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In den deutschen Altertumswissenschaften wurde das Thema Krieg vorwiegend aus dem politik- oder sozialgeschichtlichen Blickwinkel heraus be- trachtet

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Buchbesprechungen: Altertum und Mittelalter 357

© MGFA Potsdam, DOI 10.1524/mgzs.2010.00

Luigi Loreto, Per la storia militare del mondo antico. Prospettive retrospettive, Napoli: Jovene editore 2006, XIII, 257 S., EUR 25,00 [ISBN 88-243-1628-X]

Eine »Renaissance« der Militärgeschichte beobachtete der amerikanische Althisto- riker Victor Davis Hanson im Jahre 1999. Für die althistorische Forschung in Deutschland galt und gilt dies nur bedingt. Die eigene Vergangenheit, die Erfah- rung mit Nationalsozialismus und Weltkrieg, ließ es nach 1945 – auch aus Karrie- regründen – nicht mehr opportun erscheinen, antike Operationen zu analysieren, strategisches Denken zu erforschen oder taktische Planungen antiker Feldherren zu ergründen. In den deutschen Altertumswissenschaften wurde das Thema Krieg vorwiegend aus dem politik- oder sozialgeschichtlichen Blickwinkel heraus be- trachtet. Die Kriegführung wurde zumeist ausgeblendet. Erst in jüngster Zeit nimmt die Scheu ab, sich mit dem »eigentlich« Militärischen zu beschäftigen. Über neue Zugänge zu einer modernen Militärgeschichte wird für die Antike anders als für die Moderne allerdings noch nicht diskutiert. Es lässt sich hingegen beobach- ten, dass die Militärgeschichte entweder unbedarft als »Kriegsgeschichte« bezeich- net wird (siehe MGZ, 66/2007, S. 397 f.) oder sich Autoren moralisch vom dama- ligen Kriegsgeschehen zu distanzieren suchen (siehe etwa MGZ, 68/2009, S. 472 f.).

Der Crux mit dem Krieg ist nunmehr Luigi Loreto, der an der Universität Neapel Römische Geschichte lehrt, in seiner anregenden Studie »Per la storia militare del mondo antico« nachgegangen. Zunächst bietet er in dem Abschnitt »La storia mi- litare e il suo luogo storiografico« einen profunden Überblick über die Entwick- lung der militärhistorischen Forschungen in der modernen Geschichtswissenschaft.

Zu Recht hebt er hierbei die frühe Vorreiterrolle des Militärgeschichtlichen For- schungsamtes seit den 1960er Jahren hervor. Ihm ist darin zuzustimmen, dass das Ende der Blockkonfrontation und die Wende 1989/90 für die altgeschichtliche For- schung insgesamt eine markante Zäsur darstellen. Seit den 1990er Jahren beschäf- tigen sich Althistoriker (wieder) verstärkt mit Krieg und Militär, wie allein die an- wachsende, von Loreto in Teilen auch kommentierte internationale Bibliografie zum Thema belegt. In Deutschland mag zudem noch das Engagement der Bun- deswehr im Ausland, das nunmehr von Hilfs- bis Kampfeinsätzen reicht, und die asymmetrische Bedrohung durch den islamistischen Terror auch Althistoriker be- wegt haben, sich mit den alten Kriegen, die den neuen Kriegen in mancher Hin- sicht gleichen, auseinanderzusetzen.

Es bleibt die Frage, die in den derzeit überwiegend konventionellen Beiträgen neueren Datums unbeantwortet bleibt, wie eigentlich antike Militärgeschichte zu definieren ist: Kriegswesen, Kriegskunst – oder eine Militärgeschichte, die keine Kriegsgeschichte ist und den Krieg ausblendet? Loreto versteht Militärgeschichte in einem engeren Sinne als die Führung eines Krieges »dalla grande strategia alla tattica« (S. 18). Da sich die »grand strategy« auf alle Bereiche des öffentlichen Le- bens erstreckt, untersucht er in dem letzten Abschnitt seines Buches folgerichtig, wenn auch nur sehr kurz die Wechselbeziehungen von Krieg und Mentalität, Finan- zen, Demografie und Staatlichkeit. Der Frage nach einer »grande strategia« bzw.

»grand strategy« in der römischen Antike selbst geht Loreto ausführlich in seinem Kapitel »La storia dei fatti strategici« nach. Er folgt dabei hauptsächlich den im Jahr 1976 geäußerten, in der Forschung umstrittenen Thesen von Edward Lutt- wark. Luttwark sucht in seinem Werk »The Grand Strategy of the Roman Empire«

nachzuweisen, die Römer seien fähig gewesen, strategisch zeit- und raumübergrei- fend zu planen. Allerdings muss er im Wesentlichen e silentio argumentieren, da

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die Quellensituation zur Frage nur wenig hergibt. Loreto stimmt Luttwark jedoch in einer theoretischen Beweisführung zu. Die Rolle eines Generalstabs übernahm in Rom seiner Meinung nach das auf Konsens beruhende Wertesystem der herr- schenden Schicht. In der Mentalität der römischen Elite sei somit auch ein ganz- heitliches strategisches Denken zu verorten, das sich auf alle Bereiche des Staates und der Gesellschaft erstreckt habe. Es wäre wünschenswert gewesen, wenn der Autor seine interessante These anhand von Fallbeispielen untermauert hätte.

Loretos Überlegungen zu einzelnen Aspekten der antiken Militärgeschichte sind anregend und weiterführend, insbesondere der Literaturbericht ist hier her- vorzuheben. Irritierend ist mitunter seine Neigung, den Text in kleinste Absätze zu zerteilen, als fürchte der Autor, der Leser könne ihm nicht mehr folgen. Bedau- erlicherweise besitzt die Studie weder ein Stichwort- noch ein Literaturverzeich-

nis. Loretana de Libero

Christian Moser und Hans Rudolf Fuhrer, Der lange Schatten Zwinglis. Zü- rich, das französische Soldbündnis und eidgenössische Bündnispolitik, 1500–1650, Zürich: Verl. Neue Zürcher Zeitung 2009, 333 S., EUR 38,00 [ISBN 978-3-03823-503-3]

Das anzuzeigende Buch ist in drei Teile gegliedert. Im ersten Teil stellt lic. phil.

Christian Moser, Oberassistent am Institut für Schweizerische Reformationsge- schichte an der Universität Zürich, den langen, von Widerstand begleiteten Weg zum Zürcher Soldbündnis mit Frankreich vor. Moser präsentiert im umfangreichen zweiten Teil sorgfältig edierte Schlüsseldokumente zur Haltung gegenüber diesem Soldbündnis. PD Dr. Hans Rudolf Fuhrer, ehemals lehrend an der schweizerischen Militärakademie, schließt den Band mit einem mehr summarischen, auf älteren Forschungsergebnissen beruhenden Text zum schweizerischen Weg in die ver- fasste Neutralität, der natürlich von Bündnisüberlegungen und wirtschaftlichen Motiven geprägt war.

Zum ersten Teil Christian Mosers: Der Historiker Karl Mommsen hat die spät- mittelalterlichen Machtkämpfe einmal treffend als »Streit um die eidgenössischen Söldner« charakterisiert. Diese waren in der Tat hoch begehrt, da loyal und im Kampfe sehr erfahren und brutal. Die eidgenössischen Obrigkeiten versuchten am Ende des 15. Jahrhunderts, die »wilde« Reisläuferei zu verbieten und staatlich zu kontrollieren. Dies gelang allerdings nicht, es bestand weiterhin eine »reislaufende Subkultur« (Hermann Romer), in der Privatleute Solddienste vermittelten oder Männer gar auf eigene Faust in fremde Dienste traten, oft in großen Gruppen. Es kam schon vor, dass allein im Kanton Zürich mehrere Tausend Mann auf einmal wild bei ausländischen Kriegsunternehmern dienten. So waren die »fremden Dienste«

ein Ventil gegen Überbevölkerung und die ländliche Armut. Der Solddienst ist inso- fern ein sehr interessanter, umfassender Forschungsgegenstand, als er politische, wirtschaftliche, kulturelle und religiöse Phänomene umfasst und Einblick gibt in Diplomatie sowie Mentalitäten der Zeit.

Im »Ewigen Frieden« von 1516 versöhnte sich der eidgenössische Staatenbund mit Frankreich. Schon fünf Jahre später warb König Franz I. mit viel Geld um ein Soldbündnis, dem alle Orte außer Zürich beitraten. Die Diskussionen um das fran- zösische Soldbündnis wurden in Zürich äußerst intensiv und kontrovers geführt.

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Buchbesprechungen: Altertum und Mittelalter 359 Die Position der Gegner des Solddienstes ist dank der langjährigen Edition der Werke des Kirchenvorstehers (Antistes) Heinrich Bullinger gut dokumentiert. Auch der Zürcher Reformator Huldrych Zwingli selbst hat gegen den Solddienst gepre- digt, seine Worte sind uns teilweise durch Bullinger überliefert. Zudem hat sich Zwinglis Schrift »Eine göttliche Ermahnung an die Eidgenossen in Schwyz« erhal- ten. Heinrich Bullinger fürchtete sich vor Kriegen und meinte im Zuge des repu- blikanischen Tugendkatalogs, der mit den Solddiensten verbundene Eigennutz würde den Gemeinnutz verdrängen. Immerhin war Frankreich ja eine offiziell ka- tholische Macht. Bullinger und die Pfarrerschaft hatten auch moralische Beden- ken. Luxus, Üppigkeit und Völlerei würden Einzug halten in Zürich und somit den direkten Zorn Gottes provozieren. Recht und Gesetz würden erodieren, Ver- weichlichung hielte Einzug in den Schweizerlanden. Tatsächlich hat der Solddienst die eidgenössischen Eliten korrumpiert. Die Gegner des Solddienstes argumen- tierten somit im lange Zeit dominanten Geschichtsbild vom »Alten« und »Jungen«

Eidgenossen. Während die Altvorderen noch einfach, tapfer und dem Luxus ab- geneigt waren, hätte fremdes Geld die »Jungen« dekadent und korrupt gemacht.

Neben theologischen Argumenten gegen den Solddienst, wie sie Zwingli selbst aufwarf, ist dieses Geschichtsbild hauptverantwortlich für die Ablehnung des Sold- dienstes. Dies hat Moser meines Erachtens zu wenig deutlich herausgearbeitet.

Die Bündnisbefürworter ihrerseits rekrutierten sich naturgemäß aus Soldherren und ihren Agenten, die unverdrossen weiter Soldaten anwarben und vermittelten.

Sie scheuten auch keine drastischen, antiklerikalen Worte. So meinte ein Berner Befürworter des Bündnisses, die Zürcher hätten den »pfawenschwanz im fudloch«

(S. 32) stecken.

Zu Lebzeiten Bullingers war auch die Ratsmehrheit gegen Bündnisse. Um seine Position abzusichern, befragte der Rat jeweils Pfarrerschaft, Zünfte und sogar Un- tertanen in den »Volksanfragen«, ein bemerkenswert »demokratischer« Vorgang, der allerdings im Verlaufe der Zeit im Zuge der oligarchischen Herrschaftsinten- sivierung eingestellt wurde. Fragen und Antworten sind im zweiten Teil des Buches ediert. Die Herrschaft Stäfa etwa befürchtete Schaden fürs Seelenheil; insgesamt zeigten sich die verschiedenen Gemeinden sehr erfreut darüber, in den Meinungs- bildungsprozess miteinbezogen zu werden. Nach dem Tod Bullingers 1575 voll- zog sich eine Annäherung Zürichs an Frankreich. Seinen Teil dazu beigetragen ha- ben die latente Kriegsgefahr sowie die Orientierung der katholischen Orte an Spanien. In den Jahren 1612 bis 1615 kam es zum Abschluss verschiedener Sold- bündnisse, unter anderem auch mit Frankreich, dies trotz der pfarrherrlichen Oppo- sition.

Moser versteht es, im schön bebilderten Band die großen Züge zürcherischer Bündnispolitik anschaulich und quellennah nachzuzeichnen. Es wäre nun interes- sant, auch die Optik der ausländischen Potentaten zu kennen, denn das bleibt ein Desiderat der Forschung. Wie wirtschaftliche und strategische Argumente die re- ligiösen und protopazifistischen Argumente der Gegner überflügelt haben, ist si- cher ein Aspekt der Zürcher frühneuzeitlichen Geschichte, der auch internationale Beachtung verdient.

Fabian Brändle

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Der Kelch der bittersten Leiden. Chemnitz im Zeitalter von Wallenstein und Gryphius. [Begleitbuch zur gleichnamigen Ausstellung im Schloßbergmu- seum Chemnitz/Kunstsammlungen Chemnitz, 4.5. bis 3.8.2008] Hrsg. von Uwe Fiedler, Chemnitz: Ed. Mobilis 2008, 232 S., EUR 24,95 [ISBN 978-3- 9808878-8-5]

Die Gesellschaft des Fürsten. Prinz Xaver von Sachsen und seine Zeit. [Aus- stellung 3.10.2009 bis 6.1.2010] Hrsg. für das Schloßbergmuseum Chemnitz von Uwe Fiedler, Thomas Nicklas und Hendrik Thoß, Chemnitz: Ed. Mobilis 2009, 228 S., EUR 24,95 [ISBN 978-3-9808878-4-7]

Die Geschichte des sächsischen Militärs und der kriegerischen Ereignisse auf säch- sischem Boden gehörten bislang nicht zu den primären Forschungsfeldern der His- toriker. Dies gilt auch für die Dokumentation von Krieg, Gewalt und Militärwesen in Museen und Ausstellungen. Von daher war es bereits zu begrüßen, dass die 2. Sächsische Landesausstellung »Glaube & Macht. Sachsen im Europa der Reforma- tionszeit« im Jahre 2004 auch die mit dem Zeitalter der Reformation untrennbar verbundenen bewaffneten Konflikte wie etwa den Schmalkaldischen Krieg umfas- send dokumentiert und dem Besucher in diesem Zusammenhang auch die zeitge- nössische Bewaffnung und das Waffenhandwerk im Detail nähergebracht hat. Dies erscheint unerlässlich, will man wenigstens im Ansatz ein Verständnis für den Waf- fengebrauch, das korrespondierende Kriegsbild und damit für die Konfliktver- läufe der dokumentierten Epoche(n) wecken.

Dass die Industriestadt Chemnitz besonders in der Spätphase des Zweiten Welt- krieges intensive Berührungen mit kriegerischen Ereignissen hatte und durch al- liierte Bombenangriffe schwer zerstört wurde, ist hinlänglich bekannt. Die Stadt kann jedoch auch auf eine eigene Militär- und Garnisongeschichte zurückblicken, die bis weit in das 17. Jahrhundert reicht. Auf das Heftigste erschüttert wurde der Raum zwischen Vogtland, Erzgebirge und dem Muldental vom Dreißigjährigen Krieg. Die Tatsache, dass nur etwa jeder Dritte Chemnitzer diese Katastrophe über- lebte, zeigt nicht nur, dass die Stadt tatsächlich »mehr denn gantz verheeret« wor- den ist, wie es Andreas Gryphius formulierte. Diese tiefe Zäsur war auch Anlass genug für das Schlossbergmuseum Chemnitz unter Leitung von Uwe Fiedler, dem

»Zeitalter von Gryphius und Wallenstein« erstmalig ein wissenschaftliches Kollo- quium sowie im Jahr 2008 eine umfangreiche Sonderausstellung nebst einer dazu- gehörigen Publikation zu widmen. Letztere möchte – soviel sei vorweggenommen – nicht nur Katalog, sondern gleichfalls »wissenschaftliches Kompendium und opulentes Bilder-Lese-Buch« sein. Folglich erwartet den Leser auf über 230 groß- formatigen Seiten weit mehr als eine Aufstellung und Erläuterung der Exponate (diese findet sich im »Auswahlkatalog« im letzten Drittel des Werkes). Chemnitz und der Dreißigjährige Krieg erfahren in fünfzehn Beiträgen eine wahrlich inter- disziplinäre Betrachtung: Ausgewiesene Museologen, Historiker, Theologen so- wie Musik-, Kunst- und Literaturwissenschaftler durchleuchten das Zeitalter nicht nur aus der Perspektive des reinen Kriegsgeschehens, sondern aus dem Blickwin- kel seiner Wechselwirkungen unter anderem auf die Poesie und das Musikleben, auf die bildende Kunst, die Lage der Kirchgemeinden und der Gewerbelandschaft sowie der Diplomatie und Politik. Die Beiträge verdeutlichen eindrucksvoll, dass die Zeit des Dreißigjährigen Krieges für die Chemnitzer Region weit mehr war als ein »Sengen und Brennen nauff vndt runter« durch die Söldner Wallensteins oder

© MGFA Potsdam, DOI 10.1524/mgzs.2010.0018

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Buchbesprechungen: Frühe Neuzeit 361 des berüchtigten Holk. Inmitten menschlicher Verzweiflung und blutigem Gemet- zel, im Wechselspiel von Fouragieren, Einquartieren, Ruinieren und Pestilenz, kam es zu anrührenden und beeindruckenden Regungen geistiger Kräfte. Diese zeu- gen vom verzweifelten Bemühen, inmitten von Leid und Tod sich wenigstens ei- nen Rest der Humanitas zu bewahren – man denke etwa an die Werke Paul Fle- mings. Daher ist dem Herausgeber nur zuzustimmen: Die Autoren entfalten ein

»farbenprächtiges wie spannendes Panorama der Kriegs- und Nachkriegsjahre«;

ein Panorama, das als »Kulturgeschichte der Gewalt« auch einer Perspektive der modernen Militärgeschichtsschreibung entspricht.

Ebenso wie die Auswirkungen des Dreißigjährigen Krieges auf die Stadt Chem- nitz im historischen Bewusstsein der Öffentlichkeit nur selten eine Rolle spielten, verhält es sich mit dem Wirken Prinz Xavers von Sachsen (1730–1806). Zu Unrecht, wie man nur anführen kann: Xaver, von 1763 bis 1768 aufgrund der Minderjährig- keit seines Neffen, des späteren Kurfürsten Friedrich August III. (des »Gerechten«) Administrator von Sachsen, kann wohl bedenkenlos zu den begabtesten Wettinern gezählt werden – als Regent und Reformer, als Heerführer, als »Fürst zwischen den Mächten« (Thomas Nicklas) und als schillerndes Mitglied der société des prin- ces. Auch hier setzten die Veranstalter (Lehrstuhl für Europäische Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts an der TU Chemnitz in Zusammenarbeit mit dem Schloss- bergmuseum) und Herausgeber auf den Dreiklang aus wissenschaftlichem Kollo- quium, musealer Darstellung und einer begleitenden Publikation als zeitüberdau- erndem Anteil des Großprojektes. Konnte bereits auf der Tagung vor allem durch die starke Beteiligung französischer Historiker die europäische Dimension der The- matik gewinnbringend ausgelotet werden, so spiegelte sich dieser Ansatz eben- falls in der Ausstellung des Schlossbergmuseums sowie dem vorliegenden Kata- log wider. Die »Brücke« zwischen Prinz Xaver und Chemnitz bildet dabei vor allem das Rétablissement, der wirtschaftliche und kulturelle Wiederaufbau Kursachsens nach den Wirren des Siebenjährigen Krieges. Auch zwischen 1756 und 1763 wurde Chemnitz durch die Kriegsereignisse schwer in Mitleidenschaft gezogen. Umso bedeutsamer waren die von Xaver durchgeführten Reformen, welche die wesentli- chen Grundlagen für den erfolgreichen Übergang der Stadt ins Industriezeitalter schufen.

Von besonderem militärhistorischen Interesse unter den neunzehn Beiträgen des Katalogs sind einmal die Abbildungen und die Ausführungen zum Wirken Xavers als Soldat und Militärreformer von Ludolf Pelizaeus. Sie bieten dem Leser spannende Einblicke in das militärische Wirken von Xavier de Saxe, der als »Comte de Lusace« zwischen 1758 und 1763 an der Spitze eines für Frankreich kämpfenden sächsischen Korps seine »gloire« suchte und später als Initiator einer auf durch- aus realistischen Betrachtungen fußenden Militärreform am Widerstand der säch- sischen Stände scheiterte. Den Siebenjährigen Krieg als »Medienereignis« thema- tisiert zudem der Beitrag von Ulrich Rosseaux. Er stellt heraus, dass »kein anderer militärischer Konflikt der Frühen Neuzeit derart intensiv medial begleitet und ver- arbeitet« wurde, und informiert über Stoßrichtungen und Mittel der Propaganda der Kontrahenten, über gezielte Konfessionalisierung, Nationalisierung, Persona- lisierung und Desinformation. Die weiteren Beiträge zeichnen ein Bild von Xaver als »global player«; sie thematisieren unter anderem sein Wirken als Sammler, Bau- herr und Reisender. Vor allem die auf den in den Archives départementales de l‘Aube, Troyes, aufbewahrten Nachlässen des Prinzen basierenden Beiträge deu- ten an, dass Leben und Werk dieses faszinierenden »Grenzgängers zwischen den

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Kulturen« (L. Pelizaeus) noch zahlreiche Desiderata aufweisen und dass die so gern als etwas »überholt« angesehene »Geschichte großer Männer« ein enormes Potenzial birgt.

Ebenso wie der »Kelch der bittersten Leiden« ist auch dieser Ausstellungska- talog sehr sorgfältig aufbereitet. Die opulente Kraft der Bilder und ihre Farbigkeit nutzend, von hoher optischer wie haptischer Wertigkeit, empfehlen sich beide Werke nachhaltig und gleichermaßen für das Studium durch Wissenschaftler und durch historisch Interessierte.

Marcus von Salisch

Michael Lenz, »Arms are necessary«. Gun Culture in Eighteenth-Century American Politics and Society, Köln [u.a.]: Böhlau 2010, XIII, 236 S. (= Köl- ner Historische Abhandlungen, 48), EUR 34,90 [ISBN 978-3-412-20478-5]

In seiner Kölner Dissertation zum Thema »Gun Culture in Eighteenth-Century American Politics and Society« mit dem plakativen Titel »Arms are necessary« hat der Historiker Michael Lenz dem Topos von dem in den Vereinigten Staaten von Amerika »flächendeckend« gepflegten Waffenkult das Wort geredet. Doch ist das (historische) Prozedere, den sogenannten »Waffenkult« ausschließlich auf die USA beschränken zu wollen und ihn nur dort »nachzuweisen«, keinesfalls unumstrit- ten. Hat doch der vormals an der »University of Evansville« lehrende Professor für Soziologie William R. Tonso (geb. 1933) in seiner Studie »Gun and Society«

(1982) anhand von Sozialmustern aus Deutschland, der Schweiz, Frankreich und Australien gezeigt, dass der Terminus »Waffenkult« nicht einzig auf die USA ein- geschränkt werden kann. Doch ist der Waffenbesitz dort aufgrund des im Verfas- sungszusatz vom Dezember 1791 verankerten »Zusatzartikels II« nicht nur ver- brieft, sondern das staatliche Einschränken des Rechts auf Besitz und Tragen von Waffen geradezu untersagt: »A well regulated Militia being necessary to the secu- rity of a free State, the right of the people to keep and bear Arms shall not be infringed.« Dabei vermag Lenz auch in einem verfassungsgeschichtlichen Diskurs zu zeigen, dass das juristisch außerordentlich liberal besetzte Waffenrecht der Ame- rikaner auf den altehrwürdigen englischen Kolonistenrechten aus der Zeit der eng- lischen »Rotröcke« gründet. Tatsächlich beriefen sich die Kolonisten auf den in der englischen Bill of Rights von 1689 ausdrücklich festgeschriebenen Rechtsartikel:

»That the subjects which are Protestants may have arms for their defence suitable to their conditions and as allowed by law.« Die neue »Charter of Massachusetts«

von 1691 »berief« sich dann auch auf vorangehende Erklärungen der »Bill of Rights«: »Our Will and Pleasure is and Wee doe hereby for Vs Our Heires and Suc- cessors Grant Establish and Ordaine That all and every of the Subjects of Vs Our Heires and Successors which shall goe to and Inhabit within Our said Province and Territory and every of their Children which shall happen to be born there or on the Seas in going thither or returning from thence shall have an enjoy all Liber- tyes and Immunities of Free and naturall Subjects within any of the Dominions of Vs Our Heires and Successors to all Intents Construccons and purposes whatso- ever as if they and every of them were born within this Our Realme of England.«

(The Federal and State Constitutions, [...] Comp. and ed. by Francis N. Thorpe, vol. 3, Washington, DC 1909, 1880 f., zit. nach M. Lenz, S. 154).

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Buchbesprechungen: Frühe Neuzeit 363 In der Tat war das Überleben in der Wildnis der dreizehn englischen Kolonien Amerikas für die Siedler ohne Schusswaffen vollends undenkbar. Deren Bedeu- tung als Verteidigungswaffe, für die Jagd, als Duellwaffe und schlechthin als Sym- bol der Freiheit hat sich auch nach der Konstitution des US-Staates nur unwesent- lich geändert, wie Michael Lenz eindrucksvoll anhand der ungedruckten Quellen aus den Archiven von Massachusetts, South Carolina, Washington DC und New York sowie der 1853 gegründeten Old Colony Historical Society, Taunton, MA, nachweisen kann. Von den elf während der amerikanischen Revolution von 1776 die neuen Verfassungen einrichtenden Staaten hatten immerhin die Konstitutio- nen von Pennsylvania, North Carolina und Massachusetts expressis verbis den Waffenbesitz und das Waffentragen festgeschrieben. Seit den späten 1780er Jahren war das Waffentragen in den USA flächendeckend allgegenwärtig, so Lenz (S. 160).

Für die Mehrzahl der Amerikaner stand axiomatisch fest, dass Feuerwaffen nicht nur der Landesverteidigung, sondern auch dem Schutz der eigenen Personen wie des Besitzes dienten. Ebenso bestand das an das alte calvinistische Widerstands- recht etwa eines Johannes Althusius († 1638) anknüpfende politische Theorem der

»reformierten Monarchomachen«, eine gehasste tyrannische Regierung mithilfe einer Selbstbewaffung wieder hinwegzufegen und zu ersetzen: »As an ultima ratio, the population could always oust their gorvernment at gunpoint and install a new one at ist place, just as they had in the Revolution. Thus, in the eyes of many, it was part and parcel of the rights and privileges, but also of the duties of citizenship to have a gun and to be able to use it« (S. 204).

Wenn Lenz’ Monografie inhaltlich etwas vermissen lässt, dann ist es die Rolle der Schusswaffen auch als Handels-, Tausch- und Prestigeobjekt in den »Indianer- kriegen«. Hatten doch vor allem die »Rothäute« im Norden der Neuen Welt zu- erst über Waldläufer und Pelzjäger Feuerwaffen erhalten und ihre Kampfweise entsprechend umzustellen vermocht. Von niederländischen Händlern beliefert, konnten bereits im Jahre 1643 die am Hudson River sitzenden Irokesen annähernd 400 Gewehrschützen aufbieten. Später, im Jahre 1743, hatte ein in Charleston ge- schlossener Handelsvertrag den »Rotröcken« unter König Georg II. den alleinigen

»Chrirokesenhandel« garantiert. Die Briten ließen den im parallel zum Siebenjäh- rigen Krieg verlaufenden »Franzosen- und Indianerkrieg« (1754–1763) loyal auf britischer Seite kämpfenden Cherokesen Feuerwaffen und Munition zukommen.

Zuletzt war am 25. Juni 1876 am Little Bighorn der Sieg der mit Feuerwaffen aus- gerüsteten Siouxindianer unter Sitting Bull gegen das 7. US-Kavallerieregiment unter George Armstrong Custer von symbolträchtiger Bedeutung. Das war zu ei- ner Zeit, da die »Waffenkultur« auf »weißer Seite« längst Zugang zu den »politi- schen Diskursen« gefunden hatte.

Lenz, der derzeit Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Historischen Seminar der Universität Heidelberg ist und die vorliegende Studie bei Prof. Norbert Finzsch an der Universität Köln angefertigt hat, stützt sich fast ausschließlich auf archivali- sche Quellen. Zu loben ist besonders der Umstand, dass der Verfasser seine sehr ergebnisreichen Ausführungen immer wieder in den verfassungsrechtlichen Rah- men stellt. Umso unverständlicher mutet hingegen der Umstand an, dass dieses rundum profunde Buch nicht in deutscher, sondern in englischer Sprache veröf- fentlicht wurde.

Michael Peters

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© MGFA Potsdam, DOI 10.1524/mgzs.2010.0009

Donald E. Graves, Dragon Rampant. The Royal Welch Fusiliers at War, 1793–1815. Foreword by Lieutenant General Jonathon Riley, Master of the Royal Armouries, London: Frontline Books 2010, XVII, 302 S., £ 25.00 [ISBN 978-1-84832-551-7]

Sie müssen ein stolzes Regiment gewesen sein – und ein altes dazu. Die »Royal Welch Fusiliers« (1689–2006) wurden so alt, dass selbst ihre Schreibweise unsicher ist: »Welch« oder »Welsh«? »Fusiliers« oder »Fuzileers«?

1689 gegründet, hatte das Regiment schon vor den napoleonischen Kriegen eine lange Tradition, und dazu gibt es, wie Donald Graves ausführt, bereits eine umfassende Regimentsgeschichte, die sogar bis in die Gegenwart reicht. Warum dann noch einmal eine gesonderte Geschichte dieses Regiments während der napo- leonischen Kriege? Nur weil die »Royal Welch«, auch als das »23rd Foot« bekannt, während dieser Zeit an fast allen Feldzügen der britischen Armee teilgenommen haben?

Graves hat einen weiteren Grund, diese Epoche noch einmal aufzuarbeiten. Ne- ben Märschen und Siegen (und ein paar Niederlagen), will er vorrangig das Sozi- algefüge eines britischen Regiments in dieser Umbruchphase untersuchen. Denn auch dieses lässt sich am gewählten Beispiel gut darstellen.

So hat Graves neben den Depeschen und Befehlen in den Archiven auch Kran- ken- und Verlustlisten ausgewertet, die Akten der Kriegsgerichte sowie eine Viel- zahl von Nachlässen auch aus dem Bereich der Mannschaften und Unteroffiziere des Regiments. Eine seiner Quellen ist der Nachlass des braunschweigischen Ma- jors von Wachholtz, dessen Kompanie der Braunschweig-Lüneburgischen Jäger dem Regiment der Royal Welch Fusiliers immer wieder unterstellt war.

Eine Gestalt, welche die gesamte Darstellung wie ein roter Faden durchzieht, ist Henry Walton Ellis. Dessen Vater führte das Regiment 1793, und er kaufte sei- nem Sohn bereits im Alter von sechs Monaten das begehrte Offizierpatent – mit der Folge, dass der junge Mann, als er dann tatsächlich Offizier wurde, allen sei- nen Gleichaltrigen im Rangdienstalter voraus war.

Aus dem Briefwechsel eines anderen Offiziers mit seinem gut situierten Vater arbeitet Graves heraus, zu welchen Ausgaben ein junger Gentleman damals ge- zwungen war, und wie er seine Familie immer wieder um einen Bargeldzuschuss bitten musste. Wobei eine nähere Betrachtung aber auch zeigt, wie leichtlebig und ausgabefreudig einige der jungen Herren waren.

Das ist durchaus verständlich, denn die Feldzüge brachten Tod und Verwun- dung mit sich. Der Band schildert die Grauen des Krieges ohne Beschönigung: Bei dem Marsch durch den Norden Spaniens kamen fast alle beteiligten Frauen und Männer um; nach den Schlachten lagen die Verwundeten oft tagelang auf dem Schlachtfeld, denn eine geordnete Sanitätsversorgung gab es kaum, und manch ei- ner wurde von seinen Leiden durch die marodierenden und plündernden Bauern der Umgebung »erlöst«.

Trotzdem fanden sich immer wieder genügend junge Männer bereit, unter der Fahne des ruhmreichen Regiments zu dienen. Trotz des Namens überstieg der An- teil der tatsächlich aus Wales stammenden Soldaten nur selten 50 Prozent, und die Offiziere waren weit überwiegend Engländer. Das 2. Bataillon des Regiments, des- sen Auftrag es war, in der Heimat die Rekruten zu werben und auszubilden, wurde allerdings gelegentlich auch in den Einsatz geschickt, sodass dann der Nachwuchs knapp wurde.

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Buchbesprechungen: 1789–1870 365 Die eigentliche Kampftruppe war das 1. Bataillon, das erst in der Karibik, dann nach einer kurzen Zeit in England und in Ägypten zum Einsatz kam. An der Ein- nahme Kopenhagens war es beteiligt und wurde dann eine Zeit lang in Kanada stationiert (das waren wohl die ruhigsten Jahre des Verbandes in dieser Zeit). Wäh- renddessen nahm das 2. Bataillon an der misslungenen Expedition Sir John Moores in Spanien und Portugal sowie an der ebenso erfolglosen Operation gegen die In- sel Walcheren teil.

Im November 1810 landete das 1. Bataillon dann in Portugal, und von da an nahm es an allen wichtigen Kämpfen auf der Iberischen Halbinsel teil. Es zeich- nete sich bei Badajoz, Vittoria, Salamanca und mehreren weiteren Scharmützeln aus und wurde 1814 aus Frankreich zurück nach Großbritannien verschifft.

Inzwischen war der in sehr jungen Jahren zum Offizier gewordene Ellis, nun- mehr Colonel Sir Henry Walton Ellis, Kommandeur des Regiments, und unter sei- ner Führung nahm der Verband an der Kampagne der Hundert Tage gegen den aus Elba zurückgekehrten Napoleon teil. Es klingt fast klischeehaft, dass Ellis selbst an der Spitze seines Regiments bei Waterloo tödlich verwundet wurde, aber immerhin verzichteten nicht nur die Offiziere, sondern auch die Mannschaften des Verbandes in den Nachkriegsjahren auf jeweils einen Tagessold, um für den verehrten Kom- mandeur ein Denkmal auf dem Schlachtfeld zu setzen. Schließlich war, wie Graves nachweist, die Auspeitschung als Disziplinarstrafe unter Ellis deutlich weniger häu- fig zur Anwendung gekommen als in vergleichbaren britischen Regimentern.

Der Band ist mit Fotos und zweckmäßigen Karten gut ausgestattet, flüssig und spannend geschrieben, und er vereint eine kenntnisreiche Operationsgeschichts- schreibung klassischen Zuschnitts mit einem Interesse am Militär als soziale Gruppe. Die schlachterprobten Füsiliere haben wohl eine gute Regimentsgeschichte verdient gehabt.

Winfried Heinemann

Klaus-Ulrich Keubke und Uwe Poblenz, Die Freikorps Schill und Lützow im Kampf gegen Napoleon, Schwerin: Keubke 2009, 144 S., (= Schriften zur Geschichte Mecklenburgs, 24), EUR 20,00 [ISBN 978-3-00-027369-8]

Die beiden Autoren haben mit ihrem Buch akribisch eine umfangreiche, detail- lierte Chronologie der beiden Freikorps zusammengestellt. Die Einzeldaten der Züge gegen die Truppen Napoleons sind dabei gut in die wichtigsten historischen Begebenheiten der Zeit eingebettet worden. Besonders lebendig wird die Publika- tion durch Zitate aus Erinnerungen von Mitkämpfern und über den Umgang mit dem Gedenken an die beiden Korps bis in die Gegenwart hinein. Damit wurde erstmals nach rund einhundert Jahren wieder ein zusammenfassendes Werk über die beiden Formationen vorgelegt, die im Hinblick auf ihre Resonanz in der Be- völkerung als etwas durchaus Neues in der preußischen Heeresorganisation im Kampf gegen Fremdbesatzung gelten können. Das Buch erschien zudem zum 200. Jahrestag des historischen Zuges des Schillschen Husarenregiments. Erwähnt werden muss, dass die Herausgabe der Arbeit, deren Text reich bebildert und mit Kartenskizzen aufgelockert ist, vom Förderkreis der Festung Dömitz sowie durch die Stadt Ribnitz-Damgarten unterstützt wurde.

Wie der Titel schon aussagt, besteht die Arbeit aus zwei Teilen. Zunächst be- schreiben die Autoren chronologisch die Formation Schills und gehen dann auf

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die Geschichte des Freikorps Lützow und dessen weiteres Schicksal im Rahmen der preußischen Armee ein, ehe sie sich den Erinnerungen an die beiden Freikorps in den Jahren nach den Befreiungskriegen bis in die Gegenwart zuwenden. Bemer- kenswert ist dabei der deskriptive Stil, mit dem beide Autoren jede Kommentie- rung vermeiden und die Einschätzung der Fakten dem Leser überlassen.

Im Einzelnen befassen sich die ersten beiden Kapitel mit der chronologischen Einordnung der Karrieren Schills und Lützows bis zum Feldzug 1806 und mit den Kriegshandlungen 1806/07. Nach der Teilnahme an der Verteidigung Kolbergs, an der zeitweise auch Lützow beteiligt war, rückte Schill als Kommandeur eines Husarenregiments in das von den französischen Truppen geräumte Berlin. Lützow, der zunächst seinen Abschied genommen hatte, wirkte an Vorbereitungen für Auf- stände gegen die napoleonische Unterdrückung mit. Als Schill mit seinem Regi- ment Berlin verließ, folgte ihm Lützow nach und übernahm eine Eskadron. Schill versuchte mit einem patriotischen, allerdings von »einer sehr konservativen Posi- tion« (S. 23) ausgehenden Aufruf, Mitstreiter zu gewinnen. Er fand jedoch wenig Widerhall in der Bevölkerung. Immerhin konnte er aber nach der Einnahme Stral- sunds am 23. Mai 1809 bei seinen Verteidigungsvorbereitungen über ein Korps von über 1200 Mann verfügen. Nach Analyse der einschlägigen Literatur und Quellen durch die Autoren sind »über den Verlauf der einzelnen Aktionen [der Verteidi- gung der Stadt gegen überlegene Kräfte und den Tod Schills] wiederum die ver- schiedensten Berichte überliefert, sodass eine genaue Darstellung des Verlaufs der Einnahme Stralsunds und der Niederlage Schills nicht mehr möglich ist« (S. 35).

Der Schlussteil des Kapitels schildert das Schicksal der Soldaten und Offiziere des Korps nach dessen Niederlage, von denen sich ein Teil retten konnte, ein anderer aber gefangen und auf die Galeeren verbracht wurde. 11 Offiziere sowie 14 Unter- offiziere und Soldaten wurden erschossen. Lützow, der sich schwer verwundet auf preußisches Gebiet hatte retten können, kam nicht wie andere seinesgleichen vor ein Kriegsgericht. Die anschließende Aufzählung der Ereignisse zwischen 1809 und 1813 stellt die Verbindung zum 4. Kapitel her, das die Chronologie des Frei- korps Lützow, seiner verschiedenen Unternehmungen, Unterstellungen, aber auch der Märsche der einzelnen Abteilungen darstellt. Es nimmt nicht nur den größten Raum des Bandes ein, sondern ist zugleich der am stärksten illustrierte Teil des Werkes. Es bietet eine Übersicht der Uniformierung des Korps, gewissermaßen als Anregung für die Ausstattung örtlicher Traditionsvereine.

Lützow, der seit Februar 1811 wieder als aktiver Offizier in die preußische Ar- mee übernommen worden war, hatte das Freikorps am 18. Februar 1813 errichtet.

Es fand »raschen Zuspruch« (S. 147). Innerhalb eines Monats wurden vier Kom- panien Infanterie und zwei Eskadronen Kavallerie aufgestellt. In seinen Reihen kämpfte auch der Dichter Theodor Körner, dessen Gedicht »Lützows wilde ver- wegene Jagd« Carl Maria von Weber 1814 vertonte. Ohne Kommentar sind auch die Umstände verzeichnet – obwohl in der Literatur unterschiedlich interpretiert –, warum Lützow erst am 9. Juni von dem am 1. Juni vereinbarten und dann bis zum 27. Juli verlängerten Waffenstillstand erfuhr, aber auch wie es unter dessen Bruch bei Kitzen zum Überfall auf das Korps beim Marsch hinter die Waffenstillstands- linie kam, wodurch es erhebliche Verluste erlitt. Nach seiner Neuformierung wurde es später in eine Linienformation umgewandelt. Ebenso wird erklärt, wieso Karl Friedrich von Friesen, der als Leutnant im Freikorps focht und in Frankreich er- mordet wurde, erst 30 Jahre nach seinem Tode sein endgültiges Grab auf dem Ber- liner Invalidenfriedhof erhielt.

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Buchbesprechungen: 1789–1870 367 Unter den weiteren Opfern, die das Korps in den Kämpfen erlitt, befinden sich auch Theodor Körner und Eleonore Prochaska, die als Mann verkleidet im Frei- korps diente. Außer ihr hatten, was weniger bekannt ist, noch zwei weitere Frauen als Männer getarnt am Kampf teilgenommen, deren ferneres Schicksal sich aus dem Erinnerungsteil nicht erschließt, sodass sich hierzu weitere historische For- schungen anbieten

Im 5. Kapitel wird dann das weitere Schicksal des Lützower Freikorps und sei- nes Kommandeurs nach 1815 bis zum 6. Dezember 1834, dem Todestag Lützows, der bis zum Generalmajor befördert worden war, verfolgt, ehe im 6. Kapitel die verschiedenen Erinnerungen an die beiden Freikorps aufgelistet werden, die seit 1835 bis zum Jahr 2002 vor allem in den beiden deutschen Staaten in unterschied- licher Form gepflegt wurden. Einzig bei der Aufzählung des Umgangs mit der Tra- dition im »Dritten Reich« geben die Autoren gerechtfertigt die Zurückhaltung in der Kommentierung auf und distanzieren sich deutlich von der Vereinnahmung der Freikorps durch das NS-Regime.

Das die Publikation abschließende Literaturverzeichnis ist recht kurz gehalten und beschränkt sich im Wesentlichen auf die für den Text verwendeten Ausgaben.

Ferner verzichteten die Autoren auch auf ein Register, das zum Beispiel einen Ver- gleich zwischen im Text erwähnten Personen und deren Behandlung in späterer Zeit in der Erinnerung bzw. Tradition ermöglichen könnte.

Werner Knoll

Volker Matthies, Unternehmen Magdala. Strafexpedition in Äthiopien, Ber- lin: Links 2010, 195 S. (= Schlaglichter der Kolonialgeschichte, 11), EUR 24,90 [ISBN 978-3-86153-572-0]

Die vom Hamburger Politikwissenschaftler Volker Matthies vorgelegte Studie be- handelt eine der bemerkenswertesten militärischen Interventionen des gesamten 19. Jahrhunderts. Auch wenn die »Magdala Campaign« in den Annalen der bri- tischen Militärgeschichte lediglich der Reihe von »Queen Victoria’s Little Wars«

hinzugerechnet wird, war das »Unternehmen« in Umfang, Planung und Logistik eine der größten militärischen Operationen seiner Zeit: Unter dem Oberkomman- dierenden der britisch-indischen Armee, General Robert Napier, wurde 1867 eine 60 000 Mann starke und mit 30 000 Lasttieren ausgestatte Expeditionsstreitmacht nach Äthiopien entsandt, um eine Gruppe von britischen Diplomaten und ande- ren Europäern, die vom äthiopischen Kaiser Theodor II. als Geiseln festgehalten wurden, zu befreien. Der Hintergrund für diese Geiselnahme und die Entstehung des Konflikts waren die Verärgerung des äthiopischen Herrschers über die Nicht- beantwortung eines von ihm an Queen Victoria abgesandten Briefes und die schließlich hieraus erwachsenden diplomatischen Verwicklungen.

Kaiser Theodor II. hatte sich mit seinen Geiseln und ihm treu ergebenen Trup- pen auf die schwer einnehmbare Naturfestung Magdala, die sich Hunderte von Meilen von der Küstenebene des Roten Meeres entfernt im äthiopischen Hochland befand, zurückgezogen. Nach der Errichtung eines Hafens und der Anlage einer Eisenbahntrasse sowie verschiedener Lager und Versorgungseinrichtungen mar- schierte Napier mit seinen britisch-indischen Truppen Richtung Magdala. Unter relativ geringen britischen Verlusten wurde die Bergfestung im Sturm genommen und schließlich alle europäischen Geiseln unverletzt befreit. Noch während der

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Kampfhandlungen um Magdala beging Kaiser Theodor II. angesichts seiner aus- weglosen Lage Selbstmord.

Die knapp sechs Monate von Oktober 1867 bis April 1868 dauernde und schließ- lich vom Erfolg der Geiselbefreiung gekrönte britische Militärexpedition in Nord- ostafrika trug mit ihrem immensen logistischen Aufwand nicht nur die ersten Merkmale einer sich abzeichnenden Industrialisierung des Krieges, sondern war auch ein frühes Beispiel für eine »humanitäre Intervention«. In diesem Zusammen- hang verweist Matthies auf aktuelle Analogien: Der Feldzug gegen Kaiser Theo- dor II. war von einer deutlichen Asymmetrie der militärischen Kräfteverhältnisse geprägt. Auf der einen Seite die »Fähigkeiten und Ressourcen nichtwestlicher, vor- industrieller Gesellschaften« und auf der anderen Seite die »modernen administra- tiven, technischen, logistischen und waffentechnologischen Kapazitäten der da- maligen Weltmacht und führenden Industrienation Großbritanniens«. Die Auswirkungen der Industriellen Revolution auf die Führung und Logistik der briti- schen Streitkräfte, die sich besonders im Einsatz von Dampfschiffen und der Eisen- bahn manifestierten, traten beim »Unternehmen Magdala« offen zutage. Hinzu kam die deutlich verbesserte Versorgung der Truppe durch die Verwendung von eigens eingerichteten Lazarettschiffen und Filtriermaschinen zur Erzeugung von Trinkwasser. Die Einsatzführung wurde schließlich durch die technische Neue- rung des Feldtelegrafen und anderer Feldsignalsysteme erheblich erleichtert und somit effizienter. Der überseeische Einsatz der britischen Kolonialarmee glich also in wesentlichen Bereichen dem Management einer komplexen Industrieorganisa- tion. Hinsichtlich der Intention der britischen Militärexpedition, die britischen und anderen europäischen Geiseln aus der Gewalt Theodors II. zu befreien, werden von Matthies auch die Dimensionen der damals wie heute brisanten Problematik

»humanitärer Interventionen« anschaulich dargestellt: »Der gewaltsame Eingriff in die Souveränität fremder Staaten, die damit verbundene komplexe Motivations- lage und mögliche verdeckte Interessen, die Fragwürdigkeit hinsichtlich ihrer ›hu- manitären‹ Rechtfertigungsdiskurse, die schwierigen Entscheidungsprozesse, die Rolle der Medien und der Öffentlichkeit, die Risiken der Durchführung, das Span- nungsverhältnis zwischen Recht und Moral, zwischen Chance und Gefahren so- wie zwischen Kosten und Nutzen solcher Unternehmungen.«

Die Intervention in Äthiopien war nach den einige Jahre zurückliegenden Er- fahrungen des Krimkrieges und des antikolonialen Sepoy-Aufstands in Indien auch ein Prestige-Unternehmen der britischen Armee, die sich genötigt sah, ihre Professionalität und Kampfkraft unter Beweis zu stellen. Dies gelang zweifelsohne, und so konnte der amerikanisch-britische Journalist Henry Morton Stanley, der ne- ben anderen »embedded journalists« und Beratern die britischen Truppen beglei- tete, in Anbetracht der Leistungen der Magdala-Expedition feststellen: »Obwohl nur ein kleiner Krieg war es eine großartige Kampagne.«

Ein weiteres Charakteristikum dieses Feldzuges, das von Matthies herausge- arbeitet wird, ist der weniger militärgeschichtlich als kulturhistorisch interessante Umstand, dass die Expedition von einer Reihe namhafter Afrika- und Äthiopien- forscher begleitet wurde, die wiederum durch ihre neu gewonnenen Kenntnisse aber auch durch die nach dem Fall von Magdala geraubten Kulturgüter der Äthio- pistik neue Impulse gaben. Aus dieser Perspektive wies die Magdala-Expedition somit durchaus Analogien zum Ägyptenfeldzug Napoleons 1798 auf, dessen wissenschaftlicher Ertrag einer modernen Ägyptologie den Weg bereitete. Ein wei- tere kulturhistorischer Aspekt sind die während der Expedition von einer Fotoab-

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Buchbesprechungen: 1871–1918 369 teilung der Royal-Engineers gemachten Aufnahmen. Nach ersten Versuchen im Krimkrieg war das »Unternehmen Magdala« die zweite militärische Operation, bei der die britische Armee die neue Technik der Fotografie für militärische Zwe- cke nutzte.

Volker Matthies gelingt es, im vorliegenden Band die verschiedenen Aspekte der in militärhistorischer aber auch in kulturhistorischer Sicht bemerkenswerten Expedition der britisch-indischen Armee in Äthiopien ausführlich darzustellen.

Hierbei ist es ihm stets ein besonders Bedürfnis, die eurozentristische Sichtweise auf diesen Feldzug durch die Berücksichtigung der Perspektive der Afrikaner zu erweitern: Denn erst die Kooperation von äthiopischen Eliten, die in Gegnerschaft zu Theodor II. standen, mit der britischen Expeditionsarmee machte deren Erfolg möglich. Matthies plädiert deshalb im Hinblick auch auf spätere Kolonialkriege dafür, die Europäer nur als eine Streitpartei unter mehreren einheimischen Kon- fliktparteien, die aus ihrer eigenen Perspektive einen lokalen Krieg führten und hierbei zeitweilig mit einer Interventionsmacht kooperierten, zu begreifen. Somit kann Matthies rückblickend feststellen, was bereits die zeitgenössischen Beobach- ter der Magdala Campaign erkannten: Die eigentliche Leistung der britisch-in- dischen Armee in Äthiopien bestand nicht in erster Linie im militärischen Erfolg, sondern eher in der professionellen Planung und Durchführung der Expedition, im Aufbau und der Aufrechterhaltung des Nachschubs für die Truppe und schließ- lich in der erfolgreichen Auseinandersetzung mit den vorherrschenden Naturge- walten auf dem Marsch. Die zahlreichen zeitgenössischen Fotografien und Illustra- tionen, die zudem durch zwei dem Text vorangestellte Übersichtskarten komplettiert werden, geben einen anschaulichen Eindruck von den Ereignissen während der Magdala-Expedition und runden den positiven Gesamteindruck der Studie ab.

Christian Senne

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