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ick krustig, bis zu zwei Zentimeter in den Raum ragend, ist die Ölfarbe auf dieser Leinwand aufgetra- gen. Das Bild scheint sich über den Rand hinaus fortzusetzen, ganz real ragt die Farbe auch an manchen Stellen über die seitliche Begrenzung hinaus.„Seelenfresser“ nennt der Berliner Künstler Bernd Schwarting eine Serie von Gemälden, so auch dieses. Ist es das Bild einer von „Seelen- krebs“ zerfressenen Psyche, an der alle therapeutische Kunst versagen muss?
Schwarting gehört zu den Künstlern, „die malen müs- sen“, die angefüllt sind mit Bil- dern und Handlungsimpulsen, die nach einer Gestaltung drängen. Was nicht gestaltet wird, droht die eigene Seele zu belasten, anzuspannen und letztlich aufzufressen. Inso-
fern sind diese Seelenfresser- bilder Darstellungen dessen, wovon der Künstler sich zu be- freien sucht. Jedes Bild stellt seinerseits aber auch wieder Forderungen an den Künstler, stellt ihm Fragen, verschärft Unruhe und Unzufriedenheit, solange es nicht zu einem stimmigen Abschluss gefun- den hat. Das Bild in seinem Entstehungsprozess zehrt an den Kräften des Künstlers, nervt ihn, fordert ihn heraus, lässt ihn nicht zur Ruhe kom- men. Um dem einzelnen Bild mit seinen Anforderungen auszuweichen,arbeitet Schwar- ting, wie viele andere Künstler auch, gern an mehreren Bil- dern gleichzeitig. Wenn er sich festgebissen hat an einem Bildentwurf – oder das Bild sich an ihm festgebissen hat –, kann er zur Seite treten und an einem Nachbarbild ohne
Blockade weiterarbei- ten. So wachsen mehre- re Bilder neben- und miteinander. Verwu- chert sich ein Bild oder eine Zeichnung, so kann es oder sie immer noch als Collage-Ele- ment in einem anderen Bild auftauchen, und sei es auch nur unter Nut- zung der Rückseite, wie es in diesem Bild der Fall ist. So tragen viele Bilder ein unlösbares Geheimnis, ein nicht deutbares Bild in sich.
Der Künstler ernährt die wachsenden Bilder, bis sie reif sind, das Ate- lier zu verlassen. Dann beginnt der Seelenfresser-Pro- zess mit einem neuen Bild von vorn. Hartmut Kraft V A R I A
Deutsches ÄrzteblattJg. 101Heft 272. Juli 2004 AA1989
Kunst und Psyche
Seelenfresser-Prozess
Biografie Bernd Schwarting Geboren 1964 in Stade. 1986 bis 1988 Studium Kunst und Musik in Oldenburg, anschließend mehrere Jahre als selbst- ständiger Fotograf tätig. 1993 Beginn des Studiums an der Hochschule für Bildende Künste in Dresden, das er 1994 in Berlin fortsetzt. 1998 Meisterschüler von Walter
Stöhrer. 1999: 1. Preis des Max-Ernst-Sti- pendiums der Stadt Brühl, 2000: Karl-Hofer- Stipendium. Schwarting lebt in Berlin.
Literatur
Schwarting B: Kahleby. Berlin: Galerie Tammen & Busch, 2000.
Foto:Eberhard Hahne
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er Titel dieses Ge- dichts (siehe Ka- sten) enthält kei- nen Druckfehler. Er heißt „Schürwunde“, obwohl jedermann beim schnellen Lesen an„Schürfwunde“ denkt.
Im Gedicht ist auch von
„Schutz und Asche“, oder vom „Ende vom Lid“ die Rede und nicht von „Schutt und Asche“ oder dem „En- de vom Lied“.
Bei Gedichten von Frank Schablewski gilt es genau hinzusehen.
Der Dichter führt den Leser bewusst in Ver- wirrung, um ihn zum
Nachdenken zu verleiten.
Das Gedicht „Schürwunde“
ist der jüngsten Sammlung entnommen, die unter dem Titel „Eros Ionen“ wiederum bei Rimbaud erschienen ist (96 Seiten, 17 Euro, ISBN 3- 89086-690-5).
Schablewski ist alles ande- re als ein weltfremder Lyriker.
So war er gerade erst wieder in Israel unterwegs, um an Ort und Stelle die Stimmung zu erfahren und der Wirklichkeit jenseits der aktuellen Presse- mitteilungen nachzuspüren.
Ein Produkt solcher eigenwil- ligen Erkundungen ist der Gedichtband „Mauersegler“, der an dieser Stelle bereits früher vorgestellt wurde.
Schablewski wurde 1965 in Hannover geboren, er lebt heute in Düsseldorf; die Stadt hat ihm unlängst ihren För- derpreis für Literatur zuer- kannt. In Düsseldorf hat er zu- nächst an der Kunstakademie
„Bildende Kunst“ studiert,spä- ter noch ein Tanzstudium ab- solviert, ehe er sich der Lyrik zuwandte, von der er heute zu leben versucht. Der Schulung des Auges durch die bildende Kunst verdanken die Gedich- te Bildhaftigkeit, die freilich erkundet werden will. Sie sind nichts für den schnell konsu- mierenden Leser. Der Tanz wirkt sich auf den Sprachfluss, aber auch auf die Körper- wahrnehmung, die viele Ge- dichte kennzeichnen, aus. Die Sprache erinnert an Ernst Jandl. Das wird besonders deutlich, wenn man Scha- blewski rezitieren hört. Der selbst lesende Lyrikfreund kann sich einen Eindruck ver- schaffen, wenn er ein Gedicht laut vorträgt. Norbert Jachertz
Schürwunde
von einem auf den anderen tag jemand frisst
los von Hand entlassen das Herz aus der Brust aufgezogen das Bild auf Leinen geführt an dem Irren herum bis zur Bindehaut die Dunkelheit sich entzündet nach und nach voll
zieht niemand sonst weiter aus sich ein jeder zu brauchen scheint
jede selbst
sucht im Nächsten
einer die andere zu nehmen aus dem Gesicht die Finger in Schutz und Asche legt aus der Faust auf das Ende vom Lid weiß den Schmetterling auf dem eigenen Rücken austrägt verloren Geglaubte in Sackgassen aus vier Wänden erkennt einander an im Gegenteil
Lyrik
Bewusste Verwirrung
Frank Schablewski beobachtet den Körper.
„Seelenfresser“ (2002), Collage, Kohlezeichnung und Öl auf Lein- wand, 50 cm × 40 cm, rückseitig betitelt, signiert und datiert 2002