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Johann Joachim Winckelmann. Ein bedeutender Altertumsforscher des 18. Jahrhunderts

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Academic year: 2022

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lüBl W I N C K E L M A N N - M U S E U M

S T E N D A L 1988

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Erste Umschlagseite;

Büste Johann Joachim Winckelmanns von F. W. Doell; Gipsabguß

Letzte Umschlagseite:

Auszug aus „ G e d a n k e n über die N a c h a h m u n g der Griechischen Wercke in der Mahlerey und Bildhauer-Kunst,"

Unter Vewendung einer Seite der zweiten A u f l a g e von Johann Joachim Winckel­

manns Erstlingsschrift „ G e d a n c k e n über die Nachahmung der Griechischen Wercke in der Mahlerey und Bildhauerkunst", Dresden und Leipzig 1756.

Beiblatt:

Stendal in der ersten Hallte des 18. Jahrhunderts in einem Stich von Sehleuen

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J O H A N N JOACHIM WINCKELMANN

Ein bedeutender Altertumsforscher des 18. Jahrhunderts

Ständige Ausstellung im Winckelmann-Museum

Stendal 1988

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Herausgeber': Winckelmann-Museum Stendal Texte: Stephanie-Gerrit Bruer, Varaidos Mednis

Für die freundliche Genehmigung zur Abbildung ihrer Leihgaben danken wir den Staatlichen Museen zu Berlin, Antikensammlung, (S. 15 Ii., 28) und der Winckelmann-Gesellschaft Stendal (Titel, S. 4, 8, 9, 15 ob., 23, 24, 26, 27, 29).

Die Reproduktionen auf den Seiten 11 und 15 re. stellte uns die Sächsische Landesbibliothek Dresden zur Verfügung.

Dresden (3)

Gesamtherstellung: Volksdruckerei Stendal D r u c k g e n e h m i g u n g : IV-23-41 3 000 7532749

00650

(5)

Vorbemerkungen

Nach m e h r jä h r i g e r Rekonstruktion des e h e m a l i g e n Geburtshauses Johann Joachim Winckelmanns, des Begründers der klassischen Archäologie und der modernen Kunstwissenschaft, wurde am 26. Juli 1985 die neue ständige Aus­

stellung über Leben, Werk und Wirken dieses bedeutenden Wissenschaftlers der Öffentlichkeit übergeben.

Bereits 1955 hatten Stendaler Bürger in vielen freiwilligen A u f b a u s t u n d e n in dem ehemaligen Geburtshaus Winckelmanns, das im späten 18. Jahrhundert durch die Einbeziehung eines Nachbarhauses erweitert worden war, für ihren be­

rühmten Sohn ein würdiges Museum geschaffen. Das Fachwerkhaus, dessen äl­

testen Teile mehr als 260 Jahre alt waren und das durch häufigen Wechsel des Eigentümers zahlreiche U m b a u t e n erlitten hatte, konnte mit seiner Bausub­

stanz und der A n l a g e der Räume modernen musealen Ansprüchen kaum noch genügen. A b e r auch der rege Besucherverkehr erforderte eine durchgreifende Sanierung und eine umfassende Rekonstruktion des Gebäudes bei Beachtung denkmalpflegerischer Anforderungen. W ä h r e n d der fast sechsjährigen Bau­

zeit mußten viele komplizierte A u f g a b e n bei der Rekonstruktion gelöst werden.

Dank der großzügigen Unterstützung unseres Staates und des Engagements der Bauschaffenden erstrahlt das Haus in bisher nicht gekannter Schönheit.

Nachdem zum 35. Jahrestag der DDR, wegen noch durchzuführender Rekon­

struktionsarbeiten, das Museum zunächst nur im Obergeschoß des Hauses mit Sonderausstellungen seine Ausstellungstätigkeit wieder aufnehmen konnte, w a r es bereits nach knapp einem Jahr später möglich, in 7 Räumen des Erdge­

schosses die neugestaltete Ausstellung zu Leben, Werk und Wirken Winckel­

manns und einen Vortragsraum der Öffentlichkeit zu übergeben. Seit dem 4.

O k t o b e r 1986 kann auch der Besucher den Museumshof mit der vom Berliner Bildhauer Friedrich B. Henkel geschaffenen „ W i n c k e l m a n n ­ E h r u n g " besichtigen und bei schönem Wetter nach dem Besuch der Ausstellungen diesen Ort zur Be­

sinnung und Entspannung nutzen.

In der ständigen Ausstellung im Erdgeschoß findet der Besucher einen Über­

blick zu Leben und Werk Winckelmanns, Dokumente seiner W i r k u n g als W e g ­ bereiter der deutschen Klassik und des europäischen Klassizismus, Belege für die Rezeption der griechischen Antike seit dem 17. Jahrhundert und Zeugnisse über die Pflege des Erbes Johann Joachim Winckelmanns bis in unsere Gegen­

wart. Dank der Winckelmann­Gesellschaft, die seit 1968 ihren Sitz im Winckel­

m a n n ­ M u s e u m hat, können viele ihrer wertvollen Sachzeugen als Leihgaben in der ständigen Ausstellung präsentiert werden.

Im Obergeschoß des Museums stehen Sonderausstellungsräume für spezielle Themen zur Verfügung. Des weiteren befinden sich dort eine ständige Präsen­

t a t i o n nachgebildeter griechischer und römischer Bilderrahmen sowie eine Ex­

position mit Werken aus dem künstlerischen Nachlaß des 1968 verstorbenen M a g d e b u r g e r Malers und Grafikers W i l h e l m Höpfner.

Diese kleine Publikation ist gedacht als Begleiter für den Besucher durch die ständige Ausstellung zu Leben, Werk und Wirken Winckelmanns. W e r mehr über die Bedeutung d e r einzelnen Exponate in der ständigen Ausstellung und das Wirken Winckelmanns zu erfahren wünscht, dem wird die Teilnahme a n einer Führung durch diese Ausstellung bzw. der Erwerb weiterer Publikationen des Winckelmann­Museums und der Winckelmann­Gesellschaft empfohlen.

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JOHANN JOACHIM WINCKELMANN Radierung von Angelica Kauilmann 1764

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J O H A N N JOACHIM WINCKELMANN

„DEM ERFORSCHER U N D

BEREDTEN VERKÜNDER DER

KUNST DES ALTERTHUMS"

So lautet die W i d m u n g auf dem 1843 von Ludwig W i c h m a n n geschaffenen und 1859 in Stendal aufgestellten Denkmal. In einer Fotoreproduktion ist es am Eingang der Ausstellung zu Leben, Werk und W i r k e n Johann Joachim Winckel­

manns zu sehen. Winckelmann, der heute als Begründer der klassischen Archäo­

logie und modernen Kunstwissenschaft verehrt wird, wurde am 9. Dezember 1717 als Sohn des Stendaler Schuhmachers M a r t i n Winckelmann geboren.

Der erste Ausstellungsraum zeigt eine nach V o r b i l d e r n aus der A l t m a r k rekon­

struierte Schusterstube aus der ersten H ä l f t e des 18. Jahrhunderts. Er soll einen Einblick in das soziale Milieu gewähren, in dem Winckelmann seine Kindheit verbrachte. Das gesamte Familienleben spielte sich notgedrungen auf engstem

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Blick in den ersten Ausstellungsraum

Raum ab. Charakteristisch ist hierfür das dichte N e b e n e i n a n d e r der Familien­

ecke mit Tisch, Sitzbank und anderen Einrichtungsgegenständen und des Ar­

beitsplatzes des Vaters mit Schustertisch und Schemel. Im gleichen Raum be­

fand sich auch in einem Alkoven ,die Schlafstelle der Eltern. Für den einzigen Sohn Johann Joachim stand eine kleine Kammer zur Verfügung, ü b e r die Fa­

milie Winckelmann g i b t ein Bürgerverzeichnis aus dem Jahre 1723 Auskunft.

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Der Vater Martin Winckelmann verstehe sein Handwerk gut, habe aber nur ein notdürftiges Auskommen. Vom Sohn Johann Joachim erfahren wir, daß er, damals 5 Jahre alt, die Schule besucht. Das kleine Haus in der Lehmstraße, in dem d i e Familie Winckelmann wohnte, hat durch mehrfache U m b a u t e n und Erweiterungen im 19. Jahrhundert sein Aussehen deutlich verändert.

Den ärmlichen materiellen Verhältnissen, in denen Winckelmann aufwuchs, ent­

sprach auch die bedrückende Enge des geistigen Bildungsniveaus in der preu­

ßischen Altmark. Es wurde maßgeblich durch die überragende Rolle der Reli­

gion im gesamten gesellschaftlichen Leben bestimmt. So waren eine Familien­

bibel und Gesangbücher — in d e r Ausstellung in dem Regal über dem Familien­

tisch zu sehen — geradezu ein Statussymbol.

In der kleinen, sich der Schusterstube unmittelbar anschließenden Ausstellungs­

zone ist die Stendaler Schulzeit Winckelmanns angedeutet. Prägend f ü r den j u n g e n Winckelmann, der etwa a b 1726 die städtische Lateinschule besuchte, die seit 1540 in der 1784 abgerissenen Franziskanerkirche untergebracht war, war vor allem der Rektor der Schule, Esaias W i l h e l m Tappert (1666 ­ 1738). Die­

ser hatte frühzeitig die Begabung seines Schülers erkannt und zu fördern ge­

wußt. Zum einen unterstützte er den Jungen, der sich ­ wie damals üblich — als Kurrendesänger etwas Geld zu verdienen versuchte, in materieller Hinsicht.

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Stipendiengesuch E. W. Tapperts von 1736 für Winckelmann Deutlich zeigen dies Stipendiengesuche wie auch eigenhändige Q u i t t u n g e n Winckelmanns für den Erhalt des Stipendiums aus der Schönbeckschen Stiftung.

Zum anderen erhielt der j u n g e Winckelmann auch in seiner A u s b i l d u n g ent­

scheidende Förderung. Tappert hatte ihn mit der Aufsicht über die Schulbiblio­

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thek betraut. Diesen Bücherschatz wußte Winckelmann wohl zu nutzen. So hatte ihn damals der „ G e ö f f n e t e Adeliche Ritterplatz" stark beeindruckt und, wie Konrad Friedrich U d e n (1719— 1798) in den Erinnerungen an den Jugend­

freund berichtet, „ i n ihm die erste Idee von den berühmten Kunstwerken der Mahlerey und Bildhauerkunst erregt".

Tappert hatte seinem b e g a b t e n Schüler d a n n schließlich auch den W e g an das Cöllnische Gymnasium nach Berlin geebnet.

Im zweiten Ausstellungsraum wird der weitere Ausbildungsweg Winckelmanns veranschaulicht. Symbolische Bedeutung hat hier der Kopf der A t h e n a Lemnia (Gipsabguß) ­ ein Werk des Phidias aus dem dritten Viertel des 5. Jahrhun­

derts v, u. Z. Erstens weist die Athend auf die B e g e g n u n g Winckelmanns mit den Wissenschaften und den Künsten in Berlin hin, zweitens steht sie für sei­

nen späteren Hauptforschungsgegenstand, die griechische Plastik, und drittens stammt sie aus der S a m m l u n g des Kardinals Alessandro A l b a n i , seines künfti­

gen großen Mäzens in Rom. Schon 1728 w a r d die A t h e n a Lemnia vom sächsischen Hof erworben worden und gehört somit zu den ersten antiken Kunstwerken, die

auf Winckelmann in Dresden einen so nachhaltigen Eindruck machten.

CHRISTIAN TOBIAS DAMM 1765 porträtierte der Stecher Schleuer] Winckelmanns Berliner Lehrer.

CHRISTIAXVS /onus DAMM

Von 1735 bis 1736 besuchte Winckelmann das Cöllnische Gymnasium. Von großer Bedeutung war hier der Griechischlehrer Christian Tobias Damm (1694 bis 1777), dessen Unterricht Winckelmann faszinierte. Von aufklärerischem Ge­

d a n k e n g u t g e p r ä g t , bemühte sich D a m m um eine A u f w e r t u n g der griechischen Sprache g e g e n ü b e r der lateinischen. Das Latein hatte noch in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts, getragen durch die gesamte mittelalterliche Kulturwelt,

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vor allem durch die römisch­katholische Kirche, eine deutliche Vormachtstellung

und war sehr lange die Sprache der wissenschaftlichen Literatur. Im Kontext mit den Idealen der Aufklärung verdient Damms Maxime „die Griechen (er meint die griechische Literatur; d. Verf.) müssen noch heute nachgeahmt wer­

den, wenn etwas Beifallswürdiges zum Vorschein kommen soll" große Beach­

tung. Dieses Postulat hatte bei Winckelmann eine so bleibende Wirkung, daß es in seinem späteren wissenschaftlichen Werk zu einem der entscheidenden Grundgedanken werden sollte, der im geistigen Klima der Aufklärung eine breite Rezeption und Wirkung erfuhr. Daß Winckelmann aufklärerisches Ge­

dankengut in seiner wissenschaftlichen Arbeit verwertete, ist keine Frage. Durch ein intensives Literaturstudium ­ vor allem der französischen Frühaufklärung ­ hat er sich entscheidende Erkenntnisse erworben, die er zu beurteilen und zu analysieren wußte. Zahlreiche Anregungen erhielt er hier im Hinblick auf Theo­

rien zur geschichtlichen Entwicklung und allgemein zur Gesellschaftstheorie. Ge­

nannt sei in diesem Zusammenhang insbesondere das von Pierre Bayle (1647 bis 1706) verfaßte „Historische und kritische Wörterbuch" (Dictionaire historique et critique).

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Seit seinem Erscheinen in den Jahren 1695/97 hatte es eine weite Verbreitung erfahren und galt schlechthin als die „Bibel" der französischen Frühaufklärung.

Winckelmann hatte es zweimal durchgearbeitet und mehr als 700 Seiten Ex­

zerpte angefertigt.

1738. begab sich Winckelmann nach Ausweis der Matrikel zum Studium der Theo­

logie nach Halle. Das Theologiestudium wurde gefördert vom Staat und

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bot somit für den aus so ärmlichen Verhältnissen stammenden Studiosus die Möglichkeit, ein Universitätsstudium aufzunehmen. Für mittellose Studenten erließen die theologischen Fakultäten zum Beispiel die Studiengebühren.

Winckelmanns Interessen galten jedoch anderen Disziplinen. Das geistige Klima der Hallenser Universität wurde zu dieser Zeit in erster Linie durch die Theolo­

gie Siegmund Jakob Baumgartens und durch die Philosophie Christian Wolfs bestimmt, obgleich letzterer erst 1740 aus der V e r b a n n u n g zurückkehrte, als Winckelmann die Universität verließ. Größere Aufmerksamkeit w i d m e t e Winckel­

mann allerdings den Philosophievorlesungen A l e x a n d e r G o t t l i e b Baumgartens, in denen Fragen der Ästhetik eine gewichtige Rolle spielten. Dies kam zweifels­

ohne seinen N e i g u n g e n sehr entgegen.

Bei seinem bereits früh a u s g e p r ä g t e n Interesse an der Antike hat Winckelmann sicher auch die 1738 erstmalig a n g e k ü n d i g t e Vorlesung von Johann Heinrich Schulze (1687 ­ 1744) über griechische und römische Altertümer nach antiken

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WBmm JOHANN HEINRICH SCHULZE

Nach einem Gemälde von G.

Spizel schuf 1. J. Haid das Schab­

kunstblatt.

Münzen besucht. Schulze griff d a b e i als Anschauungsmaterial auf seine ca.

3 000 Stück umfassende Münzsammlung zurück. Einen repräsentativen Quer­

schnitt seiner Kollektion vermitteln in der Ausstellung 15 a n a l o g e Prägungen aus der Sammlung der Winckelmann­Gesellschaft.

1740 verließ Winckelmann die Universität H a l l e mit einem nur mäßigen A b ­ gangszeugnis, das sich im wesentlichen auf die Teilnahme an den Vorlesungen stützt, über seinen „Seelenzustand" jedoch vermag man kein Urteil zu geben.

Mit seinem Studium, in seinem Wissensdrang unbefriedigt, w a n d t e er sich d a n n den Naturwissenschaften und der Medizin zu. Dazu ging er an die Universität Jena, die damals in den naturwissenschaftlichen Disziplinen führend war. Vor

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allem die Geometrie und die medizinischen Fächer fesselten die Aufmerksam­

keit Winckelmanns.

Zu erwähnen wäre hier insbesondere die mathematische Medizin G e o r g Er­

hard Hambergers. Der kurze A u f e n t h a l t in Jena — noch 1741 verließ er die Universität ohne einen Abschluß — zeigt deutlich, wie vielfältig die wissenschaft­

lichen Interessen des überaus lernbegierigen Studiosus Winckelmann waren.

Nach Abschluß seines Studiums in H a l l e w a r Winckelmann als Bibliothekar für kurze Zeit in die Dienste des Kanzlers von Ludewig getreten, der, um seine Bibliothek zu ordnen, einen geeigneten M a n n suchte. Zwei Jahre zuvor hatte Ludewig kurzfristig Johann W i l h e l m Ludwig Gleim für diese A u f g a b e gewonnen.

Die Bibliothek des Kanzlers muß sich allerdings nach dem Urteil Winckelmanns, das er in seinem Bewerbungsschreiben an den Reichsgrafen Heinrich von Bünau später gibt, bereits wieder in einem schlimmen Zustand befunden haben. A u f dem in der Ausstellung gezeigten Blick in die Ludewigsche Bibliothek ist dies zwar nicht ersichtlich, jedoch ist Winckelmann heilfroh, daß er nach einem Se­

mester diesen „ W i r r w a r r " wieder verlassen konnte.

Der dritte Ausstellungsraum ist Winckelmanns Tätigkeit als Konrektor in See­

hausen und als Bibliothekar des Reichsgrafen Heinrich von Bünau gewidmet.

U b e r seinen Dienstantritt am 8. A p r i l 1743 in Seehausen wie auch über seinen Abschied am 17. August 1748 nach Nöthnitz in die Bünausche Bibliothek infor­

mieren Auszüge aus der Seehausener Schulchronik

Seehausen in der Altmark um 1640 auf einem Kupierstich aus der Topographie des M. Merian W i n c k e l m a n n bedrückten, nachdem er in seinen A u s b i l d u n g s j a h r e n in Berlin, H a l l e und Jena Ideen der A u f k l ä r u n g kennengelernt hatte, die provinziellen rückständigen Verhältnisse in der preußischen A l t m a r k . Zudem brachte ihm seine berufliche Tätigkeit nicht die erhoffte Erfüllung. Schließlich kamen dazu noch äußere Q u e r e l e n , so daß er vor allem im Rückblick die Seehausener Zeit als seine Leidenszeit e m p f a n d . Um so mehr w a n d t e sich Winckelmann seinen pri­

vaten Studien zu, insbesondere der griechischen Literatur, in der er seine Frei­

heitsideale ausgesprochen sah. Er arbeitete in dieser Zeit die b e d e u t e n d e n Werke der griechischen und römischen Literatur durch — von denen in der Aus­

stellung einige zeitgenössische A u s g a b e n präsentiert werden — und e r w a r b so wichtige philologische Kenntnisse, die späterhin eine maßgebliche G r u n d l a g e für seine wissenschaftliche A r b e i t werden sollten.

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D a ß Winckelmann eine leider verschollene W e r k a u s g a b e des berühmten grie­

chischen Tragödiendichters des 5. Jahrhunderts v. u. Z. Sophokles besorgte, ist ein aufschlußreicher Beleg für die Intensität, mit der er sich philologischen Stu­

dien widmete. Als Ergänzung zu diesem Themenkreis zeigt die Ausstellung ei­

nen Blick in das Dionysos­Theater am S ü d o s t a b h a n g der Athener Akropolis, in dem die Stücke des Sophokles a u f g e f ü h r t wurden. Seine monumentale Gestalt erhielt das Theater allerdings erst nach der Mitte des 4. Jahrhunderts v. u. Z. Zur Zeit des Sophokles w a r es noch in Holz aufgeführt.

Winckelmann beschäftigte sich aber nicht ausschließlich mit antiker Literatur, sondern w a n d t e sich immer mehr kunsttheoretischen Schriften zu. Hier wäre vor allem Joachim Sandrarts „Teutsche A c a d e m i e der edlen Bau­, Bild­ und M a h ­ lereykünste" (1675 — 1679) zu nennen, die für ihn vielfältige A n r e g u n g e n bot und durch ihre klassizistische Orientierung zu einer der wichtigsten Q u e l l e n für seine Kunstlehre wurde. S a n d r a r t hatte in seinem Werk bereits auf die V o r b i l d ­ lichkeit der Kunst der Antike und somit auf die N o t w e n d i g k e i t , sie zu studieren, hingewiesen. Welch nachhaltigen Eindruck die Lektüre des Sandrart auf Winckel­

mann machte, zeigt beispielsweise seine auf einer guten Beobachtungsgabe be­

ruhende Schilderung eines der darin a b g e b i l d e t e n griechischen Kunstwerke, der

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„Wasser schöpfenden Nymphe"­. In einem Brief aus dem Jahre 1747 beschreibt Winckelmann diese sehr eindrucksvoll und erfaßt d a b e i wesentliche Momente der künstlerischen W i e d e r g a b e im Kupferstich, zum Beispiel, daß „ d e r Künstler auf dem W i r b e l ganz unvermerkt angesetzt hatte und in lauter ununterbroche­

nen Kreisen seinen Stich fortgesetzt, und schwache und starke Schatten derma­

ßen ausgedruckt, daß dies gekünstelte Spielwerk nicht gekünstelt, sondern der N a t u r vollkommen nahe zu kommen schien".

M i t seiner Tätigkeit als Konrektor an der Seehausener Schule, die ihm so w e n i g Erfüllung brachte, unzufrieden, bewarb sich Winckelmann 1748 um die Stelle eines Bibliothekars bei dem Reichsgrafen Heinrich von Bünau ( 1 6 9 7 ­ 1762). Die­

ser beherbergte in seinem Schloß Nöthnitz bei Dresden eine der bedeutendsten Bibliotheken seiner Zeit. M i t der Bewerbung informierte Winckelmann Bünau in einem Brief über seinen bisherigen W e r d e g a n g und hebt d a b e i gleich zu Beginn sein großes Interesse am Altertum hervor.

In der Bünauschen Bibliothek hatte er wie die anderen dort beschäftigten Bi­

bliothekare Quellenstudien für die historischen Untersuchungen des Reichsgrafen zu leisten. In diesen Kontext gehört auch das ausgelegte Exzerpt über Otto III., das Winckelmann für Bünau anfertigte.

Der Reichsgraf Heinrich von Bünau hatte sich durch die ersten vier Bände sei­

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ner „Kaiser­ und Reichshistorie" ( 1 7 2 8 ­ 1743; die Fortsetzung des Werkes un­

terblieb) als Historiograph einen N a m e n gemacht. Jedoch ist diese noch maß­

geblich von der barocken Geschichtsauffassung geprägt, in der der Persönlich­

keit die bestimmende Rolle für den geschichtlichen Fortgang zugeschrieben wird.

Dies geht schon deutlich aus ihrem Titel hervor. Durch seine Zuarbeiten für Bünau erwarb Winckelmann selbst umfangreiche Erkenntnisse über die Prozesse histo­

rischer Entwicklung. Darüber hinaus f a n d er in dieser so umfassenden Bibliothek die gesamte maßgebliche Literatur der westeuropäischen A u f k l ä r u n g vor, die für seine Theoriebildung die entscheidende Basis bot. Erwähnt seien hier als die wichtigsten Vertreter und wissenschaftlichen Quellen Winckelmanns M o n ­ tesquieu, der u. a. Vor­ und Nachteile bestimmter Regierungssysteme erwägt, oder Voltaire, der auf die bedeutende Rolle der Regierung, Erziehung und an­

derer historischer Faktoren verweist, und Dubos mit seiner Klimatheorie, weiter­

hin la Bruyere und Scaliger sowie die Kunsttheoretiker Vasari, Perrault, Spon und Richardson.

Dieses Literaturstudium regte Winckelmann zu eigenständigen Ü b e r l e g u n g e n über geschichtliche Prozesse an. Es befähigte ihn schließlich, sich selbständig ein Geschichtsbild zu erarbeiten. Sein Modell der historischen Entwicklung be­

schreibt er in seinem (erst aus dem Nachlaß seines Freundes A d a m Friedrich Oeser veröffentlichten) Manuskript „ G e d a n k e n vom mündlichen Vortrag der neuern allgemeinen Geschichte" (1754): „ D i e Kenntnis der großen Schicksale der Reiche und Staaten, ihre Aufnahme, Wachstum, Flor und Fall, sind nicht weni­

ger wesentliche Eigenschaften einer allgemeinen Geschichte, als die Kenntniß großer Prinzen, kluger Helden und starker Geister." Mit diesem auf einer ei­

genständigen Entwicklung der Geschichte beruhenden Schema geht Winckel­

mann deutlich über die barocke Historiographie hinaus, für die Geschichte eine bloße mechanische A n e i n a n d e r r e i h u n g von großen Persönlichkeiten und wich­

tigen Ereignissen war.

Winckelmann w a n d t e später in seinem Hauptwerk, der „Geschichte der Kunst HEINRICH VON BÜNAU Stich von 1. M. Bernigeroth nach dem Gemälde von E. C. Hausmann

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des Alterthums", dieses Entwicklungsschema von Ursprung, Wachstum, Blüte und Fall auf die Kunst an.

Im Raum vier wird Winckelmanns A u f e n t h a l t in Dresden dargestellt, wo er seine so folgenreiche Erstlingsschrift, die „ G e d a n c k e n über die Nachahmung der Grie­

chischen Wercke in der Mahlerey und Bildhauerkunst", verfaßte.

1754 schied Winckelmann aus den Diensten des Reichsgrafen Heinrich von Bü­

nau aus, um sich ganz seinen Studien widmen zu können.

Bei Bünau hatte Winckelmann bedeutende Gelehrte und Künstler kennenge­

lernt, die damals in Sachsen wirkten. Sie alle gingen bei dem Reichsgrafen ein und aus. Vielfache A n r e g u n g e n erhielt Winckelmann zweifelsohne aus den Dis­

kussionen in diesem Kreis, in dem kunsttheoretische Fragen keine zu unter­

schätzende Rolle gespielt haben dürften. Hierfür spricht die Teilnahme sol­

cher Männer wie A d a m Friedrich Oeser und Christian Ludwig von Hagedorn, des späteren Direktors der sächsischen Kunstakademien, oder Christian G o t t l o b Heyne, der der entscheidende Initiator der Archäologie an den deutschen Uni­

versitäten wurde. Aber auch politisch hochgestellte Persönlichkeiten am sächsi­

schen Hof verkehrten bei Bünau, so der päpstliche Nuntius Graf A l b e r i g o Archinto, Pater Leo Rauch und der Polyhistor Giovanni Lodovico Bianconi.

Diese Kontakte blieben in Winckelmanns Leben bestimmend. Eine besonders enge Freundschaft entwickelte sich zwischen Winckelmann und dem damals in Dresden ansässigen A d a m Friedrich Oeser ( 1 7 1 7 ­ 1799). Dieser fertigte nach dem Tode seines Freundes den in der Ausstellung präsentierten Entwurf zu einem G r a b m a l Winckelmanns (1768), der allerdings nicht großplastisch umgesetzt wurde.

Bei Oeser lebte Winckelmann nach seinem Ausscheiden aus den Diensten des Reichsgrafen Heinrich von Bünau 1754 bis zu seinem W e g g a n g nach Rom im September des folgenden Jahres. Oeser, der später (1764) zum Direktor der neugegründeten Leipziger Kunstakademie ernannt wurde, schulte Winckelmann im künstlerischen Sehen, unterwies ihn sowohl in der Kunsttheorie wie auch in der praktischen Kunstausübung. Er führte ihn in die Betrachtung und Beschrei­

bung von Kunstwerken ein, wobei er seinen Blick für die W a h l der künstleri­

schen Form und für die Komposition als Ausdrucksmittel schärfte. In diesem Zusammenhang entstanden auch Winckelmanns Beschreibungen berühmter Werke der Dresdener G e m ä l d e g a l e r i e , zum Beispiel die Beschreibung der Six­

tinischen M a d o n n a , die er in seiner Erstlingsschrift 1755 veröffentlichte. Sie zeichnet sich vor allem dadurch aus, daß die einfühlsame Interpretation des Meisterwerks des von ihm so verehrton Renaissance­Künstlers Raffael zugleich mit einer Erfassung aller wesentlichen Kompositionszusammenhänge erfolgt.

Winckelmann hatte bei Oeser auch Zeichenunterricht genommen. Darauf ver­

weist in der Ausstellung eine Handzeichnung aus der Mitte des 18. Jahrhun­

derts, die möglicherweise von der H a n d Winckelmanns stammt. Sie ist ganz in der Manier der Antikennachahmung der Zeit gehalten, ist also noch deutlich von barockem Formempfinden beeinflußt, künstlerisch ist sie nur von geringer G u a l i t ä t .

Barocke Formelemente kommen aber auch auf der von Oeser gestalteten Titel­

seite von Winckelmanns Schrift „ G e d a n c k e n über die Nachahmung der Griechi­

schen Wercke in der Mahlerey und Bildhauerkunst" zum Vorschein. Für den sich erst etablierenden Klassizismus ist dies geradezu symptomatisch.

Oeser, der als Schüler von Raphael Donner unter starkem Einfluß der Wiener

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klassizistischen Schule stand und wie diese die H a r m o n i e der griechischen Pla­

stik als Ideal und Vorbild ansah, trug auch Entscheidendes zu Winckelmanns Theoriebildung bei. Deutlich wird hier, daß die Kunsttheorie dem praktischen Kunstempfinden voranschritt.

Klar hatte sich Winckelmann in seiner Erstlingsschrift gegen die höfische Kunst des Barock gewendet. Er verurteilte unmißverständlich „Schnörkel und das al­

lerliebste Muschelwerk" als bestimmende dekorative M o m e n t e der barocken Kunst.

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Beispiele baiocker Kunst im vierten Ausstellungsraum

Diesen stellt Winckelmann die Einfachheit und Natürlichkeit der griechischen Kunst gegenüber und preist sie als Vorbild künstlerischen Schaffens. A m Bei­

spiel der kleinen Herculanerin, einem Werk aus dem Umkreis des Praxiteles aus dem dritten Viertel des 4. Jahrhunderts v. u. Z., erläutert er die schlichte Natürlichkeit der Darstellung. Besonders von der einfachen Klarheit des Kon­

turs fühlt er sich angezogen.

Winckelmann hatte die kleine Herculanerin, die 1738 von W i e n nach Dresden gelangte, ausgiebig studiert und schätzen gelernt. In W i e n hatte sie damals besonders im Interesse der Künstler der A k a d e m i e gestanden. Auch der be­

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rühmte Barockkünstler Lorenzo M a t i e l l i , der der Legende nach ihr an den säch­

sischen Hof folgte, hatte die Statue genauestens studiert. Auch ihn interessierte, wie später Winckelmann, in erster Linie die G e w a n d g e s t a l t u n g .

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Winckelmanns Erstlingswerk GEDANCKEN ÜBER DIE NACHAHMUNG DER GRIE- CHISCHEN WERCKE IN DER MAHLE- REY UND BILDHAUER-KUNST in der

ersten Aullage von 1755

Gipsabguß der kleinen Herculanerin In diesem Meisterwerk der griechischen Kunst sieht Winckelmann die in der französischen A u f k l ä r u n g wurzelnde Sentenz von der „ e d l e n Einfalt und stillen Größe" plastisch umgesetzt. In formaler Hinsicht hat d a n n die kleine Hercula­

nerin für die Kunst des Klassizismus eine bedeutende Rolle gespielt.

Einen für die gesamte Kunsttheorie so folgenschweren Satz formulierte Winckel­

mann in seiner Erstlingsschrift wie f o l g t : „ D e r einzige W e g für uns, groß, ja, wenn es möglich ist, unnachahmlich zu werden, ist die Nachahmung der Alten, und was j e m a n d vom Homer gesagt, daß d e r j e n i g e ihn bewundern lernet, der ihn wohl verstehen gelernet, gilt auch von den Kunstwerken der Alten, son­

(18)

derlich der Griechen." Dieser programmatische G e d a n k e w u r d e im geistig­

kulturellen Klima des aufstrebenden Bürgertums zum A u s g a n g s p u n k t für die W i r k u n g Winckelmanns.

Freilich hat er d a m i t noch nichts g r u n d l e g e n d Neues gesagt. Vielmehr hatte Winckelmann hierzu schon in sehr j u n g e n Jahren durch seinen Lehrer am Cöll­

nischen Gymnasium, D a m m , der die Vorbildlichkeit der griechischen Literatur pries, einen entscheidenden Impuls erhalten. Doch auch in der Kunsttheorie war dieses Postulat keine sensationelle Neuheit. Der wohl bedeutendste Archäo­

loge des 17. Jahrhunderts, Giovanni Pietro Bellori, hatte bereits 1664 in einer Rede vor der A k a d e m i e von San Luca das A r b e i t e n nach griechischer Plastik propagiert, um der zeitgenössischen Kunst, die ihm wie W i n c k e l m a n n am Her­

zen lag, eine neue O r i e n t i e r u n g zu geben. Jedoch all diese Postulate w a r e n in ihrer W i r k u n g mit der programmatischen Schrift Winckelmanns nicht zu ver­

gleichen.

Die Blüte der Kunst hat politische Freiheit zur Voraussetzung. Das ist das Neue bei Winckelmann.

Die Blüte der griechischen Kunst erkannte er als in der freien griechischen Po­

Iisdemokratie verwurzelt. Die Problematik der auf Sklaverei beruhenden an­

tiken Gesellschaftsformation b l i e b im 18. Jahrhundert d a b e i noch völlig unbe­

rücksichtigt. Winckelmann sah im alten Griechenland, speziell in der A t h e n i ­ schen Demokratie unter Perikles im dritten Viertel des 5. Jahrhunderts v. u. Z., die für die eigene Zeit so ersehnten Ideale der politischen Freiheit verwirk­

licht. Er hoffte, durch die A u s b i l d u n g der j u n g e n Künstler am V o r b i l d der grie­

chischen Kunst ­ eine O r i e n t i e r u n g an ihren Idealen und Inhalten durch schöpfe­

rische N a c h a h m u n g — die Kunst seiner Zeit reformieren und d a m i t auf die ge­

sellschaftlichen Verhältnisse wirken und demokratische Zustände schaffen zu können.

D a m i t erzielte W i n c k e l m a n n bei dem sich emanzipierenden, aufstrebenden Bürgertum eine beachtliche W i r k u n g . W i n c k e l m a n n verkündete mit seiner These j a keineswegs nur f o r m a l e Richtlinien; für ihn w a r die griechische Kunst viel­

mehr Ideenträger, d. h. künstlerischer Ausdruck einer freien demokratischen Re­

gierungsform. Daß Winckelmann sich mit Freiheitsdarstellungen in der A n t i k e befaßte, zeigt u. a. sein 1766 erschienenes Werk „Versuch einer A l l e g o r i e " . Hier führt er als Beispiel eine Münze, einen Denar des Brutus aus dem Jahre 43 v. u. Z. an, der in der Ausstellung als G a l v a n o p l a s t i k zu sehen ist. Brutus, der M ö r d e r des Diktators Caesar (44 v. u. Z.), war als leidenschaftlicher Verfech­

ter der römischen Republik a l l g e m e i n berühmt.

Die Vorderseite der Münze zeigt das Porträt des Brutus. A u f der Rückseite ist das Symbol der Libertas (Freiheit), der Pileus (Hut), dargestellt, der von zwei Dolchen flankiert wird, die auf die Tat des Brutus verweisen. Bildkünstlerische Umsetzungen des Freiheitsideals h a b e n d a n n vor allem in der Renaisssance Verbreitung gefunden. A n diese Tradition knüpft später die Kunst der franzö­

sischen Revolution mit ihren Darstellungen des vom Jakobinerhut gekrönten Freiheitsbaumes an.

In seiner Dresdener Zeit hatte W i n c k e l m a n n die Gelegenheit, die S a m m l u n g geschnittener Steine von Philipp Daniel Lippert (1702 ­ 1785) zu studieren.

Lippert hatte ein besonders gut geeignetes M a t e r i a l zur Herstellung von Gem­

menabgüssen entwickelt.

Winckelmann hatte an den A r b e i t e n Lipperts regen A n t e i l g e n o m m e n und war auch späterhin von Rom aus bemüht, diesem bei der Vervollkommnung

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seiner S a m m l u n g behilflich zu sein. Die Aussellung zeigt neben der Dakty- liothek auch den d a z u g e hö r i g e n Katalog, der von Johann Friedrich Christ (1700 bis 1756) ins Lateinische übersetzt wurde. Diese A r b e i t vollendete nach Christs Tod sein Schüler Christian G o t t l o b Heyne.

Die Lippertsche Daktyliothek hatte eine weite Verbreitung gefunden und w u r d e als S t u d i e n m a t e r i a l sehr geschätzt.

Generell spielten G e m m e n s a m m l u n g e n in den A n f ä n g e n der klassischen Archäo­

logie eine bedeutende Rolle. Sie lieferten Erkenntnisse über Darstellungen der griechischen und römischen M y t h o l o g i e und zur Ikonographie (beispielsweise der Kaiserporträts) und halfen nicht zuletzt auch bai der Identifizierung von Werken der Großplastik.

G e m m e n ­ A b d r u c k s a m m l u n g e n mußten als Anschauungsmaterial für Studien­

zwecke die Werke antiker Plastik ersetzen, die sich in den Sammlungen des Königs von Preußen bzw. des Kurfürsten von Sachsen befanden und nicht all­

gemein zugänglich waren.

Winckelmanns sehnlichster Wunsch war es, einmal nach Rom, dem Zentrum der Kunst und Kunsttheorie, zu kommen. Dort lag die antike Kunst offen zu­

t a g e und bot in ihrer Fülle vielfältige A n r e g u n g e n für kunstwissenschaftliche Betätigungen. Winckelmann hoffte, in Rom die großen Antikensammlungen der römischen A d e l s f a m i l i e n und des V a t i k a n studieren zu können. Um dieses hochgesteckte Ziel zu erreichen, bedurfte Winckelmann einiger Protektionen. Der päpstliche Nuntius am sächsischen Hof, G r a f A l b e r i g o Archinto, e m p f a h l W i n ­ ckelmann sehr nachdrücklich, von der evangelischen zur katholischen Kirche überzutreten, um auch in dieser Hinsicht geeignete Voraussetzungen für einen Italienaufenthalt zu schaffen. Dazu kam noch der Umstand, daß der sächsische Kurfürst um der polnischen Krone willen bereits konvertiert war. So zeigte man sich auch eher bereit, dem gleichfalls konvertierten, getreuen Untertan Winckel­

mann ein kleines Reisestipendium für den ursprünglich nur für zwei Jahre ge­

p l a n t e n Romaufenthalt zu bewilligen.

M i t dem fünften Ausstellungsraum g e l a n g e n wir in die römische Hauptschaf­

fensperiode Winckelmanns. Dieser Raum soll zunächst einen Eindruck von dem für Winckelmann so ü b e r w ä l t i g e n d e n Romerlebnis vermitteln. Zugleich ist er a b e r auch Winckelmanns wissenschaftlicher Beschäftigung mit der antiken Archi­

tektur vorbehalten. M o n u m e n t e n antiker Architektur begegnete er in Rom auf Schritt und Tritt.

Verwiesen sei hier auf die Gesamtansicht von Rom ­ eine Radierung von Giuseppe Vasi (1710 ­ 1782). Mit bewunderungswürdiger Detailtreue hat der Künstler einen Blick auf das über zwei Jahrtausende alte Rom gegeben mit all seinen bedeutenden Baudenkmälern von der Antike bis zu seiner Gegenwart

­ der Zeit Winckelmanns. G e n a n n t seien hier nur stellvertretend der Petersdom mit d e n K o l o n n a d e n des Bernini, die Engelsburg — das Mausoleum des Kai­

sers H a d r i a n (139 vollendet) ­ das Forum Romanum und die Kaiserforen. An die­

ser Radierung wird die Vielschichtigkeit der Eindrücke, die allein schon von der architektonischen Gestaltung Roms ausgingen, besonders deutlich.

Zwei der berühmtesten Bauwerke der römischen Kaiserzeit, das 80 von Titus eingeweihte Kolosseum und das von 120 bis 125 unter H a d r i a n neu erbaute Pantheon, werden in der Ausstellung in einer Radierung von Giovanni Battista Piranesi (1720— 1778) und in einem Stich von Luigi Rossini ( 1 7 9 0 ­ 1857) vor­

gestellt.

(20)

Der kleine Ausschnitt aus der großen Romvedute von G. Vasi zeigt die am Tiber gelegene Engelsburg.

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Kolosseum, Radierung

von G. B, Piranesi

Von Rom aus unternahm Winckelmann mehrere archäologische Forschungsrei­

sen. Große Anziehungskraft übten auf ihn die Ausgrabungen in den 79 bei einem Ausbruch des Vesuv verschütteten Städten Herculaneum, Pompeji und Stabiae aus. Diese Grabungsstätten gerieten im Verlauf des 18. Jahrhunderts immer stärker in das Blickfeld der Archäologen. Bei der Wiederentdeckung von Herculaneum waren 1711 beachtliche Funde zutage befördert worden, wie bei­

spielsweise die kleine Herculanerin, die Winckelmann in Dresden so beein­

druckt hatte. Bald darauf (1738) entfaltete sich unter der Oberhoheit des kunst­

18

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interessierten Königs von Neapel Karl III. eine umfangreiche Ausgrabungstätig­

keit in dieser Region.

Bei den A u s g r a b u n g e n in Herculaneum wurde erstmals ein G r a b u n g s j o u r n a l geführt. Jedoch waren diese G r a b u n g e n vornehmlich darauf orientiert, Kunst­

werke, Schätze oder W e r t g e g e n s t ä n d e zu finden. Die Schichtengrabung ist eine Errungenschaft des 19. Jahrhunderts. Der König von Neapel, der eigens zur Erforschung und Auswertung der Fundstücke 1755 eine A k a d e m i e gegründet hatte, hütete alle Forschungsergebnisse als strenges Geheimnis, um Publika­

tionen anderer vor dem Erscheinen seines m e h r b ä n d i g e n Werkes über das an­

tike Herculaneum (1757 ff.) zu verhindern.

Winckelmann unternahm insgesamt vier Forschungsreisen in das Königreich Neapel.

W ä h r e n d der ersten Reise 1758, deren Ausbeute allerdings gering blieb, w i d ­ mete er sich, soweit es möglich war, den Funden, die zum größten Teil im Schloß von Portici a u f b e w a h r t wurden. Im gleichen Jahr besuchte Winckelmann Paestum (griech. Poseidonia) — eine griechische Kolonie in Unteritalien. Es zeichnet sich vor allem durch den hervorragenden Erhaltungszustand seiner Tempel aus.

Dies trifft ganz besonders für den frühklassischen sogenannten Poseidon­Tem­

pel um 460 v. u. Z. zu. Der Eindruck, den diese Tempel auf Winckelmann mach­

ten, war überwältigend. Hier stand er das erste und auch das einzige M a l origi­

nalen Bauwerken der griechischen Antike gegenüber, denn seine später ge­

plante Griechenlandreise kam­ nicht zustande. Seine „ A n m e r k u n g e n über die Baukunst der A l t e n " (1762) wurden maßgeblich durch die Anschauung der Tem­

pel von Paestum bestimmt. Letztendlich wurde Paestum durch Winckelmann als archäologisches Reiseziel populär.

1762 brach Winckelmann zu seiner zweiten Reise nach Neapel auf, bei der es ihm auch gelang, die A u s g r a b u n g e n in Herculaneum zu besichtigen. Die Er­

gebnisse dieses Besuchs trug er in seinem „Sendschreiben von den Herculani­

schen Entdeckungen" (1762) vor. Bemerkenswert ist hieran neben der Kritik an den Ausgrabungsmethoden, daß Winckelmann die Kunst als Produkt der histo­

risch­kulturellen Entwicklung stärker herausarbeitet.

Die Resultate der dritten Reise in das Königreich Neapel (1763) veröffentlichte Winckelmann in seiner Schrift „Nachrichten von den neuesten Herculanischen Entdeckungen" (1764). Eine letzte Reise in diese Region unternahm er ein Jahr vor seinem Tode 1767.

M i t dem sechsten Raum wenden wir uns nun dem H a u p t g e g e n s t a n d der For­

schungstätigkeit Winckelmanns zu, der griechischen Plastik.

Auf das Postulat von der Vorbildlichkeit der antiken Kunst für das zeitgenös­

sische Kunstschaffen wurde schon verwiesen. In diesem Zusammenhang verdient die lange Tradition der A u s b i l d u n g der j u n g e n Künstler an den A k a d e m i e n be­

sondere Beachtung.

Seit der Renaissance gehörte das Studieren und Arbeiten nach Werken anti­

ker Plastik zur Unterweisung der Künstler. In den Lehrprogrammen der Kunst­

a k a d e m i e n war es von A n f a n g an ein fester Bestandteil und wurde immer wie­

der neu gefordert und aktualisiert. Als Beispiel seien hier die schon erwähnte Rede von Giovanni Pietro Bellori 1664 vor der A k a d e m i e von San Luca und eine Rede von Giovanni Lorenzo Bernini im d a r a u f f o l g e n d e n Jahr vor der Pariser

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A k a d e m i e angeführt. Die A k a d e m i e n hatten zu diesem Zweck umfangreiche Stu­

d i e n s a m m l u n g e n von Gipsabgüssen b e d e u t e n d e r W e r k e antiker Plastik a n g e ­ legt, nach deren V o r b i l d die Schüler arbeiteten. Eine Vorstellung hiervon ver­

mittelt eine A b b i l d u n g in dem d r e i b ä n d i g e n Werk von G i o v a n n i G a e t a n o Bot­

tari „ M u s e i C a p i t o l i n i " (Kapitolinische Museen) 1755, die j u n g e Künstler bei

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Künstler beim Studium antiker Plastik in einem Stich aus G. G. Bottaris Werk MUSEI CAPITOLINI

Gipsabguß des Torso von Belvedere

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der A r b e i t nach dem V o r b i l d der hellenistischen Plastik des „ S t e r b e n d e n Gal­

liers" zeigt. Eine herausragende Rolle spielten hierbei so berühmte Meister­

werke der griechischen Kunst wie der A p o l l und der Torso von Belvedere oder die Laokoongruppe, die zu zahlreichen Kopien und V a r i a t i o n e n anregten. Die als Torso erhaltene Skulptur des Herakles aus der Mitte des 1. Jahrhunderts v. u. Z. von A p o l l o n i o s von A t h e n wurde in Künstlerkreisen als V o r b i l d für plasti­

sche Körpermodellierung besonders geschätzt. Der Torso wurde auch nicht, wie sonst a l l g e m e i n üblich, ergänzt. Seit der Renaissance w u r d e er immer wieder von bedeutenden Künstlern mit großer Sorgfalt studiert und als V o r b l i d für das eigene Schaffen genutzt. Winckelmann verweist in seiner bekannten Beschrei­

b u n g des Torso von Belvedere sogar darauf, daß dieser „ i n s g e m e i n der Torso vom Michael A n g e l o g e n e n n e t wird, weil dieser Künstler dieses Stück besonders hochgeschätzet und viel noch demselben studiert h a t " .

Die eben genannten Meisterwerke der griechischen Kunst nehmen in den kunsttheoretischen Schriften Winckelmanns eine zentrale Stellung ein. Von ih­

nen g i b t er großartige und einfühlsame Beschreibungen, mit denen er zum

„ W e s e n der Kunst" vordrang und somit Entscheidendes zum Kunstverständnis beitrug. In der Diskussion in Künstlerkreisen hatten diese Skulpturen seit lan­

gem eine wichtige Rolle gespielt und f a n d e n erst von dort aus in höherem Maße Eingang in die archäologisch­antiquarische Forschung. Nicht zuletzt ist es auch ein Vordienst Winckelmanns, daß er ihnen mit seinen eindrucksvollen Beschrei­

b u n g e n in der Archäologie einen hohen Rang einräumte.

Zweifellos hatte Winckelmann vielfältige A n r e g u n g e n durch seinen engen Kon­

takt zu Künstlern, den er schon seit seinem A u f e n t h a l t in Dresden pflegte, be­

kommen. Persönlichkeiten wie A d a m Friedrich Oeser und A n t o n Raphael Mengs führten Winckelmann ins künstlerische Sehen ein. Nicht zufällig wendet sich Winckelmann im Unterschied zu den meisten A n t i q u a r e n , die oft die Kleinkunst

bevorzugten, besonders Werken der Großplastik zu.

Die Kunstanschauung und ihre einfühlsame Interpretation ist es, die ihn, indem er die Tradition der Künstler mit der der A n t i q u a r e schöpferisch verband, weit über die archäologisch­antiquarische Forschung seiner Zeit hinausgehen ließ.

Von ausschlaggebender Bedeutung dürfte vor allem Winckelmanns Freund­

schaft zu dem M a l e r A n t o n Raphael Mengs ( 1 7 2 8 ­ 1779), der Jahre vor ihm von Dresden nach Rom g e g a n g e n war, gewesen sein. Winckelmann hatte sei­

nerzeit als N e u a n k ö m m l i n g in Rom ein Empfehlungsschreiben an Mengs aus Dresden mitbekommen. Beide verband über lange Jahre eine fruchtbare Zu­

sammenarbeit. Mengs als einer der Hauptvertreter des frühen Klassizismus hatte Winckelmann in seiner Kunstanschauung und Kunsttheorie entscheidend beein­

flußt. In seinem Atelier in Rom hatte er eine beachtliche Sammlung von Gips­

abgüssen nach Werken antiker Kunst a n g e l e g t und ließ seine Malerschüler sich d a r a n im Zeichnen nach antiken Vorbildern üben.

Mengs praktizierte also hier die Schulung junger Künstler am antiken Beispiel, auf die Winckelmann in seinem Werk immer wieder hinwies.

Die Mengssche A b g u ß s a m m l u n g g e l a n g t e später aus dem Nachlaß des Künst­

lers nach Dresden,' wo sie damals öffentlich gezeigt wurde. In der Ausstellung ist die Fotoreproduktion einer aquarellierten Federzeichnung von Johann Gott­

lob M a t t h a i aus dem Inventar der A b g u ß s a m m l u n g von 1794 zu sehen, die einen Eindruck von der ersten Aufstellung der Gipse in Dresden vermittelt.

Entscheidende Voraussetzung für Winckelmanns kunsttheoretische Betrachtun­

gen und Analysen waren die unmittelbare Anschauung und das Studium der

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antiken Kunstwerke selbst. Rom mit seinem einzigartigen Reichtum an An

­ tikensammlungen bot hier die vielfältigsten Möglichkeiten. Es war von jeher Anziehungspunkt für Kunsttheoretiker und Antiquare gewesen. Neben den Samm­

lungen des Vatikans sind in besonderem Maße die der großen italienischen Adelsfamilien, der Medici, der Farnese, der Mattei, der Ludovisi und der Albani in Betracht zu ziehen. Diese Adelsgeschlechter bestimmten über Jahrhunderte maßgeblich das politische Leben in Rom.

Aus ihren Reihen gingen die Kardinäle und letztendlich auch die Päpste hervor. Durch Vermittlung seiner Mäzene, des Kardinals Alberigo Archinto und des Kardinals Alessandro Albani, hatte Winckelmann zu den bedeutendsten Sammlungen antiker Kunst Zutritt. Ab 1759 lebte Winckelmann bis zu seinem tragischen Tod als Bibliothekar und Gesellschafter bei Alessandro Albani (1692 bis 1779). Der Kardinal, der ein hervorragender Kunstkenner war, hatte, an­

geregt durch seinen Oheim, Papst Clemens XI., der sich um die vatikanischen Sammlungen besonders verdient gemacht hatte, in seiner um 1760 erbauten Villa außerhalb von Rom eine beachtliche Antikensammlung zusammengetra­

gen. Hier hatte Winckelmann ausgezeichnete Studienmöglichkeiten.

1763 wurde Winckelmann, zum päpstlichen Antiquarius ernannt, mit der Ober­

aufsicht über alle Altertümer in Rom betraut.

Mit dieser Berufung erwarb er zunehmend Anerkennung unter seinen Fachkol­

legen. Immerhin zählte zu seinen Amtsvorgängern ein so bedeutender Mann wie Giovanni Pietro Bellori, der schon erwähnte berühmte Archäologe des 17.

Jahrhunderts.

Es war das Anliegen Winckelmanns, die Kunst der Antike weiten Kreisen der Gebildeten vertraut zu machen, weniger bekannte Werke vorzustellen und sie somit auch der archäologischen Forschung zugänglich zu machen. Damit knüpft er an die Tradition der Antiquare an, die besonders im 17. Jahrhundert in großen Sammelwerken mit Kupferstichen von z. T. hoher künstlerischer Qualität die verschiedenen Gattungen von Altertümern vorgestellt hatten. Diese Folianten sind noch zur Zeit Winckelmanns nicht wegzudenkende Nachschlagewerke. Mit seinem Spätwerk, den „Monumenti antichi inediti" (Unveröffentlichte antike Denkmäler) 1767, setzt Winckelmann diese Bestrebungen fort und bereichert damit entscheidend den archäologischen Fundus. Für die Archäologie sind die

„Monumenti antichi inediti" noch in anderer Hinsicht von hohem wissenschaft­

lichen Wert. Winckelmann praktizierte hier die Erklärung der antiken Kunst­

werke aus der griechischen Mythologie und wies damit der archäologischen Hermeneutik neue Wege. Sein Werk ist jedoch nicht frei von Irrtümern. Sie re­

sultieren vor allem aus seiner etwas zu ausschließlichen Verlagerung auf die Interpretation aus der griechischen Mythologie. Trotzdem gelang es ihm, zahl­

reiche antike Kunstwerke inhaltlich zu bestimmen. Die „Monumenti antichi inediti" hatten eine entsprechend große Resonanz in der Archäologie, so daß sie im 19. Jahrhundert aufgrund ihrer wissenschaftlichen Methodik mehr An­

klang als sein Hauptwerk, die „Geschichte der Kunst des Alterthums", fanden.

Richtungweisend für das Urteil über die Monumenti war der Winckelmann aus seiner Dresdener Zeit bekannte Göttinger Professor Christian Gottlob Heyne, der dieses Werk vor allem wegen seiner antiquarischen Gelehrsamkeit schätzte und sich eine Fortsetzung wünschte. Um diese bemühten sich die Nachfolger im Amt Winckelmanns als Präfekt der Altertümer zu Rom Giovanni Battista und Ennio Quirino Visconti (Vater und Sohn) mit ihrem fünf Bände umfassenden Katalog

„Museo Pio Clementino", der die päpstlichen Sammlungen vorstellte. Beson­

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Ennio Quirino Visconti (1751-1818) hat die archäologische Forschung mit

Katalogpublikationen stark bereichert.

MONUMENTI

ANTICHI I N E D I T I

» . ' I i i A T I I U l ' u t f l l l T I

Titelseite des ersten Bandes der MONUMENTI ANTICHI INEDITI, Rom 1767

Ennio Quirino Visconti verfügte wie Winckelmahn über ein ausgeprägtes Empfin­

den für künstlerische Form und besaß ein dementsprechend gut entwickeltes Ur­

teilsvermögen über die Qualität eines Kunstwerkes. Als Beispiel sei hier sein prägnantes Urteil über den hohen künstlerischen Wert des Skulpturenschmucks vom Parthenon der Athener Akropolis angeführt, das er in seinen „Memoires sur les ouvrages de sculpture de Parthenon et de quelques edifices de I" Acro­

pole ä Athenes" (Denkwürdigkeiten über die Werke der Bildhauerkunst vom Parthenon und einiger Gebäude von der Akropolis zu Athen) 1818 darlegte.

Ausgelöst durch die Anfang des 19. Jahrhunderts von Lord Elgin nach London ver­

brachten Parthenonskulpturen hatte sich in der Archäologie ein heißer Meinungs­

streit über deren künstlerischen Rang entsponnnen. Visconti gehörte zu den we­

nigen Archäologen, die damals ihren hohen Wert erkannten. Das allgemeine ästhetische Empfinden war in erster Linie durch solche Werke bestimmt, die aus späteren Epochen der griechischen Kunstentwicklung stammten, die ihrerseits schon leichte Klassizismen aufwiesen, wie der Apoll von Belvedere aus dem drit­

ten Viertel des 4. Jahrhunderts v. u. Z., oder der barocken Formensprache sehr nahekommen, wie die beiden späthellenistischen Skulpturen des Torso von Bel­

vedere und die Laokoongruppe.

Als Originale der griechischen Hochklassik waren die Parthenonskulpturen (drit­

tes Viertel des 5. Jahrhunderts v. u. Z.) in ihrer maßvollen Harmonie, ohne äu­

ßeres Pathos, eine Besonderheit. Die damals bekannten griechischen Plastiken waren zum größten Teil Werke der Nachklassik oder des Hellenismus. Zudem

m

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h a n d e l t e es sich d a b e i fast ausschließlich um römische Kopien. Eine u m f a n g ­ reiche A u s g r a b u n g s t ä t i g k e i t auf griechischem Territorium konnte sich erst nach der Befreiung Griechenlands vom türkischen Joch (um 1830) e n t f a l t e n .

Um so mehr erstaunt das p r ä g n a n t e Urteil, das W i n c k e l m a n n über d i e künstle­

risch hochzuschätzende Q u a l i t ä t des Skulpturenschmucks vom Parthenon zu g e b e n vermag. W i n c k e l m a n n hatte, wie er in einem Brief aus dem Jahre 1758 schreibt, die Zeichnungen der Parthenonskulpturen von James S t u a r t studiert.

Stuart hatte zusammen mit dem Architekten Nicholas Revett von 1751 bis 1754 eine Forschungsreise nach A t h e n u n t e r n o m m e n , deren Ergebnisse sie in ihrem m e h r b ä n d i g e n W e r k „ A n t i q u i t i e s of A t h e n s " (Altertümer von A t h e n ) d a r l e g t e n . In dem 1790 erschienenen zweiten Band sind die Zeichnungen der Parthenon­

skulpturen veröffentlicht.

In der Ausstellung ist ein G i p s a b g u ß der M i n i a t u r n a c h b i l d u n g des Parthenon­

frieses von John H e n n i n g (1820) zu sehen. Diese M i n i a t u r e n e r f r e u t e n sich in der ersten H ä l f t e des 19. Jahrhunderts besonderer Beliebtheit und e r f u h r e n eine große Verbreitung.

In seinem wissenschaftlichen W e r k hatte sich W i n c k e l m a n n selbstverständlich auch den in der d a m a l i g e n Forschung so wichtigen G e m m e n g e w i d m e t . Fast jeder n a m h a f t e A n t i q u a r hatte seinerzeit ein mehr oder w e n i g e r umfangreiches W e r k über geschnittene Steine geschrieben.

1758 b e g a b sich W i n c k e l m a n n nach Florenz, um dort die b e r ü h m t e G e m m e n ­ s a m m l u n g des verstorbenen A n t i q u a r s Baron Phillipp von Stosch (1691 — 1757) zu sichten und später zu publizieren.

D E S C R I P T I O N

DES PIERRES GRAVEES

DU FEV

B A R O N D E S T O S C H

o £ p ­1­k.i ' A S O N E M I N E N C E MOHSEIGKEVR IE CARD IXA f.

A L E X A N D R E

A L B A N I

PAR M . V ABBE W I N C K E L M A N N

UinUOrilECAIRE DE SOS EHISENCE.

Titelblatt der DESCRIPTION DES PIER­

RES GRAVES DU FEU BARON DE STOSCH, Florenz 1760

Seine „ D e s c r i p t i o n des Pierres gravees du feu Baron de Stosch" (Beschreibung der geschnittenen Steine des verstorbenen Barons von Stosch), bei der er sich auf bedeutende Vorarbeiten des Besitzers stützen konnte, erschien 1760. M i t diesem K a t a l o g erlangte Winckelmann allgemeine A n e r k e n n u n g unter den A n t i q u a r e n .

A F L O R E N C E M D C C L X .

C h e z A N D R E B O N D U C c l •

(27)

Zudem h a n d e l t e es sich bei der Stoschschen Kollektion um eine der größten in Europa. 1764 w u r d e sie von Friedrich II. von Preußen für d e n Potsdamer A n t i k e n ­ t e m p e l erworben.

D i e Ausstellung zeigt eine kleine A u s w a h l von Gipsabgüssen aus der G e m m e n ­ s a m m l u n g des Barons Philipp von Stosch. Er genoß unter den A n t i q u a r e n in Rom, w o er l a n g e Zeit g e l e b t hatte, großes Ansehen. Um seine Persönlichkeit rankten sich allerdings auch zahlreiche A n e k d o t e n ; so zum Beispiel, wie der große W i n c k e l m a n n ­ B i o g r a p h Carl Justi ( 1 8 3 2 ­ 1912) zu berichten weiß, daß Eulen „ i n seinem Z i m m e r umherflatterten, angeblich weil ihn dieser phlegmatische V o g e l in seiner hypochondrischen Laune a u f h e i t e r t e " . Eine bissige Karikatur aus dem Jahre 1725 von Pier Leone Ghezzi zeigt eine D i s p u t a t i o n zwischen römi­

schen A n t i q u a r e n , auf der Stosch durch eine auf seiner Stuhllehne sitzende Eule charakterisiert ist.

Zwei b e d e u t e n d e A n t i q u a r e , die nicht unerwähnt bleiben sollten, sind Bernard de M o n t f a u c o n (1655 — 1741) und ­ vor allem wegen seines Interesses an der griechischen A n t i k e ­ A n n e ­ C l a u d e ­ P h i l i p p e Caylus ( 1 6 9 2 ­ 1765). Insbesondere Caylus kann als der u n m i t t e l b a r e Vorläufer Winckelmanns gelten. Aus seinem bekanntesten Werk, der „Recueil d' antiquites egyptiennes, etrusques, grecques, romaines et gauloises" (Sammlung ägyptischer, etruskischer, griechischer, römi­

scher und gallischer A l t e r t ü m e r ; 1725 ff.) konnte Winckelmann vielfältige Anre­

g u n g e n entnehmen. Caylus hatte nicht nur die Vorbildlichkeit der griechischen Kunst gepriesen, sondern auch, in wesentlichen Zügen den kunstwissenschaftli­

chen Stilbegriff umrissen, der allerdings noch mit „ g o ü t " (Geschmack) bezeichnet wird. W i n c k e l m a n n vollzieht d a n n den Ü b e r g a n g und formt den heute aus der M e t h o d i k der Kunstwissenschaften nicht mehr w e g z u d e n k e n d e n Stilbegriff. D a b e i stützt er sich auf die Kunsttheorie des 16. und 17. Jahrhunderts sowie auf die Literaturtheorie, aus der der Terminus Stil auf die Kunst übertragen wurde.

Der siebente und zugleich letzte Ausstellungsraum gliedert sich in zwei Hälften.

Der erste Teil ist Winckelmanns Hauptwerk, der „Geschichte der Kunst des A l t e r t h u m s " , vorbehalten. Im zweiten Teil wird Winckelmanns W i r k u n g in der klassischen Archäologie, der Kunstwissenschaft und der Literatur angedeutet.

„ D i e Geschichte der Kunst soll den Ursprung, das Wachstum, die V e r ä n d e r u n g und den Fall derselben, nebst dem verschiedenen Stile der Völker, Zeiten und Künstler lehren, und dieses aus den ü b r i g g e b l i e b e n e n Werken des Alterthums, so viel möglich ist, beweisen." So formulierte Winckelmann das A n l i e g e n der

„Geschichte der Kunst des A l t e r t h u m s " in der Einleitung seines 1764 erschienenen Werkes. Winckelmann hatte in seinem H a u p t w e r k die geschichtliche Entwicklung der Kunst a n h a n d der A b f o l g e ihrer Stilperioden dargestellt und dies hauptsäch­

lich am Beispiel der griechischen Kunst veranschaulicht. Sein Ausgangspunkt war, aus der Analyse der einzelnen Kunstwerke alle für eine Stilepoche charakte­

ristischen M e r k m a l e zu erfassen und sie in ihrer Entwicklung darzustellen.

Winckelmann wendete hier das Entwicklungsmodell von „ U r s p r u n g , Wachstum, Flor und Fall", das er bereits 10 Jahre zuvor in seinen „ G e d a n k e n vom münd­

lichen Vortrag der neueren a l l g e m e i n e n Geschichte" vorstellte, auf die Geschichte der Kunst an. Er hatte d a f ü r vor allem A n r e g u n g e n von dem berühmten Kunst­

historiker der Renaissance G i o r g i o Vasari (1511 — 1574) erhalten. Speziell für die Periodisierung der griechischen Kunst beruft sich Winckelmann auf den Philologen Julius Cäsar Scaliger (1484 ­ 1558) und übernimmt dessen für die Dichtkunst entwickeltes System.

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In ihren wesentlichen Zü g e n hat d i e Winckelmannsche S t i l p e r i o d i s i e r u n g der griechischen Kunst noch heute ihre G ü l t i g k e i t . Die Bezeichnungen h a b e n sich jedoch im Verlauf d e r Entwicklung der klassischen A r c h ä o l o g i e g e w a n d e l t u n d sind präziser g e w o r d e n . Das große Verdienst W i n c k e l m a n n s ist es, d a ß er d i ' f o r m a l e n Spezifika einer j e d e n Stilepoche sehr t r e f f e n d zu beschreiben wußte

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T/fe/ von Winckel­

manns Hauptwerk

u n d somit d e r K u n s t a r c h ä o l o g i e u n d d e r Kunstwissenschaft ü b e r h a u p t ein b e d e u t e n d e s I n s t r u m e n t a r i u m schuf. Eine wichtige Voraussetzung w a r e n d a f ü r seine a n a l y s i e r e n d e n Beschreibungen, die a l l e wesentlichen M o ­ mente des j e w e i l i g e n Kunstwerkes erfaßten.

A n h a n d von T e r r a k o t t a p l a s t i k soll die A u s s t e l l u n g e i n e n Überblick ü b e r die Stilentwicklung d e r griechischen Kunst vermitteln. D e m Betrachter w i r d hier die Entwicklung von d e n einfachen, g r o ß f l ä c h i g m o d e l l i e r t e n Figuren der Archaik über die Hochklassik mit ihren von innerer W ü r d e und H a r m o n i e erfüllten Pla­

stiken u n d ü b e r d i e a n m u t i g e n D a r s t e l l u n g e n d e r Nachklassik bis zu d e n le­

b e n d i g e n , zum Teil fast verspielten S t a t u e t t e n des Hellenismus vorgeführt. Zur

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Charakterisierung der stilistischen Spezifika bediente sich Winckelmann auch mancher Münzdarstellungen, vor allem zu Epochen, für die Werke der Groß­

plastik noch unbekannt waren. Deshalb präsentiert die Ausstellung an dieser Stelle eine kleine Auswahl griechischer Münzen. Weiterhin wird an fünf Exem­

plaren ein kleiner Überblick über die stilistische Entwicklung der Vasenkunst ge­

boten. Die Vasenmalerei nimmt in der griechischen Kunst einen hohen Rang

Pelike, rotligurig, apulisch um 340 v.

u. Z.

Blick in den siebenten Ausstellungsraum:

Beispiele griechischer Terrakottaplastik, Münzdarstellung und Vasenkunst lassen die Entwicklung der Stile erkennen.

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ein. Für uns stellt sie außerdem einen Ersatz für die verlorengegangenen gro­

ßen Gemälde dar. Winckelmann war einer der ersten, der in seiner Kunstge­

schichte aufgrund stilistischer Erwägungen auf den griechischen Ursprung der bisher für etruskisch angesehenen Vasenkunst verwies.

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