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Archiv "Epidemiologische und sozialmedizinische Aspekte in der Rheumatologie" (31.03.1995)

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MEDIZIN AKTUELL

Epidemiologische

und sozialmedizinische Aspekte in der Rheumatologie

Heiner Raspe

D

er Gegenstand der Rheuma- tologie sind die „rheumati- schen" Störungen und Krank- heiten. Über die Weite des Begriffs „rheumatisch" besteht natio- nal und international keine vollstän- dige Einigkeit.

In Frankreich und der Schweiz etwa beschäftigen sich Rheumatolo- gen mit dem gesamten Feld der Er- krankungen der Bewegungsorgane, das heißt, sie diagnostizieren und the- rapieren alle Krankheiten des Ske- letts, der Muskel- und Bindegewebe, die in der Internationalen Klassifika- tion der Krankheiten (ICD) enthalten sind. Sie folgen dem weiten Rheuma- begriff der Weltgesundheitsorganisa- tion (WHO), der unter anderen auch angeborene und traumatische Störun- gen, Engpaßsyndrome und Osteopa- thien enthält. Weniger als 20 Prozent ihrer Patienten leiden an entzündlich- rheumatischen Erkrankungen. Dage- gen konzentrieren sich die Rheuma- tologen in Holland, Schweden und Großbritannien auf die entzündlichen Krankheiten der Wirbelsäule, Gelen- ke, Bindegewebe und Gefäße. Sie fol- gen einem engeren Rheumabegriff.

In der Bundesrepublik finden sich beide Auffassungen — bei Kran- ken wie bei Ärzten. Klagt ein Patient über „Gelenkrheuma", kann er (sub- jektiv wie objektiv) harmlose musku- loskelettale Schmerzen und Behinde- rungen meinen; kann aber auch auf eine chronische Polyarthritis (cP) hin- weisen wollen. In diesem Falle folgte er dem orthopädischen Begriff des

„Rheumatischen". Es ist nötig, daß sich Arzt und Patient (und Ärzte un- tereinander) verständigen und einigen.

Institut für Sozialmedizin (Direktor: Prof. Dr.

med. et phil Heiner Raspe) der Medizini- schen Universität Lübeck

Bezieht man alle wenigstens 500 ent- zündlichen, degenerativen und funk- tionellen Störungen der Stütz- und Be- wegungsorgane mit ein, dann dominie- ren „rheumatische Krankheiten" alle epidemiologischen und Sozialversiche- rungs-Statistiken zur Morbidität. Die relativ seltenen entzündlich-rheumati- schen Krankheiten beinhalten auch ein signifikantes Mortalitätsrisiko. Gerade in diesem Bereich sind in den letzten Jahren eine Reihe von Klassifikations- kriterien entwickelt worden, die Ver- ständigung und Diagnosestellung er- leichtern. Eine gezielte Förderung hat dazu geführt, daß die rheumatologi- sche Grundlagen-, klinische und epide- miologische Forschung in der Bundes- republik heute keinen Vergleich mehr scheuen muß. Weniger günstig hat sich die rheumatologische Versorgung un- serer Bevölkerung entwickelt. Es lassen sich zahlreiche Ungleichmäßigkeiten und Defizite feststellen.

Zur Klassifikation

rheumatischer Krankheiten

Die ICD (9. und 10. Revision) enthält in ihrem Kapitel XIII und an einigen anderen Stellen mehr als 500 diagnostische Begriffe, die sich auf die Bewegungsorgane beziehen las- sen; sie sind in der „International Classification of Musculoskeletal Dis- orders" fünf Großgruppen zugeord- net (International League against Rheumatism 1985): „Primarily joint

disorders, systemic involvement of the musculoskeletal system, disorders related to the spinal column, disor- ders of soft tissues, disorders of bone and cartilage".

Daneben existieren eine Klassifi- kation der nordamerikanischen Rheuma-Gesellschaft (ARA) mit zehn Abschnitten (3) und eine 1979 veröffentlichte europäische „Klassifi- kation der Erkrankungen des Bewe- gungsapparates".

Jede ordnet die von ihr erfaßten Krankheiten etwas anders. Keine hat zu einem einheitlichen Prinzip gefun- den; anatomische, pathoätiologische und klinische Gesichtspunkte sind ne- beneinander wirksam. Offenbar gibt es zur Zeit keine sich „natürlich" an- bietende Ordnung.

Für viele rheumatische Krank- heiten wurden seit den 50er Jahren abgrenzende Kriterien erarbeitet. Im- mer handelt es sich um eine Mehrzahl von Merkmalen, also um Kriteri- ensätze. Sie berücksichtigen anamne- stisch, klinisch und technisch gewon- nene Informationen. Für die cP (syn- onym: Rheumatoide Arthritis, RA) zum Beispiel existieren Kriterien seit 1956; Überarbeitungen erfolgten 1958, 1961 und 1987.

Im Verlauf von dreißig Jahren haben sich jedoch nicht nur die Krite- rien selbst und ihre Sensitivität und Spezifität, sondern auch ihre offizielle Funktion geändert: Sprach man zu- erst von diagnostischen Kriterien, so handelt es sich heute um „criteria for the classification of rheumatoid ar- thritis". Man hat damit anerkannt, daß sich die Diagnose einer cP nicht aus einem Rechenexempel ergibt, sondern das Ergebnis komplexerer kognitiver Leistungen ist.

Heute gilt: erst die klinische (Dif- ferential)-Diagnose, dann die Zäh- lung der im Einzelfall erfüllten Krite- rien und die Einordnung der Erkran-

A-940 (42) Deutsches Ärzteblatt 92, Heft 13, 31. März 1995

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Tabelle 1: Die Häufigkeit verschiedener Schmerzarten unter 1367 Einwohnern Lübecks im Alter von 25 bis 74 Jahren (1992)

Schmerztyp Rücken Nacken Schulter Beine oder Füße Arme oder Hände Hüften

Kopf

Bauch oder Magen Brustkorb

Gesicht Unterleib

Häufigkeit (%) 40 36 35 33 23 23 18 9 8 7 7 Postalischer Survey, Antwortrate 81 Prozent

Tabelle 2: Die Bedeutung rheumati- scher Störungen (ICD 710-739) im Lichte verschiedener Sozialversiche- rungsstatistiken

Gesetzliche Krankenversicherung 1990

Arbeitsunfähigkeitsfälle/10 000 Pflichtmitglieder 2,999

Krankenhausfälle/10 000 Mitglie- der

und Angehörige 155

Gesetzliche Rentenversicherung 1991

Medizinische Reha-Maßnahmen/

10 000 Versicherte 366,033 1990

Vorzeitige Berentungen/10 000

Versicherte 29,572

MEDIZIN

kling als „cP im Sinne der Kriterien von . . . (1956, 1958, 1962 oder 1987)".

Kriterien erfüllen damit zuerst eine Verständigungsfunktion, sie er- leichtem den Vergleich verschiedener Patientengruppen; natürlich haben sie auch einen edukativen Wert.

Schließlich unterstützen sie die Fall- identifikation in epidemiologischen Studien.

Epidemiologische und sozialmedizinische

Bedeutung rheumatischer Störungen und

Krankheiten

Rheumatische Leiden (im weiten Wortsinn) prägen alle unsere Morbi- ditätsstatistiken. Dagegen tauchen sie in Mortalitätsstatistiken praktisch nicht auf. In der ehemaligen DDR entfielen auf sie etwa 0,3 Prozent aller Sterbefälle (Leistner et al. 1989). Daß der Satz „an Rheuma stirbt man nicht" dennoch falsch ist, haben unter anderem Longitudinalstudien der cP gezeigt: Diese relativ seltene Krank- heit (Punktprävalenz 0,8 Prozent) verkürzt das Leben der von ihr Be- troffenen um etwa sieben bis zehn Jahre. Noch ungünstiger ist die Pro- gnose der entzündlichen Gefäß- und Bindegewebserkrankungen, der Vas- kulitiden und Kollagenosen.

Eindrucksvoller ist dennoch, in welchem Ausmaß rheumatische Be- schwerden und Krankheiten die Be- völkerung belasten und die verschie- denen Zweige der Sozialversicherung beanspruchen:

Wenigstens 62 Prozent der er- wachsenen Einwohner Lübecks be- richteten von einer der in Tabelle 1 aufgeführten sechs „rheumatischen"

Beschwerden zum Zeitpunkt der Be- fragung, vorzugsweise von Rücken- schmerzen. Für sie allein liegt die Punktprävalenz bei 40 Prozent (10).

Daneben spielen aber auch Nacken-, Schulter-, Knie- und andere Gelenk- schmerzen eine prominente Rolle.

Schon Anfang der 60er Jahre fand Wagenhäuser (1969) in einer kleinen schweizerischen Gemeinde 35 Prozent der Einwohner mit be- handlungsbedürftigen rheumatischen Beschwerden oder Befunden.

AKTUELL

Im letzten westdeutschen Mikro- zensus, der obligat die subjektive Morbidität erfaßte und die diagnosti- schen Kategorien zuordnete (April 1982), wurden 15,2 Prozent der Wohnbevölkerung für einen Zeit- raum von vier Wochen als akut oder chronisch krank identifiziert. Die Krankheiten des Skeletts, der Mus- keln und Bindegewebe nahmen nach ihrer Häufigkeit (zusammen 2,9 Pro- zent) den dritten Platz ein. 59 Prozent der Kranken waren Frauen. 88 Pro- zent wurden als chronisch krank ein-

gestuft. 85 Prozent befanden sich aus- schließlich in ambulanter Behand- lung. 7,4 Prozent der befragten Er- werbstätigen bezeichneten sich als ar- beitsunfähig. 1,2 Prozent nannten als Grund eine rheumatische Störung (17 Prozent). 7,5 Prozent aller Befragten hatten in den letzten vier Wochen vor dem Befragungstag Rheumamittel (intern oder extern, mit oder ohne Rezept) angewandt.

Im Bereich der kassenärztlichen Versorgung erfolgten 1981 mehr als 13 Prozent aller Konsultationen we- gen rheumatischer Beschwerden und Krankheiten. Bei knapp 20 Prozent aller Patienten konnte eine rheumati- sche Störung diagnostiziert werden (4). Aus Großbritannien ist bekannt, daß rund 15 Prozent aller bei einem Primärarzt (General Practitioner) eingeschriebenen Personen diesen im Laufe eines Jahres wegen rheumati- scher Beschwerden aufsuchen (2).

Analgetika-Antirheumatika sind seit Jahren die am häufigsten zu La- sten der Gesetzlichen Krankenversi- cherung (GKV) verordneten Medika- mente (13).

In der Arbeitsunfähigkeitsstati- stik der GKV für das Jahr 1989 neh- men die rheumatischen Krankheiten (5) nach den Erkrankungen der At- mungsorgane den zweiten Rang ein.

Auf sie entfielen 20 Prozent aller Ar- beitsunfähigkeitsfälle. Sie verursach- ten bei den Männern 3 263 Fäl- le/10 000 Pflichtmitgliedern (Frauen 2 533; Tabelle 2). Der Aufstellung über die Krankenhaus-Behandlungs- fälle ist zu entnehmen, daß dieselbe Krankheitsgruppe 1990 155 Fälle pro 10 000 Versicherte auslöste und mit 7,7 Prozent aller Fälle den sechsten Rangplatz einnahm.

Vergleichbares gilt für die Stati- stiken der Gesetzlichen Rentenversi- cherung, die sich auf die Medizinische Rehabilitation und die Berentungen wegen Berufs- oder Erwerbsunfähig- keit beziehen. 1990 wurden etwa 50 Prozent aller medizinischen Rehabili- tationsmaßnahmen und knapp ein Drittel aller vorzeitigen Berentungen durch rheumatische Krankheiten ver- anlaßt.

Angloamerikanische Bevölke- rungsuntersuchungen belegen, daß rheumatische Störungen die Haupt- ursache von Behinderungen sind, et- A-942 (44) Deutsches Ärzteblatt 92, Heft 13, 31. März 1995

(3)

wa 30 Prozent aller langfristigen Fälle in der Gemeinde entfallen auf diese Gruppe (2).

Soweit sich für die einzelnen Kennziffern Zeitreihen rekonstru- ieren lassen, zeigen diese, daß die Rheuma-Morbidität und die ihnen zugeschriebenen (sozial-)medizini- schen Leistungen nach 1950, aber auch noch im letzten Jahrzehnt, abso- lut und relativ zugenommen haben und zu immer höheren Kosten füh- ren. Dies gilt für die BRD, aber auch für alle vergleichbaren europäischen und nordamerikanischen Staaten.

Von daher ist es schwer zu verste- hen, daß die rheumatischen Störun- gen in der Öffentlichkeit, der Ge- sundheitspolitik, der Forschungsför- derung, der Gesundheitsberichtser- stattung und der ärztlichen Aus-, Wei- ter- und Fortbildung eine vergleichs- weise geringe Rolle spielen. Sie führen ein Schattendasein, im Kon- trast zu der Aufmerksamkeit, die vor allem den bösartigen, kardiavas- kulären oder übertragbaren Krank- heiten (vor allem AIDS) gewidmet wird.

Die sich darin ausdrückende Prä- ferenz der Todesursachenstatistik oder die vorrangige Orientierung an potentielllebensbedrohlichen Krank- heiten ist schwer zu verstehen und zu rechtfertigen. Es gibt gute Gründe, auch die Gesundheitsstörungen für

"dringlich" (16) zu halten, an denen die Mehrheit der Bevölkerung vor ihrem Tode leidet, ohne daran schließlich zu sterben. Wenn man nicht nur Lebenserwartung, sondern auch Lebensqualität als Orientie- rungspunkt der Medizin und Gesund- heitspolitik akzeptiert, wird man sich auf allen oben genannten Ebenen stärker als bisher den chronisch-rheu- matischen Leiden widmen müssen.

Rheumatologische Versorgung

In den letzten Jahren sind die Möglichkeiten, Stärken, Schwächen und Defizite der rheumatologischen Versorgung unserer Bevölkerung deutlicher ins Bewußtsein getreten.

Dabei stellt sich die Situation in den neuen Bundesländern zur Zeit un- übersichtlicher dar als in den alten.

AKTUELL

Dort ist es zu einem tiefgehenden und noch nicht abgeschlossenen Struktur- wandel gekommen, nachdem die mei- sten der einst flächendeckend vorhan- denen Rheuma-Dispensaires aufge- löst wurden oder sich nicht halten ließen.

Die rheumatologische Versor- gung in den alten Bundesländern ruht zur Zeit auf fünf Säulen:

~ den Haus- und Familienärz- ten; sie tragen die quantitativ größte Last, auch im Bereich der entzünd- lich-rheumatischen Krankheiten. 95 Prozent aller cF-Kranken sind in hausärztlicher Betreuung; dagegen sind weniger als 40 Prozent jemals ei- nem Rheumatologen vorgestellt wor- den (8);

~ den Fachärzten ohne spe- zifische rheumatologische Weiterbil- dung (vor allem Internisten, Orthopä- den, Pädiater),

~ den niedergelassenen und er- mächtigten Internisten und Orthopä- den mit rheumatologischer Weiterbil- dung,

~ den Rheumafachkranken- häusern, rheumatologischen Abtei- lungen an Akutkrankenhäusern und den Universitätsrheumakliniken,

~ den Rehabilitationskliniken mit rheumatologischem Schwer- punkt.

Konzentriert man sich auf die schwerwiegenden und prognostisch ungünstigen rheumatischen Erkran- kungen im engeren Sinne, dann ist zu- erst eine ungleichmäßige Versorgung festzustellen. Gut versorgten städti- schen Regionen stehen Regionen im ländlichen Raum mit vielfältigen De- fiziten gegenüber. Aber auch in gut versorgten Regionen lassen sich, wie- der am Beispiel der cP, Versorgungs- lücken darstellen: Weniger als die Hälfte der schwer an einer cP Er- krankten befindet sich in rheumatolo- gischer Mitbehandlung, es dauert im Mittel mehr als fünf Jahre, bis cF- Kranke einem Rheumatologen vor- gestellt werden; nur ein Teil dieser Kranken ist mit einer medikamentö- sen Basistherapie behandelt worden;

Therapiedefizite lassen sich auch in den Bereichen Krankengymnastik, Ergotherapie, psychologische und so- ziale Betreuung und auch in der rheu- machirurgisch-orthopädischen Ver- sorgung feststellen (11 ).

Eine Kommission der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie hat

"Grundzüge einer wohnortnahen

kontinuierlichen und kooperativen Versorgung von chronisch Rheuma- kranken in der Bundesrepublik Deutschland" beraten. Das Memo- randum nimmt auch Stellung zu An- haltszahlen einer angemessenen rheumatologischen Versorgung oder Mitbehandlung: Die Kommission geht von einem Bedarf von einem Rheumatologen pro 150 000 Einwoh- nern aus. Sie sieht den augenblicklich drängendsten Versorgungsmangel im Fehlen einer ausreichenden Zahl von kassenärztlich tätigen Rheumatologen.

Diese solltenangesichtsder angedeu- teten Zielerkrankungen (entzünd- lich-rheumatische Krankheiten, stoff- wechselbedingte Polyarthrosen, inva- lidisierende Schmerzsyndrome wie die Fibromyalgie) eine solide interni- stische Grundausbildung aufweisen.

Legt man die genannte Anhalts- zahl zugrunde, dann fehlen heute knapp 300 solcher Rheumatologen in der BRD. Es gehört zu den Unge- reimtheiten des Gesundheitsstruktur- gesetzes, daß es eine Bedarfsplanung für Teilgebiete (wie der Inneren Me- dizin) nicht vorsieht. Unter Berufung auf die in fast allen Planungsberei- chen gegebene internistische Über- versorgung läßt sich nach der seit dem 1. Januar 1993 gültigen "Zulassungs- verordnung für Vertragsärzte" auch die Niederlassung weiterer Rheuma- tologen verhindern. Der Verweis auf Ausnahmemöglichkeiten mag im Einzelfall hilfreich sein; er wird dem systematischen Problem jedoch nicht gerecht.

Im Bereich der stationären Ver- sorgung hält die Kommission 50 akut- rheumatologische Betten pro eine Million Einwohner für ausreichend.

Es gibt eine Reihe von Bundeslän- dern (wie Berlin, Bremen, Nordrhein- Westfalen), die dieser Zahl nahe sind oder sie überschritten haben. Aber auch in gut versorgten Ländern sind regionale Ungleichverteilungen nicht ausgeschlossen (wie in Schleswig- Holstein).

Unzureichend ist die Zahl der Universitäts-Rheumakliniken. In den alten Bundesländern existieren C4- Abteilungen nur an den Fakultäten in Lübeck, Hannover, Gießen und Er- Deutsches Ärzteblatt 92, Heft 13, 31. März 1995 ( 45) A-943

(4)

MEDIZIN

langen und eine selbständige C3-ge- führte Abteilung in Freiburg. Nur wenige Medizinische Universitätskli- niken weisen darüber hinaus C3- Oberarztstellen aus, die der Rheuma- tologie gewidmet sind (wie in Göttin- gen, Düsseldorf, Regensburg und München). Schwerstkranke und sol- che mit sehr seltenen Krankheiten dürften nicht in allen Bundesländern und Regionen die gleichen Chancen zu einer Behandlung in einer rheuma- tologischen Abteilung haben, die zu- gleich Teil eines hochdifferenzierten Universitätsklinikums ist. Der Man- gel an Universitäts-Rheumakliniken beeinträchtigt auch die rheumatologi- sche Aus- und Weiterbildung.

Sichere Daten zur Bedeutung der Rehabilitationskliniken für die rheu- matologische Versorgung der Bevöl- kerung gibt es nicht. Es gibt nicht ein- mal verläßliche Zahlen zur Häufig- keit und Verteilung solcher rehabilita- tiv orientierter Rheumakliniken. Si- cher ist, daß sie (die seltener, als es möglich wäre, mit einer Ermächti- gungsambulanz versehen sind) einen heute unverzichtbaren akutrheuma- tologischen Versorgungs-Beitrag lei- sten. Für viele Kranke ist ein Aufent- halt in einer solchen Klinik die einzige Gelegenheit zu einer angemessenen rheumatologischen Diagnostik und Komplextherapie. Oft erfolgt sie spät, und das Versorgungsniveau kann nach Rückkehr an den Wohnort nicht gehalten werden.

Aktuelle Entwicklungen

Der letzte Rheumabericht der Bundesregierung ist vom 8. Dezem- ber 1987. Es wäre an der Zeit, in ei- nem weiteren Bericht über die seither erzielten Erfolge der Rheumabe- kämpfung, über fortbestehende Defi- zite und über zukunftsbezogene Akti- onspläne zu unterrichten.

Ein solcher Bericht hätte durch- aus Fortschritte anzuzeigen: Förder- initiativen der Deutschen For- schungsgemeinschaft und auch, und vor allem der Bundesregierung haben dazu beigetragen, die biologisch-ätio- logische und die epidemiologische Forschung im Gebiet der Rheumato- logie auf ein international konkur- renzfähiges Niveau zu heben.

AKTUELL / FÜR SIE REFERIERT

Von 1984 bis 1991 förderte der Bundesminister für Forschung und Technologie die Erprobung verschie- dener Modelle zur wohnortnahen Versorgung chronisch Rheumakran- ker (9, 12). Dies hat auch zu einer Be- lebung der Tätigkeiten der Deutschen Rheumaliga auf Bundesebene, aber auch im Bereich mancher Landesver- bände (etwa in Schleswig-Holstein) geführt. Im Augenblick unterstützt der Bundesminister für Gesundheit den Aufbau und die Entwicklung von 20 regionalen Rheumazentren in Ost- und Westdeutschland. Davon wird man vor allem eine Belebung der in- terdisziplinären wohnortnahen Ver- sorgung von Patienten mit einer ent- zündlich-rheumatischen Erkrankung erwarten können.

Zu erhoffen sind auch eine Stär- kung der akademischen Rheumatolo- gie und eine engere Zusammenarbeit aller ärztlichen und nichtärztlichen Disziplinen in Klinik und Praxis. Ne- ben Schwächen der Versorgungs- strukturen sind auch Defizite in der interdisziplinären Zusammenarbeit zwischen Kranken und Gesunden, Haus- und Fachärzten, Ärzten ver- schiedener Fachdisziplinen und Ein- richtungen, Ärzten und Angehörigen anderer Berufe und Fachleuten und Laien festzustellen.

In der augenblicklichen gesund- heitspolitischen Situation bedarf es besonderer und bewußter Anstren- gungen, um die Struktur-, Prozeß- und Ergebnisqualität der Versorgung von chronisch Rheumakranken in un- serem Lande zu sichern. Dabei ist den Querverbindungen zwischen den fünf Säulen der Versorgung eine besonde- re Aufmerksamkeit zu widmen.

Zitierweise dieses Beitrags:

Dt Ärztebl 1995; 92: A-940-944 [Heft 13]

Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf das Literaturverzeichnis im Sonderdruck, anzufordern über den Verfasser.

Anschrift des Verfassers:

Prof. Dr. med. Dr. phil.

Heiner Raspe

Institut für Sozialmedizin

Medizinische Universität zu Lübeck St.-Jürgen-Ring 66

23564 Lübeck

Hydrosonographie nur bedingt sinnvoll

Von Limberg wurde das Verfah- ren der Ultraschalluntersuchung des wassergefüllten Dickdarms vor allem vorgeschlagen, um Polypen und Kar- zinome zu erfassen. Die Aussagekraft sollte dabei annähernd so gut sein wie bei einer Koloskopie.

Die Autoren aus Kalifornien ha- ben bei 52 konsekutiven Patienten ei- ne Hydrosonographie des Dickdarms vor einer Koloskopie durchgeführt, wobei die Untersucher über das Er- gebnis der Untersuchung nicht infor- miert wurden. 21 Patienten boten ei- nen unauffälligen Befund bei der Ko- loskopie, 26 hatten Polypen, drei ein Karzinom und Polypen und einer ei- nen Solitärtumor. Bei 20 Polypen be- trug der Durchmesser weniger als 7 Millimeter, bei acht lag er über 7 Mil- limeter. Bei einem Patienten ist die Größenangabe nicht bekannt.

Die Hydrosonographie erfaßte kein Karzinom und nur einen Polypen mit einem Durchmesser über 7 Milli- meter sowie einen Polypen unter 7 Millimeter Durchmesser. Die Sensiti- vität des Verfahrens lag somit, was Polypen anlangt, bei 6,9 Prozent, bei Polypen über 7 mm Durchmesser bei 12,5 Prozent.

Das Ultraschallverfahren erhob die Verdachtsdiagnose einer malig- nen Raumforderung bei fünf Patien- ten sowie von fünf Polypen, die endo- skopisch nicht bestätigt werden konn- ten. Bei sechs Patienten war aller- dings die Ultraschalluntersuchung unvollständig, da bei der Wasserinstil- lation Schmerzen auftraten oder die Patienten das Wasser (ein bis zwei Li- ter) nicht halten konnten. Die Hydro- sonographie ist somit als Screening- Verfahren ungeeignet, auch wenn sie billiger ist als die Koloskopie.

Chui DW, Gooding GAW, McQuaid KR et al.: Hydrocolonic Ultrasonography in the Detection of Colonic Polyps and Tu- mors. N Engl J Med 1994; 331: 1685-1688.

Departments of Medicine and Radiology University of California and Veterans Af- fairs Medical Center, San Francisco, CA 94121.

A-944 (46) Deutsches Ärzteblatt 92, Heft 13, 31. März 1995

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