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Ansprache beim Festabend im Rahmen der Tagung des Internationalen Versöhnungsbundes (100 Jahre österreichischer Zweig) im Kolpinghaus Linz

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Freiheit von der Geschwisterlichkeit abgespalten?

Ansprache beim Festabend im Rahmen der Tagung des Internationalen Ver- söhnungsbundes (100 Jahre österreichischer Zweig)

13. November 2021, Kolpinghaus Linz

Verachtung

An der Wurzel von Vernichtung, von Terror, Krieg und Barbarei standen nicht selten die An- maßung absoluter Macht über Leben und Tod, stand die Verachtung des Menschen, in der Nazizeit die Verachtung von Asozialen, Behinderten und Zigeunern, die Verachtung von poli- tischen Gegnern, die Verachtung von Traditionen, die im jüdischen Volk lebten und leben, die Verachtung der ‚anderen’. Jules Isaac beschäftigte sich in seinen Werken „Jésus et Israel“

(Paris, 1946)1 und „L’enseignement du mépris“ (Paris 1962) intensiv mit dem Verhältnis von Verachtung und Gewalt. Schrittweise rechtfertige Verachtung Gewalt und dann den Krieg.

Isaac meinte, dass die Verachtung in Wertschätzung und Dialog verwandelt werden müsse.

Diese Verachtung hat sich aller Kräfte, auch die der Wissenschaften, der Medizin, der Ökono- mie und sogar der Religion bedient. Von der Medizin her wurde lebenswertes und lebensun- wertes Leben definiert und selektiert, es gab eine ökonomische Kosten-Nutzen-Rechnung im Hinblick auf die Ermordung von Behinderten. Verachtung signalisiert: Du bist für mich über- flüssig, reiner Abfall und Müll, den es verwerten und dann zu entsorgen gilt, eine Null, ein Kostenfaktor, den wir uns nicht mehr leisten wollen. Die entsprechende Geisteshaltung skiz- zierte Theodor W. Adorno in den Minima Moralia: „Musterung. Das Ende ist die medizinische Untersuchung nach der Alternative: Arbeitseinsatz oder Liquidation.“

Ideologie und Terror

Hannah Arendt spricht im Essay „Ideologie und Terror“ als Spezifikum totaler Herrschaft „die nahtlose Verfugung von Terror und Ideologie“ an, sodass es keinen Raum mehr für Freiheit, Individualität und Empathie geben kann.2 Hannah Arendt warnt vor einer juristisch-bürokrati- schen Fachsprache, weil sie Empathie und Humanität blockiere und verlässlich „die Realität nicht hineinlasse“. Eine idealistisch verstandene Autonomie kennt keine Verantwortung, keine Empathie und auch keine Verwundbarkeit.

Leugnung der Ängste dieser Erde

Rosenzweigs Hauptwerk Der Stern der Erlösung, in den Jahren 1918 bis 1919 in Freiburg verfasst, ging aus den Stahlgewittern des ersten Weltkrieges hervor. Rosenzweig wollte einen Neubeginn in der Philosophie, ein neues Denken riskieren. Zu erschütternd waren die Erfah- rungen Rosenzweigs, die er während der Jahre in den Schützengräben des Krieges machen musste, als dass er sich noch mit rein formallogischen, am konkreten Leben desinteressierten Problemen hätte aufhalten können. So beginnt Der Stern der Erlösung mit einer harschen

1 Dt. Jules Isaac, Jesus und Israel, Wien/Zürich 1968.

2 Hannah Arendt, in: Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft, Frankfurt a.M. 1955.

(2)

Kritik an der Philosophie seiner Zeit, ihrer Vergessenheit der realen Existenz des Menschen.

„Vom Tode, von der Furcht des Todes, hebt alles Erkennen des Alls an. Die Angst des Irdi- schen abzuwerfen, dem Hades seinen Pesthauch zu nehmen, des vermisst sich die Philoso- phie. Alles Sterbliche lebt in dieser Angst des Todes, jede neue Geburt mehrt die Angst um einen neuen Grund, denn sie mehrt das Sterbliche. Ohne Aufhören gebiert Neues der Schoß der unermüdlichen Erde, und ein jedes ist dem Tode verfallen, jedes wartet mit Furcht und Zittern auf den Tag seiner Fahrt ins Dunkel. Aber die Philosophie leugnet diese Ängste der Erde. Sie reißt über das Grab, das sich dem Fuß vor jedem Schritt auftut. Sie lässt den Leib dem Abgrund verfallen sein, aber die freie Seele flattert darüber hinweg. Dass die Angst des Todes von solcher Scheidung in Leib und Seele nichts weiß, dass sie Ich Ich Ich brüllt ... – was schert das die Philosophie.“3 Rosenzweig beansprucht nicht weniger als die Einsicht in die Notwendigkeit einer Destruktion in die Voraussetzungen des überlieferten philosophischen Denkens „von Jonien bis Jena“4, der Stadt, in der Fichte seine ersten, sich entschieden am Freiheitsprinzip entlanghangelnden Denkversuche startete. Jena steht auch für eine Ich-Phi- losophie, die sich in das Denken eines Absoluten aufhebt, in dem alle Gegensätze immer be- reits versöhnt sind. Es ist auch die Brutstätte eines Idealismus, der die Realgeschichte herab- würdigt zur Selbstwerdung Gottes und darüber zynisch gegenüber der realen menschlichen Existenz wird.

Martin Buber, Hoffnung für diese Stunde

Martin Buber sieht in einer Ansprache am 6. April 1952 in Carnegie Hall in New York die Menschenwelt in „zwei Lager aufgespalten, von denen jedes das andere als die leibhafte Falschheit und sich selber als die leibhafte Wahrheit versteht.“ Oft hätten Völkergruppen und Religionsverbände einander so radikal gegenübergestanden, dass die eine Seite die andere in deren innerster Existenz verneinte und verdammte. „Jede Seite hat das Sonnenlicht in Besitz genommen und hat die Gegenseite in Nacht getaucht, und jede Seite fordert von dir, dich zwischen Tag und Nacht zu entscheiden.“

Martin Buber sieht die Entstehung dieses grausamen und grotesken Zustands in den einfachsten Linien, „wie die drei Prinzipien der Französischen Revolution auseinandergebrochen sind. Dort waren die Abstrakta Freiheit und Gleichheit durch die kon- kretere Brüderlichkeit zusammengehalten, denn nur wenn Menschen sich als Brüder fühlen, können sie einer echten Freiheit voneinander und einer echten Gleichheit miteinander teilhaftig werden.“ Als der Brüderlichkeit der Wirklichkeitsgehalt entzogen wurde, „musste jedes der beiden übrigen sich gegen das andere etablieren, um dabei immer weiter von seiner Wahrheit abzukommen und sich immer gründlicher mit fremden Elementen, Elementen der Macht sucht und Besitzgier zu vermischen, gebläht und usurpatorisch.“5

3 Franz Rosenzweig, Der Stern der Erlösung. Mit einer Einführung von Reinhold Mayer und einer Gedenkrede von Gershom Scholem, Frankfurt a.M. 1996, 3.

4 Ebd. 13. Vgl. dazu das Nachwort von Gershom Scholem, Franz Rosenzweig und sein Buch „Der Stern der Erlö- sung“, in: ebd. 530.

5 Martin Buber, Hoffnung für diese Stunde. Ansprache vom 6. April 1952 in Carnegie Hall in New York, zitiert nach:

Dominique Bourel, Martin Buber. Was es heißt, ein Mensch zu sein. Biografie, Gütersloh 2017, 600f. vgl. auch 665.

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Papst Franziskus spricht in seiner Enzyklika „Laudato si“6 von einer universalen Gemeinschaft und Geschwisterlichkeit. Gleichgültigkeit oder die Grausamkeit gegenüber den anderen Geschöpfen dieser Welt spiegeln viel von dem wider, wie wir die anderen Menschen behandeln. Jegliche Grausamkeit gegenüber irgendeinem Geschöpf „widerspricht der Würde des Menschen.“7 Der Dialog zwischen den Religionen, mit der Wissenschaft und zwischen den Ökologiebewegungen muss „auf die Schonung der Natur, die Verteidigung der Armen und den Aufbau eines Netzes der gegenseitigen Achtung und der Geschwisterlichkeit ausgerichtet sein. Die Schwere der ökologischen Krise verlangt von uns allen, an das Gemeinwohl zu denken und auf einem Weg des Dialogs voranzugehen, der Geduld, Askese und Großherzigkeit erfordert. (Nr. 201)

Achtung und Compassion

Für Papst Franziskus ist „echte menschliche Entwicklung … moralischer Art und setzt die voll- kommene Achtung gegenüber der menschlichen Person voraus, muss aber auch auf die Welt der Natur achten und der Natur eines jeden Wesens und seiner Wechselbeziehung in einem geordneten System Rechnung tragen“.

Johann Baptist Metz sieht in der Gerechtigkeit suchenden Compassion das Schlüsselwort im Zeitalter der Globalisierung. Compassion schickt zu den politischen, sozialen und kulturellen Konflikten in der heutigen Welt. Fremdes Leid wahrzunehmen gehört zur Friedenspolitik, zur sozialen Solidarität angesichts des eskalierenden Risses zwischen Arm und Reich. Freiheit ohne Mitleid, ohne Empathie wird zur Tyrannei. Mitleid ohne Macht wird zur Verdoppelung des Unglücks. Es geht um Empathie, Einfühlungsvermögen und Offenheit, die auch an den Leiden, Ängsten, Versagen des anderen teilnehmen kann.

Auf dem Weg zu einem immer größeren Wir (Papst Franziskus)8

Papst Franziskus ruft in seiner am 6. Mai 2021 veröffentlichten Botschaft zum 107. Welttag des Migranten und Flüchtlings Thema Migranten und Flüchtlinge zu stärkerem Gemeinsinn und einem globalen Wir-Gefühl auf. „Ein verbohrter und aggressiver Nationalismus und ein radikaler Individualismus zerbröckeln oder spalten das Wir, sowohl in der Welt als auch inner- halb der Kirche.“ Gerade katholische Gläubige sollten sich „darum bemühen, dem eigenen Katholisch-Sein immer mehr gerecht zu werden“. Dieses Katholisch-Sein bedeute nämlich, so erläutert Franziskus, „eine alle umfassende Gemeinschaft in der Vielfalt“. „In der Begegnung mit der Vielfalt der Fremden, der Migranten, der Flüchtlinge und im interkulturellen Dialog, der daraus entstehen kann, haben wir die Möglichkeit, als Kirche zu wachsen und uns gegenseitig zu bereichern.“ Über die Grenzen der Kirche hinaus appelliert Franziskus an alle gutwilligen Menschen, „sich gemeinsam auf den Weg zu einem immer größeren Wir zu begeben und die Menschheitsfamilie wieder neu zusammenzubringen“. Dabei sollten sie keine Angst vor dem Fremden haben. „Die Zukunft unserer Gesellschaften ist eine ‚bunte‘ Zukunft, reich an Vielfalt und interkulturellen Beziehungen“.

+ Manfred Scheuer Bischof von Linz

6 Papst Franziskus, Enzyklika Laudato si. Über die Sorge für das gemeinsame Haus, Vatikan Juni 2015.

7 Katechismus der Katholischen Kirche Nr. 2418

8 https://www.vaticannews.va/de/papst/news/2021-05/wortlaut-papst-franziskus-botschaft-migranten-fluechtlinge- hilfe.html

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