POLITIK
Treffen der Kant-Gesellschaft mit internationaler Beteiligung in einer Stadt im Südwesten Deutsch- lands. Den fachfremden Medicus ziehen alte Freundschaftsbande und ein noch nicht vergessenes Philoso- phiestudium dorthin. Abends sitzt ein kleiner Kreis in einem beschei- denen doch gemütlichen Weinhaus beisammen, in dein man auch ohne vorweg geplante Anmeldung noch seinen Platz gefunden hat. Der Er- zählungen und Streitgespräche ist kein Ende, bis einer der Weisheits- und Erkenntnisjünger den Medicus mustert: „Nun schildern Sie doch einmal, was der Organisator eines medizinischen Kongresses an unse- rer Tagung auszusetzen hätte; man hört doch wahre Wunderdinge von Ärztetagungen!"
Der Aesculapjünger zögert, durch den fordernden Beifall der Runde gedrängt, meint er dann:
„Gut, ich werde Ihnen als ,advoca- tus diaboli` aber zugleich eine Kari- katur bieten!" Er lehnt sich lässig zurück, entzündet seine Pfeife und hebt an: „Laßt uns mit dem Ta- gungsbüro, sozusagen die Visiten- karte des Kongresses, beginnen.
Die sechs Damen dort sind ja recht liebenswürdig, aber wenig präsenta- bel. Zum ersten hättet Ihr ihnen ei- ne einheitliche Oberbekleidung vom besten Modedesigner verord- nen müssen, zum zweiten einen ge- meinsamen Gang zum Haarstyli- sten; auch sollte es ein einheitliches Tagungsparfüm sein. Und dann bit- te nicht so brav — das Mcollet tie- fer, der Rock höher!
Das Richtige
Und die Beschallung. Die Ba- rockweisen in den Pausen sind ja rührend, aber habt Ihr nicht ge- spürt, daß sie stören, da man Ge- fahr läuft, ihnen zuzuhören? Hin- tergrundmusik aus dem Großmarkt bitte, unaufdringlich, seelenlos und dumm — das ist das Richtige!
DI E GLOSSE
Die Wahl des Tagungsortes ist sehr zu bemängeln. Wer mutet heu- te noch seinen Gästen einen Hör- saal zu? Und sei er noch so zweck- dienlich. Hilton, Sheraton, Kurhaus oder Spielbank — etwas Adäquates wird sich doch finden. Der Rahmen ist ja so wichtig. Dann das Gesell- schaftsprogramm — wenigstens ein großer Festabend ist zu fordern, Es- sen und Getränke vom Besten, tun- lichst bereitet von einem der zehn besten Köche Deutschlands und ei- nem international geschätzten Par- tydienst. Große Abendkleidung vorschreiben — ich sagte es ja schon:
der Rahmen!
Ein Kammerorchester für den Beginn des Abends ist ja ganz nett — aber damit könnt Ihr keine Begei- sterung wecken. Wählt einen Enter- tainer, bekannt von Funk und Fern- sehen. Dann laufen Eure Gäste nicht Gefahr, intellektuell strapa- ziert zu werden; und zudem — ge- meinsam über Dummheiten zu lächeln, verbindet ungemein. Ver- geßt nicht ein erstklassiges Tanzor- chester; es ist zwar teurer als die Berliner Philharmoniker, aber dafür auch sehr schick.
Und überhaupt: Nicht zuviel Kultur! Gebt dem Volk zu essen und zu trinken, reichlich, vom Be- sten. Es wird Euch danken.
Die Eröffnung Eurer Tagung ließ jeden gesellschaftlichen Glanz vermissen. Laßt doch etliche Mini- ster auftreten, sie kommen gern, re- den viel, sind zudem wohlfeil und zieren ungemein. Spektabilitäten und Magnifizenzen sind ja ohnehin selbstverständlich.
Daß ich es nicht vergesse — die Mitgliederversammlung. Was ich da bei euch erlebte, war ja reine Anar- chie. Da traten Anwesende auf, als dürften sie gleichberechtigt den Mund auftun, forderten gar Aus- kunft und Rechenschaft vom Vor- stand der Gesellschaft, brachten ei- gene Wahlvorschläge ein und waren nicht geneigt, den gutgemeinten Empfehlungen des Ersten Vorsitzen-
den zu folgen. Ich sah keine säuberli- che Trennung zwischen Assistenten, Privatdozenten und Professoren der Klassen C 2, C 3 und C 4. Welch Nie- dergang! Hat doch Gott wahrlich Ansehen, Weisheit und Kompetenz so sichtbarlich in Anlehnung an die Wehrsoldklassen verteilt.
Die Finanzen müssen leider stimmen. Mit Euren lächerlichen Kongreßgebühren könnt Ihr wirk- lich nur ein jämmerliches Spektakel inszenieren. Nein, greift dreist zu:
ins Portemonnaie — je teurer die Ta- gung, desto größer ihr Erlebnis- wert! Bringt Euch die Industrieaus- stellung der Hersteller von Bleistif- ten, Radiergummis und Papier nicht genügend ein, so bemüht Mo- dedesigner, Juweliere und Autofir- men. Hauptsache — sie zahlen. Bei den Politikern fragt erst gar nicht an
— bei ihnen ist nichts zu holen. Für die Eröffnungssitzung müßt Ihr übrigens, so bitter dies sein mag, ei- nige Träger wohlklingender Namen als Referenten einladen, Flugticket und Unterbringung im Luxushotel einbegriffen. Das kommt zwar teu- er, macht aber einen guten Effekt."
Medicus irritiert:
Platz für
die Karikatur?
Einer der Philosophen lächelt über sein Glas hinweg: „Aber wo bleiben denn Tagungsthema und Gehalt der Vorträge?" Der Medicus entgegnet forsch und vom Weine beflügelt: „Ja, weiß der Teufel, wo sie bleiben; von Bedeutung sind sie sicher nicht. Mit ihnen lockst Du niemanden hinter dem Ofen hervor.
Und zudem: Denn eben, wo Begrif- fe fehlen, da stellt ein Wort zur rechten Zeit sich ein." Der Frager lächelt und meint nachdenklich:
„Du Jünger des Aesculap hast uns über die Realität hinaus eine Kari- katur versprochen."
Der Medicus schaut ein wenig irritiert, dann schüttelt er behutsam seinen Kopf und sagt, unendlich nachsichtig, wie zu einem Kinde:
„Ja, wirklich, Bester, das ist ja in der Tat schon die Realität. Wo, so frage ich Dich, bliebe da noch Platz für die Karikatur?" D. V.
Vom Besten, vom Feinsten, vom ,
Deutsches Ärzteblatt 91, Heft 49, 9. Dezember 1994 (25) A-3409