aum ein gutes Haar lassen nun auch Vertreter der Wi- senschaft und einzelne Mit- glieder des Sachverständigenrates für die Konzertierte Aktion an Kern- elementen des Gesetzentwurfs zur Gesundheitsreform 2000. Nach Mei- nung sowohl des ehemaligen Ab- teilungsleiters Gesundheitsversor- gung/Krankenversicherung im Bun- desgesundheitsministerium, Man- fred Zipperer, als auch des stellver- tretenden Vorsitzenden des Sach- verständigenrates für die Konzer- tierte Aktion, Prof. Dr. rer. pol. Eber- hard Wille, Nationalökonom an der Universität Mannheim, werden die steuerungs- und ordnungspolitischen Wirkungen des sektorübergreifen- den Globalbudgets weithin über- schätzt. Jedenfalls enthält dieses Konzept nach deren Auffassung vie- le Schwachstellen, die den Absich- ten des Gesetzentwurfs widerlaufen.
Realitätsferne Anpassung
Zipperer, früher als leitender Ministerialbeamter für die Gesund- heitsreform federführend, prophe- zeit, daß es nicht gelingt, die Kran- kenkassen auf Landesebene und die Leistungssektoren in das starre Kor- sett des Budgetplafonds und in die Beitragssatzstabilität einzuzwängen.
Jedenfalls sei es realitätsfern, anzu- nehmen, jede Kasse könne abrupt und gesetzestreu die Leistungen und Ausgaben so steuern und flexibilisie- ren, daß sie das Limit nicht über- schreiten. Einmal davon abgesehen, daß die beiden Experten bestreiten,
daß für die Anpassung des Global- budgets realistische und funktionie- rende Anpassungsmodi zugrunde ge- legt werden, wird bezweifelt, daß die Krankenkassen so in die Pflicht ge- nommen werden können, daß sie Schwerpunkte setzen und diese auch je nach Bedarf und Leistungseffizi- enz auch verschieben, so daß die Lei- stungsbereiche durchlässig werden und das Geld tatsächlich der Lei- stung folgt. Zudem habe der Gesetz- geber nicht die notwendige Konse- quenz gezogen, in allen Leistungs- sektoren durchgängig ein puristi- sches Einkaufsmodell zu verankern und mit den Globaldbudget-Bedin- gungen zu koppeln.
Wegen der sektoralen Budgets innerhalb der vertragsärztlichen Ge- samtvergütung, für Arznei- und Heilmittel, für die integrierte Ver- sorgung und für Strukturverträge und Modellvorhaben gemäß §§ 63 ff.
SGB V sei ein enormer Abstim- mungsbedarf innerhalb der Kran- kenkassen erforderlich, aber auch gegenüber konkurrierenden Kas- senarten. Dieses Unterfangen laufe zumeist den kassenindividuellen In- teressen und dem Wettbewerbsstre- ben zuwider. Auch sind die Umset- zungs- und Durchgriffsmöglichkei- ten auf Landesebene begrenzt. Dies gilt insbesondere für die Betriebs- und Innungskrankenkassen, die oft- mals länderübergreifend oder bun- deszentral agieren. Hinzu kommen unkalkulierbare Verpflichtungen aus dem unbefristet geltenden Risi- kostrukturausgleich und die Schwie- rigkeit, den schwer prognostizierba- ren stationären Sektor – trotz lan-
desweiter Obergrenzen – in ein en- ges Finanzkorsett einzuzwängen.
Für den Gesundheitsökonomen Wille bewirkt das Gesetz keine stär- kere Wettbewerbsorientierung und auch keine ausschließlich auf die Pa- tientenversorgung gerichtete Hand- lungsweise (Risikoselektion!), son- dern das Budget erfordert vielmehr eine fünfstufige vertikale „Kontroll- kaskade“, mit der der Gesetzgeber die Selbstverwaltung überfrachtet und lähmt. In solche „Kontrollorgi- en“ wären einzuschalten: Kranken- kassen vor Ort, Kassenverband auf Landesebene, Kassenverband auf Bundesebene, Schiedsämter und -stellen sowie die Landesaufsichts- behörden. Die Preisverhandlungen mit den 2 245 Krankenhäusern wür- den zum Dauermarathon.
Überholte Bezugsbasis
Einen weiteren entscheidenden Mangel der Globalsteuerung sieht Wille in der retrospektiven Berech- nung der Bezugsbasis für die jährli- che Anpassung der Globalbudgets.
Wenn für die Berechnung des Bud- gets im Jahr 2000 noch die beitrags- pflichtigen Einnahmen des zweiten Halbjahres 1997 zugrunde gelegt werden, führt dies zu einer Destabili- sierung und antizyklischen Ausgaben- entwicklung der Gesetzlichen Kran- kenversicherung. Gesundheit und medizinische Versorgung folgen aber nicht den Gesetzen der Ökonomie und sind schon gar nicht auf der Basis überholter historischer Ausgangs- werte planbar. Dr. Harald Clade A-2477
P O L I T I K LEITARTIKEL
Deutsches Ärzteblatt 96,Heft 40, 8. Oktober 1999 (17)