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Die neue DIN EN 689 – Eine kritische Betrachtung

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Die neue DIN EN 689 – Eine kritische Betrachtung

R. Hebisch, M. Roitzsch

1 Einleitung

Im Januar 2020 wurde die deutsche Fassung der überarbeite- ten europäischen Norm DIN EN 689 „Messung der Exposition durch Einatmung chemischer Arbeitsstoffe – Strategie zur Über- prüfung der Einhaltung von Arbeitsplatzgrenzwerten“ [1] veröf- fentlicht und ersetzt damit die Fassung von 1995 [2]. Die sehr tiefgehende Überarbeitung erstreckte sich von 2013 bis 2017 und resultierte in wesentlichen inhaltlichen Neuerungen, die fast eine Verdreifachung des Umfangs dieser Norm mit sich brachten.

Die überarbeitete Norm beschreibt eine einheitliche Vorge- hensweise, um die Einhaltung von Arbeitsplatzgrenzwerten (AGW) und weiteren Beurteilungsmaßstäben zu prüfen. Sie hat damit unmittelbare Auswirkungen auf die Beurteilung der inhala- tiven Exposition im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung.

Die in Deutschland im Jahre 2008 veröffentlichte Technische Regel für Gefahrstoffe (TRGS) 402 [3] stellte einen Paradigmen- wechsel dar. Galt davor im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung inhalativer Expositionen ein Befund in Form der (dauerhaft si- cheren) Einhaltung oder Überschreitung der Luftgrenzwerte, so ist seitdem der Befund von der Beurteilung der Wirksamkeit der Schutzmaßnahmen für die untersuchte Tätigkeit oder den Ar- beitsplatz abhängig. Dieser Befund kann somit nur „Schutzmaß- nahmen ausreichend“ oder „Schutzmaßnahmen nicht ausrei- chend“ lauten. Die Einhaltung von AGW ist in diesem Zusam- menhang eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung.

So bedeutet eine Nichteinhaltung der AGW zwar stets, dass die

technischen und organisatorischen Schutzmaßnahmen nicht aus- reichend sind, im Gegensatz dazu gilt jedoch nicht zwangsläufig, dass bei Einhaltung der AGW auch die Schutzmaßnahmen ausrei- chend sind. Die DIN EN 689 beschränkt sich auf die ausschließ- liche Bewertung der Höhe der inhalativen Exposition. Die TRGS 402 geht da wie beschrieben weiter, weil hier weitere As- pekte zu berücksichtigen sind, wie z. B. der Stand der Technik oder auch Erfahrungen von anderen Arbeitsplätzen.

Für die Bewertung von Messdaten in den europäischen Ver- fahren nach der REACH- [4] und der Biozid-Verordnung [5] ist die (DIN) EN 689 jedoch noch nicht etabliert. Der wahrschein- lich wichtigste Grund hierfür liegt darin, dass in den EU-Verfah- ren häufig systemische Beurteilungsmaßstäbe herangezogen wer- den, mit denen mehrere Expositionspfade gemeinsam bewertet werden müssen. In die Entscheidung, ob die jeweiligen Beurtei- lungsmaßstäbe eingehalten werden, fließen dann neben der inha- lativen Exposition auch die Aufnahme über die Haut sowie ggf.

noch weitere Expositionspfade wie die Nahrungsaufnahme ein.

Die Norm erfasst dagegen ausdrücklich nur die inhalative Exposi- tion und kann daher für diese Fälle keinen Befund liefern. Aller- dings gibt es auch in den EU-Verfahren vereinzelt Beurteilungs- maßstäbe mit rein inhalativem Bezug, für deren Bewertung sich die EN 689 grundsätzlich heranziehen ließe. Im Unterschied zum Arbeitsschutz in einem einzelnen Betrieb soll in den EU-Verfah- ren außerdem meist eine große Bandbreite von Arbeitsplätzen in Europa erfasst werden, so dass für entsprechend erhobene Mess- daten eine deutlich größere Streuung zu erwarten wäre, als dies Z U S A M M E N F A S S U N G Die europäische Norm

DIN EN 689 wurde in den letzten Jahren grundlegend überar- beitet und Anfang 2020 neu veröffentlicht. Sie beschreibt eine Strategie zur Überprüfung der Einhaltung von Arbeitsplatz- grenzwerten und anderen Beurteilungsmaßstäben durch Arbeitsplatzmessungen. Der Fokus dieser Norm ist beim be- trieblichen Arbeitsschutz zu sehen, wo sie für die Gefährdungs - beurteilung der inhalativen Exposition angewendet werden kann. Für die Beurteilung von Expositionsdaten im Rahmen der EU-Verfahren nach REACH (Registration, Evaluation, Authorisation and Restriction of Chemicals) und für Biozide ist die DIN EN 689 bislang nicht etabliert. Da sich die Norm auf die Überprüfung der Einhaltung von Beurteilungsmaßstäben be- schränkt, kann ein Befund „Schutzmaßnahmen ausreichend“

entsprechend den Anforderungen der Technischen Regel für Gefahrstoffe (TRGS) 402 nicht abgeleitet werden, weil die Be- urteilung der Wirksamkeit von Schutzmaßnahmen nicht be- rücksichtigt wird. Im nachfolgenden Artikel wird kritisch auf die wesentlichen Inhalte dieser Norm eingegangen. Gegenüber der bisherigen Fassung ist eine deutliche Erhöhung des Mess- und Prüfaufwandes erforderlich, um eine Aussage zur Einhal- tung von Beurteilungsmaßstäben abzuleiten.

A B S T R A C T The European standard EN 689 has been funda- mentally revised in recent years. At the beginning of 2020 it has been published. This standard describes a strategy for testing the compliance of the results of workplace measure- ments with occupational exposure limit values (OELVs). It is fo- cussed on occupational safety and health (OSH) where it is ap- plicable to the risk assessment of inhalation exposure. For the assessment of exposure data in the framework of REACH (Re- gistration, Evaluation, Authorisation and Restriction of Chemi- cals) and the Biocidal Products Regulation, the EN 689 is not yet established. Because it is restricted to testing the compli- ance with occupational exposure limits, it is not possible to establish a finding „protective measures adequate“ according to the Technical Rule for Hazardous Substances (TRGS) 402.

The efficacy of protective measures is not considered in the framework of this standard. The following article critically des- cribes the essential contents of the revised version of this standard. The new version of this standard is associated with a significant increase of measurement and testing effort to proof compliance with occupational exposure limit values.

The new EN 689 – A critical view

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bei Messungen in einem einzelnen Betrieb der Fall ist. Auf diesen Aspekt weist auch die relevante REACH-Leitlinie R.14 [6] bezüg- lich der Anwendbarkeit der EN 689 hin, wobei hier noch die alte Fassung der Norm betrachtet wurde.

Nachfolgend soll die DIN EN 689 [1] einschließlich ihrer durchgehend informativen Anhänge aus der Sicht der Gefähr- dungsbeurteilung sowie der Erfordernisse nach der REACH- und der Biozid-Verordnung näher betrachtet werden.

2 Allgemeine Betrachtungen

Die Norm befasst sich mit der Durchführung von Arbeits- platzmessungen und der Messstrategie zum Vergleich der ermit- telten inhalativen Exposition mit den relevanten Beurteilungs- maßstäben, wie AGW [7] und Akzeptanz- und Toleranzkonzen- tration [8]. Die beschriebene Messstrategie bezieht sich nur auf Schichtmittelwerte und Kurzzeitwerte von mindestens 15 Minu- ten Dauer. Sowohl auf die in TRGS 900 [7] definierten Momen- tanwerte als auch auf mögliche Langzeitwerte zur Beurteilung der Exposition, z. B. Jahresmittelwerte, ist diese Norm nicht anwend- bar. Bei allen Messungen ist sicherzustellen, dass diese repräsen- tativ für die exponierten Beschäftigten und die untersuchte Tätig- keit sind. Die für die Ermittlung der Exposition einzusetzenden Messverfahren müssen als Grundvoraussetzung die Anforderun- gen der DIN EN 482 [9] erfüllen. Zu empfohlenen Messverfah- ren sind nähere Informationen durch den Arbeitskreis Messtech- nik beim Unterausschuss I des Ausschusses für Gefahrstoffe (AGS) veröffentlicht [10]. Für die Durchführung der Arbeits- platzmessungen gilt dabei stets, dass persönliche Schutzausrüs- tung wie Atemschutzgeräte nicht berücksichtigt werden darf.

Ein wesentlicher Begriff, der neu eingeführt wurde, ist die so- genannte Similar Exposure Group (SEG), d. h. eine Gruppe von Beschäftigten mit ähnlicher Exposition. Diese Beschäftigten wei- sen aufgrund der gleichen eingesetzten Gefahrstoffe sowie ver- gleichbarer Tätigkeiten und Verfahren ein vergleichbares Exposi- tionsprofil auf. Eine SEG kann sowohl aus einem als auch mehre- ren Beschäftigten bestehen. Wenn die SEG mehrere Beschäftigte beinhaltet, können diese sogar aus unterschiedlichen Betrieben stammen. Somit können auch Handlungsempfehlungen oder Hilfestellungen Dritter nach TRGS 400 [11] wie „Handlungs - anleitungen zur guten Arbeitspraxis“ und „Empfehlungen Gefährdungsermittlung der Unfallversicherungsträger“ (EGU) oder verfahrens- und stoffspezifische Kriterien (VSK) gemäß TRGS 420 [12] normkonform erstellt werden.

Für die europäischen Verfahren nach der REACH- oder der Biozid-Verordnung gibt es bislang keine klaren Vereinbarungen darüber, welche Beschäftigten zu einem Datensatz zusammenge- führt werden können. Das Konzept der SEG könnte hierfür eine gute Grundlage bieten, wobei aber zu beachten ist, dass die hier erhobenen Daten, wie oben bereits erwähnt, die Bandbreite ent- sprechender Arbeitsplätze in Europa abbilden und dabei auch un- günstige Arbeitsbedingungen einschließen sollten. Dennoch ist auch hier eine gewisse Vergleichbarkeit der bemessenen Arbeits- plätze erforderlich, um verlässliche Rückschlüsse auf die Expositi- onsprofile zu ermöglichen, so dass die Festlegung klarer Kriterien für die Gruppierung von Beschäftigten im Rahmen der Bewer- tungsleitlinien der ECHA hilfreich wäre.

Entscheidend für die Plausibilität einer SEG ist die Fachkennt- nis der Person, die die Expositionsbeurteilung entweder im Rah- men der Gefährdungsbeurteilung oder für die Verfahren nach der

REACH- oder der Biozid-Verordnung durchführt. Diese Person wird in der Norm durch den neu eingeführten Begriff „Apprai- ser“ bezeichnet.

Liegen mehrere Expositionsdaten für die gleiche Tätigkeit vor, so ist immer eine gewisse Variabilität gegeben, die auf die mögli- chen Schwankungen der Expositionsdeterminanten, die individu- elle Arbeitsweise der Beschäftigten, Unterschiede bei der Probe- nahme oder andere Faktoren zurückführbar, jedoch nicht unbe- dingt erklärbar ist. Wenn mindestens sechs Messergebnisse vor- liegen, verlangt die Norm eine Untersuchung der Ergebnisvertei- lung dahingehend, ob diese für die untersuchte Beschäftigten- gruppe die Folgerung zulässt, einer SEG zugeordnet zu werden.

Diese Prüfung kann – auf graphischer oder statistischer Grundla- ge durchgeführt – auch zu dem Ergebnis führen, dass die Be- schäftigten anhand ihrer Expositionsdaten zwei oder sogar meh- reren SEG zuzuordnen sind. Dann sollte die beurteilende Person anhand ihrer Fachkenntnis besser eine Ursachenklärung durch- führen, als z. B. auf einem statistischen Test beruhende unter- schiedliche Maßnahmen für gleichartige Tätigkeiten verschiede- ner Beschäftigter zu begründen. Hier zeigen sich die Vorteile der TRGS 402 gegenüber der normativen Vorgehensweise, da die Einhaltung von Beurteilungsmaßstäben und die Wirksamkeitsbe- urteilung von Schutzmaßnahmen durch die beurteilende Person zwingend miteinander verknüpft sind.

Die Vorgehensweise bei der Expositionsermittlung erfolgt normativ und auch gemäß TRGS 402 in vergleichbarer Weise. So sind die Arbeitsplätze und die durchgeführten Tätigkeiten sowie die möglichen Expositionsdeterminanten zu erfassen und mög- lichst detailliert zu beschreiben. Die eingesetzten Messverfahren müssen geeignet sein und die normativen Anforderungen nach DIN EN 482 [9] erfüllen. Unterschiede resultieren dann bei der Auswertung der Messergebnisse und der Validierung der SEGs dahingehend, dass die Norm verstärkt auf statistische Tests setzt.

Hier ist es leider nicht gelungen, auch andere Vorgehensweisen in der Norm zu berücksichtigen, wie auf bestimmte Perzentile fo- kussierende robuste Schätzverfahren. Diese finden regelmäßig Anwendung in den europäischen Verfahren nach der REACH- und der Biozid-Verordnung sowie bei der Erstellung von Hand- lungsempfehlungen oder Hilfestellungen Dritter, bei denen ver- schiedene Perzentile als Kriterium der Einhaltung von Beurtei- lungsmaßstäben herangezogen werden [11; 13].

Bezüglich der Durchführung der Arbeitsplatzmessungen ist ei- ne wichtige Verbesserung in Kraft getreten. So wurde in der Neufassung der Norm die bisherige Mindestanzahl der Proben je Schicht in Abhängigkeit von der Probenahmedauer ersatzlos ge- strichen. Diese ehemals beschriebene Vorgehensweise beinhaltete, dass z. B. 30 Proben mit jeweils nur zehnsekündiger Probenahme zur Ableitung eines Schichtmittelwertes möglich waren – eine fragwürdige Vorgehensweise. Neu wird jetzt gefordert, dass die Probenahme repräsentativ für den Beurteilungszeitraum sein und mindestens zwei Stunden betragen muss, wobei sich diese Probe- nahmedauer auch summarisch aus mehreren Probenahmeinter- vallen ergeben kann. Mit der expliziten Angabe, dass eine min- destens zweistündige Probenahme die Exposition bei den durch- geführten Tätigkeiten repräsentativ für die gesamte Schichtlänge beschreiben kann, ist die in Deutschland seit langem praktizierte Vorgehensweise nun auch in der europäischen Normung etab- liert.

Die im Rahmen der Arbeitsplatzmessungen erhaltenen Mess- ergebnisse für die Konzentration der zu beurteilenden Stoffe in

(3)

der Luft am Arbeitsplatz müssen mit den relevanten Beurtei- lungsmaßstäben verglichen werden. Die normativen Kriterien für die resultierenden Schlussfolgerungen wurden dabei deutlich ver- schärft. Wie aus Tabelle 1 ersichtlich, sind sowohl mehr Messun- gen als auch niedrigere Messergebnisse für den Befund Einhal- tung des Beurteilungsmaßstabes erforderlich.

Werden die in Spalte 3 der Tabelle 1 genannten Kriterien nicht erfüllt, verlangt die neue DIN EN 689 [1] weitere Messun- gen, wobei deren Gesamtzahl dann mindestens sechs betragen muss. Mit diesen ist dann anschließend ein statistischer Test durchzuführen. Insbesondere bei Tätigkeiten mit Stoffen, für die auf der Grundlage der TRGS 910 [8] Akzeptanz- und Toleranz- konzentrationen abgeleitet wurden, können diese Kriterien Schwierigkeiten bereiten, wenn nur bedingt geeignete Messver- fahren nach TRGS 402 [3] existieren, deren Bestimmungsgren- zen oberhalb der Entscheidungskriterien nach Tabelle 1 liegen.

3 Ergänzende Anmerkungen zu den Anhängen

Alle Anhänge sind informativ, so dass auch andere Vorgehens- weisen möglich sind. Leider hat es das zuständige Normungsgre- mium bis heute nicht realisieren können, derartige alternative Möglichkeiten der Beurteilung von Messergebnissen in Relation zum BM zu offerieren.

3.1 Anhang A

Der Anhang A bietet Alternativen zur Expositionsermittlung mittels Arbeitsplatzmessungen an. Hier wurde die sehr pragmati- sche Strukturierung des Anhangs 5 der TRGS 402 [3] übernom- men. Darüber hinaus wird dem Anwender eine Entscheidungs- matrix über die Anwendbarkeit der möglichen Ermittlungsme- thoden – insbesondere auch nichtmesstechnischer Art – für die beschriebenen Arbeitsplatz- und Tätigkeitsszenarien zur Verfü- gung gestellt. So werden unter anderem die immer breitere An- wendung findenden Control Banding-Ansätze, vor allem aber die Handlungsempfehlungen oder Hilfestellungen Dritter nach TRGS 400 [11] berücksichtigt. Auch die für die REACH- und die Biozid-Verordnung etablierten und in Ermangelung von Arbeits- platzmessungen häufig eingesetzten Abschätzungen der Expositi- on unter Verwendung von Modellen und Algorithmen sind hier aufgeführt.

3.2 Anhang B

Der Anhang B liefert eine Übersicht über die Beurteilungs- maßstäbe, anhand derer gemäß dieser Norm Expositionsdaten beurteilt werden können. Wichtig ist hierbei, dass hinsichtlich der Vorgehensweise keine Unterschiede bei der Art der Beurteilungs-

maßstäbe gemacht werden. Explizit genannt werden hier auch die risikobasierten Akzeptanz- und Toleranzkonzentrationen, wie sie in Deutschland gemäß TRGS 910 [8] etabliert sind, sowie die Expositionsgrenzwerte im Rahmen von REACH [4], die Derived No Effect Levels (DNEL).

3.3 Anhang C

In der Praxis ist es eher die Regel, dass Beschäftigte gegenüber mehreren Stoffen gleichzeitig oder nacheinander exponiert sind.

Dieser Tatsche trägt der Anhang C Rechnung. Wie auch in der TRGS 402 wird hier aus den einzelnen Stoffindices ein Bewer- tungsindex gebildet. Darüber hinaus wird eine vergleichbare Vor- gehensweise für Stoffe mit unterschiedlicher Wirkung und unter- schiedlichen Zielorganen im Menschen aufgeführt. Wenn es be- gründbar ist, werden diese Stoffe in verschiedene Bewertungsin- dices eingerechnet und dementsprechend voneinander getrennt beurteilt. Dies ist eine Möglichkeit, die für die Anwender der TRGS 402 unter Punkt 5.2.1 [3] nicht immer nachvollziehbare Öffnungsklausel umzusetzen, dass von dem Bewertungsverfahren abgewichen werden kann, wenn dies arbeitsmedizinisch oder to- xikologisch begründbar ist. Auf weitere derartige Ansätze wird dann nicht näher eingegangen, sondern auf die Fachliteratur ver- wiesen.

3.4 Anhang D

Einen erheblichen Umfang hat Anhang D, der nähere Ausfüh- rungen zur Gestaltung der Probenahmedauer in Abhängigkeit vom Expositionsprofil sowohl für den Kurzzeit- als auch den Schichtmittelwert liefert. Ein wichtiger Fortschritt besteht darin, dass achtstündige Messungen nicht zwingend sind, um den Schichtmittelwert beurteilen zu können, sondern dass auch die in Deutschland sehr weit verbreitete Vorgehensweise der zweistün- digen Messungen normativ berücksichtigt wird. Voraussetzung ist jedoch stets, dass die während der Probenahme ermittelte Ex- position repräsentativ für die gesamte Schichtlänge ist. Diesbe- züglich gibt es nur die Ausnahme einer Messung während der Zeitspanne mit der höchsten Exposition, auch als „reasonable worst case“-Messung bezeichnet, d. h. die Expositionsbeurteilung erfolgt dann anhand der Messung während einer (ungünstig) ho- hen Expositionsphase.

3.5 Anhang E

Die im Anhang E beschriebene Vorgehensweise zur Prüfung der Verteilung von Messdaten und zur Identifizierung von SEGs geht deutlich über die bisherige Vorgehensweise hinaus. Mit Aus- nahme von akkreditierten Messstellen, den Arbeitsschutzabteilun- gen größerer Unternehmen und einiger größerer Forschungsin- stitute kann nach Meinung der Autoren davon ausgegangen wer-

Tabelle 1 Erforderliche Messergebnisse für Befund Einhaltung eines Beurteilungsmaßstabes.

Anzahl der Messungen 1

3

4 5

DIN EN 689 alt [2]

0,1 BM alle 0,25 BM

alternativ: alle BM und geometri- scher Mittelwert 0,5 BM -

-

DIN EN 689 neu [1]

-

alle 0,1 BM

alle 0,15 BM alle 0,2 BM

TRGS 402 [3]

0,1 BM alle 0,25 BM -

-

(4)

den, dass Betriebe, die inhalative Expositionen selbst ermitteln und beurteilen wollen, bei Anwendung dieses Anhangs häufig überfordert sind.

Sollte sich bei der Prüfung ergeben, dass die Messdaten zwei oder gar mehreren SEG zugeordnet werden können, liefert die Norm den Hinweis, dass weitere Messungen durchgeführt wer- den sollten, um die erforderliche Anzahl für den statistischen Test zu erreichen. In Anbetracht der Tatsache, dass sowieso nur ein sehr geringer Anteil der Betriebe bisher messtechnische Ermitt- lungen durchgeführt hat, erscheint ein solcher Rat etwas welt- fremd. Natürlich wären mehr Messergebnisse zur Expositionsbe- urteilung und Ableitung wirksamer Schutzmaßnahmen und auch für die erforderlichen Beurteilungen im Rahmen der REACH- und der Biozid-Verordnung wünschenswert und hilfreich. Aller- dings entsteht hier eher der Eindruck, dass die wenigen Betriebe, die bisher Messungen durchgeführt haben, noch mehr messen sollen.

3.6 Anhang F

Der Test auf Einhaltung der Beurteilungsmaßstäbe in Anhang F ist zwar noch vergleichsweise einfach durchzuführen, er kann aber leicht zu einer großen Anzahl notwendiger Messun- gen führen und spätestens dann vielen Betrieben eine Menge ab- verlangen. Wenn die Entscheidung bezüglich der Einhaltung des Beurteilungsmaßstabes nach Tabelle 1 nicht möglich ist, sind mindestens sechs Arbeitsplatzmessungen erforderlich. Beispielhaft wird dies in Tabelle 2 anhand von zehn Messergebnissen für Ar- beitsplatzmessungen der einatembaren Staubfraktion (AGW 10 mg/m³ [7]) illustriert. Der Test auf Normalverteilung [14]

der Messergebnisse war negativ; eine logarithmische Normalver- teilung konnte bestätigt werden. Auf der Grundlage des berech- neten geometrischen Mittelwertes (3,13 mg/m³) und der zuge- hörigen Standardabweichung (1,85) wurde der in diesem An- hang empfohlene Test durchgeführt. Die berechnete Prüfgröße UR (1,88) war kleiner als das vorgegebene Entscheidungskriteri- um UT (2,005 für zehn Messungen) [1]. Somit wird hier ent- sprechend dieser Vorgehensweise festgestellt, dass der AGW für die einatembare Staubfraktion nicht eingehalten wird. Für einen Betrieb erscheint dies nicht nachvollziehbar, da alle zehn Arbeits- platzmessungen deutlich unterhalb des AGW lagen. Hier zeigt sich klar der Vorteil der Beurteilung der Wirksamkeit der Schutzmaßnahmen gemäß TRGS 402 als wesentliches Entschei- dungskriterium. Die Fachkenntnis des Beurteilers sollte daher stets einen höheren Rang einnehmen als das Ergebnis eines rein statistischen Tests.

Ein Blick auf die für dieses Beispiel in Tabelle 2 aufgeführten Messergebnisse lässt sofort erkennen, dass jegliches Perzentil für dieses Datenkollektiv bei Expositionsbeurteilungen gemäß TRGS 402 eine Einhaltung des AGW anzeigen würde. Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass eine derartige Diskrepanz natürlich nicht die Regel ist, aber sehr wohl (unvorhersehbar) auftreten kann.

3.7 Anhang G

Der Anhang G, der sich mit verlängerten Schichtdauern be- fasst, ist dagegen sehr gut strukturiert und für den Anwender gut nachvollziehbar. Hier wird den Betrieben eine echte Hilfestellung

gegeben, um den für die verlängerte Schichtdauer ermittelten Konzentrationswert in einen mit dem Beurteilungsmaßstab ver- gleichbaren Schichtmittelwert umzurechnen. Zu beachten ist, dass für diesen Vergleich stets der Messwert und nicht der BM umge- rechnet wird.

3.8 Anhang H

Die im Anhang H vorgestellte Verfahrensweise für unter der Bestimmungsgrenze liegende Expositionen ist wiederum eher für wissenschaftliche Betrachtungen, nicht jedoch für die betriebliche Praxis geeignet. Sofern ein geeignetes Messverfahren [10] zur Expositionsermittlung eingesetzt wird, d. h. in diesem Zusam- menhang, dass dessen Bestimmungsgrenze bei höchstens einem Zehntel des BM liegt, sollte der Betrieb diesbezüglich nicht noch zusätzliche Betrachtungen anstellen. In solchen Fällen ist es in der Regel völlig ausreichend, als Expositionshöhe „≤ Zahlenwert der Bestimmungsgrenze“ anzugeben. Hierbei ist darauf hinzuweisen, dass die Nachweisgrenze schon seit geraumer Zeit aus der TRGS 402 entfernt wurde. Ebenso gibt es keine Grundlage mehr, in derartigen Fällen die halbe Nachweis- oder Bestimmungsgren- ze zu verwenden.

3.9 Anhang I

Im Anhang I geht es um die Kontrollmessungen. Nachdem aus der TRGS 402 der ehemalige Kontrollmessplan entfernt wurde, war festzustellen, dass etwas Derartiges vermisst wird. Die Emp- fehlung der TRGS 402 [3] lautet diesbezüglich, den Befund im Jahresabstand oder in Übereinstimmung mit den Vorgaben der alten DIN EN 689 [2] zu überprüfen. Die Neufassung der Norm beinhaltet eine deutliche Änderung, da in Abhängigkeit von den vorliegenden Messdaten Abstände für Kontrollmessungen von zwölf bis 36 Monaten resultieren. Der empfohlene Abstand der Kontrollmessungen in diesem Anhang ist gut begründet und nachvollziehbar. Der Anwender muss sich dann jedoch darüber klar sein, dass alle vorangehenden Tests normgerecht durchge- führt werden und die Kontrollmessungen für die jeweils ermittel- te SEG erfolgen müssen.

Tabelle 2 Beispiel für eine Auswertung von Messergebnissen gemäß DIN EN 689 [1].

Schichtmittelwerte [mg/m³]

1,2 1,7 1,8 2,3 2,5 3,7 4,6 5,8 6,5 6,7

Mittelwert [mg/m³]

geometrisch 3,13

arithmetisch 3,68

Standardabweichung [mg/m³]

1,85

2,09

(5)

[3] Technische Regel für Gefahrstoffe: Ermitteln und Beurteilen der Ge- fährdungen bei Tätigkeiten mit Gefahrstoffen: Inhalative Exposition (TRGS 402). GMBl. (2010) Nr. 12, S. 231–253; zul. geänd. GMBl. (2016) Nr. 43, S. 843-846.

[4] Verordnung (EG) Nr. 1907/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Dezember 2006 zur Registrierung, Bewertung, Zulas- sung und Beschränkung chemischer Stoffe (REACH), zur Schaffung einer Europäischen Chemikalienagentur, zur Änderung der Richtlinie 1999/45/EG und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 793/93 des Rates, der Verordnung (EG) Nr. 1488/94 der Kommission, der Richtlinie 76/769/EWG des Rates sowie der Richtlinien 91/155/EWG, 93/67/EWG, 93/105/EG und 2000/21/EG der Kommission. ABl. L 396 vom 30. De- zember 2006, S. 1-851.

[5] Verordnung (EU) Nr. 528/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2012 über die Bereitstellung auf dem Markt und die Verwendung von Biozidprodukten. ABl. L 167 vom 27. Juni 2012, S. 1-123.

[6] Guidance on Information Requirements and Chemical Safety Assess- ment Chapter R.14: Occupational exposure assessment, Version 3.0 – August 2016”.

echa.europa.eu/documents/10162/13632/information_require ments_r14_en.pdf/

[7] Technische Regeln für Gefahrstoffe: Arbeitsplatzgrenzwerte (TRGS 900). BArBl. 1/2006, S. 41–55; zul. geänd. GMBl. (2020) Nr. 42, S. 902.

[8] Technische Regeln für Gefahrstoffe: Risikobezogenes Maßnahmenkon- zept für Tätigkeiten mit krebserzeugenden Gefahrstoffen (TRGS 910).

GMBl. (2014) Nr. 12, S. 258-270; zul. geänd. GMBl. (2021) Nr. 2, S. 35.

[9] DIN EN 482: Exposition am Arbeitsplatz – Allgemeine Anforderungen an die Leistungsfähigkeit von Verfahren zur Messung chemischer Ar- beitsstoffe (12/2015). Berlin: Beuth 2015.

[10] Ausschuss für Gefahrstoffe, AGS-Geschäftsführung: AGS-Liste geeig- neter Messverfahren – Bewertung von Verfahren zur messtechnischen Ermittlung von Gefahrstoffen in der Luft am Arbeitsplatz. Bundesan- stalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA), 2020.

www.baua.de/dok/8592142

[11] Technische Regeln für Gefahrstoffe: Gefährdungsbeurteilung für Tätig- keiten mit Gefahrstoffen (TRGS 400). GMBl. (2017) Nr. 36, S. 638.

[12] Technische Regeln für Gefahrstoffe: Verfahrens- und stoffspezifische Kriterien (VSK) für die Ermittlung und Beurteilung der inhalativen Ex- position (TRGS 420). GMBl. (2014) Nr. 48, S. 997-1002; zul. geänd.

GMBl. (2020) Nr. 9-10, S. 199.

[13] ECHA: Guidance on the Biocidal Products Regulation, Volume III: Hu- man Health – Assessment & Evaluation (Parts B+C), Version 4.0, December 2017.

[14]Gottschalk, W.: Auswertung quantitativer Analysenergebnisse. In: Ana- lytiker- Taschenbuch, Band 1, S. 63-99. Springer-Verlag, Berlin 1980.

[15] Committee for Risk Assessment (RAC) and Committee for Socio-eco- nomic Analysis (SEAC): Opinion on a Review Report for Industrial use of recycled soft PVC containing DEHP in polymer processing by calen- dering, extrusion, compression and injection moulding to produce the following PVC articles.

echa.europa.eu/documents/10162/59cf6a4c-aca8-d370–1bfc- d039f7ae940d

D r . r e r . n a t . R a l p h H e b i s c h D r . r e r . n a t . M i c h a e l R o i t z s c h

Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA), Dortmund.

4 Fazit

Die DIN EN 689 in ihrer Fassung von 1995 [2] entsprach in vielen Punkten der Vorgehensweise der TRGS 402. Nach der Überarbeitung wurde die Norm in der 2020 veröffentlichten Fassung [1] deutlich wissenschaftlicher und mit statistischen Be- wertungsmethoden ausgestattet. Dies macht sie in der Anwen- dung schwerer handhabbar. Da die Einhaltung der BM nur einen Teil der Expositionsbeurteilung gemäß TRGS 402 ausmacht, kann die Umsetzung dieser Norm somit auch nicht als vollständi- ge Möglichkeit der Expositionsermittlung und -beurteilung ent- sprechend dem deutschen technischen Regelwerk angesehen wer- den.

Die überarbeitete Norm ist bei Auswertung größerer Daten- kollektive sicher hilfreich und gut anwendbar. So sollte durchaus vergleichend geprüft werden, ob bei der Erstellung von Handlungsempfehlungen oder Hilfestellungen Dritter nach TRGS 400 [11] wie „Handlungsanleitungen zur guten Arbeit- spraxis“ und der EGU sowie VSK gemäß TRGS 420 [12] eine der Norm entsprechende Vorgehensweise deren Aussagekraft und Zuverlässigkeit erhöht. Für die Gefährdungsbeurteilung in einem Betrieb ist dagegen in einigen Fällen eine Überforderung des Be- urteilers durch die umfangreichen statistischen Prüfungen bei normativer Vorgehensweise zu befürchten. Das Korrektiv für die teilweise überbordenden statischen Tests und deutlich ausgewei- teten Messprogramme muss die Fachkenntnis des Beurteilenden sein.

Im Rahmen der EU-Verfahren nach REACH und für Biozide ist regelmäßig eine Bewertung der Exposition erforderlich. Mit Blick auf die Norm ist hier zu unterscheiden, ob sich die für die Bewertung herangezogenen Beurteilungsmaßstäbe ausschließlich auf den inhalativen Expositionspfad beziehen oder gleichzeitig auch andere Expositionspfade erfasst und bewertet werden müs- sen. Die Bewertung der inhalativen Exposition wird mittlerweile häufiger anhand von Messdaten vorgenommen als in der Vergan- genheit. Für solche Situationen liefert die neue DIN EN 689 eine wertvolle Hilfestellung für die Bewertung durch Rechtsunterwor- fene und Behörden. Inzwischen gibt es auch erste Fälle, bei denen eine Auswertung nach DIN EN 689 unter REACH ausdrücklich

gefordert wird [15]. n

L i t e r a t u r

[1] DIN EN 689: Exposition am Arbeitsplatz – Messung der Exposition durch Einatmung chemischer Stoffe – Strategie zur Überprüfung der Einhaltung von Arbeitsplatzgrenzwerten (1/2020). Berlin: Beuth 2020.

[2] DIN EN 689: Anleitung zur Ermittlung der inhalativen Exposition ge- genüber chemischen Stoffen zum Vergleich mit Grenzwerten und

Messstrategie (4/1995). Berlin: Beuth 1995. © VDI Fachmedien GmbH & Co. KG, Düsseldorf 2021

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