« über die Studie. Ähnliches sei bei Ratten beobachtet worden, die nach ihrem Futter graben mussten, erläutert Lambert.

Womöglich sei ein solches Training komplexer Verhaltensweisen für viele Studien besser geeignet als die herkömmlichen einfachen Aufgaben, erläutern die Forscher. Etwa wenn man untersuchen wolle, welche psychischen Effekte ein neuer Wirkstoff oder eine Erkrankung habe. Realitätsnähere und heraus- forderndere Tests brächten dabei vielleicht verlässliche- re Daten, so Lambert.

Behavioural Brain Research 10.1016/j.bbr.2019.112309, 2019

In einem selbst gebauten Fahrzeug aus einer Klarsicht­

plastikbox und Rädern ließen Wissenschaftler Ratten durch ihren Käfig düsen.

(6)

W

enn wir lügen und betrügen, riskieren wir nicht nur, uns auf Dauer unglaubwürdig zu machen. Wir werden womöglich auch vor- übergehend blind für die Gefühle anderer. Das zeigen acht Experimente mit insgesamt mehr als 2500 Ver- suchspersonen, die Forscher um Julia Lee von der University of Michigan durchführten.

In einem der Versuche befragten sie ihre Probanden zum Beispiel zunächst dazu, wie oft sich diese in ihrem Job unehrlich verhielten. Anschließend präsentierten sie ihnen auf einem Bildschirm das Gesicht eines Schauspielers, bei dem nur die Region um die Augen klar zu erkennen war, und baten sie einzuschätzen, wie sich die gezeigte Person wohl gerade fühlte. Personen, die im Alltag häufiger logen, waren schlechter darin, den Gemütszustand an den Augen anderer abzulesen.

In einem weiteren Experiment gaben Lee und ihr Team Studenten die Möglichkeit, Geld zu gewinnen.

Dazu mussten diese lediglich vorhersagen, welche Seite eines Würfels die höhere Zahl zeigen würde. Ein Teil der Versuchspersonen sollte den Tipp am Anfang des Spiels abgeben, die andere Hälfte durfte warten, bis die Würfel gefallen waren – und bekam so die Möglichkeit zu betrügen. Wie die Auswertung zeigte, machten die Probanden der zweiten Gruppe davon ausführlich Gebrauch: Sie nannten deutlich häufiger die richtige Zahl als die Teilnehmer der Kontrollgruppe. Im Anschluss waren sie ebenfalls schlechter darin, die Gefühle anderer korrekt zu identifizieren.

Doch warum macht Unehrlichkeit weniger empfäng- lich für die Emotionen unserer Mitmenschen? Offenbar führen Lügen dazu, dass wir uns innerlich von unserem Umfeld distanzieren, argumentieren Julia Lee und ihre Kollegen. Um unser unmoralisches Handeln vor uns selbst zu rechtfertigen, blenden wir unsere sozialen Rollen aus – und damit ebenfalls ein Stück weit den Gemütszustand anderer. Dazu passt die Beobachtung der Wissenschaftler, dass Probanden, die im Spiel betrogen, sich selbst weniger mit Hilfe sozialer Begriffe wie »Schwester« oder »Freund« beschrieben als Teilnehmer der Kontrollgruppe. Wie lange die Folgen des Lügens in diesem Fall anhalten, ist allerdings noch unklar.

Journal of Experimental Psychology: General 10.1037/xge0000639, 2019

B

ei einer Kolumbianerin sind Fachleute auf einen außergewöhnlichen Schutz vor einer speziellen Art von frühem Alzheimer gestoßen. Wie eine Arbeitsgruppe um Joseph Arboleda-Velasquez von der

Harvard University berichtet, blieb die Frau bis zum Alter von über 70 Jahren ohne Alzheimersymptome –

obwohl sie eine Mutation trägt, die normalerweise schon in jungen Jahren die Krankheit auslöst.

Die Probandin nimmt an einer großen Studie mit rund 1200 anderen Kolumbianern teil, die allesamt eine Veränderung im Gen für Präsenilin-1 tragen. Wie sich herausstellte, verdankt sie ihre Widerstandskraft mit hoher Wahrscheinlichkeit einer weiteren, extrem seltenen Mutation auf dem Gen APOE-3, die sie sowohl von väterlicher als auch von mütterlicher Seite erhielt. Das von ihm codierte Protein Apolipoprotein E ist an der Entstehung von Alzheimer beteiligt. Bislang galten Mutationen auf APOE-3 – anders als bei anderen APOE-Genen – jedoch als unerheblich für

Alzheimer. Der Fallbericht des Teams um Arboleda- Velasquez zeigt, dass das wohl nicht stimmt – zumin- dest dann nicht, wenn diese spezielle als »Christ- church« bezeichnete Variante in beiden Kopien des Gens vorkommt. Vor allem aber weist die Entdeckung auf einen möglichen Weg hin, wie sich die Krankheit vielleicht verzögern lässt: Die in der Veröffentlichung beschriebenen Experimente legen nahe, dass die Schutzwirkung der Mutation auf einer schwächeren Bindung an eine Klasse von chemisch veränderten Zuckermolekülen beruht. Ein Antikörper, der diese Bindung bei unverändertem Apolipoprotein E schwächt, könnte daher eventuell als Alzheimermedi- kament dienen. Allerdings sind solche Bindungsunter- suchungen nur begrenzt aussagefähig, so dass die Schutzwirkung und ihr möglicher Mechanismus im nächsten Schritt erst einmal in Tiermodellen überprüft werden müssen.

Nature Medicine 10.1038/s41591-019-0611-3, 2019

Demenz

Schutz vor frühem Alzheimer entdeckt

Ehrlichkeit

Die Folgen des Lügens

MARYANNSHMUELI / GETTY IMAGES / ISTOCK

(7)

Armut

Vernünftiges Verhalten ist relativ

Essstörungen

Auch Normalgewichtige können magersüchtig sein

W

enn sich Forscher der Armut annehmen, dann meist mit Blick auf damit verbundene Defizite. Ein niederländisch-britisches Duo fordert, das Verhalten von in Armut lebenden Men- schen umzubewerten: als Versuch, aus ihren Möglich- keiten das Beste zu machen.

Arm zu sein, bedeutet unter anderem, grundlegende Bedürfnisse nicht befriedigen zu können und ein er- höhtes Risiko zu haben, Opfer von Gewalt zu werden.

Der daraus resultierende Stress fordere seinen Tribut in Form von Krankheiten und vorzeitigen Todesfällen, erläutern der Psychologe Willem Frankenhuis und der Verhaltensforscher Daniel Nettle. Deshalb würden

sich Ärmere zu Recht stärker auf die Gegenwart kon- zentrieren. So sparen sie etwa weniger und investieren weniger in ihre Bildung und Gesundheit.

Menschen ziehen kurzfristige Vorteile dann vor, wenn sie nicht an einen späteren Nutzen glauben. Ob das klug sei oder nicht, komme darauf an, wie die Zu- kunftsaussichten sind: Scheinbar kurzsichtige Ent- scheidungen könnten sich auszahlen, zeigen Compu- tersimulationen. »Wenn die Not groß ist und die

D

ie Diagnose Magersucht bekommen in der Regel nur Menschen, die stark untergewichtig sind. Doch es gibt auch »atypische« Formen der Anorexie: zum Beispiel, wenn jemand massiv abnimmt, aber (noch) nicht untergewichtig ist. Warum das ebenso gefährlich ist, zeigt nun eine Studie.

Ein Team um die Kinderärztin Andrea Garber von der University of California in San Francisco unter- suchte mehr als 100 Patienten zwischen 12 und 24 Jah- ren, teils Untergewichtige mit traditioneller Diagnose, teils Normalgewichtige mit atypischer Anorexie.

Letztere hatten vor Beginn der Essstörung ein höheres Ausgangsgewicht, verloren aber ebenso viele Pfunde

wie die Untergewichtigen: im Schnitt 15 Kilogramm über 16 Monate. Beide Gruppen litten unter vergleich- baren gesundheitlichen Folgen, darunter das Ausblei- ben der Menstruation, ein niedriger Ruhepuls und Störungen im Elektrolythaushalt. Je größer und schneller der Gewichtsverlust, desto gravierender die Folgen. Die atypischen Magersüchtigen berichteten sogar von stärkeren psychischen Beschwerden.

Zukunft unsicher, kann es vorteilhaft sein, Geld gleich auszugeben«, schreiben Frankenhuis und Nettle.

Auf diese Weise erklären die Autoren auch, warum Frauen in Armut früher Kinder bekommen. Nicht nur fehlende Informationen oder mangelnde Planung seien schuld; vielmehr schätzten sie ihre Aussichten unter den gegebenen Umständen richtig ein. Wer in Armut lebe, habe schlicht weniger Zeit, vor der Familien- gründung in die eigene Bildung und Zukunft zu investieren. Krankheiten drohen schon im mittleren Erwachsenenalter, wenn die Kinder noch nicht auf eigenen Füßen stünden. Und jüngere Großeltern könnten womöglich noch helfen, während sie später selbst Hilfe bräuchten. Für Frauen aus armen Verhält- nissen ist es deshalb sinnvoll, ihre Kinder zirka acht Jahre früher zu bekommen als Frauen aus reichem Haus. Das Autorenduo schließt daraus, die Armuts- forschung habe bislang durch die Brille der Privilegier- ten geblickt und solle die Definitionen von »norma- lem« und »funktionalem« Verhalten überdenken.

Current Directions of Psychological Science 10.1177/0963721419881154, 2019

Charakteristisch sind in beiden Fällen die Angst vor Gewichtszunahme, ein verzerrtes Körperbild, die ständige gedankliche Beschäftigung mit dem Essen, übermäßiger Sport sowie andere Arten der Gewichts- kontrolle wie selbst induziertes Erbrechen. Traditionell wird die Diagnose Anorexia nervosa erst vergeben, wenn die Betroffenen einen Body-Mass-Index von 17,5 oder weniger haben. In den Diagnosemanualen gibt es zwar die atypische Variante mit weniger strengen Kriterien. Sie werde aber selten erkannt und behandelt.

»Die Betroffenen sind medizinisch und psychologisch gesehen ebenso krank wie die untergewichtigen Anore- xiepatienten«, so das Fazit der Forscher. Das Therapie- ziel laute nicht, das Übergewicht wiederaufzubauen.

Was gesund ist, hänge von Stoffwechsel, Hormonhaus- halt und psychischem Befinden ab. Ein besonderes Problem der atypischen Anorexie liege darin, dass übergewichtige Teenager zunächst viel Anerkennung bekommen, wenn sie abnehmen. Niemand sorge sich um sie, solange sie nicht untergewichtig sind.

Pediatrics 10.1542/peds.2019-2339, 2019

(8)

GEISTESBLITZE

Neurowissenschaft

Rekord-Konnektom in 3-D

E

s ist nur ein winzig kleiner Würfel, mit einem Volumen von 0,0005 Kubikmillimetern.

Und doch steckt darin ein Netzwerk aus rund 7000 Kabeln und ihren 400 000 Knotenpunkten.

Dessen dreidimensionalen Schaltplan hat ein Team vom Max-Planck-Institut für Hirnforschung in Frankfurt vorgestellt. Nach Angaben der Forscher handelt es sich um den größten detaillierten Schaltplan vom Kortex eines Säugetiers, rund 26-mal größer als das bisher umfangreichste derartige Konnektom.

Das Gewebe stammt aus einem Teil des somatosen- sorischen Kortex einer Labormaus, der vor allem Berührungen verarbeitet. Mittels Elektronenmikrosko- pie rekonstruierten die Wissenschaftler um Moritz Helmstaedter 500 000 Kubikmikrometer Hirngewebe,

MPI FÜR HIRNFORSCHUNG, ALESSANDRO MOTTA

darin zirka 7000 Axone und rund 400 000 Synapsen.

Sie verknüpften dabei menschliche Datenanalysen mit bildverarbeitender künstlicher Intelligenz. »Sieben Jahre Arbeit«, kommentiert der MPI-Direktor Helm- staedter auf Twitter.

Dabei identifizierten die Forscher auch hemmende und erregende Neuronensubtypen. Außerdem ent- deckten sie im Hirngewebe der vier Wochen alten Labormaus Spuren von Lernprozessen, erkennbar am Zusammenhang zwischen Wachstum und Verstärkung der Synapsen. Aus der Momentaufnahme der korti- kalen Schaltkreiskarte habe das Team ableiten können, wie häufig solche Lernprozesse in diesem Stück Hirn- gewebe stattfinden.

Science 10.1126/science.aay3134, 2019

Diese Nervenzelle in der Großhirn­

rinde mit allen Eingangsaxonen ist Teil des großen Schaltplans, den Forscher nun entschlüsselt haben.

Kindesentwicklung Schon Kleinkinder verstehen offenbar, wofür Zahlen da sind. So erkennen Anderthalbjährige bereits, dass man mehrere

Spielzeuge vor ihnen versteckt, wenn man diese vorher laut zählt.

Developmental Science 10.1111/desc.12805, 2019

(9)

D

ie Menge an Tageslicht beeinflusst offenbar, wie wir Temperaturen wahrnehmen. Wissenschaft- ler um Giorgia Chinazzo von der Ecole poly- technique fédérale in Lausanne ließen 42 Männer und 42 Frauen verschiedene Aufgaben in einem Raum

erledigen, dessen Temperatur und Lichtverhältnisse sie genauestens manipulieren konnten. Mal mussten die Teilnehmer bei 19 Grad arbeiten, mal bei 23 oder 27 Grad. Manchmal strömte helles Tageslicht in dem Raum ein, manchmal war es gedämpft oder das Zimmer relativ stark abgedunkelt.

Obwohl die Lichtverhältnisse weder die Hauttempe- ratur der Teilnehmer beeinflussten, die mittels Senso- ren an diversen Körperstellen überwacht wurde, noch das direkte Temperaturempfinden, kamen die kühlen Temperaturen den Probanden bei wenig Tageslicht

unangenehmer vor. Bei Hitze war es hingegen genau umgekehrt: Nun fühlten sie sich in einem abgedunkel- ten Raum wohler – obwohl die Temperatur ungeachtet der Lichtverhältnisse jeweils genau gleich war.

Die Forscher glauben, dass diese Erkenntnis dabei helfen kann, bessere Wohn- und Arbeitsumgebungen für Menschen zu schaffen. So könne man in Büros, die viel Tageslicht durchs Fenster hineinlassen, an einem bewölkten Sommertag die Klimaanlage etwa eher herunterfahren. Wer an einem dunklen Herbsttag friert, der sollte vielleicht zunächst das Licht anschal- ten, bevor er die Heizung weiter hochdreht. Dass auch künstliches Licht unser Temperaturempfinden beeinflussen kann, haben bereits frühere Studien nahegelegt.

Scientific Reports 10.1038/s41598-019-48963-y, 2019

Wahrnehmung

In dunklen Räumen ist Kälte unangenehmer

Drogen

Hilft Cannabis bei Ängsten oder Depressionen?

C

annabis und seine Inhaltsstoffe kommen zu- nehmend nicht nur als Rauschmittel zum Einsatz, sondern auch als Medikamente – etwa bei der Behandlung von Epilepsie oder von Schmerzen.

Aber auch bei psychischen Beschwerden wie Ängsten oder Depressionen setzen manche Ärzte und Patienten inzwischen auf die Heilkraft des Hanfs. Das könnte allerdings verfrüht sein, geben Forscher um Nicola Black und Emily Stockings von der University of New South Wales in Sydney zu bedenken. In einer Meta- analyse konnten sie bei einer Reihe von psychischen Störungen keine ausreichenden Hinweise darauf finden, dass Cannabinoide tatsächlich helfen.

Die Wissenschaftler nahmen insgesamt 83 Studien mit mehr als 3000 Versuchspersonen unter die Lupe, die sich mit der Wirkung von Cannabinoiden bei Depressionen, Angststörungen, ADHS, Psychosen, Posttraumatischen Belastungsstörungen oder dem Tourette-Syndrom beschäftigt hatten. Bei knapp der Hälfte der Untersuchungen handelte es sich um rando- misiert-kontrollierte Studien, bei denen die Teilnehmer nach dem Zufallsprinzip einer von mehreren Versuchs- bedingungen zugeteilt wurden. Die meisten Studien untersuchten die Effekte von Tetrahydrocannabinol (THC), jenem Cannabinoid, dem die Hanfpflanze den Großteil ihrer berauschenden Wirkung zu verdanken hat. Deutlich weniger Untersuchungen fokussierten

sich ausschließlich auf den nicht psychoaktiven Inhaltsstoff Cannabidiol (CBD).

Dabei entdeckten die Forscher, dass THC (in Kom- bination mit sowie ohne CBD) einzig die Angstsymp- tome von solchen Patienten reduzieren konnte, die zusätzlich auf Grund anderer Leiden wie multipler Sklerose oder chronischer Schmerzen in Behandlung waren. Das Team vermutet, dass dies mit einer Ver- besserung der Grunderkrankung durch die Cannabi- noide zusammenhängen könnte. Bei allen anderen untersuchten Krankheitsbildern konnten die Wissen- schaftler keine positiven Effekte durch den Konsum von pharmazeutischem THC entdecken – Psychosen verstärken sich in einer Studie mit 24 Probanden sogar durch Cannabis.

»In Ländern, in denen Cannabis zur medizinischen Anwendung bereits legal ist, sollten sich Ärzte und

Patienten der begrenzten Evidenz und der Risiken, die mit der Einnahme von Cannabinoiden verbunden sind, bewusst sein«, sagt Studienautorin Louisa Degenhardt.

Es sei wichtig, in Zukunft qualitativ hochwertigere Untersuchungen mit mehr Patienten durchzuführen, um Nutzen und Nebenwirkungen von Cannabinoiden genauer auszuloten. Bis dahin sei ihr Einsatz bei psychischen Störungen nicht zu rechtfertigen, so das Fazit der Wissenschaftler.

The Lancet Psychiatry 10.1016/S2215-0366(19)30401-8, 2019

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