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Archiv "Kommentar von Prof. Dr. med. Dr. agr. Bernd Fischer, Direktor des Anatomischen Instituts der Uni Halle-Wittenberg Studienplatzklagen: Desaster für Gerechtigkeit und Studienqualität" (24.04.2009)

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A802 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 106⏐⏐Heft 17⏐⏐24. April 2009

P O L I T I K

D

eutschland fehlen Ärzte. Eine der Hauptursachen für die der- zeitige Misere ist die Unterfinanzierung der Universitäten. Da es verglichen mit der Nachfrage zu wenig Medizinstudi- enplätze gibt, wurde neben dem Nume- rus clausus (NC) die Kapazitätsverord- nung (KapVO) eingeführt – mit dem Ziel, Fairness bei der Zulassung zu kapazitätsbeschränkten NC-Studien- gängen zu schaffen. Die Auslegung der

KapVO durch die Verwaltungsgerichte (VG) spricht dieser Intention Hohn. Die steigende Zahl der „erfolgreichen“ Stu- dienplatzklagen sind ein Desaster für Gerechtigkeit und Studienqualität.

Viele Kläger zahlen vor dem sechs- jährigen Studium 10 000 Euro oder mehr für einen Studienplatz, da meist an mehreren Orten gleichzeitig geklagt wird. Derzeit findet für eine kleine Grup- pe finanziell Begünstigter eine inakzep- table soziale Selektion bei der Zulas- sung zum Medizin-/Zahnmedizinstudi- um in Deutschland statt. Im Regelfall gilt folgende empirisch nachweisbare Qualifikationskette: Gute Abiturienten sind gute Studierende, und gute Stu- dierende sind gut ausgebildete Ärzte.

Es ist eine Mär, dass die eingeklagten Studierenden besonders motiviert und leistungsfähig seien. Es gibt gute und schlechte – wie bei den regulär über die ZVS zugelassenen Studierenden. Im Durchschnitt besser sind sie sicher nicht.

Gymnasiasten sind über Studien- möglichkeiten und -anforderungen in- formiert. Wieso lassen sie es trotzdem an der nötigen Verantwortung und Leis- tungsbereitschaft für ihre berufliche Zukunft mangeln? Wenn es daran fehlt, warum sollten sie dann einen Studien- platz in Medizin kriegen? Wie fühlt man sich als Kläger, der gerade die Reifeprü-

fung bestanden hat, wenn man durch die finanziellen Vorteile des Elternhau- ses mehr „Rechte“ einfordert, als das nicht so vermögende Schulfreunde kön- nen? Zwei Drittel der Kläger sollen Arzt- kinder sein. Warum reicht gerade bei diesen der Abiturschnitt nicht zum Me- dizinstudium, also bei Kindern einer Gruppe, die sich nach ihrem Selbstver- ständnis zu den leistungsbereitesten Berufsgruppen in diesem Land zählt?

Die Auslegung der KapVO durch die VG in Deutschland ist beliebig und ge- radezu ein Geldsegen für die speziali- sierten Anwälte. Nicht besetzte Stellen oder Drittmittelangestellte zählen zum Beispiel als vollwertige Lehrende. Die VG malen Potemkinsche Dörfer. Nicht selten werden die Entscheidungen der VG von den Oberverwaltungsgerichten (OVG) revidiert. Nur: Einmal zugelasse- ne Studierende werden die medizini- schen Fakultäten meist nicht mehr los.

Die KapVO-Verfahren haben zu ei- ner deutlichen Verschlechterung der Studienbedingungen in der Medizin und Zahnmedizin geführt. Die Fakultä- ten sind gezwungen, das Lehrangebot auf das curriculare Mindestmaß zu re- duzieren. Höhere Personalausstattun- gen sind finanziell nicht möglich und verbieten sich von selbst, weil mehr Personal umgehend die Kapazität und somit die Anzahl der Studierenden er- höht. Preis der schlechteren Lehre ist eine höhere Durchfallrate bei den stu- dienbegleitenden Leistungskontrollen.

Die relativ kleine Gruppe der Klä- ger verwüstet die Studienbedingungen.

Die Fakultäten sollen die Studienqua- lität verbessern, beispielsweise durch innovative Lehrverfahren, Evaluation und leistungsorientierte Mittelvergabe aufgrund von exzellenter Lehre. Aber

eine Welle von Anfragen der VG und Anwälte halten nicht nur zu Semester- beginn die Studiendekanate und die halbe Professorenschaft der Vorklinik in Atem und vernichten Arbeitszeit.

Die Anatomie hat ein beängstigen- des Nachwuchsproblem. Ein Teil dieses Problems sind die VG-Entscheidungen.

Lehrende, insbesondere qualifizierte Lehrende mit ausreichenden Erfahrun- gen, sind nicht beliebig verfügbar. Die

Dozenten der Anatomie machen wegen der Studienplatzkläger mehr Lehrver- anstaltungen, als es gültige Arbeitsver- träge und Arbeitszeitregelungen vorse- hen. Eine Überlast an Lehre führt je- doch zu weniger Forschung und Publi- kationen. Welcher Mediziner verläuft sich unter solchen Rahmenbedingun- gen noch in die Anatomie?

Warum wird der Gesetzgeber nicht aktiv und schützt die Universitäten? Die Auslegung durch die VG/OVG hat die derzeitige KapVO als unbrauchbar und ungerecht entlarvt. Die starre, stellen- bezogene KapVO ist in Zeiten von Glo- balbudgets nicht mehr zeitgemäß. Das Grundrecht auf freie Berufswahl wird missbraucht für Kinder finanzstarker Eltern, deren schulische Leistungen für die Zulassung nicht ausreichen. Das Zulassungsrecht zu kapazitätsbe- schränkten Studiengängen muss schnellstmöglich erneuert werden. Die Novellierung muss zu leistungsgerech- ten und gerichtsfesten Zulassungsver- fahren nach Abiturnote und Interview oder fakultätsspezifischen Test führen – wie es in angelsächsischen Ländern mit Erfolg praktiziert wird.

Abschließend: Wir wissen nicht, wer in Halle wie zum Studium zugelassen wurde. Alle Studierenden werden von uns gleich gut ausgebildet. I STUDIENPLATZKLAGEN

Desaster für Gerechtigkeit und Studienqualität

KOMMENTAR

Prof. Dr. med. Dr. agr. Bernd Fischer, Direktor des Anatomischen Instituts der Uni Halle-Wittenberg

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