VARIA HEILBADER UND KURORTE
Mit der Heilkraft der Na- tur läßt sich gut verdienen.
Das gilt besonders für die rund 270 Heilbäder und Kur- orte in Deutschland, deren natürliche Segnungen — etwa Thermal- und Mineralquel- len — gleichzeitig einen stetig sprudelnden Geldquell dar- stellen. Um die 20 Millarden Mark beträgt der Umsatz der Kur-Branche im Jahr. Beliebt bei den Heilungssuchenden sind beispielsweise Sole- oder Meerwasserbäder, deren natürlich hoher Salzgehalt Hautkrankheiten lindern hilft. Doch ganz unverfälscht ist das Naturerlebnis Wasser auch im Kurbad nicht — je- denfalls nicht, wenn sich min- destens zwei Badegäste das gleiche Wasser teilen müssen.
Das Gesetz schreibt dann vor, Verunreinigungen dadurch unschädlich zu machen, daß Chlorgas ins Becken ge- pumpt wird.
So entstehen aber gerade in Heilbädern auch ganz un- erwünschte chemische Chlor- verbindungen: Trihalogen- methane (TMH) bilden sich auch im ganz normalen Freibad oder Hallen- Schwimmbad, vorzugsweise jedoch im Wasser von Heilbä- dern. Denn das enthält als natürlichen Bestandteil oft Bromid. Schon Chlor allein kann mit verunreinigtem Wasser THM bilden. Wenn auch noch Bromid im Spiel ist, wird es kritisch. Dr. Dieter Eichelsdörfer, pensionierter Wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Wasser-Che- mie und Chemische Balneo- logie der Universität Mün- chen, erklärt: „Bromid ist ein ganz natürlicher Bestandteil des Meerwassers. Da hat man 60 Milligramm pro Liter, und die ganzen Thermalwässer
haben zwischen ein und zehn Milligramm, das ist an sich weder schädlich noch sonst- was. Nur: wenn ich dieses Wasser chlore, habe ich einen zusätzlichen Effekt, und mit dem muß ich technologisch fertig werden."
Der Zusatz-Effekt be- steht darin, daß besonders schnell und intensiv Trihalo- genmethane gebildet werden.
Ihre bekanntesten Spiclarten sind Bromoform und Chloro- form, das früher als übelkeits- verusachendes Narkosemit- tel im Krankenhaus gefürch- tet war. Zwar muß kein Ba-
Nicht immer unbedenklich: Heilwasser
dender gleich eine Vollnarko- se durch Heilwasser befürch- ten, aber ins Gerede gekom- men sind die THM dennoch.
Die Biologin Isabel Wilke vom Kölner Umwelt-Institut Katalyse hält die akute Ge- sundheitsgefahr durch THM nicht für dramatisch. Immer- hin aber glaubt auch sie:
„Grundsätzlich bestehen bei solchen Substanzen einmal Gefahren für Leber, Niere und das Nervensystem.
Außerdem können Herz-
rhythmusstörungen, Haut- und Schleimhautschäden auf- treten."
Unklar ist, einer wie ho- hen THM-Konzentration man wie lange ausgesetzt sein muß, um diese Probleme zu bekommen. Bedenklich je- denfalls: In Heilbädern liegt die TIM-Konzentration we- gen des Bromid-Anteils im Wasser im Durchschnitt bei 700 Mikrogramm. Ein Richt- wert empfiehlt dagegen nur 20. Was von dieser Empfeh- lung zu halten ist, dazu Dieter Eichelsdörfer: „Dieser Richt- wert wird erst eingeführt mit der sogenannten Badewas- ser-Verordnung nach dem Bundesseuchengesetz. Die Verordnung liegt aber schon geschlagene 13 Jahre in den Schubladen der Ministerien und ist noch nicht durch den Bundesrat gekommen."
Das könnte am Wider- stand der Gemeinden liegen, die hohe Umbaukosten für ihre Bade-Anlage fürchten.
Mehr biome- chanische Filter-Tech- nik und we- niger Chlor, um das Ba- dewasser keimfrei zu halten, das wäre wohl die cleverste Antwort auf das Problem.
Dieter Ei- chelsdörfer:
„Es gibt eine ganze Menge von neuen Technologi- en gegen das THM-Pro- blem. Zum Teil sind es nur Ergänzungen zu bestehen- den, so daß es gar nicht so teuer werden muß. Manche Bäder kommen sicher schon mit einer Nachrüstung von 20 000 DM aus."
Nachgerüstet werden können etwa zusätzliche Ak- tivkohle-Filter. Weil das Was- ser dann aber länger braucht, um die Filter zu durchlaufen, müßte man deren Zahl er- höhen, will man nicht die Zahl der Badegäste be-
schränken. Auch deshalb schrecken noch viele Verant- wortliche vor den Investitio- nen zurück. Oliver Driesen
Kur auf einen Blick
Hinweise und Tips rund um das Thema Kur gibt der Deutsche Bäderkalender 1995, der soeben erschienen ist. Der Band richtet sich an Ärzte, Krankenkassen, ande- re Versicherungsträger und Behörden, die für Patienten nach gezielten Behandlungs- möglichkeiten suchen. Neben detaillierten Informationen zu Therapie, Prävention, Re- habilitation und Gesundheits- förderung in allen Kurorten und Heilbädern Deutsch- lands enthält das Handbuch einen Abschnitt über die wis- senschaftliche Fundierung der Kurort-Medizin. Der Deutsche Bäderkalender li- stet die Kurorte mit ihren Heilanzeigen und örtlichen Therapieformen auf. Zu be- ziehen ist der Bäderkalender 1995 über den Deutschen Bä- derverband e.V., Postfach 190147, 53037 Bonn. OD
1995: Europa- Verband
der Heilbäder
Voraussichtlich noch En- de 1995 wird der Europäische Heilbäderverband gegrün- det. Das ist das Ergebnis ei- ner vorbereitenden Sitzung mit Vertretern von Kur-Ver- bänden aus fünf Nationen in Stuttgart. Der erste Kongreß der EU-weiten Organisation soll in der ersten Jahreshälfte 1996 in Wiesbaden gehalten werden. Ziel des Verbandes ist die Vertretung der Interes- sen von Kur-Anbietern ge- genüber der Europäischen Union in Brüssel. Unter an- derem soll Einfluß auf die Harmonisierung der Gesund- heits-Gesetzgebung der 15 EU-Staaten genommen wer- den. OD
Trihalocenmethan im Heilwasser
Bedenkliche Verbindungen
Weil sie die Kosten für Investitionen scheuen,
ingnorieren viele Kurverwaltungen ein Gesundheitsrisiko
Foto: Archiv
A-1332 (72) Deutsches Ärzteblatt 92, Heft 18, 5. Mai 1995