HAMBURG
Vom Michel zu Fuß nach Portugal
Sankt Michaelis ist die schönste Barockkirche des Nordens und ein Leuchtturm des Glaubens hoch über dem Hamburger Hafen.
H
orst Huhn und Josef Thöne sind wenig bekannte, aber wahrhaft hochgestellte Persönlich- keiten. Ihr Arbeitsplatz liegt gut hundert Meter über dem Wasser, im Türmerboden von Sankt Michaelis.Die Herren sind Turmbläser auf dem Hamburger Michel. Jeden Morgen, jeden Abend und bei je- dem Wetter wärmen sie Seeleuten und St. Paulianern, Bürgern und Besuchern das Herz, wenn sie ihre Choräle mit Inbrunst in alle vier Himmelsrichtungen trompeten.
Huhn und Thöne füllen eine In- stitution aus, die an dieser Kirche seit mehr als 300 Jahren gepflegt wird. Julia Atze hingegen ist erst seit zwei Monaten im Amt. Sie ist Pastorin, die erste in der Geschichte dieses Gotteshauses, die ins Jahr 1606 zurückreicht. Julia Atze ist ei- ne Frohnatur mit dem Gardemaß von 1,87 Meter und hat gleich nach ihrer ersten Predigt mit den Vorbe- reitungen zum Kirchentag begon- nen. Bei diesem Treffen von mehr als 100 000 evangelischen Christen Anfang Mai wird Hamburgs Wahr- zeichen im Zentrum zahlreicher Veranstaltungen stehen.
„Der Michel hat mich begleitet, seit ich denken kann“, sagt die 40-jährige Hamburgerin. Im Büro trägt sie Jeans und Pulli, im Gottes- dienst Talar und am Hals das Beff- chen, den weißen „Mühlenrad-Kra- gen“ aller hamburgischen Pastoren.
Wenn sie Freunden oder Besuchern
„ihre“ Kirche zeigt, blickt sie am liebsten von der Südempore aus auf Altar, Kanzel, Chor und die Orgeln.
Der Michel gilt zu Recht als die schönste Barockkirche des Nor- dens. Der Innenraum, licht und hell in Weiß und Gold gehalten, ist schlicht und zugleich festlich – ge- diegen heißt diese Kombination in Hamburg. Die korinthischen Pfei- ler, die historischen Kandelaber, die Bänke aus Teakholz, das alles atmet Stil. Zweimal, 1750 und 1906, ist die Kirche abgebrannt, bei den Bombenangriffen im Zweiten Welt- krieg wurde sie stark beschädigt.
Vor etwa 20 Jahren musste das Kup - ferdach des Turms komplett reno- viert werden. Und jedes Mal haben die Hamburger den Wiederaufbau und alle notwendigen Reparaturen großzügig mit Spenden unterstützt.
Ganz oben: Der Turm, 132 Meter hoch, zeigt schon wieder erste Anzeichen des altvertrauten Grüns.
Die Seeluft färbt das Kupfer schnel- ler als anderswo. Die Uhr, die größ- te ihrer Art in Deutschland, zeigt weithin sichtbar an, was die Stunde geschlagen hat, der große Zeiger misst fünf, der kleine 3,60 Meter.
Wer sich die 453 Stufen zur Aus- sichtsplattform in 82 Meter Höhe ersparen will, nimmt den Fahrstuhl.
Ganz unten: Die Krypta von St.
Michaelis stammt aus dem Jahr 1750. Sie birgt 2 500 Gräber, dar - unter das des Michel-Baumeisters
Ernst Georg Sonnin und des Musi- kers Carl Philipp Emanuel Bach, des berühmtesten Sohnes von Jo- hann Sebastian.
Breite Stufen führen von der Kir- che direkt ins Portugiesenviertel, ein Quartier von gut zwei Dutzend iberischer Lokale und Tapas-Bars.
Die Entradas, die Vorspeisen, sind die besten nördlich von Porto, der Fisch ist in der Regel frisch und nach heimischem Rezept zuberei- tet. Die Atmosphäre ist südlich-hei- ter, die Preise aber längst eingenor- det. Noch immer leben in diesem Viertel vorwiegend „kleine“ Leute, noch immer lassen sich in der Rei- marus- oder in der Ditmar-Koel- Straße und unten am Johannisboll- werk Schnäppchen machen: Kitsch, Kunst und Souvenirs – Hans Albers lässt grüßen.
Von hier aus sind die wichtigsten Attraktionen an der Hafenmeile schrittweise zu erreichen: die Lan- dungsbrücken, der Fischmarkt (der sonntags immer dann endet, wenn gegen zehn Uhr die Glocken des Michel anfangen zu läuten), die his- torischen Bürgerhäuser, die Speicher - stadt, die immer noch wachsende Hafencity und natürlich die Elb- philharmonie, die schöne Unvoll-
endete.
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Bernd Schiller
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www.st-michaelis.de Wahrzeichen einerWeltstadt: Nur vom Schiff aus kann man das eindrucksvolle Panorama von Landungsbrücken und Michel genießen.
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