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Epigenetik – ein neues Aufgabengebiet für die präventive sportmedizin

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EDITORIAL

Jahrgang 62, Nr. 4 (2011) DEuTschE ZEITschRIfT füR spORTmEDIZIN 85

Epigenetik – ein neues Aufgabengebiet für die präventive sportmedizin

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rävention von kardiovaskulären Erkrankungen mittels aeroben dynamischen Muskeltrainings begann dank der deutschen und skandinavischen Forschung in den 1950er Jahren (4). Im Mittel- punkt stand die Vorbeugung von Herzinfarkt, der jährlich bedroh- liche Zuwachsraten aufwies. Zahlreiche weitere Indikationsgebiete zur präventiven Anwendung von körperlicher Aktivität schlossen sich in den folgenden Jahrzehnten an. Dank neuer Untersuchungs- techniken konnte in den vergangenen 25 Jahren sogar eine erheb- liche Bedeutung von körperlicher Bewegung für die Gesundheits- erhaltung und Leistungsförderung von Gehirn und Geist vom Kindes- bis zum Seniorenalter beschrieben werden (3).

Nun entwickelt sich rasch ein neues Forschungsgebiet unter der Bezeichnung „Epigenetik“. Vor ca. 230 Jahren teilte der franzö- sische Forscher Lamarck mit, menschliche und tierische körper- liche Erscheinungsformen und Eigenschaften beruhten auf Lebens- erfahrungen, die über das Erbgut weiter getragen würden. Mendel, ein österreichischer Erbforscher, beschrieb 1865 aufgrund seiner experimentellen Untersuchungen das Gegenteil: Im Leben erwor- bene Eigenschaften bzw. Veränderungen (Modifikationen) könnten niemals vererbt werden. Demnach war der Mensch ein Sklave sei- ner Gene. Diese Auffassung galt in der Wissenschaft bis vor Kurzem uneingeschränkt. Unerwartete neue Forschungsergebnisse verän- derten jedoch das Bild. Die Epigenetik erkannte von außen kom- mende chemische Eingriffe in das Erbgut. Von den ca. 23.000 Genen des Menschen kodieren nur 4% des DNA-Fadens Proteine. 52% der menschlichen DNA bestehen aus nicht-kodierenden Regionen, wei- tere 44% aus sich wiederholenden Buchstabenfolgen (2). Von beson- derem Interesse sind Mikro-RNA-Moleküle, die in der Zelle regula- torisch tätig sind. Diese Mikro-RNA kann Gene an- und abschalten (RNA-Interferenz). Dadurch können sie Wachstum steuern, Größe bestimmen, gewissermaßen eine Feinjustierung der Erbinformati- on. Damit Enzyme die Erbgutinformation lesen und abschreiben können, muss die betreffende DNA-Region für sie zugänglich sein, was durch Acetylierung von Histonschwänzen geschieht. So wird das Ablesen bestimmter DNA-Regionen erleichtert.

Eine Reduktion der Acetylgruppen oder eine Methylierung der Histone lässt die „Packungsdichte“ zunehmen, womit die Wahr- scheinlichkeit des Ablesens einer DNA-Sequenz vermindert wird.

Im Genom von Herz- und Skelettmuskelzellen entscheidet die Kombination von Veränderungen der genannten Art darüber, wann und wie stark ein Gen abgelesen wird.

Die Umwelt regt epigenetische Veränderungen an. Hierauf las- sen sich z.B. Unterschiede bei einigen Zwillingen zurückführen. Die Größenordnung der umweltbedingten Veränderungen im Erbgut dürfte von zahlreichen externen und internen Faktoren abhängen.

Die Methylierung der DNA ermöglicht die Bindung be- stimmter Proteine, wobei Gene komplett ausgeschaltet werden können. Von besonderer Bedeutung für die Einwirkungen auf Me- thylierung, Acetylierung, Histone und Mikro-RNA sind speziell kör- perliche Aktivität und Ernährung. Bei eineiigen Zwillingen konnte

nachgewiesen werden, dass der „Gleichtakt“ der Gene mit zunehmendem Lebensalter immer mehr zurück geht. Bei älteren Zwillingen traten die epigenetischen Unterschiede fast vier Mal so häufig auf (5).

Im Prinzip lassen sich ganze Gruppen von Genen über epi- genetische Effekte an- oder abschalten. Körperliche Akti- vität wirkt sich im Sinne der körperlichen und geistigen Leistungssteigerung aus. So können durch den Vergleich der DNA-Methylierungsmuster gesunder Zellen mit denen von Krebszellen-typische Muster

identifiziert werden. Die Zufuhr von Methylgruppen schützt die Prozesse der Epigenetik, verhindert Präkanzerosen und wirkt un- terstützend bei Reparaturvorgängen. In experimentellen Untersu- chungen in den USA ergab sich nach einem Zeitraum von drei Mo- naten körperlicher Aktivität und pflanzlicher Kost eine Aktivierung von 48 Genen, hingegen eine Dämpfung von 453 Genen tumorför- derlicher Natur.

Innerhalb der Hirnforschung ließ sich im Tierversuch zeigen, dass das Gedächtnis durch Zugriff auf das Epigenom praktisch mit einem Schlag ausradiert werden kann. Im Labor hatten aus- gewachsene Ratten eine bestimmte Übung erlernt. Die einma- lige Gabe eines Wirkstoffs, der die epigenetische Aktivierung von Kalzineurin-Genen verhinderte, ließ das Wissen um diese Übung mindestens 30 Tage lang ausradieren (1).

Konsequenz: körperliche Aktivität gewinnt eine zusätzliche präventive Bedeutung im Bereich von Praxis und Forschung in der Epigenetik.

Wildor Hollmann, Köln Literatur

1. ARAI J, LI S, HARTLEY DM, FEIG LA: Transgenerational rescue of a genetic defect in long-term potentiation and memory formation by ju- venile enrichment. J Neurosci 29 (2009) 1496-1502.

2. GRUSS P: Ein Report der Max-Planck-Gesellschaft. Beck, München 2007.

3. HOLLMANN W: Gehirn, Geist und körperliche Aktivität. In: Hollmann W (Hrsg): Brennpunkte der Sportwissenschaft – Ausgewählte Kapitel der Sportmedizin. Deutsche Sporthochschule, Köln (2009).

4. KNIPPING HW, BOLT W, VALENTIN H, VENRATH H: Untersuchung und Beurteilung des Herzkranken. Enke, Stuttgart (1955).

5. NATIONAL INSTITUTES OF HEALTH: NIH Announces Funding for New Epigenomics Initiative. www.nih.gov/news/health/sep 2008.

Epigenetic - A New Field for Sports Medicine

univ.-prof. Dr. Dr. Wildor hollmann Institut für Kreislaufforschung und Sportmedizin

Deutsche Sporthochschule Köln

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