• Keine Ergebnisse gefunden

DIE DRITTE ART DER VERSUCHUNG

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "DIE DRITTE ART DER VERSUCHUNG"

Copied!
6
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

D

IE DRITTE

A

RT DER

V

ERSUCHUNG

Zu Beginn des zweiten Semesters in München wartete ich einmal auf die U-Bahn. Da traten zwei Jugendliche auf mich zu und fragten:

Verzeihen Sie, haben Sie Interesse an einem Bibelkreis? Natürlich habe ich Interesse, sagte ich, leitete ich doch selber einen. Sie gaben mir eine Adresse und wir verabschiedeten uns.

In der Wohnung angekommen, fand ich eine ganze Reihe anderer Jugendlicher vor, keinen älter als fünfunddreißig, die meisten aber um die zwanzig, darunter auch die beiden, die mich eingeladen hatten. Man unterhielt sich ein wenig, und dann begann der Bibel- kreis. Leicht fundamentalistisch angehaucht, aber besser als gar keiner, dachte ich mir. Der Leiter und seine Frau sprachen mit einem amerikanischen Akzent. Nach dem Kreis wurde noch Kuchen he- rumgereicht und der Bibelkreis ging in ein zwangloses Gespräch über. Die beiden, die mich angesprochen hatten, setzten sich zu mir und fragten, wie es mir denn gefallen habe. Nach einigem hin und her fragten sie: Hast du nicht Interesse an einem weiterführenden Kreis. Ich sagte ja, denn ich wollte jetzt wissen, was die Gemeinde Jesu Christi in München war.

Wir trafen uns im Hause eines dieser beiden jungen Männer. Wir begannen mit einem Gebet und lasen dann in der Bibel. Wie ich bald merkte, nach einem "bestimmten Fahrplan". Sie zeigten mir, welche Schattierungen Jesus alle gehabt hatte, zornig, liebend, traurig, weinend, fröhlich, feiernd und und und. Sie rannten bei mir offene Türen ein. Normalerweise reden sie mit Suchenden, die von ihren traditionellen Gemeinden nicht die Möglichkeit für Glaubensgesprä- che erhalten, die aber auch noch nicht viel in der Schrift gelesen hatten. Bei dieser Art von Gespräch kommt heraus, daß sie einem das eingeengte Jesusbild vorführen, das die meisten U-Bootchristen haben dürften, die nur an den Feiertagen auftauchen. Dann sagten sie: Siehst du, dieses eingeengte Bild von Jesus hat dir deine Kirche gegeben. Aha, denkt sich dann der Unerfahrene, diese schlimmen Buben. Dann fuhren sie fort: Das liegt daran, daß es gar nicht die richtige Kirche ist, denn das kann nur eine sein und die muß die ganze Wahrheit vertreten. Die katholische oder evangelische kann

(2)

es aber nicht sein, denn in der Schrift steht überall, daß die Men- schen die Botschaft Gottes hörten, sich bekehrten und sich dann taufen ließen. Eure Kirche aber tauft sogar Säuglinge. Das ist ein selbstgemachtes Evangelium, denn was nicht in der Bibel steht, ist kein Wort Gottes, sondern Menschenwort. Wir interpretieren die Bibel nicht, wie alle anderen. Wir lesen, was da steht. Wer sich aber nicht taufen läßt, kommt in die Hölle. Laß dich taufen, damit du nicht verloren bist!

Was ich hier ein wenig ironisierend, aber keineswegs verfälschend wiedergegeben habe, ist in Wirklichkeit ein Drama. Wenn ein unsi- cherer Suchender von zwei Leuten so in die Zange genommen wird, noch dazu ohne Kenntnis der Bibel, dann kippt er um und läßt sich aus lauter Angst vor der Verdammnis oder weil es ja nicht schaden kann taufen. Ich kannte ein katholisches Mädchen, das sich auf diese Gruppe (Boston Church of Christ) eingelassen hatte. Sie wurde bedrängt sich taufen zu lassen. Die Gruppe ließ nicht mehr ab von ihr und fragte, warum sie denn nicht mehr käme. Die Zweifel, die sie hätte, seien ganz normale Anfechtungen des Satans. Sie müsse nur im Herzen glauben und mit der Zunge bekennen, Jesus Christus ist der Herr.

Viele stehen ratlos vor solchen Gruppen. Es stimmt doch, Jesus Christus ist doch der Herr. Es ist doch gut, sich um den Nächsten zu kümmern, Gemeinschaft zu pflegen. Es ist doch richtig, daß Christ- sein meine Umkehr zu Jesus voraussetzt. Und die Menschen in so einer Gruppe wollen mich doch auch nicht hinterlistig einwickeln, sondern sie glauben doch, daß sie richtig glauben, ja sie geben doch auch finanziell und zeitlich mindestens den Zehnten.

Und hier eben steckt der Irrtum. Glauben scheint in solchen evange- likalen Gruppen zu heißen, daß ich einen Satz, eine Anhäufung von Wörtern, für wahr halte. Nur das ist kein Glaube im christlichen Sinne. Der Glaube, den uns Christus gebracht hat, macht uns frei.

Ich glaube nicht, daß Gott ist, sondern ich vertraue Ihm. Diese Beziehung wird mein Leben prägen. Gott hat uns fähig gemacht, Diener des Neuen Bundes zu sein, nicht des Buchstabens, sondern des Geistes. Denn der Buchstabe tötet, der Geist aber macht leben-

(3)

dig (2 Kor 3.6). Wie sieht aber die Freiheit aus, zu der uns Christus befreit hat, was ist dieser Glaube? Die Antwort ist in der Frage schon enthalten. Doch möchte ich zuvor noch den Irrtum oder besser gesagt, die Sünde solcher Sekten ganz klar machen.

Sie sagen ja, daß jeder Zweifel an meinem Glauben schon ein An- griff Satans sei. Das ist falsch. Fragen und Zweifel sind auf dem Weg des Glaubens normal und wichtig. Denn sie werden mir nicht aufzeigen, daß mein Glaube falsch ist, sondern daß an meinem Glauben etwas falsch, Aberglaube ist. Wenn ich etwas an meinem Glauben nicht verstehe, bin ich gehalten, ja ist es sogar geboten, mir Klarheit zu verschaffen. Denn unser Verstand ist eine Gnadengabe (Charisma) Gottes. Dieses Geschenk dürfen wir nicht geringachten.

Gott verschenkt keinen unnützen Schrott. Wenn ich meine, mein Verstand gefährde meinen Glauben, bin ich schon der dritten Art der Versuchung erlegen.

Die Versuchung zur Sünde hört auf Erden niemals auf. Auch Gott zugewandte Menschen werden versucht. Alle Sünde aber entspringt der Unmäßigkeit der Menschen, der Störung in seiner Beziehung zu Gott und den Menschen.

Das wird am deutlichsten bei der ERSTEN ART DER VERSUCHUNG. Sie besteht darin, die Grundtriebe des Menschen vom Menschen zu trennen. Das unmäßige Essen und Trinken (zuviel oder zuwenig), eine von der Partnerschaft getrennte Sexualität (Mensch als Kon- sumobjekt oder verklemmt), die Überheblichkeit des Geistes (Hof- fart), der glaubt, sich selbst vervollkommnen zu können, das Streben nach Geld und Macht um ihrer selbst willen usw. Die Folge ist Abhängigkeit. Mein Leben wird von meinen Trieben bestimmt.

Diese Versuchung ist aber für Christen "nicht so" gefährlich, weil sie klar zu erkennen ist und das Gewissen darauf doch recht schnell antwortet: das ist böse und unerlaubt, oder das ist gut. Ein klares Nein wirkt meist Wunder. Thomas von Kempen schreibt in der NACHFOLGE CHRISTI: Der Widerstand gegen die Leidenschaften, nicht das Nachgeben verschafft wahren Herzensfrieden. (I.6)

(4)

Die ZWEITE ART DER VERSUCHUNG* ist schwieriger zu erkennen und bei Menschen, die auf dem Weg zu Gott sind, wahrscheinlich der häufigste Anlaß zur Sünde. Viele unserer Handlungen sind eigentlich weder gut noch böse. Es ist moralisch unwichtig, ob ich morgens Erdbeer- oder Kiwimarmelade esse. Doch viele unserer Handlungen unterstützen Strukturen, die eigentlich böse sind. Ob ich nun Kaffee trinke, den ich immer kaufe, weil er billig ist, oder ob ich Kaffee trinke, für den die Kaffeebauern einen fairen Preis erhalten (Kaffee mit dem Transfairsiegel), ist nicht mehr so moralisch wert- frei. Hier geht es darum zu sehen, welche Folgen meine Handlungen haben. Bei dieser zweiten Art der Versuchung geht es letztlich darum, ob ich gedankenlos aus den Strukturen dieser Welt das für mich scheinbar Beste heraushole, oder ob ich gewillt bin, mich durch Jesus von der Ursünde - das sind z.B. Strukturen dieser Welt, die mich immer wieder zum Sündigen verleiten - befreien zu lassen.

Mit einiger Übung kann man durch Gewissenserforschung, Beichte und Gebet ein wacheres Gespür für diese Art der Versuchung be- kommen.

Ganz hinterhältig aber ist die DRITTE ART DER VERSUCHUNG. Men- schen, die einmal Gott erfahren haben, werden sich auf den Weg machen, ganz für ihn zu leben. Ob sie nun im Büro irgendwelche Berichte abtippen, an der Uni lehren oder lernen, ob sie den Haus- halt führen und die Kinder erziehen, das alles soll von der Liebe zu Christus durchdrungen, soll Salz der Welt sein. Und jetzt setzt die

DRITTE ART DER VERSUCHUNG ein. Der Versucher merkt, wie all mein Streben darauf ausgerichtet ist, Gott zu lieben und ihm zu dienen. Ich werde natürlich dieser neu gewonnenen Beziehung irgendeinen Ausdruck verleihen wollen. Es ist wie ein Verliebt sein.

Ich tue alles, wovon ich denke, daß es der Geliebten gefällt; für meinen Nächsten da sein, nur von Gott reden, auf unnötigen Luxus verzichten, nichts scheint mir zu schwer. Jede Aufgabe ist, als holte ich meine Freundin an einem schönen Sonnentage mit einem offe- nen Cabriolet ab und führe dabei durch eine herrliche geschwungene Landschaft. Doch ach, das Wetter kühlt ab. Ich muß das Verdeck schließen. Ich bin in der Stadt. Es beginnt kalt zu regnen, und ich sitze auf dem Fahrrad und fahre zur Arbeit.

(5)

Jedes Verliebtsein, auch auf Gott hin, ist eine (schöne) Täuschung.

Sie endet mit der Ent-täuschung; entweder zur Liebe oder zur Tren- nung. Im "Gotteswahn" kann ich mir Sachen vornehmen, die ich für Gott tun will, die mich überfordern, die Er auch nicht will. Ich habe den richtigen Weg erkannt und eingeschlagen, überfordere mich aber mit meinem Tempo. Das kann so weit gehen, daß ich zweifele, ob mein Weg überhaupt der richtige war. Im Bild ausgedrückt: Der Teufel jagt mich in die richtige Richtung bis ich nicht mehr kann und aufgebe. Beispiele dafür sind auch bekannt:

Menschen, die nur für andere da sind, lieben die anderen nicht, da sie keine Zeit haben, sich selbst zu lieben.

Menschen, deren Mund beim Lobpreis überschwillt, obwohl das Herz gerade leer ist, plappern wie die Heiden. Der wahre Lobpreis aber entsteht im Herzen, wie bei Samuel, wenn er sagt: "Rede Herr, Dein Diener hört." Denn wovon das Herz voll ist, davon redet der Mund - mit Worten oder ohne sie.

Die Menschen, in der von mir beschriebenen Gruppe, wollten sicher etwas Gutes, das Evangelium verkünden. Aber im Über- schwang haben sie sich durch das Wort Gottes (den Buchstaben) das Wort Gottes (den Inhalt, der zur Freiheit führt) versperrt.

Ich denke, ich brauche nichts weiter aufzulisten. Sie werden die Liste sicher weiterführen können. Überwinden läßt sich diese Versu- chung mit denselben Mitteln wie bei der zweiten: Gewissenserfor- schung, Beichte und Gebet. Außerdem gilt die uralte Regel: Fälle keine wichtige Lebensentscheidung, wenn du in einer Hochstimmung bist oder wenn du Gottesferne leidest. Fragen und Zweifel am Glau- ben und an den Leitern der Kreise sind nicht immer vom Feind, sondern meistens dazu da, eine Stelle des Irr- und Aberglaubens bei mir aufzuweisen, um mich zu einem tieferen Glauben, einer tieferen Freiheit zu führen, oder einen wirklichen Mißstand aufzuweisen, den Gott nicht will. Nur wo Spott, Zynismus am Werke sind, ist das ganz sicher nicht der Geist Gottes. Aber mit den obengenannten Mitteln lassen sich die wirkenden Geister auseinanderhalten. Diese Mittel führen denn auch zur wahren Erkenntnis meiner Niedrigkeit und der großen Herrlichkeit Gottes. Die Tradition nennt diese Herzens- erkenntnis die wahre Demut. Die Liebe aber, die uns zu dieser Erkenntnis befähigt, entspringt einer Erfahrung: Dieser so große und

(6)

so mächtige Gott liebt mich trotz meiner Niedrigkeit so sehr, daß Er seinen einzigen Sohn für mich hingegeben hat. Die wahre Demut und die vollkommene Liebe zu erlangen, ist aber ein Prozeß, der hier auf Erden nicht abgeschlossen, sondern nur erstrebt werden kann.

Adrian Kunert SJ Erschienen: Rundbrief für die charismatische Erneuerung in der Katholischen Kirche 4/1994 (Dezember); S. 29-31.

HG: Kommunikationsdienst für die Charismatische Erneuerung in der Katholischen Kirche. Innstr. 16; 94932 Passau.

*klassisch ist die ZWEITE ART DER VERSUCHUNG die Versuchung unter dem Schein des Guten. Ich tue etwas Gutes, was mich aber eigentlich von dem Guten abringt, das ich tun soll. Im schlimmsten Fall tue ich es überhaupt nicht, im Normalfall unter so vielem ande- ren Guten, dass bei nichts etwas herauskommt. (Ergänzung 2011)

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Obwohl sie das Virus nur in Schach halten, aber nicht eliminieren kann, haben viele Betroffene durch diese hochaktive antiretrovirale Therapie (HAART) heute eine fast

Laut Teilhabebericht des Bundes erlangen Menschen mit Beeinträchtigungen seltener einen (hohen) Schulabschluss: 2017 hatten in Deutschland unter den 20- bis 64-jährigen Menschen

(…) Juste parce qu’ils n’espèrent rien d’autre pour se nourrir et s’enrichir.» 45 Franck esquisse l’image d’un monde hypocrite en matière religieuse,

Auch hat sich im Zuge der Einrichtung von 17 Schülerhäusern gezeigt, dass das Verfahren je Schule ganz individuell angegangen werden muss und sich als sehr viel aufwändiger

Im Abschnitt 2.1 (Bebauung) der Begründung Teil 1 werden zwei Elektrolyseure mit einer maximalen elektrischen Leistung von insge- samt 1,3 MW beschrieben. Die beiden

Kennzeichnung der ruhigen Gebiete keine Rechtsverbindlichkeit.. Das Potential ist der Stadt Bottrop bekannt und soll auch im Lärmaktionsplan der 4. Stufe noch weiteren

Die Angst enttäuscht zu werden, wenn du dich einem anderen Menschen öffnest.. Angst in die Armut zu rutschen, wenn du aus dem Hamsterrad springst und versuchst eigene Wege

In Stuttgart stellt sich darüber hinaus die Aufgabe, die bereits bestehende Strukturen und freiwillige Leistungen (Stuttgarter Netze für alle Kinder, Bonuscard, Familiencard) auf