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bemüht sich, das landläufige Bild über die Sozialordnung in den germanischen Gemein- wesen zu erschüttern

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Helmut Preidel: Der Markomannenkrieg in neuer Sicht, in: Vorzeit, Zeitschrift für Vor- und Frühgeschichte, Volksforschung und Heimatkunde, Jg 16, 1967, Heft 1-4, S. 39-49.

P. bemüht sich, das landläufige Bild über die Sozialordnung in den germanischen Gemein- wesen zu erschüttern. Er sieht die Entstehung des Dienstadels bereits in den Gefolgschaften und kommt zu dem Ergebnis, daß es eine ro- mantische Vorstellung sei, wenn man annimmt, die germanischen Heere hätten als Kampfver- bände aus »einem Volk in Waffen« bestanden.

Seines Eraditens waren es immer nur Gefolg- schaften, die sich um Fürsten und Könige schar- ten. Diese Comitatus umfaßten nicht nur An- gehörige des eigenen Stammes, sondern auch Jungmänner aus anderen Gemeinwesen. P. inter- pretiert die Quellen über den Markomannen- krieg dahin, daß dieser aus Kämpfen bzw. Eifl- fällen derartiger Gefolgschaften in das römische Reich entsprang. Das gerade damals von einer verheerenden Seuche und vom Hunger heim- gesuchte römische Heer war gegenüber diesen Einfällen zunächst machtlos. Als die römischen Heere endlich nach Jahren zum Angriff über- gingen und ins markomannische und quadisdhe Siedlungsland vorstießen, trat der Krieg an der mittleren Donau in eine neue Phase ein. Die eingesetzten römischen Heere waren seiner An- sicht nach nicht so umfangreich, wie man oft angenommen hat. Eine verläßliche Zahl nennt eine Felseninschrift aus dem Jahre 179 in der slowakischen Stadt Trentsdiin. Danach umfaßte das dort unter dem Befehl eines Legaten in Lau- garicio lagernde Heer (exercitus) 855 Soldaten.

Ob römische Heere wirklich das gegen 200 km entfernte markomannische Kernland erreicht haben, erscheint ihm fraglich, weil mehr als zwei Drittel der Wege durch völlig unbesiedel- tes Gebiet führten, in dem die Verpflegung der Truppen äußerst schwierig, wenn nicht gar un- möglich gewesen sein muß. Das Quadenland war daher römischen Zugriffen mehr ausgesetzt als das markomannische Siedlungsgebiet. P. weist auch darauf hin, daß durch eine Reihe von In- schriften vom rechten niederpannonischen Do- nauufer aus den Jahren 184-185 die bisherige Ansicht widerlegt ist, daß unter Kaiser Commo- dus in den Donau-Provinzen Frieden geherrscht habe. Die Inschriften bezeugen den Bau von Grenzbefestigungen, um das insgeheime Über- queren des Flusses durch »Räuber« (latrunculi) zu verhindern. Den Bauarbeiten gingen Kämpfe mit den zwischen Donau und Theiß lebenden

Sarmaten voraus. P. zeigt durch seine Arbeit, wie notwendig es ist, die spätantiken literari- schen Quellen durch Interpretation inzwischen aufgefundener Inschriften zu ergänzen und noch einmal unter sozialgeschichtlichem Aspekt zu überprüfen, um über das frühe Heerwesen der Germanen zu differenzierten neuen Erkenntnis- sen zu kommen. Stellen wir neben das von P.

gezeigte Bild Cäsars Bericht über die Sueben, so kennen wir damit zwei verschiedene Formen germanischer Heeresverfassungen.

P. Heinsius

Heinrich Zillich (Hrsg.): Friedrich Hensel, ein deutscher Leonidas. Sein Lebensbild in Briefen. Verlag des südostdeutschen Kulturwerkes, München 1967, 93 Seiten.

Der aus Siebenbürgen stammende k. k. Ingenieur- Hauptmann Friedrich Hensel vollbrachte eine der großen Waffentaten des Kriegsjahres 1809, indem er mit rund 260 Mann die gesamte Ar- mee des Vizekönigs und Prinzen Beauharnais vom 14. bis 17. Mai im Paß von Malborghet blockierte, bis die kleine Besatzung schließlich vom übermächtigen Gegner überrannt wurde.

Hensel fand dabei mit der Mehrzahl seiner Kampfgefährten den Tod. Die hier veröffent- lichten Briefe wurden erst zwanzig Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg vom Heereswissenschaft- lichen Museum, Wien, erworben und damit einer weiteren Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Sie vermitteln nützliche Kenntnisse über das Leben der Zöglinge an der Ingenieur-Akademie, über die Beförderungsverhältnisse, aber auch über politische und gesellschaftliche Zustände in Sie- benbürgen. Interessant ist ein Urteil Hensels aus dem Jahre 1808 über die damals in Aufstellung begriffenen Reserve- und Landwehrformationen:

»Es exerciert schon beynahe Alles, was Waffen tragen kann, kleidet sich in bunte Uniformen, und spielt Soldaten, soviel man kann. Wollte Gott, dass bey der invasion des Feindes und dem fatalen Zischen der ersten Kartätschen doch noch ein Fünkchen von diesem Spiel-Geiste übrig bliebe.«

J. Zirnmermann

Helmut Schnitter: Militärwesen und Mili- tärpublizistik. Deutscher Militärverlag Berlin-Ost 1967, 274 Seiten ( = Militär-

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historische Studien 9 - Neue Folge - der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin, Institut für Geschichte, Abteilung Militärgeschichte).

Es handelt sich um die erweiterte Dissertation des Autors an der Philosophischen Fakultät der Universität Leipzig aus dem Jahre 1964.

Unter Weglassung der sowjetzonalen Militär- publizistik werden Wesen und Wirkung der militärischen Zeitsdiriftenliteratur Deutschlands vom 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart unter- sucht. Dabei sollen nach den Intentionen des Autors die Gesetzmäßigkeiten der Entwicklung des kapitalistischen Militärwesens nach den Grundsätzen des Marxismus/Leninismus offen- gelegt werden. Die sozialistischen Klassiker lie- fern die Maßstäbe. Dementsprechend werden die Militärzeitschriften des 19. Jahrhunderts als Instrumente der politischen Führung und als gei- stige Waffen der bürgerlichen Militärmaschinerie, die der Bundesrepublik Deutschland als Kampf- mittel des modernen Militarismus und Revan- chismus interpretiert.

Neben dem Kontinuitätsprinzip untersucht Schnitter besonders eingehend die Thematik der Zeitsdiriften. Er zeigt, daß die meisten Journale über die militärische Information hinaus bestrebt waren, geistige Potenzen zu mobilisieren. Die politisch-ideologische Beeinflussung habe bereits um die Mitte des 19. Jahrhunderts Vorrang vor den informativen und sachbezogenen Artikeln erreicht. In der Defensive gegen Liberalismus und Sozialismus sei das wiederholte Treue- bekenntnis zum Hohenzollern-Staat am augen- fälligsten gewesen.

Zugleich habe die Presse das Standesbewußtsein der Offiziere als primäres Anliegen gepflegt. Der Bereich der Naturwissenschaften, der Technik und der Gesellschaftswissenschaften sei erst um 1900 stärker zum Tragen gekommen. Trotz der übermäßigen Traditionspflege hätten die Mili- tärzeitschriften dann bedeutende Anstöße für den militärischen Fortschritt gegeben.

Lähmend habe sidi dagegen vor dem Ersten Weltkrieg die latente Bildungsfeindlichkeit eines Teils der Generalität und das bildungsmäßige Desinteresse zahlreicher Offiziere ausgewirkt.

Klagen darüber würden in den Militärjournalen des 18. und 19. Jahrhunderts immer wieder laut.

Insgesamt muß Schnitter jedoch die geistige und technische Fortschrittsfreudigkeit der deutschen Militärpresse anerkennen.

Mit besonderer Genugtuung untersucht Schnitter die Formen der direkten und indirekten Einfluß-

nahme auf die Militärpresse durch Regierung und Wirtschaftsverbände. Die Protektion folg- samer Organe sei offensichtlich. So habe ζ. B.

das Militär-Wochenblatt das Recht der Erstver- öffentlichung von Personalnachrichten erhalten und sei dadurch das beliebteste Journal für Of- fiziere geworden.

Läßt man alle ideologischen Verfälschungen des Buches außer acht, so bleibt es das Verdienst Schnitters, aufgezeigt zu haben, wie die Militär- presse im Laufe des 19. Jahrhunderts zur Spe- zialisierung und Arbeitsteilung überging, wie sich von den allgemeinen militärtechnischen Pu- blikationen Fachorgane für Teilstreitkräfte, für Reserveoffiziere und Militärbeamte usw. ab- spalteten. Außerdem macht er zum erstenmal auf das Wechselverhältnis zwischen der militäri- schen Zeitsdiriftenliteratur und der bürgerlichen Presse und auf den Gegensatz zwischen den fort- schrittlichen und reaktionären Kräften in der Militärpublizistik aufmerksam.

Im Anhang des Buches bietet Schnitter eine will- kommene Bibliographie der militärischen Zeit- sdiriften Deutschlands. Angaben über Auflagen- höhen und Verteilung auf die Waffengattungen folgen. Den Sdiluß bilden einige ministerielle Erlasse zur Ordnung der Militärpublizistik.

Eine dem Buch Schnitters entsprechende Dar- stellung über die Militärpublizistik fehlt in der Bundesrepublik ebenso wie eine umfassende Dar- legung zum Verhältnis von Presse und Militär.

Die Münchner Dissertation Gustav Trampe,

»Reichswehr und Presse«, 1962, ist ein Beginn.

Leider beschränkt sie sich auf Aussagen der

»Frankfurter Zeitung«, der »Münchner Neue- sten Nachrichten« und des »Vorwärts« zum Wehrproblem der Weimarer Republik.

Franz Seidler

The Army Quarterly and Defence Jour- nal, Bde 94, Nr. 1, u. 95, Nr. 1, 1967.

In vier Artikeln britischer Heeresoffiziere wer- den Ausmaß und Auswirkung der Haidaneschen Reformen in den britischen Landstreitkräften 1906 bis 1914 dargestellt. Burenkrieg und En- tente Cordiale gaben der britischen Wehrpolitik entscheidende Anstöße. Um Frankreich im Falle eines deutschen militärischen Angriffs mit einem Expeditionskorps beistehen zu können, mußte die aktive britische Armee, die bis dahin vor- wiegend in außereuropäischen Gebieten einge-

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setzt war, vergrößert und umorganisiert werden;

ein Generalstab wurde aufgebaut und die Offi- ziersausbildung intensiviert. Hinzu kam die Modernisierung aller Hilfstruppen der Land- streitkräfte. Neben der aktiven Armee gab es eine Miliz von etwa 80 000 Mann mit kurzer Ausbildung in kleinen Einheiten; sie beruhte auf einer Art Kantonsystem; die mit dem Los Ge- zogenen konnten sich freikaufen. Viele dieser Milizangehörigen ließen sich von der Armee zum aktiven Dienst anwerben. Daneben gab es die zahlenmäßig schwächere Yeomanry, eine freiwillige Reitertruppe aus Kreisen der länd- lichen Grundbesitzer und der Bildungsschicht.

Die Yeomanry kam für ihre Ausrüstung selbst auf. Ihr ähnlich waren die Volunteers. Alle drei Arten von Hilfstruppen hatten ein eigenes Offizierkorps. Trotz gewisser Hilfen der ak- tiven Armee entsprach die Ausbildung nidit zeitgemäßen Anforderungen. Yeomanry und Volunteers zeichneten sich durch hohen Lei- stungswillen, durdi Einsatzbereitschaft und star- ken Zusammenhalt aus. Da die traditionellen Widerstände gegen die Einführung der allgemei- nen Wehrpflicht zu groß waren, bildeten diese Organisationen - unter Aussdiluß der Miliz, die ihre engere Bindung an die aktive Armee nicht aufgeben wollte - die Grundlage f ü r jene Terri- torialarmee, die Haidane schuf. Sie war der ak- tiven Armee soweit wie möglich angeglichen. Sie war in Divisionen gegliedert. Ihre Gesamtstärke betrug 270 000 Mann. Zur Erreichung dieser Größenordnung waren Werbung und Propa- ganda nötig, die die Bedrohung Englands an- gesichts des ausländischen Aufrüstens heraus- stellten.

Bei Kriegsausbruch versuchte Kitdiener, der auf Grund seiner Eindrücke bei den Armeen der Französischen Republik 1871 wenig von Miliz- verbänden hielt, durch die aktive Armee neue Verbände aufzustellen. Die Territorialarmee sollte nur die Insel verteidigen. Aber die Ver- hältnisse waren stärker, und vor Entsendung von Kitcheners neuen Armeeverbänden war 1914 bereits die erste Division der Territorialarmee an der flandrischen Front. Viele andere folgten ihr. Sie haben sich hervorragend geschlagen. Sie hielten jeden Vergleich mit den aktiven Divisio- nen aus. So haben diese Freiwilligenverbände einen beträchtlichen Anteil an der militärischen Gesamtleistung Großbritanniens im Ersten Welt- krieg. Sie haben viel dazu beigetragen, eine Wehrbereitschaft auch in den folgenden Jahr- zehnten aufrechtzuerhalten und lieferten einen wertvollen Beitrag f ü r die Vergrößerung des britischen Heeres im Zweiten Weltkrieg. Die

Artikelserie ergänzt die einschlägige deutsche Bearbeitung von Paul Kluke (Heeresaufbau und Heerespolitik Englands vom Burenkrieg bis zum Weltkrieg, München und Berlin 1932). Ss.

Fritz Stern: Bethmann Hollweg und der Krieg: Die Grenzen der Verantwortlich- keit. J. C. B. Mohr, Tübingen 1968, 47 Sei- ten ( = Recht und Staat in Geschichte und Gegenwart, Heft 351/352).

Diese Publikation ist der Anlaß zu einer öffent- lichen Kontroverse zwischen K. D. Erdmann und dem Verfasser gewesen (vgl. »Die Zeit« vom 12. und 26. 1. 1968), die einmal mehr die Schwierigkeiten verdeutlichte, denen sich der Historiker bei der Bearbeitung einer in privatem Besitz befindlichen Quelle - hier dem Riezler- Tagebudi - gegenüber sieht. Das durch die Pole- mik geweckte Interesse führt bei der Lektüre des schmalen Heftes bald zu der Erkenntnis, daß es Stern mit dieser Untersuchung gelungen ist, Person und Politik des Reichskanzlers in einen größeren Zusammenhang hineinzustellen und damit auch dem zum Teil unfruchtbaren Streit um die Beurteilung einzelner, allerdings gewich- tiger Entscheidungen Bethmann Hollwegs eine neue Perspektive zu verleihen. Stern geht es nicht so sehr um eine erneute historisch-politi- sche Interpretation der Juli-Krise, des Mittel- europa-Gedankens und des Entschlusses zur Auf- nahme des unbeschränkten U-Bootkrieges, son- dern um die Charakterisierung des politischen Milieus, der Atmosphäre und der individuellen politischen Gedankenwelt, aus der heraus sich die Politik Bethmann Hollwegs entwickelte, in der sie sich vollzog. Dieses Ziel orientiert sich an der Eigenart der Quelle, den scharf beobach- tenden, reflektierenden Eintragungen des Riezler- Tagebuchs. Die Kürze des Beitrags und die Prägnanz der Formulierungen erlauben es, die einzelnen Stationen der Analyse zu übergehen und sich sogleich dem Ergebnis (S. 42 ff.) zuzu- wenden. Stern akzeptiert bis »zu einem gewis- sen Grade« das Wort Riezlers, der von dem Rätsel »dieses seltsamen Menschen« sprach, und anerkennt die persönliche Integrität, das durch- dringende Verantwortungsgefühl und die außer- gewöhnliche Intelligenz Bethmann Hollwegs.

Überraschend und bedeutsam erscheinen dem Verfasser »der Realismus und der durchdachte Pessimismus in Bethmanns Auffassungen über Deutschland«. Bethmann und Riezler fanden

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sich in der Überzeugung, »daß Deutschland un- fähig sei, die Welt, Europa - oder auch nur sich selbst zu regieren«. Trotzdem, so formuliert Stern, »litt er doch audi an jener fatalen Blind- heit, wenn es darum ging, den Platz Deutsch- lands in der Welt oder die wahrscheinlichen Auswirkungen richtig einzuschätzen, die seine

>defensiven< Ansprüche auf die anderen haben würden«. Der Kanzler verstand sich als »Bremse der politischen Verantwortungslosigkeit« und wurde auf diese Weise der »Vollstreckungs- gehilfe« eben jener Kreise, die er bekämpfte.

Seine Wertschätzung der Haltung der Sozial- demokratischen Partei während des Krieges ist bekannt, aber die Vorstellung einer von der Sozialdemokratie wesentlich geprägten Zukunft konnte er sich nicht zu eigen machen. Seine Ab- scheu gegenüber der Politik des nationalen Bür- gertums in seinen vielfältigen Schattierungen war ebenso eindeutig wie seine Furcht vor einer Revolution. - Diese von Stern herausgearbeite- ten und durch die Tagebucheintragungen Riez- lers belegten politischen Überzeugungen und Verfahrensweisen des Kanzlers sind in der Lite- ratur häufig, wenn auch nicht in dieser Zusam- menschau, beschrieben worden. Der Verfasser beläßt es jedoch nicht bei einer Aufzählung, son- dern versucht einen gemeinsamen Nenner für diese, mit einer zielbewußten Politik offenbar unvereinbaren Verhaltensweisen zu finden. Stern kennzeichnet den Kanzler als einen monarchisti- schen Bürokraten, der die Werte des Systems, dessen Schwächen, dessen hoffnungslose Verwor- renheit er wie kein anderer erkannte, trotz allem akzeptierte; er hatte keine Alternative zu bie- ten, er verhielt sich systemgerecht. Dieses Ver- halten kommt selbst noch in seinen Memoiren zum Ausdruck, in denen er mehr verdeckte als preisgab. Stern meint hierzu: »Vielleicht liegt die größte Schuld Bethmanns darin, daß er so viel sah und verstand und so wenig sagte.«

W.D.

Revue d'Histoire Moderne et Contempo- raine, Bd 15, 1968, Heft 1.

Die Soci£t£ d'Histoire Moderne veranstaltete im Oktober 1967 eine Tagung, die sich aus- schließlich mit den Vorgängen und den besonde- ren Problemen des Jahres 1917 beschäftigte. Drei Generalthemen standen zur Diskussion: 1. Die öffentliche Meinung, 2. Das Verhältnis zwischen politischer und militärischer Führung und 3. Die

wirtschaftlichen Beziehungen zwischen den Alli- ierten. In dem vorliegenden Heft werden eine Reihe von Beiträgen zu den beiden zuerst ge- nannten Themen veröffentlicht.

P. Renouvin gibt einen skizzenhaften Uberblick (S. 4-23) über die Entwicklung der Volksstim- mung im Jahre 1917 in Großbritannien, Frank- reich, Italien, Österreich-Ungarn und Deutsch- land. Die Ausführungen sind vor allem durch die kritische Besprechung der zu diesem Thema in Frankreich vorhandenen Quellengruppen von besonderer Bedeutung. Drei Spezialuntersuchun- gen (G. Liens, L'opinion publique a Marseille en 1917, S. 54-78; G. Rufin, L'opinion publique en 1917 dans l'arrondissement deTournon, S. 79-96;

Y.-H. Nouailhat, L'opinion h. l^gard des Ameri- cains έ Saint-Nazaire en 1917, S. 97-102), die sich auf die zeitgenössische Presse und auf Archi- valien stützen, vermitteln einen Eindruck von den Erkenntnismöglichkeiten, die sich für die historische Forschung ergeben können, wenn der- artige Untersuchungen systematisch und in wei- tem Umfang betrieben werden. H. Wereszycki berichtet über die öffentliche Meinung in Polen vor dem Sturz des Zaren (S. 24-38), und Wolf- gang J. Mommsen erläutert unter Benutzung neuen Materials den Kampf zwischen politischer und militärischer Führung um den entscheiden- den Einfluß auf die öffentliche Meinung, wobei die Niederlage Bethmann Hollwegs in dieser Auseinandersetzung nicht unwesentlich zum Sturz des Kanzlers beigetragen habe (S. 39-53).

Aus den Beiträgen von G. Pedroncini (S. 122 bis 132) und P. Pieri (S. 133-148) über die span- nungsreiche Entwicklung der Beziehungen zwi- schen militärischer und politischer Führung in Frankreich und Italien ergeben sich zahlreiche Parallelen zu der vieldiskutierten Situation auf deutscher Seite. In dem Übergang des Ober- befehls von Joffre auf Nivelle - Ende Januar 1917 - und schließlich - nach dem Scheitern der April-Offensive - auf Pέtain kam zweifellos eine Festigung der Position der politischen Füh- rung zum Ausdruck, deren Vorrangstellung je- doch institutionell - insbesondere angesichts der wachsenden Einsicht in die Notwendigkeit eines Oberbefehlshabers für die alliierten Streitkräfte - keineswegs als gesichert angesehen werden konnte. Auf italienischer Seite stand der Chef des Generalstabes, General Cadorna, im Mittel- punkt der Kontroverse. Der General verstand es weitgehend, jeden Einfluß der Regierung oder gar von parlamentarischer Seite von der Armee fernzuhalten. Als im Laufe des Jahres 1917 in- folge der militärischen Fehlschläge der Defätis- mus innerhalb des Heeres sich zu Meutereien

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steigerte, sah Cadorna - ähnlich wie seine deut- schen Kollegen - darin allein die Auswirkungen einer als verfehlt und schwächlich bezeichneten Innenpolitik der Regierung. Am 9. 11. 1917 wurde Cadorna durch Diaz ersetzt.

Einen hochinteressanten Einblick in das Verhält- nis zwischen militärisdier Führung und Parla- ment vermittelt Midiel Baumont in seinem Bei- trag: Abel Ferry et les £ tapes du Controle aux Arm£es 1914-1918 (S. 162-208). Auf Grund des Nachlasses Ferry beschreibt er den zähen Kampf einer sehr kleinen Gruppe von Parlamentariern gegen den zunächst übermächtigen militärischen Apparat, der mit allen Mitteln zu verhindern suchte, daß sich Abgeordnete durch Augenschein über die Zustände an der Front, in den Schüt- zengräben, über die sanitären und disziplinären Verhältnisse, über die Verpflegung und die Ver- sorgung mit Kriegsmaterial informierten. Audi innerhalb der Regierung und selbst im Parla- ment waren Widerstände zu überwinden. Erst im Oktober 1917 - nach einem ersten wesent- lichen Erfolg im Juni 1916 - hatte sich der Ge- danke der parlamentarischen Kontrolle der im Felde stehenden Armee vollends durchgesetzt - zweifellos ein Ruhmesblatt des französischen Parlamentarismus. Abel Ferry fiel im Dienste seiner selbstgewählten Aufgabe am 8. 9.1918.

Abschließend sei noch auf den Beitrag von J.-N.

Jeanneney über den Aktenbestand der Post- prüfungskommission der französischen Armeen (S. 209-233) hingewiesen. Die Kommissionen berichteten ab Dezember 1916 nach einem ein- heitlichen Schema wöchentlich über das Ergebnis ihrer sehr systematisch betriebenen Brieflektüre.

Nach sehr eingehenden Erwägungen über die historisch relevante Aussagekraft; der Berichte und die Möglichkeiten ihrer Auswertung skiz- ziert Jeanneney die Stimmungselemente für die besonders aufschlußreiche Zeit von März bis Juni 1917.

Die Beiträge des Heftes bezeugen die seit der Öffnung der französischen Archive auf breiter Basis vorangetriebene Forschung, auf deren wei- tere Ergebnisse man - nicht nur im Hinblick auf die innere Entwicklung - gespannt sein darf.

W.D.

L. Koeltz (G£n£ral de Corps d'armie - C R): La Guerre de 1914-1918 - Les ο ρ έ ^ ά ο η ε militaires. Editions Sirey, Paris 1966. (Erschienen in der Reihe

L'Histoire du X Xe Si£cle, 653 Seiten, 33 Lageskizzen).

In der Reihe »Die Geschichte des X X . Jahrhun- derts« wurden dem Kriege von 1914-1918 zwei Bände gewidmet. Der hier zu betrachtende Band I beschränkt sich auf die militärischen Operationen, während der Band II die »Histoire diplomatique, έΰοηοηιϊςυε et sociale« behan- delt.

General Koeltz bringt durch seine Teilnahme an diesem Krieg in verschiedenen Dienststellungen, insbesondere im Deuxi£me Bureau, besondere Voraussetzungen für eine Darstellung dieser Art mit.

Das Werk ist in fünf Bücher mit jeweils meh- reren Kapiteln aufgegliedert. Das ausführliche Inhaltsverzeichnis ermöglicht einen guten Uber- blick über die Darstellung der verschiedenen Operationen. Die stichwortartige Inhaltsangabe und die spezialisierten Literatur- und Quellen- hinweise am Anfang eines jeden Kapitels sind zu begrüßen.

Die sieben Anlagen bringen fast ausschließlich Material über die deutsche Armee. Es folgen eine ausführliche Chronik, ein Personenregister und ein geographisches Verzeichnis. Die 33 Kar- tenskizzen am Schluß vermitteln eine bildhafte Ergänzung zu den Textdarstellungen der ein- zelnen Operationen. Eine größere Einheitlich- keit in der Anwendung arabischer und römischer Zahlen würde den Überblick erleichtern.

Für das erste Kapitel des ersten Buches, das die unmittelbaren Ursprünge des Konflikts behan- delt, hätte man sich gewünscht, daß der General sich mit Gerhard Ritters Forschungsergebnissen vertraut gemacht hätte.

Im zweiten Kapitel des ersten Buches befaßt sich Koeltz mit den verfügbaren Streitkräften, ihrer Doktrin und ihrer Führung. Nach seiner ein- gehenden Schilderung der deutschen Heeres- vermehrung zwischen 1874 und 1914 muß der Leser den Eindruck gewinnen, daß bestimmte Persönlichkeiten darauf hingearbeitet haben, eine besonders starke Armee aufzubauen (S. 38 ff.). Dann liest er an anderer Stelle (S. 41), daß die französischen Streitkräfte ebenso stark waren wie die deutschen (jeweils etwa 2,15 Mil- lionen Mann). Da der Verfasser weder einen Vergleich der Bevölkerungsgröße anstellt (67:36,6 Millionen) noch auf die erheblichen Unterschiede in der Ausschöpfung des personel- len Wehrpotentials im Frieden hinweist, erfährt der zunächst hervorgerufene negative Eindruck hinsichtlich des Einflusses einzelner deutscher Militärs keine Korrektur.

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Interessante Einblicke in das Verhältnis zwi- schen Frankreich und England, in die wachsende Bedeutung von Politik und Wirtschaft für den weiteren Kriegsverlauf sowie in die damit zu- sammenhängende Verlagerung der großen Ent- scheidungen aus dem militärischen in den politi- schen Führungsbereich gegen Ende des Jahres 1914 gewährt das erste Kapitel des zweiten Bu- ches. Von der politischen Kontroverse, die als Ausdruck divergierender Interessen zwischen England und Frankreich zutage trat, blieb die militärische Zusammenarbeit der Alliierten nicht unbeeindruckt (S. 182 ff.).

Das vierte Buch mit dem bezeichnenden Zwi- schentitel »Les vaines offensives« beginnt mit einem einleitenden Kapitel über die allgemeine Lage gegen Ende 1916. »Während man im Lager der Entente Reorganisation und Verstärkung der Streitkräfte betrieb, suchten die deutsche und die österreichische Regierung in Friedens- verhandlungen einzutreten« - was dann schließ- lich wegen der zu hohen deutschen Ansprüche scheiterte (S. 345 ff.).

Die Bedeutung des amerikanischen Kriegseintritts wird von Koeltz nicht hoch veranschlagt (S. 404 bis 411). Für die Äußerung des Marschalls Fodi, daß der Kriegseintritt Amerikas Frankreich zum Endsieg verholfen hat - ein Bekenntnis, das Fodi nicht leicht gefallen ist - , findet sich bei Koeltz keine Parallele.

Das letzte Kapitel widmet der General ausführ- lichen Schlußfolgerungen. Er stellt fest, daß der Krieg von 1914 bis 1918 im wesentlichen ein Koalitionskrieg war: Koalition der Mittelmächte gegen Koalition der Triple Entente.

Vielleicht hat Koeltz den Titel seines Werkes, die militärischen Operationen, allzu wörtlich genommen. Gebiete der militärischen Führung, die eng damit zusammenhängen und den Ab- lauf von Operationen wesentlich mitbestimmen, wie Heeresversorgung, Nachschubwege, Trans- portwesen, insbesondere aber audi Verwundeten- versorgung usw., hätten eine größere Beachtung verdient. Die Rolle der neuen Waffe, der Flie- gerei, ist zu wenig gewürdigt worden.

So sehr man auch Fleiß und Sachkenntnis des Verfassers anerkennen mag: der Eindruck einer von historischer Präzision bestimmten Objek- tivität, zu der der zeitliche Abstand eines halben Jahrhunderts zusätzlich Anlaß gewesen wäre, vermochte sich nicht im erhofften Maße einzu- stellen. Darüber hinaus hätte man es gerne gesehen, wenn der Verfasser sich von der Kritik an früheren Darstellungen des Ersten Weltkrie- ges und vor allem von den Erkenntnissen der neueren Forschung hätte anregen lassen. Das

hätte dem Gesamtwert dieses umfangreichen Werkes von Nutzen sein können.

Zum Schluß darf vermerkt werden, daß die zahlreichen Fehler in der Wiedergabe fremd- sprachlicher, insbesondere deutscher Wörter, Namen, Quellenangaben usw. (S. 2, 3, 4, 21 usw.) äußerst störend wirken. R. Elble

Revue d'Histoire de la Deuxieme Guerre Mondiale. Jg 18, N r . 70, 1968. Numero special: »Sur la Roumanie en Guerre«.

Dieses Sonderheft ist der Rolle Rumäniens im letzten Kriege gewidmet. Die rumänischen Ver- fasser, offenbar in Rumänien lebende Historiker und Offiziere, befassen sich mit außen- und in- nenpolitischen sowie militärischen und historio- graphischen Aspekten des Themas.

Das Schicksal Rumäniens i<m Zweiten Weltkrieg stellt insofern einen Sonderfall dar, als das tra- ditionell westlich orientierte Land durch die Übereinkünfte Hitlers und Stalins 1939 Bes- sarabien und die Nordbukowina an die Sowjet- union sowie durch den von Ribbentrop zu ver- antwortenden Wiener Schiedsspruch 1940 Nord- siebenbürgen an Ungarn und die Süddobrudscha an Bulgarien verlor. In ein Bündnis mit dem Reich gedrängt, haben die rumänischen Verbün- deten trotzdem im Kampf gegen die Sowjet- union einen sehr hohen Blutzoll geleistet (250 000 Gefallene nach Hillgruber). Anders als bei Finnland und Italien war der Partner der deutschen Politik weder eine parlamentarische Regierung noch ein sich auf eine Partei stüt- zender Duce, sondern lediglich die bemerkens- werte Persönlichkeit Marschall Antonescus, nachdem Hitler sich 1940 f ü r ihn und gegen die faschistische »Eiserne Garde« entschieden hatte.

So vollzog sich bei Einbruch der Sowjetarmeen August 1944 der Frontwechsel Rumäniens da- durch, daß König Michael den Marschall als Regierungschef entließ und verhaftete. Trotz der naheliegenden und an manchen Stellen nur wenig verhüllten Tendenz sind die auf Grund amtlich-militärischer und politischer Akten- bestände geschriebenen Artikel im ganzen um Objektivität bemüht. Angesichts der umfang- reichen Vorbereitungen der am Abfall Rumä- niens Beteiligten bleibt es bei Stärke und Ge- wicht der deutschen Präsenz in Rumänien 1944 um so unverständlicher, daß diese Vorgänge von der deutschen Führung trotz militärischer War- nungen nicht erkannt wurden.

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Die fünf Artikel der Revue befassen sich ledig- lich mit dem Einsatz gegen das Reich: Parti- sanenkämpfe, Sabotage, Vorbereitung und Durchführung des Frontwechsels sowie Kämpfe der rumänischen Armeen auf sowjetischer Seite.

Es bleibt erstaunlich, wie fest die rumänischen Truppen bei dem Frontwechsel in der H a n d ihrer Führung blieben und wie sehr diese an die Autorität des Monarchen gebunden war. Erleich- tert wurde die rumänische Kampfbereitschaft allerdings durch die deutsche Luftbombardierung von Bukarest, die eine vom zuständigen deut- schen Wehrmachtbefehlshaber von Rumänien versuchte Entflechtung deutsch-rumänischen Zu- sammenwirkens und einen geordneten deutschen Rückzug zunichte machte. Von den, wenn auch geringfügigen, Spannungen im rumänischen Offizierkorps nach dem Umschwenken ist in den Artikeln erklärlicherweise nicht die Rede.

Militärgeschichtlich interessant sind die Angaben über die zahlenmäßige Stärke des rumänischen Heeres bei den weiteren Kämpfen gegen die deutsche Wehrmacht. An den Kämpfen auf ru- mänischem Boden im September und Oktober 1944 waren insgesamt 366 000 Mann beteiligt, von denen 58 000 im Verlauf dieser Kämpfe ausfielen (nach Hillgruber 169 000). Die ru- mänischen Kräfte setzten sich aus der König- lichen Armee und Formationen zusammen, die die Rote Armee aus Kriegsgefangenen aufgestellt hatte. Auch bei den weiteren Kämpfen der So- wjetarmeen bis zum Kriegsende waren rumäni- sche Truppen beteiligt, die in Korps und Armeen zusammengefaßt waren.

Wichtig erscheinen die Hinweise auf die ver- streute rumänisch geschriebene Literatur über diesen Teil des Krieges in einem Artikel von V. Ionescu: »Historiographie roumaine de la Deuxi£me Guerre mondiale«. Die Artikel bestä- tigen und ergänzen teilweise die Monographie Hillgrubers und die Memoiren von General- oberst Friessner, Oberbefehlshaber der Deut- schen Heeresgruppe Südukraine, Juli bis Dezem-

ber 1944. Ss.

Daniel Horn: War, Mutiny and Revolu- tion in the German Navy. The World War I Diary of Seaman Richard Stumpf.

Rutgers University Press, New Brunswick, New Jersey 1968, 443 Seiten.

Daniel Horn, Assistant Professor f ü r Geschichte am Douglass College of Rutgers, stieß bei sei-

nen Forschungsarbeiten über die deutschen Marinemeutereien im Ersten Weltkrieg auf das Tagebuch des Matrosen Stumpf. Wie er bekennt, war er fasziniert von dieser für ihn einzigartigen Quelle und entschloß sich, die vorliegende Über- setzung ins Englische herauszubringen und sie sachverständig zu kommentieren.

Worin sieht Horn den besonderen Quellenwert dieses Tagebuches? Einmal als das beredte Zeug- nis eines einfachen Mannes der Flotte über die Ursachen des Zusammenbruchs, bei deim apolo- getische Gesichtspunkte keine Rolle spielen, zum anderen als Spiegel der politischen Wandlung von wilhelminischem Nationalismus zu repu- blikanischer, militärfeindlicher Gesinnung, die sich bei einem großen Teil der deutschen Öffent- lichkeit vollzogen hatte. H o r n erblickt weiter in diesem Tagebuch eine Dokumentation der sich bekämpfenden Kräfte demokratischen Aufbruchs und beharrender Reaktion und schließlich noch eine lebendig geschriebene, lesenswerte Chronik des Land- und Seekrieges 1914 bis 1918.

Die vollständige deutsche Fassung des Tage- buches von Stumpf wurde im Jahre 1928 als Band X, 2 des Werkes des Untersuchungs- ausschusses des Deutschen Reichstages über die Ursachen des deutschen Zusammenbruches her- ausgegeben. Der vierte Unterausschuß, der den Beschluß zur Veröffentlichung faßte, begründete den Wert des Tagebuches mit seinem psycholo- gischen Gehalt, der »gefühlsmäßigen Ursprüng- lichkeit der Aufzeichnungen«. Der Abgeordnete Dr. Rosenberg nannte das Tagebuch »das grund- legende Memoirenwerk für die späteren Histori- ker«.

Auf Grund eines Prozesses, den ein Offizier ge- führt hatte, weil er in einem ihn herabsetzenden Vorkommnis irrtümlicherweise genannt worden war, löschten die Herausgeber die Namen sämt- licher von Stumpf zitierten Personen mit Aus- nahme allgemein bekannter Persönlichkeiten.

H o r n hat aus dem Originaltagebuch die Namen dem Text in Klammern wieder hinzugefügt.

Horn erschließt mit diesem Buch dem englisch lesenden Publikum eine Quelle, die einprägsam ein bestimmtes Bild des kaiserlichen Deutsch- land und seiner Marine entwirft. Damit über- nimmt er keine leichte Verantwortung. Denn mögen die in verständlicher Emotion nieder- geschriebenen Berichte eines einzelnen noch so viel an Wahrheit enthalten, so können sie doch nicht die ganze Wahrheit einer Epoche wieder- geben. H o r n ist der Faszination seiner Quelle zu weit erlegen, wenn er ohne Einschränkung in seiner Einleitung von »ill-treatment«, »mistreat- ment«, »shameful abuse« der Mannschaften

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durdi »the officers« spricht. Audi kann in dieser Form nicht aufrechterhalten werden, daß die Offiziere »in high style« lebten, »while the enlisted inen starved« (p. 11). So gewiß die in dem Kastendenken ihrer Zeit befangenen See- offiziere meist blind waren für die soziale Frage und für den Beginn einer neuen Zeit, so gewiß ist es, daß Fälle von Mannsdiafts-»Mißhand- lung« durch Offiziere wohl die Ausnahme waren.

Das Bild des kaiserlichen Marineoffiziers wird verzeidinet, wenn er ähnlich wie der »Junker«

in das starre Schema des bösen preußischen Militaristen gedrängt wird. Die Wirklichkeit war differenzierter; schlimm war vor allem die Gleichgültigkeit der meisten Offiziere, das Sich- Nicht-Kümmern um die Untergebenen. Ein indirektes Eingeständnis dieses Sachverhalts ist das so intensive Bemühen der späteren Marinen, auf dem Gebiete der »Inneren Führung« nichts zu versäumen.

Mit dem Autor einig gehen kann man unbedingt darin, daß die Aufzeichnungen Stumpfs als Quelle ihr besonderes Profil dadurch erhalten, daß sie Bekenntnisse nicht eines »Roten« sind, sondern eines bis zuletzt patriotisch gesinnten katholischen Gewerkschaftlers. Ihr Wert liegt, wie es schon der vierte Unterausschuß betonte, nicht in der absoluten Wahrheit der Fakten, son- dern in der Wahrheit des Gefühls, in der Tat- sache, daß auf einem Teil der Flotte als Folge mangelnder Einsicht und von Versäumnissen der Führung das Verhältnis zu den Geführten ge- stört war oder vollends fehlte, so daß Männer von der Intelligenz Stumpfs in die von ihm be- kundete Haltung hineingedrängt wurden.

Von seinem notwendigerweise begrenzten Ge- sichtskreis aus zog er nicht immer berechtigte Schlüsse auf das Allgemeine; er sah subjektiv größere Mißstände, als sie objektiv vielleicht gegeben waren.

Die kommentierenden Anmerkungen des Ver- fassers sind wohltuend sachlich und erfüllen den beabsichtigten Zweck der Verdeutlichung der Vorgänge. Anmerkung Nr. 1 ist mißverständ- lich, da sie den Eindruck vermittelt, als beginne der Nord-Ostsee-Kanal in Wilhelmshaven.

Die angekündigte Darstellung der Marinemeu- tereien wird erweisen, wie weit es Horn, hoffent- lich frei von jedem Klischee, gelingen wird, der historischen Wahrheit nahezukommen. Fo

Reinhard Rürup: Problems of the German Revolution, in: Journal of Contemporary History, Bd 3, 1968, Nr. 4, S. 109-135.

Das letzte Heft des Jahrganges trägt den Titel

»1918-19: From War to Peace«; die einzelnen Beiträge behandeln Probleime dieser Ubergangs- phase in Polen, in dem Gebiet der sich auflösen- den Österreich-ungarischen Monarchie, insbeson- dere auch Jugoslawiens, in Italien, der Türkei, Großbritannien, den USA und Indien. Neben dem anzuzeigenden Aufsatz beschäftigt sich noch Paul Pörtner mit einem Thema der deut- schen Geschichte, der Regierung Eisner in Mün- chen (The Writers Revolution: Munich 1918-19, S. 137-151).

Rürup gibt einen Uberblick über die Ergebnisse der seit Mitte der fünfziger Jahre sehr intensiv betriebenen Forschung, die zu einer doch sehr weitgehenden Revision des bisher gängigen Ur- teils über die Ereignisse vom November 1918 bis zum Mai 1919 zwingt. Im Gegensatz zu der bis zum Uberdruß wiederholten These, daß Deutschland am 9.11.1918 vor der Alternative gestanden habe, entweder mit der SPD den Weg zu einer demokratischen Entwicklung einzuschla- gen oder mit der USPD und den Räten im Chaos einer bolschewistischen Herrschaft zu ver- sinken, steht nun die Erkenntnis, daß der 9. No- vember zunächst eine offene Situation sdiuf, die verschiedene Wege für die künftige Entwicklung als möglich erscheinen ließ. Das politische Ziel der revolutionären Bewegung bildete die prak- tische Verwirklichung der Demokratisierung, die trotz den Bemühungen des Parlaments und des Kabinetts des Prinzen Max von Baden weit- gehend ein Programm geblieben war. Die Arbei- ter· und Soldatenräte, die im übrigen von der ihnen zu Gebote stehenden Machtfülle nur sehr zögernd Gebrauch machten, haben dieses poli- tische Ziel nie aus den Augen verloren. Sie waren viel eher radikale Demokraten als Anhänger der äußersten Linken. Die Institutionalisierung der Räte ist in der ersten Phase der Revolution, das heißt bis zur Konstituierung der Nationalver- sammlung, nie ernsthaft erwogen worden, erst im Frühjahr 1919 gewann der Gedanke eines Rätesystems unter den Führern der nun anti- parlamentarischen revolutionären Bewegung größere Bedeutung.

Das Schicksal der Revolution entschied sich an dem Verhältnis zwischen dem Rat der Volks- beauftragten, in dem sich von Anfang an die alte SPD als die führende Kraft erwies, und den Räten. Rürup schildert in überzeugender Weise, wie die SPD auf der einen und die USPD auf

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der anderen Seite der doppelten Aufgabe, die dem Rat der Volksbeauftragten gestellt war - Festigung der »Errungenschaften der Revolu- tion« und Abwehr des drohenden »Chaos« - , gerecht zu werden suchten. Der prinzipielle Ent- schluß, die Neuordnung des Staates einer Natio- nalversammlung zu überlassen, und die aus der Entwicklung der Partei erwachsene Über- betonung der von »links« drohenden Gefahr führten dazu, daß die Führung der SPD die in den Arbeiter- und Soldatenräten ruhende poli- tische Potenz ungenutzt ließ und damit dem Kompromiß mit den Repräsentanten des alten Systems, Beamtenschaft und Offizierkorps, ein Gewicht verlieh, das die weitere Entwicklung in vieler Hinsicht präjudizierte. - Die sehr prä- zisen und komprimierten Ausführungen des Bei- trages erhalten dadurch besondere Bedeutung, daß der Verfasser soeben, zusammen mit E. Kolb, zwei Bände Quellen zur Geschichte der Rätebewegung vorgelegt hat. W. D.

Paul Schmalenbach: Die Geschichte der deutschen Schiffsartillerie. Koehlers Ver- lagsgesellschaft, Herford 1968, 202 Seiten.

Dieses Buch ist von einem Fachmann geschrieben, der, wie er selbst im Vorwort sagt, den letzten Abschnitt dieser Geschichte tätig miterlebt hat.

Auf 172 Seiten und einer Reihe von Skizzen und Bildern wird, auch f ü r den Laien verständ- lich, die Entwicklung der deutschen Schiffsartil- lerie dargestellt. In dem beigefügten Anlagenteil ist der sehr sorgfältige Quellennachweis beson- ders bemerkenswert.

Neben einer allgemeinen Einführung zeichnet der Verfasser in der ersten Hälfte des Budies kurz die Entwicklung des Schiffsgeschützes bis 1850 nach und widmet dann den tedmischen Verbesserungen bis 1890 einen etwas breiteren Raum. In den weiteren Kapiteln wird der Aus- bau der Schiffsartillerie in der Zeit des Linien- schiffes und des Großkampfschiffes (Dread- nought) und ihre Bewährung im Ersten Welt- krieg behandelt. Unterstützt durch Vergleichs- tabellen und Skizzen versucht der Verfasser hier die Lösung der vielfältigen Probleme darzustel- len, die sich aus den Anforderungen an diese Waffe in einer Periode sprunghaften technischen Fortschritts ergaben. Trotz aller aufgewendeten Sorgfalt weist jedoch das Bild dieses Zeit- abschnittes und des bis 1918 erreichten Standes

gewisse Lücken auf, die auch im Vorwort zu- gegeben werden.

Mit der auf dieser Basis ab 1923 einsetzenden Weiterentwicklung in Deutschland beschäftigt sich die zweite Hälfte des Buches. Zunächst wer- den ausführlich die Schwierigkeiten und Gren- zen dargelegt, die der Vertrag von Versailles für diese Arbeit bedeutete. Danach gibt der Ver- fasser ein sehr genaues Bild über die gesamte Entwicklung der Geschütze und des Feuer- leitwesens bis in den Zweiten Weltkrieg hinein.

Die beschrittenen Wege, alle Schwierigkeiten und deren Überwindung beim Bau neuer Waffen und Geräte werden deutlich. Lückenlose technische Daten und weitere wichtige Einzelheiten über die Schiffsartillerie aller größeren Fahrzeuge der deutschen Kriegsmarine einschließlich der Zer- störer und Torpedoboote runden dieses Bild ab.

Wenn der Verfasser dann auf die Bewährungs- probe von 1939 bis 1945 eingeht, so bemüht er sich zwar audi hier, eine möglichst objektive Darstellung über den zweifellos hohen tech- nischen Stand der Waffen und die außerordent- lichen Leistungen des Bedienungspersonals zu geben. Die Erfolge während des Krieges und Stimmen aus dem Lager der früheren Gegner werden als Beweis herangezogen. Dennoch darf man nicht übersehen, daß der Verfasser zu jener Zeit selbst mitten in diesem Geschehen stand, wie audi aus der Schilderung einiger persönlicher Erlebnisse zu entnehmen ist.

Insgesamt bringt dieses Buch eine Fülle histo- risch wichtiger Einzelheiten, wendet sich aber sonst vornehmlich - wie auch die Widmung sagt - an die ehemaligen Artilleristen der Ma-

rine. V.

Jürgen Rohwer: Die U-Boot-Erfolge der Achsenmächte 1939-1945. J. F. Lehmanns Verlag, München 1968, 376 Seiten.

Ein unentbehrliches Nachschlagewerk hat der bekannte Marinehistoriker und Leiter der Biblio- thek für Zeitgeschichte in Stuttgart vorgelegt in der ihm eigenen wohltuenden Nüchternheit und überzeugenden Sachlichkeit.

In langjähriger Arbeit ist unter Benutzung amt- licher Unterlagen beider Seiten und Heran- ziehung aller erreichbaren Quellen ein nahezu lückenloses Erfolgs- und Trefferbild der deut- schen, finnischen, italienischen, japanischen und rumänischen U-Boot-Angriffe entstanden.

Das Buch gliedert sich in einen Listen- und Re-

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gisterteil. Im Listenteil werden, nach Seeräumen und chronologisch geordnet, die Erfolgsmeldun- gen der U-Boote den Verlustangaben der Alliier- ten in gut lesbarer Tabelle gegenübergestellt. Der Registerteil bringt übersichtlich geordnet die an- geführten U-Boote, ihre Kommandanten, die Konvois und eine alphabetische SchifTsliste.

Zu erwähnen sind die beigegebenen sehr nütz- lichen zehn Marinequadratkarten. Es liegt wohl in der Natur der Sache, daß über eine gute Ar- beit häufig weniger zu sagen ist als über eine minder gute: Jürgen Rohwer hat hier eine aus- gezeichnete Arbeit vorgelegt. H. F. J.

Wilhelm Hadeler: Der Flugzeugträger.

Sein Wesen und sein Werden von 1911 bis zur Gegenwart. J. F. Lehmanns Verlag, Mündien 1968, 176 Seiten, 37 Skizzen, 8 Fotos (=Wehrwissenschaftlidie Berichte, hrsg. vom Arbeitskreis f ü r Wehrfor- schung, Bd 5).

Der Verfasser hat das Werk in drei Abschnitte gegliedert. Im ersten schildert er die Entwick- lung des neuen Kampfmittels »Flugzeugträger«

von den ersten theoretischen Überlegungen des französischen Hauptmanns Ader, der bereits 1895 Form und Eigenschaften der heutigen Flug- zeugträger erstaunlich klar vorhersieht, über die ersten tastenden Versuche der Vereinigten Staa- ten und Großbritanniens in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg bis zu den Trägern, mit denen die Kriegsmarinen der Großmächte in den Zwei- ten Weltkrieg gezogen sind. Im dritten Abschnitt wird dann die Weiterentwicklung des Flugzeug- trägers im Verlauf der Kämpfe des letzten Krie- ges behandelt und auf die Rolle eingegangen, die er vor allem im pazifischen Kampfraum ge- spielt hat.

Eingerahmt von diesen beiden Abschnitten all- gemeiner Art findet sich ein umfangreiches Ka- pitel, das sich mit einem Spezialthema befaßt, nämlich der Geschichte des einzigen deutschen Flugzeugträgers. Der Verfasser war an der tech- nischen Entwicklung dieses Schiffes von den ersten Überlegungen an beteiligt. Er ist daher in der Lage, die Geschichte des »Graf Zeppelin«

aus eigenem Erleben zu berichten. Leider weist er aber des öfteren darauf hin, daß er der ein- zige Bearbeiter gewesen sei, der von dem Pro- jekt etwas verstanden habe. Seine Ausführun- gen erhalten dadurch einen subjektiv gefärbten

Anstrich und werden somit in ihrem Wert ge- mindert. Gleiches gilt für die Passagen, die sich auf die Zusammenarbeit mit der Luftwaffe be- ziehen. Immer wieder klingt der Vorwurf an, die Luftwaffe habe es an der nötigen Zusam- menarbeit fehlen lassen. Selbst die typwidrige Überbetonung der Seezielartillerie für »Graf Zeppelin« sei eine Folge mangelnden Engage- ments der Luftwaffe gewesen. Es scheinen hier irgendwelche Ressentiments aus der damaligen Zeit nachzuschwingen, die den Verfasser in Fra- gen, die über sein schiffbautechnisches Arbeits- gebiet hinausgehen, einseitig urteilen lassen. Es müßte ihm doch bekannt sein, daß der Bau des Flugzeugträgers von der Marine und nicht von der Luftwaffe gefordert worden ist. Gerechter- weise darf daher bei der Luftwaffe kein grö- ßeres Interesse an der Planung erwartet werden, als dies von der Marineleitung bzw. O K M dem Projekt entgegengebracht worden ist. Hierzu stellt der Verfasser aber selbst fest, daß von dort dem Bau des Schiffes »nicht mehr als die pflicht- gemäße Aufmerksamkeit« gewidmet worden ist.

Die Luftwaffenführung aber hat die eingegan- genen Verpflichtungen, Fluggerät und Personal zu stellen, eingehalten: die Fi 167 war eigens für den Trägereinsatz konstruiert worden, die ersten Trägerstaffeln standen ab 1938 bereit.

Die Studie wird ergänzt durch zahlreiche Risse, Pläne und Skizzen sowie durch einige seltene Fotos des »Graf Zeppelin«. Vorangestellt ist eine Sammlung von Begriffsbestimmungen. Sie ent- hält allerdings auch Bezeichnungen, die im all- gemeinen Sprachgebrauch nicht üblich sind, wie

»Marineluftwaffe« oder »Flottenluflstreitkräfte«.

Sie ist darüber hinaus auch nicht vollständig, da die im Text vielfach erwähnten Begriffe

»Trägerluftwaffe« oder »Seeluftwaffe«, die ebenfalls nicht üblich sind, eingangs nicht de- finiert werden.

Zusammenfassend ist zu sagen, daß der Bericht dem interessierten Leser sicher einen guten Uber- blick über die Entwicklung des Kampfmittels

»Flugzeugträger« bringt. Hinsichtlich der Ge- schichte des ersten deutschen Flugzeugträgers darf er aus den erwähnten Gründen aber nur mit kritischer Aufmerksamkeit gelesen werden.

khh

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David Schoenbaum: Die braune Revolu- tion. Eine Sozialgeschichte des Dritten Reiches. Verlag Kiepenheuer und Witsch, Köln, Berlin 1968. 389 Seiten.

Immer noch fehlt eine Sozialgeschichte des na- tionalsozialistischen Deutschland. Der Verfasser, Dozent der Universität Iowa, versucht diesem Mangel abzuhelfen (wenngleich der englische Buchtitel: Hitler's social revolution. Class and status in Nazi Germany, den etwas anspruchs- volleren deutschen Titel ein wenig einschränkt).

Schoenbaum will einerseits die Sozialentwick- lung Deutschlands zwisdien 1933 und 1939 un- tersuchen, andererseits die Frage nacii den Ur- sachen des Aufkommens des Nationalsozialismus und der relativen Stabilität seiner Herrschaft durch eine sozialgeschichtliche Betrachtung be- antworten helfen.

Der Verfasser geht aus von einer Untersuchung der sozialpolitischen Versprechungen und der gesellschaftspolitischen Ideologie des National- sozialismus. Dann analysiert er in sieben Kapi- teln unter Heranziehung umfangreichen statisti- schen, sozial- und geistesgeschichtlichen Quellen- materials die gesellschaftliche Wirklichkeit des

»Dritten Reiches«. Er betrachtet dabei die spe- zifische Situation der Arbeiter und der Frauen, der Industrie und Landwirtschaft, der gesell- schaftlichen Organismen und der Staatseinrich- tungen sowie die Aufstiegsmöglichkeiten im na- tionalsozialistischen Deutschland. Seine Analyse ordnet er in einen größeren Zusammenhang ein:

Die Weimarer Republik habe vom Kaiserreich nicht nur die Hypothek des verlorenen Krieges geerbt, sondern auch die ungelöste Problematik einer Anpassungskrise, die gekennzeichnet wurde von der tiefen Diskrepanz zwischen einer sich unaufhaltsam fortentwickelnden industriellen Expansion und einem dieser Entwicklung nicht entsprechenden Selbstverständnis der deutschen Gesellschaft. In dieser Lage fand der National- sozialismus mit der doppelten Parole der Revi- sion von Versailles und der Negation der Kon- sequenzen des Industrialisierungsprozesses durch- schlagende Resonanz, insbesondere bei den von diesem Prozeß materiell wie geistig-moralisch besonders betroffenen Schichten wie den Bauern, dem Mittelstand, sowie der ständig wachsenden Schicht der Angestellten. Es war gewiß eine Utopie, in der Mitte des 20. Jahrhunderts eine vor-industrielle Idylle anzustreben. Vor allem aber schlossen sich der in dieser Parole enthaltene soziale und der politische Revisionismus aus.

Versailles zu revidieren, gar eine deutsche Hege- monie ins Auge zu fassen und gleichzeitig die

moderne Sozialentwicklung rüdegängig zu ma chen, war unmöglich. Hitlers Entschluß zur Kriegs- und Machtpolitik war damit zugleich eine Entscheidung für die industrielle Macht und damit für die Dynamik der modernen Industrie- gesellschaft. Die Folge war nach Schoenbaum, daß die soziale Wirklichkeit des »Dritten Rei- ches« durch eine beschleunigte soziale Umschich- tung gekennzeichnet wurde, die genau das Gegenteil der reaktionären sozialpolitischen Leitbilder und Versprechungen der NSDAP und der Erwartungen ihrer Anhänger darstellte. Der allgemeine Trend der deutschen Sozialentwick- lung, wie er seit Beginn der Industrialisierung sich abzeichnete, hatte sich im »Dritten Reich«

nicht nur weiter fortgesetzt, sondern sogar noch beschleunigt: die Städte waren größer, die Land- bevölkerung kleiner geworden, die Kapital- akkumulation und die industrielle Konzentra- tion waren weiter gewachsen. Die Enttäuschung der Anhänger und Wähler des Nationalsozialis- mus wurde durch die Kombination von tatsäch- licher sozialer Mobilität und pseudoelitärer Ideologie aufgefangen, die ein Klima von sozia- lem Aufstieg und das Gefühl schuf, die neue

»Volksgemeinschaft« habe die Klassenschranken von einst überwunden. Hier liegt nach Ansicht des Verfassers auch die Antwort auf die Frage verborgen, wie es dem Regime gelungen sei, die Zustimmung breiter Massen für etliche Jahre zu finden.

Von diesem Befund aus entwickelt der Verfasser seine Interpretation des Nationalsozialismus.

Dieser habe für Deutschland eine doppelte Revo- lution bedeutet: die »Revolution der Zwecke«, die ideologischer Natur gewesen sei; sie strebte die Beseitigung der bürgerlichen und industriel- len Gesellschaft an. Die »Revolution der Mittel«

dagegen war deren Umkehrung, nämlich die ziel- bewußte Anwendung aller technischen und in- dustriellen Möglichkeiten zum Kampf gegen die industrielle Gesellschaft, denn dieser Kampf konnte im industriellen Zeitalter nur mit indu- striellen Mitteln geführt werden. Das Ergebnis aber war die Zerstörung der Gesellschaft schlecht- hin. Der Verfasser knüpft damit an Rauschnings These vom Nationalsozialismus als der »Revo- lution des Nihilismus« an.

Schoenbaums Thesen fordern zur Diskussion heraus. So wäre zu fragen, ob wirklich allein die revisionistische und imperialistische Politik die Zerstörung der bürgerlichen Gesellschaft er- fordert habe oder ob nicht vielmehr schon — wie Dahrendorf ausgeführt hat - Hitler bereits wegen seines innerpolitischen totalitären Herr- schaftszieles notwendig habe eine soziale Revo-

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lution durchführen müssen: er mußte die über- kommene deutsche Sozialstruktur zerstören, da sie ein Hindernis für die Durchsetzung der tota- litären Herrschaftsordnung darstellte. Weiterhin mag die Frage gestellt werden, ob die tatsäch- liche soziale Umwälzung nicht erst während des Krieges in entscheidendem Maße erfolgt sei und bis 1939 vorwiegend nur eine erfolgreiche Be- wußtseinsmanipulierung hinsichtlich des sozialen Status des einzelnen (KdF-Reisen, Betriebs-

»Gefolgschaft«, »Volksgemeinschaft«) statt- gefunden habe. Auch mag bezweifelt werden, ob die soziale Strukturwandlung der Armee (die vom Verfasser nur sehr ungenau - 1933 gab es ζ. B. keine »Garde-Regimenter« mehr! —, S. 298 und 304 ff., behandelt wird) ausschließlich auf die zahlenmäßige Aufblähung infolge der Auf- rüstung zurückzuführen ist oder ob nicht auch Faktoren wie Technisierung, Spezialisierung und eine nicht zuletzt durch Ideologisierung be- einflußte Wandlung soldatischer Leitbilder hier mitgewirkt haben. Wie auch immer, Schoen- baums Arbeit bietet zahlreiche Anregungen, ent- hält reiches Material und weist auf Fragestellun- gen hin, die auch von der militärgeschichtlichen Forschung nicht übersehen werden sollten.

K.}. M.

Hermann Bosch: Heeresrichter Dr. Karl Sack im Widerstand. Eine historisch- politische Studie. Gotthold Müller Verlag, München 1967, 102 Seiten.

Hermann Bosch hat mit seiner Arbeit eine Lücke in der bisherigen Geschichtsschreibung über den deutschen Widerstand ausgefüllt. Als Vorberei- tung für die künftige wissenschaftliche Synthese über dieses Thema sollte die Forschung sich nicht nur auf einige »Große« beschränken, sondern das ganze Feld abstecken und kartieren. Am Leben und Wirken des Heeresrichters Sack legt Bosch nun das Ergebnis einer solchen Detail- untersuchung vor, eines Mannes, der zu den

»alten Kämpfern« des Widerstandes und zum inneren Kreis des militärischen Widerstandes gehörte. Der Verfasser hatte es dabei nicht leicht.

N u r wenig authentisches Material von oder über Sack ist bewahrt geblieben. Daher wurde es mit Auskünften aus der Literatur und mit wichtigen Aussagen ehemaliger Mitarbeiter und Freunde Sacks (Weinheimer, Kanter), deren Hilfe f ü r die

Feststellung und Erklärung bestimmter Tat- sachen unerläßlich war, ergänzt.

Sack, 1896 in einem evangelischen Pfarrhaus in Rheinhessen geboren, war ein tiefreligiöser Mensch. Die hohen Tapferkeitsauszeichnungen aus den Jahren des Ersten Weltkrieges zeugen von Opferbereitschaft und Vaterlandsliebe. Als Gerichtsassessor im Bereich der »Rheinischen Republik« in den Nachkriegsjahren zeigte er großen persönlichen Mut, indem er unter Be- rufung auf Amtseid und Dienstpflicht den Sepa- ratisten jede Mitarbeit verweigerte. Seine Be- gründung war juristisch, nicht politisch. Bei sei- nen Ausführungen über diese Jahre konnte der Verfasser sich auf einen ausführlichen persön- lichen Erlebnisbericht Sacks stützen. Einiges dar- aus hätte man sich im Dokumentenanhang ge- wünscht. Unter gewissen Vorbehalten der Wei- marer Koalition gegenüber wurde Sack Mitglied der DVP.

Nach der Machtübernahme 1933 schied er, der schon in ihren Anfängen die N S D A P abgelehnt hatte, aus dem Amt und suchte eine Stellung bei der Heeresjustiz. Die Wehrmacht schien damals dem direkten Einfluß der Partei noch weit- gehend entzogen. Dort machte er in kurzer Zeit eine glänzende Karriere: 1935 Kriegsgerichtsrat, 1936 Oberkriegsgerichtsrat, 1937 Ministerialrat, 1938 Reichskriegsgerichtsrat, 1939 Heeresgrup- penrichter, 1941 Gruppenleiter in der Wehr- mach trechtsabteilung, 1942 Chef der Heeres- rechtsabteilung im O K H . Sack hatte offenbar große Gaben, gehörte jedoch nicht zu den üb- lichen »Karrieremachern« und verschloß sich den Entwicklungen außerhalb seines amtlichen Krei- ses nicht. Seine Kontakte zur Bekennenden Kirche werden dazu beigetragen haben.

Von tiefeinschneidender Bedeutung f ü r sein Ver- halten dem Regime gegenüber ist jedoch der Fritsch-Prozeß gewesen. In diesem Zusammen- hang weist Bosch die formalrechtliche Würdigung dieses Prozesses durch Stock (in: Festschrift f ü r Heinrich Lehmann, Berlin 1956, S. 925-937) als ungenügend ab. Sack war damals der eigentliche Leiter der Ermittlungsgruppe, gehörte zu den- jenigen, die von Anfang an den Beschuldigungen gegen Fritsch keinen Glauben schenkten und war nach dem Verfasser der Urheber der be- kannten protokollarischen Äußerung Fritschs und verdient nach ihm in der Reihe der Sach- walter Fritschs an erster Stelle genannt zu wer- den. Zu diesem Schluß des Verfassers haben besonders die Auskünfte des auch zur Ermitt- lungsgruppe gehörenden Kanter beigetragen.

Im Kampf gegen die Gleichschaltung des Hee- res und gegen den Verlust der Unabhängigkeit

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ihrer Justiz versuchte Sack in Konflikt zwischen dem soldatischen Gehorsam und der Verantwor- tung den rechten Weg zu gehen. Dabei forderte er auch das Heer zum Eingreifen auf. »In der klaren Erkenntnis der Schicksalswende des deut- schen Volkes entschied sidi Sack eindeutig f ü r das Recht und damit gegen die Machthaber des Dritten Reiches. Mit dieser Entscheidung trat er zur aktiven Opposition« (S. 50).

Schon zu jener Zeit arbeitete er eng mit Oster und Dohnanyi zusammen wie audi mit Nebe.

Genau wie Halder und Beck lehnte er damals ein Attentat ab und trachtete danach, Hitler mit legalen Mitteln unschädlich zu machen. Ende 1939 lernte er Tresckow kennen und kam in ein enges Verhältnis zu Rundstedt, der ihn jedodi schwer enttäuschen sollte. Wie beschränkt sein Wirkungskreis audi war, Sack tat sein Möglich- stes, um einzugreifen. So schlug er in einem Be- richt an Keitel eine Untersuchung über die in den Predigten Galens erwähnten Vorgänge vor und widersetzte sidi den Begnadigungen der Ju- denmörder. Versuche, Strafsachen Wehrmadit- angehöriger der Wehrmaditsgerichtsbarkeit zu entziehen und politische Straftaten von Sonder- geriditen aburteilen zu lassen, wurden von Sack scharf bekämpft. Vom Verfasser werden mehrere überlieferte Hilfsaktionen erwähnt (ζ. B. f ü r den Feldwebel Schneider, den Generalobersten Ru- dolf Schmidt, den Generalleutnant Theodor Groppe, den Obersten Herbert Seile). Außerdem hatte Sack kraft seiner Persönlichkeit eine große Wirkung auf die ihm unterstellten Richter und manche Geriditsherren. So hat er ζ. B. zusam- men mit Moltke die Bemühungen Kanters unter- stützt, in Dänemark Geiselersdiießungen zu ver- hindern.

Zunächst gehörte Sadc im militärischen Wider- stand zu der Gruppe Oster, nach seiner Er- nennung zum Chef der Heeresreditsabteilung im Allgemeinen Heeresamt hatte er besonders Ver- bindung zu Olbricht und später auch zu S t a u - fenberg. Aus dem Gestapobericht vom 7. 9.1944 über die Vorgänge innerhalb des Widerstandes kurz vor dem 20. Juli geht seine wichtige Posi- tion deutlich hervor. Am frühen Morgen des 9. April wurde Sack zusammen mit Canaris, Oster, Gehre und BonhoefFer im Hof des Lagers Flossenburg erhängt. Mit seiner nüchternen und daher sehr überzeugenden Darstellung hat Bösdi einen wichtigen Beitrag zu der Geschichtsschrei- bung des Widerstandes geliefert. G. van Roon

Jelena Rshewskaja: Hitlers Ende ohne Mythos. Ins Deutsche übertragen von Werner Hantke. Deutscher Militärverlag, Berlin 1967, 100 Seiten.

Lew Besymenski: Der Tod des Adolf H i t - ler. Unbekannte Dokumente aus Moskauer Archiven. Eingeleitet von K a r l - H e i n z Janßen. Christian Wegner Verlag, H a m - burg 1968, 136 Seiten.

Beide Arbeiten berichtigen das Untersuchungs- ergebnis von Trevor-Roper, das bereits Kuby in Frage gestellt hatte: Hitler hat nicht mit der Pistole Selbstmord begangen, sondern sich zu- sammen mit seiner Frau vergiftet. Er verschwand audi nicht »auf unbekannte Weise im Unbekann- ten« (Kuby) und ist nicht »wie Alaridi, der heimlich unter dem Flußbett des Busento begra- ben w u r d e . . . , vor Entdeckung gefeit« (Trevor- Roper), seine Leiche wurde vielmehr von den Sowjets gefunden und einwandfrei identifiziert.

Jelena R. gehörte als Militärdolmetscherin jener Gruppe sowjetischer Soldaten an, die den Auf- trag hatte, Hitler »lebend oder tot« zu finden.

In Form eines Erlebnisberichts, der die Schilde- rungen Boldts, Kollers und Hanna Reitschs an- schaulich ergänzt, skizziert sie die Durchsuchung des Führerbunkers, die Auffindung der Leichen von Goebbels und seiner Familie und schließlich von Hitler und Eva Braun, die Vernehmung der deutschen Zeugen, die Feststellung der Todes- ursache und schließlich die Identifizierung H i t - lers mit Hilfe seines Gebisses. Ein Oberst über- gab es der Verfasserin am 8. Mai 1945 in einem Kästchen unter Verpflichtung auf strengste Ge- heimhaltung, am 9. und 10. Mai wurde es durch eine Assistentin von Hitlers Zahnärzten, später bekanntlich von diesen selbst, mittels Kartei- karten und Röntgenaufnahmen eindeutig be- schrieben. Alle Vernehmungen und Untersuchun- gen wurden protokollarisch festgehalten, aber

»alles, was mit dem Nachweis vom Tode Hiders zusammenhing, wurde streng geheimgehalten«.

Aus welchen Gründen der politische Publizist Besymenski nunmehr die Erlaubnis erhielt, die Dokumente zu veröffentlichen, ist aus seinem Bericht nidit ersichtlich. Seine »Erzählung« ge- winnt an Farbe durch die Einfügung dramati- scher Augenzeugenberichte, wesentlicher für die historische Forschung sind die im Text und als Anhang teils vollständig, teils in Auszügen bei- gegebenen Protokolle von verschiedenen Grup- pen sowjetischer Soldaten über das Auffinden der Leichen - diese Protokolle finden sidi teil- weise auch bei Jelena R.; sie entsprechen sich im

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Inhalt, aber nicht im Wortlaut - sowie der so- wjetischen Ärzteteams über die gerichtsmedizini- schen Untersuchungen der Leichen von Hitler, Eva Braun, Goebbels, dessen Frau, Tochter Helga und Sohn Helmut, des letzten Chefs des Generalstabes des Heeres, Gen. d. Inf. Krebs, dessen Schicksal damit ebenfalls geklärt ist, sowie zweier Hunde. An ihnen waren im »Füh- rerbunker« die Giftampullen ausprobiert wor- den.

B.'s Buch kann, wie Janßen in seiner Einleitung festgestellt hat, trotz gelegentlicher Polemik, zur Verständigung zwischen dem deutschen und dem sowjetischen Volk beitragen. Die unterschiedliche Interpretation verschiedener Dokumente oder die großen Differenzen hinsichtlich einzelner An- gaben, etwa der Zahlen der sowjetischen und der deutschen Truppen im Kampf um Berlin, lassen es allerdings »vorerst unvorstellbar« erscheinen,

»daß westdeutsche und sowjetische Militär- historiker eine gemeinsame, verbindliche Ge- schichte erarbeiten könnten«. Der Gegenstand von B.'s Darstellung unterstreicht die Bedeutung, die in diesem Satz Janßens dem Wort »vorerst«

zukommt, nicht nur im Hinblick auf den Aus- tausch von Dokumenten, der am Anfang stehen müßte und f ü r die Forschung bereits ein großer Gewinn wäre, sondern auch f ü r andere Bereiche, etwa das Verhältnis zwischen Deutschland und den Westmächten, das - wie Janßen zu Recht hervorhebt - für den sowjetischen Betrachter andere Akzente tragen muß als f ü r den deut- schen.

Der Tod Hitlers ist dokumentarisch festgestellt worden. Nicht völlig geklärt wurde, ob Hitler nach der Einnahme der Giftkapsel noch einen Kopfschuß erhalten hat, möglicherweise von sei- nem Fahrer oder seinem Diener, weil man be- obachtet hatte, daß einer der Versuchshunde auf das Gift nicht sofort reagierte. / . F.

Alastair Buchan: Der Krieg in unserer Zeit. Wandlungen und Perspektiven, Politik, Strategie und Technik, Gefahren und Kontrolle (War in Modern Society.

An Introduction). Ο. Beds, München 1968, 228 Seiten.

Werner Hahlweg: Guerilla - Krieg ohne Fronten. W. Kohlhammer, Stuttgart, Ber- lin, Köln, Mainz 1968, 297 Seiten.

Werner Hahlweg: Lehrmeister des Kleinen Krieges, Von Clausewitz bis Mao Tse-tung und Che Guevara. Wehr und Wissen Verlags-GmbH, Darmstadt 1968, 275 Sei- ten ( = Beiträge zur Wehrforschung, Bd 18/19, hrsg. vom Arbeitskreis f ü r Wehr- forschung).

Ho Tschi Minh: Revolution und nationa- ler Befreiungskampf - Reden und Schrif- ten 1920 bis 1968, hrsg. und eingeleitet von Bernard B. Fall, piper paperback, München 1968, 398 Seiten.

Alastair Buchan, britischer Historiker, seit zehn Jahren als erster Direktor des Instituts für Stra- tegische Studien in London tätig, hat es verstan- den, in einem relativ schmalen Band die wich- tigsten Voraussetzungen und Erscheinungsfor- men des »Krieges in unserer Zeit« zu unter- suchen und darzustellen. Im ersten der sechs Kapitel zeigt der Verfasser die »Perspektiven des modernen Krieges«, wobei insbesondere die Rolle der Politik herausgearbeitet wird. Das nicht ideale, aber nötige »Gleichgewicht der Machtmittel« wird seinem Wesen nach deutlich.

Wie schwierig es ist, ein solches Gleichgewicht aufrechtzuerhalten, ist zu einem bedeutenden Teil Untersuchungsgegenstand der folgenden Kapitel. An H a n d von zentralem Gleichgewicht, von Bündnissystemen und ihrer Rolle sowie am Beispiel von Konflikten in den vergangenen zwanzig Jahren wird die »Veränderung des Krieges« in ihren verschiedensten Wesenszügen durch das zweite Kapitel verständlidi gemacht.

Das dritte Kapitel, in dem »Politik, Strategie und Technologie« in ihrer Interdependenz skiz- ziert werden, ist von grundlegender Bedeutung.

In seiner Auffassung von Strategie setzt sich Buchan u. a. mit Clausewitz und Liddell H a r t auseinander, wonach er schließlich weitgehend mit A. Beaufre übereinstimmt. Im ganzen will er nur zwei Formen der »großen Strategie« und drei Formen der »Operations-Strategie« ( = Mi- litärstrategie) unterschieden wissen, die für die heutige Welt von wirklichem Belang sind. Unter den Formen der Operations-Strategie erwähnt er an zweiter Stelle die »Strategie des indirekten Vorgehens« im Sinne von Liddell H a r t und an dritter Stelle - als eine Variante dieser Technik - die von Marx und Engels begründeten, von Lenin weiter durchdachten Kampfformen, die schließlich von Mao Tse-tung zu einer Strategie ausgebaut wurden. »Druckkräfte und Brems- kräfte« sowie »wirkliche und scheinbare Gefah- ren« sind Inhalt der weiteren Kapitel. Zum

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Schluß wird das Problem einer »Kontrolle des Krieges« untersucht.

Gegenüber diesem Gesamtüberblick hat Werner Hahlweg mit seinem Werk »Guerilla - Krieg ohne Fronten« die wissenschaftliche Unter- suchung einer der von Buchan erwähnten For- men moderner Strategie vorgelegt. Die Tatsache, daß der Historiker eine Reihe von exakt er- forschten Kleinkriegen aus verschiedenen Epochen präsentiert, ändert nichts an der Feststellung, daß es sich hier audi um eine äußerst moderne Kampfform handelt, deren Bedeutung lange Zeit unterschätzt oder »heruntergespielt« wurde.

Bei dem in neun Kapiteln gegliederten Werk sind die am Schluß der Kapitel II bis I X an- gebrachten Resümees besonders verdienstvoll.

Hahlweg spannt nach Skizzierung des Klein- krieges von den Anfängen bis ins 18. Jahrhun- dert den Bogen vom Zeitalter des amerikani- schen Unabhängigkeitskrieges und der Fran- zösischen Revolution über den Kleinkrieg im 19. Jahrhundert, über Marx - Engels - Pariser Kommune-Lenin, über den Ersten und Zweiten Weltkrieg zur Guerilla unserer Zeit, der die Kapitel VII bis I X gewidmet sind. Mao Tse- tung, Lin Piao, »Chi« Guevara usw. werden eingehend behandelt. Doch auch die amerikani- schen Anstrengungen, eine »Antiguerilla«- Kampffonm zu entwickeln und Erfahrungen auszuwerten, finden eine sachkundige Würdi- gung. Mit den angefügten Folgerungen und Aus- blicken geht der Historiker über seinen Bereich hinaus und tritt in den des Politologen ein. Viel- leicht hätten sich hier noch zusätzliche Aspekte, etwa solche der Ideologie, der Psychologie, der Soziologie usw. behandeln lassen. Im ganzen schließt dieses Werk, dessen ausführlicher Ap- parat besondere Erwähnung verdient, eine Lücke in der militärischen, aber auch in der politolo- gischen Literatur.

Das andere Buch Hahlwegs, in dem die »Lehr- meister des Kleinen Krieges von Clausewitz bis Mao Tse-tung und C h i Guevara« behandelt werden, darf als Ergänzung zum oben angezeig- ten Werk betrachtet werden. Hier kommen sie selbst in Auszügen aus ihren Schriften zu Wort:

Clausewitz, Engels, Lenin, Lawrence, Mao Tse- tun, Tru'6'ng-Chinh, (Chi) Guevara, Vo Nguyen Giap, Lin Piao, Rigis Debray. Andererseits wer- den Auszüge aus dem Lehrmaterial der US- Army Special Warfare School Fort Bragg, North Carolina, veröffentlicht, die nicht allgemein zu- gänglich sind. Schade, daß ein Historiker wie Hahlweg in seiner Einleitung von einer »im Grunde hier fachfremden sogenannten Polito- logie« spricht, in deren Bereich dieses Buch doch

eigentlich eher gehört als in den der reinen Historiographie.

Das letzte Werk läßt sich nur zum Teil unter den Oberbegriff »Aspekte moderner Strategie«

einordnen. Diese Auswahl von Reden und Schriften Ho Tschi Mirths vermittelt jedoch einen ausgezeichneten Eindruck von der Entwicklung dieses bedeutenden Mannes zum Revolutionär und Volksführer, vor allem aber von dem engen inneren Zusammenhang zwischen dem nationa- len Freiheitskampf unterdrückter Kolonialvölker und der kommunistischen Ideologie. Somit ist dieses Werk als wichtige Voraussetzung dafür anzusehen, den Sinn der modernen Guerilla aus ihren ideologischen, psychologischen und sozio- logischen Quellen zu verstehen. Erst aus diesem Verständnis heraus läßt sich auch ein Zugang zu bestimmten Problemen moderner Strategie fin- den. R. Elble

Max Gunzenhäuser: Geschichte des ge- heimen Nachrichtendienstes (Spionage, Sabotage und Abwehr). Literaturbericht und Bibliographie [M. e. Vorw. v. J. Roh- wer]. Bernard 8c Graefe, Frankfurt a. M.

1968. VIII, 434 Seiten ( = Schriften der Bibliothek für Zeitgeschichte. Weltkriegs- bücherei Stuttgart. Neue Folge der Biblio- graphien der Weltkriegsbücherei. H . 7).

Das Werk ist in Literaturbericht (3-85) und Bibliographie (93-404) aufgeteilt. Der Litera- turbericht lehnt sich in seiner Gliederung eng an diejenige der Bibliographie an, wobei ihm eine allgemeine Einführung (Spionage und ihre Be- deutung; Stand ihrer bibliographischen Bearbei- tung; Aufbau und Umfang der Bibliographie) vorangestellt ist. Die Bibliographie ist in drei Teile (Α, Β und C) mit zahlreichen Gruppen und Untergruppen übersichtlich gegliedert:

A: Allgemeine Werke, B: Länderteil, C: Historischer Teil.

Innerhalb der Teile Β und C herrscht außer- dem ein gleichbleibendes Schema; hier erfolgte auch in einzelnen Fällen aus Gründen der Voll- ständigkeit eine doppelte Titelaufführung. Das Hauptgewicht der Bibliographie liegt auf der Geschichte der Spionage im 20. Jahrhundert. So ist Teil C mit etwa 2300 (von insgesamt 4000) Titeln der umfangreichste (Teil Α zählt 870, der Länderteil Β 830 Titel).

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