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Kommentar zum Text «Der Wolf und das Lamm» von Gotthold Ephraim Lessing

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Kommentar zum Text « Der Wolf und das Lamm » von Gotthold Ephraim Lessing

Einführung

Im Allgemeinen versteht man unter einer Fabel eine kürzere unterhaltsame Erzählung mit belehrender Absicht. Meistens stellt diese Gattung Figuren einander gegenüber, die verschiedene menschliche Eigenschaften darstellen. Im 6. Jahrhundert vor Christus gab der Grieche Äsop den Fabeln, vor allem Tierfabeln, eine schriftliche Form, da jene bisher mündlich überliefert worden waren. Phaedrus übertrug diese Geschichten im 1. Jahrhundert nach Christus in die lateinische Welt.

« Duplex libelli dos est: quod risum movet, Et quod prudenti vitam consilio monet » heißt es schon bei Phaedrus : Zur Zeit der Aufklärung bedient sich vor allem Lessing im deutschsprachigen Raum dieser antiken Erzählgattung, die sowohl angenehm unterhält als auch zur Vorsicht belehrt. Lessing greift hier den Stoff der Fabel ‘Der Wolf und das Schaf’

auf, die sowohl bei Äsop als auch bei Phaedrus zu finden ist, und die in verschiedenen Variationen von Martin Luther verdeutscht und von Jean de La Fontaine ins Französische übertragen wurde. Lessing jedoch schreibt die Fabel um : Während bei Phaedrus und in der folgenden Tradition das schwache Lamm vom gierigen, überlegenen Wolf gerissen wird, nutzt es hier die Sicherheit des breiten Flusses aus, um sich am eigentlich mächtigeren Tier zu rächen.

An diesem Text möchte ich Lessings eigene Fabellehre veranschaulichen und somit seine besondere Stellung in der Fabeltradition betonen. Dazu möchte ich im Folgenden den Text linear erläutern.

Anstatt wie etwa La Fontaine mit einem Promythion, einem vorangestellten Lehrsatz, zu beginnen (« La raison du plus fort est toujours la meilleure : / Nous l’allons montrer tout à l’heure »), schildert Lessing unmittelbar, in medias res, in den drei ersten Zeilen die Ausganssituation.

In einem zweiten Teil (von Zeile 3 bis Zeile 7) werden - der Tradition der Fabel gemäß - Rede des Schafs und Gegenrede des Wolfs, actio und reactio, als wesentliche Handlungsteile in der direkten Rede wiedergegeben.

Schließlich wird im letzten Satz (Zeile 8) das Ergebnis der Handlung sehr kurz

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I – Die Ausgangssituation

Erzählt wird in Prosa, wie bei Äsop, und zwar im Präteritum, dem Tempus, das eine besondere Handlung in die Vergangenheit versetzt. Wie im Märchen gibt es weder genaue Zeit- noch Ortsangabe, keine Verankerung in einem geschichtlichen Kontext. Darüber hinaus herrscht unmittelbar Konsens darüber, dass die Tiere sprechen können. Der Fabelleser weiß schon, dass die im Titel genannten Tiere, die Hauptfiguren sein werden.

Zu bemerken gilt dabei, dass sowohl das Schaf als auch der Wolf, obwohl sie keine bestimmten Namen tragen, als einzelne Figuren, als Individuen, dargestellt werden. In seinen Abhandlungen über die Fabel betont Lessing, dass der besondere Fall ihm zufolge ein wesentlicher Aspekt der Fabel ist : nur die Darstellung eines als wirklich vorausgesetzten einzelnen Falls ermöglicht die anschauende Erkenntnis des Lesers.

In dieser Fassung der Fabel nimmt das Schaf die führende Rolle ein : es wird nicht nur als erstes im Text genannt, sondern ist auch die Figur, die zuerst zu Wort kommt. Erscheinen zunächst beide Figuren aus dem gleichen logischen, natürlichen Grund am Fluss – sie haben Durst und wollen trinken - , so wird das Schaf als « höhnisch » bezeichnet, was seine Vorrangsstellung im Text und seinen Gegensatz zum schwachen, unterworfenen Schaf der Fabeltradition schnell betont. Bei Martin Luther, der die Gestalt in eine « fromme », fast christliche Figur umdeutet, heißt das Tier auch verniedlicht, das « Lämmlein ». Das Schaf hat bei Lessing die Ausgangssituation genau beobachtet und verstanden, dass es keine Gefahr eingeht : dass es sich « sicher » fühlt, wird sowohl durch das Partizip als auch durch das Substantiv Zeile 2 unterstrichen.

Der Wolf hingegen, der im Titel noch die Vorrangsstellung einnahm, erscheint im Text immer nur in einem zweiten Schritt. Er ist nicht mehr der listige und böswillige Ankläger des Schafes. Er wird jedoch zunächst wie bei Phaedrus und Luther als « Räuber» (Zeile 3) bezeichnet, als gefährlicher, brutaler Dieb, was deutlich zeigt, dass Lessing beim Leser die Tradition als bekannt voraussetzt. Der Wolf erscheint durch diese Bezeichnung zunächst in seiner klassischen Fabelrolle : als gefährliches Raubtier.

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II. Rede und Gegenrede

In der für die Fabel notwendigen direkten Rede wendet sich das Schaf, in einer einzigen, langen Replik an den Wolf. Das Adjektiv « höhnisch » hatte bereits den Ton angegeben. Das Schaf handelt also nicht aus Instinkt sondern « aus freier Wahl und nach reifer Überlegung » wie es Lessing in seiner Abhandlung als für eine Fabel notwendig voraussetzt. Bei Lessing übernimmt das Schaf schon in seiner Anfangsfrage den Vorwurf, den der Wolf ihm in der Tradition des Stoffes macht. Diese Frage, in der sich das Schaf im Grunde selbst anklagt, darum wissend, dass es sich in Sicherheit befindet, ist eine Provokation. Demnach ist auch die Anrede mit dem Titel « Herr Wolf » ironisch zu verstehen.

Das Schaf weiß, dass es in dieser Lage überlegen ist und nutzt seinen Vorteil genüsslich aus.

So traut es sich auch, den Wolf zurechtzuweisen, und sich in der Imperativform an ihn zu wenden (Zeile 4 : « Sieh mich recht an »). Auch der zweite Vorwurf aus der äsopischen Fabeltradition taucht hier in der Rede des Schafs auf : während der Wolf bei Äsop und La Fontaine das Schaf anklagt, sich ein Jahr zuvor über ihn lustig gemacht zu haben (bei Phaedrus und Luther ist der Vorfall knapp sechs Monate her), betont das Schaf selbst, dass es sich über den Wolf lustig gemacht hat. Interessanterweise liegt dieses Ereignis in Lessings Fassung der Fabel nicht sechs Monate sondern sechs Wochen zurück. Lessing versucht also die Zeitebene zusammenzuraffen, um die Erzählung so bündig wie möglich und somit bildhafter zu gestalten. Dass das Schaf selbst das Argument der Fabeltradition aufgreift, wonach es vielleicht sein Vater war, der den Wolf beschimpfte, geht in die selbe Richtung und bildet hier den Höhepunkt der Ironie.

Auf diese Rede des Schafes folgt nicht wie erwartet unmittelbar die Gegenrede des Wolfes sondern eine Erklärung der Lage durch den Erzähler (Zeile 5-6 : « Der Wolf verstand… » bis « … mit den Zähnen ». Dieses Eingreifen in die Erzählung erlaubt dem Fabulisten zunächst auch den Wolf durch die Verben als eine menschenähnliche, vernunftsbegabte Figur darzustellen (« verstand », « betrachtete »). Dieser Wolf ist in der Lage, die Situation logisch einzuschätzen und einen so komplexen Begriff wie « Spötterei » zu bewerten. Allein das Knirschen mit den Zähnen reiht diesen Wolf in die Tradition des bösen Raubtieres ein, die man aus der Tradition kennt und die Zeile 3 (« Räuber ») andeutete.

Dieser Eingriff ermöglicht dem Fabulisten ebenfalls die Lehre der Fabel deutlich

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In seiner Gegenrede (die der reactio der Fabeltradition entspricht) versteht sich der Wolf einerseits als Vertreter seines Geschlechts (Zeile 7 : « Wir Wölfe »). Lessing setzt somit in die Praxis um, was er in seiner Abhandlung als eine Grundlage der Fabel voraussetzt :

« Die Wirklichkeit kömmt nur dem Einzeln, dem Individuo zu, und es läßt sich keine Wirklichkeit ohne die Individualität gedenken. » Was also in Planudes’ Geschichte über

« d[as] ganze[n] Geschlechte der Biber gesagt wird, hätte müssen nur von einem einzigen Biber gesagt werden, und alsdenn wäre es eine Fabel geworden. » Lessing begeht also nicht den Fehler im Plural zu verallgemeinern ; er erzählt die Geschichte am Beispiel eines einzelnen Falles. Andererseits erscheint der Wolf als die Verkörperung einer Tugend, die im Bezug auf die Fabeltradition als überraschend gilt, der Geduld. Doch aus der Situation heraus ist die Antwort des Wolfes keineswegs überraschend sondern logisch. Da er verstanden hat, dass die Lage für ihn aussichtslos ist, passt er sich ihr an, um sein Gesicht zu wahren.

III. Eine Fabel ohne Lehre ?

Die letzten Worte der Fabel « und ging mit stolzen Schritten weiter » bilden kein Epimithion, in der Form einer nachgestellten Lehre oder Moral, sondern geben eine letzte Handlung des Wolfes wieder. Lessing zeigt sich hier in Bezug auf die Tradition als originell : Sowohl Äsop als auch Phaedrus fanden es notwendig, die Lehre am Ende klar auszudrücken : gegen die Unterdrückung durch Stärkere gibt es keine Gegenwehr. Luther ging sogar noch einen Schritt weiter, indem er christliches Frommsein unbedingt mit Leid verband. Lessings Fabeltheorie beruht aber gerade darauf, dass sich die Lehre der Fabel aus der Bildhaftigkeit der Geschichte unmittelbar ergibt. Diese Lehre braucht nicht ausgedrückt zu werden, sie leuchtet dem Leser ein.

Für Lessing bilden daher die letzten Worte nur einen logischen Schluss der Erzählung.

Da er die Lage richtig erkannt hat und sich als tugendhafte Figur dargestellt hat, hat der Wolf das Bestmögliche aus der Situation gemacht : er hat seinen Stolz bewahrt. Er kann das Schaf erhobenen Hauptes zurücklassen. Die Lehre wird nicht direkt erklärt, erscheint aber konsequent : derjenige, der eine Lage richtig einschätzen kann, hat immer einen Vorteil. Dies trifft in dieser Fabel sowohl für das Schaf zu, das nicht gefressen wird, als auch für den Wolf, der zumindest seinen Stolz bewahrt. Zu beachten gilt dabei, dass Lessing als Aufklärer den Verstand als Mittel der Erkenntnis in den Vordergrund stellt und somit die traditionnelle Gegenüberstellung von Unschuld und Gewalt überwindet.

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