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Tilmann Lahme. Golo Mann: Biographie. Frankfurt am Main: S. Fischer, S., 50 Abb. ISBN

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Tilmann Lahme. Golo Mann: Biographie. Frankfurt am Main: S. Fischer, 2009. 551 S., 50 Abb. ISBN 978-3-10-043200-1.

Golo Mann. "Man muss über sich selbst schreiben": Erzählungen, Familienporträts, Essays. Hrsg. von Tilmann Lahme. Mit einem Nachwort von Hans- Martin Gauger. Frankfurt am Main: S. Fischer, 2009. 275 S. , , ISBN 978-3-10-047915-0.

Reviewed by Daniel Fulda

Published on H-Soz-u-Kult (April, 2010)

Biographien sind seit einiger Zeit wieder sa‐

tisfaktionsfähig in der Geschichtswissenschaft.

Für die Frage, was sie leisten können, scheint die Biographie eines Historikers besonders auf‐

schlussreich, der seinerseits berühmt ist, aber auch umstritten war für seine biographischen Bü‐

cher und Studien. Eine Biographie über Golo Mann (1909–1994) zu schreiben heißt dement‐

sprechend, eine Reflexion des eigenen Unterneh‐

mens schon im Gegenstand vorzufinden, und ruft Maßstäbe auf, die Hilfe und Belastung zugleich sein können. Denn Mann gilt, wie eine Gedenk‐

briefmarke im vergangenen Jahr noch einmal un‐

terstrich, als literarisch überzeugendster deut‐

scher Historiker des 20. Jahrhunderts. Ursprüng‐

lich leitete sich dieser Ruhm zwar nicht in erster

Linie von seinen biographischen Studien her; zu einer vielgefragten öffentlichen Person wurde Golo Mann vielmehr durch seine „Deutsche Ge‐

schichte des 19. und 20. Jahrhunderts“ von 1958, die in einer damals ungewohnten Weise national‐

kritisch war. Biographisch angelegt ist jedoch so‐

wohl Manns erstes Buch über Friedrich von Gentz (engl. 1946, dt. 1947) als auch sein opus magnum

„Wallenstein“ von 1971, von seinen vielen Essays zu schweigen. Was man sich an Manns Historio‐

graphie leichter klarmachen kann als an den Ar‐

beiten der meisten anderen Historiker, ist nicht zuletzt die Wechselwirkung zwischen Geschichts‐

bild und Deutung der jeweils dargestellten Ge‐

schichte einerseits und dem gebrauchten Stil an‐

dererseits, von der Erzählperspektive über die Be‐

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grifflichkeit oder Metaphern bis zum Satzbau.

„Wallenstein“ hat nicht nur dadurch eine literari‐

sche Seite, dass das Buch eine – als solche deutlich gekennzeichnete – fiktionale Passage mit den

„Nachtgedanken“ des Generals als innerem Mono‐

log enthält, sondern viel grundlegender, weil es die „Bedeutung der Form“ (Hayden White) be‐

wusst einsetzt und kultiviert.

Für Tilmann Lahmes Golo-Mann-Biographie spielen solche Gesichtspunkte kaum eine Rolle – weder als Problem, das den Porträtierten umtrieb und das dessen Biograph auseinanderzulegen hät‐

te, noch als Problem, das sich ebenso Lahme selbst stellt, wenn er Historiographie als Biogra‐

phie betreibt. Zwar handelt es sich um eine ge‐

schichtswissenschaftliche Dissertation, die 2006/07 in Kiel angenommen wurde (welche Teile gekürzt und welche hinzugefügt wurden, wie es in der Danksagung heißt, wüsste man gerne).

Doch Lahmes Biographie ist nicht für andere His‐

toriker geschrieben, geschweige denn für Theore‐

tiker oder Historiker der Historiographie, sondern fürs breitere Publikum, das sich zumal anlässlich des 100. Geburtstags 2009 an einen früher wahr‐

scheinlich selbst gelesenen Autor erinnern lassen mag. Diese Aufgabe erfüllt das gut fünfhundert‐

seitige Buch sehr gut, wie die zahlreichen zustim‐

menden Rezensionen in Presse und Publizistik des vergangenen Jahres zeigen. Und es leistet da‐

bei Erhebliches, auch wenn es sich nicht, wie im Vorwort suggeriert, um die erste Biographie auf der reichen Materialgrundlage des – von Lahme und Kathrin Lüssi unlängst edierten Golo Mann, Briefe 1932–1992. Hrsg. von Tilmann Lahme und Kathrin Lüssi, Göttingen 2006 (rezensiert von Hol‐

ger Stunz: <http://hsozkult.geschichte.hu-ber‐

lin.de/rezensionen/2007-1-081>). – Briefwechsels Golo Manns und, wichtiger noch, seiner vom Schweizerischen Literaturarchiv in Bern aufbe‐

wahrten Tagebücher handelt. (Beides hat auch schon Urs Bitterli in seiner 2004 erschienenen Biographie benutzt, die ähnlich zugeschnitten ist, aber etwas umständlich und stilistisch altväte‐

risch daherkommt. Urs Bitterli, Golo Mann – In‐

stanz und Außenseiter. Eine Biographie, Hamburg 2004 (rezensiert von Holger Stunz: <http://hsoz‐

kult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/

2004-2-079>). )

Lahme geht auf die – durchaus belastende – familiäre Herkunft ebenso ein wie auf Golo Manns Kampf um ein eigenständiges, nämlich auf Philosophie und Historie gegründetes intellektuel‐

les Profil samt zunächst sozialistischer Politisie‐

rung, er schildert die Erfahrungen des Exils eben‐

so plastisch wie die Reserve, die der Remigrant zeitlebens gegenüber Deutschland und den Deut‐

schen bewahrte, er lobt Manns publizistisches En‐

gagement für eine neue Ostpolitik bereits in den 1960er-Jahren und zeichnet den Wandel vom Par‐

teigänger Willy Brandts zum merkwürdig unge‐

schickten Unterstützer des Kanzlerkandidaten Franz Josef Strauß nach. Dies alles wird quellen‐

nah und mit – bisweilen übermäßig – vielen Zita‐

ten des Porträtierten dargestellt, sympathetisch, aber nicht distanzlos, recherchestark und daher hochinformativ, gut gegliedert – das heißt nicht zu streng chronologisch – und gut zu lesen sowie mit allermeist differenzierten und abgewogenen Urteilen versehen. Was will man mehr!

Lahme selbst wollte vor allem dadurch über das etablierte Bild und speziell über Bitterlis Bio‐

graphie hinauskommen, dass er Manns Homose‐

xualität offen anspricht und nachweist, dass diese nicht ganz so unausgelebt blieb, wie es Mann sug‐

gerierte. Das ist nicht als Indiskretion, sondern als Anerkennung zu verstehen: Homosexuelle oder erotische Neigungen und Beziehungen ähnlich ex‐

akt darzustellen (mit Fotos im recht umfangrei‐

chen Bildteil), wie es bei Ehepartnern üblich ist, heißt, sie als ‚normal’ auszuweisen – jedenfalls aus heutiger Sicht, denn Lahme zeigt ebenso auf, dass die Diskriminierung Homosexueller einen wichtigen Faktor für die Selbstwahrnehmung Golo Manns als Außenseiter bildete. Anderes war gleichfalls geeignet, ein Außenseiterbewusstsein in ihm Raum greifen zu lassen, von der offenen Zurücksetzung gegenüber den Geschwistern

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durch den Vater und die Härte der Mutter über das Nachkriegs-Misstrauen gegen den Remigran‐

ten bis zu den Angriffen linker Mandarine oder zeitgemäßer wirkender Historiker (Horkheimer/

Adorno anlässlich einer gescheiterten Berufung nach Frankfurt, später Wehlers ebenso böses wie unverständiges Wort vom „Goldrähmchenerzäh‐

ler“) und die Befremdung, die seine Parteinahme für Strauß auslöste. Die Folgen reichten bis zu De‐

pressionen, Tabletten- und Alkoholabhängigkeit.

Manns Außenseiterbewusstsein trotz aller Er‐

folge bildet sogar, jedenfalls mehr als alles ande‐

re, den roten Faden, mit dem Lahme seine Biogra‐

phie zusammenhält. Golo Mann erscheint in die‐

sem Buch durchaus auch als homo politicus und als Schriftsteller – weniger als Wissenschaftler –, vor allem aber lernt ihn der Leser als psychisch Belasteten kennen, der mit sich und seinen Mit‐

menschen niemals ganz im Reinen war. Damit lässt sich vieles überzeugend erklären und plausi‐

bel zusammenbinden. Doch birgt diese Perspekti‐

venwahl auch die Gefahr einer einseitigen Sub‐

jektzentrierung. Dazu verführen schon die von Lahme ausführlich zitierten Tagebücher und Brie‐

fe. In ihnen stellt sich alles ‚äußere’ Geschehen so‐

gleich in seinen Wirkungen auf Manns ‚Inneres’

dar, und Lahme tut wenig, um durch andere Per‐

spektiven und Fragestellungen Gegengewichte zu schaffen. Golo Mann stand – das wird keineswegs übergangen – in Kontakt mit vielen Exilanten so‐

wie zahlreichen wichtigen Intellektuellen und Po‐

litikern der Bundesrepublik, und zwar nicht bloß eines Lagers. Sie werden jeweils kurz vorgestellt, aber nicht in einen Zusammenhang gebracht, der über ihren Bezug zur Zentralfigur hinausreichte.

Die Gelegenheit, mit dieser Biographie zugleich eine politisch-intellektuelle Geschichte der Zeit zwischen 1930 oder 1950 und 1990 zu schreiben, hat Lahme nicht ergriffen. Ihn interessiert das Persönliche, nicht das Symptomatische. Dass sich beides nicht ausschließen muss, zeigen Manns Biographien; so enthält der „Wallenstein“ im Grunde zugleich eine Geschichte und Vorge‐

schichte des Dreißigjährigen Krieges. Demgegen‐

über fällt mit Blick auf Lahmes Biographie noch einmal auf, dass sie die Geschichtsschreibung des Porträtierten nicht als Herausforderung zur Klä‐

rung ihrer eigenen Maßstäbe nutzt.

Zugespitzt: Mit Manns Homosexualität bringt Lahme an die Öffentlichkeit, was der Protagonist selbst im Diskreten hielt (bis zur Revision des § 175 von 1969 gezwungenermaßen), während er das, wofür Golo Mann öffentlich stritt, letztlich aus dessen persönlichem Blickwinkel behandelt.

Auch hier lässt sich nach dem Verhältnis von Per‐

sönlichem und Symptomatik fragen: Handelt es sich um eine ganz persönliche Schwerpunktset‐

zung des Historikers Lahme, oder darf man darin ein Symptom sehen für die Haltung unserer Ge‐

genwart gegenüber einem Autor, den viele noch als Zeitgenossen erlebt haben? Darüber lassen sich an solcher Stelle natürlich nur Vermutungen anstellen. Was aber hieße es, wenn Lahmes Bio‐

graphie ein Symptom wäre? Sie wiese auf eine Tendenz, die scharfen Konflikte der jüngsten Ver‐

gangenheit auf sich beruhen zu lassen, das heißt sie weder fortzuführen noch womöglich selbstkri‐

tisch aufzuarbeiten, und auch keine neue Position zu beziehen. Zum Streit zwischen Mann und Weh‐

ler beispielsweise enthält Lahme sich des Urteils, mit Blick auf Manns Eintreten für Strauß wieder‐

holt er, gemildert, das schon seinerzeitige Kopf‐

schütteln des Juste-milieu. Darüber hinaus wiese seine Biographie auf eine Tendenz, durch den do‐

minanten Bezug auf (vordergründig) Persönli‐

ches, Individuelles oder Familiäres, in das man

‚niemandem hineinreden kann’, die politischen oder wissenschaftlichen Fragen hintanzustellen, die des öffentlichen Streites bedürfen. Wahr‐

scheinlich ist diese Strategie besonders gut geeig‐

net, sei sie bewusst oder unbewusst gewählt, um für die Biographie eines Autors, der zu Lebzeiten streitbar und umstritten war, ein großes Publi‐

kum zu gewinnen. Es werden dadurch aber auch reichlich (Selbst-)Erkenntnischancen ausgeschla‐

gen. Nötig wäre dies nicht gewesen, denn dass der Geschichtsschreiber über die Gewinnung des Per‐

sönlichen oder Individuellen keineswegs das Ty‐

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pische oder Strukturelle verloren geben muss, lässt sich gerade von Golo Mann lernen.

Zeitgleich ist, ebenfalls von Tilmann Lahme herausgegeben, ein Band mit „Erzählungen, Fami‐

lienporträts, Essays“ von Golo Mann erschienen.

Gut ein Drittel der Texte war bisher unveröffent‐

licht, darunter Radioreden aus der letzten Kriegs‐

phase sowie vier sehr kurze Erzählungen, die, et‐

was überraschend, nicht aus Manns Jugendzeit, sondern aus den 1960er-Jahren stammen. Ande‐

res wurde bereits mehrfach gedruckt. Irritierend ist Lahmes nicht weiter erläuterte Angabe, er habe die literarischen Skizzen „sanft redigiert und von offensichtlichen Fehlern bereinigt“

(S. 12) – je nachdem, was damit gemeint ist, ein philologisch problematisches bis unhaltbares Ver‐

fahren. Die politischen Essays unter anderem über Kennedy, Brandt und de Gaulle lassen den heute konsensfähigen Golo Mann erneut zu Wort kommen, während die Porträts an das nach wie vor kräftige Publikumsinteresse für die Familie Mann appellieren. In einer gewissen Spannung steht der Nach- bzw. teilweise auch Neudruck der letztgenannten Texte freilich zu Lahmes richti‐

gem Hinweis, Golo Mann habe anhaltend darun‐

ter gelitten, meist mehr als Sohn denn als er selbst wahrgenommen zu werden.

So bequem es die Zusammenstellung dieses Bandes dem Leser macht: Wer noch nicht viel von Golo Mann kennt, sollte seine Lektüre eher mit den großen Werken oder der Essaysammlung

„Zeiten und Figuren“ beginnen. Lahmes Biogra‐

phie kann dann sehr gut bei der lebensgeschicht‐

lichen Einordnung helfen. Obschon sie noch viel Raum lässt für weitere, schärfer fragende For‐

schungen, ist sie zweifellos die beste Golo-Mann- Studie, die bislang vorliegt: Als Quellenerschlie‐

ßung wie als Darstellung eine große Leistung, trifft sie den rechten Ton, um heutige Leser für ih‐

ren unheldischen Helden zu interessieren.

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Citation: Daniel Fulda. Review of Lahme, Tilmann. Golo Mann: Biographie. ; Mann, Golo. &quot;Man muss über sich selbst schreiben&quot;: Erzählungen, Familienporträts, Essays. Hrsg. von Tilmann Lahme. Mit einem Nachwort von Hans-Martin Gauger. H-Soz-u-Kult, H-Net Reviews. April, 2010.

URL: https://www.h-net.org/reviews/showrev.php?id=30199

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