Deutsches Ärzteblatt
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Jg. 111|
Heft 20|
16. Mai 2014 A 867 BEHANDLUNGSFEHLERSTATISTIKMehr Gutachten, weniger Fehler
Erneut haben die Medizinischen Dienste der Krankenversicherung ihre Statistik zu Behandlungsfehlern vorgelegt. Dabei wurden auch die Grenzen der vorliegenden Datensammlung umfangreich erläutert.
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twa 14 600 Gutachten bei einem vermuteten Behand- lungsfehler haben die Medizini- schen Dienste der Krankenversi- cherung (MDK) im Jahr 2013 er- stellt. Das sind circa 2 000 und da- mit 17 Prozent mehr als im Vorjahr.Die Zahl der dabei festgestellten Behandlungsfehler ist allerdings leicht gesunken. Knapp 3 700-mal kamen die Gutachterinnen und Gut- achter zu dem Ergebnis, dass ein Behandlungsfehler vorliegt (2012:
3 900-mal), also in etwa jedem vierten Fall. Bei zwei von drei die- ser Fehler befanden sie, dass diese auch kausal für den Schaden ver- antwortlich waren. Das geht aus der Statistik zur Behandlungsfehlerbe- gutachtung hervor, die der Medizi- nische Dienst aktuell in Berlin vor- gestellt hat. Sie umfasst Vorwürfe im ärztlichen, zahnärztlichen und pflegerischen Bereich.
Die meisten Vorwürfe betreffen operative Fächer
Ob die jüngsten Entwicklungen ein Trend oder eine zufällige Schwan- kung seien, bleibe abzuwarten, er- klärte Dr. med. Stefan Gronemeyer, Leitender Arzt und stellvertreten- der Geschäftsführer des Medizini- schen Dienstes des GKV-Spitzen- verbandes (MDS). Prof. Dr. med.Astrid Zobel, Leitende Ärztin So- zialmedizin des MDK Bayern, er- gänzte, dass erwartungsgemäß in den operativen Fächern die meis- ten Vorwürfe erhoben wurden – unabhängig vom Versorgungssek- tor: „So beziehen sich die meis- ten Fehlervorwürfe auf Behand- lungen in der Orthopädie und in der Unfallchirurgie, gefolgt von der Zahnmedizin. Erst dann folgen die Innere Medizin und die Gynä- kologie.“ Eine hohe Zahl an Vor- würfen bedeute aber nicht automa- tisch eine hohe Zahl an Behand-
lungsfehlern: „Über alle Fächer hinweg werden in unserer Statistik die meisten Vorwürfe in der Pflege bestätigt, gefolgt von der Zahnme- dizin. Dies entspricht dem Bild der Vorjahre.“
Zobel hob hervor, dass sich aus den Statistiken keine Rückschlüsse auf die Gesamtzahl aller Behand- lungsfehler ziehen ließen bezie- hungsweise dass nicht einzelne Fachgebiete oder Behandlungen besonders risikobehaftet seien.
„Die Dunkelziffer ist hoch, weil Fehler entweder nicht als solche zu- tage treten oder weil Patienten sich nicht dazu entschließen können, ei- nem Fehlerverdacht nachzugehen“, gab sie zu bedenken. Auch liege für viele Behandlungen keine Gesamt- zahl vor, so dass die erhobenen Da- ten nicht in Relation dazu gesetzt werden könnten. Zobel erwähnte darüber hinaus, dass auch andere Institutionen Behandlungsfehler- vorwürfen nachgehen, so die Gut- achterkommissionen und Schlich- tungsstellen der Ärztekammern.
Die zehn häufigsten ärztlichen Behandlungsanlässe bei den be - stätigten Behandlungsfehlern sind Knie- und Hüftgelenksverschleiß, Bruch des Ober- oder Unterschen- kels, Bruch des Unterarms, Deku - bitus, Rückenschmerzen, sonstige Bandscheibenschäden, Frakturen im Bereich der Schulter und des Oberarms und erworbene Deformi- täten der Finger und Zehen.
„Die Summe der Begutachtun- gen, wie sie in der MDK-Statistik zum Ausdruck kommt, ist eine unverzichtbare Quelle, damit alle Akteure im Gesundheitswesen aus diesen Vorgängen lernen“, urteilte Hardy Müller, Geschäftsführer des Aktionsbündnis Patientensicherheit e.V., das von der Bundesärztekam- mer und der Kassenärztlichen Bun- desvereinigung gefördert wird (sie-
he auch Titel „Patientensicherheit:
Viel zu tun – viel erreicht“, Heft 15/2014). Ziel sei es, aus den Da- ten und dokumentierten Fehlern zu lernen. Müller forderte den Ausbau einer „Sicherheitskultur“ in der ge- sundheitlichen Versorgung.
Bundesärztekammer:
Schäden im Promillebereich
„Angesichts von fast 700 Millionen Behandlungsfällen im ambulanten Bereich und mehr als 18 Millionen Fällen in den Kliniken jährlich bewegt sich die Zahl der festgestell- ten ärztlichen Behandlungsfehler im Promillebereich“, kommentierte der Präsident der Bundesärztekam- mer (BÄK), Prof. Dr. med. Frank Ulrich Montgomery, die Statistik.
Dies zeigten sowohl die vorgeleg- ten Zahlen als auch die jährlichen Statistiken der Gutachterkommis- sionen und Schlichtungsstellen der Ärztekammern. „Beide Erhebungen beruhen auf belastbaren Daten und unterscheiden sich damit erheblich von Veröffentlichungen der AOK, die vor einigen Monaten versucht hatte, mit Uraltschätzungen zu Be- handlungsfehlern Stimmung gegen Ärztinnen und Ärzte zu machen“, ergänzte der BÄK-Präsident.
Die Bundesärztekammer kündig- te an, Ende Juni ihre aktuelle Be- handlungsfehlerstatistik zu veröf- fentlichen. Nach ersten Analysen wurde 2013 bei knapp 8 000 Sach- entscheidungen der Gutachterkom- missionen und Schlichtungsstellen in knapp einem Drittel der Fälle ein Behandlungsfehler festgestellt.
Dieser Trend entspreche dem Ni- veau der vergangenen Jahre, eine signifikante Verschlechterung sei nicht festzustellen, hieß es.
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Sabine Rieser
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Details zur Statistik:www.aerzteblatt.de/14867