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Fall 11: Nackte Tatsachen

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Academic year: 2022

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Fall 11: Nackte Tatsachen

Prozessual: Fortsetzungsfeststellungsklage

Materiell-rechtlich: Rechtmäßigkeit einer Standardmaßnahme (Durchsuchung); Zusammenspiel von Standardermächtigungen

Am Sonntag, dem 6. Januar 2019, geht die 18-jährige Gundula Graumaus (G), allein und ausgerüstet mit einem Lokomotive-Leipzig-Fanschal, ins Leipziger Bruno-Plache-Stadion, um sich die für 19.00 Uhr angesetzte Begegnung zwischen dem 1. FC Erzgebirge Aue und dem 1.

FC Lokomotive Leipzig anzusehen. Gegen 18.50 Uhr erreicht G das Stadiongelände.

Unmittelbar vor dem Stadioneingang ist ein Bereich durch Beamte der Polizeidirektion Leipzig abgesperrt. Die Polizeibeamten sollen Durchsuchungsmaßnahmen vornehmen mit dem Ziel, gefährliche Gegenstände, insbesondere Pyrotechnik, aufzufinden und zu sicherzustellen.

Während der laufenden Fußballsaison war es bei Spielen des 1. FC Lokomotive Leipzig zu überdurchschnittlich vielen anlasstypischen Störungen, wie z. B. zu Sachbeschädigungen, Körperverletzungsdelikten, Abbrennen von Pyrotechnik, bis zum Abfeuern von

„Leuchtspurgeschossen“ in die Blöcke der gegnerischen Fans mit entsprechenden Verletzungsfolgen und zu Übergriffen auf Einsatzkräfte durch die Lokomotive-Leipzig-Fans, gekommen. Im Vorfeld der Begegnung und am Spieltag selbst hatten die auf Sportgroßveranstaltungen spezialisierten Beamten des Landespolizeipräsidiums die am Stadion befindlichen Polizeibeamten darüber informiert, dass bei diesen Gelegenheiten sog.

„Unverdächtige Lokomotive-Leipzig–Fans“ als Transporteure zur Einbringung von verbotenen Gegenständen (Waffen, Rauchpulver, Signalmunition) ins Stadion aktiv gewesen seien. Bei diesen „Unverdächtigen“ handele es sich um „unscheinbare, jüngere oder ältere und insbesondere weibliche Personen, die vor allem, aber nicht nur, in Begleitung von gewaltbereiten Fans seien“, die aber in der Regel von Polizei und Veranstaltern aufgrund ihres äußeren Erscheinungsbildes nicht der gewalttätigen Fanszene zugeordnet würden. Die verbotenen Gegenstände seien unter anderem eng am Körper anliegend, eingearbeitet in Unterwäsche (in Push–up-BH’s, Slips) bzw. im Intimbereich auf die Haut aufgeklebt ins Stadion gebracht worden. Nach den verlässlichen Informationen der auf Sportgroßveranstaltungen spezialisierten Beamten des Landespolizeipräsidiums war auch bei diesem Fußballspiel wieder mit entsprechenden anlasstypischen Ausschreitungen wie in vergangenen Spielen zu rechnen.

An einer eigens eingerichteten Durchlassstelle vor dem Stadioneingang wird die G für eine entsprechende Kontrolle auf gefährliche Gegenstände ausgewählt. Nach einer kurzen Wartezeit wird G in ein Zelt hineingerufen, in dem auf beiden Seiten mehrere Kabinen aufgebaut sind.

Der Eingang der Kabinen ist jeweils zum Gang gelegen und nicht mit Vorhängen versehen, so dass das Innere der Kabine ohne weiteres vom Gang her eingesehen werden kann. Nach eingehender Diskussion mit einer Polizeibeamtin wird G daraufhin von dieser in der letzten Kabine durchsucht und zu diesem Zweck (auch unter der Kleidung) eingehend abgetastet.

Sicherzustellende Gegenstände werden bei G nicht gefunden.

Am 17. Januar 2019 erhebt G beim örtlich zuständigen Verwaltungsgericht Klage. Sie ist der Auffassung, die polizeiliche Maßnahme sei rechtswidrig gewesen. Sie sei in ihren verfassungsmäßigen Rechten auf Wahrung ihrer „Intimsphäre“ verletzt. Es könne nicht sein, dass quasi jede Person ohne qualifizierte Anhaltspunkte zum Durchsuchungsobjekt der Polizei werde. Falls eine polizeirechtliche Norm derlei vorsehe, sei sie verfassungswidrig. Sie selbst habe durch ihr Verhalten in keiner Weise Veranlassung zu einer derartigen Maßnahme gegeben.

Außerdem sei die Durchsuchung in der obendrein offenen Kabine unverhältnismäßig gewesen.

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Hat die Klage der G Aussicht auf Erfolg?

Abwandlung:

Nach der eingehenden Diskussion mit der Polizeibeamtin wird die G aufgefordert, sich in der Kabine auszuziehen und sich sämtlicher Kleidungsstücke zu entledigen, die je einzeln kontrolliert werden. Sie wird ferner aufgefordert, den BH für eine Abtastkontrolle des Kleidungsstückes nach oben umzuklappen, den Slip bis zu den Knien herunterzuziehen und anschließend eine vollständige Körperdrehung durchzuführen. Sicherzustellende Gegenstände werden nicht aufgefunden.

Ist die Anordnung rechtmäßig?

Bearbeitervermerk: Vorschriften der Sächsischen Verfassung sind nicht zu prüfen.

Vgl. OVG Saarland, Urteil vom 30.11.2007, Az.: 3 R 9/06, LKRZ 2008, 102, anders noch VG Saarlouis, Urteil vom 27.04.06, Az.: 6 K 74/05; BVerwGE 45, 51 ff.; 121, 345 ff. = NVwZ 2005, 604; OVG Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 10.06.1981, DVBl 1982, 653 m. abl. Anm. Schwabe, DVBl 1982, 655. Zum Verhältnis von § 23 EGGVG und § 98 Abs. 2 S. 2 StPO: Götz/Geis, PolR, 16. Aufl. 2017, § 19, Rn. 19. Wehr, Examens-Repetitorium Polizeirecht, 3. Aufl. 2015, § 5, Rn. 240. Zum Verursachungsverdacht: VGH B.-W. Urt. vom 14.12.2010, Az.: 1 S 338/10. Zum Problemkomplex Gewalttätigkeiten bei Fußballspielen: Winkler/Schadtle, JuS 2015, 435 ff.

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Lösung Fall 11: Nackte Tatsachen

Die Klage der G hat Erfolg, wenn sie zulässig (A.) und begründet (B.) ist.

A. Zulässigkeit der Klage

I. Eröffnung des Verwaltungsrechtsweges, § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO

Da eine aufdrängende Sonderzuweisung nicht greift, gilt § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO:

1. Öffentlich- rechtliche Streitigkeit (+):

Entscheidend ist die wahre Rechtsnatur des geltend gemachten Anspruchs. In der Durchsuchung der G manifestiert sich ein Verhältnis der Über-Unterordnung, wie es für das öffentliche Recht kennzeichnend ist (Subordinationstheorie).

Diese Maßnahme richtet sich auch nach Normen des Polizeirechts oder des Strafprozessrechts, die ausschließlich den Staat als solchen (in hoheitlicher Funktion) berechtigen bzw. verpflichten, § 27 Abs. 1 Nr. 2 i. V. m. § 31 Abs. 1 SächsPVDG bzw. § 102 StPO (modifizierte Subjekttheorie). Die streitentscheidenden Normen sind daher öffentlich-rechtlicher Natur.

2. nichtverfassungsrechtlicher Art (+): Der Streitgegenstand ist nicht verfassungsrechtlicher Art, da es um die Rechtsbeziehungen im Über- Unterordnungsverhältnis zwischen Staat (Verwaltung) und Bürger geht, nicht um spezifisch verfassungsrechtliche Beziehungen. Es fehlt an der doppelten Verfassungsunmittelbarkeit.

3. Abdrängende Sonderzuweisung?

Sind §§ 27, 31 SächsPVDG (präventiv) oder ist § 102 StPO (repressiv – strafprozessuale Zwangsmaßnahmen) einschlägig?

=> wenn letzteres, dann greift die abdrängende Sonderzuweisung nach § 98 Abs. 2 S. 2 StPO analog.

Hinweis: Abgrenzung Rechtswegzuweisung nach § 23 EGGVG oder § 98 Abs. 2 S. 2 StPO analog; (mittlerweile) h. M.: im Falle von strafprozessualen Ermittlungsmaßnahmen ist stets ein Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach § 98 Abs. 2 S. 2 StPO analog gegeben, unabhängig davon, ob die Ermittlungsmaßnahme überhaupt (das "Ob") oder nur die Art und Weise der Maßnahme (das "Wie") angegriffen wird und auch unabhängig davon, ob vor oder nach Erledigung.1

1 Vgl. BGHSt 28, 57 (58); BGHSt 37, 79 (82) = JR 1991, 515. Zur heute vorherrschenden Ansicht BGHSt 44, 265; 45, 183; grundlegend auch BVerfGE 96, 27 f.f; vgl. Würtenberger, Verwaltungsprozessrecht, 3. Auflage, Rn. 176; Götz/Geis, Polizei- und Ordnungsrecht, 16. Aufl. 2017, § 19 Rn. 19; Schmitt in: Meyer-

Goßner/Schmitt, StPO, 62. Auflage, § 98 Rn. 23; Beispiel: BVerfG v. 2.11.2016, 1 BvR 289/15, BeckRS 2016, 55724 Rn. 3, 17.

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 Daher ist eine Abgrenzung repressives/präventives polizeiliches Handeln erforderlich:

Zur Abgrenzung von repressivem und präventivem polizeilichen Handeln ist im Sinne der Schwerpunkttheorie auf den (objektiven) Sinn und Zweck der Maßnahme aus der (objektiven) Perspektive eines verständigen Bürgers in der Lage des Betroffenen abzustellen; ergänzend und hilfsweise ist stets auf die erkenntliche (geäußerte) Motivation der handelnden Polizeivollzugs- beamten zu rekurrieren.2 Für Maßnahmen der Gefahrenabwehr ist der Rechts- schutz gemäß § 40 Abs. 1 VwGO eröffnet, für Strafverfolgungsmaßnahmen (einschließlich der Strafverfolgungsvorsorge3) ist § 98 Abs. 2 StPO einschlägig.4

Soweit abweichend vorgeschlagen wird, doppelfunktionale Maßnahmen nach beiden möglichen Rechtssphären zu beurteilen, führt dies zu einer Verdoppelung des Rechtschutzaufwands für den Betroffenen.5

Hier: § 102 StPO würde nur zur Anwendung kommen, wenn ein Anfangsverdacht für eine begangene Straftat vorläge; hier aber ist (obj.) schwerpunktmäßig wie nach der Vorstellung der handelnden Polizeibeamten eine vorbeugende Verhinderung von Straftaten gewollt, nicht eine repressiv-polizeiliche Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten oder Straftaten i.S.d. Sprengstoffgesetzes.

=> Polizei wird ausschließlich präventiv zur Verhinderung von Straftaten tätig;

=> streitentscheidend sind daher §§ 27, 31 SächsPVDG.

Daher liegt keine abdrängende Sonderzuweisung vor.

Für die Klage der G gegen die Durchsuchung ist damit der Verwaltungsrechtsweg nach

§ 40 Abs. 1 S. 1 VwGO eröffnet.

2 BVerwG 47, 255 (264 f.); VGH Mannheim, NVwZ-RR 2011, 231 (232); VGH Mannheim, NvwZ-RR 2005, 540; Wehr, Examens-Repetitorium Polizeirecht, 3. Auflage, Rn. 241 f.; Vgl. auch Götz/Geis, Polizei- und Ordnungsrecht, 16. Aufl. 2017, § 18 Rn. 19.

3 Anders für die Strafverfolgungsvorsorge außerhalb eines konkreten Verfahrens: BVerwG NVwZ-RR 2011, 710 (711).

4 Insofern ist die pauschale Zuweisung der Strafverfolgungsvorsorge nach § 2 Abs. 1 S. 3 SächsPVDG an den Polizeivollzugsdienst im Hinblick auf Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG kompetenzrechtlich problematisch, da die Strafverfolgungsvorsorge im Grenzbereich von Gefahrenabwehr und Strafverfolgung liegt; vgl. Mühl/Fischer in:

Möstl/Bäuerle, BeckOK Polizei- und Ordnungsrecht Hessen, 14. Edition, § 1 Rn. 126.

5 So Wehr, Examens-Repetitorium Polizeirecht, 3. Auflage, Rn. 243 f., der gleichwohl dieser Ansicht folgt;

ebenso Schenke, Polizei- und Ordnungsrecht, 10. Aufl., § 8 Rn. 424. Nach Ansicht des BGH im Urteil vom 26.04.2017 - 2 StR 247/16, Rn. 25, können bei Vorliegen echter Doppelfunktionalität (in einer Gemengelage), strafprozessuale und gefahrenabwehrrechtliche Maßnahmen nebeneinander angewandt werden.

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II. Statthafte Klageart

Maßgeblich ist das Klagebegehren der G, vgl. § 88 VwGO: Vorgehen gegen den belastenden Akt der Durchsuchung.

1. In Betracht kommt eine Anfechtungsklage, § 42 Abs. 1, 1. Alt. VwGO Voraussetzung: Durchsuchung = belastender Verwaltungsakt.

Es fragt sich, ob die Durchsuchung der G einen Verwaltungsakt darstellt (§ 35 S. 1 VwVfG6) oder vielmehr einen Realakt. Die einheitliche Rechtsgrundlage der Teilakte des Durchsuchungsvorgangs (Besichtigung des Körpers, des Abtastens des Körpers und der Kleidung), die diese Teilakte zusammenfassend als Standardmaßnahme der Durchsuchung qualifiziert (§ 27 Abs. 1 Nr. 2 SächsPVDG), kann als Handlungs- wie als Anordnungsermächtigung verstanden werden.7 Im ersten Fall ermächtigt sie zu Verwaltungsrealhandeln, im letzteren Fall zu einem Verwaltungsakt. Die Teilakte (Besichtigung des Körpers, des Abtastens des Körpers und der Kleidung) für sich betrachtet können als schlicht hoheitliches Handeln, d. h. als Realakte angesehen werden. Jedoch handelt es sich bei der begleitenden Anordnung, am Ort der Durchsuchung zu verweilen und sämtliche erforderlichen Maßnahmen über sich ergehen zu lassen, die die Maßnahmen logisch und rechtlich verbindet, um einen Verhaltensbefehl (mit Regelungscharakter), d.h. um einen VA (Duldungsgebot). Sämtliche Teilakte werden durch dieses Duldungsgebot miteinander verbunden8.

Es ist daher von einem Verwaltungsakt auszugehen. A.A. gut vertretbar, dann allgemeine Feststellungsklage.

Dieser VA hat sich aber erledigt, da mit Beendigung der Durchsuchung die Maßnahme keinerlei (belastende) Rechtswirkung mehr entfaltet. Einer Anfechtungsklage würde daher infolge der Erledigung des VA das Rechtsschutzbedürfnis fehlen, sie wäre mangels Wirksamkeit des VA, vgl. § 43 Abs. 2 VwVfG, nicht (mehr) statthaft.

Hinweis: Geht man in konsequenter Fortführung der neueren Rechtsprechung zur Titelfunktion von Verwaltungsakten wegen noch zu erhebender Verwaltungskosten davon aus, dass auch andere als Vollziehungskosten, zum Beispiel Erlass- bzw. Durchführungskosten (bei vollumfänglicher Befolgung des Verhaltensbefehls), einzubeziehen sind und schon die Möglichkeit ihrer späteren Geltendmachung eine Erledigung des Verwaltungsakts ausschließt, wäre auch hier keine Erledigung anzunehmen. Statthaft wäre eine Anfechtungsklage.9

2. Fortsetzungsfeststellungsklage (FFK), § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO analog Die Fortsetzungsfeststellungsklage setzt einen Verwaltungsakt voraus, der sich nach Klageerhebung erledigt hat. Jedoch hat sich hier die Durchsuchung bereits

6 In dieser Lösungsskizze immer i.V.m. § 1 S. 1 SächsVwVfZG, da eine Behörde des Freistaates Sachsen gehandelt hat.

7 Vgl. Fall 5 Telefonanruf I.

8 Vgl. VG Gießen, LGRZ 2010, 463.

9 BVerwG NVwZ 2009, 122, vgl. Schenke, Verwaltungsprozessrecht, 16. Aufl. 2019, Rn. 316 ff., 502h.

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vor Klageerhebung erledigt (s.o. II. 1.), daher ist eine FFK in direkter Anwendung des § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO nicht statthaft. Für diesen Fall der vorprozessualen Erledigung kommt eine analoge Anwendung des § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO in Betracht. Dies setzt eine planwidrige Regelungslücke sowie eine vergleichbare Interessenlage voraus, auf die die vorhandene Regelung der Fortsetzungsfeststellungsklage Anwendung finden kann.

a. Planwidrige Regelungslücke

Zunächst bedarf es einer planwidrigen Regelungslücke. Es dürfte also trotz eines im Grundsatz auch bei vorprozessualer Erledigung gegebenen Rechtsschutzbedürfnisses (vgl. Art. 19 Abs. 4 GG) keine andere Klageart zur Verfügung stehen. Hier könnte man an eine allgemeine Feststellungsklage gemäß § 43 Abs. 1 Alt. 1 VwGO denken, mit der die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines konkret im Streit befindlichen Rechtsverhältnisses erreicht werden kann. Das Klageziel „Feststellung der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts“ lässt sich umformulieren in die Frage, ob ein Rechtsverhältnis zwischen dem Rechtsträger der Behörde und dem Kläger dergestalt bestand, dass die Behörde zum Erlass des in Streit befangenen Verwaltungsakts (Verweisung aus dem Sitzungssaal) gegenüber dem Kläger berechtigt war. Dann wäre ein feststellungsfähiges konkretes Rechtsverhältnis gegeben. Richtige Klageart wäre nach § 43 Abs. 1 Alt. 1 VwGO die allgemeine Feststellungsklage und eine Regelungslücke wäre zu verneinen.

Jedoch übersieht diese Auffassung, dass es um die Rechtswidrigkeit gerade eines Verwaltungsakts geht, dessen prozessuale Überprüfung an verwaltungsaktspezifische Sachentscheidungsvoraussetzungen geknüpft ist, die im Rahmen der allgemeinen Feststellungsklage nicht gelten.

Vor allem ist die Zulässigkeit der allg. Feststellungsklage nur in eingeschränktem Umfang abhängig von der Möglichkeit einer Verletzung in eigenen Rechten nach § 42 Abs. 2 VwGO; regelmäßig reicht die Beteiligung des Klägers am umstrittenen Rechtsverhältnis aus.

Da die allgemeine Feststellungsklage nicht auf die besondere Situation des (vorprozessual erledigten) Verwaltungsakts zugeschnitten ist, kommt es bei Anwendung der allgemeinen Feststellungsklage auf die Situation der vorprozessualen Erledigung von Verwaltungsakten zu Wertungswidersprüchen innerhalb des Systems des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes. Vom oft zufälligen Erledigungszeitpunkt des Verwaltungsakts (vor oder nach Prozessbeginn) kann aber die Entscheidung über die Klageart nicht abhängig gemacht werden.

Die allgemeine Feststellungsklage erfasst darum nach ihrer gesetzlichen Ausgestaltung sowie nach Sinn und Zweck die Situation der vorprozessualen Erledigung von Verwaltungsakten prozessual nicht adäquat. Es liegt insofern eine – mit Rücksicht auf Art. 19 Abs. 4 GG planwidrige – Regelungslücke vor.

b. Vergleichbare Interessenlage

Außerdem müssen die Interessenlagen des geregelten und des planwidrig nicht geregelten Falls (der Regelungslücke) vergleichbar sein. Dieses Erfordernis ist hier erfüllt: Das Rechtsschutzinteresse richtet sich, nachdem der

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Verwaltungsakt mangels Wirksamkeit nicht mehr aufgehoben werden kann, auf die Feststellung der Rechtswidrigkeit. Auf den Zeitpunkt der Erledigung, auf den der Rechtsschutzsuchende in der Regel keinen Einfluss hat, kommt es nicht an.

c. Ergebnis

Damit ist eine Fortsetzungsfeststellungsklage analog § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO statthaft.10

III. Beteiligtenfähigkeit

Klägerin G ist als natürliche Person nach § 61 Nr. 1, 1. Alt. VwGO i. V. m. § 1 BGB beteiligtenfähig.

Der Freistaat Sachsen ist als Körperschaft des öffentlichen Rechts (und somit juristische Person des öffentlichen Rechts) nach § 61 Nr. 1, 2. Alt. VwGO beteiligtenfähig.

IV. Prozessfähigkeit

Klägerin G ist gemäß § 62 Abs. 1 Nr. 1 VwGO prozessfähig.

Der Freistaat Sachsen ist grundsätzlich prozessunfähig. Er wird gemäß § 62 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 58 Abs. 1 SächsJG i.V.m. § 4 Abs. 1 S. 1 SächsVertrVO i. V. m. §§ 7 Abs. 1 S. 2, 8 Abs. 1 Nr. 5 SächsVwOrgG vom Leiter der Polizeidirektion vertreten.

V. Zuständiges Gericht

1. Sachlich: Gemäß § 45 VwGO ist das Verwaltungsgericht sachlich zuständig.

2. Örtlich: G legte laut Sachverhalt Klage beim örtlich zuständigen Gericht ein (§ 52 Nr. 3 VwGO).

VI. Klagebefugnis, § 42 Abs. 2 VwGO analog

Da es bei der FFK, wie stets im Rechtsschutzsystem der VwGO, um den Schutz von Individualinteressen geht und die FFK aus der Anfechtungssituation erwächst, setzt die Statthaftigkeit der Klage die Klagebefugnis voraus. Dafür reicht es aus, dass G die Möglichkeit einer Rechtsverletzung durch den mittlerweile erledigten VA geltend macht. G war Adressat der Durchsuchung, die sie zur Offenlegung privater und intimer Umstände zwang, die durch ihre Kleidung der Umwelt verborgen sein sollten.

Von daher liegt ein Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG nahe und folglich die Möglichkeit der Verletzung in diesem Recht. Da das allgemeine Persönlichkeitsrecht als spezielles, wenn auch unbenanntes Freiheitsrecht verstanden wird, ist hilfsweise auch an eine Verletzung der allgemeinen Handlungsfreiheit, Art. 2 Abs. 1 GG zu denken, Adressatentheorie.

G ist somit klagebefugt.

VII. Richtiger Klagegegner (Passive Prozessführungsbefugnis)

Nach § 78 Abs. 1 Nr. 1 VwGO analog (Rechtsträgerprinzip) i. V. m. § 97 Abs. 1 SächsPVDG ist richtiger Klagegegner der Freistaat Sachsen als Rechtsträger des die Durchsuchung (VA) durchführenden Polizeivollzugsdienstes.

10 Vgl. zum Ganzen Enders (Fallbearbeitung), SächsVBl. 2010, 175, 195 (196 f.).

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VIII. Fortsetzungsfeststellungsinteresse, § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO

Fallgruppen: Mit Rücksicht darauf, dass sich die Regelungswirkung des VA erledigt hat, macht das Gesetz ein besonderes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit des erledigten VA zur Sachentscheidungsvoraussetzung der Fortsetzungsfeststellungsklage. Als besonderes Interesse sind anerkannt:

(1) das Rehabilitationsinteresse nach diskriminierenden Akten (2) die (konkrete) Wiederholungsgefahr; (3) schließlich die Überprüfung von grundrechtsintensiven Eingriffsmaßnahmen, die sich typischerweise kurzfristig erledigen und die sonst entgegen Art. 19 Abs. 4 GG nie einer gerichtlichen Kontrolle unterzogen würden.11 (4) Die Vorbereitung eines Amtshaftungsprozesses begründet dagegen ein Feststellungsinteresse nur bei Erledigung nach Klageerhebung.

Subsumtion: a) Rehabilitationsinteresse

An einen „diskriminierenden Akt“ sind wegen der Ausnahmesituation der FFK strenge Anforderungen zu stellen. Die Durchsuchung bedeutet jedoch auch nach den gesamten Umständen für G eine gegenüber dem „normalen“ Publikum diskriminierende und nach allem auch für Dritte bemerkbare Behandlung. Es ist demnach auch mit rufschädigenden Nachwirkungen zu rechnen. Hätte jemand die Durchsuchung beobachtet, könnte an G der Verdacht hängen bleiben, Fußballspiele durch das Einschleusen und Verwenden verbotener Gegenstände zu stören. Danach besteht ein Rehabilitationsinteresse der G.

b) Wiederholungsgefahr

Auch ist konkret damit zu rechnen, dass sich die G als Besucherin des nächsten Fußballspiels des 1. FC Lokomotive Leipzig erneut einer solchen Durchsuchung unterziehen muss.

Eine Wiederholungsgefahr liegt daher ebenfalls vor.

c) Erledigter (intensiver) Grundrechtseingriff

Weiterhin beschränkte sich die polizeiliche Maßnahme, in der ein intensiver Eingriff in das Allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) zu sehen ist (s. oben III.), auf eine solche Zeitspanne, in der die G Rechtsschutz (auch vorläufigen Rechtsschutz) schlechterdings nicht erlangen konnte.

IX. Vorverfahren, §§ 68 ff. VwGO?

Hier ist kein Vorverfahren durchgeführt worden. Fraglich ist, ob dies die Klage unzulässig macht. Unstreitig ist, dass die FFK nach § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO (in unmittelbarer Anwendung) die formgerechte und erfolglose Durchführung eines Vorverfahrens grundsätzlich voraussetzt, weil eine spätere Erledigung die ursprünglich unzulässige (Anfechtungs-) Klage nicht zulässig machen kann.

Erledigt sich aber der VA bereits vor Klageerhebung (und vor der Durchführung des Widerspruchsverfahrens), verfehlt ein dennoch durchgeführtes Widerspruchsverfahren seinen gesetzmäßigen Zweck: Die Selbstkontrolle der Verwaltung zeitigt hier keine rechtsverbindlichen Konsequenzen, da eine bloße Rechtswidrigkeitsfeststellung im Widerspruchsverfahren (neben der allgemein gegebenen Nichtigkeitsfeststellung nach

§ 44 Abs. 5 VwVfG) nicht vorgesehen ist. Auch ihre Rechtsschutzfunktion könnte

11 BVerfGE 96, 27 (39 f.); 110, 77 (85 f.); BVerwGE 146, 303 (306 ff.) verlangt bei sich nicht kurzfristig erledigenden VAen ein besonderes Rechtsschutzinteresse über die Möglichkeit der Grundrechtsverletzung hinaus (aaO Rn. 20, 29 ff.), dazu Lindner, NVwZ 2014, 180 (181 f.).

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deshalb die behördliche Überprüfung des erledigten VA im Widerspruchsverfahren nicht erfüllen.12 Daher ist ein Vorverfahren in der Situation der vorprozessualen Erledigung unstatthaft.

X. Klagefrist

Für die Anfechtung von Verwaltungsakten sind Fristen zu beachten, um die Bestandskraft des VA zu verhindern, die sonst bei Fristversäumnis im Interesse der Rechtssicherheit eintritt. Gegen diese Wirkung richtet sich die (fristgemäß zu erhebende) Anfechtungsklage, die auf ein stattgebendes Aufhebungsurteil zielt, das die Rechtslage unmittelbar gestaltet. Diese Funktion der Rechtsbehelfsfrist und das Erfordernis der Fristwahrung erübrigen sich mit Blick auf die Erledigung des Verwaltungsaktes und das demgemäß nur mehr mögliche Feststellungurteil.13 Die zeitliche Grenze einer zulässigen Klageerhebung zieht daher der allgemeine Grundsatz der Verwirkung. Auch von einer Verwirkung ist angesichts der zeitnahen Klageerhebung (17. Januar 2019) nicht auszugehen.

Die früher h.M. wollte dagegen unter Verweis auf Rechtssicherheit und Rechtsfrieden eine Fristbindung bejahen.14. Die Klagefrist beträgt dann mangels Vorverfahrens, gemäß

§ 74 Abs. 1 S. 2 VwGO (ggf. analog) einen Monat nach Erlass des (erledigten) AusgangsVAs (Durchsuchung). Mangels Rechtsbehelfsbelehrung beträgt die Frist gemäß § 58 Abs. 2 VwGO ein Jahr nach Durchführung der Durchsuchung. Diese Frist hat die G mit der am 17. Januar 2019 erhobenen Klage gewahrt.

XI. Zwischenergebnis

Die Klage der G ist daher zulässig.

B. Begründetheit der Klage

Die Klage ist begründet, soweit die Durchsuchung rechtswidrig war und die G dadurch in ihren Rechten verletzt wurde (§ 113 Abs. 1 S. 4 VwGO analog i. V. m. § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO analog).

I. Rechtmäßigkeit der Durchsuchung

Die Durchsuchung der G war rechtmäßig, soweit sie sich auf eine verfassungsmäßige Rechtsgrundlage stützen konnte, die im Einzelfall auch formell und materiell rechtmäßig angewandt wurde.

1. Verfassungsmäßige Rechtsgrundlage der Durchsuchung, § 27 Abs. 1 Nr. 2 i. V. m. § 31 Abs. 1 SächsPVDG

Aufgrund Art. 20 Abs. 3 GG (Vorbehalt des Gesetzes) bedarf die Eingriffsmaßnahme einer gesetzlichen Grundlage. Diese muss ihrerseits der Verfassung entsprechen. Als Rechtsgrundlage kommt hier § 27 Abs. 1 Nr. 2 i. V. m. § 31 Abs. 1 SächsPVDG in Betracht. Danach ist die Polizei u.a. dann

12 St. Rspr. seit BVerwGE 26, 161 (167 f.); E 81, 226 (229); vgl. Hufen, Verwaltungsprozessrecht, 11. Auflage 2019, § 18 Rn. 55; anders z. B. Schenke, Verwaltungsprozessrecht, 16. Aufl. 2019, Rn. 666.

13 BVerwGE 109, 203 = NVwZ 2000, 63 (64).

14 Vgl. VGH Mannheim, DVBl. 1998, 835 (836).

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zur Durchsuchung von Personen ermächtigt, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass diese Sachen mit sich führen, die nach § 31 SächsPVDG sichergestellt werden dürfen. Dagegen scheidet § 27 Abs. 1 Nr. 4 oder Nr. 5 SächsPVDG (Durchsuchung an gefährlichen oder gefährdeten Orten) als Rechtsgrundlage aus: Das Bruno-Plache-Stadion ist kein Ort, an dem

„erfahrungsgemäß … Personen Straftaten verabreden, vorbereiten oder verüben …“ (Kriminalitätsschwerpunkt), vielmehr kommt es nur unter den besonderen Voraussetzungen bestimmter Mannschaftspaarungen zu Eskalationen. Es fehlt an einer spezifischen Gefährlichkeit des Ortes als solchen.

Ebensowenig geht es um Anschläge auf das Stadion selbst.

Die – kompetenzgemäß erlassene (Art. 70 Abs. 1 GG) – Rechtsgrundlage des

§ 27 Abs. 1 Nr. 2 i. V. m. § 31 Abs. 1 SächsPVDG muss vor allem, da es um für den Einzelnen nachteilige Maßnahmen geht, mit den Grundrechten in Einklang stehen. Die Durchsuchung von Personen betrifft deren Privat- und Intimsphäre (vgl. bereits oben zur Klagebefugnis). Diese ist durch das allgemeine Persönlichkeitsrecht nach Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG geschützt, dessen Zweck es ist, die (inneren) Voraussetzungen der äußeren Persönlichkeitsentfaltung zu wahren. Zu diesen die Persönlichkeit rechtlich konstituierenden Voraussetzungen gehört die engere Persönlichkeitssphäre, die auch die Intim- und Privatsphäre umfasst.15 In diesen rechtlich geschützten Bereich der Entfaltung der Persönlichkeit greift die Durchsuchungsermächtigung ein, indem sie den Betroffenen eine Duldungspflicht auferlegt.

Die gesetzliche Durchsuchungsermächtigung muss sich darum als Grundrechtseingriff rechtfertigen. Der hier einschlägige Gesetzesvorbehalt des Art. 2 Abs. 1 GG bindet Eingriffe namentlich an die Beachtung der verfassungsmäßigen Ordnung. Die Eingriffsermächtigung muss damit insgesamt formell und materiell der Verfassung entsprechen, insbes. hinreichend bestimmt und verhältnismäßig sein. Sie erlaubt (Definition!)16 das gezielte Forschen nach (von Personen am Körper) verborgenen und vor Aufdeckung geschützten Sachverhalten und macht dieses abhängig davon, dass tatsächliche Anhaltspunkte bestehen, dass in dieser Weise Sachverhalte verborgen werden.

Bei diesen Sachverhalten kann es sich insbes. um Sachen handeln, die zum Zweck der Gefahrenabwehr (nach § 31 Abs. 1 Nr. 1 SächsPVDG) sichergestellt werden dürfen. Mit Blick auf diesen Zweck der Gefahrenabwehr ist die Maßnahme der Durchsuchung regelmäßig geeignet und auch mangels eines milderen, gleich geeigneten Mittels erforderlich. Der beabsichtigte Erfolg, Einzelne oder das Gemeinwesen vor Gefahren zu schützen, steht im Grundsatz auch nicht außer Verhältnis zum Nachteil des von der Durchsuchung Betroffenen, der partiell auf seine Privatsphäre verzichten muss, solange eine gegenwärtige Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung vorliegt, § 31 Abs. 1 Nr. 1 SächsPVDG. Diese setzt aber nach § 4 Nr. 3 lit. b SächsPVDG eine Sachlage voraus, bei der das schädigende Ereignis bereits begonnen hat oder unmittelbar oder in allernächster Zeit mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit bevorsteht. Dies erfordert, dass wirklich Tatsachen die Annahme begründen können, dass durch die Durchsuchung des Betroffenen der unmittelbar oder in allernächster Zeit bevorstehende Eintritt eines Schadens für

15 Vgl. BVerfGE 54, 148 (153, 154).

16 Vgl. BVerwGE 47, 31 (37).

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die öffentliche Sicherheit oder Ordnung abgewendet oder eine eingetretene Störung beseitigt werden kann. Bloße Mutmaßungen oder entfernte Gefahren lässt das Gesetz mit Rücksicht auf den Grundrechtsschutz der Persönlichkeitsentfaltung nicht genügen.

2. Formelle Rechtmäßigkeit der Durchsuchung

a) Zuständigkeit

aa) Für die sachliche Zuständigkeit des Polizeivollzugsdienstes ist zwischen Maßnahmen, für die eine Ermächtigungsgrundlage sowohl in SächsPVDG als auch in SächsPBG vorhanden ist, und Maßnahmen, die lediglich im SächsPVDG geregelt sind, zu unterscheiden.17 Hier liegt eine Maßnahme vor, die sowohl in SächsPVDG als auch SächsPBG geregelt ist (vgl. § 27 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 31 Abs. 1 SächsPVDG sowie

§ 21 Abs. 1 Nr. 2 i. V. m. § 25 Abs. 1 SächsPBG). Für die Zuständigkeit des Polizeivollzugsdienstes ist in diesen Fällen § 2 Abs. 3 SächsPVDG maßgeblich. Die sachliche Zuständigkeit des Polizeivollzugsdienstes könnte hier aus § 2 Abs. 3 i. V. m. Abs. 1 S. 3 SächsPVDG folgen.

Danach ist der Polizeivollzugsdienst unabhängig von einem Erfordernis sofortigen Tätigwerdens stets für die Verhinderung und vorbeugende Bekämpfung von Straftaten zuständig. Hier geht es um die Verhinderung von Straftaten nach dem Sprengstoffgesetz und nach §§ 223 ff. StGB, sodass der Polizeivollzugsdienst zuständig ist. Dann wäre der Polizeivollzugsdienst nach § 2 Abs. 3 i.V.m. Abs. 1 S. 3 SächsPVDG zuständig. Ob § 2 Abs. 1 S. 3 SächsPVDG tatsächlich die Verhinderung von Straftaten im konkreten Einzelfall meint, ist indessen zweifelhaft.

Dies hätte eine alleinige Zuständigkeit des Polizeivollzugsdienstes für die Gefahrenabwehr zur Folge, wann immer der zu verhindernde Schadenseintritt (auch) die Realisierung eines Straftatbestands bedeutet, eine durchaus nicht seltene Situation. Das würde den Grundsatz unterlaufen, dass grundsätzlich die Polizeibehörden zuständig sein sollen, der Polizeivollzugsdienst dagegen nur in Ausnahmefällen zuständig ist, und entspräche nicht dem Willen des Reformgesetzgebers.

Die gesetzliche Neuregelung hat nicht berücksichtigt, dass die Formulierung der „Verhinderung von Straftaten“ im Rahmen der Zuständigkeitsregelung des § 2 Abs. 1 S. 3 SächsPVDG zu anderen Rechtsfolgen führt als im Kontext der Aufgabenzuweisung nach altem Recht (§ 1 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SächsPolG). Ob § 2 Abs. 1 S. 3 SächsPVDG infolge dieser Textänderung nicht mehr lediglich ein vorbeugendes Tätigwerden meint, also die Straftatenverhinderungs- und verfolgungsvorsorge (durch Datensammeln) meint (zusammenfassend:

vorbeugende Bekämpfung von Straftaten), sondern jede Verhinderung von Straftaten, ist derzeit unklar. Für diesen Fall wird von der Zuständigkeit des Polizeivollzugsdienstes ausgegangen; wer dies (vertretbar) anders sieht, muss hilfsgutachterlich weiterprüfen.

17 Vgl. hierzu die Ausführungen in Fall 1 – Beschlagnahmte Fotos I.

(12)

bb) Gemäß § 100 SächsPVDG i. V. m. § 6 Abs. 1 SächsPolOrgVO sind instanziell Polizeivollzugsbeamte der „Polizeidirektion“ (§ 97 Abs. 1 Nr. 5 SächsPVDG) zuständig

cc) Die örtliche Zuständigkeit der Polizeidirektion Leipzig ergibt sich § 103 SächsPVDG, nach dem Polizeidienststellen im ganzen Landesgebiet zuständig sind.

cc) Gemäß § 27 Abs. 3 SächsPVDG darf die Durchsuchung nur von Personen gleichen Geschlechts oder Ärzten durchgeführt werden (persönliche Zuständigkeit bestimmter Amtswalter). Vorliegend wurde die G von einer Beamtin durchsucht, das heißt von einer Person gleichen Geschlechts. Die Anforderungen des § 27 Abs. 3 SächsPVDG sind daher gewahrt.

b) Verfahren

aa) Eine Anhörung der G i. S. v. § 28 Abs. 1 VwVfG i. V. m. § 1 S. 1 SächsVwVfZG hat in Form einer Diskussion der G mit den Vollzugsbeamten stattgefunden (Stellungnahmegelegenheit).

bb) Einer Anordnung durch das Amtsgericht nach § 27 Abs. 5 S. 1 SächsPVDG bedarf es nur, wenn es sich um eine „körperliche Untersuchung“ handelt.

Eine körperliche Untersuchung zielt in Abgrenzung zu einer bloßen

„Durchsuchung“ darauf ab, Erkenntnisse über das Körperinnere oder den körperlichen Zustand einer Person zu erlangen. Unter Durchsuchung versteht man demgegenüber ein ziel- und zweckgerichtetes Suchen durch staatliche Organe nach Sachen, Personen oder zur Ermittlung eines Sachverhaltes, um etwas aufzuspüren, wobei die Durchsuchung sowohl die Person selbst als auch deren Kleidung umfasst. Die Durchsuchung der Person selbst umfasst hierbei das Suchen an ihrer Körperoberfläche und in den ohne Hilfsmittel einsehbaren Körperöffnungen oder Körperhöhlen wie etwa Mund, Ohren oder Nase. Davon ausgenommen sind allerdings wegen der erhöhten Eingriffsintensität besonders intime Körperzonen, z. B. Anal- und Genitalbereich, sodass diese der körperlichen Untersuchung unterfallen (str.).18

Hier handelt es sich um ein bloßes oberflächliches Betasten der G zum Auffinden von gefährlichen Gegenständen. Es handelt sich demnach um eine Durchsuchung, nicht aber um eine körperliche Untersuchung, sodass es einer Anordnung durch das Amtsgericht nach § 27 Abs. 5 S. 1 SächsPVDG nicht bedurfte.

c) Form

Die Anordnung der Durchsuchung in Form eines mündlichen VA war gemäß

§ 37 Abs. 2 S. 1 VwVfG i. V. m. § 1 S. 1 SächsVwVfZG zulässig. Einer

18 Vgl. zu diesem Absatz Leggereit in: Möstl/Bäuerle, BeckOK Polizei- und Ordnungsrecht Hessen, 14. Edition,

§ 36 Rn. 2 f.

(13)

Begründung bedurfte der VA gemäß § 39 Abs. 1 S. 1 VwVfG i. V. m. § 1 S. 1 SächsVwVfZG nicht.

d) Zwischenergebnis

Die Durchsuchung ist daher formell rechtmäßig.

3. Materielle Rechtmäßigkeit der Durchsuchung

Die Durchsuchung der G ist materiell rechtmäßig, wenn die Tatbestandsvoraussetzungen der Rechtsgrundlage des § 27 Abs. 1 Nr. 2 i. V. m.

§ 31 Abs. 1 SächsPVDG gegeben sind, die Durchsuchung sich gegen den richtigen Adressaten richtet und ermessensfehlerfrei angeordnet wurde.

a) Tatbestandsvoraussetzungen des § 27 Abs. 1 Nr. 2 i. V. m. § 31 Abs. 1 SächsPVDG

Gemäß § 27 Abs. 1 Nr. 2 SächsPVDG kann eine Person durchsucht werden, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie Sachen mit sich führt, die nach § 31 SächsPVDG sichergestellt werden dürfen. Die Zulässigkeit der Durchsuchung hängt damit auch von der Zulässigkeit der Sicherstellung ab

aa) Gegenwärtige Gefahr nach § 31 Abs. 1 Nr. 1 SächsPVDG

Voraussetzung ist, dass nach einer Sache geforscht wird, die zum Zweck der Gefahrenabwehr sichergestellt werden kann. Die Sicherstellung regelt § 31 Abs. 1 SächsPVDG.

Eine Sache kann nach § 31 Abs. 1 Nr. 1 SächsPVDG sichergestellt werden, um eine gegenwärtige Gefahr abzuwehren.

Eine gegenwärtige Gefahr liegt nach § 4 Nr. 3 lit. b SächsPVDG vor, wenn ein schädigendes Ereignis für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bereits begonnen hat oder unmittelbar oder in allernächster Zeit mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit bevorsteht.

Es ist demnach zunächst die Betroffenheit eines polizeilichen Schutzguts erforderlich.

Die öffentliche Sicherheit umfasst die Unverletzlichkeit der Rechtsordnung, der subjektiven Rechte und Rechtsgüter des Einzelnen sowie des Bestandes, der Einrichtungen und Veranstaltungen des Staates oder sonstiger Träger der Hoheitsgewalt, § 4 Nr. 1 SächsPVDG.

Als Schutzgüter der öffentlichen Sicherheit kommen hier Verbotsnormen der 1. SprengVO (§§ 22 ff. 1. SprengVO - Verbot, außer an Silvester pyrotechn.

Gegenstände abzubrennen) und des Strafrechts (§§ 222, 223, 230, 303 StGB) in Betracht. Letztere schützen dabei – zugleich im öffentlichen Interesse – Rechte und Rechtsgüter von Einzelnen (Leib, Leben, Unversehrtheit des Eigentums).

Die öffentliche Sicherheit ist daher betroffen.

Weiterhin müsste eine gegenwärtige Gefahr i. S. d. § 4 Nr. 3 lit. b SächsPVDG vorliegen. Eine bereits begonnene Schädigung der öffentlichen Sicherheit (Störung) war im vorliegenden Fall noch nicht eingetreten (auch ist bloßer Besitz von Feuerwerkskörpern nicht verboten).

Es reicht aber für eine gegenwärtige Gefahr i. S. d. § 4 Nr. 3 lit. b SächsPVDG aus, wenn die Störung unmittelbar oder in allernächster Zeit mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bevorsteht. Das bedeutet, der Schadenseintritt ist zum einen in allernächster Zeit, zum anderen mit gesteigerter Wahrscheinlichkeit

(14)

(„sofort und nahezu mit Gewissheit“) zu erwarten.19 Die zeitliche Nähe zum Schadensereignis war im Zeitpunkt der Maßnahme mit Blick auf den bis zum Anpfiff des Fußballspiels verbleibenden Zeitraum von 10 Minuten zu bejahen.

Die Frage ist, ob sich auch die erforderliche gesteigerte Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts bejahen lässt. Bisher war es bei Fußballspielen des 1. FC Lokomotive Leipzig regelmäßig zu anlasstypischen Störungen, wie etwa dem Abschießen von Feuerwerkskörpern in Richtung gegnerischer Fans und auch zu Körperverletzungen und Sachbeschädigungen gekommen. Nach den verlässlichen Informationen der auf Sportgroßveranstaltungen spezialisierten Beamten des Landespolizeipräsidiums war auch diesmal wieder mit solchen Aktionen zu rechnen. Eine Störung in allernächster Zeit war somit als nahezu gewiss anzusehen, sie stand unmittelbar bevor. Insofern durfte eine Durchsuchung nach Sachen, von denen die unmittelbar bevorstehende Störung ausgehen konnte, angeordnet werden.

Adressaten einer Sicherstellungsverfügung (Verantwortlichkeit): Die Norm des

§ 31 Abs. 1 Nr. 1 SächsPVDG setzt in Abhängigkeit von der Gefahrensituation voraus20, dass vom Gebrauch der Sache oder von der Sache selbst eine Gefahr ausgeht, trifft also den „Verhaltensstörer“ wie den „Zustandsstörer“. Bei

„missbräuchlicher“ (gefährlicher) Verwendung wie bei gefährlichem Zustand der Sache kann diese sichergestellt werden, dabei kommt nach allgemeinen Regeln auch eine Inanspruchnahme als Zweckveranlasser in Betracht.21 § 31 Abs. 1 Nr. 1 SächsPVDG lässt es darüber hinaus zu, eine Sache zu sicherzustellen, die selbst oder deren Gebrauch nicht gefährlich ist, die jedoch zur Gefahrenabwehr benötigt wird, sofern die weiteren Voraussetzungen der Notstandsstörerhaftung (§ 9 SächsPVDG) vorliegen. Hiernach kommt eine Sicherstellung beim Störer, sonst nur unter den Voraussetzungen des (§ 9 SächsPVDG in Betracht. Bei G können daher (gefährliche) Feuerwerkskörper sichergestellt werden, wenn sie solche (auch als bloßer „Kurier“, der nicht selbst die Gefahrenschwelle überschreitet, aber Zweckveranlasser oder jedenfalls Notstandsstörer ist) mit sich führt.

bb) Tatsachen, welche die Annahme rechtfertigen, dass G Sachen mit sich führt, welche sichergestellt werden dürfen, § 27 Abs. 1 Nr. 2 SächsPVDG Nach der gesetzlichen Ermächtigung ist jedoch der erhebliche Eingriff, der in der Durchsuchung liegt, durch den Gefahrenabwehrzweck nur dann hinreichend gerechtfertigt, wenn im konkreten Fall gemäß § 27 Abs. 1 Nr. 2 SächsPVDG auch Tatsachen vorliegen, welche die Annahme rechtfertigen, dass der von der Maßnahme betroffene, hier G, der Sicherstellung unterliegende Sachen, hier also Feuerwerkskörper mit sich führt. Dafür reicht es nicht aus, dass tatsächliche Anhaltspunkte ergeben, dass irgendjemand solche Gegenstände mit sich führt. Dies ist bereits Voraussetzung der Einschätzung (Prognoseentscheidung), dass eine Störung der öffentlichen Sicherheit unmittelbar bevorsteht.

Vielmehr müssten gerade in Bezug auf G Anhaltspunkte vorliegen, die eine Durchsuchung zum Zweck der gefahrenabwehrenden Sicherstellung

19 Vgl. BVerwGE 45, 51 (58); Drews/Wacke/Vogel/Martens, Gefahrenabwehr, 9. Aufl. 1986, § 22 Nr. 2a, S. 332.

20 Vgl. Fall 4 - Obdachloseneinweisung I.

21 Vgl. Fall 4 - Obdachloseneinweisung I.

(15)

rechtfertigen. Fraglich ist somit, ob die hier gegebenen Tatsachen die Annahme tragen, dass gerade die G Feuerwerkskörper (etc.) mit sich führt. Insoweit beschränken sich die Erkenntnisse darauf, dass bei den letzten Spielen sogenannte „unverdächtige jüngere oder ältere, insbesondere weibliche Lok- Leipzig-Fans, die vor allem, aber nicht nur, in Begleitung von gewaltbereiten Fans seien, selbst aber nicht der gewaltbereiten Fanszene zugeordnet werden würden“ Pyrotechnik zur missbräuchlichen Verwendung ins Stadion geschleust haben. Die G, die hier ohne Begleitung auftritt, ist ein junger und weiblicher Lok-Leipzig-Fan (am Fanschal erkennbar). Allein aufgrund ihres Äußeren lässt sie sich nicht der gewalttätigen Fanszene zuordnen. Sie gehört also gerade zu dem Personenkreis, bei welchem nach den Erkenntnissen der Polizei allgemein nicht auszuschließen ist, dass verbotene, sicherstellbare Gegenstände aufgefunden werden. Ob diese Tatsachen ausreichen, um die Annahme zu rechtfertigen, dass gerade G auch solche Pyrotechnik bei sich hat, hängt davon ab, welche Beziehung G zu den Tatsachen haben muss.

Dabei kommt es nach § 27 Abs.1 Nr. 2 SächsPVDG nicht entscheidend darauf an, mit welcher Begründung die Gegenstände beim Adressaten der Durchsuchung nach § 31 Abs. 1 SächsPVDG sichergestellt werden könnten, ob dieser demnach durch eine Sicherstellung als (Verhaltens-) Störer (insbes.

auch als Zweckveranlasser!) oder als Unbeteiligter (Nichtstörer) im polizeilichen Notstand (§ 9 SächsPVDG) in Anspruch genommen würde. Selbst wenn ein „Kurier“, der Feuerwerkskörper ins Fußball-Stadion verbringt, die Gefahrenschwelle noch nicht selbst überschritten haben sollte und auch nicht als Zweckveranlasser haftet, könnten die Feuerwerkskörper unter dem Gesichtspunkt des polizeilichen Notstands sichergestellt werden, da eine andere effektive Möglichkeit der Gefahrenabwehr in Anbetracht der Gefahrgeneigtheit und Unübersichtlichkeit der Situation ausscheidet.

Darum sind nicht etwa Anzeichen eigener Gewaltbereitschaft erforderlich, um die von § 27 Abs. 1 Nr. 2 SächsPVDG verlangte Annahme zu rechtfertigen.

Aber: Es können ungeachtet des offenen Wortlauts des § 27 Abs. 1 Nr. 2 SächsPVDG (1) nicht schon Tatsachen genügen, die belegen, dass G zu einem Personenkreis gehört, der typischerweise sicherstellbare Sachen i. S. v. § 31 Abs. 1 Nr.1 SächsPVDG mit sich führt. Das liefe auf ein Tatbestandsverständnis hinaus, das eine abstrakte, nicht auf die Person im konkreten Einzelfall bezogene Gefährlichkeit (hier etwa: Gefährlichkeit von Fußballfans des Vereins LOK-Leipzig) ausreichen lässt und das mit § 27 SächsPVDG nach seinem Sinn und Zweck (Gefahrenabwehr im Einzelfall) und mit Rücksicht auf das erhebliche Gewicht des unter diesem Vorzeichen eingeschränkten Grundrechts nicht mehr zu vereinbaren wäre. Erst recht kann (2) das unverdächtige Verhalten als solches nicht als Beleg der besonderen Gefährlichkeit betrachtet werden. Das würde die Freiheitsvermutung umkehren, die dem Staat die Beweislast für Freiheitsbeschränkungen auferlegt. Sie ist Basis auch des Polizeirechts und wird nur dort an einzelnen Stellen modifiziert, wo das Gesetz dies aus besonderen Gründen ausnahmsweise anordnet (z. B. § 15 Abs. 1 Nr. 2, 3, 4, 5, 6 SächsPVDG).

Entscheidend ist vielmehr, dass tatsächliche Anhaltspunkte den Adressaten der Durchsuchung (als taugliches Bezugsobjekt der Gefahrenabwehr) aus der Menge aller anderen herausheben (etwa den gefährlichen Fan von anderen unterscheiden) und damit seine besondere Duldungspflicht gegenüber der

(16)

Durchsuchungs-Maßnahme begründen. Solche Anhaltspunkte könnten ggf. auch darin gesehen werden, dass eine selbst unauffällige Person das Stadion in Begleitung eines oder mehrerer gewaltbereiter Fans aufsucht. Die G hat jedoch weder selbst auffälliges (gewaltgeneigtes) Verhalten gezeigt, noch sonst irgendwie - etwa mit Rücksicht auf ihre Begleitung - Anlass zu der Annahme gegeben, dass sie pyrotechnische Gegenstände bei sich führt.22

cc) Zwischenergebnis

Somit kommen nur solche Tatsachen bzw. Erkenntnisse als Grundlage für die in

§ 27 Abs. 1 Nr. 2 SächsPVDG beschriebene Annahme in Betracht, die in besonderer Weise auf die Adressaten der Maßnahme bezogen sind und einen von der Allgemeinheit (oder auch typischen Adressatengruppe der Fußballfans) abgrenzbaren Personenkreis umreißen. Im vorliegenden Fall gibt es solche differenzierten Anhaltspunkte, auch wenn man eine erkennbare Beziehung zu gewaltbereiten Fans ausreichen lassen wollte, nicht.

Bei verfassungskonformer Auslegung und Anwendung des § 27 Abs. 1 Nr. 2 SächsPVDG ist dessen Tatbestand nicht erfüllt.

(Andere Maßnahmen: Vorgehen nach § 57 SächsPVDG; Inanspruchnahme des Veranstalters als Zweckveranlasser – der die Vorteile aus der Situation zieht – und Verpflichtung zur Durchführung von Personenkontrollen; ggf.

Inanspruchnahme als Nichtstörer, gegen Entschädigung für den Kostenaufwand der Maßnahmen.)

Hilfsgutachten

b) Verantwortlichkeit (richtiger Adressat der Durchsuchungsmaßnahme) Bei Vorliegen der Tatbestandsmerkmale ist G (in deren Person Tatsachen vorliegen, die die Annahme begründen, dass sicherzustellende Sachen mitgeführt werden) auch richtige Adressatin der Durchsuchung. Dies ergibt sich aus dem Bezug des Tatbestandes auf diejenige Person, die die bei ihr nach §§ 6, 7, 9 SächsPVDG sicherzustellende Sache möglicherweise mit sich führt; § 27 trifft insoweit also eine abschließende Verantwortlichkeitsregelung (Ausnahme:

§§ 27, 31, 9 SächsPVDG).

c) Rechtsfolge: Ermessen

Weiterhin müssten die Polizeibeamten ihr bezüglich der Durchsuchung nach

§ 27 Abs. 1 Nr. 2 SächsPVDG zustehendes Ermessen bezüglich „ob“ und

„wie“ des Einschreitens ordnungsgemäß, insbes. verhältnismäßig ausgeübt haben, § 5 SächsPVDG. Das Gericht kann die Einhaltung der gesetzlichen Ermessensgrenzen überprüfen, § 114 S. 1 VwGO.

Problematisch erscheint nur das (Auswahl-) Ermessen hinsichtlich der Art und Weise der Durchsuchung. Während ein Ermessensnicht- oder fehlgebrauch nicht festzustellen ist, kommt eine Ermessensüberschreitung im konkreten Fall in Betracht.

22 A. A. vertretbar mit OVG Saarland, Urteil vom 30.11.2007, Az.: 3 R 9/06, LKRZ 2008, 102 und VG Saarlouis, Urteil vom 27.04.06, Az.: 6K 74/05, vgl. auch OVG Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 10.06.1981, DVBl 1982, 653 m. abl. Anm. Schwabe, DVBl 1982, 655.

(17)

Diese wäre gegeben, wenn sich die Durchführung im konkreten Fall als unverhältnismäßiger Eingriff (damit zugleich in das allgemeine Persönlichkeitsrecht, Art. 2 Abs. 1 i.V. m. Art. 1 Abs. 1 GG der G) darstellte. Die Maßnahme wäre nur gerechtfertigt, wenn die Durchsuchung der G verhältnismäßig im weiteren Sinne, das heißt geeignet und erforderlich mit Blick auf einen legitimen Zweck sowie angemessen (verhältnismäßig i.e.S.) wäre.

Der legitime Zweck liegt im Auffinden sicherstellbarer Sachen, um dadurch die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu gewährleisten. Hier geht es darum, das Leben und die Gesundheit der Besucher des Fußballspiels und der Polizeivollzugsbeamten dadurch zu schützen, dass verhindert wird, dass im Fußballstadion Feuerwerkskörper etc. verwendet werden. Die Durchsuchung ist geeignet i. S. d. § 5 Abs. 1 SächsPVDG, diesen legitimen Zweck zu erreichen.

aa) Jedoch fragt sich, ob die Durchsuchung im Falle der G auch das mildeste geeignete Mittel war, § 5 Abs. 2 SächsPVDG. Denn erforderlich war die Durchsuchung nur, wenn kein milderes, gleich geeignetes Mittel ersichtlich ist.

Eine bloße Beschau der bekleideten Personen ist in Anbetracht des mitgeteilten Sachverhalts nicht gleich geeignet zur Abwehr der Gefahr (- die mitgeführten pyrotechnischen Gegenstände werden meist eng am Körper oder im Intimbereich transportiert).

bb) Weiterhin müsste sie auch i. S. d. § 5 Abs. 3 S. 1 SächsPVDG angemessen gewesen sein. Dies ist der Fall, wenn der mit der Durchsuchung beabsichtigte Erfolg nicht außer Verhältnis zum Nachteil für G steht (§ 5 Abs. 3 S. 2 SächsPVDG ). Zwar fand die Durchsuchung der G in einer nicht abgeschlossenen Kabine statt, welche auch von außerhalb einsehbar war.

Dadurch gewann die Intensität des mit der Durchsuchung bewirkten Eingriffs zusätzlich an Gewicht. Allerdings fand die gesamte Durchsuchung in einem nach außen abgeschlossenen Zelt statt, so dass Dritte keine Möglichkeit hatten, die G zu beobachten. Auch befand sich die G in der letzten Kabine des Zeltes.

Über die Anwesenheit anderer (auch männlicher) Polizeibeamter oder von weiteren Fußballfans ist nichts mitgeteilt. Damit ist nicht davon auszugehen, dass weitere Personen außer den untersuchenden Polizeibeamtinnen Einblick in die Kabine nahmen. Die Intensität des Eingriffs steht mit dieser Maßgabe nicht außer Verhältnis zu dem gewichtigen Zweck, den Schutz von Leben und Gesundheit der anderen Besucher sicherzustellen. Die Durchsuchung im konkreten Fall ist daher auch angemessen.

Eine Ermessensüberschreitung im konkreten Fall liegt daher nicht vor.

cc) Zwischenergebnis

Der VA ist daher nicht ermessensfehlerhaft.

Ende des Hilfsgutachtens

4. Zwischenergebnis

Der Tatbestand des § 27 Abs. 1 Nr. 2 SächsPVDG ist nicht erfüllt. Die Durchsuchung der G ist daher materiell rechtswidrig.

II. Rechtsverletzung der Klägerin

(18)

Die G müsste durch den rechtswidrigen VA auch in ihren Rechten verletzt sein.

Der Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts gemäß Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG ist eröffnet, ein Eingriff liegt vor, der mangels gesetzlicher Grundlage nicht gerechtfertigt ist (siehe oben). G ist in ihrem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG durch die rechtswidrige Durchsuchung verletzt.

C. Endergebnis

Die Durchsuchung der G war rechtswidrig. G wurde dadurch auch in ihren Rechten aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG verletzt.

Die Klage der G ist daher auch begründet und hat somit Aussicht auf Erfolg.

(19)

Abwandlung

Maßnahme(n): Aufforderung der Polizei an G, sich zu entkleiden; anschließend Beschau des entkleideten Körpers.

I. Rechtsgrundlage § 12 Abs. 1 SächsPVDG (i. V. m. § 27 Abs. 1 Nr. 2 SächsPVDG)23

II. Formelle Rechtmäßigkeit der Anordnung (+)

III. Materielle Rechtmäßigkeit der Anordnung (vgl. im einzelnen Bspr. in der Stunde) 1. Gefahr

Gefahr für die öffentliche Sicherheit (§ 4 Nr. 1, 3 lit. a SächsPVDG)? S. o. (+) 2. Verantwortlichkeit, § 6 Abs. 1 SächsPVDG

G als Störerin? G trägt selbst keine Pyrotechnik bei sich.

Verdachtsstörerin? Diese Figur kommt auch dann zur Anwendung, wenn zwar das Vorliegen einer Gefahr sicher feststeht, jedoch über die Person des Störers (bei mehreren in Frage kommenden Personen) Unsicherheit besteht (sog. Verursachungsverdacht).24 Hier reichen jedoch die vorhandenen Anhaltspunkte nicht aus (s. o.; a.A. vertretbar).

Hilfsgutachten

3. Rechtsfolge: Ermessen

Im Rahmen der Untersuchung des legitimen Zwecks der Maßnahme (vgl. § 5 Abs. 2 SächsPVDG), mit der der G aufgegeben wird, sich zu entkleiden, muss auch die Rechtmäßigkeit der beabsichtigten Durchsuchungsmaßnahme (§§ 27 Abs. 1 Nr. 2, 31 Abs. 1 Nr. 1 SächsPVDG) geprüft werden, die mit dem Verhaltensgebot ermöglicht werden soll (s. Fall 5, Telefonanruf I: die Maßnahme ist im Rechtssinne möglich nur, wenn die weitere Maßnahme, auf die sie sich ihrem Zweck nach richtet, ihrerseits rechtlich zulässig ist, sie also einen rechtlich zulässigen Zweck verfolgt).

Wer die Voraussetzung eines „Verursachungsverdachts“ bejaht hat, wird auch die Voraussetzungen der §§ 27 Abs. 1 Nr. 2, 31 Abs. 1 Nr. 1 SächsPVDG zu bejahen haben.

Zu den Voraussetzungen des § 31 SächsPVDG vgl. i.E. oben. Hinsichtlich der Voraussetzungen des § 27 SächsPVDG gilt, dass auch das gezielte „Hinschauen“, dem sich der Maßnahmeunterworfene nicht entziehen darf, als Durchsuchung, nicht jedoch als körperliche Untersuchung zu qualifizieren ist.

Mit Blick auf diesen Ermöglichungszweck ist der Entkleidungsbefehl auch geeignet, erforderlich (da eine Entkleidung durch die Polizeibeamtinnen kein milderes Mittel sein dürfte) und angemessen.

Bei Voraussetzung eines Verursachungsverdachts und folglich von Tatsachen, die die Annahme rechtfertigen, dass G der Sicherstellung unterliegende Sachen (Feuerwerkskörper) mit sich führt (§ 27 Abs. 1 Nr. 2 SächsPoVDG), ist die Maßnahme also im übrigen verhältnis-, d.h. rechtmäßig.

23 Vgl. VG Gießen LKRZ 2010, 463 (Leitsatz).

24 VGH B.-W. Urt. vom 14.12.2010, Az.: 1 S 338/10, juris Rn. 26 = NVwZ-RR 2011, 231; a.A.

Kingreen/Poscher, Polizei- und Ordnungsrecht, 10. Aufl. 2018, § 8 Rn. 55 f.: gewöhnlicher Fall des Gefahrverdachts.

(20)

4. Zwischenergebnis

Der Tatbestand des § 12 Abs. 1 SächsPVDG ist nicht erfüllt, die Maßnahme ist daher materiell rechtswidrig.

IV. Ergebnis

Die Maßnahme war rechtswidrig.

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