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Archiv "Wer dem Wald hilft, der schützt auch den Menschen" (21.12.1984)

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THEMEN DER ZEIT

Die Hysterie, wie sie in der Öf- fentlichkeit und bei Politikern bei der Diskussion des Wald- sterbens oft zu beobachten ist, ist fehl am Platz. Notwen- dig ist vielmehr eine sachliche Auseinandersetzung, ohne in Fundamentalforderungen zu verfallen. Im folgenden eine nüchterne Bestands- aufnahme von Ursachen und von Wirkzusammenhängen.

Wer dem Wald hilft, schützt der

auch den Menschen

Noch vor etwa zehn Jahren sah man dichte Wälder; heute sind jedoch oft

nur die Bäume, sondern ebenso uns selbst

schwere Schäden sichtbar — wie hier am Keilberg im Erzgebirge Foto: dpa

Schadstoffe in der Luft bedrohen nicht

D

ie Symptome des Waldster- bens, das nicht nur die Bun- desrepublik ergriffen hat, sind keinesfalls überall in gleicher Weise ausgeprägt. Als multifakto- rielle Ursachen werden Schad- stoffe in der Luft, die Bodenquali- tät, extreme Witterungsbedingun- gen (Stürme, lange Hitzeperioden und plötzliche Kälteeinbrüche), der Schädlingsbefall, Wildschä- den und forstwirtschaftliche Feh- ler angesehen. Je nach Standort und Baumart wird der Wald durch die komplexe Kombination die- ser, teilweise wenig erforschten Faktoren geschädigt.

Darin sind sich aber viele Exper- ten einig: Die Luftverschmutzung

trägt wesentlich zum Waldsterben bei. Wenn aber die Wälder abster- ben, läßt auch das Reinigungsver- mögen der Vegetation nach. Also müßten die Menschen dann eine zunehmend stärker verschmutzte Luft einatmen. Um es kurz zu sa- gen: Wer also dem Wald hilft, der schützt auch den Menschen.

Die Schadstoffe der Luft, die in letzter Zeit auch für die verschie- densten Erkrankungen der Atem- wege verantwortlich gemacht werden, stammen aus Industrie, Kraftwerken, Müllverbrennungs- anlagen, Verkehr und Haushalten.

Im wesentlichen sind es Verbren- nungsprodukte (Schwefel- und Stickstoffoxide), Produkte unvoll-

ständiger Verbrennungen (Koh- lenmonoxid, Kohlenwasserstoffe, Formaldehyd und Ruß) sowie Ver- brennungsrückstände (Stäube).

Je nach Quelle werden die Schad- stoffe in unterschiedlichen Höhen emittiert: Der Kraftverkehr und die Haushalte geben die Schadstoffe in Bodennähe ab, wo sie in unmit- telbarer Nähe der Quellen Schä- den anrichten können, während Industrie und Kraftwerke die Ab- gase durch hohe Schornsteine in Luftschichten über hundert Meter Höhe abgeben. Da sich die Schad- stoffe dort durch Winde sehr schnell weiträumig verteilen, sind Ehtstehungs- und Wirkort nicht mehr identisch.

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Bedrohung durch Luftschadstoffe

Zu rund neunzig Prozent stammt das Schwefeldioxid (S0 2) aus der Verbrennung schwefelhaltiger fossiler Brennstoffe, die zum Hei- zen und Stromerzeugen verwen- det werden, und teilweise aus der Verhüttung sulfidischer Erze. Im Winter stoßen diese Quellen etwa die dreifache Menge wie im Som- mer aus. Laut Umweltbundesamt wurden 1980 in der Bundesrepu- blik 3,5 Millionen Tonnen SO 2 in die Luft geblasen, was rund 58 Ki- logramm pro Einwohner entsprä- che. Die Hälfte davon wird durch Winde in das benachbarte Aus- land getrieben. Aber genauso viel kommt aus den Nachbarstaaten wieder zu uns herein.

Im Gegensatz zum Schwefeldi- oxid, dessen Anteil an der Luftver- schmutzung in den letzten Jahren nahezu gleich blieb, hat der Aus- stoß an Stickstoffoxiden ständig zugenommen. Hauptgründe sind die Energiesparwelle und eine zu- nehmende Kraftfahrzeugsdichte.

Um die Wirkungsgrade von Wär- me-Kraft-Wandlern zu verbessern und somit bei gleichem Brenn- stoffeinsatz mehr nutzbare Ener- gie zu gewinnen, wurden die Ver- brennungstemperaturen gestei- gert. Doch bei höheren Tempera- turen verbinden sich Stickstoff und Sauerstoff der Luft im größe- ren Umfang zu Stickstoffoxiden (NO x), oft auch als Stickoxide be- zeichnet. Unter NOx faßt man die beiden Oxide NO und NO 2 zusam- men. Inzwischen werden rund 3,1 Millionen Tonnen NO x pro Jahr emittiert, davon rund 45 Prozent aus den Auspuffrohren der Diesel- und Otto-Motoren.

Wald zumindst durch Schadstoffe gestreßt

Die Gase SO 2 und NO x stellen bei niedrigen Konzentrationen und langer Wirkdauer eine latente Streß-Situation für das Öko-Sy- stem des Waldes dar. Hohe Kon- zentrationen jedoch können in- nerhalb kurzer Zeit die Bäume vergiften. Dabei sind die Stickoxi-

de offensichtlich weniger aggres- siv als das Schwefeldioxid. Ande- re Wirkmechanismen treten auf, wenn diese Stoffe in der Atmo- sphäre zu Säuren oxidiert wer- den, sich anschließend im Regen- wasser lösen und auf die Vegeta- tion niedergehen.

Da sich viele Schadstoffe der Luft in Wasser lösen, reinigt sich unse- re Atmosphäre durch Regen und Schnee teilweise selbst. Auch oh- ne menschliche Aktivitäten kann Regenwasser niemals chemisch neutral (pH 7) sein. Denn Kohlen- dioxid, ein Abbauprodukt organi- schen Materials (zum Beispiel durch Atmung, Verwesung usw.), ist überall in der Atmosphäre in riesigen Mengen vorhanden. Re- genwasser, das dieses Gas löst, zeigt deshalb unbeeinflußt von anthropogenen Quellen pH-Werte zwischen 5,0 und 5,6*). Diese Schwankung des pH-Wertes be- deutet ein Faktor Vier in der Kon- zentration der Wasserstoffionen.

Also ist Regenwasser unter natür- lichen Bedingungen nicht neutral, sondern leicht sauer.

Durch anthropogene Schadstoffe wie SO 2 und NO x , die in der Atmo- sphäre zu Schwefel- und Salpe- tersäure oxidiert werden, steigt die Konzentration an Wasserstoff- ionen im Regenwasser; gleichzei- tig sinkt der pH-Wert. Mit vier Ta- gen besitzt SO 2 eine vierfach län- gere Lebensdauer als NO x . Da- durch bleibt der Regen, der hauptsächlich durch Salpetersäu- re angesäuert ist, im allgemeinen auf das NO x-Emissionsgebiet be- schränkt. Dagegen kann saurer Regen infolge starker SO- 2-Emis- sionen im beträchtlichen Abstand von den Quellen beobachtet wer-

*) In der Presse, aber auch bei Diskussionen über den sauren Regen trifft man häufig die ir- rige Meinung an, daß eine Erniedrigung des pH-Wertes um 0,1 Einheiten eine Verzehnfa- chung der Konzentration an Wasserstoffionen bedeute. Deshalb sei hier die Definition des pH-Wertes wiederholt: Unter dem pH-Wert versteht man den negativen Logarithmus (Ba- sis: zehn) der Konzentration an Wasserstoff- ionen. Daraus folgt, daß sich die Konzentration an Wasserstoffionen verzehnfacht, erst wenn der pH-Wert um eine ganze Einheit absinkt.

Folglich würden zwei Einheiten den Faktor einhundert bedeuten.

den. Bei mäßigen Winden wandert das Schwefelsäure-Aerosol inner- halb von zwei Wochen 2000 Kilo- meter weit und regnet dort ab.

Bei Verbrennungen fallen nicht nur saure Produkte, sondern auch basische Schadstoffe an, die als Staub immer effizienter aus den Rauchgasen herausgefiltert wer- den. Dies mag mit ein Grund dafür sein, daß in den letzten Jahren der Regen ständig saurer wurde.

Denn die basischen Emissionen (zum Beispiel aus Zementfabri- ken) hätten sonst einen Teil der sauren Komponenten im Regen- wasser neutralisiert.

Saurer Regen schädigt Böden und Vegetation

Eigentlich sollte der salpetersaure Regen dem Wald nicht schaden, sondern dem Boden den unent- behrlichen Stickstoff in Form von Nitraten zuführen, das in Düngern enthalten ist. Doch der saure Re- gen mobilisiert aus den im Boden natürlich vorkommenden, schwer- löslichen Verbindungen Alumini- umionen, die die Feinwurzeln ab- töten und somit die Wasser- und Nährstoffaufnahme der Pflanzen erheblich beeinträchtigen. Außer- dem werden Schwermetalle ge- löst, die für die Mikroorganismen starke Zellgifte darstellen. Ferner beschleunigt der angesäuerte Bo- den den Aufschluß von Pflanzen- nährstoffen, die mit dem Sicker- wasser in das Grundwasser gelan- gen. Durch all diese Vorgänge verarmt der Waldboden an Nähr- stoffen, die von den Pflanzen zu ihrem Wachstum benötigt wer- den. Nur kalkhaltige Böden kön- nen eine gewisse Zeit lang dem sauren Regen widerstehen, bis die Pufferwirkung nachläßt. Inzwi- schen sind viele Waldböden so an Nährstoffen verarmt, daß dort im- mer mehr Bäume absterben.

Wie beim Waldsterben so schei- nen die Ursachen einiger Atem- wegserkrankungen nicht allein in der Luftverschmutzung zu liegen.

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Teutoburger Wald

... 1",

Hannover 0 ü, Berlin

(West)

Düsseldorf Wester-___&„

wald

Eifel

0 Frankfurt ,

Hunsrück

Harz Rot haa r- gebirge Rhön

Spessart

Frankenwald Fichtelgebirge

Oberpfälzer Wald Bayerischer Pfälzer Wald

Odenwald Schwarzwald

Schwäbische Alb

München 0

Alpen

Wald

-53531 Soviel Prozent

der Waldfläche weisen Schäden auf

...

bis 40%

40 bis 60 % en 60 % und mehr

Krankheitsbild

des deutschen Waldes

Sachsenwald Hamburg

Lüneburger

Heide

1

Bedrohung durch Luftschadstoffe

Selbst in sogenannten Reinluftge- bieten wird bei Kindern Pseudo- Krupp beobachtet; von einer Zu- nahme dieser Fälle kann man trotz gegenteiliger Meinungen be- sorgter Elterninitiativen nach bis- herigen Kenntnissen nicht spre- chen. Diese spektakuläre Erkran- kung stellt in erster Linie eine Vi- rusinfektion dar, so Professor Dr.

med. Harald Haupt vom Kinder- krankenhaus Duisburg beim um- weltmedizinischen Seminar für Ärzte, das das Bundesgesund- heitsamt Ende Oktober in Berlin veranstaltete.

Auch die chronische Bronchitis, die bei den Kindern nicht so spek- takulär wie der Pseudo-Krupp ver- läuft, ist eine Infektions- und weni- ger eine Umweltkrankheit. Da in- halierte Noxen die oberen Atem- wege für Infektionen vorbereiten, untersucht Professor Haupt der- zeit im Duisburger Raum den mul- tifaktoriellen Einfluß auf die Ent- stehung dieser Erkrankungen bei Kindern im Alter bis zu vier Jah- ren.

Inhalierte Noxen lähmen die Atmung

Als ein von vielen Faktoren nimmt man die Luftverschmutzung an, die beispielsweise durch den Ge- halt an Schwefeldioxid und durch die Schwebstoffbelastung charak- terisiert werden kann. Erste Er- gebnisse dieser Duisburger Stu- die zeigen, daß die Häufigkeit die- ser Erkrankungen besonders dann stark ansteigt, wenn die Luft gleichzeitig sehr hoch mit Staub und mit Schwefeldioxid belastet ist.

Neben diesen beiden Faktoren müßten, so Professor Haupt, unter anderem auch das Rauchverhal- ten bei den Eltern der erkrankten Kinder mitberücksichtigt werden.

Über den Einfluß der Luftqualität auf obstruktive Ventilationsstö- rungen bei Erwachsenen berich- tete bei demselben Seminar Pri-

Gewaltige Strö- me an Luft- schadstoffen kommen aus dem Elsaß, aus Lothringen und dem Rhein- Main-Gebiet und überqueren die Bundesre- publik in nord- östliche Rich- tung. Die Indu- striereviere sind nicht die einzi- gen Quellen des Übels; auch in abseits gele- genen Alpen- wäldern kann man sehr starke Schäden sehen

vatdozent Dr. med. Helgo Mag- nussen, Medizinische Poliklinik der Universität Bonn. Im Vergleich zu gesunden Probanden nimmt bei Asthmatikern der Atemwegs- widerstand als Abwehrreaktion des Körpers mit der inhalierten Schadstoffmenge deutlich zu. Zu- sätzliche körperliche Belastungen führen dann zu obstruktiver Venti- lationsstörungen. Da Asthmatiker, Bronchitiker und Allergiker schät- zungsweise zwischen fünf und zehn Prozent der Bevölkerung ausmachen, vertrat der Leiter die- ses umweltmedizinischen Semi- nars, Professor Dr. Giselher von Nieding, Institutsleiter am Bun- desgesundheitsamt, die Meinung, der Luftverschmutzung bei der Krankenversorgung und bei Prä- vention von Atemwegserkrankun- gen mehr Beachtung zu schen- ken.

Verschiedentlich werden Luft- schadstoffe auch für den plötz- lichen Säuglingstod (SIDS, abge- leitet von Sudden Incident Death Syndrom) verantwortlich ge- macht. Über eine Studie, die

SIDS-Fälle in Berlin untersuchte, berichtete der Berliner Rechtsme- diziner Dr. med. Volkmar Schnei- der beim bereits erwähnten um- weltmedizinischen Seminar. Sol- che Studien werden dadurch er- schwert, daß der plötzliche Säug- lingstod nicht meldepflichtig ist und nur in wenigen Fällen erfaßt werden kann. Obwohl SIDS-Fälle im Winter häufiger als in den an- deren Jahreszeiten auftreten, scheint die Luftqualität für den plötzlichen Tod nur eine unterge- ordnete Rolle zu spielen.

Epidemiologische Studien, die die Mortalität in Abhängigkeit von täglichen Schadstoffkonzentratio- nen in der Luft untersuchen, wei- sen oft methodische Mängel auf, wenn sie die Todesursachen aus Totenscheinen ermitteln. Artefak- te entstehen auch dadurch, daß ältere Menschen in der Regel in Krankenhäusern sterben, in de- ren unmittelbarer Nähe andere Schadstoffkonzentrationen als in den Wohngebieten vorherrschen,

• Fortsetzung Seite 3807

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DER KOMMENTAR

D

er „Spiegel" hat die abnehm- bare Zugkraft der bloßbusi- gen Covers unserer Illustrier- ten ergründet und die zunehmen- de Attraktivität umweltbezogener Themen als Ersatz dafür angekün- digt. Wohlan: es darf der Verdacht geäußert werden, daß dann, wenn das neue Thema mit der gleichen emotionalen Hingabe wie das er- wähnte behandelt wird, der Boom der Unvernunft noch zu erwarten ist.

Gegen Information ist nie etwas einzuwenden, auch das sollte red- licherweise festgestellt werden.

Dementsprechend liegt die Chan- ce für die Medien darin, Wissen zu verbreiten. Das ist aber nicht nur die oberflächliche Verarbeitung hie und da aufgespießter Meinun- gen, es bedarf des abgewogenen und fundierten Urteils.

Politiker und Parlamentarier mö- gen sich überfordert vorkommen, wenn sie wissenschaftliche Fak- ten bewerten sollen und auf der Grundlage derartiger Fakten auch noch politische Entscheidungen treffen müssen. Aus der Sicht der Wissenschaft ist dieses Verfahren gar nicht einmal so schwer, wenn man sich die Zeit für die vernünf- tige Beurteilung der Fakten nimmt. Schwierig wird die Situa- tion erst dann, wenn mit vorder- gründigen und eben noch nicht hinreichend bewertbaren wissen- schaftlichen Fakten Politik ge- macht werden soll. An Beispielen dafür mangelt es gegenwärtig wahrlich nicht. Nur zwei davon:

Waldsterben durch Autoabgase?

Da wird die Geschwindigkeitsbe- grenzung auf unseren Straßen mit dem Scheinargument propagiert, daß dadurch der Wald geschützt werden könne. Ich kenne kaum ei- nen deutschen Autofahrer, der sich nicht zu einer Geschwindig- keitsbegrenzung bereit fände, um die Zahl der Toten auf unseren Straßen zu verringern. Ich kenne aber auch keinen deutschen Poli- tiker oder Parlamentarier, der in der Lage wäre, den Zusammen-

hang zwischen Waldsterben — die Rauchschäden sind hier aus- drücklich ausgenommen — und Luftverschmutzung — ich will jetzt nicht sagen, zu belegen, sondern

— wahrscheinlich zu machen.

Man darf schon jetzt die Feststel- lung wagen, daß das Waldsterben im Bereich der Alpen, im Alpen- vorland des Allgäus, in der Schweiz und auch in weiten Tei- len Österreichs mit Sicherheit nicht der S0 2-Belastung der Luft, die in bestimmten Regionen schon seit einigen Jahren fortlau- fend gemessen wird, zugeschrie-

Politik und Wissenschaft:

nur

Mißverständnisse, oder mehr?

ben werden kann. Die Frage, ob NO >, ein brauchbarer Kandidat für die Schuldzuweisung des Wald- sterbens ist, ist noch offen. Nur ei- nes läßt sich auch jetzt schon fest- stellen, mit der Geschwindigkeits- begrenzung dürfte dieses Pro- blem auch nicht durchgreifend zu lösen sein, wenn man nicht gleichzeitig die Frage angeht, weshalb unsere Autos so einen hohen Ausstoß schädlicher Abga- se haben. Das Steuersystem be- günstigt derzeit die Kleinwagen mit geringem Hubraum, die erfah- rungsgemäß einen sehr viel höhe- ren Schadstoffausstoß haben als Motoren mit größeren Hubräu- men. Hier ist übrigens auch eine Schwierigkeit angesiedelt, wes- halb die durchgreifende Katalysa- tor-Reinigung der Abgase nicht so schnell verwirklicht werden kann;

die großen Hubräume machen da übrigens die geringsten Schwie- rigkeiten. Außerdem ist die gera- dezu skandalöse Bevorzugung dieselgetriebener (Klein)Aggrega-

te, die wenigstens hinsichtlich der Beurteilung der Giftigkeit der ab- gegebenen Schadstoffe über- haupt noch nicht abgeschlossen ist, ein weiteres Argument für die Befürchtung, daß die Geschwin- digkeitsbegrenzung zur Minimie- rung der Schadstoffabgabe nicht viel bringen wird.

Damit kein Mißverständnis auf- kommt: es wird unser Ziel sein müssen, in den nächsten zehn Jahren spätestens eine durchgrei- fende Bereinigung der Abgaspro- blematik unserer Autos durchzu- setzen; in erster Linie zu unserem eigenen Schutz. Dabei wird auch ganz generell die Frage zu klären sein, ob es zu Otto- und Dieselmo- toren nicht vernünftigere Alterna- tiven gibt.

Lehrstück über das Seveso-Gift Ein zweites Lehrstück ganz be- sonderer Qualität ist die Behand- lung des Themas der sicherlich gefährlichen Dibenzofurane und Dibenzodioxine, wobei der letzte- ren Gruppe das bekannte Seveso- Gift TCDD entstammt. Unter dem Aspekt der Vernunft betrachtet hat sich niemand in dieser Repu- blik vorstellen können, daß das, was der Hamburger Senat tat- sächlich zur Problemlösung bei- getragen hat, Wirklichkeit wird:

ein Industriebetrieb wurde ge- schlossen, mehrere hundert wür- den Arbeitsplätze preisgeben, oh- ne daß zur eigentlichen Proble- matik, nämlich der Bereinigung des Dreckhügels in Georgswer- der, auch nur ein Finger gerührt worden wäre.

Unter dem Aspekt der wissen- schaftlichen Vernunft darf jeden- falls die Behauptung aufgestellt werden, daß es für die Schließung des Hamburger Betriebes, etwa wegen akuter Gesundheitsgefähr- dung der Mitarbeiter oder der An- lieger, überhaupt keinen Grund gibt. Die eigentliche Problematik liegt Jahre zurück und muß wohl darin gesehen werden, daß Verur- sacher und Behörden damals mit der Entsorgung von Abfallstoffen

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Bedrohung durch

Luftschadstoffe

Abgase

Dr. med. W. Schützler

1■11•11111M1111111111111M•111111111■11

WOHNEN SiE iN DER NÄHE EINES CHEMIEWERKES ? — SIND SiE MiT ELB- ODER RHEINWASSER iN BERÜH- RUNG GEKOMMEN? HABEN SIE SPANISCHES OEL VER- WENDET? — HABEN SiE iN DER ADRIA GEBADET, ODER WAREN SIE GAR IN DER

NAHE VON SEESO?

Eines Tages bei der Umwelt-Anamnese 11111■11111111■1111■11■111111M mit, wie wir heute wissen, glückli- cherweise sehr geringen Anteilen hochgiftiger Stoffe nicht zu Rande kamen. Nicht zuletzt wohl auch deshalb, weil damals weder die Identität der Giftstoffe, noch ihre Analytik oder gar das toxische Po- tential hinreichend bekannt wa- ren.

Es ist darüber nachzudenken, ob unseren Parlamentariern und Re- gierenden nicht eine bessere Kenntnis wissenschaftlicher Zu- sammenhänge gut zu Gesicht stünde. Haben sie etwa die fal- schen Berater, oder haben sie möglicherweise gar keine Bera- ter? Wie kann es kommen, daß un- sere Parlamente seit geraumer Zeit die Stichworte einer bestimmten, engagierten, aber keineswegs im- mer qualifizierten Fraktion aufneh- men, um bei der Beantwortung der Fragen dann oft das Bild der Unsi- cherheit zu bieten, hinter dem im- mer die Unaufrichtigkeit vermutet wird, daß irgendwer irgend etwas verstecken könnte?

Prof. Dr. Wolfgang Forth

• Fortsetzung von Seite 3805 in denen sie kurz vor ihrem Tod lebten.

Viel aussagekräftiger sind dage- gen Studien, die medizinische Pa- rameter und Schadstoffgehalte di- rekt vor Ort gewinnen. Auf dem umweltmedizinischen Seminar in Berlin berichtete Dr. med. Chri- stian Havestadt über eine Lang- zeitstudie, die er für das Bundes- gesundheitsamt in den beiden letzten Wintern an Berliner Grundschülern durchführte, die in Schulnähe wohnten. Vor Schulbe- ginn wurden Parameter zur Lun- genfunktion bestimmt und nach dem subjektiven Befinden be- fragt. Gleichzeitig maß man in Schulnähe die Schadstoffgehalte in der Luft, die dann mit den medi- zinischen Befunden in Beziehung gesetzt wurden. Für diese beiden Perioden, die sich durch verhält- nismäßig niedrige Belastungen der Luft mit Schadstoffen aus- zeichneten, konnten keine signifi- kanten Korrelationen zwischen der Schadstoffbelastung und dem individuellen Befinden ermittelt werden. Dr. Havestadt zufolge soll diese Studie in diesem Winter fortgesetzt werden.

Im Gegensatz zum bisher erwähn- ten ist die direkte schädliche Wir- kung der Kraftfahrzeugabgase auf den Menschen für wesentliche Abgaskomponenten erwiesen.

Wie Professor Dr. Michael Wag- ner, Fachgebietsleiter im Bundes- gesundheitsamt, beim Berliner Seminar ausführte, stelle eine ein- stündige Autofahrt auf dicht be- fahrenen Straßen, insbesondere auch auf Autobahnen, eine ex- trem hohe gesundheitliche Bela- stung dar. Im Bereich der Fahr- spuren herrschen sehr hohe Schadstoffgehalte in der Luft vor, die zum Fahrbahnrand hin abneh- men. So wird der Fahrer eines Au- tos bis zu dreimal stärker mit Koh- lenmonoxid und Stickoxid bela- stet als ein Fußgänger auf dem Bürgersteig. Die Belastung der Fahrradfahrer nimmt auf den Rad- wegen eine Mittelstellung ein.

Hohe Kohlenmonoxidgehalte füh- ren zu Sauerstoffmangelerschei- nungen wie Kopfschmerzen, Oh- rensausen, Schwindelgefühl, all- gemeine Schwäche und Müdig- keit. Besonders gefährdet sind hierbei pektanginöse Verkehrs- teilnehmer. Das Stickoxid NO be- reitet keine direkten Probleme, während das Oxidationsprodukt NO 2 , das aus NO zeitlich verzögert entsteht, den Atemwegswider- stand und die Bereitschaft für In- fektionen erhöht. Daneben reizt Formaldehyd, das einerseits infol- ge unvollständiger Verbrennun- gen aus den Motoren emittiert wird und das andererseits auch als Sekundärprodukt aus unver- brannten Kohlenwasserstoffen photochemisch entsteht, die Au- gen und Nase. Ozon, ebenfalls ein Produkt des photochemischen Smogs, greift Augen sowie Schleimhäute an und lähmt in hö- heren Konzentrationen die At- mung. Nicht zu vergessen sind aromatische Kohlenwasserstoffe wie zum Beispiel Benzol, die sich im Motor entwickeln und unter dem Verdacht stehen, Krebs aus- zulösen.

Zur Entlastung Kranker und zur Prävention durch die Umwelt be- einflußter Erkrankungen sind vor diesem Hintergrund geeignete Maßnahmen für die Reduktion an Luftschadstoffen dringend ange- zeigt, auch wenn das gesundheit- liche Risiko derzeit nicht exakt quantifiziert werden kann. Bei den komplexen, teilweise noch nicht verstandenen Zusammenhängen werden dadurch wissenschaftlich definierte Höchstwerte und ent- sprechendes Handeln erschwert.

Trotzdem sollte nicht gewartet werden, bis die Zusammenhänge restlos geklärt sind.

Umweltschutz auch aus Fürsorge für den Menschen

Als eine Sofortmaßnahme wird in letzter Zeit eine Geschwindig- keitsbegrenzung in der Öffent- lichkeit heftig diskutiert. Bei Ge-

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Bedrohung durch Luftschadstoffe

schwindigkeiten über 100 km/h nehmen die emittierten Mengen an ausgestoßenen Stickoxiden, Kohlenmonoxid und Kohlenwas- serstoffen überproportional zu, und zwar für die verschiedenen Fahrzeugtypen im unterschied- lichen Ausmaß; ein Großteil der ausgestoßenen Abgase stammt gerade von den schnell fahrenden Wagen. Modellrechnungen wie zum Beispiel die des Umweltbun- desamtes zeigen, daß bei einem Tempolimit von 100 km/h auf Au- tobahnen und 80 km/h auf Land- straßen die gesamte Stickoxid- emission (nicht nur die der Autos) bis zu zehn Prozent reduziert wer- den könnte. In einem Teil der Stu- dien wird auch berücksichtigt, daß auf rund 16 Prozent aller Autobah- nen bereits Höchstgeschwindig- keiten bestehen.

Auf längere Sicht hin müssen die Schadstoffe in der Luft auch durch neue oder bereits bekannte Techniken reduziert werden. So könnte man die Abgase der Autos durch den Einbau von Katalysato- ren entgiften, wie das bereits bei den für den Export bestimmten Wagen geschieht. Ohne hier auf die verschiedenen bestehenden Katalysatortypen einzugehen, könnte in den Abgasen der Gehalt an unverbrannten Kohlenwasser- stoffen und an Kohlenmonoxid durch Oxidation zu Kohlendioxid sowie an Stickoxiden durch Re- duktion zu elemantarem Stick- stoff deutlich herabgesetzt wer- den. Hierbei würde auch das Formaldehyd verringert. Voraus- setzung für den Einsatz von Kata- lysatoren ist jedoch die Verwen- dung von bleifreiem Benzin, so daß ein bundesweites Tankstel- lennetz aufgebaut werden müßte, das diese Benzinsorte vertreibt.

Politisches Handeln muß Umweltschutz vorantreiben

Da der Einbau der Katalysatoren nicht von heute auf morgen durchgeführt werden kann, plant die Bundesregierung seine stu-

fenweise Einführung. Ab 1989 sol- len hiernach alle Neuwagen mit dieser neuen Technik ausgerüstet sein. Auf freiwilliger Basis, durch steuerliche Anreize, soll der Ab- satz solcher abgasentgifteter Neuwagen gefördert werden.

Flankierend senkt die Bundesre- gierung die Mineralölsteuer für bleifreies Benzin, während der steuerliche Anteil beim verbleiten Treibstoff angehoben wird. Mitt- lerweile haben einige Firmen die Zeichen der Zeit erkannt und ar- beiten an Verfahren, auch Altau- tos zu entgiften. Um die Schad- stoffbelastung der Luft durch den Kraftverkehr dann weiterhin nied- rig zu halten, müßten die Motoren und Katalysatoren in regelmäßi- gen Abständen überprüft und ge- wartet werden.

Die von der Bundesregierung ge- fällte Entscheidung, die Luftver- schmutzung durch den Kraftver- kehr vorerst nur mit Katalysatoren zu mindern, hat allerdings den Nachteil, erst in einigen Jahren zu wirken, wenn genügend Fahrzeu- ge ausgerüstet sind.

Verschiedentlich wird gefordert, die Smogalarmpläne zu verschär- fen. Da aber der Smog bei Inver- sionen, also bei stabilen, aus- tauscharmen Wetterlagen, ent- steht und Schadstoffe aus boden- nahen Quellen nicht in höhere Luftschichten entweichen kön- nen, nützt es wenig, die Grenz- werte für Schadstoffe in der er- sten Alarmstufe herabzusetzen.

Vielmehr ist es sinnvoller, die Im- missionswerte zu senken, damit es überhaupt nicht erst zu sol- chen Situationen kommt.

Der S0 2-Gehalt der Luft könnte dadurch gesenkt werden, indem man mehr Filter einbaut, die die Abgase der Kraftwerke entschwe- feln. Langfristig müßte man für die Kraftwerke neue Techniken ent- wickeln und vorhandene verbes- sern. Beim Wirbelschichtverfah- ren, in Prototypen bereits erprobt, verbrennt beispielsweise im Luft- strom Kohlestaub, der mit Kalk-

pulver vermischt wird. Dadurch wird vorhandener Schwefel in Form von Gips gebunden und mit der Asche in den Brennkammern abgeschieden, so daß sich dann eine Rauchgasentschwefelung er- übrigt. Bedingt durch niedrigere Verbrennungstemperaturen fal- len bei diesem Verfahren auch weniger Stickoxide an. Als alter- native Energiequellen, die nicht zur SO 2-Belastung der Umwelt beiträgt, bietet sich zur Stromer- zeugung die Kernenergie an, die aber insbesonders wegen der Wiederaufarbeitung des radioakti- ven Abfalls politisch sehr umstrit- ten ist.

Ökonomie und Ökologie kein Widerspruch

Ökonomie und Ökologie brau- chen sich nicht gegenseitig aus- zuschließen, wie vielfach ange- nommen wird. Nach den Geset- zen der freien Marktwirtschaft wird die Produktion zunehmend unwirtschaftlicher, wenn man an alten Technologien festhält. Si- cherlich werden einige Arbeitneh- mer ihre Arbeitsplätze verlieren, wenn nicht überkommene Tech- nologien durch Subventionen und ökologische Ausnahmeregelun- gen künstlich am Leben gehalten werden. Gefragt sind aber ökolo- gische Lösungen, die die Umwelt weniger als bisher belasten und zudem auch noch wirtschaftlicher arbeiten.

Dies sollte den viel beschworenen Sachverstand in unserer Indu- striegesellschaft herausfordern, _neue Wege in der Produktion zu beschreiten. Damit böte sich auch eine Chance, in der Spitzengrup- pe der Industrieländer mithalten zu können. So könnten durch den Export fortschrittlicher Umwelt- techniken neue Arbeitsplätze ge- schaffen werden, die an anderer Stelle aus ökonomischen und ökologischen Gründen abgebaut werden.

Dr. rer. nat. Jürgen Vogt

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