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Deutsche Außenpolitik 1890 bis 1902

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Geschichtsschreibung im 20. Jahr- hundert. Neuzeithistoriographie und Geschichtsdenken im west- lichen Europa und in den USA.

Hrsg. von Gerhard Lozek, Ber- lin: Fides 1998, 488 S. (= Analy- sen und Bausteine), DM 58,80 [ISBN 3-931363-08-2]

Wenn der Leser dieses Buch zur Hand nimmt, sollte er berücksichtigen, daß das Buchmanuskript bereits in der zwei- ten Hälfte der achtziger Jahre entstan- den ist. Absicht des Herausgebers und der Autoren war damals, ein Standard- werk für die historiographiegeschicht- liche Forschung, Lehre und Propagan- da in der DDR über die Geschichts- schreibung in den westlichen Ländern anzubieten. Es widerspiegelt daher bis zu einem gewissen Grad den damals er- reichten Leistungsstand der dann zu- mindest institutionell abgewickelten Geschichtswissenschaft der DDR. Mit deren Untergang scheiterte zunächst auch die beabsichtigte Veröffentlichung.

Der Herausgeber war durch eine Vielzahl einschlägiger Publikationen und durch sein Auftreten auf Interna- tionalen Historikerkongressen und wis- senschaftlichen Konferenzen bekannt.

Zahlreiche Fachkollegen anerkannten die wissenschaftlichen Leistungen Ger- hard Lozeks, auch wenn sie dessen Standpunkte im einzelnen nicht zu tei- len vermochten. Einige von ihnen, so- wohl aus den alten Bundesländern wie aus den USA, die vom Manuskript Kenntnis erhalten hatten, bedauerten, daß das Buch nicht erscheinen konnte, denn es war unverkennbar, daß die Au- toren einen wichtigen Schritt zu einer sachlicheren Bewertung der Arbeitser- gebnisse ihrer westlichen Widerparts, die man mehr und mehr als Fachkolle- gen respektierte, getan hatten. Von ei- ner früher oft negierenden, meist nur politisch-ideologisch geprägten Aus-

einandersetzung mit der sogenannten bürgerlichen Historiographie wurde nunmehr versucht, die Geschichts- schreibung in einigen europäischen Ländern und in den USA einer kriti- schen marxistischen Analyse zu unter- ziehen.

Ein solches in der Historiographie relativ seltenes, weil weitgespanntes Werk bedarf nicht nur eines großen Überblicks über die Entwicklung der Fachdisziplin in den einzelnen Ländern, sondern auch eines festen methodi- schen Rasters, um nach einheitlichen Kriterien auswählen, urteilen und ver- gleichen zu können. Lozek stellt im er- sten Kapitel des Buches die übergrei- fenden Leitideen und Gestaltungsprin- zipien vor, die den Schilderungen der Autoren der nachfolgenden Teile zu- grunde liegen. Als hauptsächliche Leit- idee sieht er eine historisch-politische Konzeption, die aufzudecken ein zen- trales Anliegen historiographiege- schichtlicher Analyse sei, da sie zumeist nicht vordergründig zu erkennen ist.

Der Zeitgeist beeinflusse diese Kon- zeption maßgeblich. Sie bildet den wichtigsten »in diesem Band prakti- zierten Ansatzpunkt für das differen- zierte Erfassen der unterschiedlichen historiographischen Tendenzen, Strö- mungen und Repräsentanten. Beson- dere Aufmerksamkeit erfahren dabei je- ne Historiker, die als konzeptionelle Ideengeber fungieren und so wesent- lich zum historiographischen Para- digmenwechsel beitragen.« (S. 18 f.) Hauptgegenstand der historiographi- schen Untersuchungen sei hingegen das Geschichtsbild. Natürlich werden auch andere Strukturelemente wie Ge- schichtstheorie und -methodologie oder die Fachmethodik beachtet. Da aber die genannte historisch-politische Konzep- tion als die alles andere überwölbende Leitidee gesehen wird, unterliegt die analytische Bewertung selbst einer star-

Militärgeschichtliche Mitteilungen 58 (1999), S. 221-299 © Militärgeschichtliches Forschungsamt, Potsdam

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ken Politisierung, werden den einzel- nen Autoren bestimmter Werke politi- sche Intentionen zugeschrieben, die — wenn überhaupt — von diesen subjek- tiv nicht gewollt sein müssen. Diese Vorgehensweise verleitet dazu, den prinzipiellen Unterschied von Politik und Wissenschaft nicht immer hin- länglich zu beachten, und birgt außer- dem die Gefahr, einzelne Autoren einer bestimmten Richtung zuzuordnen und sie so in ein Schema zu pressen.

Historisch-politische Konzeption und Geschichtsbild verschiedener ge- schichtswissenschaftlicher Strömungen bzw. Richtungen und ihrer maßgebli- chen Repräsentanten werden an deren Bewertung herausragender, epochaler historischer Ereignisse wie Revolutio- nen, der beiden Weltkriege oder auch an der Stellung zu Faschismus und An- tifaschismus wie auch zur bürgerlich- parlamentarischen Demokratie festge- macht. In den Zeitabschnitten nach 1945 werden auch tatsächliche oder ver- meintliche Reflexionen des Kalten Krie- ges als Bewertungskriterien herange- zogen. Der zeitliche Rahmen der Stu- dien, die die Geschiçhtswissenschaft in Großbritannien, Frankreich, Italien, USA und Deutschland bzw. Bundesre- publik umfassen, reicht vom Ende des 19. Jahrhunderts bis in die achtziger Jah- re unseres Jahrhunderts. Der Leser wird mit unterschiedlichen, nebeneinander existierenden oder nacheinander auf- kommenden geschichtswissenschaftli- chen Schulen oder Richtungen der ein- zelnen Länder mit ihren Hauptvertre- tern u n d deren wichtigsten Werken sowie mit wechselseitigen auch län- derübergreifenden Beziehungen — so- weit vorhanden — vertraut gemacht.

Das gilt beispielsweise für die wechsel- seitigen Einflüsse zwischen deutscher und amerikanischer Historiographie.

Ein hervorstechendes Merkmal des Bandes ist das Bemühen der Autoren, die Historiographie der einzelnen hi-

storischen Zeiträume in ihrer Entwick- lung und in ihren Divergenzen zu er- fassen. Auf diese Weise entsteht ein aus marxistischer Sicht immerhin beachtli- ches Bild über Pluralismus in der soge- nannten bürgerlichen Historiographie.

Der Leser erfährt etwas, um nur einige Beispiele zunennen, über die Heraus- bildung und inhaltliche Profilierung der britischen »New Social History«, über die »Annales«-Schule in Frankreich, die Leistungen und Grenzen der »New So- cial History« im Gesamtgefüge der US- Historiographie der 80er Jahre, über faschistische Geschichtsideologie in Italien bzw. über Gramsci u n d neuere marxistische Fragestellungen zur italie- nischen Geschichte, sowie über Haupt- richtungen der Theorie- und Methodo- logieentwicklung in der bundesdeut- schen Geschichtswissenschaft, wobei der Grundlagendiskussion über Ge- schichtswissenschaft und systematische Sozialwissenschaft besondere Auf- merksamkeit eingeräumt worden ist.

Natürlich wird auch über Hitler-Welle, Faschismusdiskussion und -darstellung sowie über den Historikerstreit berich- tet.

Methodendiskussion u n d Bezie- hungen bzw. Abgrenzungen zur mar- xistischen Geschichtsschreibung wer- den vornehmlich auch an den Veran- staltungen der Internationalen Histori- kerkongresse verdeutlicht.

Auf die Militärgeschichte als Teil- disziplin der Geschichtswissenschaft wird leider fast gar nicht eingegangen.

Eine knappe Passage z u m Militärge- schichtlichen Forschungsamt (MGFA) der Bundesrepublik (S. 419) sowie zu dem von ihm herausgegebenen Werk

»Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg« (S. 403) bilden eine Aus- nahme. Dennoch dürfte der Band für die Militärgeschichte von Interesse sein.

Den Abschluß der einzelnen Län- derkapitel bilden jeweils Organisatio- nen bzw. Vereinigungen, Institutionen

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und Zeitschriften. Ein Literaturver- zeichnis, untergliedert in allgemeine und länderspezifische Publikationen, beschließt den Band.

Obwohl geraume Zeit seit Abschluß des Manuskriptes vergangen ist, ist das Buch noch immer außerordentlich in- formativ. Sicher wäre vieles heute an- ders zu bewerten, ohne teilweise vor- dergründige politische Urteile, zumal, um mit Lozek zu sprechen, der »Zeit- geist« ein anderer ist. Jeder, der an hi- storiographiegeschichtlichen Entwick- lungen interessiert ist, sollte das Buch dennoch zur Hand nehmen und sich ein eigenes kritisches Urteil bilden.

Paul Heider

Dirk Heinrichs, Fallkraft der Feig- heit. Treue und Treuebruch. Das Vergessen des Bösen. Drei Essays zur politischen Kultur, Stuttgart:

Radius 1998, 208 S., DM 25,—

[ISBN 3-87173-148-X]

»Als Feigling hielt ich mich an die Ge- walt.« Dieses Wort Mahatma Gandhis steht zu Recht als Motto über der ηθμ- en Essay-Sammlung des Bremer Un- ternehmers Dirk Heinrichs, der sich seit Jahren in theoretischer wie auch prak- tischer Arbeit für den Frieden engagiert.

Der Autor gehört zu jener seltener ge- wordenen Spezies von Menschen, die in der Lage sind, von Zeit zu Zeit aus dem Getriebe des Alltags »abzutau- chen« und eine Sache »aus der Tiefe«

heraus philosophisch zu bedenken. Wer sich die Mühe macht, seine Gedanken nachzuvollziehen, wird einen beachtli- chen Erkenntnis- und Orientierungsge- winn davontragen, auch wenn das Ver- stehen einem nicht in den Schoß fällt, wie schon der verschlüsselte Titel des Buches signalisiert.

Im ersten der drei Essays geht es um eine Reflexion über Feigheit, eine Ei-

genschaft also, die in unserem allge- meinen Bewußtsein in der Regel nega- tiv besetzt ist. Heinrichs schickt sich im Gegenzug an, eine Lanze für die Feig- heit zu brechen. Betrachtet man es hi- storisch, bezogen auf die jüngste deut- sche Geschichte, so galten als »Feiglin- ge« beispielsweise diejenigen, die 1918 aus der Heimat heraus der kämpfenden Front den Dolch in den Rücken stießen.

So will es zumindest die Legende.

Zehntausende von »Feiglingen« wur- den in der NS-Zeit »ausgemerzt«, also umgebracht, weil sie desertiert waren, sich selbst verstümmelt, sich vor einer Gefahr »gedrückt«, über den Führer ge- witzelt oder im Widerstand gegen Hit- ler ihren Eid gebrochen hatten. Als

»Feiglinge« beschimpften sowohl Volks- gerichtshofspräsident Roland Freisler als auch der hitlertreue Wehrmacht-Ge- neraloberst Heinz Guderian die Män- ner des 20. Juli 1944. Was war diesen

»Feiglingen« gemeinsam? Sie hatten nicht bedingungslos genug gehorcht und geglaubt, sich nicht blindlings un- terworfen, sondern sich auf Vernunft, Moral und Humanität besonnen.

Im Jahre 1993 wurde der Autor durch eine abendliche Nachrichten- sendung aufgerüttelt. Unvermittelt sah er sich ganz persönlich in diese Konti- nuitätslinie der Feiglinge gestellt. Er hörte einen Ausschnitt aus einer Rede, die Bundeskanzler Helmut Kohl während einer Parteiveranstaltung im westfälischen Münster gehalten hatte.

Sie enthielt den Satz, daß alle diejeni- gen »feige« seien, die sich den militäri- schen Verpflichtungen entzögen, wel- che sich aus der neuen deutschen »Welt- geltung« oder der »Weltverantwor- tung« ergäben. Der 1925 geborene Heinrichs erinnert sich — und schildert es in der Sprache des zeitgenössischen militärischen Heldentums —, daß auch er im Zweiten Weltkrieg aus lauter Angst »mutig« auf Russen geschossen habe, um seine »Feigheit« loszuwerden

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(S. 19). Längst aber habe er gelernt zu bekennen, daß es besser sei, uner- schrocken zu seiner Feigheit zu stehen, nämlich zu seiner Furcht vor dem Tö- ten in Uniform.

»Widerstandsfeigheit« habe die krie- gerische Geschichte unseres Volkes bis in die ungeheuerlichsten Verbrechen hinein begünstigt, wenn nicht verur- sacht (S. 23). Anders der Deserteur: »Er bewahrt sich die Scheuheit vor dem Morden, während andere ihre Feigheit dazu hinreißt, entsprechenden Befeh- len zu folgen« (S. 28). In der morden- den Gewalt tobe sich also das Feigsein aus, »Nein« zu sagen. Häufig verstecke sich die Feigheit in der Pflicht. Auch im jugoslawischen Bürgerkrieg seien die

»feig« weichherzigen Frauen viel tap- ferer gewesen als die aufgehetzten Män- ner, die so feige waren, zur Waffe zu greifen.

Heinrichs' Vergewisserung bei den Philosophen Piaton, Jaspers, Sartre, Kierkegaard, Thomas von Aquino und bei Bibeltexten führt zur Fundierung seiner These, daß in der Feigheit ganz offensichtlich auch der Mut zu etwas anderem stecke. In bestimmten ge- schichtlichen Lagen eines Staatswesens, so der Autor, bedürfe es »vieler soge- nannter Feiglinge, damit es nicht wie- der mehr als genug schreckenswütige Helden gibt« (S. 82). Historisch-politisch ließe sich diese Erkenntnis idealiter auch so formulieren: Während kriege- rische Diktaturen blinde Gewalt zur Tu- gend, ja zur Heldentat verklären und deren Verweigerung als Feigheit des- avouieren, besteht in einer entwickel- ten demokratischen Gesellschaft die wahre Feigheit im Mangel an tätiger Zi- vilcourage im Dienste der Humanität.

Der zweite Essay des Buches han- delt von »Treue und Treuebruch unter Beachtung von Geschichten der Deser- tion«. Er geht zurück auf einen Vortrag, den der Unternehmer Heinrichs im Jah- re 1989 zur Eröffnung der Wanderaus-

stellung »Der unbekannte Deserteur«

in Bremen gehalten hat, also in einer frühen Phase der öffentlichen Diskus- sion über die Legitimität von Verwei- gerungshandlungen in einem verbre- cherischen Krieg. Ausgangspunkt der Überlegungen ist die Erkenntnis, daß keine gesellschaftliche und politische Institution ohne anerkannte und einge- haltene Treueverhältnisse »daseins- fähig« ist (S. 127). Allerdings, so legt der Autor einen in Deutschland zumindest zeitweise verschütteten Zusammen- hang frei, war die historisch gewachse- ne Treueverpflichtung immer eine sol- che auf Gegenseitigkeit. Eidleister und Eidnehmer waren gleichermaßen an sie gebunden. Eben diese Gegenseitigkeit wurde mit der folgenschweren Eides- formel aufgegeben, welche die Reichs- wehrführung im Jahre 1934 von sich aus formulierte, um ihre Machtposition im NS-Staat zu festigen. Nun mußten sich die Soldaten zum unbedingten Gehor- sam auf Hitler verpflichten, ohne daß dieser seinerseits auf die Erhaltung oder Beförderung eines Verfassungsguts fest- gelegt wurde. Das hatte unabsehbare Folgen. Denn nur wenige zogen aus dem Treuebruch von oben, der noch im gleichen Jahre mit den Röhm-Putsch- Morden begann und der in den Staats- verbrechen der Kriegsjahre kulminier- te, den Schluß, daß es eine Pflicht oder zumindest eine Berechtigung gab, sich an diesen einseitigen Eid nicht mehr ge- bunden zu fühlen. Die in einem krie- gerischen Terrorstaat begangene De- sertion versteht Heinrichs als eine Handlung, die in der Untreue von oben ihre eigentliche Ursache hat (S. 129).

Wolfram Wette

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Alison Weir, Lancaster and York.

The Wars of the Roses, London:

Jonathan Cape 1995, 249 S., £ 19 [ISBN 0-224-03834-6]

Desmond Seward, The Wars of the Roses. And the Lives of Five Men and Women in the Fifteenth Century, London: Constable 1995, 361 S., £ 19 [ISBN 0-09- 474100-X]

Alison Weir, The Princes in the Tower, London: Arrow 1995, 249 S., £ 6,99 [ISBN 0-09-952991-2]

Die legendären Rosenkriege der zwei- ten Hälfte des 15. Jahrhunderts gelten allgemein als die Wasserscheide zwi- schen englischem Mittelalter und eng- lischer Neuzeit. Die drei hier vorzu- stellenden Bände behandeln diesen ebenso wichtigen wie interessanten Zeitraum der englischen Geschichte.

Dabei ist zu vermerken, daß sie sich so- wohl thematisch als auch chronologisch in willkommener Weise ergänzen. Es ist daher sinnvoll, sie hier im Kontext und gemeinsam vorzustellen.

Alison Weir, eine profunde Kenne- rin der Geschichte der Monarchie in England (Britain's Royal Families. The Complete Genealogy, London 1989), be- handelt die langfristige Genese der Ro- senkriege seit Edward III., der mit der Verleihung diverser Herzogtümer an seine (überlebenden) fünf Söhne eben jenes Wettrennen der Magnaten um die Krone begründete, welches in den Jahr- zehnten des Kampfes zwischen Lanca- ster und York seinen Höhepunkt fand.

Weir brilliert dabei in exzellenter und tiefsinniger prosopographischer und biographischer Analyse der diversen königlichen Hauptdarsteller und Prä- tendenten. Solchermaßen zieht sie ihre spannende Geschichte von Edward II.

bis hin zu Henry VI durch und fügt ei- nen Anhang zur Schlacht von Tew-

kesbury und der Herrschaft des Rich- ard III. an. Dieses abschließende Kapi- tel (»To Tewkesbury and the Tower«) behandelt auch quellenmäßige und hi- storiographische Fragen (S. 201-215).

Weirs Buch wird, gerade, was ihre Chronologie und die Machtanalyse (»The Riehes of England«, »A Race of Magnates«, S. 1-39) anbelangt, in will- kommener Weise ergänzt durch Des- mond Sewards Rosenkriegsbuch. Die- se ebenso umfassende Studie deckt im wesentlichen die Jahre 1450 bis 1485 bzw. die Verschwörung von 1499 (Per- kin Warbecks Richard-III-Episode) ab.

Ein flüssig-elegisch geschriebener Epi- log befaßt sich mit den vier Überleben- den der fünf: William Hastings (1430-1483) wurde überlebt von John de Vere, Earl of Oxford; Margaret Beaufort;

Dr. John Morton und Jane Shore.

Die fünf Personen, um deren Leben und Verwicklung in die großen Ereig- nisse sich Sewards Geschichte dreht, sind ausgewählt aufgrund ihrer Ver- strickungen, aber auch aufgrund quel- lentechnischer Gesichtspunkte (vgl.

S. 13-16). Denn die Quellensituation ist so dürftig, daß sich aus den vorhande- nen Informationen eben keine präsen- table, durchgängige Geschichte rekon- struieren ließe (S. 16): »Jane Shore (c. 1450-c. 1527), whose real name was Elizabeth Lambert, is the first ordinary Englishwoman recognizable as a hu- man being from contemporary sources, from More's King Richard.«

Seward beginnt, nach einer knap- pen Überblickseinleitung (S. 1-12), sei- ne Darstellung mit dem berühmten Aufstand des Jack Cade: »no peasants' revolt, but an expression of widespread discontent« (S. 5) — also dem Beginn vom Ende Heinrich VI.

Sowohl Weir als auch Seward zitie- ren ausführlich aus Chroniken und Hi- storien des 15. Jahrhunderts, aber auch der Tudorzeit und nachfolgender Epo- chen. Für den Spezialisten, aber auch

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einfach Neugierige und Shakespeare- Interessierte in der Spur der legendären Historien sind daher die jeweiligen Quellenverzeichnisse von Bedeutung (Weir, S. 431-436; Seward, S. 355-357).

Diese als auch die entsprechenden Pas- sagen werden zusätzlich durch Alison Weirs Spezialstudie: »The Princes in the Tower« ergänzt. Solches gilt zum einen für die kompetente Vorstellung der re- levanten Chroniken und Historien (»I: Richard III and the Chroniclers«, S. 1-13) — wobei diese nicht nur vor- gestellt werden, sondern jeweils her- ausgearbeitet wird, daß sie einem bzw.

bestimmten politischen Zwecken dien- ten und daher entsprechend (vorsich- tig) rezipiert werden müssen. Weir bemüht sich dabei strikt u m Fairness, wie etwa ihre Einschätzung von Sir Thomas More: Richard ΠΙ. (S. 9 ff.) zeigt.

Das Thema stellt im übrigen ein eige- nes, hochinteressantes Gebiet dar, wie Lesern gängiger Shakespeare-Editionen geläufig ist. Zum anderen, und natür- lich in der Hauptsache, gibt Weir Aus- kunft über das Schicksal des 15jährigen Edward V. und seines Bruders Richard, Duke of York — beide 1483 ermordet.

Dieses Schicksal stellt bis heute eine ebenso spannende wie rätselhafte und abstoßende königliche Kriminalge- schichte dar (vgl. u.a. Genealogical Ta- ble, S. 259 f. und S. XIII f., auch zusam- menfassend S. 258). Weirs Darstellung in »Lancaster and York«, oben bereits zitiert (S. 420), scheint eindeutig: Rich- ard III. »ist« der Mörder der Prinzen.

Weirs diesbezüglicher Befund steht zwar in Übereinstimmung mit Shakes- peare (Richard III., Act IV, 1 u. Act Π, 4

— Eingangszitate »Princes«), aber im Gegensatz zu einer langen, pro-Richar- dischen Forschung und den Bemühun- gen der »Richard III. Society« (S. XIII f.

»Princes«). Ihre Analyse bezieht Histo- riographie, aber auch Exhumierungen und paläontologische Untersuchungen der »wahrscheinlichen« Skelette ein

(vgl. Funde 1674, S. 113 Foto als auch Ch. 21: »The Skeletons in the Tower«, S. 249-258).

Abschließend sei vermerkt, daß bei allen drei Büchern den diversen Tafeln, Appendices und sonstigen einleitenden als auch abschließenden Materialien be- sondere Aufmerksamkeit geschenkt werden muß. Mit Ausnahme des Prin- zen-Buches spielen militärgeschichtli- che Fragen durchgängig eine erhebli- che Rolle. Gerade Darstellungen der Schlachten und Scharmützel sind min- destens ebenso plastisch wie die schon erwähnten Charakterbeschreibungen (nur als Beispiel Seward, S. 1 die Schil- derung vom Schlachtentod Richards bei Bosworth; auch ebd., S. 302-304).

Ähnlich wie beim Dreißigjährigen Krieg, müssen wir auch für die Rosen- kriege unser Bild des Krieges mit Vor- sicht formen bzw. revidieren. In 32 Jah- ren Krieg wurde im Rahmen von ins- gesamt einem Jahr Kampagne in effek- tiv 13 Wochen gekämpft. Dies gelte es festzuhalten gegenüber dem etablierten Bild der Tudorzeit — je blutiger und be- drohlicher das Image der Rosenkriege, desto akzeptabler und positiver die Sta- bilität der Tudor-Herrschaft — und de- sto abschreckender die Aussicht neuer Kronprätendenten (Weir, S. 415-417).

Jede Zeit, so schrieb ein später Be- obachter aus dem 17. Jahrhundert, habe ihre Umwälzungen. Es müsse aber auch ein Ende für alles dieses geben, wie Weir im Epilog deutlich macht, welcher zudem ein passender Einstieg zum Ver- ständnis der Tudors und v.a. Heinrichs VIH. ist. Denn die Rigidität der Politik und damit auch der Ehepolitik Hein- richs VIII. erklärt sich aus dem unbe- dingten Willen, die junge Dynastie und, so die Tudor-Sicht, damit die neuge- wonnene Stabilität des Landes zu be- wahren. Die Zeiten des »getting of the garland« (Shakespeare, King Richard ΙΠ.) sollten nie wieder kommen, nicht zu- letzt eingedenk der Erkenntnis Sir

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Thomas Mores: »These matters be kings' games, as it were stage plays, and for the more part played upon scaf- folds« (Weir, Lancaster and York, S. VII).

Hans-Christoph Junge

James Β. Wood, The king's army.

Warfare, soldiers, and society during the Wars of Religion in France, 1562-1576, Cambridge, New York, Melbourne: Cam- bridge University Press 1996, XVI, 349 S. (= Cambridge studies in early modern history), £ 45 [ISBN 0-521-55003-3]

Das vorliegende Werk des bekannten amerikanischen Sozial- und Militärhi- storikers hat sich drei Ziele gesetzt.

Zum einen möchte der Autor eine So- zialgeschichte des Krieges und der Kriegführung im Frankreich des 16. Jahrhunderts und der Religions- kriege liefern, zum anderen möchte er kompetent über militärische Angele- genheiten und Institutionen der fran- zösischen Monarchie dieser Zeit infor- mieren, und schließlich interessieren ihn die menschlichen Dimensionen seines Themas. Bekanntlich klassifizieren Hi- storiker die Auseinandersetzungen zwi- schen Katholiken und Protestanten in Frankreich eben nicht als »einen« Krieg, sondern als eine immer wieder unter- brochene Serie von Kriegen (dazu die Tabelle 1, S. 8: Timeline of the early wars, 1560-76, in der Wood insgesamt fünf solcher Kriege bzw. Kriegsperioden ausmacht). Dabei spielte nicht nur der angesprochene religiöse Konflikt mit hinein, sondern auch zahlreiche andere innen- und machtpolitische Kompo- nenten (vgl. Schieder: Handbuch der europäischen Geschichte 3, § 14: Frank- reich vom Ende des hundertjährigen Krieges bis zum Beginn der Selbstherr- schaft Ludwigs XIV., h-1 von A. Bourde).

Üblicherweise wird die Zeit von 1560 bis 1598, dem Jahr des Ediktes von Nantes, als Einheit interpretiert. Im Un- terschied dazu interessiert sich Wood lediglich für den Zeitraum zwischen 1560 und 1576. Der Grund dafür liegt in der veränderten Natur der französi- schen Armee auf Grund des Verlaufs der militärischen Auseinandersetzun- gen, wobei die Belagerung von La Ro- chelle 1573 den Höhepunkt darstellte.

Auch wenn man die angegebenen Zahlen von Nicolas Froumenteau (Le secret des finances de France, 1581) an- zweifelt, wonach in den Kriegen zwi- schen 1560 und 1580 circa eine Million Tote zu verzeichnen gewesen seien, so ist doch unzweifelhaft, daß der Bür- gerkrieg die absolut überragende Er- fahrung für das französische Volk bis zum Ende des 16. Jahrhunderts war (S. 1). Woods Studie versteht sich über den angesprochenen Rahmen hinaus auch als Beitrag zu der seit 1956 ge- führten Diskussion zur »Military Re- volution« des 16. Jahrhunderts (siehe auch S. 3-5, dort auch Anm. 8 mit aus- führlicher Literatur):

»The nature and ultimate outcome of the civil wars in France, then, were determined not by their religious origins but by the combination of re- ligious rebellion an an incomplete Military Revolution.« (S. 5)

Denn, so der Autor, die vollmobilisier- te königliche Armee sei ein formidables kriegerisches Instrument gewesen. Aber der Staat jener Zeit sei noch nicht voll- ständig und somit ausreichend in der Lage sowie imstande gewesen, eine große und stehende Truppe auf Dauer zu monopolisieren. Zudem seien auf Grund des damaligen Entwicklungs- standes der Waffentechnik (Feuerwaf- fen, Artillerie, daraus sich ergebende Folgerungen des Fortifikationswesens) Belagerungen selbst von kleinen und eher schwächlich verteidigten Städten sehr zeitraubend gewesen. Damit zu-

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sammenhängend erwies sich der Ver- waltungs- und Finanzapparat des fran- zösischen Staates als noch nicht fähig, ein großes stehendes Heer finanziell zu unterhalten. Daher habe die militärische Durchsetzungskraft der Monarchie im angegebenen Zeitraum bis 1576 sich nach unten bewegt, die der Hugenot- ten sei deutlich angestiegen, das Er- gebnis sei ein militärisches Patt (»mili- tary stalemate«) gewesen. Als weitere Folgen werden anhaltende Zerstörung und Elend genannt, und die fällige mi- litärische Modernisierung der französi- schen Monarchie sei auf das 17. Jahr- hundert verschoben worden (S. 5).

Das Buch wird ergänzt durch einen recht ausführlichen Anhang: The royal army during the Wars of Religion (S. 311-323), in dem die Quellensituati- on für die einzelnen Themen und Ka- pitel dargestellt wird. Das Buch enthält darüber hinaus eine Vielzahl von Dia- grammen und Zahlentabellen, die die Lektüre in willkommener Weise unter- stützen (Überblick S. XI f. mit insgesamt 36 Tabellen), und auch die abschlie- ßende Bibliographie (S. 324-333) ist sehr befriedigend,

Solange jedenfalls der französische Staat das technische und finanzielle Ge- waltmonopol nicht realisieren konnte, solange wurden durch innere militäri- sche Konflikte, zumal jene der franzö- sischen Religions- und Bürgerkriege, die Veränderungen verzögert, die not- wendig gewesen wären, um jene Pro- bleme zu lösen, die die militärische Re- volution heraufbeschworen hatte: »Ul- timately the triumph of that revoluti- on would require internal peace and such peace would not be found in Fran- ce until after the Fronde. Only then would the seemingly chronic cycle of military insuffiency finally be broken in a manner that simultaneously enabled France to dominate Europe militarily and made successful armed defiance of the French monarchy by its own subjects an

impossibility — at least until 1789.«

(S. 309 f.) Hans-Christoph Junge

Stefan Kroll, Stadtgesellschaft und Krieg. Sozialstruktur, Be- völkerung und Wirtschaft in Stralsund und Stade 1700 bis 1715, Göttingen: Schwartz 1997, 549 S. (= Göttinger Beiträge zur Wirtschafts- und Sozialgeschich- te, 18), DM 88,— [ISBN 3-509- 01708-0]

Stadtgeschichtliche Arbeiten haben sehr häufig das Manko der fehlenden Ver- gleichbarkeit; man erfährt zwar viele Details über die untersuchte Stadt, doch mangelt es an relativierenden, die ein- zelnen Ergebnisse in den Gesamtzu- sammenhang einordnenden Beobach- tungen. Mit seiner von Kersten Krüger betreuten Hamburger Dissertation hat Stefan Kroll diese Klippe erfolgreich umschifft und mit Stralsund und Stade gleich zwei Städte untersucht. Ziel sei- ner Arbeit ist es, »vor dem Hintergrund des Nordischen Krieges in umfassen- der Weise die Sozialstruktur beider Städte zu analysieren« (S. 17). Beide Or- te standen unter schwedischer Herr- schaft, beide gerieten schließlich in den Brennpunkt militärischer Auseinan- dersetzungen (Stade 1712; Stralsund 1711 bis 1715), beide durchlebten gra- vierende Teuerungsphasen, beide wur- den von Pestepidemien heimgesucht und beide waren Garnisonsstädte. Sta- de wurde Verwaltungssitz der schwe- dischen Provinz Bremen-Verden, Stral- sund zur strategisch wichtigen Festung in der Provinz Schwedisch-Pommern ausgebaut. Während die größere See- stadt Stralsund (10 000 Einwohner) auf- grund von Getreideexporten wirt- schaftlich bedeutend war, blieb das klei- nere Stade (6000 bis 7000 Einwohner) ökonomisch weniger bedeutsam.

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Kroll hat seine Arbeit in vier Teile gegliedert. Im ersten, einführenden Teil werden die gesellschaftlichen, militäri- schen und wirtschaftlichen Strukturen der beiden schwedischen Provinzen so- wie die Politik der schwedischen Krone beleuchtet. Die beiden folgenden Kapi- tel sind jeweils den beiden Städten ge- widmet. Um die Vergleichbarkeit zu er- leichtern, sind die Unterkapitel analog angelegt. Zunächst werden die äußeren Faktoren wie Kriegseinwirkung und Be- lagerung, Mißemten und Epidemien er- läutert, dann die städtische Verfassung und die Wege politischer Partizipation der Bürgerschaft untersucht, die Er- werbsstruktur sowie die Einkommens- und Vermögensverteilung der Bevöl- kerung auf der Basis von Steuerakten, Lohnlisten und Berufszählungen ana- lysiert, die Wohn- und Arbeitsverhält- nisse der Menschen beschrieben sowie Sozialprestige und Selbsteinschätzung im Spiegel von Kirchstuhlstreitigkeiten und Luxusordnungen beleuchtet und endlich die Lebensbedingungen der städtischen Unterschichten und Rand- gruppen erforscht. Das letzte Kapitel ist dem vergleichenden Resümee gewid- met.

Der Verfasser kommt hier zu dem !

Schluß, daß der Krieg in beiden Städ- ten nicht nur für eine vorübergehende Erschütterung der ständischen Gesell- schaftsordnung und zusätzliche sozia- le Mobilität sorgte, sondern zugleich die bestehenden sozialen Unterschiede wei- ter vertiefte. Zuwanderer kamen von außerhalb in die Stadt und schlossen die Lücken, zugleich erwarben viele der abgedankten Soldaten das Bürgerrecht und heirateten eine eingesessene Frau.

Zu den regelmäßigen Opfern der Kriegsereignisse zählten neben den Ar- men vor allem die Bewohner der Vor- städte, deren Besitzungen aus militäri- schen Gründen verwüstet wurden. Ne- ben diesen Kriegsverlierern gab es auch Kriegsgewinnler, etwa die Fuhrleute

oder einzelne Handwerksberufe, die von der kriegsbedingten Nachfrage des Militärs profitierten; ebenso konnten Kaufleute Magazingetreide in größerem Umfang absetzen.

Diese zu lobende Arbeit bringt so- wohl der Stadt- als auch der Militärge- schichte wichtige Impulse.

Ralf Pröve

Theodor Horstmann, Generallieu- tenant Johann Nicolaus von Luckner und seine Husaren im Siebenjährigen Kriege. Hrsg., eingel. und um einen Anh. erw.

von Michael Hochedlinger, Os- nabrück: Biblio Verlag 1997,300 S., DM 78 — [ISBN 3-7648-2506-5]

Die anzuzeigende Edition beruht auf ei- nem Manuskript, das die militärischen Leistungen des Husaren-Generals Jo- hann Nicolaus von Luckner (1722-1794) im Siebenjährigen Krieg zum Inhalt hat und aus der Feder des hannoverschen Registrators Gottlieb Theodor Horst- mann (1809-1875) stammt. Horstmanns Aufgabe hatte darin bestanden, hanno- versche Militariabestände zu sichten und zu registrieren. Er war mit den ent- sprechenden Quellen professionell ver- traut, woraus offenbar ein tieferes In- teresse resultierte, neben den bereits vorhandenen offiziellen Geschichts- werken über den Siebenjährigen Krieg

— aus Verehrung für den im Sieben- jährigen Krieg in alliierten Diensten ge- standenen und später sogar zum Mar- schall von Frankreich avancierten Hu- saren-General — namentlich »der lan- gen Reihe von Episoden kühner Handstreiche und Expeditionen« zu ge- denken, durch welche sich Luckner

»während des Krieges einen berühm- ten, bei dem Feinde aber gefürchteten Namen als Partheigänger zu erwerben wußte« (S. 79). Horstmann kann für sich

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beanspruchen, neben den militärischen Operationen auch die inneren Verhält- nisse der Luckner-Husaren rekonstru- iert und in knapper Form dargestellt zu haben. Zu diesem Zweck hat er viele Archivalien züsammengetragen und zi- tiert, wodurch sein Manuskript eine ei- gentümliche Authentizität gewann.

Der Wert dieser von Michael Hoch- edlinger herausgegebenen Schrift liegt darin, daß sich dem militärhistorisch in- teressierten Leser am Beispiel Luckners die oft unterschätzte Bedeutung des Kleinen Krieges im Zeitalter der Kabi- nettskriege des Ancien Régime und ih- rer rangierten Feldschlachten plastisch erschließt. Daneben werden viele inter- essante Details über die sozialen Be- gleitumstände dieser Kriegführung ge- boten. Die Darstellung wird durch eine kenntnisreiche Einleitung des Heraus- gebers, in der zum Wesen des Kleinen Krieges im 18. Jahrhundert, zur Person Luckners und zu den Grundsätzen der Edition Stellung genommen wird, so- wie durch ein Personenverzeichnis ab- gerundet.

Jürgen Angelow

Umbruch im Schatten Napoleons.

Die Schlachten von Jena und Au- erstedt und ihre Folgen. Hrsg.

von Gerd Fesser und Reinhard Jonscher, Jena: Bussert 1998, 299 S. (= Jenaer Studien, 3/Bau- steine zur Jenaer Stadtgeschich- te, 3), DM 49,90 [ISBN 3-9804590- 9-8]

Mit dem dritten Band der »Jenaer Stu- dien« über den »Umbruch im Schatten Napoleons« haben die Herausgeber ei- nen wertvollen und wichtigen Beitrag zur historischen Aufarbeitung dieses Zeitabschnittes vorgelegt. Sie haben die ausführlichen Fassungen der Vorträge des wissenschaftlichen Kolloquiums

zum 190. Jahrestag der Doppelschlacht bei Jena und Auerstedt allen Histori- kern und interessierten Lesern zugäng- lich gemacht.

Im Vorwort erwähnt der Jenaer Oberbürgermeister, Peter Röhlinger, daß einige Veranstaltungen zum Jah- restag dieser Schlacht bereits im Vorfeld zu zahlreichen Kontroversen und Irri- tationen führten. Von verschiedenen Seiten befürchtete man eine Unterstüt- zung nationalistischer und militaristi- scher Kreise und andererseits eine Un- tergrabung nationalen Selbstbewußt- seins. Diese teilweise kontroversen An- sichten über den die deutsche Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts prägenden Zeitabschnitt, werden im vorliegenden Tagungsband dokumen- tiert und bieten somit reichlich Diskus- sionsmaterial zur wissenschaftlichen Aufarbeitung des Ereignisses und sei- ner Folgen.

In ihren Ausführungen gehen die Referenten sowohl auf die Ursachen und den Verlauf der Schlacht wie auch auf deren politische und militärische Folgen ein. Andere Beiträge zeigen die publizistische Widerspiegelung der Schlacht in der Presse der damaligen Zeit auf. Weitere Themen des Kollo- quiums sind die Nachwirkungen des Vermächtnisses der Reformer bis zur Ausbildung bei der Bundeswehr, die Aufgaben und Struktur des Eurokorps und die museale Auseinandersetzung mit der Schlacht bei Jena und Auerstedt im Wandel der Zeiten.

Besondere Aspekte zur Verarbei- tung der preußischen Niederlage von 1806 werden in dem Beitrag von Rein- hard Fuhrmann »Die verräterischen Machthaber« herausgestellt. Er läßt hier nicht nur deutlich werden, wie diese Niederlage nach 1806 zum Fanal für ei- ne gesellschaftliche Erneuerung Preu- ßens wurde, sondern verweist auch auf verschiedene gesellschaftliche Kräfte und Personen aus unterschiedlichen po-

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litischen Kreisen, die in Krisenzeiten des Staates, wie vor und nach dem Ersten Weltkrieg und während des Zweiten Weltkrieges, versucht haben, durch ei- ne gesellschaftliche Erneuerung mit neuen Zielen und neuen Verbündeten die Katastrophe für ihr Vaterland ab- zuwenden.

So blieb »Jena«, im 19. und im 20. Jahrhundert, eine »identitätsstiften- de Metapher« (S. 214) und ein Reizwort

— ein Stück der Überlieferung preu- ßisch-deutscher Geschichte, angewandt auf den Zustand der Niederlage. Es richtet sich, wie bei Fuhrmann zu lesen ist, gegen die bisherigen Machtverhält- nisse, gegen den »Verrat an der Nation«

oder dem »Volk« (S. 215).

Wer sich mit Ursachen und Nach- wirkungen sowie den zu ziehenden Lehren aus dem preußischen Debakel von 1806 beschäftigen will, wird in die- sem Buch wertvolle Anregungen und Hinweise finden.

Heinz Ruppert

Benno von Knobelsdorff-Brenken- hoff, Briefe aus den Befreiungs- kriegen. Ein Beitrag zur Situati- on von Truppe und Heimat in den Jahren 1813/14. Der Schrift- wechsel des Kgl. Preußischen Rittmeisters der Landwehr-Ka- vallerie Wilhelm von Knobeis- dorff mit seiner Frau Franziska, geb. von Brenkenhoff zu Mans- felde bei Friedeberg in der Neu- mark. Mit einem Vorw. von Wal- ter Schaufelberger, Zürich: The- sis 1998 (2. Auflage), 236 S. (= do- cumenta militaría), DM 39,—

[ISBN 3-908544-13-0]

Kriegszeiten waren oft aufregende Zei- ten, die zur Korrespondenz auch über alltägliche Dinge Anlaß gaben. Nicht durch Zufall, sondern aus bewußter

Wertschätzung, ist eine Brieffolge aus der Zeit der Befreiungskriege 1945 aus der Neumark gerettet worden. Ihr Her- ausgeber, am Ende des Zweiten Welt- krieges Rittmeister und später in der Bundeswehr u.a. im Bereich der Inne- ren Führung tätig, hat ein besonderes historisches Interesse am 150 bis 300 Jahre zurückliegenden Zeitraum. Das ist die Lebensspanne seiner bedeu- tendsten Vorfahren, des königlichen Baumeisters Georg Wenzeslaus von Knobeisdorff (1699-1753), des für die Urbarmachung weiter Landflächen zwischen Oder und Leba tätigen Franz Balthasar Schönberg von Brenkenhoff (1723-1780) sowie des im Revolutions- jahr 1848 verstorbenen Stammvaters der gemeinsamen Linie, Wilhelm von Kno- belsdorff-Brenkenhoff (1769-1848). Des- sen Teilnahme an den Freiheitskriegen gegen Napoleon im fortgeschrittenen Alter von 44 Jahren entstammt die Kor- respondenz der Jahre 1813/1814. Hier- in werden wir informiert über die Auf- stellung des 1. Neumärkischen Land- wehr-Kavallerie-Regiments im Frühjahr 1813, unmittelbar nach dem Breslauer Aufruf »An mein Volk« von König Friedrich Wilhelm III., die Briefzeug- nisse lassen uns teilnehmen an der so- genannten »Katzbach-Schlacht« als er- stem ermutigenden Gefecht gegen die Franzosen in Schlesien und an der Völ- kerschlacht bei Leipzig, sie berichten von Blüchers Rheinübergang bei Kaub in der Neujahrsnacht 1814 bis zur Bela- gerung von Saarlouis. In der branden- burgischen Heimat mußte die Gattin derweil den Gutsbetrieb leiten und die Erziehung von acht Kindern selbst vor- nehmen. Ihre Briefzeugnisse wiederum vermitteln Eindrücke vom Leben und Wirken in einer dörflichen Gemein- schaft der damaligen Zeit.

Die Edition des späten Nachkom- men, Anfang der 80er Jähre als Eigen- druck erstmals erschienen, ist gut struk- turiert und umfassend kommentiert. In

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einem ersten größeren Teil wird der Le- ser mit der Landwehr, jenem zweiten Aufgebot aus älteren Reservisten, ver- traut gemacht. Karten und Abbildun- gen rufen die Neumark als Rekrutie- rungsraum in Erinnerung. In einem weiteren Kapitel wird der Einsatz der Neumärkischen Kavallerie mit den oben erwähnten Stationen vorgestellt.

Besonders erfreulich ist, daß die im all- gemeinen Bewußtsein nicht mehr so be- kannte Aktion Blüchers bei Liegnitz hier wieder eine kritische Würdigung erfährt. Karten, historische und aktuel- le Abbildungen illustrieren diesen Teil.

Ein weiterer Abschnitt ist »Leistungen und Leiden der Heimat« gewidmet. Be- zugspunkte sind jeweils die knapp 30 Briefe derer von Knobelsdorff-Bren- kenhoff, welche im Anhang als tran- skribierte Volltexte abgedruckt sind.

Stephan Kaiser

Dietrich Allert, Georg Heinrich von Berenhorst. Bastard des Al- ten Dessauers, Halle: Mittel- deutscher Verlag 1996, 80S.

(= Sachsen-Anhalt: Beiträge zur Landesgeschichte, 7), DM 8,50 [ISBN 3-354-00904-7]

Aus dem Kreis der Kritiker des frideri- zianischen Militärsystems im 18. Jahr- hundert ragt ein Autor hervor: Georg Heinrich von Berenhorst (1733-1814).

Mit seinen »Betrachtungen über die Kriegskunst« (1797) hat er die Militär- theoretiker seiner Zeit, nicht zuletzt Scharnhorst, herausgefordert; den im Geiste der Aufklärung tätigen Kritikern am absolutistischen System lieferte er Argumente »aus erster Hand«, denn er hatte als Brigademajor während des Sie- benjährigen Krieges unmittelbaren Kon- takt zum preußischen König gehabt. In den meisten militärgeschichtlichen Un- tersuchungen zur Vorgeschichte der

preußischen Reformen findet Beren- horst deshalb Erwähnung. Die dabei verwendeten Daten zu seiner Biogra- phie sind durchweg von fragwürdiger Qualität; sie stützen sich zumeist auf eine 1911 veröffentlichte Dissertation von Ru- dolf Bahn, die zahlreiche Fehler enthält.

Die von Eduard v. Bülow 1845 und 1847 veröffentlichte Berenhorst-Werk- ausgabe enthält nur einen ausgewähl- ten Teil des Nachlasses. Wesentliche Tei- le blieben unpubliziert im Familienbe- sitz und wurden während des Zweiten Weltkriegs vernichtet. Im Landesarchiv Oranienbaum und im Stadtarchiv Des- sau haben sich aber einige »Berenhor- stiana« erhalten. Diese hat Dietrich Al- lert mit großer Sorgfalt ausgewertet und mit der bisher veröffentlichten Litera- tur konfrontiert. Das Ergebnis ist eine schmale, aber faktenreiche Biographie, die viele neue Informationen enthält und vor allem zahlreiche Fehler in der bisherigen Literatur aufdeckt.

Allert hat nicht nur die biographi- schen Daten dieses bekanntesten un- ehelichen Sohns des »alten Dessauers«

ausgebreitet, sondern auch einige bis- her nicht bekannte Schriften Beren- horsts aufgespürt und teilweise veröf- fentlicht. Was »nur« als regionalhisto- rische Studie angelegt war, erweist sich bei näherem Hinsehen auch als eine mi- litärhistorische Fundgrube. Wer künf- tig über die Genesis der preußischen Heeresreform arbeiten will, darf an Al- lerte Berenhorst-Biographie nicht vor- beigehen. Eckardt Opitz

Uwe Hartmann, Carl von Clause- witz. Erkenntnis, Bildung, Ge- neralstabsausbildung, München:

Olzog 1998, 176 S„ DM 28,—

[ISBN 3-7892-9364-4]

Clausewitz wollte sich mit seinem Buch

»Vom Kriege« nicht nur an der kriegs-

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theoretischen Diskussion seiner Zeit beteiligen, sondern zugleich einen Bei- trag zur Philosophie leisten. Dieser An- spruch hat in der Rezeptionsgeschichte bisher nur eine unzureichende Berück- sichtigung gefunden. Uwe Hartmann will mit seiner Studie versuchen, die- sem Defizit zu begegnen. Er will der Frage nachgehen: »Durch welche Den- ker wurde Clausewitz beeinflußt, und wie hat er deren Theorien produktiv in sein Theoriegebäude integriert?« (S. 11) Daß sich Clausewitz der Methode der Dialektik bedient hat, war schon oft be- tont worden. Doch welchem philoso- phischen Dialektiker war Clausewitz verpflichtet; war er vielleicht sogar ori- ginell? Hartmann stellt diese Fragen und geht ihnen in seiner Analyse nach, die nicht nur historisch-biographisch, sondern vor allem erkenntnistheore- tisch angelegt ist. Hartmann ist Erzie- hungswissenschaftler; deshalb spielen in seiner Auseinandersetzung mit Clau- sewitz bildungstheoretische und päda- gogische Fragen eine besondere Rolle.

Die Arbeit folgt einem klaren Kon- zept, bei dem die Ziele — auch in ihrer dezidierten Begrenzung — deutlich werden. Die philosophischen Implika- tionen, die durch graphische Konfigu- rationen didaktisch aufbereitet werden, stehen im Vordergrund. Sie demon- strieren das hohe Niveau, auf dem sich der Verfasser mit Clausewitz auseinan- derzusetzen vermag. Daß er Raymond Arons Buch »Clausewitz. Den Krieg denken« (1980), nicht herangezogen hat, obgleich es ihm wichtige Einsichten hät- te vermitteln können, schmälert die Qualität der von Hartmann betriebenen Auseinandersetzung mit Clausewitz nur unwesentlich. Zweifel sind aller- dings angebracht, wenn der Verfasser für die Kriegstheorie Clausewitz' »pä- dagogische Funktionen« geltend macht.

Auch die Vorstellung, daß die Anfor- derungen des »wirklichen Krieges« di- daktische Forderungen an die Indivi-

duen stellt, ist nicht ohne weiteres nach- zuvollziehen. Daß sich aus der Ausein- andersetzung mit den vielfältigen Aspekten des Krieges Folgerungen für pädagogisch relevante Lehr- und Lern- prozesse (für methodische Überlegun- gen also) ergeben, liegt auf der Hand.

Hartmann belegt diese Mechanismen mit klug gewählten Beispielen. Einen besonderen Reiz machen seine durch eine besondere Schrifttype hervorge- hobenen Sentenzen aus.

Am Ende fragt Uwe Hartmann, ob in jener Hamburger Kaserne, die den Namen des preußischen Generals Clau- sewitz trägt, eine Ausbildung vermit- telt wird, die dessen pädagogischen Grundsätzen gerecht wird. Seine Ant- wort fällt zwar positiv aus; ihr werden aber so zahlreiche Verbesserungsvor- schläge angefügt, daß dem Eingangs- teil mit Mißtrauen begegnet werden darf. Hartmann betont in seinen ab- schließenden Betrachtungen »Clausewitz und die deutsche Generalstabsausbil- dung«, daß die preußischen Heeresre- former im allgemeinen und Clausewitz im besonderen dem Bildungsideal bei der Offizierausbildung einen hohen Stellenwert eingeräumt hätten. Die Of- fizierausbildung in Deutschland hätte längst von Clausewitz profitieren kön- nen. Sie hat es nicht getan. Uwe Hart- manns Clausewitz-Studie gibt nicht nur zahlreiche Hinweise auf die pädagogi- sche Aktualität des preußischen Gene- rals, sondern regt auch dazu an, diese auf aktuelle Probleme zu beziehen.

Eckardt Opitz

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Olaf Rose, Carl von Clausewitz.

Wirkungsgeschichte seines Wer- kes in Rußland und der Sowjet- union 1836-1991, München:

Oldenbourg 1995,275 S. (= Bei- träge zur Militärgeschichte, 49), DM 78,— [ISBN 3-486-56062-X]

Die Rezeptionsgeschichte gehört zu den am intensivsten bearbeiteten Gebieten der Clausewitzforschung. Werner Hahl- weg, der ihr mit seiner Neuausgabe des Werkes »Vom Kriege« in der Bundesre- publik neue Impulse verlieh, stellte schon früh die Weichen in diese Rich- tung. Im Begleittext zu der 1952 zuerst erschienenen Ausgabe arbeitete er die Wirkungsgeschichte systematisch auf (»Das Clausewitzbild einst und jetzt«, zuletzt in: Vom Kriege, 19. Aufl., Bonn 1980, S. 1-172, Nachtrag S. 1253-1340).

Drei Dissertationen, die in der Folgezeit erschienen sind, vertieften und ver- breiterten das Bild: Hahlwegs Schüler Ulrich Marwedel differenzierte die all- gemeine Clausewitzrezeption bis 1918 (»Carl von Clausewitz«, Boppard 1978), der Amerikaner Christopher Bassford erörterte gründlich und kenntnisreich die Wirkung von Clausewitz in Groß- britannien und den USA (»Clausewitz in English«, New York, Oxford 1994), und Olaf Rose, ein Schüler des an der Hamburger Bundeswehruniversität leh- renden Osteuropahistorikers Franz Golczewski, untersuchte in der hier vor- zustellenden, von der Clausewitz-Ge- sellschaft geförderten Arbeit die Wir- kung von Clausewitz in Rußland und der früheren Sowjetunion.

Rose betrachtete nicht nur die be- kannten Spuren von Clausewitz bei Le- nin, sondern auch dessen Wirkung auf das militärische Denken im vorrevolu- tionären Rußland gründlicher, als es bisher der Fall gewesen war. Seine Ar- beit basiert auf überwiegend in russi- scher Sprache gedrucktem Material. Die Gliederung folgt den zugänglichen

Quellen: Etwa ein Drittel des erörtern- den Textes (S. 11-84) entfällt auf die Re- zeptionsgeschichte in der Zarenzeit (1832-1917), zwei Drittel entfallen (S. 85-238) auf die Zeit der Sowjetuni- on. Die Untersuchung endet mit dem Jahr 1988, also vor der Auflösung der Sowjetunion im Dezember 1991, berücksichtigt aber noch das »Neue Denken« unter Gorbacev (S. 236 f.).

Clausewitz' »Hinterlassene Werke«

waren bei ihrem Erscheinen 1832/37 auf die dominierende Wirkung der Schriften Jominis getroffen, eines Schweizers, der unter Napoleon Gene- ral geworden, 1813 in russische Dienste übergetreten war und schließlich 1830 im Auftrag des Zaren die Kriegsakade- mie in St. Petersburg eingerichtet hatte.

Seit 1805 hatte er umfangreiche kriegs- geschichtliche Schriften, vor allem über die Zeit Napoleons, veröffentlicht; als ihr Fazit formulierte er allgemeingültige Re- geln für die Kriegführung, die die zeit- genössische Militärlehre fast ganz Euro- pas zunächst weitaus mehr beeindruck- ten als die Theorie von Clausewitz. Im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts wur- de aber immer deutlicher, daß diese Re- geln den wechselnden Rahmenbedin- gungen des Krieges zu wenig Rechnung trugen, oft im Unverbindlichen blieben und insgesamt im Gegensatz zu den Thesen Clauswitz' kaum überzeitliche Bedeutung besaßen. In der gegenseiti- gen Einschätzung der beiden Autoren war der Unterschied schon deutlich ge- worden: Clausewitz hatte Jomini wie Bülow zu den »windigen Systemma- chern« gerechnet, während der stärker didaktisch denkende Jomini Clausewitz übertriebene Abstraktion und allzugroße Kompliziertheit vorwarf. Immerhin hat Jomini durch seine Clausewitzkritik die- sen in Rußland überhaupt erst bekannt gemacht (S. 29-32).

In der Folgezeit beschäftigten sich die Militärlehrer an der Petersburger Kriegsakademie ausführlich mit Clau-

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sewitz: Die methodisch besonders sen- sible Analyse Mederns von 1836, deren positives Bild dann die russische Auf- fassung prägte (S. 32-38), ist ebenso le- senswert wie die weniger originelle, aber gründliche Clausewitzdeutung Bogdanovics von 1840 (S. 40-47) oder die theoriekritische Haltung des auch ins Deutsche übersetzten Generals Leer in den 1860er Jahren (S. 54-56). Theo- dor von Bernhardis Urteil von 1859, wonach der russische Offizier im Ge- folge Jominis nur an vordergründigen Kriegsregeln interessiert sei (zit. S. 56), behielt im Grunde bis 1917 Gültigkeit.

Lenin war nicht an einer militäri- schen, sondern einer politischen Kriegs- theorie als Teil seiner sozialistischen Re- volutions- und Gesellschaftstheorie in- teressiert. Rose stellt im einzelnen dar, welche Clausewitzstellen Lenin beson- ders beeindruckten (S. 103-112) und wie sie später in dessen Schriften, z.B. in

»Sozialismus und Krieg« von 1915, ver- wertet wurden (S. 112-127). Mit dem ursprünglichen Clausewitz haben die- se Umprägungen nur noch wenig zu tun, einige seiner Thesen gewannen je- doch durch das Vorbild Lenins in der Sowjetunion neue Aktualität und wirk- ten bei der Herausbildung der sowjeti- schen Militärdoktrin durch Trockij und Frunse mit (S. 127-138). Auf dem engen militärischen Sektor wurden die De- batten der Zarenzeit mit Pro und Con- tra fortgeführt; hier ragen der General Svecin, der 1938 Stalins Säuberungen zum Opfer fiel und dessen Clausewitz- biographie Rose inzwischen zusammen mit Hans-Ulrich Seidt auf Deutsch her- ausgegeben hat (»Clausewitz«, Bonn 1997), und der einflußreichere spätere Marschall Sapoänikov hervor (S. 140-164). Roses Buch schildert so- dann die wütenden Angriffe auf Clau- sewitz, die 1944 plötzlich losbrachen, Clausewitz in eine Reihe mit Lu- dendorff und Hitler stellten und im Januar 1946 in Stalins Verdikt endeten

(S. 196-223). Abschließend wird Clause- witz' »Rehabilitierung«, seine Bedeutung in der sowjetischen Atomkriegsdebatte und in der »Perestrojka« behandelt (S. 223-238). Eine zentrale Rolle in all diesen Erörterungen spielte Clausewitz' Bevorzugung der Verteidigung gegen- über dem Angriff: Solange im Zweiten Weltkrieg auf sowjetischer Seite die Ver- teidigung im Vordergrund stand, war Clausewitz noch geduldet, als jedoch der Angriff dominierte, schlug Stalins Hammer zu.

Die materialreiche Arbeit Roses ist lesbar geschrieben, insgesamt mehr re- ferierend als analysierenjd, und bietet einen breiten Überblick. Demgegen- über treten kritische Punkte zurück:

Clausewitz' eigentliche kriegstheoreti- sche Absicht wird auch hier von Ein- zeltheoremen überwuchert, die ein Ei- genleben entfalten — ein generelles Pro- blem der Rezeptionsgeschichte, denn Werke wirken selten als Ganzes —, manche Formulierungen hätten ein er- neutes Überdenken erfordert (z.B.: die Nichtvollendung seiner Gedanken sei ein Verdienst von Clausewitz gewesen, S. 146), der »Mentor« und »Nestor«

Hahlweg, der übrigens vom Amtschef des MGFA in seinem Vorwort auf S. 1 als »Werner Mahlweg« bezeichnet wird, ist etwas zu allgegenwärtig, und die Le- nininterpretation hätte wie bei diesem kritischer ausfallen können (S. 240 f.).

Die These, daß man Clausewitz in Deutschland immerfort »mißachtete oder umdeutete«, während die Sowjet- union als erster Staat der Welt ihre Mi- litärdoktrin an Clausewitz ausrichtete, und zwar nach dessen von Lenin »in unnachahmlicher Weise« (S. 260) »aus- gewählten und modifizierten Leitge- danken« (S. 2), ist panegyrisch. Das Rät- sel, warum die Sowjetunion trotz des Vorhandenseins einer so perfekten Dok- trin 1990/91 einfach zusammenbrach, erklärt der Autor damit, daß die sowje- tischen Clausewitzschüler die Abhän-

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gigkeit des Krieges »von den sozio-öko- nomischen und technischen Verände- rungen« mißachtet hätten (S. 10). »Der Kerl hat einen common sense, der an Witz grenzt«, sagte Marx über Clause- witz (zit. S. 88).

Reinhard Stumpf

Walter Schaufelberger, Blätter aus der Schweizer Militärgeschich- te, Frauenfeld: Huber 1995,211 S.

(= Schriftenreihe der Schweiz.

Gesellschaft für Militärhistori- sche Studienreisen (GMS), 15), SFr 72,— [ISBN 3-7193-1111-2]

Die Milizverfassung ist mit der Schwei- zer Staats-, Gesellschafts- und Wirt- schaftsstruktur so eng verbunden, daß immer wieder aufwendige Bücher über die Schweizer Militärgeschichte entste- hen können und ihre Verbreitung fin- den. Das vorliegende, reich bebilderte Werk von Walter Schaufelberger, dem langjährigen Professor für Schweizer Militärgeschichte an den beiden großen Zürcher Hochschulen, der Universität und der ΕΤΗ, verdankt dieser Schwei- zer Verbundenheit seine Entstehung:

Der Verlag Sir Rowland Hill in Embrach hatte unter dem Titel »Archiv Schweizer Militärgeschichte« sorgfältig gedruck- te und mit Texten Schaufelbergers ver- sehene Sammelblätter herausgegeben, die nun in Auswahl und in 16 Kapitel neu gruppiert die vorliegende Publika- tion bilden. Das Buch richtet sich an ei- nen weiteren Leserkreis, ist aber, wie bei dem angesehenen Autor nicht an- ders zu erwarten, wissenschaftlich fun- diert.

Behandelt wird die gesamte Breite der Schweizer Militärgeschichte. Jedes der 16. Kapitel umfaßt fünf Bildtafeln;

der Text steht auf der linken, das Bild auf der rechten Seite, so daß man bei- des zusammen betrachten kann. Der

Bildinhalt ist unterschiedlich: Gezeigt werden — überwiegend in Farbe — Schlachten, Soldaten, Waffen und Kar- ten, Plakate, Zeitungen und Einzeldo- kumente wie Telegramme oder Brief- marken. Die vorzügliche Qualität der Reproduktionen muß hervorgehoben werden.

Das Werk ist sorgfältig komponiert:

Die Gliederung ist grob chronologisch, jedoch rahmen allgemeine Kapitel die ereignisgeschichtlichen ein. Auf die Ein- leitung mit allgemeinen, für den Nicht- schweizer besonders hilfreichen Hin- weisen zu den einzelnen Kapiteln (S. 2-15) folgen zwei systematische Ka- pitel zu den Themen »Schlachten« und

»Wirkungsgeschichte« (S. 21-43), dann fünf ereignisgeschichtliche Kapitel über die Zeit vom »Spätmittelalter bis zum 19. Jahrhundert (S. 45-103); das allge- meine Kapitel zum Thema »Schützen- wesen« (S. 105-115) leitet über zu drei ereignisgeschichtlichen über die mo- dernen Schweizer Aktivdienste im Deutsch-Französischen Krieg, dem Er- sten und Zweiten Weltkrieg (S. 117-151).

Den Abschluß bilden wiederum fünf systematische Kapitel (»Bewaffnete Konflikte im Inneren«, »Fahnen und Uniformen«, »Waffen«, »Befestigun- gen«, »Krieger, Söldner und Soldaten«, S. 153-211). Beide Darstellungsformen halten sich also die Waage: acht allge- meinen stehen acht ereignisgeschicht- liche Kapitel gegenüber. Die Gegenwart ist nicht mehr eigentlicher Gegenstand der Darstellung/sie ist jedoch mit eini- gen Tafeln präsent.

Dem NichtSchweizer ist in der Re- gel kaum bewußt, welche zentrale staatsrechtliche und praktische Rolle die Armee für den Zusammenhalt des Schweizer Bundes spielt. Schaufelber- ger schildert die entscheidenden Stufen zur Entstehung der modernen Schweiz im 19. Jahrhundert: Nach der Abset- zimg Napoleons schlossen die 22 Kan- tone 1815 einen Bundesvertrag, der

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zwar einerseits die Souveränität der Kantone wiederherstellte, andererseits aber zur Wahrung von Unabhängigkeit und Sicherheit nach außen, von Ruhe und Ordnung nach innen zum ersten Mal überkantonale Institutionen schuf, und dies waren militärische Institutio- nen. So entstanden der eidgenössische Generalstab, die eidgenössische Zen- tralschule für die Offiziersausbildung und eidgenössische Übungslager. Es kam zu einer für die Schweiz typischen Teilung der Zuständigkeiten für die Ar- mee zwischen Kantonen und Bund, die in Resten auch heute noch besteht; die militärische Kompetenz des Bundes wurde jedoch 1848 und dann besonders durch die revidierte Bundesverfassung von 1874 ausgeweitet, die bis heute gilt.

Die Bedeutung der Milizarmee für den

»nationalen schweizerischen Integra- tionsprozeß« kann kaum überschätzt werden (S. 11,94-103). Für das gesamt- schweizerische Bewußtsein spielten zentrale Schlachten wie die von Mor- garten 1315, Sempach 1386 oder Ma- rignano 1515 immer eine große Rolle.

Indem Schaufelberger zwischen der Be- handlung der Schlachten und ihrer Wirkungsgeschichte trennt (S. 21-43), macht er auf eine wichtige Unterschei- dung aufmerksam, ohne die Bedeutung nationaler Symbole in Frage zu stellen.

Er wiederholt auch seine alte, seinerzeit in der landsknechtstolzen Schweiz hef- tig umstrittene, aber zweifellos richtige These, daß in der spätmittelalterlichen Kriegführung meist nicht die isolierte Schlachtenentscheidung, sondern der durch Wüstungs- und Plünderungszü- ge ausgeübte anhaltende militärische Druck strategisch entscheidend war (S. 10).

Das heitere Foto zur Entlebucher Amts- und Wyberschiesset (S. 115) und das Foto des Autors auf dem hinteren Umschlag geben Anlaß zu einer tief- sinnigen Überlegung: Mit einem ge- wissen Neid blickt der Rezensent über

den Oberrhein, wo Militärhistoriker noch lachen dürfen. Die jüngste deut- sche Geschichte hat leider endgültig al- len Humor und jeden Ansatz zu volks- tümlicher Lockerheit aus der deutschen Militärgeschichtsschreiburig vertrieben, in der sie auch vorher nicht fest veran- kert waren. Die hermeneutischen Fol- gen sind schwerwiegend: Einmal auf- zuzeigen, welchen Verlust das histori- sche Verstehen dadurch erleidet, daß nicht wenigstens in der Fragestellung

— wenn schon nicht in der Ausführung

— ein solch menschlicher Zug auf- scheint, wäre ein interessantes Thema für Geschichtstheoretiker. Das Gegen- bild zeigt das vorliegende schöne Buch über Wehrwesen und Militärgeschichte einer alten Demokratie: »Einige heikle Bildinterpretationen«, so bekennt der Autor, seien »im Gespräch mit ausge- wiesenen Kennern bei einem erleuch- tenden Glas Wein« entstanden, S. 8).

Wer Schaufelberger, seinen hochkaräti- gen Kreis in Zürich und das Zunfthaus am Neumarkt kennt, kann nur seufzen:

Oh, glückliche Schweiz.

Reinhard Stumpf

Matthias Stickler, Erzherzog Al- brecht von Österreich. Selbst- verständnis und Politik eines konservativen Habsburgers im

* Zeitalter Kaiser Franz Josephs, Husum: Matthiesen 1997, 554, 9 S. (= Historische Studien, 450), DM 148,— [ISBN 3-7868-1450-3]

Wie das im gleichen Jahr erschienene Buch Johann Christoph Allmayer-Becks (Der stumme Reiter. Erzherzog Albrecht

— der Feldherr »Gesamtösterreichs«, Wien 1997) hat die vorliegende Biogra- phie zur Person des Erzherzogs Al- brecht von Österreich eine von'der For- schung bis dahin weniger beachtete Persönlichkeit zum Gegenstand. An-

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ders als die Schrift Allmayer-Becks, in deren Zentrum vor allem die militäri- sche Seite der Tätigkeit Albrechts steht, handelt es sich bei ihr jedoch um ein De- büt, das auf einer Dissertation basiert und namentlich das politische Wirken des Erzherzogs analysieren will, ein- schließlich seiner weltanschaulichen Überzeugungen. Ihr Verfasser hat sich dieser Aufgabe mit bewunderungs- würdigem Fleiß unterzogen. Seine Dar- stellung ist in Kenntnis der vorhande- nen Forschungsliteratur — auch der äl- teren — geschrieben, die Ausein- andersetzung mit ihr wird im Einleitungskapitel deutlich, vor allem aber unter Heranziehung umfangrei- cher Aktenbestände verschiedener Ar- chive. Der Autor verfolgt das an- spruchsvolle Ziel, anhand eines bio- graphischen Exempels nicht nur das Wesen dynastischer Politik in Europa zu veranschaulichen, sondern auch Ent- stehung und politischen Einfluß der österreichischen Militärpartei zu zeigen und schließlich sogar einen Beitrag zur Geschichte des europäischen Konser- vativismus zu leisten. Es dürfte schwer- fallen, sich auf derartig disparate For- schungsinteressen gleichzeitig zu kon- zentrieren.

Abgesehen von der Einleitung, in der wichtige Ergebnisse der Albrecht- Forschung einschließlich der Quellen- lage vorgetragen werden, und dem knappen Resümee, gliedert sich (¿as Buch in vier etwa gleich umfangreiche Abschnitte (Kapitel 2-5). In ihnen be- schreibt Matthias Stickler zunächst das geistige und persönliche Umfeld des Erzherzogs und danach wichtige Pha- sen seiner öffentlichen Tätigkeit. Zwar liegt der thematische Akzent in den ein- zelnen Kapiteln durchaus in verschie- denen Bereichen, dennoch unterlaufen gravierende konzeptionelle Mängel, et- wa wenn im zweiten Kapitel die Darle- gung des persönlichen Umfeldes des Erzherzogs einschließlich seiner Ver-

wandtschaftsbeziehungen, seines Welt- bildes und seiner Uberzeugungen durch einen stark am Ereignis orien- tierten Exkurs seines Verhaltens in der Revolution von 1848/49 beschlossen oder im vierten Kapitel die Beschrei- bung seiner Bedeutung als Militär mit der Darlegung seiner innenpolitischen Vorstellungen eingeleitet wird.

Matthias Stickler bevorzugt eine an den Quellen orientierte, ihnen über wei- te Strecken sogar mikroskopisch nahe Tatsachenschilderung, ausgeschmückt mit Details, deren reflektorische Durch- dringung und Verdichtung allerdings einiges zu wünschen übrig läßt. Dieser Eindruck wird durch den Mangel an Thesen mittlerer und größerer Reich- weite noch verstärkt, wodurch die Dar- stellung beinahe zwangsläufig zu einem positivistischen Ereignisbericht gerät, dessen Stil infolge der ununterbroche- nen, wörtlich wiedergegebenen Zitate verschachtelt und stereotyp wirkt. Zu- sammenfassende Passagen mit indi- rekten Zitaten und eine geraffte, am ei- genen sprachlichen Ausdruck orien- tierte Gestaltung hätten hier Abhilfe ge- schaffen.

Trotz dieser Mängel stellt das vor- liegende Buch für den Spezialisten ei- ne Bereicherung dar. Indem es die bio- graphischen Daten Erzherzog Albrechts mit zahlreichen ungedruckten und ge- druckten, zum Teil schwer zugängli- chen Quellen verbindet, bietet es einen genauen biographischen Überblick mit verläßlichen Detailinformationen. Eine Zeittafel mit Lebensdaten des Erzher- zogs, einschließlich seiner zentralen Schriften, sowie wichtiger historischer Eckdaten, ein Abkürzungsverzeichnis, ein Quellen- und Literaturverzeichnis, ein Personenregister sowie ein genea- logischer Überblick dienen der Abrun- dung.

Jürgen Angelow

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István Deák, Der K.(u.)K. Offizier 1848-1918. Ins Dt. übertr. von Marie-Therese Pitner, Wien, Köln, Weimar: Böhlau 1995 (2. Auflage), 321 S., DM 69,80 [ISBN 3-205-98242-8]

Neben der Person des Monarchen Franz Joseph I. hat die k.u.k. Armee zweifel- los eine herausragende Integrations- funktion innerhalb der multinationalen und gemischtsprachigen österreichisch- ungarischen Doppelmonarchie beses- sen. Ihr Offizierkorps bildet den Ge- genstand vorliegender Darstellung, die bis in die Revolutionsära von 1848 zurückgeht und 1918 endet, dem Jahr der Auflösung Österreich-Ungarns. Da- mit wird auch jene Zeit vor dem Aus- gleich von 1867 angesprochen, der zur Umwandlung der österreichischen k.k.

Monarchie in die österreichisch-unga- rische k.u.k. Doppelmonarchie geführt hat. Nachdem nationalistische und ideologische Vorbehalte der Jahrzehn- te nach 1918 oftmals den Blick auf die Geschichte und die Leistungen der Habsburgermonarchie verstellt haben, beginnt sich in letzter Zeit eine ausge- wogenere Sicht und zum Teil auch habsburgfreundlichere Betrachtung durchzusetzen. Für Ausgewogenheit ist insbesondere jene von Adam Wan- druszka und Peter Urbanitsch herausge- gebene Reihe »Die Habsburgermonar- chie 1848-1918« beispielhaft, in der auch die bewaffnete Macht Österreich- Ungarns und ihre Protagonisten ange- messen thematisiert werden.

István Deák kann auf diese und an- dere allgemeinere Darlegungen zum Militärwesen der Donaumonarchie be- reits zurückgreifen, wobei sein beson- deres Interesse jedoch dem k.(u.)k. Of- fizierkorps gilt. Sein Buch gliedert sich in zwei Teile. Zunächst legt Deák jene Traditionen und gesellschaftspoliti- schen Voraussetzungen dar, die für Um- feld, Milieu und Wirken des k.(u.)k. Of-

fizierkorps prägend geworden sind. In diesen Passagen vermittelt seine Dar- stellung über weite Strecken Hand- buchwissen, wobei die Vorliebe des Au- tors für illustrierende Anekdoten eine präzise Gedankenführung nicht immer unterstützt. Auch läßt die Zuspitzung historischer Abläufe auf das Wirken von Persönlichkeiten gesellschaftliche Strukturen oftmals nur umrißartig er- kennen. Doch bereits an dieser Stelle entwickelt Deák — verkürzt gesagt — die These, in der bewaffneten Macht Österreich-Ungarns sei das Nationa- litätenproblem durch eine supranatio- nale Ideologie überlagert gewesen, wo- raus sich die integrative Funktion der Armee abgeleitet hätte. Dieser zentrale Befund wird im zweiten Teil seines Bu- ches anhand des k.(u.)k Offizierkorps in überwiegend strukturgeschichtlicher Argumentation erhärtet. Hier bietet er eine sozialgeschichtliche Untersuchung dieser Personengruppe, zum Teil unter Anwendung quantifizierender Analy- semethoden, wobei Herkunft, Erzie- hung und Sozialisation, Ausbildung, mentale Prägungen, wirtschaftliche Ver- hältnisse und Lebensstil des angespro- chenen Personenkreises thematisiert werden. Deák gelingt es überzeugend, wichtige Verbindungslinien zur gesell- schaftlichen Praxis und zur offiziellen Politik zu ziehen und dabei die innere Ambivalenz des Offizierkorps in einer sich wandelnden und zaghaft moder- nisierenden Gesellschaft zu zeigen: die Gleichzeitigkeit von feudal-traditiona- len und bürgerlich-modernen Prägun- gen. Der Autor betrachtet Militär und Gesellschaft durchweg in einem Zu- sammenhang, die Sozialgeschichte der k.(u.)k. Offiziere erscheint als Reflex und Bestandteil einer umfassenderen Sicht auf die gesellschaftlichen Struk- turen der Monarchie. Folgerichtig ste- hen neben dem persönlichen Treuever- hältnis jedes Offiziers zum Herrscher und der Verinnerlichung längst ana-

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chronistisch scheinender, aber gesell- schaftliche Exklusivität bewahrender Rituale und Normen im Alltag der Of- fiziere auch bedeutende Modernisie- rungsleistungen, etwa die soziale Öff- nung dieser Kaste für unterbürgerliche Schichten oder — durch Aufnahme nichtdeutscher Berufsoffiziere — ihre tendenzielle Veränderung in Richtung auf ein zeitgemäßes ethnisch indiffe- rentes Offizierkorps, dessen innerge- sellschaftliche Konsensfähigkeit bei konsequenterer Öffnung noch erheblich verbreitert gewesen wäre. Deák spannt den Bogen seiner Untersuchung bis zum Ende des Ersten Weltkrieges, wo- bei Bedauern mitschwingt, daß dieser Zusammenbruch auch das Ende reli- giöser und ethnischer Toleranz in Mit- teleuropa bedeutet habe.

Die durchweg auf hohem Niveau stehende Forschungsleistung Deáks wird unterhaltsam, manchmal auch fa- bulierend dargeboten. Sie ist gut ver- ständlich und wendet sich nicht nur an ein enges Fachpublikum sondern auch an andere kultur- und militärge- schichtlich interessierte Leser. Das Buch enthält interessante Statistiken, es wird durch einen ausführlichen bibliogra- phischen Exkurs sowie einen Anhang der mehrsprachigen Ortsnamen bzw.

Personen ergänzt und ist reichlich und originell illustriert.

Jürgen Angelow

Wilhelm Liebhart, Bayerns Kö- nige. 2., verb, und erw. Aufl., Frankfurt a.M., Berlin, Bern, New York, Paris, Wien: Lang 1997, 365 S., DM 49,— [ISBN 3- 631-31567-8]

Obwohl das Herrschaftsverständnis der bayerischen Könige und ihre Rolle im Regierungssystem zu den gut erforsch- ten Gegenständen der politischen Lan-

desgeschichte gehören, böte die offen- sichtlich unterschiedliche »politische Qualität des monarchischen Elements«

in der bayerischen Geschichte des 19. Jahrhunderts (H.M. Körner, Mini- sterium und Landtag im Königreich Bayern seit der Mitte des 19. Jahrhun- derts, in: Der Bayerische Landtag vom Spätmittelalter bis zu Gegenwart — Probleme und Desiderate historischer Forschung, hrsg. von W. Ziegler, Mün- chen 1995, S. 165-173, Zitat S. 166) Stoff für eine umfassendere Untersuchung der Wechselwirkungen zwischen Herr- schaftsverständnis und Regierungs- praxis und eröffnete die Möglichkeit, die Frage der Entwicklungsfähigkeit des monarchischen Systems in den deutschen Einzelstaaten an einem loh- nenden Beispiel zu vertiefen.

Der Titel des Buches von Liebhart scheint eine solche Untersuchung an- zukündigen; es wird aber schnell deut- lich, daß die Ziele der Untersuchung be- scheidener sind. Zwar will der Verfas- ser das Königtum der Wittelsbacher als

»ein Königtum der politischen Macht«

vorstellen. Er verfolgt hierbei aber kein systematisches Untersuchungsziel. Im Grunde handelt es sich um eine Samm- lung von Kurzbiographien der bayeri- schen Könige, wobei — nach Abzug des umfangreichen Anmerkungs- und Li- teraturteils — auf die einzelnen Kapi- tel jeweils rund 40 Seiten entfallen.

Natürlich kann bei diesem Umfang ei- ne differenzierte Darstellung des auto- kratischen Selbstverständnisses Lud- wigs I. und seiner Herrschaftspraxis kaum gelingen, zumal auch die kultur- politischen Initiativen des Königs ge- würdigt werden. Die Regierungsziele Max' II. haben hingegen erst durch die von Liebhart berücksichtigten For- schungen der letzten Zeit über das auf eine Hebung des bayerischen Natio- nalbewußtseins angelegte, in seinen Mitteln zur Beeinflussung der Öffent- lichkeit erstaunlich moderne Herr-

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