§ 2 Der Weierstraßsche Produktsatz
Unser n¨ achstes Problem soll sein, zu einer vorgegebenen Menge von Punkten eine holomorphe Funktion zu suchen, die genau in den Punkten Nullstellen hat. Der Identit¨ atssatz sagt, daß das nur gehen kann, wenn die Menge diskret im Gebiet ist (falls nicht die Nullfunktion gesucht ist). Wir k¨ onnen deshalb die Menge wieder als Folge (a ν ) schreiben und optimistisch auch noch gew¨ unschte Nullstellenordnungen (n ν ) zulassen.
1. Angenommen, die Folge ist endlich. Dann kann das Problem gel¨ ost werden mittels
f (z) :=
k
Y
ν=1
(z − a ν ) n
ν.
2. Ist die Folge unendlich, dann klappt das nicht so ohne weiteres. Wir h¨ atten gerne, daß ein
” unendliches Produkt“
∞
Y
ν=1
(z − a ν ) n
νgebildet werden kann. Allerdings, was soll das sein? Der naive Ansatz ist das Bilden endlicher Produkte bis zu einem ν 0 und dem anschließenden Grenz¨ ubergang nach Unendlich. Wir werden aber sehen, daß noch ein paar Zus¨ atze n¨ otig sind, um zum Beispiel sicherzustellen, daß ein unendliches Pro- dukt nur dann gleich Null ist, wenn einer der Faktoren Null ist (denn sonst k¨ onnte der obige Ansatz ja zuviele Nullstellen liefern).
Definition. Sei (a ν ) ⊂ C . Das unendliche Produkt
∞
Q
ν=1
a ν existiert, falls gilt:
• Entweder sind alle a ν 6= 0, es existiert der Grenzwert a := lim
n→∞
n
Y
ν=1
a ν und es ist a 6= 0,
• oder es gibt ein ν 0 , so dass a ν 6= 0 f¨ ur alle ν ≥ ν 0 ist, und es existiert a ∗ :=
∞
Q
ν=ν
0a ν im obigen Sinne. Dann setzen wir a := a ∗ ·
ν
0−1
Y
ν=1
a ν .
In den beiden angegebenen F¨ allen ist
∞
Y
ν=1
a ν := a, in allen anderen F¨ allen existiert das Produkt nicht.
Zun¨ achst leiten wir einige elementare Eigenschaften unendlicher Produkte her : 2.1 Satz. Das unendliche Produkt
∞
Q
ν=1
a ν existiere. Dann gilt :
1.
∞
Q
ν=1
a ν = 0 genau dann, wenn mindestens ein a ν gleich Null ist.
2. Die Folge (a ν ) ist eine
” 1-Folge“, d.h. es ist lim
ν→∞ a ν = 1.
Beweis: (1) folgt direkt aus der Definition.
(2) Ohne Einschr¨ ankung sind alle a ν ungleich Null, da es ohnehin nur endlich viele Ausnahmen geben darf und die bei der Grenzwertbetrachtung unwichtig sind.
Dann existiert der Grenzwert a := lim
n→∞
n
Y
ν=1
a ν 6= 0. Nun wird a n als Quotient der Partialprodukte dargestellt,
a n =
n
Q
ν=1
a ν
n−1
Q
ν=1
a ν
,
und es folgt lim
n→∞ a n = a a = 1.
Als Schreibweise vereinbaren wir nun a ν = 1 + u ν . Dann ist notwendig f¨ ur die Existenz des Produktes der a ν , dass die u ν eine Nullfolge bilden.
2.2 Satz. Das unendliche Produkt
∞
Q
ν=1
(1 + u ν ) existiert genau dann, wenn es ein ν 0 gibt, so dass f¨ ur alle ν ≥ ν 0 gilt :
1. u ν 6∈ {x ∈ R |x ≤ −1}, 2.
∞
X
ν=ν
0log(1 + u ν ) ist konvergent.
Bemerkungen.
1. Mit log ist der Hauptzweig des nat¨ urlichen Logarithmus gemeint. Diese Be- zeichnung behalten wir im ganzen Kapitel bei.
2. Der Satz erm¨ oglicht uns, die Konvergenz von Produkten mit unendlichen Summen zu entscheiden. F¨ ur die haben wir schon viele Kriterien !
Beweis: 1) Angenommen, es gelten die beiden Bedingungen, dann ist
n
Y
ν=ν
0(1 + u ν ) =
n
Y
ν=ν
0exp ◦ log(1 + u ν ) = exp(
n
X
ν=ν
0log(1 + u ν )).
Weil die unendliche Summe existiert, und die Exponentialfunktion stetig ist, gilt:
∞
Y
ν=ν
0(1 + u ν ) = exp(
∞
X
ν=ν
0log(1 + u ν )).
Also existiert das Produkt im Sinne des zweiten Teils der Definition.
2) Es existiere
∞
Q
ν=1
(1 + u ν ).
Sei ν 1 so gew¨ ahlt, dass 1 + u ν 6= 0 f¨ ur alle ν ≥ ν 1 . F¨ ur n ≥ ν 1 sei P n :=
n
Q
ν=ν
1(1 + u ν ).
Dann existiert der Grenzwert P = lim
n→∞ P n und ist ungleich Null.
Weiterhin existiert ν 0 ≥ ν 1 , so dass f¨ ur ν, µ ≥ ν 0 gilt 1. |P ν − P µ | < 1 4 |P |, da P n eine Cauchyfolge ist.
2. 1 2 |P | < |P µ |, weil die P µ gegen P 6= 0 konvergieren.
Dann ist |P ν − P µ | < 1 2 |P µ |, das heißt
| P ν
P µ − 1| < 1
2 f¨ ur alle ν, µ ≥ ν 0 . Dabei sei ohne Einschr¨ ankung ν > µ. Dann ist
ν
Y
λ=µ+1
(1 + u λ ) ∈ D
12
(1) f¨ ur ν > µ ≥ ν 0 . Deshalb ist speziell 1 + u λ 6∈ R − f¨ ur λ ≥ ν 0 und der Grenzwert
n→∞ lim
n
Y
λ=ν
0+1
(1 + u λ ) ∈ D
12
(1),
liegt im Abschluss des Kreises. Nun ist der Logarithmus anwendbar, und es ergibt sich
log
∞
Y
ν=ν
0+1
(1 + u ν ) = lim
n→∞ log
n
Y
ν=ν
0+1
(1 + u ν )
= lim
n→∞
n
X
ν=ν
0+1
log(1 + u ν ) =
∞
X
ν=ν
0+1
log(1 + u ν ).
Definition. Das unendliche Produkt
∞
Q
ν=1
(1 + u ν ) heißt absolut konvergent genau dann, wenn es ein ν 0 gibt, so dass f¨ ur alle ν ≥ ν 0 gilt:
1. u ν 6∈ {x ∈ R : x ≤ −1}, 2.
∞
P
ν=ν
0log(1 + u ν ) konvergiert absolut.
2.3 Satz. Das unendliche Produkt
∞
Q
ν=1
(1 + u ν ) konvergiert absolut genau dann, wenn die Reihe
∞
P
ν=1
u ν absolut konvergiert.
Beweis: Wegen log(1) = 0 und log 0 (1) = 1 existiert der Grenzwert
u→0 lim
log(1 + u) u = 1.
Deshalb k¨ onnen wir ein ε zwischen 0 und 1 2 finden, so dass
|1 − log(1 + u) u | ≤ 1
2 ist, f¨ ur |u| < ε.
Daraus folgt aber eine Absch¨ atzung nach unten:
1
2 |u| ≥ |u − log(1 + u)| ≥ |u| − |log(1 + u)|, und daher |log(1 + u)| ≥ 1
2 |u|.
Andererseits kann die Dreiecksungleichung auch so angewendet werden:
1
2 |u| ≥ |log(1 + u) − u| ≥ |log(1 + u)| − |u|
Das liefert als Absch¨ atzung nach oben
|log(1 + u)| ≤ 3 2 |u|.
Damit haben wir |log(1 + u)| eingeschlossen : 1
2 |u| ≤ |log(1 + u)| ≤ 3 2 |u|.
Ist das unendliche Produkt absolut konvergent, so bilden die u ν eine Nullfolge und es gibt ein ν 0 , so dass |u ν | < ε f¨ ur alle ν ≥ ν 0 ist. Dann ist aber |log(1 + u ν )| ≥ 1 2 |u ν |, und es folgt, dass die Reihe
∞
P
ν=1
u ν absolut konvergiert.
Falls die Reihe
∞
P
ν=1
u ν absolut konvergiert, so bilden die u ν wieder eine Nullfolge, und es muss ein ν 0 geben, so dass u ν 6∈ {x ∈ R : x ≤ −1} f¨ ur ν ≥ ν 0 ist. Weil
|log(1 + u ν )| ≤ 3 2 |u ν | ist, folgt die absolute Konvergenz des unendlichen Produktes.
Definition. Sei G ⊂ C ein Gebiet, (f ν ) eine Folge stetiger Funktionen auf G. Das Produkt
∞
Q (1 + f ν ) heißt punktweise konvergent gegen eine Funktion f : G → C ,
falls
∞
Q
ν=1
(1 + f ν (z)) f¨ ur jedes z ∈ G gegen f (z) konvergiert. Das Produkt heißt absolut lokal-gleichm¨ aßig konvergent, falls
∞
P
ν=1
f ν absolut bzw. lokal-gleichm¨ aßig konvergiert.
2.4 Satz. Sei (f ν ) ⊂ O(G) eine Folge holomorpher Funktionen. Das Produkt
∞
Q
ν=1
(1+ f ν ) sei absolut lokal-gleichm¨ aßig konvergent. Dann konvergiert die Folge der Partialprodukte F n :=
n
Q
ν=1
(1 + f ν ) auf G kompakt gegen eine holomorphe Funktion.
Beweis: Zun¨ achst konvergiert die Folge F n schon einmal punktweise gegen eine Funktion f : G → C . Wenn wir zeigen, dass die Folge sogar lokal-gleichm¨ aßig konvergiert, dann sind wir fertig.
Sei z 0 ∈ G und U = U (z 0 ) eine Umgebung, so dass
∞
P
ν=1
f ν auf U absolut gleichm¨ aßig konvergent ist. Ist 0 < ε < 1 2 , dann gibt es ein ν 0 , so dass |f ν | U < ε f¨ ur alle ν ≥ ν 0 gilt.
W¨ ahlen wir jetzt das ε noch so klein, dass
|1 − log(1 + u) u | ≤ 1
2 f¨ ur |u| ≤ ε ist, dann gilt die schon gezeigte Einschließung
1
2 |f ν (z)| ≤ |log(1 + f ν (z)| ≤ 3
2 |f ν (z)| f¨ ur ν ≥ ν 0 , z ∈ U.
Definieren wir jetzt
h n (z) :=
n
X
ν=ν
0log(1 + f ν (z)),
dann konvergieren die h n auf U gleichm¨ aßig gegen eine holomorphe Funktion h, da die Reihe ¨ uber die |f ν | absolut gleichm¨ aßig auf U konvergiert. Außerdem gilt:
F n (z) =
" ν
0