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Häufiges Überessen nach Reduktionsdiät bei Frauen und Männern: eine Bevölkerungsstudie zur Rolle der Unzufriedenheit mit dem Körpergewicht

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Academic year: 2022

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Aus der Forschungs- und Lehreinheit Medizinische Psychologie

der Medizinischen Hochschule Hannover

Häufiges Überessen nach Reduktionsdiät bei Frauen und Männern:

eine Bevölkerungsstudie zur Rolle der Unzufriedenheit mit dem Körpergewicht

Dissertation

zur Erlangung des Doktorgrades der Medizin in der Medizinischen Hochschule Hannover

Vorgelegt von Christine Bremer

aus Wismar

Hannover, 2008

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ii Angenommen vom Senat der Medizinischen Hochschule Hannover am:

07. April 2010

Gedruckt mit Genehmigung der Medizinischen Hochschule Hannover

Präsident:

Prof. Dr. med. Dieter Bitter-Suermann

Betreuer der Arbeit:

Prof. Dr. rer. nat. Karin Lange

Referent:

PD Dr. med. Burkhard Jäger

Korreferent:

Prof. Dr. med. Siegfried Geyer

Tag der mündlichen Prüfung:

07. April 2010

Promotionsausschussmitglieder:

Frau Prof. Dr. Brigitte Lohff Herr Prof. Dr. Siegfried Geyer

Frau Prof. Dr. Karin Lange

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iii Danksagung

Ohne die tatkräftige Unterstützung vieler Menschen wäre diese Arbeit in dieser Form nie zustande gekommen. Bei ihnen möchte ich an dieser Stelle herzlich bedanken:

In erster Linie denke ich dabei an Herrn Dr. Thomas von Lengerke, der mein Interesse für die Essstörungsproblematik geweckt hat und die vorliegende Dissertation in allen Phasen stets engagiert begleitete und schließlich durch wertvolle Hinweise und Anstöße zur Fertigstellung beitrug. Durch eine Vielzahl von Diskussionen und Erklärungen konnten durch ihn inhaltliche Zusammenhänge geklärt und die Bedeutung der Ergebnisse herausgearbeitet werden.

Zu Dank bin ich auch Frau Professorin Dr. Karin Lange sowie den Mitarbeitern der Forschungs- und Lehreinheit Medizinische Psychologie verpflichtet, die die Dissertation durch wissenschaftliche Betreuung stets unterstützten.

Ein spezieller Dank gilt auch meinen Eltern, Geschwistern und Freunden, die mich in allen Arbeitsphasen, inklusive der Arbeitshochs und -tiefs, immer unterstützten und motivierten und somit zum Fortgang der Dissertation beitrugen.

Vielen, vielen Dank!

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iv Inhaltsverzeichnis

1. Publikation: Häufiges Überessen nach Reduktionsdiät bei Frauen und Männern:

eine Bevölkerungsstudie zur Rolle der Unzufriedenheit mit dem Körpergewicht _____ 1 2. Einleitung _______________________________________________________________ 12 3. Binge Eating Disorder (BED): Forschungsstand zu einer „neuen“ Essstörung ______ 14 3.1. Klinisches Bild und Verlauf_____________________________________________________ 14 3.2. Klassifikation und Diagnostik ___________________________________________________ 18 3.3. Epidemiologie und Komorbidität_________________________________________________ 21 3.4. Ätiologie ___________________________________________________________________ 22 3.5. Therapie ____________________________________________________________________ 25

4. Overeating: Eine eigene Studie zu psychologischen Determinanten eines BED-

Symptoms_________________________________________________________________ 31 4.1. Fragestellung und Hypothesen___________________________________________________ 31 4.2. Methodik und Untersuchungsinstrumente __________________________________________ 32 4.3. Zusammenfassung der Ergebnisse ________________________________________________ 34 4.4. Diskussion der Ergebnisse vor dem Hintergrund des aktuellen Forschungsstandes __________ 36

5. Zusammenfassung und Fazit _______________________________________________ 42 6. Literaturverzeichnis ______________________________________________________ 43 7. Anhang _________________________________________________________________ 51 7.1 Curriculum vitae ______________________________________________________________ 51 7.2 Erklärung____________________________________________________________________ 52

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v Abbildungs- und Tabellenverzeichnis

Tabelle 1: Stichprobenbeschreibung (NGesamt = 4206) (s. S. 187 der Publikation) _____________6 Tabelle 2: Verteilungen des häufigen Überessens, des Diätverhaltens, der Unzufriedenheit

mit dem eigenen Körpergewicht sowie ausgewählter Confounder bei Frauen und Männern (NGesamt = 4206) (s. S. 187 der Publikation) ___________________________6 Tabelle 3: Häufiges Überessen bei Frauen und Männern: (a) Anteile in verschiedenen Sub-

gruppen und (b) Ergebnisse der multiplen Regressionsanalysen (s. S. 188 der

Publikation) __________________________________________________________7 Abbildung 1: Häufiges Überessen in Abhängigkeit vom Diätverhalten in den letzten 12 Monaten

bei Frauen beziehungsweise Männern, die unzufrieden vs. zufrieden mit ihrem

Körpergewicht sind (s. S. 189 der Publikation)________________________________ 8 Tabelle 4: Kriterien zur Diagnosestellung der Störung mit Essanfällen (BED) nach DSM-IV ____ 19 Abbildung 2: Entstehungs- und Aufrechterhaltungsmodell von Essstörungen nach Laessle et al. ___ 25

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vi Abkürzungsverzeichnis

AN Anorexia nervosa

APA American Psychiatric Association BED Binge Eating Disorder

BMI Body Mass Index

BN Bulimia Nervosa

CBT Cognitive Behavioral Therapy

DSM-III Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders, 3. Ausgabe DSM-IV Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders, 4. Ausgabe EDE Eating Disorder Examination

EDNOS Eating Disorder, not otherwise specified FFF Food Frequency-Fragebogen

GABA Gamma Aminobuttersäure

ICD-10 International Code of Diseases, 10. Revision IPT Interpersonelle Psychotherapie

KORA Kooperative Gesundheitsforschung in der Region Augsburg POTS Perception of Teasing Scale

QEWP Questionnaire on Eating and Weight Patterns SSRI Selektiver Serotonin-Wiederaufnahmeinhibitor TZA Trizyklische Antidepressiva

YBC EDS Yale-Brown-Cornell Eating Disorder Scale

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0B1. Publikation: Häufiges Überessen nach Reduktionsdiät bei Frauen und Männern: eine Bevölkerungsstudie zur Rolle der Unzufriedenheit mit dem Körpergewicht

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1. Publikation: Häufiges Überessen nach Reduktionsdiät bei

Frauen und Männern: eine Bevölkerungsstudie zur Rolle der

Unzufriedenheit mit dem Körpergewicht

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Z Med Psychol 16 (2007), 183 – 192

Häufiges Überessen nach Reduktionsdiät bei Frauen und Männern: eine Bevölkerungsstudie zur Rolle der Unzufriedenheit

mit dem Körpergewicht

Frequent Overeating after Dieting for Weight Reduction in Women and Men: a Population Study on the Role of Body Weight Dissatisfaction

Christine Bremer1, Thomas von Lengerke1,2& KORA-Studiengruppe3

Zusammenfassung

Reduktionsdiäten können mit gesundheitlichen Risikofaktoren und Störun- gen assoziiert sein. Dabei wird zunehmend gefordert, die psychologischen Bedingungen negativer Diäteffekte genauer zu spezifizieren. Die vorliegen- de Studie untersucht den Zusammenhang von Diätverhalten und häufigem Überessen sowie die Rolle der Unzufriedenheit mit dem eigenen Körperge- wicht für Frauen und Männer.

Daten des Survey 1999/2001 der Kooperativen Gesundheitsforschung in der Region Augsburg (KORA; Zufallsstichprobe aus den Einwohnermel- deamtsregistern;N=4261; Alter: 25 – 74; Response: 67 %) wurden regres- sionsanalytisch analysiert. Diätverhalten (mindestens eine Diät in den letz- ten 12 Monaten), Unzufriedenheit mit dem Körpergewicht und Überessen wurden mit KORA-Items in computergestützten persönlichen Interviews er- hoben. Für Alter, Wohnort, Familienstand, Sozialschicht, den anthropome- trisch gemessenen Body Mass-Index, Ernährungsmuster, Alkoholkonsum, Rauchen und Bewegungsverhalten wurde adjustiert.

Diätverhalten ist nur bei Männern prädiktiv für häufiges Überessen (OR= 1.69,p<0.05). Demgegenüber sind die Odds häufigen Überessens bei bei- den Geschlechtern mehr als verdoppelt, wenn Unzufriedenheit mit dem Ge- wicht vorliegt (OR=2.1, p<0.001). Zugleich geht der Zusammenhang zwischen Diätverhalten und Überessen bei Männern auf die Gruppe zurück, die unzufrieden mit ihrem Gewicht ist (33 % häufiges Überessen nach Diät vs. 21 % ohne Diät;p<0.05).

Unzufriedenheit mit dem Körpergewicht ist stärker als Diätverhalten mit häufigem Überessen assoziiert und bei Männern eine Bedingung für die As- soziation zwischen Diätverhalten und häufigem Überessen. Die Studie legt nahe, im Rahmen essverhaltensbezogener Interventionen beim Thema Kör- pererleben insbesondere bei Männern das Diätverhalten zu berücksichtigen.

Abstract

Reduction diets may be associated with health-related risk factors and ill- health. In this context, there is an increasing call to more thoroughly specify psychological preconditions for negative dieting effects. This study scruti- nizes the association of dieting behaviour with frequent overeating, and the role of dissatisfaction with one’s body weight, for women and men.

Data of the Survey 1999/2001 of the Cooperative Health Research in the Augsburg Region (KORA; random sample from public registry offices list- ings; N=4261; age range: 25 – 74, response: 67 %) were analysed via multiple regressions. Dieting behaviour (at least one episode in the last 12 months), body weight dissatisfaction, and overeating were assessed via KORA-items in computer-aided personal interviews. Age, place of resi- dence, marital status, socio-economic status, body mass index (measured by anthropometry), nutritional pattern, alcohol consumption, smoking and physical activity were adjusted for.

Dieting is predictive for frequent overeating among men only (OR=1.69, p<0.05). In contrast, the odds for frequent overeating among both sexes were twofold given body weight dissatisfaction (OR=2.1, p<0.001).

Also, the association of dieting behaviour and overeating among men is attributable to those who are dissatisfied with their weight (33 % rate of frequent overeating after dieting vs. 21 % without;p<0.05).

Body weight dissatisfaction is more strongly associated with frequent overeating than dieting behaviour, and, among men, a precondition for the association of dieting behaviour and frequent overeating. The study suggests taking into account dieting behaviour when attending to the issue of body ex- perience in interventions targeting eating behaviour, especially among men.

Schlagworte

Überessen, Reduktionsdiäten, Unzufriedenheit mit dem eigenen Körpergewicht, Geschlechtsunterschiede, bevölkerungsrepräsentative Gesundheitsverhaltensforschung

Key-Words

Overeating, reduction dieting, body weight dissatisfaction, gender differences, population-based health behaviour research

Korrespondenzadresse: Dr. phil. Dipl.-Psych. Thomas von Lengerke, Medi- zinische Hochschule Hannover, Forschungs- und Lehreinheit Medizinische Psychologie (OE 5430), Carl-Neuberg-Straße 1, 30625 Hannover. Tel.: +49 (0)511 532-4445; Fax: +49 (0)511 532 4214; E-mail: lengerke.thomas@mh- hannover.de.

1Medizinische Hochschule Hannover, Forschungs- und Lehreinheit Medi- zinische Psychologie, Hannover.

2GSF-Forschungszentrum für Umwelt und Gesundheit, Institut für Gesund- heitsökonomie und Management im Gesundheitswesen (IGM), Neuher- berg.

3Die KORA-Studiengruppe besteht aus H.-E. Wichmann (Sprecher), H. Lö- wel, C. Meisinger, T. Illig, R. Holle, J. John und Mitarbeitern, die für Pla- nung und Durchführung der KORA-Studien verantwortlich sind.

Danksagung: Die vorliegende Arbeit ist Teil des KORA-Survey 1999/2001 (ehemals KORA-Survey 2000), eines Projekts der Forschungsplattform

„Kooperative Gesundheitsforschung in der Region Augsburg“ (KORA) des

1 Einleitung

Häufiges Überessen – im Sinne wiederholter Nahrungsauf- nahme über den Sättigungspunkt hinaus – spielt ätiologisch und symptomatisch sowohl für Adipositas als auch für ver- schiedene Essstörungen eine zentrale Rolle. Zu den Fakto-

GSF-Forschungszentrums für Umwelt und Gesundheit, das vom Bundesmi- nisterium für Bildung und Forschung und vom Freistaat Bayern gefördert wird. Die Zustimmung zur Durchführung des Surveys wurde vom zuständi- gen Ethikkomitee der Bayerischen Landesärztekammer erteilt. Die Autoren danken Dr. Jürgen John für die Projektleitung und Bereitstellung der Daten, Angela Döring, Prof. Dr. Rolf Holle, Dr. Andreas Mielck und Dr. Peter Reit- meir für ihre Beratung in verschiedenen Zusammenhängen der Arbeit sowie Andrea Wulff und Hannelore Nagl für ihre medizinisch-dokumentarische Unterstützung.

Zeitschrift für Medizinische Psychologie 4/2007 183

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C. Bremer et al. / Häufiges Überessen nach Reduktionsdiät

ren, die mit Überessen assoziiert sind, gehören Diätverhalten im Sinne intentionaler Beschränkung der Nahrungsaufnah- me mit dem Ziel der Körpergewichtsabnahme (also Reduk- tionsdiäten) sowie Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper, und zwar vor allem dem Körpergewicht (als Aspekt des Kör- pererlebens; Röhricht et al., 2005). Dabei wird Diätverhalten häufig als Variable modelliert, die den Zusammenhang zwi- schen Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper und Überes- sen vermittelt (Haines & Neumark-Sztainer, 2006).

Allerdings ist eine zunehmende Skepsis gegenüber die- ser Interpretation der entsprechenden Befunde in der Lite- ratur zu verzeichnen (National Task Force on the Preventi- on and Treatment of Obesity, 2000; Stice et al., 2005). Die- se Skepsis bezieht sich zum einen auf Unterschiede zwi- schen beobachtenden und kontrollierten Studien: Selbstanga- ben zum Diätverhalten in Beobachtungsstudien sind generell stärker mit Symptomen gestörten Essverhaltens assoziiert als Diätverhalten in Therapieexperimenten oder Gewichtsreduk- tionsprogrammen (Stice et al., 2005; van Strien et al., 2005;

Elfhag & Rössner, 2005). Zum anderen wird argumentiert, dass Diätverhalten nicht nur zu Gesundheitsproblemen wie Adipositas (Field et al., 2003; French et al., 1994), Mangeler- nährung (bei nährstoffarmen oder -einseitigen Diäten; Coles et al., 2005; Roberts et al., 2005) und Essstörungen, sondern in reziproker Weise auch zu negativem Körpererleben füh- ren kann (Grogan, 2006; Haines & Neumark-Sztainer, 2006;

Stice & Shaw, 2002): „(. . . ) dieting can also lead to over- eating, low self-esteem, feelings of lack of control, feelings of fatness, and increased body dissatisfaction(. . . )“ (Gro- gan, 1999, S. 174; Hervorhebung hinzugefügt). So haben in Deutschland Analysen für die erwachsene Bevölkerung in der Region Augsburg gezeigt, dass die Chance, unzufrieden mit dem Gewicht zu sein, bei Personen nach voran gegan- gener Reduktionsdiät mehr als doppelt so hoch war als bei denen, die keine Diät durchgeführt hatten (adjustiert unter anderem für die Körpermasse; Mönnichs & von Lengerke, 2004). Schließlich wird zunehmend deutlich, dass die psy- chologischen Bedingungen, unter denen sich Diäten auf das Überessen auswirken, genauer spezifiziert werden müssen, um eine bessere Interpretation der inkonsistenten Datenlage zu ermöglichen (Elfhag & Rössner, 2005; Johnson & Wardle, 2005).

In diesem Zusammenhang ist angesichts der lediglich 15- prozentigen Erfolgsquote diätetisch erreichter längerfristiger Gewichtsabnahme (Ayyad & Andersen, 2000) sowie der In- ternalisierung einer weitgehend unrealistischen Schönheits- (= Schlankheits-)Norm zu vermuten, dass Unzufriedenheit mit dem eigenen Körpergewicht eine dieser psychologischen Bedingungen sein kann. So hatte die genannte Studie in der Region Augsburg ebenfalls gezeigt, dass die höhere Chan- ce für Personen nach Diät, unzufrieden mit dem Gewicht zu sein, auf diejenigen zurückzuführen war, die von Jojo- Effekten und/oder einem Misserfolg ihrer Diät berichtet hat- ten (Mönnichs & von Lengerke, 2004). Überdies ist aus Studien in klinischen Settings bekannt, dass Überessen ei-

ne maladaptive Bewältigungsstrategie für Rückfälle bei Re- duktionsdiäten sein kann (Anderson et al., 2006). Schließlich kann Unzufriedenheit mit dem Körpergewicht in westlichen industrialisierten Gesellschaften als epidemisch gelten: Ge- schätzte 61 % der EU-Bürger über 15 Jahre sind mit ihrem Gewicht unzufrieden (und überwiegend weiblich; McElhone et al., 1999).

Vor diesem Hintergrund schließt die vorliegende Studie an die oben genannten Analysen in der Region Augsburg (Mönnichs & von Lengerke, 2004) an und untersucht, ob und ggf. wie stark das Diätverhalten dieser bevölkerungsre- präsentativen Stichprobe (operationalisiert als Durchführung einer Diät zum Abnehmen in den letzten 12 Monaten) mit häufigem Überessen assoziiert ist, und welche Rolle Unzu- friedenheit mit dem eigenen Körpergewicht für diesen Zu- sammenhang spielt. Dabei ist die zentrale Hypothese, dass die Assoziation zwischen Diätverhalten und Überessen auf Personen begrenzt ist, die mit ihrem Gewicht unzufrieden sind (Effekt modifizierende Rolle der negativen Bewertung des Gewichts). Gleichzeitig ist bekannt, dass bei Männern sowohl Diätverhalten (Mensink et al., 2002) als auch Unzu- friedenheit mit dem Körper (McCabe & Ricciardelli, 2004) seltener ist als bei Frauen (letzteres gilt auch bei gegebener Essstörung; vergleiche Grabhorn et al., 2003). Daher ist zu vermuten, dass Männer, die nach einer Reduktionsdiät mit ih- rem Gewichtunzufrieden sind, eine besonders belastete Sub- gruppe darstellen, vor allem in Anbetracht der meist relativ hohen körperbezogenen Leistungsorientierung bei Männern (Kluge et al., 1999). Dementsprechend werden im Folgenden alle spezifizierten Zusammenhänge für Frauen und Männer getrennt analysiert.

2 Methoden

2.1 Population und Stichprobe

Die Daten stammen aus dem Survey 1999/2001 der For- schungsplattform „Kooperative Gesundheitsforschung in der Region Augsburg (KORA)“, einem repräsentativen Gesund- heitssurvey der Bevölkerung der Region Augsburg (Augs- burg und Landkreise Augsburg und Aichach-Friedberg) im Alter von 25 bis 74 Jahren (hier: Geburtsdatum zwischen 01.07.1925 und 30.06.1975) und deutscher Staatsangehörig- keit. In einer zweistufigen, alters- und geschlechtsstratifizier- ten Zufallsauswahl aus den Einwohnermeldeamtsregistern wurden in 17 Studienorten insgesamt eine Bruttostichprobe von 6640 Frauen und Männern in insgesamt fünf Altersgrup- pen (25 – 34, 35 – 44, 45 – 54, 55 – 64, 65 – 74) mit der Pro- zedur RANUNI in SAS 8.1 for Windows gezogen, wobei die Hälfte aus der Stadt Augsburg stammte. Von dieser Brutto- stichprobe nahmen zwischen Oktober 1999 und April 2001 N=4261 Personen an einem umfangreichen Untersuchungs- und Befragungsprogramm im Augsburger Studienzentrum sowie 11 Außenzentren in den beiden Landkreisen teil. Die

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C. Bremer et al. / Häufiges Überessen nach Reduktionsdiät

Teilnahmerate betrug nach Berücksichtigung neutraler Aus- fälle 67 %. Eine telefonische Kurzbefragung der Nonrespon- der (Teilnahmerate: 49 %) zeigte für diese Gruppe tendenzi- ell häufigere Hauptschulbildung (65 %, vs. 54 % unter den Teilnehmern), häufigere schlechte oder weniger gute selbst eingeschätzte Gesundheit (28 %, vs. 21 %), mehr Unverhei- ratete (34 %, vs. 29 %), mehr Raucher (29 %, vs. 26 %), häufigeren Arztkontakt in den letzten vier Wochen (46 %, vs. 38 %) sowie höhere Raten von Herzinfarkten (6 %, vs. 3 %) und Diabetes (7 %, vs. 4 %; Hoffmann et al., 2004).

Informationen zum Survey und zur Forschungsplattform, die für die vorliegende Arbeit nicht essenziell sind, sind an an- derer Stelle dokumentiert (Holle et al., 2005).

2.2 Operationalisierungen und Erhebungsinstrumente Der Befragungsteil des Surveys bestand aus einem compu- tergestützten Interview, aus dem abgesehen von Körpergrö- ße und -gewicht alle in der vorliegenden Arbeit verwendeten Erhebungsinstrumente stammen.

Häufiges Überessen.Das Vorliegen häufigen Überessens wurde mit dem Item „Essen Sie weiter, wenn es Ihnen schmeckt, auch wenn Sie satt sind?“ operationalisiert. Da- bei wurden die vorgegebenen Antwortkategorien „immer“

und „oft“ als „häufiges Überessen“ zusammengefasst, wäh- rend die Angaben „manchmal“ oder „nie“ nicht als indikativ für häufiges Überessen gewertet wurden. Diese Dichotomi- sierung wurde ebenso wie diejenigen für die Unzufrieden- heit mit dem eigenen Körpergewicht (siehe unten) durchge- führt, um einerseits die Präsentation der Regressionsmodelle möglichst anschaulich zu halten. Andererseits sollte die Ro- bustheit der Modellergebnisse durch Antwortkategorien, die seitens der Surveyteilnehmer vergleichsweise selten benutzt worden waren, nicht gefährdet werden.

Diätverhalten. Die Durchführung einer Reduktionsdi- ät wurde retrospektiv für die letzten 12 Monate mit dem

„ja“/„nein“-skalierten Item „Haben Sie in den letzten 12 Mo- naten eine Diät zum Abnehmen gemacht?“ erfragt.

Unzufriedenheit mit dem eigenen Körpergewicht.Unzu- friedenheit mit dem eigenen Körpergewicht wurde durch das Item „Wie zufrieden sind Sie mit Ihrem Gewicht?“ operatio- nalisiert, wobei den Teilnehmern eine vierstufige Skala mit den Ankern „sehr zufrieden“, „eher zufrieden“, „eher unzu- frieden“ und „sehr unzufrieden“ zur Verfügung stand. Diese Variable wurde für die statistische Auswertung in dem Sin- ne dichotomisiert, dass „sehr unzufrieden“ und „eher unzu- frieden“ Unzufriedenheit sowie „sehr zufrieden“ und „eher zufrieden“ Zufriedenheit indizieren (zur Begründung siehe obenHäufiges Überessen).

Ernährung, Alkoholkonsum, Rauchen, Sportverhal- ten. Das Ernährungsverhalten wurde mittels eines Food Frequency-Fragebogen erhoben, der die Verzehrshäufig- keiten von 24 Lebensmittelgruppen ohne Mengenangaben erfasst (Winkler & Döring, 1995). Diese Häufigkeiten wur- den in sechs Kategorien erhoben („(fast) täglich“/„mehrmals

in der Woche“/„etwa einmal in der Woche“/„mehrmals im Monat“/„einmal im Monat oder seltener“/„nie“), die wiederum in einen dreistufigen Index überführt werden.

Dieser Index ermöglicht es, Übereinstimmungen mit den Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung als „optimal“, „mittel“ beziehungsweise „ungünstig“ zu klassifizieren. Dieses Instrument ist zur Erfassung gesunder vs. ungesunder Ernährungsweisen als ähnlich valide wie ein 7-Tage-Ernährungsprotokoll nachgewiesen worden (Winkler & Döring, 1995). Der Alkoholkonsum wurde in Form einer Recall-Methode erhoben, bei der die Aufnahme von Bier (normales, alkoholarmes oder Leichtbier und alkoholfreies Bier), Wein und Spirituosen während des letzten Wochenendes und des letzten Werktages erfragt wird. Aus diesen Angaben wurde der Alkoholkonsum für die vergangene Woche hochgerechnet und daraus die durchschnittliche Alkoholaufnahme in g/Tag berechnet (Keil

& Kuulasmaa, 1989). Für die vorliegenden Analysen wurde diese Variable anhand toxischer Grenzwerte dichotomisiert (Männer: >40 g/Tag, Frauen: >20 g/Tag; Herold et al., 2001). Zur Erfassung des Rauchverhaltens wurde den Studienteilnehmern zunächst die ja/nein-skalierte Frage

„Rauchen Sie zurzeit Zigaretten?“ gestellt. Wurde diese bejaht, schloss sich die Frage „Rauchen Sie regelmäßig oder gelegentlich; gelegentlich, das heißt gewöhnlich we- niger als eine Zigarette pro Tag?“ an, bei Verneinung das Item „Haben Sie jemals Zigaretten geraucht?“. Auf dieser Grundlage wurden die Teilnehmer in Zigarettenraucher, un- regelmäßige, gelegentliche Zigarettenraucher, Ex-Raucher und Nie-Raucher eingeteilt und für die statistischen Ana- lysen die beiden erstgenannten Kategorien in „Raucher“

zusammengefasst. Sportliche Bewegung wurde durch die beiden Items „Wie oft betreiben Sie im Sommer Sport?“

und „Wie oft betreiben Sie im Winter Sport?“ erhoben, die in einen vierstufigen Score eingingen („sehr aktiv“, „mäßig aktiv“, „wenig aktiv“, und „nicht aktiv“; Keil & Kuulasmaa, 1989).

Körpergewicht und -größewurden im Rahmen der an- thropometrischen Untersuchungen des Surveys ermittelt. Die Eichung der Messgeräte wurde durch vorschriftsmäßige Prü- fungen mit Eichgewichten beziehungsweise -widerständen sichergestellt. Der Body Mass-Index (BMI) wurde mittels Division des Körpergewichts in Kilogramm durch die qua- drierte Körpergröße in Metern berechnet (kg/m2). Die Eintei- lung nach Übergewicht erfolgte auf dieser Grundlage gemäß WHO-Klassifikation (Untergewicht:BMI<18.5; Normal- gewicht: 18.5BMI<25; Präadipositas: 25BMI<30;

Adipositas Grad I: 30BMI<35; Adipositas Grad II: 35 BMI<40; Adipositas Grad III:BMI40; WHO, 2000).

Für die statistischen Auswertungen wurden neben 29 Perso- nen, für die kein BMI berechnet werden konnte, aus Gründen der Zellbesetzung (N=26) und ihrer spezifischen Gesund- heitsprobleme alle Untergewichtigen ausgeschlossen. Eben- so aus Gründen der Zellbesetzung wurden die Adipositas- Grade II und III zu einer Gruppe zusammengefasst. Damit

Zeitschrift für Medizinische Psychologie 4/2007 185

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C. Bremer et al. / Häufiges Überessen nach Reduktionsdiät

ging eine vierstufige Variable mit den BMI-Kategorien „nor- malgewichtig“, „präadipös“, „adipös Grad I“ und „adipös Grad II – III“ in die Analysen ein.

Soziodemographische und -ökonomische Faktoren.Ne- ben den durch die Stichprobenziehung bekannten Variablen Geschlecht, Lebensalter und Wohnort (Stadt/Land) wurden auf Grundlage der Empfehlungen des Robert Koch-Instituts (Jöckel et al., 1998) Bildung, beruflicher Status und Ein- kommen erhoben, und daraus die Variable „Sozialschicht“

gebildet (revidierte Version des Indexes von Helmert; ver- gleiche Mielck, 2000). Kern dieser Empfehlungen ist die Berücksichtigung des höchsten Schul- beziehungsweise Be- rufsbildungsabschlusses, dem Äquivalenzeinkommen sowie dem derzeitigen oder früheren Berufsstatus (beziehungswei- se dem des Partners). So wurde eine Zuordnung jeder Per- son zu einer der Kategorien „untere Schicht“, „untere Mit- telschicht“, „mittlere Mittelschicht“, „obere Mittelschicht“

und „obere Schicht“ möglich. Der Familienstand wurde per Selbstangabe als verheiratet, ledig, geschieden oder verwit- wet erhoben, wobei die beiden letztgenannten Kategorien für die Auswertung zusammengefasst wurden.

2.3 Statistisches Vorgehen

Die Analysen, die sämtlich sowohl für Frauen als auch für Männer durchgeführt wurden, umfassten neben einer Stich- probenbeschreibung (Tabelle 1) folgende Schritte. Zuerst wurden die Verteilungen des häufigen Überessens, des Diät- verhaltens, der Unzufriedenheit mit dem eigenen Gewicht sowie der Confounder BMI und Ernährungsmuster für Frau- en und Männer deskriptiv analysiert (Tabelle 2). Anschlie- ßend wurden zunächst deskriptiv die Verteilungen häufigen Überessens in Abhängigkeit von Alter, Wohnort, Familien- stand, Sozialschicht, BMI, Unzufriedenheit mit dem eigenen Körpergewicht, Diätverhalten, Ernährungsmuster, Alkohol- konsum, Rauchverhalten, und sportlicher Aktivität analysiert (Tabelle 3(a)) sowie danach eine multiple logistische Regres- sionsanalyse mit häufigem Überessen als Kriterium (Regres- sand) und allen genannten Variablen als Indikatoren (Regres- soren) durchgeführt, um die spezifischen Zusammenhänge zwischen häufigem Überessen und diesen Variablen zu pa- rametrisieren (adjustiertes Modell; Tabelle 3(b)). Schließlich wurden in einer weiteren Regression die Unterschiede im Vorkommen häufigen Überessens zwischen Personen nach vs. ohne Diät in Abhängigkeit von ihrer Unzufriedenheit mit dem Gewicht modelliert (Abbildung 1). Dazu wurden Kon- trastanalysen mittels Repeated Contrasts über die entspre- chende Kombinationsvariable mit den Ausprägungen „kei- ne Diät, zufrieden“, „keine Diät, unzufrieden“, „Diät, zufrie- den“, und „Diät, unzufrieden“ durchgeführt (auf die Verwen- dung eines Produktterms wurde verzichtet, da sie für Be- dingungsanalysen im Rahmen logistischer Regressionen wie in der vorliegenden als nicht geeignet gilt: Hallqvist et al., 1996). Für alle Analysen wurde SPSS 14.0 für Windows ver- wendet.

2.4 Stichprobenbeschreibung

Tabelle 1 zeigt die Verteilung der soziodemographi- schen und sozioökonomischen Größen und der nicht- ernährungsbezogenen behavioralen Variablen für Frauen und Männer. Zunächst ist festzuhalten, dass die annähernden Gleichverteilungen von Alter und Wohnort aufgrund des stratifizierten Stichprobendesigns zustande kommen. Hin- sichtlich des Familienstands ist der Anteil Verheirateter bei beiden Geschlechtern in etwa gleich hoch, während vor al- lem der Anteil Geschiedener beziehungsweise Verwitweter bei den Frauen höher ist. Bezüglich der Sozialschicht fällt vor allem auf, dass bei den Frauen die größten Anteile be- sonders in der unteren Schicht und in der mittleren Mittel- schicht zu finden sind. Demgegenüber sind bei den Männern die beiden oberen Sozialschichten (obere Mittelschicht und obere Schicht) am stärksten besetzt. Nur etwa ein Achtel der Frauen gehört der oberen Sozialschicht an.

Bei den behavioralen Faktoren fällt auf, dass bzgl. Al- kohol die Prävalenz des Konsums toxischer Dosen bei den Männern höher ist als bei den Frauen. Etwa zwei Drittel der Männer haben Raucherfahrung, bei circa einem Drittel derzeitiger Raucher. Mehr als die Hälfte der Frauen hat nie geraucht, und nur jede Fünfte tat dies zum Zeitpunkt des Surveys. Dagegen sind die Raten sportlicher Inaktivität ver- gleichbar. Allerdings ist unter den Frauen ein höherer Anteil mäßig aktiv als bei den Männern, während bei letzteren der Anteil der sehr Aktiven größer ist.

3 Ergebnisse

3.1 Verteilung des häufigen Überessens, Diätverhaltens und der Unzufriedenheit mit dem eigenen Gewicht sowie ausgewählter Confounder bei Frauen und Männern

Tabelle 2 zeigt die Verteilungen der zentralen Variablen bei Frauen und Männern. Der Anteil normalgewichtiger Perso- nen ist bei den Frauen größer als bei den Männern. Beim Übergewicht ist der Anteil Präadipöser bei den Männern deutlich höher ist als bei den Frauen, während bei der Adi- positas Grad II – III die Frauen einen höheren, fast doppelt so hohen Anteil aufweisen. Gleichzeitig ist bei den Frauen knapp die Hälfte unzufrieden mit ihrem Gewicht, während dieser Anteil bei den Männern nur circa ein Drittel beträgt.

Auf die Frage, ob sie in den letzten 12 Monaten eine Di- ät zum Abnehmen gemacht hatten, antworteten knapp fünf Prozent mehr Frauen als Männer mit „ja“. Über die Hälfte der Frauen geben eine optimale Ernährung an, während die- ses bei den Männern nur ein gutes Drittel sind. Schließlich ist der Anteil der Personen, die über häufiges Überessen berich- ten, bei den Männern um dreieinhalb Prozentpunkte höher als bei den Frauen.

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C. Bremer et al. / Häufiges Überessen nach Reduktionsdiät

Frauen (N=2133) Männer (N=2073)

N Anteil (%) N Anteil (%)

Alter 25 – 34 Jahre 416 19.5 405 19.5

35 – 44 Jahre 454 21.3 418 20.0

45 – 54 Jahre 457 21.4 419 20.2

55 – 64 Jahre 436 20.4 440 21.2

65 – 74 Jahre 370 17.3 391 18.9

Wohnort Stadt 947 44.4 957 46.2

Land 1186 55.6 1116 53.8

Familienstand verheiratet 1476 69.3 1491 72.0

ledig 302 14.2 390 18.8

geschied./verwitw. 352 16.5 190 9.2

Sozioökonomischer obere Schicht 261 12.3 479 23.2

Status (Helmert-Index) obere mittlere S. 400 18.8 435 21.1

mittlere mittlere S. 538 25.3 382 18.5

untere mittlere S. 374 17.6 394 19.1

untere Schicht 550 25.9 373 18.1

Alkoholkonsum 20bzw.40mg/d 1836 86.4 1651 80.1

>20bzw.>40mg/d 290 13.6 411 19.9

Rauchverhalten Nie-Raucher 1157 54.3 641 31.0

Ex-Raucher 523 24.5 792 38.3

Raucher 451 21.2 637 30.8

Sportliche Aktivität sehr aktiv 381 17.9 472 22.9

mäßig aktiv 670 31.5 524 25.4

wenig aktiv 357 16.8 365 17.7

nicht aktiv 718 33.8 700 34.0

Tabelle 1: Stichprobenbeschrei- bung (NGesamt=4206)

Frauen (N=2133) Männer (N=2073)

N Anteil (%) N Anteil (%)

Body Mass-Index normalgewichtig 858 40.2 536 25.9

übergewichtig 744 34.9 1067 51.5

adipös Grad I 365 17.1 382 18.4

adipös Grad II – III 166 7.8 88 4.3

Unzufriedenheit mit unzufrieden 1008 48.3 670 33.2

dem Körpergewicht zufrieden 1078 51.7 1349 66.8

Diätverhalten (Diät in ja 290 13.9 186 9.2

den letzten 12 Monaten?) nein 1794 86.1 1833 90.8

Ernährungsmuster optimal 1164 54.8 833 40.4

(Basis: Verzehrhäufig- mittel 422 19.9 451 21.9

keiten [food frequencies]) ungünstig 539 25.4 777 37.7

Überessen häufig 233 11.2 296 14.7

nicht häufig 1847 88.8 1718 85.3

Tabelle 2: Verteilungen des häu- figen Überessens, des Diätverhal- tens, der Unzufriedenheit mit dem eigenen Körpergewicht sowie aus- gewählter Confounder bei Frauen und Männern (NGesamt=4206)

3.2 Häufiges Überessen bei Frauen und Männern: Anteile in verschiedenen Subgruppen und assoziierte Faktoren (multiple Regressionsanalysen)

Tabelle 3(a) zeigt – jeweils für Frauen und Männer – die Verteilungen häufigen Überessens in Abhängigkeit von allen in der Studie berücksichtigten Variablen (deskripti- ve Analyse), und Tabelle 3(b) die Ergebnisse des jeweili- gen multiplen logistischen Regressionsmodells, mittels des- sen häufiges Überessen in Abhängigkeit von Diätverhalten und Unzufriedenheit mit dem Gewicht sowie aller ande- ren Variablen analysiert wurde (adjustiertes Modell). Zu-

nächst zeigt sich bei beiden Geschlechtern ein Altersgradi- ent in dem Sinne, dass die Anteile von Personen mit häu- figem Überessen in den jüngeren Gruppen im Vergleich zur Altergruppe 65 bis 74 bis um den Faktor 10 erhöht sind. Dieser Zusammenhang erklärt auch die zum Teil signi- fikanten Unterschiede zwischen geschiedenen beziehungs- weise verwitweten vs. verheirateten Teilnehmern. Weiter- hin ist in dieser Stichprobe Überessen in oberen Sozial- schichten häufiger. Dies gilt insbesondere für Frauen, bei de- nen die Odds in der oberen Schicht um mehr als den Fak- tor drei erhöht sind. Demgegenüber sind die Unterschie- de zwischen Übergewichtigen und Adipösen im Vergleich

Zeitschrift für Medizinische Psychologie 4/2007 187

(13)

C. Bremer et al. / Häufiges Überessen nach Reduktionsdiät

Tabelle 3: Häufiges Überessen bei Frauen und Männern: (a) Anteile in verschiedenen Subgruppen und (b) Ergebnisse der multiplen Regressionsanalysen

(a) (b)

Frauen Männer Frauen Männer

N Anteil (%) N Anteil (%) OR1 95 %-KI2 OR 95 %-KI

Alter 25 – 34 Jahre 92 22.7 88 22.1 10.96 *** 4.70; 25.60 9.38 *** 4.98; 17.64

35 – 44 Jahre 69 15.5 98 24.3 6.79 *** 2.94; 15.69 8.32 *** 4.57; 15.16 45 – 54 Jahre 46 10.3 61 15.3 3.77 ** 1.63; 8.74 3.94 *** 2.15; 7.20

55 – 64 Jahre 19 4.5 34 7.9 2.12 0.86; 5.18 1.95 * 1.03; 3.69

65 – 74 Jahre 7 2.0 15 3.9 1.00 1.00

Wohnort Land 129 11.3 150 14.0 1.12 0.83; 1.50 0.83 0.64; 1.09

Stadt 104 11.1 146 15.5 1.00 1.00 -

Familienstand ledig 52 17.6 61 16.0 0.91 0.60; 1.37 0.60 0.34; 1.03

Geschied./verwitw. 21 6.1 17 9.2 0.84 0.51; 1.40 0.60 ** 0.42; 0.87

verheiratet 160 11.1 218 15.1 1.00 1.00

Sozioökonomischer obere Schicht 45 17.4 73 15.5 3.05 *** 1.77; 5.26 1.51 0.95; 2.42

Status (Helmert-Index) obere mittlere S. 55 14.0 78 18.3 1.98 ** 1.20; 3.27 1.74 * 1.10; 2.76 Mittlere mittlere S. 72 13.7 57 15.2 2.01 ** 1.25; 3.22 1.52 0.94; 2.46

untere mittlere S. 29 7.9 52 13.6 1.14 0.66; 1.98 1.56 0.96; 2.53

untere Schicht 32 6.0 35 9.9 1.00 1.00

Body Mass-Index adipös Grad II – III 21 13.5 18 20.7 1.75 0.96; 3.17 1.40 0.71; 2.78

adipös Grad I 42 11.7 69 18.8 1.50 0.93; 2.44 1.39 0.88; 2.19

übergewichtig 69 9.5 136 13.2 0.99 0.67; 1.47 0.92 0.65; 1.30

normalgewichtig 101 12.0 73 13.8 1.00 1.00

Unzufriedenheit mit unzufrieden 146 14.5 152 22.8 2.03 *** 1.43; 2.89 2.10 *** 1.55; 2.85

dem Körpergewicht zufrieden 87 8.1 144 10.7 1.00 1.00

Diätverhalten (Diät in ja 184 16.9 48 25.8 1.20 0.82; 1.76 1.69 * 1.13; 2.52

den letzten 12 Monaten?) nein 49 10.3 248 13.6 1.00 1.00

Ernährungsmuster optimal 94 8.3 86 11.3 0.60 * 0.40; 0.91 0.72 * 0.52; 0.99

(Basis: Verzehrhäufig- mittel 45 10.8 63 14.3 0.54 *** 0.38; 0.76 0.77 0.55; 1.09

keiten [food frequencies]) ungünstig 94 17.9 147 18.2 1.00 1.00

Alkoholkonsum >20bzw.>40mg/d 42 14.7 70 17.5 1.21 0.82; 1.79 1.41 * 1.02; 1.95

20bzw.40mg/d 191 10.6 226 14.0 1.00 1.00

Rauchverhalten Raucher 74 16.9 98 16.0 1.74 * 1.21; 2.49 0.96 0.69; 1.34

Ex-Raucher 73 14.2 105 13.5 1.70 * 1.19; 2.42 0.91 0.65; 1.28

Nie-Raucher 86 7.6 93 14.9 1.00 1.00

Sportliche Aktivität sehr aktiv 47 12.4 68 14.7 0.78 0.51; 1.21 0.94 0.64; 1.38

mäßig aktiv 69 10.5 85 16.4 0.70 0.48; 1.01 0.95 0.66; 1.35

wenig aktiv 33 9.5 53 14.8 0.58 * 0.36; 0.91 0.83 0.56; 1.23

nicht aktiv 84 12.1 90 13.3 1.00 1.00

(a) Dieser Teil der Tabelle zeigt jeweils für Frauen und Männer die absoluten beziehungsweise relativen Häufigkeiten des Überessens in ver- schiedenen Subgruppen auf der Basis bivariater Kreuztabellen; (b) dieser Teil der Tabelle zeigt jeweils für Frauen und Männer die Ergebnisse eines multiplen logistischen Regressionsmodells für häufiges Überessen mit allen in der Tabelle aufgeführten Zeilenvariablen als Regresso- ren (also jeweils eines vollständig adjustierten Modells); die Odds Ratios und Konfidenzintervalle beziehen sich auf die Odds für häufiges Überessen; *p<0.05; **p<0.01; ***p<0.001.1OR: Odds Ratio;2Konfidenzintervall.

zu Normalgewichtigen numerisch geringer und nicht signi- fikant.

Bezüglich der Modellkomponenten Unzufriedenheit mit dem eigenen Gewicht und Diätverhalten zeigt sich, dass sowohl bei Frauen als auch Männern die Unzufrieden- heit stärker mit dem Überessen zusammenhängt als das Diätverhalten. Die Anteile und Odds sind hier im Ver- gleich zu zufriedenen Personen jeweils ungefähr doppelt so groß, während sich für den Faktor „Diät in den letz- ten 12 Monaten“ nur bei Männern ein signifikanter und nu-

merisch geringerer Zusammenhang mit häufigem Überessen zeigt.

Im Bereich aller anderen berücksichtigten Gesundheits- verhaltensweisen ergeben sich konsistente Unterschiede nur bzgl. des Ernährungsverhaltens: Frauen mit optimalem oder mittlerem Verzehrsmuster sowie Männer mit optimalen Wert berichten erwartungsgemäß seltener von Situationen, in den sie überessen. Darüber hinaus ist auffällig, dass beide Grup- pen von Frauen mit Raucherfahrung (Raucherinnen und Ex- Raucherinnen) häufiger überessen als die Nie-Raucherinnen,

188 Zeitschrift für Medizinische Psychologie 4/2007

(14)

C. Bremer et al. / Häufiges Überessen nach Reduktionsdiät

und dass sportlich aktive Frauen tendenziell weniger häufig als die inaktive Gruppe von Überessen berichten.

3.3 Häufiges Überessen in Abhängigkeit vom Diätverhalten bei Personen, die unzufrieden vs.

zufrieden mit ihrem Körpergewicht sind (Kontrastanalysen)

Um zu prüfen, ob differenzielle Zusammenhänge zwischen Diätverhalten und häufigem Überessen in Abhängigkeit von der Unzufriedenheit mit dem Gewicht bestehen, wurde für beide Geschlechter jeweils eine weitere Regressionsanalyse mit der Kombinationsvariable aus Diätverhalten und Unzu- friedenheit durchgeführt (Ausprägungen: „keine Diät / zu- frieden“, „keine Diät / unzufrieden“, „Diät / zufrieden“, „Di- ät / unzufrieden“). Wiederum wurde für alle anderen Varia- blen adjustiert.

Abbildung 1 zeigt die Ergebnisse dieser Analyse. Für Frauen ergibt sich in der Gruppe der mit ihrem Gewicht Un- zufriedenen eine größere Prozentwertdifferenz zwischen Per- sonen nach Diät vs. ohne Diät (20 % – 13 % = 7 %) als in der Gruppe der Zufriedenen (10 % – 8 % = 2 %). Allerdings sind beide Kontraste statistisch nicht signifikant. Auch bei den Männern ist die Prozentwertdifferenz bei den Unzufrie- denen (33 % – 21 % = 12 %) numerisch größer als bei den Zufriedenen (15 % – 10 % = 5 %). Zugleich ist hier dieser

„Diäteffekt“ in der Gruppe der Unzufriedenen, in der also ein Drittel über häufiges Überessen nach Diät berichtet (vs.

circa einem Fünftel in der Gruppe ohne Diät), auch statistisch bedeutsam (p<0.05).

4 Diskussion

Im Kern zeigen die Analysen für eine bevölkerungsrepräsen- tative Stichprobe, dass bei Frauen und Männern Unzufrie- denheit mit dem eigenen Körpergewicht stärker mit häufigem Überessen assoziiert ist als eine voran gegangene Redukti- onsdiät. Zugleich ist dieses Diätverhalten nur bei Männern signifikant mit häufigem Überessen assoziiert, und zwar nur bei denen, die unzufrieden mit ihrem Gewicht sind. Grund- sätzlich verweisen diese Ergebnisse auf Ansätze, die Über- essen im Zusammenhang mit Adipositas und Essstörungen modellieren. Während bisher vor allem gezeigt worden war, dass Diätverhalten gesundheitsschädigende Effekte negati- ven Körpererlebens vermitteln kann (Haines & Neumark- Sztainer, 2006), deuten die vorliegenden Ergebnisse darauf hin, dass Unzufriedenheit mit dem eigenen Körpergewicht auch eine (psychologische)Bedingungdafür sein kann, dass sich Diätverhalten ungünstig – hier auf das Kriterium Über- essen – auswirkt. Zugleich ist die insgesamt mäßige Assozia- tion von Diätverhalten mit häufigem Überessen in der vorlie- genden Studie konsistent damit, dass Diätverhalten in neue- ren Studien und Therapieprogrammen tendenziellnicht als Risikofaktor für problematisches Essverhalten identifiziert

Abbildung 1: Häufiges Überessen in Abhängigkeit vom Diätverhalten in den letzten 12 Monaten bei Frauen beziehungsweise Männern, die unzufrieden vs. zufrieden mit ihrem Körpergewicht sind.

Die Abbildung zeigt die Anteile von Befragten mit häufigem Überes- sen in den jeweiligen Subgruppen (Schätzungen auf Basis der je- weils für Frauen und Männer regressionsanalytisch vorhergesagten Werte; adjustiert für Alter, Wohnort, Familienstand, Sozialschicht, Bo- dy Mass-Index, Ernährungsmuster, Alkoholkonsum, Rauchverhalten und sportliche Aktivität; p-Werte aus Repeated Contrasts über die Kombinationsvariable „Diätverhalten und/oder Unzufriedenheit mit dem eigenen Gewicht“); geringfügige Abweichungen von in Tabel- len 1 und 2 berichteten (Teil-)Stichprobengrößen ergeben sich auf- grund fehlender Werte in einzelnen Variablen.

wurde (National Task Force on the Prevention and Treatment of Obesity, 2000; Stice et al., 2005; van Strien et al., 2005;

Elfhag & Rössner, 2005; Johnson & Wardle, 2005). Mögli- cherweise greift eine Betrachtung negativer Effekte von Diä- ten ohne Berücksichtigung des Körpererlebens zu kurz. Zu- dem deutet das Ergebnis, dass die Unzufriedenheit mit dem eigenen Gewicht mit häufigem Überessen insgesamt stärker in Zusammenhang steht als das Diätverhalten, auf die mögli- che Rolle von Jojo-Effekten hin. Da diese zur Unzufrieden- heit beitragen, ist es denkbar, dass nicht Diäten an sich, son- dern ihre (psychischen) Folgen zum Überessen führen. Fer- ner ist zu bedenken, dass Unzufriedenheit mit dem Gewicht auch unabhängig von Diäten und häufiger als diese auftritt;

ihr stärkerer Zusammenhang mit Überessen ist also auch auf Personen zurückzuführen, für die Diät kein (aktuelles) The- ma ist.

Bevor abschließend auf weitere Implikationen für For- schung und Praxis eingegangen wird, sind mehrere (und trotz aufwändiger Qualitätssicherung in den KORA-Surveys: Hol- le et al., 2005) vor allem methodische Einschränkungen der Studie zu nennen. Erstens ist besonders kritisch, dass die zentralen Variablen „häufiges Überessen“, „Diätverhalten“,

Zeitschrift für Medizinische Psychologie 4/2007 189

(15)

C. Bremer et al. / Häufiges Überessen nach Reduktionsdiät

und „Unzufriedenheit mit dem Gewicht“ mittels Einzelitems erhoben worden sind. Dieses Vorgehen ergab sich vor al- lem aus Gründen der Praktikabilität vor dem Hintergrund der multithematischen Anlage des KORA-Survey 1999/2001 und damit zur Vermeidung übergebührlicher Belastung der Teilnehmer (de facto war die durchschnittliche Teilnahme- dauer fast drei Stunden). Allerdings führt sie nicht nur zu einer unklaren Testgüte der verwendeten Indikatoren, son- dern auch zu einer Unklarheit darüber, welche konkreten Verhaltensweisen die Surveyteilnehmer durchgeführt haben (zum Beispiel welcher qualitative Typus von Reduktionsdi- ät jeweils über welchen Zeitraum durchgeführt worden war).

Damit könnte hier zum Beispiel „Diätverhalten“ weniger als ernährungswissenschaftliche Messung, sondern eher als Le- bensstilmarker auf der Basis subjektiv klassifizierter Versu- che, Gewicht zu reduzieren, zu verstehen sein. Zudem waren keine diagnostischen Abklärungen hinsichtlich bestehender Essstörungen (vor allem einer Binge Eating-Störung; zum Beispiel Spitzer et al., 1992) sowie Depression, Impulsivi- tät oder negativer Affektivität verfügbar, um Alternativhy- pothesen zu kontrollieren. Daher sind Studien zur Replika- tion der vorliegenden Ergebnisse mittels zusätzlicher und aufwändigerer Instrumente nötig, so zum Beispiel der Res- traint Scale zur Erfassung gezügelten Essverhaltens (Din- kel et al., 2005), dem Fragebogen zum Körperbild (Albani et al., 2006), oder dem Multidimensional Body-Self Relati- ons Questionnaire (Cash, 1994). Auch sollten Diätverhalten und Überessen nicht nur durch Selbstangaben, sondern mög- lichst auch durch objektive Indikatoren erhoben werden (für die Unzufriedenheit mit dem eigenen Gewicht gilt dies indes nicht, da sie ist per definitionem per Selbstangabe zu opera- tionalisieren ist).

Immerhin jedoch legen Vergleiche mit Punktprävalenz- schätzungen aus anderen Studien zumindest eine valide Screeningfunktion der hier verwendeten Items nahe. So kön- nen die relativ zur aktuellsten Schätzung der Gesundheits- berichterstattung des Bundes (GBE; Mensink et al., 2002) etwas höheren Werte für Diätverhalten – 9.2 % vs. 6 % in der GBE bei den Männern sowie 13.9 % vs. 8 % bei den Frauen – darauf zurückgeführt werden, dass dort nicht für die vergangenen 12 Monate, sondern jeweils für die vier Wochen vor der Befragung gefragt worden war (Gert B. M.

Mensink, 20. Oktober 2003, persönliche Mitteilung). Ebenso finden sich für das Überessen im deutschsprachigen Kultur- raum zumindest indirekt Schätzungen, die mit den vorliegen- den Häufigkeiten vereinbar sind – so etwa für das Partialbild der „Binge Eating-Störung“ und „Nicht Näher Bezeichnete Essstörungen“ (Kinzl et al., 1998a; 1998b; Herpertz & Sal- ler, 2005).

Zweitens wurden sowohl die zentrale Exposition Diät- verhalten (retrospektiv für die letzten 12 Monate) als auch Überessen und Unzufriedenheit mit dem eigenen Gewicht (ohne Zeitfenster zum Zeitpunkt des Surveys) in einem Fall- Kontroll-Design im Rahmen einer Querschnittstudie erho- ben. Abgesehen davon, dass damit bzgl. der Exposition „Di-

ät“ ein möglicher Erinnerungsbias bei den Befragten nicht auszuschließen ist, beantwortet die Studie damit nicht, ob die Diäten in den letzten 12 Monaten einen Effekt auf die Unzu- friedenheit mit dem Gewicht und auf das Kriterium „häufiges Überessen“ hatten. Der Grund dafür ist, dass beide für die Zeit vor den letzten 12 Monaten weder in der Gruppe nach Diät noch in der Gruppe ohne Diät bekannt waren – und da- mit keine Veränderungsmessungen möglich. In diesem Sin- ne verwendet die vorliegende Studie ein Design mit eindeu- tig deskriptivem Charakter. Mit anderen Worten: Um Effekte der Diäten abzusichern, wäre daher in Anlehnung an Mohr (1988) mindestens ein „comparative change design with de- centralized selection“ notwendig gewesen, also eine Beob- achtungsstudie mit natürlicher Zuordnung zu den Vergleichs- gruppen der Exponierten vs. Nicht-Exponierten (hier: Diät vs. keine Diät), die jedoch von einem Baseline Assessment ausgeht (und damit über klassische Kohorten- und Fallkon- trolldesigns hinaus, da diese zumeist Krankheiten als End- punkte haben, die vor Beginn der Exposition entweder gar nicht oder in so geringer Zahl auftreten, dass jegliche von Null verschiedene Endpunktdifferenz zwischen Fällen und Kontrollen von vornherein relativ eindeutig mit der Expo- sitionsvariablen in Zusammenhang zu bringen ist). Dennoch kann in der für die vorliegende Studie ein bestimmter Diät-

„Effekt“ zumindest für Männer ausgeschlossen werden: Die von den Teilnehmern durchgeführten Diäten haben relativ zu den Teilnehmern ohne Diät nicht zu einer Angleichung in der Häufigkeit des Überessens geführt. Im Gegenteil: Män- ner nach Diät neigen – adjustiert für Confounder wie Alter, BMI und Sozialschicht – eher zum Überessen.

Drittens ist einschränkend festzustellen, dass sich die höchsten Raten häufigen Überessens auf relativ kleine Grup- pen beziehen (vergleiche Abbildung 1), was auf die nicht nur in der KORA-Population starke Assoziation von Diätverhal- ten und Unzufriedenheit (Mönnichs & von Lengerke, 2004) zurückzuführen ist. So ist bei den Männern die Gruppe ohne Diät, die unzufrieden mit ihrem Gewicht ist, circa viermal so groß wie die unzufriedenen Männer nach Diät. Entsprechend handelt es sich bei den Personen, bei denen Überessen am häufigsten ist, um eine kleine, klinisch jedoch möglicherwei- se relevante Gruppe in der Bevölkerung. Gleichzeitig ist auf zwei unerwartete Ergebnisse einzugehen. Zum einen wurde im Gegensatz zu Studien im angloamerikanischen Sprach- raum (Hay, 1998; Reagan & Hersch, 2005) häufiges Über- essen in stärkerem Maße von Angehörigen oberer Sozial- schichten berichtet. Dies ist vor allem vor dem Hintergrund neuerer europäischer Studien interessant, die vor allem für Frauen in oberen sozialen Strata auf häufiges, insbesonde- re stressinduziertes Überessen hinweisen (Dewberry & Uss- her, 1995; Nevonen & Norring, 2004). Zum anderen zeigten sich keine signifikanten Zusammenhänge der Adipositas mit dem Überessen – ein Muster, das umso auffälliger ist, als dass Angehörige oberer Schichten seltener adipös sind, je- doch häufiger Überessen berichten. Möglicherweise wurde durch die Operationalisierung des Überessens in der vorlie-

190 Zeitschrift für Medizinische Psychologie 4/2007

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