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Lifestyle als Motor der Projektentwicklung

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Academic year: 2022

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Diplomarbeit

Lifestyle als Motor der Projektentwicklung

ausgeführt zum Zwecke der Erlangung des akademischen Grades einer Diplom-Ingenieurin unter der Leitung von

Univ. Prof. Dipl.-Ing. Arch. Dietmar Wiegand

E 260

Institut für Städtebau, Landschaftsarchitektur und Entwerfen Fachbereich Projektentwicklung und –Management

eingereicht an der technischen Universität Wien Fakultät für Architektur und Raumplanung

von

Elisabetta Meneghini 9126874

Rhigasgasse 2/7/236 1170 Wien

Wien, am 08.03.2010

_________________________________

http://www.ub.tuwien.ac.at

The approved original version of this diploma or master thesis is available at the main library of the Vienna University of Technology.

http://www.ub.tuwien.ac.at/eng

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Erklärung

Ich versichere, dass ich die Diplomarbeit selbstständig verfasst, andere als die angegebenen Quellen und Hilfsmittel nicht benutzt und mich auch sonst nicht unerlaubter Hilfe bedient ha- be und dass ich diese Diplomarbeit weder im In- noch im Ausland in irgendeiner Form als Prüfungsarbeit vorgelegt habe.

Wien, am 08.03.2010

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Mein Dank gilt

meinen Betreuern:

Univ.-Prof. Dipl.-Ing. Arch. Dietmar Wiegand Univ. Ass. Mag. rer. soc. oec. Marijana Sreckovic

für die stets freundliche und kompetente Beratung bei der Verfassung dieser Arbeit

meinem Interviewpartner:

Marc Baumüller

sowie

meinen Geschwistern und meinen Freunden, speziell

Herrn Franz Ebner für die große Hilfe bei der Korrektur der Arbeit

und insbesondere

Herrn Dipl.-Ing. Markus Heiler

für die fortdauernde Unterstützung während meines Studiums

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1 EINLEITUNG ... 7

1.1 Vorwort ... 7

1.2 Aufgabenstellung ... 8

1.3 Vorgehen ... 10

1.4 Aufbau der Arbeit ... 11

2 ANNÄHERUNG AN DIE BEGRIFFE LEBENSSTIL UND MILIEU ... 12

2.1 Begriffsbestimmungen und Definition des Lebensstils... 12

2.2 Definition von Milieu ... 13

2.3 Die Anfänge der Lebensstilforschung ... 14

2.4 Allgemeine Eigenschaften des Begriffs Lebensstil ... 15

2.5 Ansätze in der modernen Lebensstilforschung ... 16

2.6 Die soziale Ungleichheit als Ausgangspunkt der Milieubildung ... 21

2.7 Milieu und Raum: soziale und räumliche Ungleichheit ... 25

2.8 Lebensstilrelevante Merkmale sozialräumlicher Ungleichheit ... 28

2.9 Lebensstil als (Handlungs)raum ... 28

2.10 Abschließende Betrachtung ... 30

3 GRUNDLAGEN DER IMMOBILIENPROJEKTENTWICKLUNG ... 33

3.1 Definitionen ... 33

3.1.1 Immobilie ... 33

3.1.1.1 Besonderheiten der Immobilie als Wirtschaftsgut ... 34

3.1.2 Projektentwicklung ... 35

3.1.2.1 Typen und Ziele von Real Estate Development ... 36

3.1.3 Wertschöpfung ... 37

3.1.4 Kompetenzen für die Projektentwicklung ... 37

3.2 Beteiligte in der Projektentwicklung ... 38

3.2.1 Die Akteure ... 38

3.2.2 Klassifizierung von Anbieter von Projektentwicklungen ... 41

3.3 Phasen und Prozessen des Lebenszyklus von Immobilien ... 42

3.3.1 Phasen des Lebenszyklus von Immobilien ... 42

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3.3.2 Prozesse im erweiterten Begriff der Projektentwicklung ... 44

3.4 Ausgangssituationen ... 47

3.5 Betreiberimmobilien ... 48

3.6 Perspektivplanung und Projektinitiierung... 49

3.7 Facilities Development ... 50

3.8 Life Cycle ... 51

3.9 Die Systemtheorie ... 51

3.9.1 Das systemische Management ... 53

4 GRUNDLEGENDES IM VORFELD ... 55

4.1 Das Gerüst der Fallstudie: das Erfassungsschema und seine Ziele ... 55

4.2 Brachgefallene Immobilien ... 61

4.3 Denkmalpflege und Industriebau in Hessen ... 62

4.4 Immobilienbranding ... 64

5 LEBENSSTILBEZOGENE PROJEKTENTWICKLUNG „KLASSIKSTADT“ FRANKFURT ... 66

5.1 Die räumliche und soziale Makro- und Mikroumgebung ... 67

5.2 Der Nährboden der Idee ... 75

5.3 Zieldefinition „Erfolg“ und das Konzept zu dessen Erreichung ... 75

5.4 Showtime: der Ablauf der Projektentwicklung ... 77

5.4.1 Die Besetzung ... 77

5.4.2 Die Handlung: das Zusammenspiel von Situationen und Menschen ... 79

6 SCHLUSSFOLGERUNGEN ANHAND DES KONKRETEN BEISPIELS ... 83

ANHANG

LITERATURVERZEICHNIS... 98

ABBILDUNGS- UND TABELLENVERZEICHNIS ... 106

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6

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7

1.1 Vorwort

Der rasche gesellschaftliche Wandel der letzten Jahrzehnte und die damit verbundenen so- zialen Phänomenen haben in vielen Lebensbereichen große Umgestaltungen herbeiführt.

Davon betroffen sind nicht nur die soziale Strukturen, die Wirtschaft und die Politik, sondern auch die verschiedensten Gebiete des Alltagslebens.

Als maßgeblicher Indikator für bereichsübergreifende Veränderungen hat der Lebensstil im- mer höhere Bedeutung erlangt. Die Beobachtung des sozialen Verhaltens von Einzelnen und Gruppen im Umgang mit ihrer Umgebung und die Untersuchung deren Entwicklungen geben Aufschluss über zahlreiche gesellschaftsrelevante Themen. Das ermöglicht eine interdiszip- linäre Anwendung in unterschiedlichen Bereichen, wo sich die Ergebnisse der Lebensstilfor- schung als valides Instrument zur Herausbildung gezielter, zeitgemäßer Arbeitskonzepte erwiesen haben.

In den letzten Jahren hat die Lebensstilforschung auch im Bau- und Immobilienbereich ihren Einzug gehalten. Eine Immobilie ist ein komplexes Erzeugnis, dessen Rentabilität bzw. Ver- käuflichkeit von zahlreichen Faktoren beeinflusst wird, wie z.B. Finanzierung, Kosten, Stand- ort, Ressourcen, Bestand, Marktsituation, Funktion, Nutzung, Gestaltung, Steuerproblematik, Baurecht, technische bzw. rechtliche Beschränkungen (z.B. Altlasten, Auflagen vom Denk- malpflegeamt), Wertsteigerung, Unterhaltungskosten, wirtschaftliche Entwicklung u.v.m. 1. Durch Mithilfe der Lebensstilforschung werden die gesellschaftlichen Prioritäten- und Inter- essenverlagerungen befolgt, um die daraus erkennbaren Wohntendenzen und -präferenzen der Immobiliennutzer in die Planung einfließen zu lassen. Ziel ist die Optimierung des End- produktes „Immobilie“ auf der Basis der Bedürfnisse der Nutzer und in Bezug auf die aktuelle Marktlage, um die Entwicklung einer Immobilie, welche Nachhaltigkeitsansprüchen gerecht wird, zu erzielen.

Es geht also darum, alle maßgebenden Faktoren der Projektentwicklung zu erkennen, ihre Wichtigkeit für das Vorhaben richtig einzustufen und ihre Wechselwirkungen zu durchschau- en, um Synergien zu bewirken. Eine bedeutsame Stellung in diesem Prozess kommt dem gesamten Projektmanagement zu, d.h. der „Gesamtheit von Führungsaufgaben, -organisation, -techniken und -mitteln für die Abwicklung eines Projektes“ 2, und insbesonde-

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re seinem Sonderbereich „Projektentwicklung von Immobilien“, innerhalb dessen die Kon- zeption und Erstellung der Projekte angesiedelt sind. Ihre Aufgabe ist einerseits die Vorberei- tung von meist umfangreicheren Bauprojekten, andererseits aber auch die Vermarktung der dabei entstehenden Immobilien. Die von Prof. K.W. Schulte geprägte, allgemein anerkannte Bezeichnung der „Projektentwicklung als Motor der Immobilienwirtschaft“ entspricht am ehesten dem Wesen dieses Faches.

Der Titel der vorliegenden Arbeit („Lifestyle als Motor der Projektentwicklung“) bezieht sich bewusst auf die o.a. Aussage und möchte die Bedeutung der verschiedenen Lebenseinstel- lungen und -bedürfnisse von Immobiliennutzern und ihren Einfluss auf den Planungs- und Bauprozess thematisieren. Die Gesinnung des Einzelnen und von Gruppen zum eigenen Lebensraum wird u.a. durch Bekleidung, Lebenshaltung, Wahl der Ernährung und nicht zu- letzt durch die Wohnart zum Ausdruck gebracht. Es ist also durch den Konsum von Gütern – und Kultur –ersichtlich, dass das Individuum die Manifestation der eigenen Identität in der Gesellschaft erlangt 3. Wenn man eine Immobilie als ein Konsumgut betrachtet, durch das es ein bestimmtes Image zu äußern gilt, fällt also der Zusammenhang zwischen dem Begriff

„Lebensstil“ und die Entwicklung, Errichtung und Erhaltung von Immobilien durchaus signifi- kant aus.

1.2 Aufgabenstellung

Aufgrund ihrer baulichen und sozialen Dichte ist die Stadt der Ort, wo die von der Moderni- sierung vorangetriebene Pluralisierung der Lebensformen am deutlichsten zum Vorschein kommt. Der wirtschaftliche und gesellschaftliche Strukturwandel zeigt sich im steigenden Bedürfnis nach zeitgemäßen Typologien des innerstädtischen Wohnens und Arbeitens. Die- sem Anliegen zufolge wurden „Managed Mixed-use developements“ - neue Konzepte für die Projektentwicklung von Betreiberimmobilien – erarbeitet und in der Praxis immer breiter an- gewendet. Betreiberimmobilien sind Immobilien, die eigens für die Nutzung durch eine spe- zielle Branche von Betrieben entwickelt werden. Der Besitzer vermietet oder verpachtet sie an einen einzigen Betreiber, der für die Bewirtschaftung in eigener Regie verantwortlich ist.

Betreiberimmobilien sind zum Beispiel Sportanlagen, Bäder, Freizeitparks, Kinos, Theater, Hotels, gastronomische Einrichtungen, Parkhäuser, Tankstellen, Kliniken, Rehabilitationsein- richtungen, Seniorenheime, Bahnhöfe oder Flughäfen 4.

Unter Mixed-use versteht man die Unterbringung von unterschiedlichen Nutzungen in einer einzigen Immobilie. Das bedeutet etwa eine Kombination von Wohnen, Handel, Gewerbe, Produktion, Büros und Institutionen, welche in der Lage sind, Synergieeffekte zwischen den

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verschiedenen Nutzungen und Branchen hervorzurufen. Es gibt kein allgemeingültiges Re- zept für ein gelungenes mixed-use development: die jeweilige Zusammensetzung der Aktivi- täten ist immer standort- und zeitraumbezogen und setzt eine gründliche Machbarkeitsanaly- se voraus.

Zu den Erfolgsfaktoren eines solchen Gesamtkonzepts gehören beispielsweise die Wahl des Standorts, die richtige Mischung aus bereits gut absetzbaren und neuen (spezialisierten) (Nischen-)Produkten, das Vorhandensein frequenzorientierter Angebote, die räumliche Nähe der verschiedenen Branchen sowie die Verkehrslage des Standorts (Erreichbarkeit).

Eine wichtige Rolle für die Akzeptanz seitens der Nutzer spielt auch die Berücksichtigung der neuen Lebensstilorientierung der Gesellschaft und ihrer Bedürfnisse. Optimalerweise sollte so ein Projekt auch die Fähigkeit der Neuorientierung und Umnutzung bei Umbruchlagen unter Beachtung eines möglichen Leerstands aufweisen 5.

Die geeignete Mischung von Nutzungen und/oder Funktionen bewirkt die Verringerung der räumlichen Trennung und folglich die Verminderung der dazu gebundenen Verkehrsbedürf- nisse (erzwungene Mobilität).

Gemäß den jüngsten Trends spielt die wirtschaftliche und soziale Nachhaltigkeit eines jedes Bauvorhabens eine immer wichtiger werdenden Rolle, daher werden Projektentwicklungen nicht nur in Form von Einkaufszentren auf der grünen Wiese realisiert, sondern auch in au- ßer Gebrauch geratenen Bestandsimmobilien, wie Industrie- und Gewerbearealen – so ge- nannte Industriebrachen - in innerstädtischen oder innenstadtnahen Lagen. Projektentwick- lungen unter Einbeziehung von Nutzungsmischungen sind imstande, ein Bauwerk nicht nur wiederzubeleben, sondern vielmehr die Lebensqualität seines Standortes bedeutend positiv zu beeinflussen.

Obwohl die Umsetzung solcher Entwicklungen häufig durch verschiedene Faktoren er- schwert wird, wie z.B. die Notwendigkeit großer finanzieller Aufwände in der Aufbesserung und Erhaltung der Bausubstanz, ökologische Altlasten, hohe Denkmalschutzanforderungen, oder die ungünstige Widmung von Flächen und Gebäuden, geht doch die heutige Tendenz in Richtung Sanierung und Neunutzung ehemaliger Industrieareale anstatt, wie bis vor eini- gen Jahren, Neubau von großen Projekten in Stadtrandlage.

Immobilien mit industrieller Vergangenheit gelten als besondere Anreize in einem städti- schen Kontext und, wenn adäquat entwickelt, können zur Bereicherung des Branchenmixes der Innenstadt beitragen. Diese Besinnung ist durch mehrere Faktoren geprägt, wie z.B. den ökologischen Gedanken in Bezug zum Flächenverbrauch, aber auch die Überlegung, dass das Verschwinden historischer Bauwerke, welche einen wesentlichen Bestandteil der lokalen Kulturlandschaft darstellen, einen Verlust für die Identität eines Ortes in sich birgt. Die Sanie- rung und Revitalisierung aufgelassener Industrie- und Gewerbeflächen kann sich hingegen

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sehr positiv auf das Fortleben des „genius locis“ des jeweiligen Standortes, auf die Belebung von Innenstädten, auf die Beschäftigungslage am Platz und ggf. auf eine neue Imagebildung von Stadtgebieten sowie auf die Entwicklung eines Verbundenheitsgefühl der ansässigen Bevölkerung zu ihrem Wohnort auswirken.

Bestandsimmobilien können also wichtige Träger der erfolgreichen Entwicklung von Nut- zungskonzepten werden, die zum Wachstum eines Standortes bedeutend beisteuern.

Zur Vertiefung dieses Themas wurde dem Fachbereich Projektentwicklung der TU Wien vom Deutschen Seminars für Städtebau und Wirtschaft (DSSW) der Auftrag erteilt, Fallbeispiele zu Potenzialen von größeren Innenstadtentwicklungsprojekten und Mischnutzkonzepten zu erforschen.

1.3 Vorgehen

Anhand von am Fachbereich für Projektentwicklung der TU Wien in Zusammenarbeit mit der Schweizer redKG entwickelten Prozessen sollen im Rahmen dieser Arbeit die „Logiken“ bzw.

„Gesetzmäßigkeiten“ des Projektentwicklungsprozesses dargestellt und dadurch veran- schaulicht sowie deren praktische Anwendung auf ein konkretes Beispiel aufgezeigt wer- den. Besondere Aufmerksamkeit soll dabei dem Blickpunkt von Projektentwickler/innen ent- gegengebracht werden.

In diesem Zusammenhang wurde ein ausgewählter Studienfall entsprechend den Zielen des Projektes durchleuchtet und analysiert. Es handelt sich dabei um die Projektentwicklung ei- nes Dienstleistungszentrums mit Schwerpunkt Oldtimer Fahrzeuge und deren Welt in einem denkmalgeschützten Gebäude im östlichen Teil von Frankfurt am Main. Das Projekt wird voraussichtlich im Jahr 2010 unter dem Namen „Klassikstadt“ seinen Betrieb aufnehmen.

Die Ergebnisse der Untersuchung werden schrittweise in einem eigens dafür entwickelten und vom Fachbereich Projektentwicklung der TU Wien zusammen mit dem DSSW im Laufe der Arbeit stetig optimierten Erfassungsschema eingetragen (siehe dazu Kapitel 4, Punkt 4.1

„Das Gerüst der Fallstudie. Das Erfassungsschema und seine Ziele „).

Grundlage dafür bilden sowohl das Interview mit Herrn Baumüller, dem Hauptakteur des genannten Projekts als auch öffentlich zugängliche Daten wie Bücher, Publikationen ver- schiedenster Art sowie aus dem Web abrufbare Inhalte. Der Evaluierung der somit zusam- mengetragenen Informationen folgen die Ermittlung und die Gewichtung der Faktoren, die zum Erfolg des Projekts beigetragen haben oder aber sich für dessen Entwicklung als kri-

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tisch erwiesen haben. Im letzten Schritt gilt es, die Schlussbetrachtung der gewonnenen Er- kenntnisse durchzuführen.

1.4 Aufbau der Arbeit

Die Arbeit unterteilt sich in sechs Kapitel. Im ersten Kapitel werden die Aufgabe und die Ziel- setzung darlegt. Das zweite Kapitel behandelt die Definition der Begriffe „Lebensstil“ und

„Milieu“. Im dritten Kapitel werden die Grundlagen der Immobilienprojektentwicklung erläu- tert. Das vierte Kapitel erklärt das Instrument der Fallstudie, das vorab genannte Erfas- sungsschema sowie die Grundbegriffe des behandelten Studienfalls. Im fünften Kapitel wird der Studienfall „Klassikstadt“ beschrieben und analysiert. Die Ergebnisse und die Überle- gungen werden im sechsten Kapitel zusammengefasst. Im abschließenden Anhang werden noch Literatur- und Abbildungsverzeichnis sowie sonstige Quellen angeführt.

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MILIEU

2.1 Begriffsbestimmungen und Definition des Lebensstils

Der Begriff Lebensstil (Lifestyle) bezeichnet das charakteristische unverwechselbare Gefüge der spezifischen, untereinander verschiedenen kulturellen und subkulturellen Verhaltens- muster und Handlungsweisen, welche im Alltagsleben einzelner Personen oder einer Gruppe im Umgang mit ihrem Umfeld zu erkennen sind. Dabei werden Orientierungen, Deutungen, Geschmackspräferenzen, Handlungen und Interaktionen, die aufeinander bezogen sind, von kulturellen Regeln bestimmt.

In der modernen Forschung herrscht keine Übereinstimmung über die Faktoren, die als maßgebende Kriterien für die Entstehung von Lebensstilen gelten. Aller Ansätze gemeinsam ist jedoch die Betrachtung des Lebensstils als eine „typische unverwechselbare Struktur von im Alltagsleben sichtbaren Verhaltensweisen bei Individuen oder Gruppen“ 1.

Die Entstehung des Lebensstilbegriffes wird häufig mit dem religionsbezogenen Werk des deutschen Soziologen Max Weber (1864-1920) in Verbindung gebracht, der ihn vom Begriff

„Lebensführung" abgeleitet hat, um seine Theorie der Gliederung der Gesellschaft in Klassen - die ökonomisch bestimmt sind –, Parteien -welche auf politische Macht bezogen sind - und Stände - die eine soziale Ordnung beschreiben - darzulegen.

Jede dieser Gruppierungen wird durch Ehre, Prestige und Bildung geprägt. Weber legt den Ständen eine charakteristische Standesehre bei, die sich in einer „spezifisch gearteten Le- bensführung“ äußert und die als gemeinsame Eigenschaft aller Standesangehörigen zu be- trachten ist. Als „Alltägliche Lebensführung“ wird der „Zusammenhang aller Tätigkeiten von Personen in ihren verschiedenen Lebensbereichen“ (Erwerbsarbeit, Familie, Freizeit, Bildung usw.) definiert. Darunter versteht man das standesgemäße Leben des Individuums, d.h. die Anpassung (oder eben nicht) an die Konventionen der Gesellschaft, in der dieser eingebettet ist. Das umfasst sowohl seine Handlungen als auch die Verwendung bestimmter Modalitäten zur Darstellung seiner Identität in der Gesellschaft, wie zum Beispiel Ess- und Trinkkultur, Mode oder Wohnkultur. Solche Ritualisierungen führen zu einer „Stilisierung des Lebens“.

Diese letzte Definition beschreibt die ritualisierten Handlungen, während die Definition „Le- bensführung“ sich mehr auf den handelnden Menschen bezieht. Beide sind Ausdruck der ständischen Lage 2.

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Der Lebensstil hat nicht allein die Funktion, die Zugehörigkeit und die Identität eines Indivi- duums zu bezeugen, er fungiert auch als Abgrenzung zu anderen Lebensstilen, d.h. zu an- deren Gruppen und Schichten und dient innerhalb der Statusgruppe als "Mittel und Strate- gie" 3 z.B. zur Knüpfung von sozialen Kontakten. In der moderne Sozialforschung wurden Klassen- und Schichtmodelle, die aufgrund der tiefgreifenden gesellschaftlichen Struktur- wandlungen zur Sozialstrukturanalyse nicht mehr geeignet erschienen, durch die Lebensstil- und Milieuforschung abgelöst, wobei das gemeinsame Ziel von beiden Näherungsmethoden die Abgrenzung von Großgruppen ist 4.

Lebensstile stehen für fein differenzierte Raumnutzungsmuster: im gegenwärtigen Sprach- gebrauch werden mit dem Begriff „Lebensstil“ eine Vielzahl von Verhaltensweisen und Hand- lungen in Verbindung gebracht, viele davon berufen sich auf ethische Hintergründe. Darunter sind beispielweise LOHAS zu erwähnen: „Lifestyle of Health and Sustainability“ (Lebensstil für Gesundheit und Nachhaltigkeit). Das Akronym bezeichnet eine Art von Konsumenten, deren Konsumverhalten auf Gesundheit und Nachhaltigkeit bedacht ist.

Nicht zuletzt dank des viel erachteten Werkes des französischen Soziologen und Klassen- theoretikers Pierre Bourdieu (1930-2002) wird in der heutigen Umgangssprache der Begriff Lebensstil weitgehend den Bereichen des Privatlebens und der Freizeitsphäre zugeordnet und bezeichnet eine typische Art und Weise der Lebensführung, die Befolgung derer - oft- mals ungeschriebenen - Regeln des Verhaltens und der Selbstdarstellung als Voraussetzung für die Akzeptanz in der Gruppe gilt.

Mit der Verlagerung der sozialen Aufmerksamkeit auf die aus dem globalen Wandel entste- henden Thematiken und Phänomene ist in den letzten Jahren die Relevanz der Lebensstil- und Milieuforschung auch im Bau- und Immobilienbereich immer größer geworden. Es reicht zu erwähnen, wie dieser sich durch geänderte Mobilitätsmuster auf städtische Räume und Berufsmilieus auswirkt, welche wiederum die Wohn- und Arbeitsgewohnheiten der gesamten Gesellschaft beeinflussen 5.

Schlussendlich werden Immobilen doch für Menschen gebaut, deren Ansprüche an die Wohn- und Nutzqualität in ständigem Wandel sind, daher spielt im Immobilienentwicklungs- prozess die Einstellung der Nutzer eine immer wichtiger werdende Rolle.

2.2 Definition von Milieu

In soziologischer Hinsicht fasst der Milieubegriff Menschengruppen zusammen, die sich be- züglich ihrer spezifischen Werthaltungen, Grundsätze der Lebensgestaltung sowie Interak- tionen mit Mitmenschen ähneln und durch erhöhte Binnenkommunikation geprägt sind. Die

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Werthaltungen und Lebenseinstellungen von Individuen und von Gruppen werden von Merkmalen wie dem Grad der Ausbildung, der Höhe des Einkommens und der Berufsstel- lung stark beeinflusst.

„Diejenigen, die dem gleichen sozialen Milieu angehören, interpretieren und gestalten ihre Umwelt in ähnlicher Weise und unterscheiden sich dadurch von anderen sozialen Milieus“ 6, so der deutsche Soziologe Stefan Hradil (1946).

Mit „Milieu“ ist also das besondere soziale Umfeld gemeint, in dem eine Person aufwächst oder in dem sie lebt. Laut Hradil: „Soziale Milieus sind verankert auf der Ebene der grundle- genden Werthaltungen und Einstellungen: unter sozialen Milieus werden Gruppen Gleichge- sinnter mit ähnlichen Konstellationen von Werthaltungen und Einstellungen verstanden.“ 7 Soziale Schichtzugehörigkeit setzt allerdings nicht unbedingt auch die Zugehörigkeit zum selben Milieu voraus: vielmehr kann man charakteristische Unterschicht-, Mittelschicht- und Oberschicht-Typologien ausmachen, innerhalb derer wiederum mehrere Milieus zum Teil sozialschichtübergreifend parallel bestehen. 8

Auch ist die Milieuzugehörigkeit keine starre, unveränderbare Lage: die im Leben eines Menschen auftretenden Umgestaltungen können doch bewirken, dass die Werthaltungen eines Individuums sich von einem Milieu zu einem anderen verlagern.

Die zeitgenössische Lebensstilforschung behauptet, dass die Individualisierung der Lebens- stile und die Entwicklung zahlreicher Orientierungs- und Handlungsmuster eine Entkoppe- lung der vormals engen Verknüpfung zwischen sozialer Lage und Milieu bewirken. Der Be- griff „soziale Lage“ beschreibt das Vorhandensein von Lebens- und Handlungsbedingungen, die als Chancen der Lebenszielerrichtung dienen 9 und somit zu den individuell verfügbaren Ressourcen zählen.

2.3 Die Anfänge der Lebensstilforschung

Max Weber’s Denkansatz der Lebensführung verbreitete sich in den USA zuerst unter der Benennung „Style of Life“, aus der später „Lifestyle“, Lebensstil wurde 10. Seine Überlegun- gen werden von zahlreichen Forschern auf weitere Fachgebiete übertragen, um dadurch zu versuchen, die Prozesse der sozialen Differenzierung und Ungleichheit zu ermitteln. Ge- schichtlich kann man zwischen der soziologischen und der psychologischen Lebensstilfor- schung unterscheiden: beide Forschungsrichtungen wurden bereits von Webers zeitgenössi- schen Wissenschaftlern in Angriff genommen.

Der deutsche Philosoph und Soziologe Georg Simmel (1858-1918) z.B. verweist auf die Bedeutung des Begriffes „Stil“ bzw. „Lebensstil“ im Zusammenhang mit sozialer Differenzie-

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rung. Sein Werk wird vor allem im Bezug auf die Individualisierungsthese zitiert. In seinem Buch "Philosophie des Geldes", wo der Begriff „Lebensstil“ zum ersten Mal in einem wissen- schaftlichen Kontext verwendet wird, beschreibt er die Entstehung der Pluralisierung der Lebensstile und die durch die Geldlogik vorangetriebene Differenzierung. Dies ruft sowohl die Chance zur Wahlfreiheit unterschiedlicher Lebensstile hervor als auch den Zwang zur Individualisierung 11.

Fast zur gleichen Zeit hielt der Ausdruck Lebensstil seinen Einzug auch im Gebiet der Psy- chologie. Der österreichische Arzt und Psychologe Alfred Adler (1870-1937) wandte ihn zum ersten Mal in Bezug auf die individuelle Ausformung der Persönlichkeit des Menschen an. Im Gegensatz zur Soziologie, wo es um Gesellschaften/Kulturen, Klassen oder Schich- ten, Status- oder Berufsgruppen, Familien oder Haushalte oder um Kommunen und Wohn- gemeinschaften geht, werden in der Psychologie nur einzelne Personen betrachtet. Die von Adler gegründete Individualpsychologie meint die unteilbare Einheit von Körper, Seele und Geist des Individuums und bezeichnet die typische Finalität eines Individuums durch seinen Lebensstil. Laut Adlers Lehre bilden sich Persönlichkeit und Charakter im Zusammen- und Gegenspiel mit der sozialen Umwelt, das ganze seelische Geschehen ist darauf ausgerich- tet, einen Platz in der Gemeinschaft zu finden. In seinem Streben nach Vollkommenheit und Akzeptanz bearbeitet jeder Mensch für sich, weithin unbewusst, eine Verhaltensstrategie, die er für geeignet hält, um seine Endziele zu erreichen. Diese berücksichtigt sowohl die Mei- nung von sich selbst (das sogenannte Selbstkonzept) als auch die selbstauferlegten Ziele und die eigene Weltanschauung. Die Gemeinschaft ist andererseits zu ihrer Entwicklung und Erfüllung auf das Individuum genauso angewiesen, wie das Einzelne zu seiner Selbstentfal- tung die Gemeinschaft braucht; dadurch können allerdings auch Widersprüche zwischen individuellen Bedürfnissen und gesellschaftlichen Anforderungen entstehen.

2.4 Allgemeine Eigenschaften des Begriffs Lebensstil

Sowohl in der soziologischen als auch in der psychologischen Lebensstilforschung gibt es die gleichen formalen Ansätze, die insgesamt die fünf folgenden Merkmale enthalten12, 13:

1. Die Ganzheitlichkeit

Ihre verschiedenen Elemente ergeben für die Individuen ´ein Ganzes’ und machen subjekti- ven Sinn.

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2. Die Freiwilligkeit

Die Möglichkeit zur Wahl eines Lebensstils muss gegeben sein.

3. Der identitätsstiftende Charakter

Der „Charakter“ muss den Lebensstil typisch prägen; dadurch entsteht eine spezifische, sub- jektive oder gemeinsame Identität, was auch "Eigenart" bzw. "Stil" genannt wird, da sich In- dividuen oder Gruppen mit einem bestimmten Muster der Lebensführung identifizieren.

4. Die Verteilung der Stilisierungschancen

Diese hängt vom Werte- und Normensystem in der Gesellschaft ab. Je höher der gesell- schaftliche und materielle Wohlstand ist, desto größer ist die Wahlfreiheit für einen Lebens- stil.

5. Die Verteilung der Stilisierungsneigung

Da kann man einen gesellschaftlichen und einen individuellen Aspekt erkennen. Was die Wahl der Lebensstile betrifft, hat die Oberschicht der modernen Gesellschaft - aufgrund ihres größeren finanziellen Wohlstands - auch mehr Freiheiten als die Unterschicht, deren Le- bensbedingungen oft maßgeblich durch ihren geringen materiellen Wohlstand geprägt sind.

Vom individuellen Standpunkt aus hängt die Stilisierungsneigung vom Alter und vom Ge- sundheitszustand des betrachteten Subjekts ab, weil Mobilität und Wirkungsbereich von die- sen Faktoren beeinflusst werden 14. Die vorab angeführten Faktoren werden allerdings im Rahmen der beiden o.g. Konzeptionen ungleich gewichtet, so dass die daraus resultierenden Ausgangspunkte untereinender beträchtlich unterschiedlich sind.

2.5 Ansätze in der modernen Lebensstilforschung

Die Verhaltensmuster, welche die verschiedenen Lebensstile zum Ausdruck bringen, können von differenten Blickpunkten aus mit unterschiedlichen Ergebnissen betrachtet werden: die wichtigsten Ansätze stammen aus den Bereichen der Psychologie, der Soziologie und der Marketing- und Konsumforschung 15.

Im Allgemeinen kann man zwei gegenteilige Lagen erkennen. Die eine behauptet, dass die äußeren Lebensumstände eines jeden Menschen – sein Einkommen, sein Bildungsgrad so- wie seine soziale Herkunft - ausschlaggebend für die Herausbildung seines Lebensstils sind 16. Einer der bedeutendsten Vertreter dieser Theorie ist Pierre Bourdieu: seiner Aus- gangsthese nach bilden Geschmackssinn bzw. Kultur die entscheidenden Kriterien, aufgrund

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derer die Gesellschaft in verschiedene Kategorien aufgegliedert wird. Geschmack ist nämlich ein spezifischer Maßstab für Klassenzugehörigkeit, er ist voraussehbar und wird nicht vom Zufall geprägt.

Laut Bourdieu erzeugt die Zugehörigkeit einer bestimmten Klassenlage eine soziostrukturelle Verhaltensdisposition, der sogenannte Habitus, im Menschen. Unter Habitus, ein zentraler Begriff in Bourdieus Werk, ist das Resultat des Lernprozesses zu verstehen, durch den jeder Mensch die Regeln seiner Umwelt empfängt und assimiliert, um sich darin zu integrieren.

Dieser lebensbegleitende Prozess fängt bereits in der frühen Kindheit an und die ersten Le- bensjahre sind dementsprechend prägend für die Lebensausrichtung eines Menschen. Der Habitus stellt einen Maßstab für die Wahrnehmung der eigenen Umwelt dar, daran richtet der Mensch nicht nur seine Handlungen und seine Wertvorstellungen sondern auch den Ausdruck seines Geschmacksinnes, die Gestaltung seines Alltags sowie sein eigenes Er- scheinungsbild und sein Auftreten.

Der Habitus zeigt nicht allein die Angehörigkeit eines Individuums zu der einen oder anderen sozialen Gruppe an: auch seine gesellschaftliche Positionierung wird dadurch dargestellt. In Bourdieus Klassengesellschaft äußert sich im Habitus der Zusammenhang zwischen Klasse und Geschmack.

Die ungleiche Verteilung innerhalb der Gesellschaft der Kapitalsorten ökonomisches Kapi- tal, geprägt von materiellem Besitz und Eigentum, kulturelles Kapital, insbesondere die Bildung, und soziales Kapital, in Form von sozialen Kontakten und Beziehungen, bewirken die Differenzen in den Sitten in den verschiedenen Klassen und die unterschiedliche Teilha- be der Menschen am gesamtgesellschaftlichen Reichtum sowie ihr ungleicher Einfluss auf Entscheidungs- und Gestaltungsprozesse der Gesellschaft.

Die Art jedes Menschen, sich auf seine Umwelt zu beziehen, ist durch seinen Habitus be- dingt und an der Fortführung der bestehenden sozialen Klassenstruktur beteiligt. Durch die Beachtung der klassenspezifischen, ungeschriebenen Verhaltensregeln werden auch die Klassentrennungen aufrechterhalten 17.

Bourdieus Konzept der Klassengesellschaft gründet auf drei Theorien. Neben der Kapital- theorie - welche die von Bourdieu festgestellten Kapitalformen ökonomisches, kulturelles, soziales und dazu symbolisches Kapital in Form von Ansehen verbindet 18 – und der Klas- sentheorie, welche die Gesellschaft in den drei Klassen Arbeiterschaft, Kleinbürgertum und Großbürgertum unterteilt, die sich nach Volumen und Struktur des Kapitals voneinander un- terscheiden, gibt es noch die ästhetische Theorie der Distinktion. Diese analysiert die Hal- tung des Individuums in Hinsicht auf Kultur, Kunst und Bildung bzw. Bildungstitel.

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Zur Erkennung und zur Beschreibung von Lebensstilen muss man nach Bourdieus Theorie an erster Stelle die Art feststellen, wie die kennzeichnenden Merkmale erworben wurden, ob in der Familie – als „Mitgift“ - oder durch die Ausbildung.

In der Folge wird die Wirkungsweise von Bildungstiteln analysiert, welche eine gehobene soziale Stellung bedeuten, weil Personen mit einem Bildungstitel mehr Kompetenz zuge- schrieben wird. Das versetzt wiederum das Individuum mit Titel in eine günstigere Lage ge- genüber seinen weniger gut ausgebildeten Mitmenschen und verhilft ihm zu besseren Be- rufs- bzw. Lebenschancen. Zuletzt muss man die Mechanismen der Distinktion bestimmen und zwar genauer:

• In kognitiver Hinsicht, also die Abgrenzung eines Geschmacks zu anderen Geschmä- ckern.

• In evaluativer Hinsicht, das bedeutet vor allem das "strategische Bedürfnis", besser bzw.

anders zu sein als die anderen.

• In expressiver Hinsicht, d.h. die unbewusste Abgrenzung zu anderen, wie sie sich durch den persönlichen Lebensstil ergibt 19.

In seinem 1979 erschienenen Werk mit dem Titel ´Die feinen Unterschiede’ weist Bourdieu darauf hin, dass Identitätsstiftung in wechselseitiger Beziehung mit Distinktion steht - mit Abgrenzung gegenüber anderen, die Ausgrenzung und Minderung bedeuten kann und daher als Ausdruck von sozialer Ungleichheit aufgefasst werden kann.

Bourdieu ist nicht der einzige Sozialforscher, der sich mit den Entstehungsbedingungen der Lebensstile auseinandergesetzt hat. Die vom deutschen Soziologe Ulrich Beck (1944) in seinem Werk „Die Risikogesellschaft“, 1986 20, entwickelte Gegentheorie der Individualisie- rung sagt aus, dass der strukturelle Gesellschaftswandel die Herauslösung des Individuums aus dem traditionsgeprägten sozialen, materiellen und kulturellen Gesellschaftsgefüge be- wirkt hat. Er bedient sich seiner These der „Individualisierung sozialer Ungleichheit“, um die

„Freisetzung“ des Individuums aus den Sozialformen der industriellen Gesellschaft - Klasse, Schicht, Familie, Geschlechtslagen“ zu thematisieren: demzufolge ist die Bedeutsamkeit des Einzelnen innerhalb der Gesellschaft gestiegen. Nach Beck’s Darstellung verlieren in diesem Prozess horizontale Schichtungen – welche auf Merkmalen wie Alter, Geschlecht oder ethni- scher Herkunft basieren - zunehmend an Gewicht. Dem Verlust an Schutz und Geborgenheit seitens des Standes wird durch die Entstehung der Möglichkeit, sich als Individuum zu be- haupten und bürgerlicher Aufstieg zu gelangen, wettgemacht. Der Lebensstil wird als Pro- dukt der Wahlfreiheit dargestellt.

Am gleichen Ansatz knüpft auch das Werk des deutschen Sozialforschers Gerhard Schulze (1944) an. Seinen wichtigsten Beitrag zur Untersuchung und Erfassung neuer Ungleichheits-

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formen als Teil komplexer sozialer Veränderungen liefert er in seinem Buch „Die Erlebnisge- sellschaft“ 21: Wachsender Wohlstand, bessere Bildung und die zunehmende Befriedigung der Grundbedürfnisse sowie die wohlfahrtsstaatliche Absicherung von Risiken haben die Entkoppelung des Menschen von seinem gesellschaftlichen Gefüge bewirkt und seinen Be- darf an Identitätsbehauptung erhöht. Typische Eigenschaften der Erlebnisgesellschaft sind das ausgeprägte Streben nach einem „schönen Leben“ sowie die Erlebnisorientierung: Maß- gebend für die Entscheidungen über die Gestaltung seines Lebens ist für das Mitglied der Erlebnisgesellschaft der Erlebniswert der verfügbaren Alternativen und die sichtbare Darstel- lung des erreichten Wohlstandes nach außen hin.

Der deutsche Soziologe behauptet, dass in der modernen Gesellschaft die Herausbildung von sozialen Milieus nicht länger durch schicht- und herkunftsbezogene Beziehungsvorga- ben sondern durch die Beziehungswahl erfolgt 22. Faktoren wie Stellung im Wirtschaftspro- zess, Einkommen, Beruf, Bildung usw. scheinen an Bedeutung zu verlieren, solange die Mit- tel zur Sicherung der Präsenz am Erlebnismarkt vorhanden sind, wobei in verschiedenen Milieus auch verschiedene Erlebnismuster existieren. Als Annäherung an diesen Ansatz erarbeitete er ein Milieumodell mit fünf unterschiedlichen Typologien der Freizeitgestaltung, bezogen auf den Lebensstil, die sich voneinander durch Bildung und Alter unterscheiden.

BILDUNG

ALTER

UNTER 40 ÜBER 40

HOCH

SELBSTVERWIRKLICHUNGSMILIEU

NIVEAUMILIEAU

MITTEL INTEGRATIONSMILIEAU

UNTERHALTUNGSMILIEU

NIEDRIG HARMONIEMILIEAU

Abb. 01. Einfache Struktur der Schulze-Milieus

1. Das Niveaumilieu

entspricht am ehesten bildungsbürgerlichen Vorstellungen, wonach es eine strikte Trennung zwischen Hochkultur (E-Kultur) und seichter Unterhaltung (U-Kultur) geben sollte.

2. Das Harmoniemilieu

kommt Vorstellungen vom Unterhaltungsbedürfnis der Arbeiterschicht nahe, das frü- her für Heimatfilme und Volksmusik stand.

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3. Das Selbstverwirklichungsmilieu

ist jenes Milieu, das in Medienberichten oftmals im Mittelpunkt des Interesses steht.

Diesem Milieu werden Hedonismus und Narzißmus zugeschrieben.

4. Das Unterhaltungsmilieu

ist an Spannung und Action interessiert, hier finden sich die Liebhaber von Compu- terspielen und Action-Videos wieder.

5. Das Integrationsmilieu

ignoriert alle Unterschiede zwischen U- und E-Kultur und bemächtigt sich aller Stil- elemente der vorgenannten Milieus 23.

Schulzes Werk versucht, die ermittelte Milieusegmentierung in einem umfangreichen theore- tischen Kontext einzubetten; die „neuen“ Ungleichheitsstrukturen werden von Schulze nicht allein deskriptiv Identifiziert, sondern er unternimmt den Versuch, die hierfür verantwortlichen Mechanismen der Vergesellschaftung zu identifizieren und in ihrer Funktion zu bestimmen.

Dem Stil kommt hier eine besondere Bedeutung zu, weil er neben den Funktionen der Siche- rung des Erlebens und der Abwehr von Unsicherheiten auch die persönliche Identifizierbar- keit sichert 24: die öffentlich gezeigte Selbststilisierung stellt für den Einzelnen ein Mittel der Kommunikation mit dem Rest der Gesellschaft dar.

Schulze unterscheidet drei mögliche Bedeutungsebenen von Stil: Genuss, Distinktion und Lebensphilosophie.

Genuss wird mit positiven körperlichen Reaktionen auf alltagsästhetische Momente in Ver- bindung gebracht und im Allgemeinen als angenehmes Feedback im alltäglichen Leben ge- wertet. Genuss spielt damit eine vorrangige Rolle in der Erlebnisgesellschaft.

Die Bedeutungsebene „Distinktion“ äußert sich in Alltagsgesten, wie z.B. Kleidung oder Fri- sur, welche zu Kommunikationszwecken verwendet werden. Stile sind somit Mittel der Kommunikation: sie verdeutlichen die Identität von Einzelnen und Gruppen, d.h. wer man ist und nicht zuletzt wer man nicht ist, und werden somit zum Distinktionsfaktor. Durch die Dis- tinktion erlangt man sowohl Zugehörigkeit wie auch Abgrenzung und dadurch die Zuweisung eines bestimmten sozialen Raumes. Mit der dritten möglichen Bedeutungsebene von Stil, die Lebensphilosophie, sind die grundlegenden Wertvorstellungen gemeint. 25.

Von der Annahme einer Klassengesellschaft und von einem Klassenhabitus ausgehend, betrachtet Bourdieu unterschiedliche Stile als ein Zeichen von sozialer Ungleichheit; er hält Geschmack weder für eine individuelle Eigenschaft noch für ein Verdienst, sondern gesell- schaftlich konstituiert. Die Grenzen zwischen oben und unten sind noch immer ausgeprägt:

demnach gibt es nur einen „guten“ und einen „schlechten“ Geschmack 26. Die vom Habitus generierten Lebensstile spiegeln die sozialen Verhältnisse und sozialen Strukturen wider,

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von denen sie produziert werden und pflanzen sich in der Gesellschaft fort 27. Das ganze Milieuprinzip wird also als selbstgeneratives Prinzip betrachtet, welches an der Produktion der sozialen Verhältnisse und der sozialen Struktur beteiligt ist bzw. sie stetig reproduziert.

Schulze hingegen schreibt dem Lebensstil nur begrenzt strukturbildenden Charakter zu. Er geht davon aus, dass die Individualisierung der Lebensstile und die Entwicklung zahlreicher Orientierungs- und Handlungsmuster eine Entkoppelung der vormals engen Verknüpfung zwischen sozialer Lage und Milieu bewirkt. Der freien Wahl des eigenen Lebensstils sind in der Tat jedoch Grenzen gesetzt, welche mit den objektiven Lebensumständen zusammen- hängen. Diese wiederum sind u.a. durch ethnische Herkunft, Alter bzw. Älterwerden, Bil- dungsniveau, Beruf, Einkommen, sowie Geschlecht bedingt. Die von Schulze vertretene Auf- fassung berücksichtigt somit nur die Perspektive der Modernisierungsgewinner, die bloß ei- nen Teils der Allgemeinheit bildet und blendet die Bedeutung von sozialer Ungleichheit aus

28, indem sie sich auf eine Frage des Geschmacks verringert 29.

Obwohl die zwei Forscher gegensätzliche Positionen beziehen, erkennen sie beide die Be- deutung von kulturellen Aspekten im Identifizierungsprozess unterschiedlicher sozialer Gruppen und betrachten Stile als Reproduktionsmechanismen der Sozialstruktur 30.

2.6 Die soziale Ungleichheit als Ausgangspunkt der Milieubildung

Der gesellschaftliche Strukturwandel hat einerseits dazu beigetragen, den Menschen von vorgegebenen Verhaltensmustern loszubinden, anderseits hat er das Phänomen der sozia- len Ungleichheit verschärft. Die Pluralisierung der Lebensstile entscheidet darüber, welche Gruppierungen an dem Modernisierungsprozess teilhaben und welche nicht 31.

Soziale Ungleichheit ist keine Erscheinung des modernen Zeitalters, sondern ein Produkt von bewusstem menschlichen Handeln, sowohl in der Vergangenheit als auch in der Ge- genwart 32.

Strukturierte soziale Ungleichheit liegt vor, so Hradil, „wenn Menschen aufgrund ihrer Stel- lung in sozialen Beziehungsgefügen von den ‚wertvollen Gütern‘ einer Gesellschaft regelmä- ßig mehr als andere erhalten“ 33: Sie beschreibt daher Vorstellungen von höher und niedri- ger, mehr und weniger, Vor- und Nachteilen und hängt mit Vorstellungen von Gerechtigkeit zusammen 34. Weiters kann man zwischen „vertikalen“ und „horizontalen“ Formen der sozia- len Ungleichheit unterscheiden 35. Erstere beruhen auf der Gliederung der Bevölkerung nach den drei „alten“ Merkmale materieller Reichtum, Macht und Bildung. Letztere ist besonders bedeutungsvoll, weil sie den Zugang zu sozialen Positionen und den damit verbundenen

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Privilegien ermöglicht. Durch die vorgenannte Gruppierung können die Menschen in einer aus sozialen Schichten bestehenden hierarchischen Skala eingeordnet werden, innerhalb derer Struktur es schon immer drei verschiedene Möglichkeiten der Einstufung gegeben hat:

unten, mitten, oben. Dieser Schichtung entspricht ein allgemein gesellschaftliches Gedan- kengut, das die aufsteigende Wertigkeit der Lagen anerkennt. Demnach ist die obere Schicht mit dem Genuss der meisten Privilegien verbunden, während der unteren Lage die meisten Nachteile vorbehalten bleiben.

Neben diesen klassischen vertikalen Dimensionen der sozialen Ungleichheit werden heute außerdem „neue“ horizontale Ungleichheiten wahrgenommen, welche die Lebensverhältnis- se diversifizieren: Bedingt durch die Pluralisierung und Differenzierung der gesellschaftlichen Sozialstruktur werden traditionelle Haushaltsformen und bewährte Lebensmuster durch zeit- gemäße Konzepte und Verhaltensweisen nach und nach ergänzt, welche aus den neuen Bedürfnissen und Orientierungen der Gesellschaft entspringen. Diese lassen sich durch Merkmale wie Familienverhältnisse, Generation, ethnische und nationale Herkunft, durch Partizipation an die wohlfahrtsstaatliche Umverteilung bzw. Betroffenheit von sozialen Lasten wie auch durch körperliche Eigenschaften wie Alter, Geschlecht und Rasse veranschauli- chen 36. Die heutige Forschung berücksichtigt darüber hinaus Faktoren wie z.B. Wohn-, Umwelt- und Freizeitbedingungen. Aus der „Kreuzung“ von vertikalen und horizontalen Di- mensionen entstehen neue, komplexere Strukturen der sozialen Ungleichheit.

Trotz zunehmender Individualisierung der Lebensstile ist allerdings eine vollständige Ent- kopplung des Lebenswandels der Menschen von traditionellen Schichtkriterien wie sozialer Herkunft und erlebten sozialen Ressourcen noch nicht erreicht worden, und diese üben nach wie vor Einfluss auf die Entwicklung des Lebensstils aus. Grund dafür ist die im Unter- bewusstsein der Gesellschaft noch immer starke Verankerung solcher vertikalen Ungleich- heitsstrukturen, was ihren Ausdruck im besagten Fortbestehen von schichttypischen Le- benschancen und Risiken, Verhaltensweisen, Orientierungen und Interaktionen findet 37.

Mit seinem Konzept der sozialen Lagen und Milieus entwickelte Hradil ein Instrument zur Analyse der sozialen Ungleichheit. "In Untersuchungen des Gefüges sozialer Ungleichheit auf der Grundlage von Klassen- und Schichtkonzepten wird in der Regel davon ausgegan- gen, dass mit bestimmten äußeren Lebensbedingungen mehr oder minder eng bestimmte innere Haltungen (Klassenbewusstsein, Klassenpraxis, schichtspezifisches Denken und Verhalten etc.) einhergehen.“ 38

Hradil erkennt drei verschiedene Arten von „Lebenszielen“, welche von verschiedenen For- derungen und verschiedenen Handlungen charakterisiert sind: die ökonomische, die wohl- fahrtsstaatliche und die soziale. Durch sein Lagenmodell lassen sich objektiv bessere und schlechtere Lebenschancen beschreiben. Er beschildert die Lebensstile als „typische Verhal-

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tensmuster sozialer Gruppierungen“ 39; diese können „sowohl das Produkt objektiver Rah- menbedingungen (...) wie auch subjektiver Leistungen der Menschen sein“ (ebd.). In diesem Zusammenhang sind soziale Milieus die Schnittstellen zwischen dem Lebensstil des Einzel- nen, seinem Verhaltensmuster und seiner sozialen Lage. Das soziale Milieu übt großen Ein- fluss auf die Beziehungen der Akteure zu ihrer Umgebung aus, weil sowohl subjektive Be- weggründe wie auch objektive Bedingungen und Folgen der Handlungen vom diesem maß- geblich gelenkt werden. Zur Bekräftigung seiner Annahmen wendet Hradil die Forschungs- ergebnisse des Sinus-Lebensweltkonzepts an. Es handelt sich dabei um die anerkannte Mi- lieu-Segmentierung des Heidelberger SINUS-Institutes, eine der meist zitierten Arbeiten auf dem Sektor des qualitativen milieu- und lebensweltorientierten Ansatzes.

Abb. 02. Sinus-Milieus

Im Rahmen der Studie, die primär für die Marktforschung bestimmt ist, wurden über einen großzügigen Zeitrahmen umfassende empirische Forschungen betrieben, so dass inhaltsrei- che Schlüsse erreicht werden konnten.

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Abb. 03. Die Sinus-Typologien

Die Ergebnisse der Untersuchung haben sich nicht allein als valides empirisches Instrument zur Marketing-, Meinungs- und Konsumforschung bewährt, sondern bekommen auch in der Diskussion um neue Ungleichheitsformen eine immer größere Bedeutung. Dieser Ansatz weist allerdings auch Schwachstellen auf, wie z.B. die mangelnde Verbindung zum sozial- strukturellen Wandel, sowie seine ausgeprägte Orientierung an Faktoren, die persönlich- keitsbezogen sind.

Die Forscher Ulrich Becker und Horst Nowak begannen 1981 im Auftrag des o.a. Institutes mit der Durchführung einer Untersuchung, um verschiedene Lebensstile zu ermitteln. Durch diese noch laufende Studie, deren Ergebnisse allerdings nur für die Bundesrepublik Deutschland gelten und auf andere Länder und Völker nur bedingt übertragbar sind, entwi- ckelten sie eine Typologie von zehn verschiedenen sozialen Milieus, die sich nach sozialem Status, Alltagsbewusstein und Weltorientierung voneinander unterscheiden: Bis 1990 setzte sich das Sinus-Milieumodell aus acht Milieus zusammen, nach Deutschlands Wiedervereini- gung wurden zwei zusätzlichen Typologien definiert.

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2.7 Milieu und Raum: soziale und räumliche Ungleichheit

Der Begriff der sozialen Ungleichheit beschreibt die nicht gleichmäßige Verteilung von Res- sourcen in der Gesellschaft und die dadurch verursachte unterschiedliche Verteilung von Lebenschancen. „Soziale Ungleichheit“, so Hradil, ist immer vorhanden, wenn Menschen infolge ihrer Stellung im sozialen Beziehungssystem von den „wertvollen Gütern“ der Gesell- schaft regelmäßig mehr als andere bekommen 40.

Die horizontalen „neuen“ Ungleichheitsmerkmale, welche u.a. auch regional oder ökono- misch bezogenen sind, sind in der Tat gar nicht so neu: sie sind weder eine Erfindung des Sozialwandels noch direkte Produkte davon. Neu ist nicht ihr Vorkommen im Alltagsleben, sondern ihr Beachtungsgrad in der Gesellschaft, weil aufgrund der vom Sozialwandel verur- sachten Interessenverschiebungen die vertikale Ungleichheiten ihren Prioritätsstatus verlo- ren haben 41. Infolge der Verbindung von vertikalen und horizontalen Ungleichheitsfaktoren werden neue Strukturen der sozialen Ungleichheit ins Blickfeld gerückt, welche den sozialen Raum um die Perspektive des messbaren Raumes erweitern. Dadurch werden die Zusam- menhänge zwischen dem sozialen Raum und dem Raum im geographischen, regionalen und städtischen Sinn thematisiert 42.

Der Ausdruck der Pluralisierung und der gegenseitigen Abgrenzung moderner Lebensstile wird im städtischen Kontext am deutlichsten. Die Stadt mit ihrer Dichte an unterschiedlichen sozialen Prozessen und Lebensformen ist nämlich der Ort, wo sich die Frage nach dem Um- gang mit der Differenz in modernen Gesellschaften am dringendsten stellt 43 und sie ist mit ihrem vielfältigen kulturellen Angebot ebenfalls der Ort, wo sich die idealen Beobachtungs- verhältnisse für die Erforschung des gesellschaftlichen Strukturwandels anbieten: das Städti- sche besteht aus der Wechselwirkung von kulturellen und ökonomische Faktoren. Durch ihre Eigenschaft, Mehrdeutigkeit und Differenz herzustellen, ist die Kultur von zentraler Bedeu- tung für ökonomische und soziale Prozesse 44. Aus der Untersuchung von städtischen Er- scheinungen wie Suburbanisierung, Verdrängung, Gentrifizierung, residentielle Segregation - Phänomene, welche den Bezug zum Raum beeinflussen - sowie aus der Betrachtung neu entstehender Mobilitätsmuster lassen sich die Ungleichheiten im urbanisierten Raum verfol- gen und darstellen. Der Begriff Lebensstil bekommt dabei eine vorwiegend städtische Di- mension, die sich an einer modernen urbanen Gesellschaft orientiert und davon geprägt wird. Urbanisierung wird durch Geld, Zeit und Raum bestimmt und durch die räumliche und zeitliche Zirkulation des Geldkapitals gestaltet (ebd. S. 78). Laut Simmels Lehre wäre die Entfaltung von Individualisierung und Pluralisierung der Lebensstile, charakteristische Merk- male des Großstadtlebens, ohne die vorherige „Erfindung“ der Eigenschaften „Reservier- theit“ und soziale Distanz gar nicht möglich gewesen. Diese wurden von der städtischen Be-

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völkerung entwickelt, um zu versuchen, sich in der Menschendichte der Stadt der sozialen Kontrolle zu entziehen und dem Wunsch nach persönlicher Freiheit nachzugehen.

Dieses Modell setzt allerdings ein Minimum an materieller Sicherheit voraus: entweder ist der beschriebene Stadtbewohner ökonomisch unabhängig, oder aber werden seine Bedürfnisse und seine Risiken von einem funktionierenden wohlfahrtstaatlichen System abgefedert, was ihm den Verzicht an die Einbindung in ein unterstützendes Netzwerk menschlicher Bezie- hungen - sei dies die Familie, der Freundeskreis oder die Nachbarschaft - erst ermöglicht.

Von Simmels Theorie der „Stadt der Kälte“ mit großem Freiheitsgrad für das Individuum dis- tanziert sich die Chicagoer Schule. Diese in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts gegründete Forschungseinrichtung befasst sich mit soziologischen Untersuchungen im Be- zug auf Phänomene der Stadtökologie und hat ihren Schwerpunkt vornehmlich in der Prob- lematik der sozialen Segregation von Migranten. Die Chicagoer Schule behauptet, die Exis- tenz einer wechselseitigen Übereinstimmung von Milieus und geographischen, begrenzbaren Räumen und betrachtet räumliche Nähe (bzw. residentielle Segregation) als unabdingbares Mittel der sozialen Integration 45: das Wohnquartier wird als Basis der Integration betrachtet, als „warmen Nest“, wo, in der Obhut vom eigenen kulturellen Hintergrund, die „new entries“

sich mit der Kultur, der Sprache und dem Arbeitsmarkt der Großstadt vertraut machen kön- nen. Das Stadtquartier gilt als „Behälter“, innerhalb dessen die Prozesse der sozialer Verge- sellschaftung und Vergemeinschaftung sich vollziehen: die Pflege des sozialen Netzes und der räumliche Bezug (Wohnquartier) sind in der Theorie der Chicagoer Schule grundlegende Bestandteile für das Überleben und die Selbstbehauptung zuerst im eigenen Milieu und dann im Rest der Gesellschaft.

Die innere Gleichartigkeit der Gruppe und ihrer Sozialstruktur wird nach außen hin durch die vor Ort sich entwickelnden Bauweise und Infrastruktur charakterisiert, welche zur Entstehung homogener Stadtgebiete führen (ebd. S.111), sodass auch räumlich ein einheitlicher Ein- druck entsteht.

So wie Simmels Theorie von einer grundlegenden ökonomischen Stabilität der Gesell- schaftsmitglieder ausging, geht auch der Ansatz der Chicagoer Schule von bestimmten Be- dingungen aus: Die Durchführbarkeit ihres Modells wird erst in einer Ökonomie im Auf- schwung möglich, und setzt die Unterstützung von Neuankömmlingen im Vergesellschaf- tungsprozess durch bereits gut integrierte und dazu bereite Landsleute voraus.

Die Chigagoer Schule begreift also das Herkunftsmilieu als eine „Miniaturabbildung“ der ge- samten Gesellschaft, die Vergemeinschaftungs- und Vergesellschaftungsprozesse als ein- heitliche Strukturen, die sich vom Mikromilieu zum Makromilieu hin in jeweils größerem Maßstab immer so weiter wiederholen nach dem Prinzip der russischen Ineinandersteck- Puppen (sog. Matrioschka-Prinzip) und deren Erfolg von ihrer stufenweise Umsetzung ab- hängt.

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Gerhard Schulze nimmt in seinem Werk eine gegensätzliche Position ein, indem er beteuert, dass die soziale Bedeutsamkeit der geographischen und kulturellen Ursprünge und des Wohnumfeldes des Einzelnen in der neuen gesellschaftlichen Raumordnung an Belang ein- gebüßt hat. Seiner These nach findet eine „Entregionalisierung“ von sozialen Merkmalen und Zeichen zunehmend statt: Milieubildung ist in der gegenwärtigen Gesellschaft nicht mehr vom Raum abhängig. Höherer Wohlstand und Individualisierung sowie veränderte Mobili- tätsmuster haben eine höhere Selbstbestimmung des Individuums sowie neue Orientie- rungswerte in der städtischen Gesellschaft eingeführt.

Schulze unterscheidet zwischen „Umgebung“ als Lebensraum des Milieus, was sehr stark mit der Identifikation mit dem Territorium einhergeht und symptomatisch für vorgegebene soziale Beziehungen ist, und „Szenerie“. Diese sind als geeignete Schauplätze für die Selbstdarstellung eingestufte räumliche Orte, welche durch die selektierenden Milieus tem- porär zu Repräsentationszwecken besetzt werden: die Eigenschaften des Milieus lassen sich im gewählten Raum weitertransportieren und der gewählte Raum wirkt identitätsstiftend für die Angehörigen der Gruppe. Die Milieus machen hier von ihrer Freiheit der Beziehungswahl Gebrauch, indem sie neue Ortsbezüge als Bühnen der Selbstinszenierung bestimmen, Orte wie „Kneipen, Diskotheken, Stadtteilzentren, Sportplätze“ stellen heute die neuen Szenerien dar und gewinnen als „Inszenierungsorte“ der Milieus an sozialer Signifikanz. Schulzes Kon- zeption vom Begriff „Raum“ ist rein körperhaft: seine Umgebungen und seine Szenerien so- wie seine milieuneutralen Zonen sind immer mit einem konkreten Ort in Verbindung zu brin- gen. Durch die Auswahl, Eroberung und Behauptung des räumlichen Ortes seitens der Mi- lieus wird der Entwicklungsprozess des Raumes von lebensstilspezifisch unterschiedlichen Nutzungsmustern beeinflusst 46. Es entsteht ein Identifikationsphänomen des Milieus mit dem spezifischen Ort - zum Teil auch nur tageszeitmäßig – und, umgekehrt, der Ort wird mit dem spezifischen Milieu in Verbindung gebracht.

Der Raum der Selbstinszenierung ist nicht allein ein identitätsstiftender geographischer Be- zugspunkt, wo die Mitglieder des Milieus auf Ihresgleichen treffen können, sondern er kann auch als Ausdruck von räumlichen Distanzierungsstrategien und Ausgrenzung anderen Gruppierungen gegenüber betrachtet werden. Indem das Vorhandensein bestimmter Eigen- schaften und Dispositionen als Bedingung für die Akzeptanz in der Gruppe vorausgesetzt wird, werden dem milieubesetzten Raum sowohl einschließende als auch ausschließende Eigenschaften eingeräumt.

Es gibt eine dritte Möglichkeit der Differenzierung des Raumes, und zwar der „Restraum“

zwischen Umgebung und Szenerie. Oft verringern sich Umgebungen, ohne dass Szenerien den abgegebenen Raum zur Gänze füllen können: in diesem Fall bilden sich an dessen Stel- le milieuneutrale Zonen, deren soziale Abläufe nicht durch Gruppierungen sondern durch Einzelne und Institutionen geregelt werden 47.

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2.8 Lebensstilrelevante Merkmale sozialräumlicher Ungleichheit

Wie bereits vorhin erwähnt, werden noch immer zahlreiche gesellschaftliche Verhaltenswei- sen von traditionellen vertikalen Schichtstrukturen – und daher von den klassischen Faktoren Bildung, Einkommen, berufliche Stellung - beeinflusst. Es sind allerdings die horizontale Ungleichheitsmerkmale Alter, Lebensphase, Haushaltsform, Bildung und Geschlecht (in die- ser Reihenfolge), welche am stärksten die Herausbildung und den Ablauf der Lebensstile bestimmen 48. Diese Merkmale kommen innerhalb der verschiedenen Stile durch typische Muster zum Vorschein und haben für die horizontale Differenzierung eine entscheidende Bedeutung (ebd. S. 285). Weitere Ungleichheitsmerkmale, die auf den Lebensstil Einfluss üben, sind, u.a. die ethnische Herkunft oder die Rassenzugehörigkeit.

Aufgrund der urbanen Verdichtung sozialer Prozesse, werden Ungleichheiten vor allem in den Städten sichtbar: Sozialräumliche Ungleichheitsdimensionen sind daher im Wesentli- chen von ihrem städtischen Charakter geprägt. Die Ausgestaltung des Lebensalltags ist im urbanen Gebiet, stark von Fragen des städtischen Wandels, der Gentrifizierung und der Ver- drängung kennzeichnet. Die Ungleichheitsdimension, die am stärksten die Herausbildung des Begriffs Lebensstil prägt, ist hier die im großstädtischen, politischen und ökonomischen Zusammenhang betrachtete Klassenzugehörigkeit. Urbanität wird als Inszenierung bzw. Er- lebnisinszenierung für die dominierende Mittelschicht. Faktor der Ungleichheit ist in diesem Kontext nicht länger der Lebensstil an sich, sondern die Lebensstilisierung seitens der städti- schen Mittelklassen.

Die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Soziallage ist nicht allein mit charakteristischen Wert- orientierungen, Dispositionen und Interaktionen verbunden, sondern auch mit der Verteilung schichttypischer Lebenschancen und Lebensrisiken. Je höher die materielle Sicherheit und der Ausbildungsgrad, desto größer sind die Gelegenheiten, das Leben nach den eigenen Vorstellungen gestalten zu können. Aufgrund des höheren Wohlstandes und der damit ver- bundenen Möglichkeiten der Loslösung aus traditionellen Bindungsformen sind die oberen Schichten besonders empfänglich für Individualisierungsprozesse 49.

2.9 Lebensstil als (Handlungs)raum

Ausgangspunkt der Konfrontation mit Lebensstil und Raum ist der gesellschaftliche Struk- turwandel im urbanen Gebiet. Dieser hat eine Reihe von Prozessen ausgelöst, welche das traditionelle Bild der Gesellschaft beschleunigt und nachhaltig beeinflusst haben 52.

Derselbe Ort, wie vor allem Forscher aus dem Gebiet der Segregation bekräftigen, kann von mehreren Milieus als Bühne der Eigendarstellung gleichzeitig verwendet werden, ohne dass sie sich ihn teilen müssen. Das nebeneinander Koexistieren unterschiedlicher Lebens- und

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Vergemeinschaftungformen (Milieus) ruft auch die Herausbildung differenzierter, parallelle- bender Raumbezüge hervor 53. Im Lebensstil finden Werthaltungen und Grundsätze der Le- bensvorstellungen Ausdruck: Er bietet den nötigen Spielraum zur Entwicklung von Taktiken der Identitätsentfaltung (ebd. S.130-131): „Lebensstile sind symbolisch gesicherte Territorien mit festen Zugehörigkeitsmerkmalen und Ausschlussregeln. (…) Hinsichtlich ihrer alltägli- chen Vergesellschaftungsleistungen jedoch sind sie an Zeit und Raum gebunden“ (ebd. S.

131).

Lebensstile sind symptomatisch für differenzierte Raumnutzungsmuster und der öffentliche Raum ist der Ort, wo die individuellen Eigenschaften zur Schau getragen werden und soziale Zugehörigkeit oder Differenz signalisiert werden 54. Das städtische Wohnquartier wird als Konglomerat zahlreicher Orte er(ge)lebt, welche durch bestimmte Lebensstilgruppen angee- ignet werden. Im Laufe ihrer „Benutzung“ entwickeln sie einen eigenen milieuspezifischen Charakter und strahlen für die Einwohner eine bestimmte Signifikanz aus: Sie wirken zu- gleich identitätsstiftend und zugehörigkeitsvermittelnd. Dieses Prinzip spielt in einer lebens- stilbezogenen Projektentwicklung eine besonders bedeutende Rolle: Die milieuspezifische Atmosphäre wirkt raumkonstruierend und somit zum maßgeblich entscheidenden Erfolgsfak- tor.

Zur Aneignung eines Ortes seitens bestimmten Milieus und zur Etablierung lebensstilspezifi- scher Raumnutzungsmustern tragen des Weiteren auch die Verteilung und die Frequenz besonderer Einrichtungen im Wohnquartier bei. Als lebensstilspezifische differenzierte Art der Raumaneignung liefert Ferner der Ausdruck von Konsumpräferenzen aussagekräftige Angaben zum Bezug der Bewohner eines Stadtviertels zu ihrem Lebensraum (ebd.).

Die Pluralisierung von Wohnpräferenzen und anderen Formen der Raumnutzung drückt sich in Phänomenen wie Suburbanisierung, Reurbanisierung und Gentrifizierung aus.

Durch diese stadtteilbezogene soziale Umstrukturierungsprozesse führt die systematische Aufwertung der Bausubstanz im Wohngebiet zu einer Bevölkerungsveränderung, welche oft die räumliche Verdrängung, also die „materielle“ Enteignung der alteingesessenen schwa- chen Sozialschichten zugunsten von neuen „smarteren“ Bewohnern zur Folge hat. Da kom- men lebensstilspezifische Interaktions- und Handlungsstrukturen zur Geltung, welche auf typische städtische Problematiken verweisen; der Raum wird neu bewertet und neuinterpre- tiert und den Alteingesessenen werden dadurch ihre Identifikationsmöglichkeiten genommen.

Durch die Möglichkeit, Kontakte zu minimieren und räumliche Distanz herzustellen, bietet die Stadt ihren Bewohnern die Gelegenheit, ihrem Wunsch nach Distinktion und ihrem Bedürfnis nach Identität durch sozialräumliche Abgrenzung und Distanzierung nachzugehen 50.

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Die neuen, ökonomisch stärkeren Bewohner von sanierten, attraktiv gemachten innerstädti- schen Vierteln zeigen wenig Interesse an einer harmonischen Integration im bestehenden Substrat und ihre Haltung der altansässigen Bevölkerung gegenüber verdeutlicht den Wunsch , so Dangschat (1996, 124), „sich Modernisierungsopfer aus dem Weg zu schaffen und in jene Regionen des Alltagslebens abzudrängen, die sie selbst nur selten erreichen“ 51.

2.10 Abschließende Betrachtung

Die Vielfalt an Standpunkten ist ein großer Vorzug der Lebensstilforschung, aber gleichzeitig auch ihr größter Nachteil. Die Entfaltung zahlreicher, manche davon untereinander recht unterschiedlicher Meinungen und die dadurch bedingte Entstehung von Widersprüchen las- sen Uneinigkeit darüber herrschen, was eine allgemeine Skepsis der Lebensstilforschung gegenüber hervorruft 55. Die Untersuchung der Lebensstile stellt jedoch einen wichtigen Bei- trag zur Differenzierungs- und Ungleichheitsforschung dar. Ihre Klassifizierung setzt die Fest- legung von Kriterien voraus, wonach man die Menschen und ihre Lebensweisen bestimmten Gruppen und Stilen zuordnen kann. Idealtypische Aufgabe der Sozialforschung wäre die Definition solcher Kriterien und, auf deren Grundlage, die Gestaltung allseitig anerkannter und akzeptierter Modelle zur Erfassung und Analyse von gesellschaftlichen Strukturen. Um ihre Gültigkeit zu bewahren und ihre Nutzerbezogenheit zu sichern, sollten solche Konzepte den Schritt mit dem gesellschaftlichen Strukturwandel halten.

Der Lebensstil ist eine Form der Kommunikation, welche in der charakteristischen Darstel- lung von Wertorientierungen, Weltanschauungen und Präferenzen Ausdruck findet. Durch die hohe Akzeptanz seiner Inhalte bekommt er auch einen Identifikationswert und wird zur Distinktionsstrategie, die von Individuen und Gruppen zur Organisierung und Gestaltung als Bezug zur eigenen Umgebung verwendet wird. Dadurch bringt man sowohl zum Ausdruck, was man ist bzw. wie man gesehen werden will, als auch was man nicht ist bzw. wie man nicht klassifiziert werden will. Dabei werden kulturelle Symbole erzeugt, welche der Persön- lichkeit des Einzelnen Gestalt geben und in einem größeren Kontext, dem Milieu, transportie- ren.

Laut den Schlüssen einer aktuellen Sinus-Milieustudie beeinflusst die Zugehörigkeit zu ei- nem sozialen Milieu die Alltagskultur mehr als Religion oder ethnische Herkunft 56: Wenn diese nicht das Ergebnis der Wahlfreiheit des Individuums sondern ungünstiger sozialer Be-

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ziehungsvorgaben ist, dann kann sich der Milieubezug als Benachteiligung herausstellen und der Raum kann zum stigmatisierenden Faktor für die subjektive Lebensstilisierung werden.

Falls die aus der Milieuzugehörigkeit hervorgehenden Bedingungen vorteilhaft sind oder wenn dieser Situation eine freie Entscheidung des Menschen zugrunde liegt, dann über- nimmt das Milieu eine tragende Funktion im Integrations- und Partizipationsprozess und der ihm zuerkannte Raum kann als Startplatz konstruktiver Handlungen betrachtet werden, wo das Ansetzen einer gezielten Entwicklungsarbeit des Lebenswandel eine effektivere Durch- schlagkraft bekommt.

Durch Beziehungsvorgaben werden nicht nur Handlungsweisen und Einstellungen über- nommen, sondern auch Entscheidungsmuster zur Erleichterung des Alltagslebens, weil Stil nämlich Handlungsroutine ermöglicht. Das kann sowohl wie ein Entlastungsfaktor empfun- den werden, oder aber als ein auferlegtes Schicksal und daher wie eine Einschränkung des eigenen Selbstbestimmungsrechts.

Wenn, wie im Fall vom Oldtimerliebhaberprojekt „Klassikstadt“, die Befolgung bestimmter Lebensstilregeln durch ein bestimmtes Interesse oder eine Vorliebe angeregt ist, dann wird der Lebensstil zum zusammenführenden Faktor, welcher Individuen auch sehr unterschiedli- cher sozialer Herkunft durch die allseitig anerkannten Regeln einer gemeinsamen Gesinnung sozialschichtenübergreifend verbindet.

Die Bedeutung der Lebensstil- und Milieuforschung hinsichtlich der Immobilienprojektent- wicklung beruht auf der Fähigkeit, gesellschaftliche Interessenverlagerungen zu beobachten und, durch ihre Ergebnisse und Erkenntnisse, die Faktoren, von deren Aufeinanderabstim- mung der Erfolg einer Projektentwicklung abhängt, um ein weiteres dynamisches Element zu erweitern.

Durch die Anwendung der systematischen Vorgehensweise im Entwicklungsprozess der Immobilie wird es dann möglich, im Gesamtbild der bestimmenden Rahmenbedingungen neben Aspekten ökonomischer und technischer Natur auch soziale und menschliche Fakto- ren einfließen zu lassen.

Lebensstil ist Ausdruck bestimmter persönlicher Weltvorstellungen und kultureller Normen, die sich im Rahmen einer bestimmten Gesellschaft herausbilden, dabei werden Orientierun- gen von kulturellen Normen bestimmt 57. Demzufolge wird u.a. auch das allgemeine Bedürf- nis nach Individualität und Distinktion, aber auch nach Zugehörigkeit, geäußert. Lebensstile sind also Mittel der Kommunikation, durch deren Symbolik man persönliche Eigenschaften nach außen hin präsentiert. Auch Wohngewohnheiten und Nutzungsmuster von Immobilien drücken durch ihren Symbolikcharakter einen Teil der Nutzeridentität aus.

In einem von Zeichen überfüllten Raum ist Ästhetik oft das einzige Differenzierungskriterium eines Produktes und trägt somit wesentlich zu seinem Erfolg bei. Das gilt auch in der Archi-

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tektur als Mittel der (Selbst)Darstellung: Der Idee der Besonderheit wird dadurch räumlich gebundene Identität verliehen (ebd. S. 132). Konsumiert wird dabei nicht einfach das Produkt

„Immobilie“ oder „gebauter Raum“, sondern vielmehr die patinierten Images, welche sie her- vorrufen kann.

Dieses Phänomen wird auf einer anderen Ebene auch von der Stadtpolitik zur Wiederbele- bung von schwachen städtischen Stadtvierteln wahrgenommen, zur Ästhetisierung davon wird die Kultur als „weicher Standortfaktor“ eingesetzt. Durch den Ausbau von modernen, einladenden Wohngebieten mit einem vielfältigen kulturellen Angebot will man die Ansied- lung von Wachstumsbranchen und -gruppen, die Internationalisierung der Arbeitskräfte, mul- tikulturelles Shopping u.v.a.m. erzielen 58. Dadurch wird das entwickelte Gebiet auch als Repräsentations- und gewinnbringender Anlageraum ausgestaltet.

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DER IMMOBILIENPROJEKTENTWICKLUNG

3.1 Definitionen

3.1.1 Immobilie

Prof. K.W. Schulte definiert Immobilien als Wirtschaftsgüter, welche aus unbebauten oder bebauten Grundstücken mit dazugehörigen Gebäuden und Außenanlagen bestehen. Diese werden vom Menschen im Rahmen physisch-technischer, rechtlicher, wirtschaftlicher und zeitlicher Grenzen für Produktions-, Handels-, Dienstleistungs- und Konsumzwecke genutzt.

Man kann wie folgt unterscheiden:

• Physischer (ingenieurwissenschaftlicher) Immobilienbegriff

Die Immobilie ist ein dreidimensionales Objekt, welches Flächen und Räume bildet, indem es

„Innen“ und „Außen“ durch künstliche, materielle Barrieren trennt.

• Rechtlicher Immobilienbegriff

Ein Grundstück ist ein räumlich abgegrenzter Teil der Erdoberfläche bzw. der Grund und Boden (auch der Raum über der Erde und der Boden unter der Oberfläche), der eine öko- nomische Gesamtheit bildet.

• Ökonomischer Immobilienbegriff

Ein künstlich abgegrenzter Raum unter Berücksichtigung der Zeit-Dimension (Raum-Zeit- Einheiten).

Es gibt keinen einheitlichen Immobilienmarkt. Die räumlichen Teilmärkte ergeben sich aus den Differenzen in Angebot und Nachfrage in verschiedenen Landesteilen, Städten oder sogar Stadtteilen. 1

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