DEUTSCHES
ÄRZTEBLATT DIE REPORTAGE
sprochen wurde, jedenfalls nicht ne- gativ, auch nicht aus dem Publikum.
Prof. Sewering wies wiederholt dar- auf hin, daß vom Arzneimittelpreis nur etwa knapp die Hälfte an die Hersteller geht, über 50 Prozent je- doch an die Verteiler. Er forderte, daß die Apotheker mit den Ärzten
„an einem Strang ziehen müssen".
Bemerkungen aus dem Publikum klangen demgegenüber weit rabia- ter. All das deutet auf eine zuneh- mende Klimaverschlechterung zwi- schen Ärzten und Apothekern hin.
Die Berufspolitiker auf beiden Sei- ten werden einiges Fingerspitzenge- fühl benötigen, wenn sie einerseits der Stimmung der Basis und ande- rerseits dem friedlichen Zusammen- leben der Berufsgruppen Rechnung tragen wollen.
Abschließend zwei den 93.
Deutschen Ärztetag betreffende Punkte. Sie wurden in Grado aus- führlicher besprochen, brauchen an dieser Stelle indes — im Hinblick auf die ausführliche Berichterstattung über den Ärztetag in den letzten Heften — nur angetippt zu werden.
Pflichtweiterbildung: Prof.
Sewering bekräftigte, daß das Wei- terbildungsrecht den Kammern kei- ne Möglichkeit gibt, Ärzte zur Wei- terbildung zu verpflichten. Die For- derung des Ärztetages, vor der Nie- derlassung sei eine mindestens drei- jährige Weiterbildung zu absolvie- ren, könne jedoch über die Zulas- sungsordnung für Kassenärzte ver- wirklicht werden. Der Bundesar- beitsminister müsse eine dreijähri- ge Vorbereitungszeit vorschreiben;
dann könne die Kammer einen ent- sprechenden Weiterbildungsgang anbieten.
Fortbildung: Dr. P. Erwin Odenbach, der Hauptgeschäftsfüh- rer der Bundesärztekammer, stand in Grado noch ganz unter dem Ein- druck der desaströsen Fortbildungs- debatte des Arztetages in Würzburg.
Nach seiner Meinung ging dem Ärz- tetag eine unglaubliche Pressekam- pagne voraus. Dabei sei auch mit verlogenen Argumenten nicht ge-
spart worden. Das habe sich bis in die Beratungen des Ärztetages aus- gewirkt. Ziel der Kampagne sei es gewesen, die Auslandskongresse der Bundesärztekammer zu beseitigen.
Der Ärztetag hat dann ja auch be- schlossen, die Auslandskongresse der Bundesärztekammer abzuschaf- fen. Odenbach kündigte einen Ko-
Rumänien (I)
Ihre kleine Kolonie war wäh- rend der Ceausescu-Diktatur auf keiner Karte zu finden. Ebenso wie Aids existierte Lepra im offiziellen Rumänien nicht. Nun beginnen die 54 Leprakranken der Kolonie Tichi- lesti im Osten Rumäniens ihre Rück- kehr ans Licht der Öffentlichkeit.
Die Wahlen am 20. Mai betrachteten sie als ersten Schritt in Richtung auf ihre Re-Integration.
Der kleine Ort Tichilesti, etwa auf halbem Weg zwischen den ostru- mänischen Donau-Städten Galat und Tulcea an der Grenze zur So- wjetunion gelegen, ist eine der letz- ten Leprakolonien Europas. Bis zur Revolution im Dezember war die kleine Ortschaft offiziell inexistent.
Nur wer bewußt danach suchte und langsam fuhr, hatte eine Chance, die Abzweigung nach Tichilesti zu fin- den — Straßenschilder gab es keine.
Die Kolonie liegt in einem klei- nen Tal. Die Gebäude sind nach ih- ren Funktionen getrennt unter Bäu- men verstreut: Blauweiße Häuser für die Leprakranken, Verwaltungs- und Krankenhausgebäude und die Häu- ser der Angestellten. Insgesamt 43 Angestellte leben in der Kolonie, darunter ein Arzt und vier Schwe- stern.
Im Garten spielen Kinder. „Die Kinder der Angestellten", wie Dok- tor Gheorghe Popa erklärt. Aber auch einige der Kranken haben Kin- der. Sie verlassen aber die Kolonie, sobald sie groß genug sind, erklärt Popa, der die Kolonie seit 14 Mona- sten leitet. Nach seinen Angaben ha- ben von den 27 Männern und 27 Frauen in der Kolonie nur zwei an- steckende Lepra. Alle anderen wur-
stenvergleich zwischen den Aus- landskongressen und den laut Ärzte- tagsbeschluß zu planenden Inlands- kongressen an.
Uberflüssig zu erwähnen, daß die Kongreßteilnehmer in Grado über den Beschluß des Ärztetages, die Auslandskongresse baldmög- lichst einzustellen, empört waren. NJ
den mit Medikamenten „stabili- siert", viele zeigen aber das eine oder andere deutliche Zeichen der Er- krankung: Blindheit, deformierte Gesichter oder zu Stümpfen redu- zierte Hände. Aufgrund dieser Merkmale werden sie von der Ge- sellschaft ausgestoßen.
Diejenigen, die Tichilesti einmal verlassen haben, kamen schnell wie- der zurück, nachdem sie diese Ab- lehnung zu spüren bekamen Den- noch gibt es nach Auskunft des Arz- tes in Rumänien etwa 40 Leprakran- ke, die zu Hause bei ihren Verwand- ten oder Ehepartnern leben. Sie müssen nur von Zeit zu Zeit in Buka- rest im Bercen-Krankenhaus zu ei- ner Untersuchung erscheinen.
Die Kolonie in Tichilesti ist wie eine Bauerngemeinde aufgebaut. Je- der Kranke hat ein Stück Land, das er bearbeitet. Auf ihrem Land bauen sie Wein und Obst an und züchten Schafe oder Geflügel. Nur wenig un- terscheidet sie von den anderen Bau- ern der Umgebung. Trotz ihrer ban- dagierten Handstümpfe fahren eini- ge der Leprakranken auch mit Trak- toren aufs Feld hinaus.
Der letzte Leprakranke, der in die Kolonie kam, war 1987 der heute 21jährige Lucian. Er hatte in einem Waisenhaus gelebt, als bei ihm die Krankheit festgestellt wurde. Heute dürfte er die Kolonie verlassen — wie alle, die drei Jahre in der Kolonie ge- lebt haben und dabei „stabilisiert"
werden konnten. „Aber wohin ge- hen?" ist die Frage.
Also bleibt Lucian, aber wie die anderen Leprakranken will auch er nicht von der Öffentlichkeit verges- sen werden. Pierre Dayle (afp)
I Pflichtweiterbildung;
Fortbildungskongresse
Lepra-Kranke kehren aus der Vergessenheit zurück
A-1944 (20) Dt. Ärztebl. 87, Heft 24, 14. Juni 1990