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Archiv "Sexualdelikte – Diagnostik und Befundinterpretation" (01.10.2004)

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er dreizehnte Abschnitt des Straf- gesetzbuches regelt „Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestim- mung“. Die Straftaten werden in den §§

174 bis 184 StGB im Einzelnen darge- stellt (14). Seit einiger Zeit sind Refor- men der gesetzlichen Grundlagen ge- plant. Eine Reform trat am 1.April 2004 in Kraft. Diese betrifft die Verschärfung des Sexualstrafrechts im Gesetzblatt.

Unabhängig von der rechtlichen Ein- schätzung einer Straftat sollte ein Arzt, der in seiner Praxis oder Klinik Patien- tinnen und Patienten nach einem Se- xualdelikt behandelt, zumindest eine grobe begriffliche Differenzierung der Straftaten vornehmen können. Er sollte auch wissen, welche Untersuchungen und Vorgehensweisen bei einer Spuren- sicherung notwendig sind. Insbesonde- re die Interpretation von Befunden und die Spurensicherung bereiten nach wie vor Schwierigkeiten. Bei Patientinnen, die zum Arzt wegen Beschwerden ge- hen, die nicht sofort auf ein vorange- gangenes Sexualdelikt schließen lassen, sind umsichtiges Handeln und Behan- deln sowie Geduld angebracht. In gynä- kologischen Sprechstunden sollten bei somatischen Erkrankungen auch sexu- elle Übergriffe erwogen werden.

Im Folgenden wird auf den sexuellen Missbrauch von Kindern und Vergewal- tigung eingegangen.

Sexueller Missbrauch von Kindern

Definition

Sexueller Missbrauch ist eine sexuelle Handlung, vorgenommen an einer Per- son unter vierzehn Jahren (Kind). Dies ist nach § 176 StGB unter Strafe ge- stellt. Geahndet werden sowohl Hand- lungen, die ein Täter am Kind vornimmt als auch der Täter an sich von dem Kind vornehmen lässt. Das Einwirken auf das Kind durch Zeigen pornographi- scher Abbildungen, durch Abspielen von Tonträgern pornographischen In- halts oder durch entsprechende Reden wird ebenfalls bestraft.

Der „schwere sexuelle Missbrauch von Kindern“ wird in § 176a StGB defi- niert – Vollzug des Beischlafs oder ähn- liche, mit dem Eindringen in den Kör- per des Kindes verbundene, sexuelle Handlungen – eine gemeinschaftliche Tatbegehung von mehreren Personen –

die Herbeiführung der Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung oder einer erheblichen Schädigung der kör- perlichen oder seelischen Entwicklung.

In § 176b StGB wird der sexuelle Missbrauch von Kindern mit Todesfol- ge gesondert betrachtet (14).

Die Bundesregierung hat zum Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexueller Gewalt und Ausbeutung einen Aktionsplan vorgelegt, der vier zentrale Ziele verfolgt:

>„[...] den strafrechtlichen Schutz von Kindern und Jugendlichen weiter zu entwickeln,

>die Prävention und den Opfer- schutz zu stärken,

>die internationale Strafverfolgung und Zusammenarbeit sicher zu stellen sowie

>die Vernetzung der Hilfs- und Be- ratungsangebote zu fördern.“

Am 29. Januar 2003 wurde dieser Ak- tionsplan vom Bundeskabinett verab- schiedet.

Epidemiologie

Entsprechend der Polizeilichen Krimi- nalstatistik (PKS) von 2002 erfolgte, dargestellt ab 1987, eine stetige Zunah- me der polizeilich erfassten Fälle von et- wa 10 000 (noch alte Bundesländer) bis auf etwa 16 000 (gesamtes Bundesge-

Sexualdelikte – Diagnostik und Befundinterpretation

Zusammenfassung

Sexuelle Gewalt ist ein häufiges Problem. Es ist in allen gesellschaftlichen Schichten anzutreffen und betrifft Kinder, Jugendliche und Erwachsene beider Geschlechter. Die Untersuchung von Kin- dern und die Interpretation genitaler Befunde bei einem Verdacht auf sexuellen Missbrauch erfor- dert Kenntnis von Einflussfaktoren durch den Un- tersucher und das Kind. Des Weiteren sollte der Untersucher über die hormonell gesteuerte Ent- wicklung des Genitales Bescheid wissen. Die Dia- gnose eines sexuellen Missbrauchs kann nur dann gestellt werden, wenn beweisende Befun- de vorliegen. Normale oder unspezifische Befun- de sind häufig und widersprechen nicht der Mög- lichkeit eines sexuellen Übergriffs. Etwa 20 Pro- zent aller erwachsenen Frauen in der gynäkologi-

schen Sprechstunde haben in ihrer Kindheit oder als Erwachsene sexuelle Gewalt in unterschiedli- chen Formen erlebt. Eine Spurensicherung ist sinnvoll, wenn Spuren angesichts der zeitlichen Verhältnisse auch erwartet werden können.

Schlüsselwörter: Sexualdelikt, Kindesmisshand- lung, Spurensicherung, Rechtsmedizin, Befund- interpretation

Summary

Diagnoses and Interpretation of Sexual Abuses

Sexual abuse is a common problem. It affects children, adolescents, males, and females of any age or socio-economic class. The examina-

tion of children and interpretation of genital findings in suspected sexual abuse demands knowledge of external factors caused by the examiner or the child. In addition the examiner should know the hormonal influence of the genital development. The diagnosis of sexual abuse is established by proven results. Normal or unspecific results are frequent and don`t exclude the possible sexual abuse. About 20 per cent of adult patients presenting for gyne- cological examination have experienced sexual violence during childhood or as adults in differ- ent ways. Securing of evidence is important if the time frame allows their detection.

Key words: sexual abuse, child molestation, se- curing of evidence, forensic medicine, physical examination, preservation of evidence

1Institut für Rechtsmedizin (Vorstand: Prof. Dr. med.

Wolfgang Eisenmenger), Ludwig-Maximilians-Univer- sität, München

2Praxis für Pädiatrie und Gynäkologie, Kinder- und Ju- gendgynäkologie, München

3Klinik und Poliklinik für Frauenheilkunde und Geburts- hilfe (Direktor: Prof. Dr. med. Klaus Friese), Klinikum der Universität München-Innenstadt, Ludwig-Maximilians- Universität, München

Elisabeth Rauch1 Nikolaus Weissenrieder2 Ursula Peschers3

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biet) pro Jahr (2). Im Institut für Rechts- medizin der Universität München wer- den jährlich über 300 körperliche Un- tersuchungen durchgeführt, mehr als zehn Prozent betreffen hiervon Kin- der mit Verdacht auf sexuellen Miss- brauch (10). Anthuber et al. (1) führen an, dass etwa zehn bis 15 Prozent der Mädchen einer repräsentativen kin- der- und jugendgynäkologischen Sprech- stunde zum Ausschluss oder Beweis ei- nes sexuellen Missbrauchs vorgestellt werden. Nach wie vor sind Mädchen fast fünfmal häufiger als Jungen be- troffen (10). Nach einer Untersuchung des hiesigen rechtsmedizinischen Insti- tuts der Jahre 1991 bis 1996 sind Täter in zwei Drittel der Fälle Männer aus der unmittelbaren Umgebung des Kin- des (Vater, Großvater, Lebensgefährte der Mutter, Nachbarn und Bekannte) (15). Die PKS zeigt, dass weit überwie- gend männliche Erwachsene ab 21 Jah- ren als Tatverdächtige ermittelt wur- den, am häufigsten jedoch jugendliche Täter bei sexuellem Missbrauch vertre- ten waren (2).

Anlass für Untersuchungen sind un- ter anderem Auffälligkeiten im Spiel- verhalten,Verhaltensauffälligkeiten, se- xualisiertes Verhalten, Essstörungen, wobei die Mutter/Eltern häufig mit ei- ner Anzeige zögern und die Untersu- chung oft erst sehr lange Zeit nach den Vorfällen stattfindet.

Rechtsmedizinische und

kindergynäkologische Untersuchung Kam es bereits zur Anzeigeerstattung, häufig von einem Elternteil oder auch von den Großeltern des betroffenen Kindes, wird die Untersuchung von Kri- minalbeamten oder der Staatsanwalt- schaft direkt beantragt.

Vor Beginn einer körperlichen Un- tersuchung wird durch die Kriminalbe- amten dem Untersucher eine vermute- te Tathandlung geschildert. Diese Infor- mation kann von Bedeutung sein, da so- mit der Untersucher vor Beginn der Untersuchung weiß, welche sexuellen Handlungen vorgenommen wurden (beispielsweise Reiben, Schlecken, Pe- netration) und welche Befunde damit zu erwarten oder auszuschließen sind.

Andererseits sollte überlegt werden, dass die Information zum Geschehen zu

einer Voreingenommenheit des (wenig geschulten) Untersuchers führen kann und damit zu einer Einschränkung der Untersuchung und Ausblendung von festen Untersuchungsbestandteilen. Ei- ne Befragung des Kindes durch den Arzt sollte grundsätzlich dann unter- bleiben, wenn bereits Anzeige erstattet worden war, da anschließend eine häu- fige Befragung der Kinder stattfindet und diese suggestiv beeinflussbar sind.

Wurde eine Anzeige noch nicht er- stattet, sollte ein Gespräch zunächst mit

der Person geführt werden, die den Ver- dacht auf einen sexuellen Übergriff äußerte (meist Angehörige). Die Grün- de für den Verdacht und der Inhalt des mutmaßlichen Übergriffs sollten darge- legt werden. Eine direkte Befragung ei- nes Kindes sollte vorerst unterbleiben.

Sind Fragen an das Kind unumgänglich, ist darauf zu achten, dass Fragen offen und nicht suggestiv gestellt werden.

Auch Wiederholungen von Fragen wir- ken sich auf das Antwortverhalten von Kindern aus.

Die somatische Untersuchung bei Verdacht auf einen sexuellen Miss- brauch setzt sich zusammen aus der Er- hebung eines Allgemeinstatus und ei- nes Genitalstatus. Bei einer Allgemein- untersuchung sind insbesondere die Körperteile, die in sexuelle Aktivitäten oft einbezogen sind, genau zu untersu- chen, wie Brustbereich, Mund, Gesäß und Oberschenkelinnenseiten.

Vor der Untersuchung wird dem Kind – soweit möglich – der Untersu- chungsgang genau erklärt. Kinder im Vorschulalter können auf dem Schoß der Vertrauensperson untersucht wer- den, größere Kinder auf der Liege, je-

doch ebenfalls immer in sitzender Posi- tion. Kinder in der Pubertät können nach Aufklärung auf dem gynäkologi- schen Stuhl untersucht werden. Um das Kind in den Untersuchungsgang einzu- beziehen, kann ihm ein Handspiegel zum „Mitbeobachten“ gegeben wer- den.

Die Begleitung einer Vertrauensper- son ist dann wichtig, wenn eine spieleri- sche Untersuchung des Kindes alleine auf der Liege nicht möglich ist. Zu berücksichtigen ist in diesem Zusam- menhang, dass die Untersu- chung eines Kindes auf dem Schoß der Mutter eine „Trau- matisierung“ des Kindes be- deuten kann, wenn die Mut- ter zugleich „Mitwisserin“ des Missbrauchs ist. Wichtig bei der Untersuchung insbeson- dere der sehr jungen Patienten ist, dass das Tempo der Unter- suchung dem Kind überlassen bleibt.

Bei der Inspektion der weiblichen Genitalien werden neben dem Gesamtaspekt die Klitoris, Klitorishaut, große und kleine Labien, Vulvaränder, Ure- thralbereich, Hymen in allen Anteilen, Inguinal- und Genitalbereich sowie Anus beurteilt. Mithilfe der Separati- ons- oder Traktionsmethode kann die Weite und Konfiguration des Introitus vaginae, die distale Vagina, die Fossa na- vicularis und die hintere Kommissur untersucht werden. Je nach Befund und Anamnese werden zusätzliche Unter- suchungen erforderlich, zum Beispiel mikrobiologische oder virologische Kulturen, serologische Untersuchun- gen oder der Nachweis von Sperma.

Eine gynäkologische Untersuchung, also eine instrumentelle Untersuchung mit Vaginoskop, soll nicht routinemä- ßig durchgeführt werden, sondern in Abhängigkeit von Anamnese, Befund bei der Inspektion und Alter der Pati- entin. Bei Kindern und Jugendlichen ist eine vaginoskopische Untersuchung bei Verletzungen, Blutungen oder rezidi- vierenden Vulvovaginitiden erforder- lich. Die Durchführung dieser Untersu- chungen setzt die persönliche, menschli- che und fachliche Qualifikation des Un- tersuchers voraus, um unnötige Dop- peluntersuchungen zu vermeiden. Ins- Abbildung 1: Mädchen mit Lichen sclerosus et atrophicans

(3)

besondere müssen dem Untersucher kin- der- und jugendgynäkologische Krank- heitsbilder vertraut sein, die die Möglich- keit eines falschpositiven Befundes ver- ursachen können, wie das akute Bild ei- nes Lichen sclerosus et atrophicans mit Einblutungen im Bereich der Vulva bei Kindern, um sicherzustellen, dass keine falschen Verdachtsdiagnosen erhoben werden (3, 16, 17). Bei Mädchen, die sich in der hormonellen Ruheperiode befinden, sollte grundsätzlich ein weite- rer Untersuchungsgang in der so genann- ten Knie-Ellenbogen-Position durchge- führt werden.

Die Untersuchung des Afters erfolgt bei Mädchen in der beschriebenen Posi- tion oder in der Knie-Ellenbogen-Posi- tion, bei Jungen in der Regel in Rücken- lage mit adduzierten Beinen, bei Jun- gen, die älter als sechs Jahre sind, in Sei- tenlage mit adduzierten Beinen. Die Gesäßbacken werden etwa zehn Sekun- den gespreizt, um eine reflektorische Dilatation des Afters zu erreichen.

Befunderhebung und (Fehl-)Interpretationen

Die Darstellung der Befunde in einem juristisch verwertbaren Gutachten wird dann erforderlich, wenn der Auftrag über die Kriminalpolizei oder Staatsan- waltschaft erfolgte. Um eine differen- zierte Darstellung der Befunde durch- führen zu können, sollten Interpretati- onsmöglichkeiten eines Befundes be- kannt sein. Diese müssen diskutiert und bewertet werden. Voraussetzung dafür ist die Kenntnis über eine normale ana- tomische und physiologische wie auch hormonell gesteuerte Entwicklung des Genitals.

Neugeborene befinden sich bis etwa zur dritten Lebenswoche in der Neona- talperiode, in der noch die Östrogene der Mutter vorhanden sind. Diese hal- ten unter Umständen während der Still- periode an. Der Hymen ist sukkulent und durch die gesteigerte Durchblu- tung möglicherweise leicht livide ge- färbt. Danach bis etwa zum achten/

neunten Lebensjahr ist das Genitale in der hormonellen Ruheperiode. An- schließend unterliegt die Entwicklung des Genitals der hormonellen Be- einflussung (präpuberale und puberale Reifungsperiode).

Der Hymen ist in der Ruheperiode verletzbar. Der Hymen weist einen ho- hen Saum auf, der Rand des Saumes ist glatt. Der Saum ist glänzend und durch- scheinend. Der Hymen ist „verletzungs- anfällig“. Eine Penetration mit dem Pe- nis in diesem Stadium ist bei kindlicher Konfiguration des Genitales ohne Set- zen von Verletzungen kaum vorstellbar.

Kinder, die in diesem Alter bereits eine Östrogenisierung des Hymens oder ei- nen weiten transhymenalen Durchmes- ser aufweisen, können bei sehr vorsich- tigem Vorgehen oder Vordehnen unter Umständen eine Penetration mit einem Finger erleben, ohne dass es dabei zu erheblichen Verletzungen kommen muss. Wenn eine gewaltsame Penetrati- on mit einem Penis oder einem Objekt in die Vagina erfolgt, steigt das Ausmaß der Verletzungen je jünger das Opfer ist (4, 5). In der Reifungsperiode wird der Hymen fleischig, dehnungsfähig, und ist damit nicht mehr derart „verletzungs- anfällig“. Der Hymen beginnt sich zu fälteln und ist manchmal schwer beur- teilbar. Ein „Ausstreifen“ des Hymens mit Finger oder Wattetupfer kann Fehl- interpretationen von Deflorationsver- letzungen verhindern.

Der transhymenale Durchmesser nimmt mit dem Lebensalter zu. Aller- dings kann der Durchmesser durch die Untersuchungstechnik und das Kind selbst beeinflusst werden. Durch Trakti- on der Schamlippen kann der transhy- menale Durchmesser scheinbar vergrö- ßert werden, ohne dass dies für einen pathologischen Befund spricht. Aber auch die Anspannung der Beckenbo- denmuskulatur durch das Kind führt zu einer Verkleinerung des transhymena- len Durchmessers.

Vaginale Befunde

Beim sexuellen Missbrauch gibt es kaum eindeutige Befunde. Es können die Leitsymptome Rötung, Fluor, Blu- tung, Brennen und Juckreiz führend sein.

Ein intaktes Hymen wird als Virgo intacta anatomica beschrieben. Dies schließt einen stattgehabten sexuellen Missbrauch jedoch nicht aus. Ein intak- tes Hymen ist dann zu sehen, wenn am Genitale Manipulationen wie Strei-

cheln oder Schlecken stattgefunden ha- ben. Auch der Versuch, den Finger durch die Hymenalöffnung in die Schei- de zu stecken, muss nicht zwangsläufig zu Verletzungen führen. Kommt es den- noch durch Manipulationen zu ober- flächlichen Schleimhautverletzungen, heilen diese in kurzer Zeit ab und ent- ziehen sich meist der Nachweisbarkeit, da in vielen Fällen der Zeitraum zwi- schen Vorfall und Untersuchungszeit- raum groß (Monate/Jahre) ist. Letztlich beweisend für den sexuellen Miss- brauch sind der Nachweis von Spermi- en oder eine Deflorationsverletzung, al- so eine Verletzung des Hymenalsaumes, die bis auf den Grund reicht, und Schei- deneinrisse. Diese finden sich typischer- weise zwischen 3 bis 9 Uhr im posterio- ren Bereich, am häufigsten zwischen 5 und 7 Uhr, in Steinschnittlage betrach- tet. Auch Kerbenbildungen in diesem Bereich sind mechanisch bedingte Ver- letzungen und sollten entsprechend be- urteilt werden. Innerhalb weniger Wo- chen entwickeln Kerbenbildungen ei- nen glatteren, U-förmigen Aspekt. Un- vollständige Einrisse, auch des präpu- bertären Hymens, können vollständig innerhalb von neun Tagen (bei einem einzelnen hymenalen Einriss) aushei- len. Üblicherweise führen vollständige Risse des Hymens bis zur Basis zu blei- benden Veränderungen (Deflorations- verletzung) (4, 5). Als unspezifische, nicht beweisende Befunde sind Rötun- gen im Sinne von Entzündungen zu werten, wenngleich diese auch durch kurz zuvor stattgehabtes Reiben bei- spielsweise mit dem Penis hervorgeru- fen worden sein könnten. Auch Ure- thraldilatationen sind häufig bei nicht sexuell missbrauchten Kindern zu se- hen. Periurethrale Bänder, Synechien der Vulvaränder, Kerbenbildungen des Hymenalsaumes im vorderen Anteil sind Normalbefunde oder unspezifische Befunde. Dazu zählen auch rezidivie- rende Harnwegsinfekte, vaginale Infek- tionen, sekundäre Enuresis und Enko- presis.

Sexuell übertragbare Krankheiten wie Gonorrhoe oder Condylomata acu- minata vor der Geschlechtsreife des Kindes sind mit großer Wahrscheinlich- keit eine Folge von Missbrauch. Bei ei- ner Schwangerschaft muss man immer an einen möglichen Missbrauch den-

(4)

ken (16, 17). Als spezifische Symptome gelten alle Verletzungen im Anogeni- talbereich ohne plausible Anamnese.

Dazu gehören Hämatome, Quetschun- gen, Striemen, Einrisse und Bisswun- den. Häufig entstehen auch ein weite- rer Eingang der Vagina oder eine Rö- tung, Einrisse oder venöse Stauung im Analbereich. Verdächtig sind verdickt erscheinende Hymenalsäume, ein ein- gerollter Rand sowie eine deutliche Vergrößerung der Hymenalöffnung, die nicht durch die Untersu-

chungstechnik hervorgerufen wurde. Laut Herrmann (4) ist eine Hymenalöffnung dann signifikant vergrößert, wenn diese um zwei Standardab- weichungen von der alters- entsprechenden Norm ab- weicht.

Anale Befunde

Befunde im Afterbereich sind teils noch schwieriger beurteilbar als vaginale. Ein Grund mag darin liegen, dass diese nicht so häufig beurteilt

werden. Auch hier gilt, dass Mani- pulationen in der Regel keine Verlet- zungen hinterlassen. Oberflächliche Verletzungen heilen sehr schnell ab.

Penetrationen sind im frühen Kindes- alter möglich und müssen keine Ver- letzungen verursachen, insbesondere wenn Gleitmittel verwendet werden oder vorsichtig vorgegangen wird. Ei- ne anale Penetration durch größere Objekte/Penis kann zu unterschiedli- chen Verletzungen führen. Das Ver- letzungsbild kann von einer Schwel- lung des Analrandes bis bin zu Ris- sen des Sphinkters führen. Beweisend für einen Analmissbrauch ist jedoch der Nachweis von Samenflüssigkeit und/oder ein tiefer Schleimhautein- riss, der von der Analhaut in die Schleimhaut hineinführt. Verdächtig bei einer positiven Anamnese sind Fis- suren oder Rhagaden im Bereich der Analfalten. Diese können jedoch auch nur im Rahmen einer Obstipation ver- ursacht worden sein und sollten abge- klärt werden. Eine anale Dilatation nach Spreizen der Gesäßbacken sollte bis zu einem gewissen Grad möglich

sein. Dabei sollte jedoch lediglich der äußere Analsphinkter etwas geweitet sein, der innere sollte dabei verschlos- sen bleiben. Der Tonus des Afters sollte kräftig sein. Schwellungen oder Risse heilen innerhalb von Tagen ab.

Der Analsphinkter erhält seine Funk- tion zurück, wenn das Trauma nicht schwerwiegend war. Chronischer ana- ler Missbrauch dagegen kann zu ei- nem schlaffen Sphinktertonus führen und damit zu einer erweiterten Anal-

öffnung (6). Jede Hypotonie bedarf allerdings einer neurologischen Ab- klärung, um differenzialdiagnostisch Erkrankungen als die entsprechende Ursache auszuschließen.

Differenzialdiagnose des Lokalbefundes

Bei der Differenzialdiagnose des sexu- ellen Missbrauchs ist an erster Stelle der Lichen sclerosus et atrophicans (LSA) zu nennen. Die Pathogenese ist unklar. Es finden sich Hinweise für eine bakterielle Infektion mit Erregern der Borreliose, aber auch Hinweise für ei- ne autoimmunologische Entstehung.

Ebenso wird über eine Beziehung zum HLA-System berichtet. Die Erkran- kung zeigt eine deutliche Bevorzugung des weiblichen Geschlechts: Frauen sind zehnmal häufiger betroffen. Exak- te Angaben zur Häufigkeit der Erkran- kung im Kindesalter fehlen, da viele LSA bei Kindern und Jugendlichen nicht erkannt werden. Die Prävalenz wird auf 1 : 300 bis 1 : 1000 in der Nor-

malbevölkerung geschätzt. Bei einigen Patientinnen ist der Bereich rund um den After alleine betroffen, bei den meisten Patientinnen der Bereich der Vulva, das heißt die Haut der Labia mi- nora et majora, der Klitoris sowie das umgebende Gewebe (perivulvär). Bei einigen Patientinnen ist zusätzlich die Haut zwischen Scheideneingang und After sowie die Areale um den After herum in Mitleidenschaft gezogen (anogenitaler LSA). Die Gewebever- änderungen beginnen gewöhnlich an der Innenseite der Labia majora und breiten sich asymmetrisch nach allen Seiten aus. Rötung mit Ödem und Ver- gröberung des Hautreliefs wechseln sich ab mit einem allmählichen Verlust der Pigmentierung (braune Färbung der Genitalhaut) mit weißlicher perga- mentartig geschrumpfter Haut („Ziga- rettenpapierhaut“). Es kommt zur Atrophie des subdermalen Fettgewe- bes. Schließlich schrumpfen und atro- phieren die Interlabialfalten, die Labia minora verstreicht und die Klitoris ver- schwindet unter dem Präputium clitori- dis. Es kann eine stenosierende Veren- gung der Vagina resultieren. Ferner können Fissuren an der Klitoris, dem kaudalen Übergang der Vulva/Vagina, der hinteren Kommissur oder auch pe- rianal, mit petechialen Einblutungen oder Hämatomen festgestellt werden.

Häufig entstehen Synechien der Vul- varänder.

Aufgrund des ausgeprägten Pruritus entstehen durch unbewusstes Kratzen und Reiben im Bereich der Vulva die erwähnten Fissuren, Petechien und zum Teil ausgeprägte Hämatome, die zur Fehldiagnose von sexuellem Miss- brauch führen können (Abbildung 1).

Eine weitere wichtige Differenzial- diagnose stellen Hämangiome dar, die sowohl an der Klitoris, den Labia mi- nora oder majora sowie im Bereich der Vulva auftreten können (Abbildung 2).

Vergewaltigung

Definition

Sexuelle Nötigung und Vergewalti- gung werden in §177 StGB dargestellt, die „Sexuelle Nötigung und Vergewal- tigung mit Todesfolge“ in §178 StGB.

Abbildung 2: Hämangiom im Bereich der hinteren Kom- missur, bis in die Dammregion hineinreichend; aus:

Rechtsmedizin 2004; 14: Heft 13, mit freundlicher Geneh- migung Springer- Verlag Heidelberg.

(5)

Eine Vergewaltigung liegt vor, wenn der Täter mit dem Opfer den Beischlaf vollzieht oder ähnliche sexuelle Hand- lungen an dem Opfer vornimmt oder an sich von ihm vornehmen lässt, die dieses besonders erniedrigen, insbe- sondere, wenn sie mit einem Eindrin- gen in den Körper verbunden sind.

Berücksichtigt werden auch die Aus- übung von Gewalt auf das Opfer und die Überwindung von Widerstand durch Drohung oder das Mitführen ei- ner Waffe (14).

Epidemiologie

Wie beim sexuellen Missbrauch von Kindern stieg auch bei den Delikten Vergewaltigung und sexuelle Nöti- gung die Zahl laut PKS ab 1987 (alte Bundesländer) bis 2002 (gesamtes Bundesgebiet) ab etwa 1997/1998 pro Jahr deutlich an. In den Jahren 2002 und 2001 wurden etwa 8 600 respekti- ve 7 900 Tatbestände erfasst, wobei die PKS keine Unterscheidung angibt, bei wie vielen Fällen es sich um Vergewal- tigung oder sexuelle Nötigung han- delt. Weibliche Heranwachsende und Erwachsene ab 21 Jahren waren am häufigsten, bezogen auf ihren Bevöl- kerungsanteil, Opfer (2).

Entsprechend einer Darstellung der I. Frauenklinik der Universität Mün- chen lag die Prävalenz von sexueller Gewalterfahrung bei Patientinnen der hiesigen Ambulanz hoch. Etwa 20 Pro- zent bejahten einen Zwang zu sexuel- len Aktivitäten in ihrem Leben, wobei etwa zehn Prozent aller Befragten über sexuelle Übergriffe als Heran- wachsende berichteten, sieben Pro- zent über Missbrauch in der Kindheit und 3,5 Prozent über Missbrauch in mehreren Lebensabschnitten (8, 9).

Rechtsmedizinische und gynäkologische Aspekte

Während in rechtsmedizinischen In- stituten und auch in einer gynäkologi- schen Praxis/Ambulanz Frauen nach einem kurzzeitig zurückliegenden, akuten sexuellen Gewaltdelikt zur Untersuchung kommen, sollte insbe- sondere in einer gynäkologischen Pra- xis/Ambulanz daran gedacht werden, dass etwa 20 Prozent aller Frauen in

ihrer Kindheit oder als Erwachsene zu einem früheren Zeitpunkt sexuelle Gewalt erlebten (8). Insofern ergeben sich für akut traumatisierte Patien- tinnen andere Untersuchungsaspekte wie für chronisch missbrauchte bezie- hungsweise länger zurückliegend Trau- matisierte.

Die Untersuchung einer Frau nach einem akut (wenige Stunden oder Ta- ge) zurückliegenden sexuellen Über- griff erfolgt, unabhängig von einer ge- planten oder bereits erstatteten An- zeige, nicht nur am Genitale, sondern es sollte auch eine Befunderhebung am ganzen Körper durchgeführt wer- den. Behält sich die Patientin die Ent- scheidung über eine Anzeige vor, ist eine ausführliche Anamnese zu Be- ginn der Untersuchung und Spurensi- cherung unerlässlich. Sie schildert die Tathandlung; dies stellt die Grundlage für das weitere Vorgehen dar. Der Arzt sollte vor Beginn einer Untersu- chung und Spurensicherung wissen, welche Befunde/Spuren zu erwarten und vor allem an welchem Körperteil zu finden sind. Ob die von der Patien- tin angegebene Tathandlung mit den festgestellten Verletzungen und Spu- ren in Einklang zu bringen ist, oder ob sich hierbei Widersprüche ergeben, kann anhand der Anamnese festge- stellt werden. In mindestens zehn Pro- zent aller angezeigten Vergewaltigun- gen sind diese nur vorgetäuscht (13).

Bei der anschließenden körperli- chen Untersuchung ist daran zu den- ken, dass sich an Verletzungen des Op- fers biologisches Material des Täters befinden kann (beispielsweise Haut- abriebe der Hand des Täters durch Würgen). Bei der extragenitalen Un- tersuchung ist zu berücksichtigen, dass 75 bis 80 Prozent der Vergewaltigun- gen mit bis zu schwerer körperlicher Gewalteinwirkung einhergehen (13).

Eine Auswertung von Sexualdelikten für den Zeitraum 1987 bis 1996 des In- stituts für Rechtsmedizin in München zeigte, dass bei den körperlichen Un- tersuchungen bei 58 Prozent der Op- fer Spuren von Gewaltanwendung zu finden waren. In dieser Zahl sind Op- fer von vollendeten und versuchten Vergewaltigungen, sexuellem Miss- brauch und sexueller Nötigung ent- halten; 70 Prozent davon waren Opfer

einer vollendeten Vergewaltigung (11). Dies bedeutet, dass auch bei Ab- wesenheit von extragenitalen Verlet- zungen ein sexueller Übergriff stattge- funden haben kann. Von den Verlet- zungen, die durch den Täter entstan- den sind, sollten insbesondere Ab- wehrverletzungen des Opfers darge- stellt werden. Auch bei fehlender Ge- genwehr sind in circa 14 Prozent der Fälle Verletzungen zu sehen (13). Die Dokumentation von Zeichen einer stumpfen/schürfenden Gewalteinwir- kung wie Hämatome und Kratzer er- folgt so detailliert wie möglich. Erst nach der Darstellung der Verletzun- gen wird die Interpretation der Befun- de durchgeführt. So sollte beispiels- weise eine Anzahl von Hämatomen an der Oberarminnenseite nicht als „mul- tiple Hämatome am Oberarm“ be- schrieben werden, sondern es sollte die Darstellung der einzelnen Häma- tome in Größe, Form, Lokalisation und Farbe erfolgen, um dann die Inter- pretation, beispielsweise eine Halte- griffverletzung, formulieren zu kön- nen. Insbesondere die Beschreibung von Würgemalen erfordert Genauig- keit, da gegebenenfalls bei einer spä- teren Verhandlung die Gewaltein- wirkung in ihrer Massivität erläutert werden muss. Darüber hinaus sind Fragen wie Dauer des Würgens und Lebensgefährlichkeit (auch jeder an- deren Verletzung) zu beantworten.

Petechien in Augenlid- und -binde- häuten, der Mundschleimhaut und/

oder Hinterohrregion als Folge des Würgens werden häufig nicht beach- tet. Ihr Vorhandensein lässt zum einen einen ungefähren Rückschluss auf die Dauer (nach etwa 20 Sekunden tre- ten erste Petechien auf; zahlreiche Petechien, auch in der Gesichtshaut, sprechen für mehrminütiges Würgen) und damit auch auf die Intensität des Würgens zu. Ein Konsil von einem Hals-Nasen-Ohren-Arzt sollte veran- lasst werden, wenn die Patientin über anhaltende Schluckbeschwerden und Nackenschmerzen berichtet.

Bei einer Gewalteinwirkung mit ei- nem scharfen Gegenstand sollte nach Möglichkeit auf die Art des Werk- zeugs geschlossen werden, auf jeden Fall ist das Ausmaß der Wunde zu do- kumentieren. Dazu gehört die Diffe-

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renzierung, ob es sich um eine Schnitt- oder Stichwunde handelt, die Sondie- rung des Stichkanals, wobei bei tiefer- gehenden Stichverletzungen eine chir- urgische Versorgung notwendig ist und damit die Wunddarstellung und -ver- sorgung operativ erfolgen kann.

Verletzungen, die oberflächlich, pa- rallel zueinander, gleichförmig und an einer Lokalisation, die für die Betroffe- ne jederzeit selbst zugänglich ist, ange- ordnet sind, entsprechen den Kriterien der Selbstverletzung (Abbil-

dung 3). Fotografische Auf- nahmen der Verletzungen ver- anschaulichen nicht nur das Vorhandensein und die Zahl der Verletzungen, sondern auch deren Ausmaß.

Bei der Genitaluntersu- chung des Opfers werden auch die angrenzenden Ober- schenkelinnenseiten und Ge- säßregionen inspiziert. An- schließend werden die Scham- lippen, der Scheidenvorhof und der Hymenalbereich be- urteilt, wobei hier insbeson- dere bei jüngeren Patientin-

nen auf Deflorationsverletzungen zu achten ist. In der Regel sind jedoch nach Vergewaltigungen keine Verlet- zungen des Genitales zu finden.

In Fällen, bei denen die sexuelle Gewalterfahrung längere Zeit (Mona- te bis Jahre) zurückliegt, kann sich die Traumatisierung auf andere Art äußern. In der gynäkologischen Am- bulanz werden Ärzte mit Krankheits- bildern konfrontiert, die mit sexueller Gewalterfahrung assoziiert sind. Psy- chosomatische Krankheitsbilder wie unklare chronische Unterleibsschmer- zen, sexuelle Dysfunktion, Dysme- norrhoe und sexuell übertragbare Er- krankungen können auf einen sexuel- len Übergriff vor längerer Zeit zurückzuführen sein. Ist ein klinisches Korrelat trotz Beschwerden nicht zu erheben, sollte eine gezielte, aber vor- sichtige Befragung erfolgen (8, 9). Wie das weitere Vorgehen geplant werden sollte, hängt davon ab, inwieweit die Frau bereit und in der Lage ist, die Traumatisierung darzustellen. Je nach Grad der Traumatisierung sollte eine psychische Behandlung angeschlossen werden.

Spurensicherung

Eine Spurensicherung ist immer sinn- voll, wenn das Delikt in relativ engem zeitlichem Zusammenhang zum Un- tersuchungszeitpunkt stattgefunden hat. Bei Delikten, die Wochen oder Monate zurückliegen, erübrigt sich die Spurensicherung. Auch wenn nur eini- ge Tage zwischen möglichem Delikt und Untersuchungszeitpunkt liegen, ist eine Spurensicherung nur in eini-

gen Fällen erfolgreich, sollte jedoch im Zweifelsfall immer versucht wer- den. Eine Fotodokumentation kann den schriftlichen Befund sinnvoll er- gänzen.

Spermaspuren

Das Vorliegen von Sperma bezie- hungsweise Samenflüssigkeit ist nur nach einem akuten, kurzzeitig zurück- liegendem Delikt zu erwarten. In praxi sind Spermien in der Vagina 48 Stun- den nachweisbar, laut Literatur bis zu sechs Tage, beim Oral-/Analverkehr theoretisch 12 bis 24 Stunden. Abriebe an anderer Stelle sind dann zu sichern, wenn der Samenerguss beispielsweise auf den Bauch oder Oberschenkel er- folgte. Unterlagen, auf denen das Op- fer gelegen hat oder Kleidung, sollten in die Spermauntersuchung einbezo- gen werden.

Die Sicherung von Spermaspuren erfolgt mit Wattetupfern. Es sollten drei bis vier langstielige Tupfer ver- wendet werden, die mit angewärm- tem Wasser (eventuell mit dem Vagi- noskop) in das hintere Scheidenge-

wölbe und in die Zervix eingeführt werden. Nach dem Abrieb können die Tupfer auf Objektträger ausgestrichen werden. Stehen Objektträger nicht zur Verfügung, sollten die Tupfer luft- getrocknet werden und können nach Beschriftung (Name, Geburtsdatum, Datum und Lokalisation der Abstrich- entnahme) in einem Kuvert an der Krankenakte mühelos asserviert wer- den.

Wattetupfer sollten nach Abstrich- entnahme nicht vernichtet werden; die Asservierung muss trocken erfolgen, keinesfalls in einem Nährmedium oder in einer NaCl-Lösung. In allen Fällen würde wertvolles Spurenmate- rial (biologisches Material des Täters) vernichtet, eine DNA-Analyse zur Tätertypisierung wäre anschließend nicht mehr möglich.

Abriebe aus Mundhöhle und After erfolgen mit ähnlichem Vorgehen.

Mehrere Tupfer werden in die Bak- kentaschen eingeführt. Die Tupfer sollten anschließend luftgetrocknet werden. Bei Analabrieben könnten Probleme wegen Schmerzen beim Einführen in den Analkanal auftreten.

Man sollte dann die Tupfer fraktio- niert einführen und vorher unter Lei- tungswasser etwas anfeuchten. An- schließend gleiches Verfahren wie er- wähnt anwenden.

Sind mikroskopisch keine Spermien zu finden, obwohl berechtigte An- haltspunkte für das Vorliegen von Sa- menflüssigkeit vorliegen, kann im Se- kret nach der sauren Prostataphos- phatase oder dem prostataspezifi- schen Antigen gesucht werden. Für Ersteres liegt von der Firma Machery- Nagel ein Teststreifen vor, der sofort nach Abstrichentnahme ein Ergebnis liefern kann. Das prostataspezifische Antigen (PSA) kann mittels eines immunchromatographischen Tests der Firma Nobis nachgewiesen werden (der Test dauert zwei Stunden). Die Wattetupfer werden zum histologi- schen Nachweis von Spermien auf Ob- jektträger ausgestrichen und anschlie- ßend mit Hämatoxylin/Eosin gefärbt.

Ist die Untersuchung der Geschädig- ten relativ zeitnah zum Tatgeschehen, kann ein Nativpräparat zum Nachweis beweglicher Spermien gefertigt wer- den.

Abbildung 3: Dokumentation einer Selbstverletzung;

aus: Rechtsmedizin 2004; 14: Heft 13, mit freundlicher Genehmigung Springer- Verlag Heidelberg.

(7)

Speichelspuren

Spuren durch Beißen, Schlecken oder Küssen finden sich häufig brustnah oder im Bereich der Schamlippen.

(Saug-)Bissspuren sind häufig auch außerhalb des Genitalbereichs, insbe- sondere an den Oberarmen, lokali- siert.

Bei der Sicherung von Speichelspu- ren werden ebenfalls mehrere Watte- tupfer verwendet, die unter Leitungs- wasser angefeuchtet werden. Danach wird mit den Tupfern großflächig ohne festen Druck über die angegebenen Stellen gerieben. Die Tupfer werden ebenfalls luftgetrocknet und asser- viert.

Sonstige Spuren

Kleidung wird häufig gewaschen.Trotz- dem ist grundsätzlich hieraus ein Sper- manachweis möglich. Die Kleidungs- stücke sollten getrennt in Papiertüten asserviert werden.

Fingernägel und Schmutz unter den Fingernägeln sollten nur dann ge- schnitten und asserviert werden, wenn eine Gegenwehr des Opfers stattge- funden hat und Hautpartikel des Tä- ters unter den Fingernägeln zu erwar- ten sind.

Sollten bei schwerwiegenden Delik- ten Würgemale vorliegen, können nach detaillierter Beschreibung der Verletzungen auch hier Abriebe mit angefeuchteten Wattetupfern durch- geführt werden. Auch wenn ein Unter- suchungserfolg durch Waschvorgänge reduziert wird, ist in diesen Fällen trotzdem eine Untersuchung ange- zeigt, um zumindest morphologische Spuren zu dokumentieren. Hierzu gehört auch, dass Verletzungen – so- weit möglich – fotodokumentiert wer- den.

Mikrobiologie

Das Vorliegen einer bakteriellen Vul- vovaginitis mit spezifischen Keimen im Alter bis zu zehn Jahren ist mit Ausnahme einer Soorinfektion im Al- ter bis zu zwei Jahren unwahrschein- lich. Unter spezifischen Keimen wer- den in der gynäkologischen Nomen- klatur Keime der genitalen Kontaktin-

fektionen oder STD („sexually trans- mitted disease“) aufgelistet. Dazu ge- hören Trichomonaden, Chlamydien, Gonorrhoe, Lues und humane Papi- lomviren. Beim Nachweis einer Infek- tion durch einen sexuell übertragba- ren Erreger wie Chlamydien sollte bei der weiteren Abklärung auch eine se- xuelle Nötigung ausgeschlossen wer- den.

Eine gezielte Abstrichentnahme sollte bei rezidivierendem oder the- rapieresistentem Fluor mit einer Vagi- noskopie durchgeführt werden. Die Vaginoskopie ist obligater Untersu- chungsgang bei blutigem Fluor, vagi- naler Blutung oder Verdacht auf einen Fremdkörper. Hilfreich ist die Ent- nahme von mehreren Abstrichen, um eine Nativmikroskopie, einen kultu- rellen Nachweis von aeroben und ana- eroben Keimen und eventuell einen Schnelltest auf hämolysierende Strep- tokokken der Gruppen A und B durchführen zu können. In der Praxis ist es häufig notwendig, sich auf einen Abstrich zu beschränken. Ein Ausrol- len des Watteträgers auf einen Objekt- träger wird empfohlen, und dieser soll- te sodann im Transportmedium für die kulturelle Aufarbeitung fixiert werden (16, 17, 18). Grundsätzlich sollte ein Abstrich pro Körperregion in einem Kulturmedium asserviert und kultu- rell ausgewertet werden. Der Nach- weis von Erregern wie Chlamydien und Hämophilus erfolgt kulturell oder mithilfe der Polymerase-Kettenreak- tion.

Die Autoren erklären, dass kein Interessenkonflikt im Sinne der Richtlinien des International Committee of Medical Journal Editors besteht.

Manuskript eingereicht: 1. 2. 2004, angenommen:

6. 5. 2004

Zitierweise dieses Beitrags:

Dtsch Arztebl 2004; 101: A 2682–2688 [Heft 40]

MEDIZINGESCHICHTE(N) )

AUSGEWÄHLT UND KOMMENTIERT VON H. SCHOTT AUSGEWÄHLT UND KOMMENTIERT VON H. SCHOTT

Wahn

Pathographie

Zitat: „Meine Erlebnisse in den letzten sieben Jahren und die un- zähligen Aeußerungen der göttli- chen Wundergewalt, die ich dabei an mir selbst und an meiner Um- gebung erfahren habe, haben mich im Laufe der Jahre sehr häu- fig zum Nachdenken über die Fra- ge veranlasst, wie man sich, wenn ich so sagen darf, die räumlichen Existenzbedingungen Gottes vor- zustellen habe. [...] Denn soviel steht nun einmal unzweifelhaft für mich fest, daß Gott durch Ver- mittelung der Sonne mit mir spricht und ebenso durch Vermit- telung derselben schafft oder wundert.

Die Gesamtmasse der göttli- chen Nerven oder Strahlen [1]

könnte man sich als eine nur auf einzelne Punkte des Himmelsrau- mes verstreute oder [...] den ganzen Raum erfüllend vorstel- len. [...] Diese wundermäßige Ein- wirkung selbst ist für mich nach tausendfältigen Erfahrungen eine absolut sichere Thatsache, an de- ren Wahrheit nicht der leiseste Zweifel möglich ist.“

Daniel Paul Schreber: Denkwürdigkeiten eines Nervenkranken nebst Nachträgen (1903). In:

Bürgerliche Wahnwelt um Neunzehnhundert.

Mit Aufsätzen [...] herausgegeben von Peter Hei- ligenthal und von Reinhard Volk. Wiesbaden 1972, S. 218. - [1] An anderer Stelle ist vom „Ner- venanhang“ Gottes die Rede, der sich somit zum Beispiel „mit einzelnen hochbegabten Men- schen“ in Verbindung setzen könne (S. 14). – Der Senatspräsident beim Königlichen Oberlandes- gericht in Dresden, Schreber (1842–1911), Sohn des Arztes und Erziehers Daniel Gottlieb Schre- ber, wurde 1894 bis 1902 wegen einer „Demen- tia paranoides“ (Schizophrenie) in der psychia- trischen Anstalt Sonnenstein bei Pirna behan- delt. Kurz nach seiner Entlassung veröffentlichte Schreber seine autobiografischen Erlebnisse in Buchform: Dieser „Fall Schreber“ wurde durch Sigmund Freuds – vielfach umstrittene – Analyse von 1911 populär. Freud deutete Schrebers Wahn als eine Abwehr unbewusster homosexueller Fantasien.

Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf das Literatur- verzeichnis, das beim Verfasser erhältlich oder im Internet unter www.aerzteblatt.de/lit4004 abrufbar ist.

Anschrift für die Verfasser:

Dr.med. Elisabeth Rauch Institut für Rechtsmedizin der Universität München Frauenlobstraße 7a 80337 München

E-mail: Elisabeth.Rauch@rechts.med.uni-muenchen.de

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Literatur

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2. Bundeskriminalamt, Polizeiliche Kriminalstatistik der Bundesrepublik Deutschland. Wiesbaden: Berichts- jahr 2002.

3. Hasler I: Sexueller Mißbrauch von Kindern, Erfahrun- gen aus der kindergynäkologischen Ambulanz des Klinikums München Großhadern. München: Disser- tation 1995.

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10. Rauch E, Graw M: Rechtliche und rechtsmedizinische Aspekte bei Verdacht auf sexuellen Mißbrauch.

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13. Tröger HD, Albrecht K: Vergewaltigung. In: Handbuch Gerichtliche Medizin, Band I. eds.: Brinkmann B, Ma- dea B. Heidelberg: Springer Verlag 2003.

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18. Wolf A, Esser Mittag J: Kinder- und Jugendgynäkolo- gie. Atlas und Leitfaden für die Praxis. Stuttgart:

Schattauer-Verlag 1996.

Sexualdelikte – Diagnostik und Befundinterpretation

Elisabeth Rauch1 Nikolaus Weissenrieder2 Ursula Peschers3

Literaturverzeichnis Heft 40/2004

Referenzen

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