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Bischof Dr. Christian Stäblein

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Academic year: 2022

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Predigt

Palmarum, 28. März 2021 Oberkirche St. Nikolai Cottbus

„Auf dem Weg nach Worms“

Im Rahmen der Predigtreihe „Heiliger Ungehorsam“

Hebr. 11,1-2; 12, 1-3

Bischof Dr. Christian Stäblein

Liebe Gemeinde, für den heutigen Sonntag Palmarum sind als Predigtworte einige Verse aus dem Hebräerbrief vorgeschlagen – Hebräer, 11. und 12. Kapitel. Es ist ja klar:

ich würde die Verse jetzt nicht lesen, wen ich sie nicht für überaus passend für unser Gedenken heute hielte:

Der Glaube ist eine feste Zuversicht dessen, was man hofft, und ein Nichtzweifeln an dem, was man nicht sieht. In diesem Glauben haben die Alten Gottes Zeugnis empfan- gen. Darum auch wir: Weil wir eine solche Wolke von Zeugen um uns haben, lasst uns ablegen alles, was uns beschwert, und die Sünde, die uns umstrickt. Lasst uns laufen mit Geduld in dem Kampf, der uns bestimmt ist, und aufsehen zu Jesus, dem Anfänger und Vollender des Glaubens, der, obwohl er hätte Freude haben können, das Kreuz erduldete und die Schande gering achtete und sich gesetzt hat zur Rechten des Thrones Gottes. Gedenkt an den, der so viel Widerspruch gegen sich von den Sündern erduldet hat, dass ihr nicht matt werdet und den Mut nicht sinken lasst.

Gott schenke uns ein Herz für sein Wort und ein Wort für unser Herz.

Liebe Gemeinde, wenn sich Ungehorsam ansammelt, ist das wie Wolken aufziehen.

Eine Wolke ist eine Ansammlung um Kondensationskerne herum, das sind die Umwand- lungspunkte, an denen etwas, was in der Luft ist, fest wird. Das bis dahin schwer Greif- bare tritt zu Tage, wird kristallklar. Erst Staub scheinbar, Wolke halt. Und dann, bäm, die Pauke. Ungehorsam, Stehen, Widerstehen. – Worms, liebe Gemeinde, ist der Pauken- schlag der Reformationsgeschichte – und zwar nicht nur aus heutiger Sicht, schon da- mals. Anders als der 31. Oktober mit dem Thesenanschlag – womöglich ja mehr ein Anpinnen, die Hammerschläge des Widerstands hört die Geschichte erst später hinein – anders als der letzte Oktobertag 1517, sind die Apriltage in Worms ein Paukenschlag von Anfang an, Kondensations-, ja Kristallisationspunkt von heiligem Ungehorsam, im

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Predigt – Bischof Dr. Christian Stäblein – 2 Ineinander von Weltgeschichte, Kirchengeschichte und Glaubensgeschichte. Kommt so oft nicht vor. Man kann der Verwandlung förmlich zusehen. Aus dem hier und da und dort Umherflirrenden der neuen Lehre Luthers und seiner Anhänger wird mit dem Reichstag zu Worms und Luthers Auftritt etwas Greifbares, etwas, das nun nicht mehr nur die Reden in den Kirchen verändert, jetzt auch die Geschicke des Reiches und der Welt. Kaiser Karl hat es nicht anders gewollt, womöglich gerade, weil er es anders ge- wollt hat, gerade weil er und die Seinen bis zuletzt unsicher waren, ob sie Luther da auftreten lassen oder lieber nicht, gerade weil auch für ihn, den jungen Newcomer auf dem Thron die Wochen davor ein Hin- und Her, ein Gang wie durch Nebel widerspre- chender Meinungen ist, gerade dadurch womöglich dieser Paukenschlag. Die Wolke schlägt um, es regnet Wahrheit, es ergießt sich Glaube, die Bewegung daraus ist nicht mehr aufzuhalten, Kaiser und Kurie können nur noch Schirme aufspannen, aber der Geist des Neuen geht nicht mehr in die Flasche zurück. Worms. Haltepunkt der Wol- kensäule, Moment des heiligen Ungehorsams, des Aufbruchs, in dem das Meer des Glaubens sich zu spalten beginnt.

Es ist, liebe Gemeinde, eine Handvoll Getreuer, die sich am 2. April in Wittenberg auf- macht, am 29. März – morgen vor 500 Jahren – war die Vorladung nach Worms an Luther in Wittenberg angekommen, Luther hatte die Reise unbedingt gewollt, heißt es.

Er wusste, es würde Staub aufwirbeln und er ahnte, es würde diesen Staub, diesen Wolkenbruch, ja diesen Bruch durch Standfestigkeit brauchen. Damit es endlich licht wird, mehr Licht in einer verfinsterten Kirche und in einer verfinsterten Glaubenspraxis.

Luther zog dafür, lange bevor es eine Nation überhaupt gab, Luther zog dafür auch die nationale Karte – Sie werden es in den nächsten Wochen hören, wenn Sie mehr aus Worms vom Reichstag direkt hören, Luthers Einbeziehen der geknechteten deutschen Lande, ja, er brauchte die Fürsten auf dem Reichstag für seine Sache, für die Freiheit ihren Schutz. Man darf das nicht missverstehen heute. Es wird einem förmlich übel, wenn man sieht, wie manche Populisten aus Luther einen Nationalisten machen wollten, das ist nicht heiliger Ungehorsam, das ist unheiliger Unsinn – er brauchte schlicht die Fürsten, vor allem den Kurfürsten zum Schutz, da können sie, wer auch immer, die na- tionale Pauke schlagen, wie sie wollen, aus Nationalismus kommt kein evangelischer Segensregen raus.

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Predigt – Bischof Dr. Christian Stäblein – 3 Also eine Handvoll Getreuer am 29. März in einem Pferdewagen mit Dach: der Ordens- bruder von Petzensteiner, Nikolaus von Amsdorff als Mitglied der Fakultät Wittenberg, der Adlige Peter von Suaven als Vertreter der Studentenschaft, wohl auch noch Thomas Blarer, später Reformator in Konstanz, in Erfurt stößt noch der Jurist Justus Jonas dazu, ein erster Justiziar des Protestantismus, könnte man sagen, das ist es schon. Die Wolke der Zeugen wirbelt Staub auf auf dem Weg von Wittenberg nach Worms. Großes fürst- liches Hallo in Erfurt. Predigten Luthers dort und in Gotha, in Eisenach, in Frankfurt, der Wittenberger Mönch ein Medienstar in damaligen Verhältnissen, ein Ereignis, immer und immer wieder die Lehre vom Glauben, vom allein aus Glauben und dem Ungehorsam gegen eine Kirche, die das bestreitet. Auf heute übertragen könnte man sagen: Luther jeden Abend bei Markus Lanz und bei Anne Will, ein erfolgreicher Influencer im Namen des Herrn. Eine Menge Ungehorsams-Staub. Die Wolke verdichtet sich. Immer mehr Zeugen. Es kann nicht mehr lange dauern, nicht mehr so weiter gehen Worms.

In diesem Glauben haben die Alten Gottes Zeugnis empfangen, schreibt der Hebräer- brief. Darum auch wir. Darum auch wir. Also: Wo ist Ihr, wo ist Euer, wo ist unser Worms? Der Kristallisations-, der Kondensationspunkt, der Moment, wo es greifbar wird, gegen alle Widerstände womöglich. Der Moment, an dem ich jetzt sage. Und nein. Und:

so, so glaube ich. Und kann nicht anders. Mein Worms. Kann man ja nicht täglich aus- rufen. Die Evangelischen, die bei jeder Kleinigkeit behaupten, dass sie hier und nir- gendwo anders stehen können, die sind sozial dann doch furchtbar anstrengend. Hat Luther ja vermutlich so gar nicht gesagt in Worms, das „Hier stehe ich“. Also nicht jeden Tag Worms, nicht in jeder Gemeindekirchenratssitzung – aber eben auch nicht nie im Leben, denke ich. Wann also? War’s schon? Wann ist der richtige Zeitpunkt für die Pauke? Kriterium: Freiheit. Daran ist der Ungehorsam gebunden. An den Kampf für die Freiheit des Glaubens.

Ja, vom Kampf spricht der Hebräerbrief, vom Kampf, der uns bestimmt ist. Sind also nicht immer Schönwetterwolken, im Hintergrund der Worte des Hebräerbriefes sowieso nicht – Glaube im ersten und zweiten Jahrhundert ist kein Picknick im Grünen, ist ver- folgt Sein und bei den Verstorbenen Ausharren, in den Katakomben, in den Hallen von Widerstand und Ungehorsam, kein Picknick, kein Ponyhof.

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Predigt – Bischof Dr. Christian Stäblein – 4 Nein, bequem war das alles nicht für Luther und die Seinen, nicht auf dem Pferdewagen und bei allem Jubel hier und dort auch nicht auf den Stationen. Überall hing schon die kaiserliche Ablehnung seiner Schriften an den Bäumen, der Kaiser wollte nicht diskutie- ren, er wollte nur Widerruf hören. Ab Eisenach plagten den Mönch dann wieder seine Verdauungsprobleme. Das war der Schwachpunkt seines Körpers und manchmal möchte man denken: Die Spannung, die sich an ihm entlud, war wohl kaum zu ertragen.

Er muss das ganz physisch erfahren haben, immer wieder durchaus auch Zweifel, ob er wirklich bis Worms gehen solle, wir sind doch eh Staub, Sternenstaub nur, wozu also – und dann wieder, ganz der Kräftige, wenn man ihn warnte seine Antwort: Wenn noch so viele Teufel zu Worms wären als Ziegel auf den Dächern, ich wollte doch hinein.

Kämpfen ist nicht ohne Blessuren, Glaubenskämpfe auch nicht. Wir reden nicht gerne davon heute, ist schnell zu martialisch und, ja, es hat zu viele unsinnige, tödliche Glau- benskämpfe gegeben. Dahin will kein Mensch zurück. Laufen mit Geduld in dem Kampf, der uns bestimmt ist, das ist gemeint. Darin steckt wenig Aggression, viel Ertragen – so war das für die Christinnen und Christen der ersten Generationen, laufend erdulden und dabei bezeugen. Und so war das auch für die erste Generation der Evangelischen, die da ja noch gar nicht wussten, dass sie das sind oder werden. Frei nur wollten sie sein – obwohl, das stimmt nicht – frei sollte ihr Glaube von widersinniger kirchlicher Bevormun- dung und Gängelung sein, frei und also nur gebunden an Gott und die Liebe zur Schrift und zum Nächsten, frei und also nicht in Angst gehalten. Dafür alles ertragen. Dafür aus dem Staub erheben, immer wieder. Ach ja, Luther hätte auf dem Weg nach Worms ja noch abbiegen können, das wäre bequemer gewesen, die Angebote kamen bis zuletzt.

Aber bestimmt war wohl etwas anders, ein anderer Kampf. Worms durchstehen. Und dann klug sein. Das, liebe Gemeinde, liest sich schon wie ein Krimi, wie gut er sich auf nach Worms vorbereitet hatte – die Abreise, die inszenierte Entführung hin auf die Wart- burg, wer kämpft, auch im Glauben, der muss klug sein, der darf nicht naiv sein. Als der Kaiser die Reichsacht verhängt, ist Luther schon auf der Wartburg in Sicherheit. Auch nicht bequem, auch ein Kampf, keine Frage, aber das sucht man sich wie so vieles nicht aus.

Liebe Gemeinde, mit dem Kampf – dem Lebenskampf und dem Glaubenskampf – bin ich vorsichtig im Drüber reden. Hier droht so schnell ein Heroisieren. Was hat man aus Luther alles gemacht seitdem – Luther, Worms, das kann man mit zu großem Pathos

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Predigt – Bischof Dr. Christian Stäblein – 5 und falschem Konfessionsstolz missbrauchen. Was der Hebräerbrief meint, ist der Kampf, der halt bestimmt ist, den man sich nicht aussucht, in dem man sich nicht fröhlich stürzt, sondern der unumgänglich ist. Im Glauben um die Freiheit des Glaubens. Nicht einfach so, sondern um der Menschen und um unser selbst willen.

Jetzt ist Corona. Das hat sich kein Mensch ausgesucht. Aber es ist ein Zustand, der den Lebenskampf von vielen Menschen anheizt, erschwert. Ein Geschäft aufgeben müssen, das womöglich das Geschäft der Eltern war, weil es immer schon knapp lief und jetzt auch mit staatlichen Hilfen nicht mehr geht. Das ist leben, laufen, kämpfen. Kein Pick- nick, wahrlich. Die Kinder groß ziehen, allein, weil der Partner viel zu früh gegangen, Krebs, aber die Kinder sind nun mal das Größte und Einzige, und doch fallen abends bei Mathe im Homeschooling die Augen zu. Lebenskampf ganz alltäglich. Wer schlägt für die die Pauke? Keiner hat sich das ausgesucht, ob es so bestimmt ist, ist müßig.

Corona wird nicht ewig dauern, aber im Moment beschäftigt es uns tief. Die Frage, ob wir da Gottesdienste halten, ist irgendwie wichtig, aber auch ziemlich banal. Die Frage ist, ob wir Trost haben. Ob wir Kraft geben können. Ob wir kraftvoll reden können. Auch wir, jeder von uns ist auf seine Weise in dem Lauf, der dran ist, ob bestimmt oder nicht.

Corona und Worms haben nicht viel, ja womöglich gar nichts miteinander zu tun. Aber so viel dann doch: Du musst in jedem Moment wissen, ob Du für die Freiheit kämpfst, ob es um Liebe für den Nächsten geht, ob es das ist, warum Du aufstehst. Oder irgend- was anderes – dein Ruhm, die Lust, mal gegen die da Oben zu sein, irgendwelche ver- biesterten Besserwissereien oder was auch immer. Das alles ist am Ende kein Grund.

Nur das eine: das Eintreten für die Freiheit. Wegen der Liebe. Um Gottes willen. Dafür die Pauke – wenn es sein muss, wenn es sein soll, natürlich auch gegen viel Widerstand.

Und dann auch mal abtauchen, nichts wie weg, wenn Worms vorbei ist, auf die Wart- burg, wo auch immer Ihr Platz ist, wo Sie einfach Kraft holen und Bibel lesen. Muss ja nicht gleich übersetzen sein wie Luther. Lesen ist auch schon gut.

Woher ich dieses Kriterium jetzt genommen habe am Ende? Ganz einfach, natürlich aus den Worten des Hebräerbriefes: Und lasst uns aufsehen zu Jesus, dem Anfänger und Vollender des Glaubens, der, obwohl er hätte Freude haben können, das Kreuz erdul- dete und die Schande gering achtete und sich gesetzt hat zur Rechten des Thrones Gottes. Gedenkt an den, der so viel Widerspruch gegen sich von den Sündern erduldet

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Predigt – Bischof Dr. Christian Stäblein – 6 hat, dass ihr nicht matt werdet und den Mut nicht sinken lasst. Gedenkt an den. Wider- spruch kann zur Pflicht werden. Wenn es im Blick zu Jesus ist, kann Ungehorsam heilig sein. Aber nicht um des Ungehorsams willen, nicht für sich. Kriterium Jesus. Der sich aus dem Staub und über dem Staub erhebt. Und der mit uns in unserem Staub ist. Das, das ist ja die Wolke der Zeugen. Der Staub, aus dem Gott neu aufsteht. Und mit uns aushält. Geduldig. Und wenn wir nicht mehr können. Dann Worms. Euer Worms. Auf nach Worms. Am 29. März ist die Einladung ergangen. Morgen. Morgen? Und dann?

Sie wissen es. Amen.

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