Illustratiön zu Bukowski, Farbradierund von Janosch
DEUTSCHES ÄRZTEBLATT
FEUILLETON
Zwillinge
Charles Bukowski
Von Zeit zu Zeit gab er mir zu ver- stehen, daß ich ein räudiger Hund sei, und ich sagte, er solle sich mal was von Brahms anhören oder malen und saufen lernen statt sich das Hirn von Weibern und Dollars vernebeln zu lassen, aber er brüllte sofort los: Herrgott- nochmal, denk an deine Mutter, denk an dein Land, du wirst uns alle unter die Erde bringen! ...
Heute gehe ich durch das Haus meines Vaters, an dem er zuletzt noch 8000 Dollar abzuzahlen hat- te, und das nach zwanzig Jahren im gleichen Job. Ich sehe mir sei- ne toten Schuhe an, man sieht noch, wie seine Zehen das Leder ausbeulten, wenn er am Boden
hockte und wie verrückt Rosen pflanzte, und ich sehe seine tote Zigarette, seine letzte, und das Bett, in dem er seine letzte Nacht schlief, und ich sage mir: In einer Küche auf dem Boden zu sterben, morgens um sieben, während die anderen ihre Spiegeleier braten, ist nicht so schlimm, solange es einem nicht selber passiert.
Ich gehe hinaus, hole mir eine Orange vom Baum und pelle die glänzende Schale ab. Es gibt im- mer noch Leben hier, das Gras wächst ganz gut, die Sonne, um die ein russischer Satellit kreist, schickt ihre Strahlen herunter, ir- gendwo kläfft ein Hund, die Nach- barn linsen hinter ihren Jalousien hervor. Für sie bin ich ein Frem- der. Ich schätze, ich war immer ein ziemlicher Rabauke, und be- stimmt hat er ihnen nur das Schlimmste von mir erzählt (wir bekämpften uns wie Berglöwen,
die Alte und ich). Es heißt, er habe sein ganzes Zeug einer Frau in Duarte vermacht. Das kratzt mich nicht, sie kann es gerne haben. Er war mein Alter, und er ist tot.
Drinnen probiere ich einen hell- blauen Anzug an, besser als alles was ich je getragen habe. Ich wed- le mit den Armen wie eine Vogel- scheuche im Wind, aber es hilft nichts: Ich kann ihn nicht wieder lebendig machen, nicht einmal mit meinem Haß. Wir sahen genau gleich aus, wir hätten Zwillinge sein können, der Alte und ich. So sagte man jedenfalls. Auf dem Fensterbrett hatte er sich seine Tulpenzwiebeln zurechtgelegt, zum Einpflanzen, während ich in der Third Street mit einer Nutte im Bett lag. Na gut. Lassen wir uns diesen Augenblick: Ich stehe vor dem Spiegel, im Anzug meines to- ten Vaters, und warte darauf, daß ich auch sterbe.
klopft es an die Tür, du stellst dein Bier weg und machst auf.
„Na, ich will verdammt sein",
sagt sie, „du schläfst wohl nie, hm?"
Sie kommt herein, ihr Haar in Locken- wicklern, einen seidenen Morgenrock an, auf dem sich Häschen und Vögel tummeln.
Sie hat einen Markenwhisky mitgebracht.
Du läßt dich nicht lumpen und stellst zwei Gläser dazu. Ihr Mann, sagt sie, ist in Florida, und ihre Schwester schickt ihr Geld und Kleider, und sie sucht jetzt schon seit 32 Tagen nach einem Job.
Du erzählst ihr, daß du Agent für einen Jockey bist und nebenbei Jazz-Arrangements und Love Songs schreibst, und nach einigen Drinks macht sie sich nicht mehr die Mühe den Morgenrock über ihren Schenkeln zu raffen der immer wieder klafft.
Die Beine sind gar nicht schlecht, Tatsache ist, es sind sogar sehr gute Beine, und bald bist du damit beschäftigt, einen Kopf voll Lockenwicklern zu küssen, und die Häschen zwinkern dir zu, und Florida ist weit weg, und sie sagt, es ist ja nicht so, als wär man sich fremd, denn man ist sich schon mal im Hausflur begegnet, und danach gibt es nur noch sehr wenig zu sagen.
Unterhaltung, morgens um halb vier
Charles Bukowski
Morgens um halb vier geht eine Tür auf, jemand kommt auf nackten
Füßen den Flur herunter, dann
530 (88) Heft 8 vom 24. Februar 1984 81. Jahrgang Ausgabe A