Gustaf Peringers Mission bei den Karäern
Von Simon §i§män, Paris
Dem Andenken meines liehen Freundes
Michael Kobecki (1904-1939) gewidmet.
Das Interesse am Studium der Religionen und an der Kritik des Textes
der Heiligen Schrift, das in Westeuropa durch die Reformation erweckt
wmde, betraf auch die Karäer. Die Theologen und Orientalisten hofften
vor allem, bei ihnen neue, unbekannte Bibelvarianten zu finden, und
gleichzeitig wollten sie die religiösen Ritualien und die karäische Literatur studieren.
In dieser Zeitperiode war ein direkter Kontakt mit den Karäern für die
Westeuropäer nicht leicht, da die letzten dortigen karäischen Zentren
{Spanien) im 12. Jh. liquidiert worden waren. Die karäische Literatur
war dort selten zu finden, und sogar einem so großen Gelehrten und
Bibliophilen wie Johannes Bitxtobff war es niemals gelungen, ein
karäisches Werk in die Hand zu bekommen^.
Die orientalischen Karäer kamen nur ausnahmsweise nach dem Wes¬
ten. Das Auftreten eines Karäers aus Mossul in Frankfurt am Main im
Jahre 1696, der eine kleine Bibliothek nach Wolhynien brachte, war
wahrscheinlich der einzige bekannte Fall. Hiob Ludolf^ kam ihm ent¬
gegen, und in seinem Hause traf ihn Eisenmengbb*. Die europäischen
Gelehrten, welche die Karäer kennenlernen wollten, mußten sich speziell
oder bei sonst sich bietender Gelegenheit zu ihnen begeben. So suchte der
Genfer Pastor Antoine Legee zu Beginn des 17. Jh. während eines Auf¬
enthalts in Konstantinopel die dortigen Karäer zu Missions- und wissen¬
schaftlichen Zwecken auf*. Das Schicksal der von ihm gesammelten
^ „Libros aliquos Karraeorum hactenus nullos mihi videre hcuit. Seldenus duorum meminit, quorum copia ipsi sit facta" ; Liber Cosri . . . notis illustra¬
vit Johannes Buxtoefius, Fil., Basileae 1660, S. 203.
2 Jacques Basnage, L'Histoire et la Rehgion des Juifs, Rotterdam 1707,
Bd. I S. 476; Johann Jacob Schudt, Compeiidium Historiae Judaicae ...,
Francofurti ad Moenum 1700, S. 528.
* Johann Andbeas Eisenmbngeb, Entdecktes Judenthum ..., s.l. 1700,
I. TheU S. 305.
* Samuel Baud-Bovy, Antoine Löger, pasteur aux vallees vaudoises du
Pigment et son söjour ä Constantinople. D'apres une correspondance inödite
1622—1631, in: Revue d'Histoire Smsse, tome XXIV, fasc. 2 (1944), S.216.
216 Simon §isman
Materialien ist unbekannt^; einige seiner Bemerkungen und auch die
Statistik der Karäer wurden von Hottinoee^ veröffentlicht. Am Anfang
des 18. Jh. nützte Michael Eneman, Armeegeistlicher Karls XII.,
später Professor in Upsala, einen Aufenthalt in Konstantinopel aus, um
Bekanntschaft mit den dortigen Karäern anzuknüpfen und um Aus¬
künfte über ihre Geschichte, ihre Religion und Sitten zu sammeln und
sich Handschriften zu verschaffen. Seinen späteren Aufenthalt in Kairo
nützte Eneman ebenfalls, um mit Karäern in Kontakt zu kommen.*
Die in Polen und im Großfürstentum Litauen wohnenden Karäer
waren in geographischer Hinsicht für die abendländischen Gelehrten die
nächsten, und der Kontakt mit ümen war daher leichter. Eine Reihe von
Nachrichten über Versuche, eine solche Bekanntschaft anzuknüpfen, ist
erhalten geblieben. Im Jahre 1641 besuchte Johannes Stephanus
RiTTANGELius, Professor für orientalische Sprachen an der Königsberger
Akademie, die Stadt Troki und studierte die karäischen Doktrinen und
die karäischen Werke*. Im Jahre 1743 korrespondierte Konead Iken,
Prediger und Professor in Bremen, mit Karäern aus Nowemiasto; er
erhielt von ihnen eine Reihe von Werken und wollte sie veröffentlichen*.
Nicht selten finden wir hie und da Spuren anderer Versuche, mit den
Karäern in Verbindung zu kommen®.
Zweifellos ist die Reise Gustaf Peeingees nach den karäischen Ansied¬
lungen die am meisten bekannte. Man hat öfters darüber geschrieben, aber
1 Eine andere Sammlung von Briefen Leger's befindet sich in der Biblio¬
theek der Rijksimiversiteit te Leiden. In keinem dieser Briefe werden Karäer
genaimt (Schreiben der genannten Bibliothek Nr. 1492 vom 26. Juli 1950).
2 Johann Heinrich Hottinger, Thesaurus Philologicus ..., Zürich 1659
S. 42—43.
ä Brief von Eneman an Joh. Schult, aus Smyrna vom 23. Oktober 1711,
veröffentlicht von Carl Christoffer Gjörwell in Det Swenska Biblioteket,
I. Bd., Stockholm 1757, S. 76—77. — Die Frage des Aufenthalts Enemans in
Konstantinopel ist ausfüMich behandelt von Erik Gren in seinem Artikel
„Bidragtill Michael Enemans Biografi" (Donum Grapeanum, 1945, S. 465 und 466).
* Joannes Christophorus Wolfius (edidit) Notitia Karaeorum ...,
Hamburgi et Lipsiae 1714, S. 54. — Dieses Werk ist von dem Karäer
Mardochaeus in der Ortschaft Kukizöw oder Krasny Oströw (23 km südöst¬
lich von Lemberg), die ehemals ein karäisches Zentnun war, geschrieben
worden. Es ist seine Antwort auf die an ihn seitens des Professors Jacob
Trigland (Autor des Werkes „Disisertatio de Karaeis Delphis 1703,
Hamburg 1714 und mehrere spätere Ausgaben) gerichteten Fragen.
' Jacob Mann, Texts and Studies . .., vol. II, Karaitica, Philadelphia
1935, S. 681, 744, 1293—1294. — Nowemiasto, litauisch Karaimu Nauja-
miestis = Karäische Neustadt, ehemals bekannte karäische Ansiedlung im
Großfürstentum Litauen.
' Vgl. z.B. Tadeusz Czacki, Rozprawa o Karaitach, Dziela vol. III (Poznaü 1845) S. 274.
Gustav Peringers Mission bei den Karäern 217
man hat ziemhch spät begonnen, sie zu untersuchen. Als ich vordem letzten
Kriege in der Handschriften-Abteilung der Nationalbibliothek in Warschau
arbeitete, lenkten einige Hinweise meine Aufmerksamkeit auf diese Frage
und regten mich zur Sammlung des diesbezüglichen Materials an. Leider
verlor ich alle diese Materialien während des Krieges. Nach dem Ende des
Krieges und der Rückkehr zu mehr oder weniger normalen Bedingungen
gelang es mir, die Verluste teilweise zu ersetzen und die Untersuchungen zu
Ende zu bringen. Da ich keine Möglichkeit hatte, mich zu diesem Zwecke
persönlich nach Schweden zu begeben, war ich bei meinen Untersuchungen
auf die Hilfe vieler Personen und Institutionen angewiesen, denen ich
für ihr liebenswürdiges Entgegenkommen meinen Dank ausspreche.
Wagenseil^ ist wahrscheinlich der erste, der die Reise PEmNOEEs
kurz beschrieben hat. Nach seinen Worten war Karl XI. von Schweden
der Anreger der Mission, da er die Absicht hatte, die Karäer zum Pro¬
testantismus zu bekehren. Infolgedessen wollte er Auskünfte über die
Karäer einholen und sich Bücher von ihnen beschaffen. Zu diesem
Zwecke wurde Peringer^ entsandt ; der vorzeitige Tod des Königs erlaubte
aber nicht, diesen Plan zu verwirklichen.
Auf Grund der wenigen vorhandenen Dokumente kann man den Ver¬
lauf dieser Reise wiederherstellen. Die erste Urkunde, welche hierüber
vorliegt, ist Peringers Gesuch* an den Grafen Bengt Gabrielsson Oxen-
stierna, Königlichen Rat und Kanzler der Akademie in Upsala. In diesem
Gesuch bittet er um die Erlaubnis, diese Reise unternehmen zu dürfen,
und führt die Gründe dafür an. Er möchte die Karäer persönlich kennen¬
lernen, um ihr Dogma, ihre Ritualien, ihre Sitten, ihr Kalendersystem zu
studieren und sich ihre Werke, die er als sehr selten und in Europa fast
unbekannt bezeichnet, zu beschaffen. Peringer möchte feststellen, ob die
Karäer ein eigenes System der Vokalisierung für die Bibeltexte haben,
^ JOHANN Christophor Wagenseil, Hofnuug der Erlösimg Israelis ....
Nürnberg und Altdorf 1707, 8. 25—26.
2 Gustav Peringer, geboren am 6. März 1651 in Strängnäs, studierte
orientalische Sprachen in Upsala, wo er 1675 den Doktorgrad erlangte. Seine
Studien ergänzte er in Kiel, Hamburg, Jena, Oxford, Cambridge, Paris, Rom,
Venedig, Altdorf (bei Wagenseil), Frankfurt (bei Ludolf) und Amsterdam.
-Er beherrschte das Hebräische, Arabische, Chaldäische, Syrische, Persische,
Türkische und Tatarische. Im Jahre 1681 wurde er zum Professor für orien¬
talische Sprachen in Upsala ernannt. 1693 wurde er geadelt und erhielt den
Namen Lillieblad. Zwei Jahre später wurde er zum königlichen Sekretär und
Zensor, im Jahre 1703 zum königlichen Bibliothekar ernannt. Er ist am
5. Januar 1710 in Stockholm gestorben und ist in Strängnäs beerdigt worden.
^ Dieses 11 Seiten umfassende Aktenstück ist in der Stifts- och Lands-
biblioteket in Linköping aufbewahrt (Codex lincop. Br2 :133). Eine Abschrift
davon (13 Seiten) mit Datum vom 14. Februar 1690 befindet sich im Valtio-
narkisto in Helsinki (Suecica c).
218 Simon §isman
das sich von den gewöhnlichen Bibeltexten unterscheidet, und ob sie
vielleicht sogar abweichende Texte besitzen. Da alle diese Fragen von
großem wissenschaftlichem Werte sind, wird er auch von anderen Theo¬
logen und Orientalisten zu seiner Reise ermuntert; als Beispiel führt er
einen langen Auszug aus einem Brief von Johann Wulfer aus Nürnberg
vom 24. Juli 1687 an. Das Gesuch enthält außerdem eine kurzgefaßte
Ubersicht der Geschichte und des Wesens des Karäertums auf Grund der
Werke von Buxtorff, Scaliger, Morin, Seldenus, Simon, Leo aus Modena,
Hottinger u.a.
In Beantwortung von Peringers Gesuch erläßt Karl XI. am 14. Februar
1690 zwei Reskripte^ und erlaubt Peringer, die geplante Reise wäh¬
rend der Sommerferien zu machen, und stellt den Betrag von 600 Silber-
Talern dafür zur Verfügung. Peringers Reisepaß^ wurde am 5. Juni des¬
selben Jahres ausgestellt und ist vom König und von J. Bergenhielm
unterzeichnet. Wie dem Inhalt zu entnehmen ist, hatte Peringer einen
Mitreisenden, der weder mit Namen noch nach seiner Stellung genannt ist.
Wir erhalten Informationen über den Verlauf der Mission aus vier
Briefen Peringers, die aus Riga*, Stettin* und (2) aus Upsala^ abge¬
schickt worden sind.
1 Sie sind unterschrieben vom König und von J. Bergenhielm, Kanzleirat
und Staatssekretär im Auswärtigen -4mte. — Die Universitätsbibliothek in
Upsala enthält die Abschrift der zwei folgenden (K.B. X 278 ag) :
a) Reskript an Ratspräsident Oxenstierna (Anlage 1). Der Inhalt dieses
Reskripts ist in der Registratur (Januar/Februar 1690, S. 464v. —465)
eingetragen (Riksarchivet, Stockholm).
b) Reskript an die Grafen und den Ratspräsidenten über die Assignierung
von 600 Silbortalern.
2 Original des Reisepasses (s. Anlage 2) in der Universitätsbibliothek in
Up.sala (Könighche Briefe X 278 ag), sein Inhalt ist am 5. Juni 1690 in die
Riksregistratur (Juni/Juli 1690, S. llOv. — III) eingetragen (Riksarchivet Stockholm).
^ Gustavi Peringeri literae ad Nicol. Stjemberg, Bigae 4 Juli 1690. Original
verschollen, Abschrift in der Universitätsbibliothek in Upsala (G 191).
S. Anlage 3.
* Nicht aufbewahrter Brief vom 4. Oktober 1690 an unbekannten Adres¬
saten in Stockholm. Sein Inhalt ist angegeben auf S. 26 einer Inaugural-
Dissortation „De fatis literaturae Orientalis in Svecia", vorgelegt im Jahre
1755 in Upsala imter dem Vorsitz von E. L. Hydren, mit J. G. Humble als
„respondens".
^ Brief vom 14. November 1690 an Bischof Erik Benzehus. Original in der
Stifts- och Landsbiblioteket in Linköping (Codex lincop. Br 2: 134), Abschrift
in der könighchen Bibliothek in Stockholm. — Dieser Brief war von Gjörwell
im IV. Bd. von Det Swenska Biblioteket, Stockholm 1760, S. 82 —85 veröffent¬
licht, war aber außerhalb Schwedens vollständig imbekannt. S. Anlage 4.
Brief vom 15. Aprü 1691 an Hiob Ludolf, veröffentlicht von Tenzel in
der Zeitschrift „Monatliche Unterredungen Einiger Guten Freunde
Gustav Peringers Mission bei den Karäern 219
Peringer verließ Schweden am 22. Juni 1690; am 25. Juni traf er in
Riga ein, wo er sich bis zum 4. Juli aufhielt und Auskünfte über den ein¬
zuschlagenden Weg einholte. Ein ,, judaeus conversus ex familia Mach-
san" gab ihm umfangreiche Hinweise. Die weiteren Reiseetappen führten
ihn durch Kurland, Semgallen, Litauen, Preußen, Polen, Schlesien und
Pommern. Von den karäischen Ansiedlungen nennt Peringer Birze, Pos-
wole, Nowemiasto, Troki, Kronie und Luck, es ist aber nicht bekannt,
welche von diesen von ihm persönlich besucht worden sind; mit voller
Sicherheit können wir nur Troki und Birze nennen. Seine Reise beschließt
Peringer anfangs Oktober in Stettin, von wo er nach Schweden zurück¬
kehrte.
Während seiner Reise machte Peringer Beobachtimgen nicht nur reli¬
giösen Charakters, sondern machte auch linguistische und soziologische
Bemerkungen. Er schreibt: lingua illis materna est Tartarica sive
potius Turcica, qua etiam libros sacros explicant in Schölls & ludis''^.
Das Bildungsniveau der damaligen Karäer war teilweise recht hoch, wie
Peringer angibt: ,,Qui eruditi apud ilios sunt sane instudiis excellunt"^
aber doch ist, wie er schreibt, ,, dieses Volk von geringer Zahl, deshalb, weil sie in der Kindheit schon in den Krieg ziehen ...". Dieser Satz zeigt
die Neigung der Karäer zum Kriegsberuf, eine Neigung, die aus den
Traditionen und Dokumenten bereits früher bekaimt war*.
Leipzig, Juli 1691, S. 572—575. — Dieser Brief ist in der Literatur als
„Epistola de Karaitis Lithuaniae" bekannt und ist wiederholt, in verschie¬
denen Gestalten, abgedruckt worden. S. Anlage 5.
^ Wie Tadeusz Kowalski, der beste Kenner der karäischen Sprachen,
angibt, gehört sie zur kiptschakischen Gruppe der türkischen Sprachen und
steht der Sprache des ,,Godex Cumanicus" am nächsten. Zu Beginn des 16.
Jh. hatten die Karäer vorgehabt, die Bibel in ihrer Muttersprache zu drucken.
Dieser Vorsatz ist von ihren Gegnern vereitelt worden.
2 Die karäische Jugend studierte in der Akademie der Jesuitenpatres in
Wilna, einige Karäer führten ihre Studien im -Auslände fort (vgl. Wladys-
i^w Sybokomla, Wyoieczki po Litwie w promieniach od Wilna, vol. I,
Wilno 1857, S. 82—87). — Karäische Gelehrte waren fleißige Leser der pol¬
nischen und lateinischen Werke von christlichen Autoren. S. Dr. Abraham
Geiger, Isaak Troki, Breslau 1853, S. 9-—10; Aleksander Brückner, Röz-
nowiercy Polsoy, Warszawa 1905, S. 251—252; Alexander Kraushar,
Historya Zydöw w Polsce, Bd. II, Warszawa 1866, S. 266—267. — Kraushar
zeigt, daß Isaak Troki an der Redigierung der polnischen Protestanten-
Bibel teilnahm, die 1572 von Szymon Budny in Nieswiez herausgegeben
worden ist.
^ Sybokoml.\, o.e. S. 81 —82. — Mann (o. c. S. 557, 812) zitiert ein anderes
Dokument aus derselben Zeit (etwa 1660), wonach die Karäer ausrufen:
„Haben wir nicht, Gott sei Dank, die wortvollen Urkunden, die unsere
Ahnen mit Schwert und Bogen erworben haben und hernach unsere Gro߬
väter?". Mann meint, der Ausdruck „Schwert und Bogen" sei um' bildlich
zu verstehen, weil man ihn — in der Bibel (Gen.48,22) finde. Aber genügt die
15 ZDMG 102/2
220 Simon §i§man
Es ist interessant, Peringers soziologisclie Bemerlcungen mit den fast
zwei Jahrhunderte früher gemachten Bemerkungen von Maciej aus
Miechow, dem Rektor der Akademie in Krakau zu vergleichen. Der pol¬
nische Autor spricht in seinem derzeit vergessenen Werke folgenderweise
über die Karäer: ,,Insuper sunt Hebrei in lithuania presertim in civitate
Troki: hi laborant et mercant thelonea et officia publica tenent de
usurisque non vivunfi. Dasselbe wiederholt Maciej an anderer Stelle:
,,Est tertia secta iudeorum non usurariorum velut sit in terris christia¬
norum sed laboratorum agricolarum et mercatorum magnorum: presi-
dentque ut sepe theloneis et exactionibus publicis"^.
Peringer macht auch historische und anthropologische Bemerkungen.
Seiner Meinung nach kamen die Karäer zur selben Zeit und aus dem
selben Gebiet nach Litauen, wie die Tataren, die ,,ipsi facie Karraitis
valde similes" sind.
Leider sind alle Bemerkungen Peringers sehr kurzgefaßt. Es sind bloß
Vorbemerkungen, die zweifellos von umfangreicheren Beschreibungen
und der Veröffentlichung mindestens einiger der von ihm während seiner
Reise angeschafften über dreißig hebräischen und arabischen Handschrif¬
ten begleitet werden sollten*.
Peringer begann bereits am Anfang des nächsten akademischen Jahres
in Upsala mit Vorlesungen über karäische Ritualien und mit der Lesung
Tatsache, daß ein Wort in der Bibel erscheint, um es nicht buchstäblich zu
nehmen ? Am zutreffendsten scheint die -Angabe Miczynski's (Zwierciadlo
Korony Polskiey, Kraköw 1618, S. 102), welche sich ohne Zweifel auf die
Karäer bezieht: „Bs gibt unter ihnen große und fleißige Männer, besonders
in Ruthenien, Wolhynien und Podolien, welche, wie man sehen kann, mit
Säbel und Bogen und mit Gewehr sich sehr gern aufs Pferd setzen und, wenn
sie eine Gelegenheit haben, ihre Kühnheit zeigen".
1 Mathie de Myechow, Traetatus de duabus Sarmatiis Asiana et Euro-
piana et de contentis in eis. Excusa Auguste Vindelicorum 1518, liber se-
cundus, traetatus primus, capitulum tertium. ■— Es geht hier nur um die
Karäer, weil, wie Mann (o.e. S. 559—561) gezeigt hat, in Troki niemals eine
jüdische Ansiedlung existierte. Man hat die Karäer mit den Juden ver¬
wechselt und sie manchmal in Dokumenten „Judaei trocienses" genannt.
2 o.e., liber secundus, traetatus primus, capitulum primum. Johann
Jacob Schudt, der diesen Satz zitiert (Jüdischer Merckwürdigkeiten
Frankfurt imd Leipzig 1714, II Theü, S. 172), fügt hinzu: „diese sind Kar-
raeer". — Andere Autoren haben oft diese Stellen von Maciej zitiert oder kopiert. Sie haben sie aber nicht gut verstanden oder sogar diese Bemerkun¬
gen falsch bezogen. Vgl. z.B. Gommendoni's Memoiren im „Zbiör pamiQtni-
köw historycznych o dawnej Polszcze" von J. U. Niemcewicz, Leipzig 1838, Bd. I S. 64.
^ Hydren-Humble, 1. c. — Claes Annbbstedt in Upsala Universitets
Historia, 2:2, Upsala 1909, S. 294, schreibt: „er kaufte über 36 teUweise
ganz kostbare Handschriften."
Giistav Peringers Mission bei den E[aräem 221
der Reisebeschreibung nach Jerusalem vom Karäer Samuel^. Zwei Jahre
später macht Peringer (damals Rektor der Akademie) die Fortsetzung
der Erklärung dieser Reisebeschreibung bekannt. Gleichzeitig teilt er mit,
daß diese Reisebeschreibung teilweise bereits gedruckt ist^. Diese Ausgabe
ging aber vollständig verloren. Es ist nicht einmal bekannt, ob sie bis zu
Ende gebracht wurde, obwohl eine Reihe von Personen den ersten fertig
gedruckten Bogen in der Hand gehalten hatte*. J. C. Wolf hat später den
ersten Teil dieser Beschreibung samt Übersetzung veröffentlicht*.
B. Ugolino hat sie ebenfalls abgedruckt^; den französischen Text hat
E. Cabmoly in seinem Werke angeführt*.
Das Schicksal der anderen von Peeingek gebrachten Werke ist unbe¬
kannt ; sie sind wahrscheinlich bei dem großen Brand des Königsschlosses
in Stockholm am 7. Mai 1697 in Flammen aufgegangen. Peringers
Privatbibliothek von 80 gedruckten Büchern und 18 Handschriften
wurde im Jahre 1703 von der Universität in Lund erworben'. Diese
Programmata Upsaliensia, vol. II, 1681—1700. — Catalogus lectionum
publicarum ... a tempore Autumnali -4nni MDCLXXXX, N. 310. Wie man
aus demselben Kataloge unter Nr. 309 ersehen kann, hat Peringer a tem¬
pore Autumnali Anni MDCLXXXIX, also nooh vor seiner Reise, in seinen
Vorlesungen über das Karäertum gesprochen.
2 1. c, Catalogus lectionum publicarum ... a tempore Autumnali Anni
MDCXCn, N. 312.
' Man weiß sogar nicht einmal, wo die Ausgabe gedruckt worden war, in
Breslau oder in Upsala, bei H. Kbyseb, Königl. und akad. Buchdrucker.
Hydben-Humble's Werk teilt darüber mit : „Refert ipse in epistola, Stetino
Stockholmiam transmissa d. 4 Octobr. A. 1690, cum ad patrios lares iter
reflecteret, se nonnullos eoque rariores libros Mss. Breslaviensibus com-
misisse Judaeis, typis excudendos. Hinc multis doctorum virorum admo-
nitionibus sollicitabatur, ut filum laboris inoeptum pertexeret eoque consilio
ts^os Hebraicos, ex HoUandia per Henr. Keyser, hue asportandos curavit.
Ad hoc accessit etiam munificentia Regia, quae in literis ad Regium Colle¬
gium Status d. 18. Febr. A. 1698 datis, Liliebladio 800 thaler. imperial,
numerari jussit, quo sumtu, duo Codices Mss. Orientales, cum Latina inter-
pretatione ederentur".
* R. Samuelis Sancti Fil. Da vidis Jemsel Judaei Karraitae Itinerarium, in
J. Christoph. Wolfii Bibliotheca Hebraea, Bd. III, Hamburgi et Lipsiae 1727, S. 1080—1094.
° B. Ugolino, Thesaurus Antiquitatum Saorarum. Vol. VII, Venedig 1747,
S. 251—272.
° E. Cabmoly, Itinöraires de la Terre sainte, Bruxelles 1847, S. 499—544.
— Auf S. 510 teilt Cabmoly eine von Dukes aus Preßbm-g erhaltene Nach¬
richt mit, daß der karäische Hazzan (Priester) Abraham Leonowicz in Halicz
eine Handschrift mit der vollständigen Reisebeschreibung Samuels besitze.
Sie wurde schließlich von Gueland nach einer Handschrift in der Peters¬
burger Öffentlichen Bibliothek veröffentlicht, Lyck 1865.
' Carolus Johannes Tobnbebg, Codices Bibliothecae Regiae Universi¬
tatis Lundensis, Lund 1850, Vorwort.
15*
222 Simon §isman
Sammlung enthält nur ein einziges zweifellos karäisches Werk, und zwar
einen Kommentar zum Pentateuch von einem unbekannten Verfasser^.
Im Jahre 1693 wurde Peringee. geadelt und erhielt den Adelsnamen
LtLLiEBLAD. Die Relse nach Litauen war eines der Verdienste, für die er
diese Auszeichnung erhielt.^
Die Autoren, die über Peeingees Mission geschrieben haben, haben
angegeben, daß in Folge dieser Mission ein Karäer namens Salomon,
Sohn Aarons, für Vorlesungen nach Upsala eingeladen worden sei. All das
scheint aber ein Mißverständnis zu sein. Mardochai aus Kokizow teilt
mit*, daß einige Jahre früher, wahrscheinlich im Jahre 1696, in das Gro߬
fürstentum Litauen ,,duo eruditi viri ex regno Sveciae juxta fluvium
Dunam profecti sunt", und daß sie zwei gelehrte Karäer, von denen der
eine Salomon, Sohn Aarons, aus der Stadt Poswole war, in ihre Akademie
,,in urbem Regni" eingeladen hatten. Gren* glaubt, daß es Johann Up¬
pendorff (Rektor der Schule in Riga, später Professor in Dorpat) und
David Gaspari* (Superintendent in Riga) waren, und daß die ,,iirbs
Regni" Riga war.
Es wurde auch öfters geschrieben, daß Karl XII. während des Nordi¬
schen Krieges den Karäern in Luck begegnet sei. Auch dies scheint ein
Mißverständnis zu sein. Wir finden darüber keine Spur in dem ausführ¬
lichen Werke des Militärgeistlichen Nordberg*, der am ganzen Kriegszug
bis zur Poltawa teilnahm. Eneman, der Militärgeistliche des Königs, der
selbst Orientalist war und großes Interesse für die Karäer zeigte, schrieb
in seinem Tagebuch: ,,In Lithuaniam nullos inveni; in Wolhinia dicuntm
vivere, prope Levpolim"'.
Das Interesse am Karäertum von Seiten der abendländischen und be¬
sonders der schwedischen Wissenschaftler hört mit Peringers Mission
nicht auf. Eine 1691 in Abo vorgelegte Inauguraldissertation* und eine
1 Tobnbebg, o.e. S. 32, Nr. 38. — Dies ist ohne Zweifel das in den „Pro¬
grammata ..." S. 3 erwähnte Werk von Aaron, Sohn Josephs.
2 Es gibt zwei Exemplare des Adelsbriefes, eines (Original) im Valtionar- kisto in Helsinki (Suecica k), und ein anderes, längeres (Abschrift), imRid-
darhuset üi Stockholm (Nr. 11/1263, vol 4, Pos. 101).
^ Wolf, Notitia, Praefatio S. 2. o. c. S. 464.
° Gaspari hatte schon vorher Interesse für die Karäer gezeigt. In seinem
Brief an Peringer aus Riga, vom 17. September 1693 (Upsala, Universitäts¬
bibliothek G 360, S. 209) schreibt er, daß ein gewisser Juda Mardochai, ein
Karäer aus Luck, ihn besucht habe und versprochen habe, Handschriften zu
liefern. Gaspari hat auch versucht, karäische Handschriften aus Birze zu
erhalten.
° JÖBAN A. Nobdberg, Konuns Carl den Xll-tes Historia, Stockholm 1740.
' Gben, 1. c. S. 466.
* Bihaeresium Verporum, sive de duabus nostri temporis Judaeorum sectis,
Rabbanitis seil, et Karraeis . .., unter dem Vorsitz von Simon Paulinus, und
Gustav Peringers Mission bei den Karäern 223
andere in Upsala im Jahre 1709i berühren dasselbe Thema. Der Kontakt
und der Briefwechsel zwischen abendländischen Orientalisten und Karä¬
ern dauert noch während des 18. Jh. weiter. Gegen Ende dieses Jahr¬
hunderts sinkt der kulturelle Stand des Karäertums und gleichzeitig
damit das Interesse des Westens an ihm. In dieser Zeitepoche ging die
Mehrzahl der Dokumente über die Karäer verloren, so daß zu Beginn des
19. Jh. ein den Karäern so wohl gesinnter Autor wie Czacki alle Nach¬
richten über deren ehemaligen hohen Kulturstand für Erzeugnisse der
Phantasie hielt.
Die Forschungen über andere Spuren von ähnlichen Berührungen
könnten großen Wert haben. Sie könnten dazu beitragen, ein ausführ¬
licheres Bild vom Kulturstande des ehemaligen Karäertums zu geben.
Die Meinungen der früheren Gelehrten vom Wesen und von der Ge¬
schichte des Karäertums waren viel kritischer und begründeter, als die
modernen. Diese Forschungen könnten auch neues Licht auf mehrere
Fragen werfen, die früher die europäische Wissenschaft interessierten.
Anlage 1
Reskript an Kanzler Oxenstierna (Übersetzung)
Carl mit Gottes Gnade der Schweden, Goten und Wenden König.
Unsere besondere Gunst und gnädige Gewogenheit mit Gott des All¬
mächtigen Hilfe, Geehrter Ratsmann und President ;
Wie Wir aus Eurem untertänigsten Bericht gnädigst vernommen haben,
hat der Professor der orientalischen Sprachen an der Akademie in
Upsala, Gustaf Peringer, die Absicht, eine Reise zu machen hinein nach
Polen und Littgawen, um dort gemäß den Berichten, die er bekommen
hat, nach einer Judensekte Ausschau zu halten, die Karraiten genannt
werden. Aus den Informationen, die er erhalten könnte über ihren Glau¬
ben und Zeremonien, in denen sie mit den Rabbanisten nicht einig sind,
vermeint er viele gute und nützliche Kenntnisse und Aufklärungen über
die hebräischen Sachen beschaffen zu können, nach vieler gelehrter Leute
Verlangen. Also haben Wir den Vorsatz des Obgenannten Uns gnädigst
behagen lassen und haben hiermit gestattet, daß er auf kurze Zeit, mög-
Severin Riisberg als "respondens". — Ich habe versucht, in Abo einige
Spuren der Kontakte von Paulinus mit Peringer zu finden. Leider aber ist
die ganze Stadt mit allen Archiven und Bibliotheken im Jahre 1827 durch
einen Brand vernichtet worden.
^ Disputatio Philologica De Sectis Judaeorum, unter dem Vorsitz von
Daniel Lundius, und Petrus Backmarck als "respondens".
224 Simon §isman
liehst im Sommer, weim die Studien an der Akademie seine Abwesenheit
am besten vertragen können, diese Reise vornehmen darf, zu welcher Wir
ihn begnadigen wollen mit 600 Talern Silbermünze als Reisegeld, worüber
Wir gnädigen Befehl haben herausgehen lassen an unser Staatscomptoir,
wasselbiges Ihr möget ihm bekanntgeben. Wir befehlen ihn der großen
Gnade des allmächtigen Gottes an.
Stockholm, den 14 Februar des Jahres 1690;
Oabolus
J. Bergenhielm
Anlage 2
Peringers Reisepaß
Nos Carolus Dei Gratia, Swecorum, Gothorum, Vandalorumque
Rex, Magnus Princeps Finlandiae, Dux Scaniae, Esthoniae, Livoniae,
Careliae, Bremae, Werdae, Stetini, Pomeraniae, Cassubiae et Vandaliae,
Princeps Rugiae, Dominus Ingriae et Vismariae; Nec non Comes Pala-
tinus Rheni, Bavariae, Juliaci, Cloviae et Montium Dux ;
Notum testatumque facimus, quod cum praesentium exhibitor sub-
ditus Noster Gustavus Peringer negotiorum quorundam causa in
Lithuaniam iter instituere decreverit, humiliterque a Nobis petierit,
velimus in majorem dicti itineris securitatem Nostris eum sal vi passus
literis munire ; Nos itaque desiderio ejus clementer annuentes, ab omnibus
Potestatibus, Regibus, Principibus, Rebuspublicis, liberis civitatibus,
provinciarum mbiumque Gubernatoribus, Exercituum Ducibus, tum et
Marium praefectis, hisce respective amice, benevole et clementer requi-
rimus, Nostris vero Ministris, Praefectis, atque alijs obsequio Nobis
devinctis serio injungimus, velint praedicto Gustavo Peringer cum
socio, rebus ac sarcinis suis non modo tutum securumque iter concedere,
sed etiam cuncta moratioribus gentibus sveta humanitatis et bene¬
volentiae officia eunti, commoranti redeuntique exhibere. Quod ut ex
debito suo impleturos eos, qui Imperio Nostro parent, satis certi sumus,
ita quidquid ex benevolentia praestiterint exteri, id offerente sese occa-
sione in simili vel alio casu erga eos libenter compensare studebimus. In
quorum majorem fidem, hasce Manu Nostra subscriptas sigillo Nostro
Regio muniri iussimus.
Dabantur in Regia Nostra Holmensi die 5 Mensis Junij , Anno Christiano 1690.
Carolus
J. Bergenhielm
Gustav Peringers Mission bei den Karäern 226
Anlage 3
^.Gustavi Peringeri literae ad Nicol. Stjemberg. Rigae 4. Julii. 1690.
Qui in aere tuo sum, panels me exsolvam, cum ad iter jam accinctus plura
praestare nequeam. Sandhambn Sveciae portu solvimus die 22. Junii,
accessimusque Rigam die 25 ejusdem, commodissimo interea exoptatis-
simo (que) vento delati. Pompa heic excepti sumus magna. Gubernator
enim Generalis et campiductor comes Hastverdius, cujus ego comitatui
adjunctus fueram, omnium votis prosequutus est. Is mihi in itinera et in
urbe benef icia praestitit longe multa. Miratus vero hic sum copiam rerum
uberrimam, simulque Moscovitorum Polonorumque admirandum con¬
fluxum. Qui Ecclesiastico funguntur munere, viri hic sunt bene docti, et
iidem humanissimi. Bibliothecas privatas amplissimas possident. Vidi
apud Dn. M. Caspari patres Graecos antiquissimarum editionum. is
etiam possidet Georgii Scholarii opus Grammaticum Graece elegantissi-
ma manu scriptum. Biblia S. in lingvam Letticam a Pastoribus nonnulis,
qui sermonis ejus gnari sunt, translata sunt. Novum Test, typis descrip-
tum est. Veteris a. Testamenti libri canonici hactenus impressi; et
desiderantur apocryphi. Ego mihi comparavi Grammaticam et lexicon
ejus lingvae. Retulit mihi Dn. Superintendens Fischer multa de genio
hujus gentis. Bt quod notandum; superesse adhuc plurima vestigia
superstitionum quae ad Zamoxin praeceptorem, et disciplinae Pytha-
goricae propagatorem, referre soient. Ego nonnula memoranda mihi
consignavi. Cl. Wittius, vir sane egregius, tuam Frater desiderat amici-
tiam. Tuo nomine ipsi omnia pollicitus sum. Et sane id meret virtus et
tua, et ejus. Bibliothecam Aprosianam summopere desiderat, si mittere
velis. Vale et mihi fave.
Hodie Rigae Deo volente abiturus sum Mittaviam, indeque ad Karraitas
qui Birsae, in urbe Troki, alibique commorantur. Habeo jam notitiam
satis bonam de illis, quam mihi dedit Judaeus conversus ex familia
Machsan, quo ego doctiorem nunquam vidi, et argre ab illo divellor.
Anlage 4
Brief Peringers an Bischof Benzelius (Übersetzung)
Hochwürdiger Herr Bischof, höchstgeneigter Patron.
Die tiefe Schuld, die ich bis heute von den fernen Gegenden her nicht
habe beim hochwürdigen Herrn Bischof ablegen köimen, habe ich jetzt
endlich Gelegenheit am schnellsten zu quittieren, seitdem ich, Gott sei
Dank, vor zwei Tagen glücklich von Skäne heimgekommen bin. Ich habe
diesen Sommer durchwandert Curland, Semgallen, Lithawen, Preusen,
226 Simon §isman
einen großen Teil von Pohlen, Schlesien und Pommern und, so sehr es mir
möglich war, alles beobachtet, was meinem Vorsatz nützlich sein konnte.
Die Karaiten habe ich an einigen Orten in ihren Siedlungen und Synago¬
gen aufgesucht. In Lithawen halten sie sich in den Städten Birsen,
Pozvole, Niewomiesticz, Troky, Korone etc. auf und in Kleinpolen in
Lusuc. Sie sind sowohl facie, statura atque ceremoniis von den anderen
unterschieden. Zwischen ihnen herrscht ein großer Haß, der ähnlich dem
zwischen den Türken und den Christen ist. Ihre Synagogen sind im allge¬
meinen gebaut ab septentrione ad austrum, imo oraturi faciem versus
austrum dirigunt quia in ea plaga Hierosolymas reliquerunt, cum eos
abduceret Salmanasar. Daß sie oriundi ex decem tribubus sind, dazu habe
ich starke Gründe. Ihre Sprache ist Tartarisch oder gemischtes Türkisch,
auf welches sie auch den hebräischen Text auslegen. Ich bin der Meinung,
daß sie um dieselbe Zeit nach Lithawen hineinkamen wie die Tartari
Muhammedani, welche dort ihre Mesgidas und große Privilegien haben.
Die rabbinischen Juden in ganz Pohlen sprechen deutsch, aber des un¬
geachtet, daß sie mit ihnen in einer Stadt zusammenwohnen und beide
ihre Synagogen haben, wie in der fürstlichen Stadt Birsen der Fall ist,
verstehen jedoch die Karaiten kein deutsches Wort, tanta ipsis reliquo-
rum est aversio. In ihrem Cultu religionis sacrorum zeigen sie eine große
Hingabe cum prosternationibus atque manum elevationibus, qui immun-
ditiam contraxerant, bleiben stehen in porticu Synagogae, religiosiores
Synagogem nudipedes ingrediuntur. Nicht nur der Pentateuch, sondern
auch alle anderen Bücher gelten ihnen als authentisch und werden sehr
geehrt. Doch machen sie sich nicht die Mühe, selber abzuschreiben
codicem sacrum, sondern kaufen ihn von den anderen Juden, qui forte
laceros atque longo usu attritos vendunt codices, et in describendis libris
prae aliis excellunt. Ihr Machsor oder Euchologium ist superiore seculo
bei Bomberg in Venedig in 4** gedruckt. Die übrigen libri morales oder
textuales bei den Soncinaten in Constantinopel, darunter ihr vornehm¬
stes Buch, das Adderet Elijahu genannt ist (cuius etiam mentionem
alicubi facit Seldenus) in folio, welches auf die gleiche Weise die articulos
fidei behandelt oder modum exponendi, wie es Maimonides gemacht hat
in seinem Moreh Nevochim. Dieses Volk ist von geringer Zahl, deshalb
weil sie in der Kindheit schon in den Krieg ziehen, damit sie so der Ver¬
folgung der anderen Juden entgehen. Die Bücher sind bei ihnen ziemlich
selten und kostbar, meistenteils handschriftlich. Qui eruditi apud ilios
sunt, sane in studiis excellunt. Ich vermute, daß ich späterhin noch besser
eine genauere Beschreibung ihres Zustandes werde geben können. In
Königsberg habe ich mich darum bemüht, nach dem Nachlaß des ver¬
storbenen Professors Odhelius zu fragen, da aber Professor Hedio um
diese Zeit abgereist war, habe ich keine nähere Auskunft darüber er-
Gustav Peringers Mission bei den Karäern 227
halten können. Später habe ich bei seiner Rückkehr durch gute Freunde
von Herrn Hedio die Nachricht bekommen, daß es dem Buchhalter
Plener anvertraut worden war, für diese Sachen zu sorgen. Folglich habe
ich mich verabredet mit Herrn Plener, der in Dantzig war, daß er sofort
einen Engländer in Königsberg, bei welchem der Koffer des verstorbenen
Odhelius deponiert sein sollte, damit beauftragen möchte, daß der Koffer
unbehindert nach Dantzig abgeschickt werden würde. Danach bin ich
nach Schlesien abgereist. Ich will jetzt vermuten, daß der Koffer nachher
mit dem Diener des Herrn Plener nach Stockholm angekommen ist;
darüber werde ich an den Hochwürdigen Herrn Bischof von Stockholm
aus Weiteres schreiben. Ich muß für ein paar Tage dahin reisen, um für
meine Sachen, die über die See abgesandt worden sind, zu sorgen, und
vor allem um meine Ehrfurcht dem Illustrissimus Cancellarius zu be¬
zeigen. Übrigens biete ich meinen ergebensten Dienst an den lieben
Söhnen des Hochwürdigen Herrn Bischofs, die sich an diesem Orte
aufhalten, vmd gleicherweise empfehle ich mich der gewöhnten hohen
Gunst des Hochwürdigen Herrn Bischofs und verbleibe für immer der
ergebenste und gehorsamste Diener des Hochwürdigen Herrn Bischofs.
Upsala, den 14 Nov., 1690 G. Peringer
Anlage 5
Epistola de Karaitis Lithuaniae Vir Nobilissime,
Domine & Fautor pl. Honorande,
Quod in epistola Suedica, ut certissimi erga me amoris prsenuncia,
significare volueris, non ingratum Tibi futurum, si de statu Karraitarum
in Lithuania commorantium indicavero ; id ego officium lubens suscipio,
gratulorque occasionem mihi oblatam, quo simul debitas agere liceat
gratias pro insigni illa humanitate, qua me, cum ante annos hos undecim
Francofurti per dies aliquot morarer, amplecti dignatus fueris. Nihil
autem magis in hac parte optaverim, quam operam meam tantae exspec-
tationi sufficientem. Interea haec de Karraitis refero. Degunt Uli in
Luthuaniae variis locis, Birsae, quod castellum est & oppidum ditionis
Principum Radziwilliorum, Pozwlae, Neostadii, Koronae, Trocse, alibi¬
que, moribus, lingua, religione, imo & facie a Rabbanistis, quorum fera- cissima est haec regio, valde diversi: lingua illis materna est Tartarica sive potius Turcica, qua etiam libros sacros explicant in Schölls & ludis.
Ejus specimen priorum Geneseos versuum hic mitto.
228 Simon §i§man, Gustav Peringers Mission bei den Karäern
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Credo eadem terra quondam exivisse, qua se genitos dicunt Tartari Uli
Muhammedani, qui Vilnse & in confiniis habitant, quique sacra sua
secundum instituta Muhammedis celebrant, & ipsi facie Karraitis valde
similes. Synagogas habent ä septentrione ad austrum dispositas, quia, ut
ajunt Salmanassar septentrionem versus ilios abduxit, unde & oraturi
faciem ad austrum, ubi putant Hierosolymas esse, dirigere soient. Et ne
quis incautior hoc in officio sacro errare possit, est ad Isevam ab introitu
SjTiagogae äffixa parieti charta majoribus signata literis : Niaa mt!3
Non Pentateuchum solum, ut aliis creditum est, sed universes Veteris
Testamenti libros pro Canonicis recipiunt. Sed quod mirum, valde
negligentes in cura antiquorum Codicum; quippe ipsi a Rabbanitis sive
laceras, sive quocunque modo temeratas membranas Legis MosaicEe in
usum Synagogse suae redimunt, de literis redundantibus vel deficientibus parum solliciti : puncta tamen vocalia a Mose esse dicunt, & traditiones
ilias, quae cum Scriptura & sana ratione conveniuut, non rejiciendas
affirmant. Dicunt, se esse propaginem decem tribuum, quos partim in
Tartaria subsedisse volunt. Quam tamen de Tribubus sententiam im-
probare videbatur Vir stupendae eruditionis Andreas Müllems Greiffen-
hagen, cum Stettini in transitu ipsum alloquerer. Sed velim super his
scire, quid sentias, Domine Nobilissime, dum me interim Tuo favori
commendatum cupio.
Nobilissimo Nomini Tuo
addictus & ad obs.
0. Per ing er Libri Karraeorum dogmatici & morales impressi sunt Constantinopoli
apud Soncinates. Est inter hos maxime Celebris liber Adderes Elijahu in
fol. cujus & meminit Seldenus, qui Maimonidis Moreh & Jad videtm
invitari voluisse. Hujus unicum tantum in Lithuania erat exemplar
Trocae, ad quod recurrebant ex aliis Synagogis, cum in rebus dubiis
quaestio oriretur. Euchologium Impressum est apud Bombergum Venetiis
in 4. Reliquos manu exaratos habent, nec facile vendibiles. Nisi forte
majori in copia reperiantur apud Karraitas in Palatinatu Lucucensi
superioris Poloniae, qui & opulentiores & numerosiores feruntm. Nam in Lithuania oppido pauci sunt, & Rabbanitis exosi.
Die erste Person Dualis im Semitisclien
Von Ewald Wagnee, Mainz
Eine der Eigenarten des Ugaritisclien ist die Existenz der ersten Person
Dualis in dieser Sprache. Gordon sagt hierüber^: "Ugaritic pronouns ...
include the possessive suffix first dual, which has not survived in any
other known Semitic language". Dieser Satz ist höchstens dann richtig,
wenn man den Nachdruck auf "survived" legt. Anderenfalls könnte er
den Eindruck erwecken, als ob es in keiner anderen semitischen Sprache
einen Dual der ersten Person gäbe. Das ist jedoch nicht der Eall. Außer
dem Ugaritischen kennt ihn auch noch die neusüdarabische Sprache der
Insel Soqotra, und zwar sowohl beim selbständigen Personalpronomen
und beim Personalsuffix als auch beim Verb im Perfekt und Imperfekt.
Hier die Formen^ :
Pron. pers. sep. Pron. pers. suff.
Sing. Dual Plural Sing. Dual Plural
3. m. yhe yhi yhen -h, -8 -hi -hin, -Sin
3. f. se yhi sen -s -hi -sen
2. m. e (het) ti ten -k -ki -ken
2. f. t (hit) ti ten -ä -ki -ken
1. c. ho ki han -i -ki -(e)n
Verb perf. Verb imperf.
Sing. Dual Plural Sing. Dual Plural
3. m. - -0 - i. .. - i. .. 0 i. .. -
3. f. -oh -äo - te... ■ te. .. 0 te. .. in
2. m. -k -ki -ken te... ■ te. .. 0 te... -
2. f. -S -ki -ken te... ■ te. .. 0 te. .. in
1. c. -k -ki -en e. .. - e. .. 0 n. .. -
Früher scheint der Dual der ersten Person im südarabischen Gebiet
noch weiter verbreitet gewesen zu sein ; denn unter dem wenigen Shauri-
Material, das der französische Konsul Fulgbnce Feesnel im Jahre 1838
^ Cyrds H. Goedon: Ugaritic Handbook. Revised Orammar, Paradigms,
Texts in Transliteration, Comprehensive Glossary. Rom. 1947. (= Analecta
Orientalia 25). S. 25.
" Nach Wolp Leslau : Lexique Soqotri (Sudarabique modeme) avec com-
paraiaons et explications etymologiques. Paris 1938. { = Collection linguistique publice par la Societe de Linguistique de Paris. — XLI). S. 9—11.