R E C H T D E R N O T W E H R
N A CH DE M
B Ü R GE R L I C H E N G E S E T Z B UCH F Ü R D A S D E U T S C HE R E I C H
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G EHA L TE N A M 10. M A I 18 9 9
VON
D R F R I E D R I C H S C H O L L M E ! E R
K . PB . G RI IE I HE N J US TI Z M 'I‘.
Ö . 0 . PROFE SS OR DE S CI VI I.RECII TS U NI ) 0 8 8 DE UTS CHE N B Ü B G K RLI OB RN B E CB T8
z. z. K E K 'I‘OR DE R U NIVE RS I TÄ T.
WÜ R Z B U R G .
D R U C K D E R K G L . U N I VE R S I T Ä 'I 'S D R U C K E R E I V O N H . S T Ü R T Z .
Hochanseh nlic h e Versa
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u ng !Vereh rte Gä ste, w erte K olleg en, liebe
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ton en !D
er Tag , an w elche m die A l m a J ul ia i hr Sti ftungsfest b egeht, stel lt m ich vo
r d ie A ufgabe, zur Feier durch eine Rede beizutragen .D
e m He rko n n n e n ge m ä ss habe ich me
i n The m a de
m K reis des vo
n m ir vertre
tene
n Wisse n szw e ig e sentno m m en , m ich j edoch be m üht, ein
e
n Ge
genstand zu finden , a n de m auch derL aie n icht achtlos vo rttbe rg eh en m ag ; ich m
e
ine d a s R e c h t d e r N u h r e h r n a c h d e m b ü r g e r l i c h e n G e s e t z b u c h f i i r d a s d e u t s c h e R e i c h .Wenn ich dabei auch ein ig e strafr
e
chtliche Fragen beriih re, so ko m m tdas v
o
n de m enge
n Z usa m m enhang, in w elche m die strafrechtl iche u n d die civil rechtliche Notw eh r ste
hen . H aben beide doch denselben B eg rifi'. Den n dieN
o
tw eh r ist. die B
efugnis, einen gegen w ä rtigen, rechts w idrige
n Angri ff vo
n sicho d e r
e
i ne m A nde m abzu w ehre
n. Un d d ie No
tw eh r zieh t w ede
r Strafe
n a c h sieh ,n
o
ch ver p flich tet sie zu mI . Ü ber den G rund di
e
ser Straf u n d Ersatz— Fre
ihe
it hat. m an gestritten.M an hat: ihn darin zu lind
e
n ge
m eint, das s d e r No tw e h rlibe r sich in einer p sy chischen Z w angslag e be finde
.D
ann w ä re d ie Notw ehr also
n ur bei p sy chi scher U nfreiheit n icht w iderrechtl ich . A ber die vol le p sy chische Fre
ihei t desNo tw eh rlibers b ildet die Regel u n d auch die in s
o
lche
r Frei he
it geü bte No
tw ehr ist n ieh t w ide
rrechtl ich.Ebens
o
w enig abe
r l ie
gt de
r No
twe
hr das Prinzi p der Ve
rgel tung zu G runde, der Grundsatz, dass der A n g eg riß'eu e de m A n greifer behu fs A bw ehr desH
5 53 seen . in. 5 227 B .G .B .
4
A n g rifi's ebe n eo g mase s Ü bel zufügen d ü rf
e
, als d ie
ser i h m andro
hte. Ganz abge sehen davon , dass d ie Ü belzn fl tg n n g gegen ii ber derD
roh ung u nte
r al len U m stä ndenm eh r w ä re, als V
e
rgeb ung, so hat doch der No tw eh rtiber n icht a u sg le io h e n d e Gerechtigkeit zu üben , n ich t an Stelle de
s Sta ates d a s S trafa m t z u tibe m elu n en .U n d es w ä re a u ch zuviel verlangt, w enn m an de m N o tw e h rtibe r zu m uten w ol lte , stets und st ä ndig die beiders
e
i ts a u f de m S p iele
stehenden I n teresse n abzu w ä ge
nV i
e
l m eh r l iegt der N otw eh r ledigl ich das Prinzi p der Reaktio
n des Rechts gegen das U n recht zu G runde
. U nrecht braucht sich n ie m and ge
fal le
n zu l a sse
n .W
ollte d ie Rechtso
rdnung Notwe
hr ve
rbieten, so w ürde sie. sich in direk ten Wider s p ru ch m it ihrer A ufgabe
setzen .D
enn sie w ürd e da m it Parte
i ergrei fen a u f derSeite des A ngrei fers, als
o
des U nrechtsV
o
n diese m Gru nd p rinzi p a use
rgibt sich n un ein m al , dass vo
ne
ine
m Er fordern is der Pro
p ortional it ä t der durch d en A ngri ff u n d de
r durch d ie Verte id ig u n g gefä h rdeten Re c h tsg ttte r des A n g eg riti’e n e n und des A ngrei fers nich t die Rede sein kann .
De
nn das Recht m uss sich de m U nrecht ge
gen i i ber nötigenfal ls m it den sch ä rfsten M ittel n behau p ten dürf
e
n . We r eine m H a n d w e rksbu rsc ben au ch 'n u r einige Pfennige zu ra uh e n sucht, der m uss ge w alt ig
en , dabe
i sein Le
be
nd u rch den A n g eg rii’r
'
en en zu v
e
rl ie
re
n , we
nn n ur der letztere sich n icht ande
rs i mB
esitz seines Geldes erhal ten kann . Es ergibt sich aus d em angegebenen G rund p rinzi p aber w eiter, da ss die N ot w ehr n icht n ur subsidiä r zur Anw endung zu bringen ist. N icht in erster L inie n u t die S ta a teh lilfc , d ie Fl ucht, die L ist oder andere B e th tn g srt t ittß l ist de
r A n g e g ritt'e n e hingew iese
n .De
nn w ürde er die Flucht ergreifen , so m achte er de m U nre
cht Platz. U n d w ii rde das G esetzvo rsc bre iben , da ss Notw ehr n u r dann statthaft se i, w
e
nn d ie H itlfc des Staa te
s zu s p ä t ko
m m en w ürde, so l ä ge a u c h hieri n e in e A bsch w ä chung der B e a ktio m befn g n is des
Be
re
cht igten gegen ii ber de m l‚lbcl th ä tc r , w el che n ur zur x\btötu n gdes Re ch tsg eftih ls beitragen w ürde . M it Ree h t hat d
e
shal b das B . G . li. i m An schl uss n u das Strafge
setzbuch den Grundsatz de
r S u bs id ia ritiit de
r Notw ehrabgelehnt. Das Gesetzbuch sagt : Eine d u rch Notw ehr g
e
bo
tene Handlung istG e y e r in v o n H o lt z e n d o r fls E ney klupttd io der Rech tsw ies o nsch aft S . 9 27. V. A u fl. 18 9 0.
8 )
A
. M e r k el i n v o n H o l t z e n d o r ffs E ncy kl. der Re chts w isso naoh u ft A nm. 1. u. B i n d i n g .Handbuch des S tra frech ts B d. 1 S . 738 .
n ieh t w iderr
e
chtl ich. i s sagt n ich t :D
ie g ebo tc n t': No
tw eh r ist n icht w ider rech tl ich . A lso hat d er A nge
gri ffe
ne freie Wahl, ob er zur Notw eh r g rei fen
o
der die H lllfe des S taates an rufen oder sonstige Rettu n gs rn ittel versuchen w ill.M a n hat w ohl gegen dies
e
n Sta nd p unkt geltend ge m ach t,e
r erklä re d e n A ngreifer fiir vogel frei , er verna chl ä ssige die I ntere
ss e n . des A ngreifers. A ber das G esetz hil ft a u f andere We
ise. Es stel l t d a s Gebo
t d er Pro p o rt io n ulitiitz w is ch
e
n Angri ff und Verteidigung in d e m S inn a u f, dass d ie E n e rg ie der Ab w ehr sich nach der Ene
rgie de
s A ng riffs richten sol l. Wenn also
zur A b w eh r des Angri ffs schw ä chere Verte idig u ngs m ittel au sreichen , so darf zu d e n se h iirf'c re nnich t gegri ffen w erden .
W
e r du rch En tziehung der Frei h ei t den A ngri ff abwe
hren kan n, der darf n icht na ch de m ]] eben grei fen . 'l‘hut er es gleich w ohl, so handel te
r sel bst w iderrechtl ichI I . A ls V oraussetz u ngen der Notw eh r ko m m en folgende in B etracht
1 . Ein A ngri ff, d . b. ein p ositiv
e
s , d e n. Eingriff in d ie B e e h ts sp h ä rc d esA u g eg rifi'c n en bew i rkend
e
s oder vo rbe re iti:n d e s Thun . I n eine m blo
ssen U n ter lasse
n kann nie m als e in A ngri ff l iegen. Wenn ein K nech t sei n Ges p a nn u ng esichert a u f d e r St ra sse stehen lä sst , d ie Pferde aber scheu
e
n u n d m i t der Wagendeichsel ein Schaufenster e in zm=en n e n drohen , ge
ge
n de
n K nech t kannnie m als N
o
tw eh r geü bt w erde
n . A be
r auch fii r den iin g rifi' ungee
igne
te H and lungen sin d keine A u g-ritlsh a n d lu n g en . Gegen den also , de
r , im A be
rglaubenbc fh n g e n , d ie ih m geh örende l’h o t0 g raph ic seines 'l‘mlfein d es durchbohrt, m einend,
n un müsse dersel be i n J ahresfrist u n w eigerl ich sterb
e
n,o
der de
njen igen , der seinenTodf'eind t
o
t zu beten versucht , gibt’s keine Notw ehr. U n d d e r" A n g riff mu ssein gegen w ä rtiger sein , (1. h. er m uss sc h o n b
e
gonnen haben u n d darf no
ch n icht beendigt se in .W
en n v ie
lfa ch ge
lehrt w i rd , es gebe X o t w ch r ge
ge
n einen un m i ttel bar bevorstehenden A ngri ff, so ist d ies lo
gisch n icht richtig.D
en n gegen einen drohe
nden A ngri ff kan n ma n w ohl p ro p hy laktische V orkehru ngen treffen , abersich h o ch n ic h t ‚ r erte id ig eu . V iel m ehr beruh t d iese A u ffa ss u ng a u f der V
o
rstel lu n g, da ss der A ngr i ff den beabsichtigte
n Eing riff i n d ie Rech tssph ii re des A n g e g rifii:n enw irklich enthalten m üsse und dass alle v o rh e rg ß lnc mlc n Schritte n u r V
o
rbe
re
i tungA rg . e co ntr. a us 5 227 A bs. 1 B .G .B .
d es Angri ffs se ie n . A ber der A ngri ff s el bst b
e
ginn t schon m it der V ornah m e derjen ige
n H mul lu n g en , w elche a u f l lc rvo rbrin g u n g des Eingri ffs abziele
n . We
nn also je m and ei nen A n d c rn d u rch p rltg eln w i ll , so ist d e r A ngri ff n ich t e rs t begonnen in de m A uge
nbl ick , in we
lche m der erste Schlag f ä llt, so
ndern schon dann , w en n der Ra u f'ln s tig e m i t erhobe
ne m Prtlg el a u f d en Ge
gne
r eindringt.Z w
e
ifelhaft ist a u ch , w enn der A ngri ff be
endigt ist. Z w ar w enn s e ine Fo
rt setzu ng aufge
gebe
n oder w en n er zu rüc k g e se h la g e n ist , so kann vo
n N otw ehrn ich t m
e
hr die Re
de s e in . Die Z we
ife
l bestehe
n v iel m eh r bei der Frage , w an nd e r gel ungene A ngri ff als b
ee
ndigt anzusehe
n sei ? H ier w ird für d as Strafrecht vo
n der einen Se
i t e be
hau p tet , der A ngri ff sei bee
nde
t , so
bald n a c h denB
e sti m m ungen des S trafie eh ts die Vol lendung d es Verbrechens ein g c tm ten s e i, vo
n der ander n Seite abe
r , der Ang ri ff s ei erst dan n beende
t , w en n die dure h ih nbeabsichtigt e
B
eschä digung vo
l lbra chtBe
ide Mo
m ente brauchen nä m l ich n ich t zu sa m m enzufal len . So beabsichtigt der Dieb, sich die fre m de Suche zuzu eig ne
n , d. h . sie f ür sich de m B e st0 h len e n defin itiv zu entziehen .D
ie
s ist aber n icht scho
n dan n geschehen , w en n die G e w a ln'sa n l des B e stu h lc n e n gebroche
n ist, so
ndern erst dann , w en n d ie vomD
ie
b erl a ngte Herrs chaft ü be
r d ie S uc he ei ne gesiche
rte ist. Wenn n u n d erD
ieb sich in ei n"
a u s ein s d xlie h, dort eine
Su che ent w endete und das l la u s w i
e
de
r verl ie
ss, so
ist de
rD
iebstahl zw ei fellos ko
nsu m ie
rt, So
l lte a u ch derB
esto
hle
ne d e nD
ie
bsta hl be
me
rk t habe
n . Ein Z ustand r uh igenB
es itze
s ist aber bei de mD
ieb no
ch n icht einge
treten . Wenn deshalb der d u s G ew eh r von der “W
and reisst, a n d as Fenster stürzt un d a u f den ü ber den M arkt p latz davon
e
i le nden“
ic h schiesst , so ist naeh de
r zue rstc r w a h n tc n M einung di
e
s re
chtsw idrig, de
nn das Verbreche n w a r vollende
t, n a chder z w eiten M einung ab
e
r n ich t , de
n n d a s be
absich tigte
l) e likts itbc l w a r no
ch n icht zugef ügt.v o n L i s z t !) b
e
hau p te
t n u n , durch 8 5 9 A bs. 2 d es se
i d ie Frage in erstere m Sinne e
n tschiede
n . I c h m uss das be
streiten . Z w ar hat d a sB
. G .B
. v o rg es «;lnricbe n , dass jede
r , w elche
m derBe
sitz einer S u c h e d u rc h Ve r botene Eige
n m acht entzo
gen se i, sich desse
lben m i t G ew al t w i e d e r bc mä c h tig en- d
v. L i s z t, L eh rbuch d es deuts ch en S tra fre ch ts. I X . A u fl. 8 . N O. A nm. 5 und B i n d i n g , Hand
buch I . S . 747.
11) Verg l. A nm. 6.