• Keine Ergebnisse gefunden

Das Interesse am Studium der Religionen und an der Kritik des Textes der Heiligen Schrift, das in Westeuropa durch die Reformation erweckt wmde, betraf auch die Karäer

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Das Interesse am Studium der Religionen und an der Kritik des Textes der Heiligen Schrift, das in Westeuropa durch die Reformation erweckt wmde, betraf auch die Karäer"

Copied!
15
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

Gustaf Peringers Mission bei den Karäern

Von Simon §i§män, Paris

Dem Andenken meines liehen Freundes

Michael Kobecki (1904-1939) gewidmet.

Das Interesse am Studium der Religionen und an der Kritik des Textes

der Heiligen Schrift, das in Westeuropa durch die Reformation erweckt

wmde, betraf auch die Karäer. Die Theologen und Orientalisten hofften

vor allem, bei ihnen neue, unbekannte Bibelvarianten zu finden, und

gleichzeitig wollten sie die religiösen Ritualien und die karäische Literatur studieren.

In dieser Zeitperiode war ein direkter Kontakt mit den Karäern für die

Westeuropäer nicht leicht, da die letzten dortigen karäischen Zentren

{Spanien) im 12. Jh. liquidiert worden waren. Die karäische Literatur

war dort selten zu finden, und sogar einem so großen Gelehrten und

Bibliophilen wie Johannes Bitxtobff war es niemals gelungen, ein

karäisches Werk in die Hand zu bekommen^.

Die orientalischen Karäer kamen nur ausnahmsweise nach dem Wes¬

ten. Das Auftreten eines Karäers aus Mossul in Frankfurt am Main im

Jahre 1696, der eine kleine Bibliothek nach Wolhynien brachte, war

wahrscheinlich der einzige bekannte Fall. Hiob Ludolf^ kam ihm ent¬

gegen, und in seinem Hause traf ihn Eisenmengbb*. Die europäischen

Gelehrten, welche die Karäer kennenlernen wollten, mußten sich speziell

oder bei sonst sich bietender Gelegenheit zu ihnen begeben. So suchte der

Genfer Pastor Antoine Legee zu Beginn des 17. Jh. während eines Auf¬

enthalts in Konstantinopel die dortigen Karäer zu Missions- und wissen¬

schaftlichen Zwecken auf*. Das Schicksal der von ihm gesammelten

^ „Libros aliquos Karraeorum hactenus nullos mihi videre hcuit. Seldenus duorum meminit, quorum copia ipsi sit facta" ; Liber Cosri . . . notis illustra¬

vit Johannes Buxtoefius, Fil., Basileae 1660, S. 203.

2 Jacques Basnage, L'Histoire et la Rehgion des Juifs, Rotterdam 1707,

Bd. I S. 476; Johann Jacob Schudt, Compeiidium Historiae Judaicae ...,

Francofurti ad Moenum 1700, S. 528.

* Johann Andbeas Eisenmbngeb, Entdecktes Judenthum ..., s.l. 1700,

I. TheU S. 305.

* Samuel Baud-Bovy, Antoine Löger, pasteur aux vallees vaudoises du

Pigment et son söjour ä Constantinople. D'apres une correspondance inödite

1622—1631, in: Revue d'Histoire Smsse, tome XXIV, fasc. 2 (1944), S.216.

(2)

216 Simon §isman

Materialien ist unbekannt^; einige seiner Bemerkungen und auch die

Statistik der Karäer wurden von Hottinoee^ veröffentlicht. Am Anfang

des 18. Jh. nützte Michael Eneman, Armeegeistlicher Karls XII.,

später Professor in Upsala, einen Aufenthalt in Konstantinopel aus, um

Bekanntschaft mit den dortigen Karäern anzuknüpfen und um Aus¬

künfte über ihre Geschichte, ihre Religion und Sitten zu sammeln und

sich Handschriften zu verschaffen. Seinen späteren Aufenthalt in Kairo

nützte Eneman ebenfalls, um mit Karäern in Kontakt zu kommen.*

Die in Polen und im Großfürstentum Litauen wohnenden Karäer

waren in geographischer Hinsicht für die abendländischen Gelehrten die

nächsten, und der Kontakt mit ümen war daher leichter. Eine Reihe von

Nachrichten über Versuche, eine solche Bekanntschaft anzuknüpfen, ist

erhalten geblieben. Im Jahre 1641 besuchte Johannes Stephanus

RiTTANGELius, Professor für orientalische Sprachen an der Königsberger

Akademie, die Stadt Troki und studierte die karäischen Doktrinen und

die karäischen Werke*. Im Jahre 1743 korrespondierte Konead Iken,

Prediger und Professor in Bremen, mit Karäern aus Nowemiasto; er

erhielt von ihnen eine Reihe von Werken und wollte sie veröffentlichen*.

Nicht selten finden wir hie und da Spuren anderer Versuche, mit den

Karäern in Verbindung zu kommen®.

Zweifellos ist die Reise Gustaf Peeingees nach den karäischen Ansied¬

lungen die am meisten bekannte. Man hat öfters darüber geschrieben, aber

1 Eine andere Sammlung von Briefen Leger's befindet sich in der Biblio¬

theek der Rijksimiversiteit te Leiden. In keinem dieser Briefe werden Karäer

genaimt (Schreiben der genannten Bibliothek Nr. 1492 vom 26. Juli 1950).

2 Johann Heinrich Hottinger, Thesaurus Philologicus ..., Zürich 1659

S. 42—43.

ä Brief von Eneman an Joh. Schult, aus Smyrna vom 23. Oktober 1711,

veröffentlicht von Carl Christoffer Gjörwell in Det Swenska Biblioteket,

I. Bd., Stockholm 1757, S. 76—77. — Die Frage des Aufenthalts Enemans in

Konstantinopel ist ausfüMich behandelt von Erik Gren in seinem Artikel

„Bidragtill Michael Enemans Biografi" (Donum Grapeanum, 1945, S. 465 und 466).

* Joannes Christophorus Wolfius (edidit) Notitia Karaeorum ...,

Hamburgi et Lipsiae 1714, S. 54. — Dieses Werk ist von dem Karäer

Mardochaeus in der Ortschaft Kukizöw oder Krasny Oströw (23 km südöst¬

lich von Lemberg), die ehemals ein karäisches Zentnun war, geschrieben

worden. Es ist seine Antwort auf die an ihn seitens des Professors Jacob

Trigland (Autor des Werkes „Disisertatio de Karaeis Delphis 1703,

Hamburg 1714 und mehrere spätere Ausgaben) gerichteten Fragen.

' Jacob Mann, Texts and Studies . .., vol. II, Karaitica, Philadelphia

1935, S. 681, 744, 1293—1294. — Nowemiasto, litauisch Karaimu Nauja-

miestis = Karäische Neustadt, ehemals bekannte karäische Ansiedlung im

Großfürstentum Litauen.

' Vgl. z.B. Tadeusz Czacki, Rozprawa o Karaitach, Dziela vol. III (Poznaü 1845) S. 274.

(3)

Gustav Peringers Mission bei den Karäern 217

man hat ziemhch spät begonnen, sie zu untersuchen. Als ich vordem letzten

Kriege in der Handschriften-Abteilung der Nationalbibliothek in Warschau

arbeitete, lenkten einige Hinweise meine Aufmerksamkeit auf diese Frage

und regten mich zur Sammlung des diesbezüglichen Materials an. Leider

verlor ich alle diese Materialien während des Krieges. Nach dem Ende des

Krieges und der Rückkehr zu mehr oder weniger normalen Bedingungen

gelang es mir, die Verluste teilweise zu ersetzen und die Untersuchungen zu

Ende zu bringen. Da ich keine Möglichkeit hatte, mich zu diesem Zwecke

persönlich nach Schweden zu begeben, war ich bei meinen Untersuchungen

auf die Hilfe vieler Personen und Institutionen angewiesen, denen ich

für ihr liebenswürdiges Entgegenkommen meinen Dank ausspreche.

Wagenseil^ ist wahrscheinlich der erste, der die Reise PEmNOEEs

kurz beschrieben hat. Nach seinen Worten war Karl XI. von Schweden

der Anreger der Mission, da er die Absicht hatte, die Karäer zum Pro¬

testantismus zu bekehren. Infolgedessen wollte er Auskünfte über die

Karäer einholen und sich Bücher von ihnen beschaffen. Zu diesem

Zwecke wurde Peringer^ entsandt ; der vorzeitige Tod des Königs erlaubte

aber nicht, diesen Plan zu verwirklichen.

Auf Grund der wenigen vorhandenen Dokumente kann man den Ver¬

lauf dieser Reise wiederherstellen. Die erste Urkunde, welche hierüber

vorliegt, ist Peringers Gesuch* an den Grafen Bengt Gabrielsson Oxen-

stierna, Königlichen Rat und Kanzler der Akademie in Upsala. In diesem

Gesuch bittet er um die Erlaubnis, diese Reise unternehmen zu dürfen,

und führt die Gründe dafür an. Er möchte die Karäer persönlich kennen¬

lernen, um ihr Dogma, ihre Ritualien, ihre Sitten, ihr Kalendersystem zu

studieren und sich ihre Werke, die er als sehr selten und in Europa fast

unbekannt bezeichnet, zu beschaffen. Peringer möchte feststellen, ob die

Karäer ein eigenes System der Vokalisierung für die Bibeltexte haben,

^ JOHANN Christophor Wagenseil, Hofnuug der Erlösimg Israelis ....

Nürnberg und Altdorf 1707, 8. 25—26.

2 Gustav Peringer, geboren am 6. März 1651 in Strängnäs, studierte

orientalische Sprachen in Upsala, wo er 1675 den Doktorgrad erlangte. Seine

Studien ergänzte er in Kiel, Hamburg, Jena, Oxford, Cambridge, Paris, Rom,

Venedig, Altdorf (bei Wagenseil), Frankfurt (bei Ludolf) und Amsterdam.

-Er beherrschte das Hebräische, Arabische, Chaldäische, Syrische, Persische,

Türkische und Tatarische. Im Jahre 1681 wurde er zum Professor für orien¬

talische Sprachen in Upsala ernannt. 1693 wurde er geadelt und erhielt den

Namen Lillieblad. Zwei Jahre später wurde er zum königlichen Sekretär und

Zensor, im Jahre 1703 zum königlichen Bibliothekar ernannt. Er ist am

5. Januar 1710 in Stockholm gestorben und ist in Strängnäs beerdigt worden.

^ Dieses 11 Seiten umfassende Aktenstück ist in der Stifts- och Lands-

biblioteket in Linköping aufbewahrt (Codex lincop. Br2 :133). Eine Abschrift

davon (13 Seiten) mit Datum vom 14. Februar 1690 befindet sich im Valtio-

narkisto in Helsinki (Suecica c).

(4)

218 Simon §isman

das sich von den gewöhnlichen Bibeltexten unterscheidet, und ob sie

vielleicht sogar abweichende Texte besitzen. Da alle diese Fragen von

großem wissenschaftlichem Werte sind, wird er auch von anderen Theo¬

logen und Orientalisten zu seiner Reise ermuntert; als Beispiel führt er

einen langen Auszug aus einem Brief von Johann Wulfer aus Nürnberg

vom 24. Juli 1687 an. Das Gesuch enthält außerdem eine kurzgefaßte

Ubersicht der Geschichte und des Wesens des Karäertums auf Grund der

Werke von Buxtorff, Scaliger, Morin, Seldenus, Simon, Leo aus Modena,

Hottinger u.a.

In Beantwortung von Peringers Gesuch erläßt Karl XI. am 14. Februar

1690 zwei Reskripte^ und erlaubt Peringer, die geplante Reise wäh¬

rend der Sommerferien zu machen, und stellt den Betrag von 600 Silber-

Talern dafür zur Verfügung. Peringers Reisepaß^ wurde am 5. Juni des¬

selben Jahres ausgestellt und ist vom König und von J. Bergenhielm

unterzeichnet. Wie dem Inhalt zu entnehmen ist, hatte Peringer einen

Mitreisenden, der weder mit Namen noch nach seiner Stellung genannt ist.

Wir erhalten Informationen über den Verlauf der Mission aus vier

Briefen Peringers, die aus Riga*, Stettin* und (2) aus Upsala^ abge¬

schickt worden sind.

1 Sie sind unterschrieben vom König und von J. Bergenhielm, Kanzleirat

und Staatssekretär im Auswärtigen -4mte. — Die Universitätsbibliothek in

Upsala enthält die Abschrift der zwei folgenden (K.B. X 278 ag) :

a) Reskript an Ratspräsident Oxenstierna (Anlage 1). Der Inhalt dieses

Reskripts ist in der Registratur (Januar/Februar 1690, S. 464v. —465)

eingetragen (Riksarchivet, Stockholm).

b) Reskript an die Grafen und den Ratspräsidenten über die Assignierung

von 600 Silbortalern.

2 Original des Reisepasses (s. Anlage 2) in der Universitätsbibliothek in

Up.sala (Könighche Briefe X 278 ag), sein Inhalt ist am 5. Juni 1690 in die

Riksregistratur (Juni/Juli 1690, S. llOv. — III) eingetragen (Riksarchivet Stockholm).

^ Gustavi Peringeri literae ad Nicol. Stjemberg, Bigae 4 Juli 1690. Original

verschollen, Abschrift in der Universitätsbibliothek in Upsala (G 191).

S. Anlage 3.

* Nicht aufbewahrter Brief vom 4. Oktober 1690 an unbekannten Adres¬

saten in Stockholm. Sein Inhalt ist angegeben auf S. 26 einer Inaugural-

Dissortation „De fatis literaturae Orientalis in Svecia", vorgelegt im Jahre

1755 in Upsala imter dem Vorsitz von E. L. Hydren, mit J. G. Humble als

„respondens".

^ Brief vom 14. November 1690 an Bischof Erik Benzehus. Original in der

Stifts- och Landsbiblioteket in Linköping (Codex lincop. Br 2: 134), Abschrift

in der könighchen Bibliothek in Stockholm. — Dieser Brief war von Gjörwell

im IV. Bd. von Det Swenska Biblioteket, Stockholm 1760, S. 82 —85 veröffent¬

licht, war aber außerhalb Schwedens vollständig imbekannt. S. Anlage 4.

Brief vom 15. Aprü 1691 an Hiob Ludolf, veröffentlicht von Tenzel in

der Zeitschrift „Monatliche Unterredungen Einiger Guten Freunde

(5)

Gustav Peringers Mission bei den Karäern 219

Peringer verließ Schweden am 22. Juni 1690; am 25. Juni traf er in

Riga ein, wo er sich bis zum 4. Juli aufhielt und Auskünfte über den ein¬

zuschlagenden Weg einholte. Ein ,, judaeus conversus ex familia Mach-

san" gab ihm umfangreiche Hinweise. Die weiteren Reiseetappen führten

ihn durch Kurland, Semgallen, Litauen, Preußen, Polen, Schlesien und

Pommern. Von den karäischen Ansiedlungen nennt Peringer Birze, Pos-

wole, Nowemiasto, Troki, Kronie und Luck, es ist aber nicht bekannt,

welche von diesen von ihm persönlich besucht worden sind; mit voller

Sicherheit können wir nur Troki und Birze nennen. Seine Reise beschließt

Peringer anfangs Oktober in Stettin, von wo er nach Schweden zurück¬

kehrte.

Während seiner Reise machte Peringer Beobachtimgen nicht nur reli¬

giösen Charakters, sondern machte auch linguistische und soziologische

Bemerkungen. Er schreibt: lingua illis materna est Tartarica sive

potius Turcica, qua etiam libros sacros explicant in Schölls & ludis''^.

Das Bildungsniveau der damaligen Karäer war teilweise recht hoch, wie

Peringer angibt: ,,Qui eruditi apud ilios sunt sane instudiis excellunt"^

aber doch ist, wie er schreibt, ,, dieses Volk von geringer Zahl, deshalb, weil sie in der Kindheit schon in den Krieg ziehen ...". Dieser Satz zeigt

die Neigung der Karäer zum Kriegsberuf, eine Neigung, die aus den

Traditionen und Dokumenten bereits früher bekaimt war*.

Leipzig, Juli 1691, S. 572—575. — Dieser Brief ist in der Literatur als

„Epistola de Karaitis Lithuaniae" bekannt und ist wiederholt, in verschie¬

denen Gestalten, abgedruckt worden. S. Anlage 5.

^ Wie Tadeusz Kowalski, der beste Kenner der karäischen Sprachen,

angibt, gehört sie zur kiptschakischen Gruppe der türkischen Sprachen und

steht der Sprache des ,,Godex Cumanicus" am nächsten. Zu Beginn des 16.

Jh. hatten die Karäer vorgehabt, die Bibel in ihrer Muttersprache zu drucken.

Dieser Vorsatz ist von ihren Gegnern vereitelt worden.

2 Die karäische Jugend studierte in der Akademie der Jesuitenpatres in

Wilna, einige Karäer führten ihre Studien im -Auslände fort (vgl. Wladys-

i^w Sybokomla, Wyoieczki po Litwie w promieniach od Wilna, vol. I,

Wilno 1857, S. 82—87). — Karäische Gelehrte waren fleißige Leser der pol¬

nischen und lateinischen Werke von christlichen Autoren. S. Dr. Abraham

Geiger, Isaak Troki, Breslau 1853, S. 9-—10; Aleksander Brückner, Röz-

nowiercy Polsoy, Warszawa 1905, S. 251—252; Alexander Kraushar,

Historya Zydöw w Polsce, Bd. II, Warszawa 1866, S. 266—267. — Kraushar

zeigt, daß Isaak Troki an der Redigierung der polnischen Protestanten-

Bibel teilnahm, die 1572 von Szymon Budny in Nieswiez herausgegeben

worden ist.

^ Sybokoml.\, o.e. S. 81 —82. — Mann (o. c. S. 557, 812) zitiert ein anderes

Dokument aus derselben Zeit (etwa 1660), wonach die Karäer ausrufen:

„Haben wir nicht, Gott sei Dank, die wortvollen Urkunden, die unsere

Ahnen mit Schwert und Bogen erworben haben und hernach unsere Gro߬

väter?". Mann meint, der Ausdruck „Schwert und Bogen" sei um' bildlich

zu verstehen, weil man ihn — in der Bibel (Gen.48,22) finde. Aber genügt die

15 ZDMG 102/2

(6)

220 Simon §i§man

Es ist interessant, Peringers soziologisclie Bemerlcungen mit den fast

zwei Jahrhunderte früher gemachten Bemerkungen von Maciej aus

Miechow, dem Rektor der Akademie in Krakau zu vergleichen. Der pol¬

nische Autor spricht in seinem derzeit vergessenen Werke folgenderweise

über die Karäer: ,,Insuper sunt Hebrei in lithuania presertim in civitate

Troki: hi laborant et mercant thelonea et officia publica tenent de

usurisque non vivunfi. Dasselbe wiederholt Maciej an anderer Stelle:

,,Est tertia secta iudeorum non usurariorum velut sit in terris christia¬

norum sed laboratorum agricolarum et mercatorum magnorum: presi-

dentque ut sepe theloneis et exactionibus publicis"^.

Peringer macht auch historische und anthropologische Bemerkungen.

Seiner Meinung nach kamen die Karäer zur selben Zeit und aus dem

selben Gebiet nach Litauen, wie die Tataren, die ,,ipsi facie Karraitis

valde similes" sind.

Leider sind alle Bemerkungen Peringers sehr kurzgefaßt. Es sind bloß

Vorbemerkungen, die zweifellos von umfangreicheren Beschreibungen

und der Veröffentlichung mindestens einiger der von ihm während seiner

Reise angeschafften über dreißig hebräischen und arabischen Handschrif¬

ten begleitet werden sollten*.

Peringer begann bereits am Anfang des nächsten akademischen Jahres

in Upsala mit Vorlesungen über karäische Ritualien und mit der Lesung

Tatsache, daß ein Wort in der Bibel erscheint, um es nicht buchstäblich zu

nehmen ? Am zutreffendsten scheint die -Angabe Miczynski's (Zwierciadlo

Korony Polskiey, Kraköw 1618, S. 102), welche sich ohne Zweifel auf die

Karäer bezieht: „Bs gibt unter ihnen große und fleißige Männer, besonders

in Ruthenien, Wolhynien und Podolien, welche, wie man sehen kann, mit

Säbel und Bogen und mit Gewehr sich sehr gern aufs Pferd setzen und, wenn

sie eine Gelegenheit haben, ihre Kühnheit zeigen".

1 Mathie de Myechow, Traetatus de duabus Sarmatiis Asiana et Euro-

piana et de contentis in eis. Excusa Auguste Vindelicorum 1518, liber se-

cundus, traetatus primus, capitulum tertium. ■— Es geht hier nur um die

Karäer, weil, wie Mann (o.e. S. 559—561) gezeigt hat, in Troki niemals eine

jüdische Ansiedlung existierte. Man hat die Karäer mit den Juden ver¬

wechselt und sie manchmal in Dokumenten „Judaei trocienses" genannt.

2 o.e., liber secundus, traetatus primus, capitulum primum. Johann

Jacob Schudt, der diesen Satz zitiert (Jüdischer Merckwürdigkeiten

Frankfurt imd Leipzig 1714, II Theü, S. 172), fügt hinzu: „diese sind Kar-

raeer". — Andere Autoren haben oft diese Stellen von Maciej zitiert oder kopiert. Sie haben sie aber nicht gut verstanden oder sogar diese Bemerkun¬

gen falsch bezogen. Vgl. z.B. Gommendoni's Memoiren im „Zbiör pamiQtni-

köw historycznych o dawnej Polszcze" von J. U. Niemcewicz, Leipzig 1838, Bd. I S. 64.

^ Hydren-Humble, 1. c. — Claes Annbbstedt in Upsala Universitets

Historia, 2:2, Upsala 1909, S. 294, schreibt: „er kaufte über 36 teUweise

ganz kostbare Handschriften."

(7)

Giistav Peringers Mission bei den E[aräem 221

der Reisebeschreibung nach Jerusalem vom Karäer Samuel^. Zwei Jahre

später macht Peringer (damals Rektor der Akademie) die Fortsetzung

der Erklärung dieser Reisebeschreibung bekannt. Gleichzeitig teilt er mit,

daß diese Reisebeschreibung teilweise bereits gedruckt ist^. Diese Ausgabe

ging aber vollständig verloren. Es ist nicht einmal bekannt, ob sie bis zu

Ende gebracht wurde, obwohl eine Reihe von Personen den ersten fertig

gedruckten Bogen in der Hand gehalten hatte*. J. C. Wolf hat später den

ersten Teil dieser Beschreibung samt Übersetzung veröffentlicht*.

B. Ugolino hat sie ebenfalls abgedruckt^; den französischen Text hat

E. Cabmoly in seinem Werke angeführt*.

Das Schicksal der anderen von Peeingek gebrachten Werke ist unbe¬

kannt ; sie sind wahrscheinlich bei dem großen Brand des Königsschlosses

in Stockholm am 7. Mai 1697 in Flammen aufgegangen. Peringers

Privatbibliothek von 80 gedruckten Büchern und 18 Handschriften

wurde im Jahre 1703 von der Universität in Lund erworben'. Diese

Programmata Upsaliensia, vol. II, 1681—1700. — Catalogus lectionum

publicarum ... a tempore Autumnali -4nni MDCLXXXX, N. 310. Wie man

aus demselben Kataloge unter Nr. 309 ersehen kann, hat Peringer a tem¬

pore Autumnali Anni MDCLXXXIX, also nooh vor seiner Reise, in seinen

Vorlesungen über das Karäertum gesprochen.

2 1. c, Catalogus lectionum publicarum ... a tempore Autumnali Anni

MDCXCn, N. 312.

' Man weiß sogar nicht einmal, wo die Ausgabe gedruckt worden war, in

Breslau oder in Upsala, bei H. Kbyseb, Königl. und akad. Buchdrucker.

Hydben-Humble's Werk teilt darüber mit : „Refert ipse in epistola, Stetino

Stockholmiam transmissa d. 4 Octobr. A. 1690, cum ad patrios lares iter

reflecteret, se nonnullos eoque rariores libros Mss. Breslaviensibus com-

misisse Judaeis, typis excudendos. Hinc multis doctorum virorum admo-

nitionibus sollicitabatur, ut filum laboris inoeptum pertexeret eoque consilio

ts^os Hebraicos, ex HoUandia per Henr. Keyser, hue asportandos curavit.

Ad hoc accessit etiam munificentia Regia, quae in literis ad Regium Colle¬

gium Status d. 18. Febr. A. 1698 datis, Liliebladio 800 thaler. imperial,

numerari jussit, quo sumtu, duo Codices Mss. Orientales, cum Latina inter-

pretatione ederentur".

* R. Samuelis Sancti Fil. Da vidis Jemsel Judaei Karraitae Itinerarium, in

J. Christoph. Wolfii Bibliotheca Hebraea, Bd. III, Hamburgi et Lipsiae 1727, S. 1080—1094.

° B. Ugolino, Thesaurus Antiquitatum Saorarum. Vol. VII, Venedig 1747,

S. 251—272.

° E. Cabmoly, Itinöraires de la Terre sainte, Bruxelles 1847, S. 499—544.

— Auf S. 510 teilt Cabmoly eine von Dukes aus Preßbm-g erhaltene Nach¬

richt mit, daß der karäische Hazzan (Priester) Abraham Leonowicz in Halicz

eine Handschrift mit der vollständigen Reisebeschreibung Samuels besitze.

Sie wurde schließlich von Gueland nach einer Handschrift in der Peters¬

burger Öffentlichen Bibliothek veröffentlicht, Lyck 1865.

' Carolus Johannes Tobnbebg, Codices Bibliothecae Regiae Universi¬

tatis Lundensis, Lund 1850, Vorwort.

15*

(8)

222 Simon §isman

Sammlung enthält nur ein einziges zweifellos karäisches Werk, und zwar

einen Kommentar zum Pentateuch von einem unbekannten Verfasser^.

Im Jahre 1693 wurde Peringee. geadelt und erhielt den Adelsnamen

LtLLiEBLAD. Die Relse nach Litauen war eines der Verdienste, für die er

diese Auszeichnung erhielt.^

Die Autoren, die über Peeingees Mission geschrieben haben, haben

angegeben, daß in Folge dieser Mission ein Karäer namens Salomon,

Sohn Aarons, für Vorlesungen nach Upsala eingeladen worden sei. All das

scheint aber ein Mißverständnis zu sein. Mardochai aus Kokizow teilt

mit*, daß einige Jahre früher, wahrscheinlich im Jahre 1696, in das Gro߬

fürstentum Litauen ,,duo eruditi viri ex regno Sveciae juxta fluvium

Dunam profecti sunt", und daß sie zwei gelehrte Karäer, von denen der

eine Salomon, Sohn Aarons, aus der Stadt Poswole war, in ihre Akademie

,,in urbem Regni" eingeladen hatten. Gren* glaubt, daß es Johann Up¬

pendorff (Rektor der Schule in Riga, später Professor in Dorpat) und

David Gaspari* (Superintendent in Riga) waren, und daß die ,,iirbs

Regni" Riga war.

Es wurde auch öfters geschrieben, daß Karl XII. während des Nordi¬

schen Krieges den Karäern in Luck begegnet sei. Auch dies scheint ein

Mißverständnis zu sein. Wir finden darüber keine Spur in dem ausführ¬

lichen Werke des Militärgeistlichen Nordberg*, der am ganzen Kriegszug

bis zur Poltawa teilnahm. Eneman, der Militärgeistliche des Königs, der

selbst Orientalist war und großes Interesse für die Karäer zeigte, schrieb

in seinem Tagebuch: ,,In Lithuaniam nullos inveni; in Wolhinia dicuntm

vivere, prope Levpolim"'.

Das Interesse am Karäertum von Seiten der abendländischen und be¬

sonders der schwedischen Wissenschaftler hört mit Peringers Mission

nicht auf. Eine 1691 in Abo vorgelegte Inauguraldissertation* und eine

1 Tobnbebg, o.e. S. 32, Nr. 38. — Dies ist ohne Zweifel das in den „Pro¬

grammata ..." S. 3 erwähnte Werk von Aaron, Sohn Josephs.

2 Es gibt zwei Exemplare des Adelsbriefes, eines (Original) im Valtionar- kisto in Helsinki (Suecica k), und ein anderes, längeres (Abschrift), imRid-

darhuset üi Stockholm (Nr. 11/1263, vol 4, Pos. 101).

^ Wolf, Notitia, Praefatio S. 2. o. c. S. 464.

° Gaspari hatte schon vorher Interesse für die Karäer gezeigt. In seinem

Brief an Peringer aus Riga, vom 17. September 1693 (Upsala, Universitäts¬

bibliothek G 360, S. 209) schreibt er, daß ein gewisser Juda Mardochai, ein

Karäer aus Luck, ihn besucht habe und versprochen habe, Handschriften zu

liefern. Gaspari hat auch versucht, karäische Handschriften aus Birze zu

erhalten.

° JÖBAN A. Nobdberg, Konuns Carl den Xll-tes Historia, Stockholm 1740.

' Gben, 1. c. S. 466.

* Bihaeresium Verporum, sive de duabus nostri temporis Judaeorum sectis,

Rabbanitis seil, et Karraeis . .., unter dem Vorsitz von Simon Paulinus, und

(9)

Gustav Peringers Mission bei den Karäern 223

andere in Upsala im Jahre 1709i berühren dasselbe Thema. Der Kontakt

und der Briefwechsel zwischen abendländischen Orientalisten und Karä¬

ern dauert noch während des 18. Jh. weiter. Gegen Ende dieses Jahr¬

hunderts sinkt der kulturelle Stand des Karäertums und gleichzeitig

damit das Interesse des Westens an ihm. In dieser Zeitepoche ging die

Mehrzahl der Dokumente über die Karäer verloren, so daß zu Beginn des

19. Jh. ein den Karäern so wohl gesinnter Autor wie Czacki alle Nach¬

richten über deren ehemaligen hohen Kulturstand für Erzeugnisse der

Phantasie hielt.

Die Forschungen über andere Spuren von ähnlichen Berührungen

könnten großen Wert haben. Sie könnten dazu beitragen, ein ausführ¬

licheres Bild vom Kulturstande des ehemaligen Karäertums zu geben.

Die Meinungen der früheren Gelehrten vom Wesen und von der Ge¬

schichte des Karäertums waren viel kritischer und begründeter, als die

modernen. Diese Forschungen könnten auch neues Licht auf mehrere

Fragen werfen, die früher die europäische Wissenschaft interessierten.

Anlage 1

Reskript an Kanzler Oxenstierna (Übersetzung)

Carl mit Gottes Gnade der Schweden, Goten und Wenden König.

Unsere besondere Gunst und gnädige Gewogenheit mit Gott des All¬

mächtigen Hilfe, Geehrter Ratsmann und President ;

Wie Wir aus Eurem untertänigsten Bericht gnädigst vernommen haben,

hat der Professor der orientalischen Sprachen an der Akademie in

Upsala, Gustaf Peringer, die Absicht, eine Reise zu machen hinein nach

Polen und Littgawen, um dort gemäß den Berichten, die er bekommen

hat, nach einer Judensekte Ausschau zu halten, die Karraiten genannt

werden. Aus den Informationen, die er erhalten könnte über ihren Glau¬

ben und Zeremonien, in denen sie mit den Rabbanisten nicht einig sind,

vermeint er viele gute und nützliche Kenntnisse und Aufklärungen über

die hebräischen Sachen beschaffen zu können, nach vieler gelehrter Leute

Verlangen. Also haben Wir den Vorsatz des Obgenannten Uns gnädigst

behagen lassen und haben hiermit gestattet, daß er auf kurze Zeit, mög-

Severin Riisberg als "respondens". — Ich habe versucht, in Abo einige

Spuren der Kontakte von Paulinus mit Peringer zu finden. Leider aber ist

die ganze Stadt mit allen Archiven und Bibliotheken im Jahre 1827 durch

einen Brand vernichtet worden.

^ Disputatio Philologica De Sectis Judaeorum, unter dem Vorsitz von

Daniel Lundius, und Petrus Backmarck als "respondens".

(10)

224 Simon §isman

liehst im Sommer, weim die Studien an der Akademie seine Abwesenheit

am besten vertragen können, diese Reise vornehmen darf, zu welcher Wir

ihn begnadigen wollen mit 600 Talern Silbermünze als Reisegeld, worüber

Wir gnädigen Befehl haben herausgehen lassen an unser Staatscomptoir,

wasselbiges Ihr möget ihm bekanntgeben. Wir befehlen ihn der großen

Gnade des allmächtigen Gottes an.

Stockholm, den 14 Februar des Jahres 1690;

Oabolus

J. Bergenhielm

Anlage 2

Peringers Reisepaß

Nos Carolus Dei Gratia, Swecorum, Gothorum, Vandalorumque

Rex, Magnus Princeps Finlandiae, Dux Scaniae, Esthoniae, Livoniae,

Careliae, Bremae, Werdae, Stetini, Pomeraniae, Cassubiae et Vandaliae,

Princeps Rugiae, Dominus Ingriae et Vismariae; Nec non Comes Pala-

tinus Rheni, Bavariae, Juliaci, Cloviae et Montium Dux ;

Notum testatumque facimus, quod cum praesentium exhibitor sub-

ditus Noster Gustavus Peringer negotiorum quorundam causa in

Lithuaniam iter instituere decreverit, humiliterque a Nobis petierit,

velimus in majorem dicti itineris securitatem Nostris eum sal vi passus

literis munire ; Nos itaque desiderio ejus clementer annuentes, ab omnibus

Potestatibus, Regibus, Principibus, Rebuspublicis, liberis civitatibus,

provinciarum mbiumque Gubernatoribus, Exercituum Ducibus, tum et

Marium praefectis, hisce respective amice, benevole et clementer requi-

rimus, Nostris vero Ministris, Praefectis, atque alijs obsequio Nobis

devinctis serio injungimus, velint praedicto Gustavo Peringer cum

socio, rebus ac sarcinis suis non modo tutum securumque iter concedere,

sed etiam cuncta moratioribus gentibus sveta humanitatis et bene¬

volentiae officia eunti, commoranti redeuntique exhibere. Quod ut ex

debito suo impleturos eos, qui Imperio Nostro parent, satis certi sumus,

ita quidquid ex benevolentia praestiterint exteri, id offerente sese occa-

sione in simili vel alio casu erga eos libenter compensare studebimus. In

quorum majorem fidem, hasce Manu Nostra subscriptas sigillo Nostro

Regio muniri iussimus.

Dabantur in Regia Nostra Holmensi die 5 Mensis Junij , Anno Christiano 1690.

Carolus

J. Bergenhielm

(11)

Gustav Peringers Mission bei den Karäern 226

Anlage 3

^.Gustavi Peringeri literae ad Nicol. Stjemberg. Rigae 4. Julii. 1690.

Qui in aere tuo sum, panels me exsolvam, cum ad iter jam accinctus plura

praestare nequeam. Sandhambn Sveciae portu solvimus die 22. Junii,

accessimusque Rigam die 25 ejusdem, commodissimo interea exoptatis-

simo (que) vento delati. Pompa heic excepti sumus magna. Gubernator

enim Generalis et campiductor comes Hastverdius, cujus ego comitatui

adjunctus fueram, omnium votis prosequutus est. Is mihi in itinera et in

urbe benef icia praestitit longe multa. Miratus vero hic sum copiam rerum

uberrimam, simulque Moscovitorum Polonorumque admirandum con¬

fluxum. Qui Ecclesiastico funguntur munere, viri hic sunt bene docti, et

iidem humanissimi. Bibliothecas privatas amplissimas possident. Vidi

apud Dn. M. Caspari patres Graecos antiquissimarum editionum. is

etiam possidet Georgii Scholarii opus Grammaticum Graece elegantissi-

ma manu scriptum. Biblia S. in lingvam Letticam a Pastoribus nonnulis,

qui sermonis ejus gnari sunt, translata sunt. Novum Test, typis descrip-

tum est. Veteris a. Testamenti libri canonici hactenus impressi; et

desiderantur apocryphi. Ego mihi comparavi Grammaticam et lexicon

ejus lingvae. Retulit mihi Dn. Superintendens Fischer multa de genio

hujus gentis. Bt quod notandum; superesse adhuc plurima vestigia

superstitionum quae ad Zamoxin praeceptorem, et disciplinae Pytha-

goricae propagatorem, referre soient. Ego nonnula memoranda mihi

consignavi. Cl. Wittius, vir sane egregius, tuam Frater desiderat amici-

tiam. Tuo nomine ipsi omnia pollicitus sum. Et sane id meret virtus et

tua, et ejus. Bibliothecam Aprosianam summopere desiderat, si mittere

velis. Vale et mihi fave.

Hodie Rigae Deo volente abiturus sum Mittaviam, indeque ad Karraitas

qui Birsae, in urbe Troki, alibique commorantur. Habeo jam notitiam

satis bonam de illis, quam mihi dedit Judaeus conversus ex familia

Machsan, quo ego doctiorem nunquam vidi, et argre ab illo divellor.

Anlage 4

Brief Peringers an Bischof Benzelius (Übersetzung)

Hochwürdiger Herr Bischof, höchstgeneigter Patron.

Die tiefe Schuld, die ich bis heute von den fernen Gegenden her nicht

habe beim hochwürdigen Herrn Bischof ablegen köimen, habe ich jetzt

endlich Gelegenheit am schnellsten zu quittieren, seitdem ich, Gott sei

Dank, vor zwei Tagen glücklich von Skäne heimgekommen bin. Ich habe

diesen Sommer durchwandert Curland, Semgallen, Lithawen, Preusen,

(12)

226 Simon §isman

einen großen Teil von Pohlen, Schlesien und Pommern und, so sehr es mir

möglich war, alles beobachtet, was meinem Vorsatz nützlich sein konnte.

Die Karaiten habe ich an einigen Orten in ihren Siedlungen und Synago¬

gen aufgesucht. In Lithawen halten sie sich in den Städten Birsen,

Pozvole, Niewomiesticz, Troky, Korone etc. auf und in Kleinpolen in

Lusuc. Sie sind sowohl facie, statura atque ceremoniis von den anderen

unterschieden. Zwischen ihnen herrscht ein großer Haß, der ähnlich dem

zwischen den Türken und den Christen ist. Ihre Synagogen sind im allge¬

meinen gebaut ab septentrione ad austrum, imo oraturi faciem versus

austrum dirigunt quia in ea plaga Hierosolymas reliquerunt, cum eos

abduceret Salmanasar. Daß sie oriundi ex decem tribubus sind, dazu habe

ich starke Gründe. Ihre Sprache ist Tartarisch oder gemischtes Türkisch,

auf welches sie auch den hebräischen Text auslegen. Ich bin der Meinung,

daß sie um dieselbe Zeit nach Lithawen hineinkamen wie die Tartari

Muhammedani, welche dort ihre Mesgidas und große Privilegien haben.

Die rabbinischen Juden in ganz Pohlen sprechen deutsch, aber des un¬

geachtet, daß sie mit ihnen in einer Stadt zusammenwohnen und beide

ihre Synagogen haben, wie in der fürstlichen Stadt Birsen der Fall ist,

verstehen jedoch die Karaiten kein deutsches Wort, tanta ipsis reliquo-

rum est aversio. In ihrem Cultu religionis sacrorum zeigen sie eine große

Hingabe cum prosternationibus atque manum elevationibus, qui immun-

ditiam contraxerant, bleiben stehen in porticu Synagogae, religiosiores

Synagogem nudipedes ingrediuntur. Nicht nur der Pentateuch, sondern

auch alle anderen Bücher gelten ihnen als authentisch und werden sehr

geehrt. Doch machen sie sich nicht die Mühe, selber abzuschreiben

codicem sacrum, sondern kaufen ihn von den anderen Juden, qui forte

laceros atque longo usu attritos vendunt codices, et in describendis libris

prae aliis excellunt. Ihr Machsor oder Euchologium ist superiore seculo

bei Bomberg in Venedig in 4** gedruckt. Die übrigen libri morales oder

textuales bei den Soncinaten in Constantinopel, darunter ihr vornehm¬

stes Buch, das Adderet Elijahu genannt ist (cuius etiam mentionem

alicubi facit Seldenus) in folio, welches auf die gleiche Weise die articulos

fidei behandelt oder modum exponendi, wie es Maimonides gemacht hat

in seinem Moreh Nevochim. Dieses Volk ist von geringer Zahl, deshalb

weil sie in der Kindheit schon in den Krieg ziehen, damit sie so der Ver¬

folgung der anderen Juden entgehen. Die Bücher sind bei ihnen ziemlich

selten und kostbar, meistenteils handschriftlich. Qui eruditi apud ilios

sunt, sane in studiis excellunt. Ich vermute, daß ich späterhin noch besser

eine genauere Beschreibung ihres Zustandes werde geben können. In

Königsberg habe ich mich darum bemüht, nach dem Nachlaß des ver¬

storbenen Professors Odhelius zu fragen, da aber Professor Hedio um

diese Zeit abgereist war, habe ich keine nähere Auskunft darüber er-

(13)

Gustav Peringers Mission bei den Karäern 227

halten können. Später habe ich bei seiner Rückkehr durch gute Freunde

von Herrn Hedio die Nachricht bekommen, daß es dem Buchhalter

Plener anvertraut worden war, für diese Sachen zu sorgen. Folglich habe

ich mich verabredet mit Herrn Plener, der in Dantzig war, daß er sofort

einen Engländer in Königsberg, bei welchem der Koffer des verstorbenen

Odhelius deponiert sein sollte, damit beauftragen möchte, daß der Koffer

unbehindert nach Dantzig abgeschickt werden würde. Danach bin ich

nach Schlesien abgereist. Ich will jetzt vermuten, daß der Koffer nachher

mit dem Diener des Herrn Plener nach Stockholm angekommen ist;

darüber werde ich an den Hochwürdigen Herrn Bischof von Stockholm

aus Weiteres schreiben. Ich muß für ein paar Tage dahin reisen, um für

meine Sachen, die über die See abgesandt worden sind, zu sorgen, und

vor allem um meine Ehrfurcht dem Illustrissimus Cancellarius zu be¬

zeigen. Übrigens biete ich meinen ergebensten Dienst an den lieben

Söhnen des Hochwürdigen Herrn Bischofs, die sich an diesem Orte

aufhalten, vmd gleicherweise empfehle ich mich der gewöhnten hohen

Gunst des Hochwürdigen Herrn Bischofs und verbleibe für immer der

ergebenste und gehorsamste Diener des Hochwürdigen Herrn Bischofs.

Upsala, den 14 Nov., 1690 G. Peringer

Anlage 5

Epistola de Karaitis Lithuaniae Vir Nobilissime,

Domine & Fautor pl. Honorande,

Quod in epistola Suedica, ut certissimi erga me amoris prsenuncia,

significare volueris, non ingratum Tibi futurum, si de statu Karraitarum

in Lithuania commorantium indicavero ; id ego officium lubens suscipio,

gratulorque occasionem mihi oblatam, quo simul debitas agere liceat

gratias pro insigni illa humanitate, qua me, cum ante annos hos undecim

Francofurti per dies aliquot morarer, amplecti dignatus fueris. Nihil

autem magis in hac parte optaverim, quam operam meam tantae exspec-

tationi sufficientem. Interea haec de Karraitis refero. Degunt Uli in

Luthuaniae variis locis, Birsae, quod castellum est & oppidum ditionis

Principum Radziwilliorum, Pozwlae, Neostadii, Koronae, Trocse, alibi¬

que, moribus, lingua, religione, imo & facie a Rabbanistis, quorum fera- cissima est haec regio, valde diversi: lingua illis materna est Tartarica sive potius Turcica, qua etiam libros sacros explicant in Schölls & ludis.

Ejus specimen priorum Geneseos versuum hic mitto.

(14)

228 Simon §i§man, Gustav Peringers Mission bei den Karäern

f'yyi ViiriM ''nVais Vis Vitns nie '»üt; iüitd Drs [sia n'-iys-ia]

••V^WT rrn"^ HMüpiN !itr p''"?"'?ni?T TT"'-'! "'"^•''^ ''^^"^ [Tism]

:f iiVsiD Vis IN N"'Tn '^«w b'^^

«P'l" 'ii'j'is'l P"'"!"'; lioVia •'■130 •'tto^'^KT [las-'i]

Credo eadem terra quondam exivisse, qua se genitos dicunt Tartari Uli

Muhammedani, qui Vilnse & in confiniis habitant, quique sacra sua

secundum instituta Muhammedis celebrant, & ipsi facie Karraitis valde

similes. Synagogas habent ä septentrione ad austrum dispositas, quia, ut

ajunt Salmanassar septentrionem versus ilios abduxit, unde & oraturi

faciem ad austrum, ubi putant Hierosolymas esse, dirigere soient. Et ne

quis incautior hoc in officio sacro errare possit, est ad Isevam ab introitu

SjTiagogae äffixa parieti charta majoribus signata literis : Niaa mt!3

Non Pentateuchum solum, ut aliis creditum est, sed universes Veteris

Testamenti libros pro Canonicis recipiunt. Sed quod mirum, valde

negligentes in cura antiquorum Codicum; quippe ipsi a Rabbanitis sive

laceras, sive quocunque modo temeratas membranas Legis MosaicEe in

usum Synagogse suae redimunt, de literis redundantibus vel deficientibus parum solliciti : puncta tamen vocalia a Mose esse dicunt, & traditiones

ilias, quae cum Scriptura & sana ratione conveniuut, non rejiciendas

affirmant. Dicunt, se esse propaginem decem tribuum, quos partim in

Tartaria subsedisse volunt. Quam tamen de Tribubus sententiam im-

probare videbatur Vir stupendae eruditionis Andreas Müllems Greiffen-

hagen, cum Stettini in transitu ipsum alloquerer. Sed velim super his

scire, quid sentias, Domine Nobilissime, dum me interim Tuo favori

commendatum cupio.

Nobilissimo Nomini Tuo

addictus & ad obs.

0. Per ing er Libri Karraeorum dogmatici & morales impressi sunt Constantinopoli

apud Soncinates. Est inter hos maxime Celebris liber Adderes Elijahu in

fol. cujus & meminit Seldenus, qui Maimonidis Moreh & Jad videtm

invitari voluisse. Hujus unicum tantum in Lithuania erat exemplar

Trocae, ad quod recurrebant ex aliis Synagogis, cum in rebus dubiis

quaestio oriretur. Euchologium Impressum est apud Bombergum Venetiis

in 4. Reliquos manu exaratos habent, nec facile vendibiles. Nisi forte

majori in copia reperiantur apud Karraitas in Palatinatu Lucucensi

superioris Poloniae, qui & opulentiores & numerosiores feruntm. Nam in Lithuania oppido pauci sunt, & Rabbanitis exosi.

(15)

Die erste Person Dualis im Semitisclien

Von Ewald Wagnee, Mainz

Eine der Eigenarten des Ugaritisclien ist die Existenz der ersten Person

Dualis in dieser Sprache. Gordon sagt hierüber^: "Ugaritic pronouns ...

include the possessive suffix first dual, which has not survived in any

other known Semitic language". Dieser Satz ist höchstens dann richtig,

wenn man den Nachdruck auf "survived" legt. Anderenfalls könnte er

den Eindruck erwecken, als ob es in keiner anderen semitischen Sprache

einen Dual der ersten Person gäbe. Das ist jedoch nicht der Eall. Außer

dem Ugaritischen kennt ihn auch noch die neusüdarabische Sprache der

Insel Soqotra, und zwar sowohl beim selbständigen Personalpronomen

und beim Personalsuffix als auch beim Verb im Perfekt und Imperfekt.

Hier die Formen^ :

Pron. pers. sep. Pron. pers. suff.

Sing. Dual Plural Sing. Dual Plural

3. m. yhe yhi yhen -h, -8 -hi -hin, -Sin

3. f. se yhi sen -s -hi -sen

2. m. e (het) ti ten -k -ki -ken

2. f. t (hit) ti ten -ä -ki -ken

1. c. ho ki han -i -ki -(e)n

Verb perf. Verb imperf.

Sing. Dual Plural Sing. Dual Plural

3. m. - -0 - i. .. - i. .. 0 i. .. -

3. f. -oh -äo - te... ■ te. .. 0 te. .. in

2. m. -k -ki -ken te... ■ te. .. 0 te... -

2. f. -S -ki -ken te... ■ te. .. 0 te. .. in

1. c. -k -ki -en e. .. - e. .. 0 n. .. -

Früher scheint der Dual der ersten Person im südarabischen Gebiet

noch weiter verbreitet gewesen zu sein ; denn unter dem wenigen Shauri-

Material, das der französische Konsul Fulgbnce Feesnel im Jahre 1838

^ Cyrds H. Goedon: Ugaritic Handbook. Revised Orammar, Paradigms,

Texts in Transliteration, Comprehensive Glossary. Rom. 1947. (= Analecta

Orientalia 25). S. 25.

" Nach Wolp Leslau : Lexique Soqotri (Sudarabique modeme) avec com-

paraiaons et explications etymologiques. Paris 1938. { = Collection linguistique publice par la Societe de Linguistique de Paris. — XLI). S. 9—11.

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

2B Eine Lücke, die in der Forschung selten diskutiert wird, ist die zunehmende Finanzialisierung der Sozialpolitik, die Einzelper- sonen und Haushalte noch weiter in

This section discusses the empirical evidence of the benefits and risks of using formal financial services, organized around four major types of formal financial products:

Dabei liegen die beiden Tage nicht nur zeitlich eng beisammen – vieles spricht auch für eine kausale Nähe zwischen Wüstenbildung und Migration: Laut Angaben

Im Laufe der Jahrhun- derte seien die religiösen Handlungsimpulse verblasst, eine selbst- disziplinierte Lebensführung daher vor allem als ökonomisch vor- teilhaft begriffen

Die Gondel f¨ ahrt einen Kreis entlang, der Einfachheit halber sagen wir, dass die Gondel r = 1 L¨ angeneinheit vom Mittelpunkt entfernt ist.. Speziell interessieren wir uns zuerst

Einleitung ... Teil: Übertragung des Prämieninkassos und der Schadensregulierung in der Rechtspraxis ... Prämieninkasso und Schadensregulierung als originäre Aufgaben des

funktionswidrigen Einsatzes der Aktionärsanfechtungsbefugnis. Kapitel Bisherige legislatorische Maßnahmen gegen den funktions-.. widrigen Einsatz der

Frau Steiners Fazit ordnet sich somit in die Vielzahl vergleichbarer Äußerungen ein, die der Realität nur zu einem mehr oder minder großen Teü gerecht werden: „Ich glaube, daß