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REGULIERUNG DER PROXY ADVISORS IM ZUGE DER AKTUELLEN

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EF 8/18 S. 644

Autor Patricia Andrea Neuhaus

Titel REGULIERUNG DER PROXY ADVISORS IM

ZUGE DER AKTUELLEN AKTIENRECHTSREVISION ?

Seiten 644-648

Publikation Expert Focus

Herausgeber EXPERTsuisse

ISSN 0036-746X

Verlag EXPERTsuisse

EF 8/18 S. 644

PATRICIA ANDREA NEUHAUS, BLAW, UNIVERSITÄT ZÜRICH, ZÜRICH

REGULIERUNG DER PROXY ADVISORS IM ZUGE DER AKTUELLEN

AKTIENRECHTSREVISION ?

Plädoyer für eine verhältnismässige Regulierung der Stimmrechtsberater ausserhalb des Aktienrechts

Der Gesetzgeber strebt mit der Aktienrechtsrevision den Ausbau des Aktionärsschutzes und die Verbesserung der Corporate Governance an. Die Stimmrechtsberater – einerseits als Hüter der Good Corporate Governance bezeichnet, andererseits als potenzielle Verursacher verfälschter Willensbildung gebrandmarkt – werden dabei ausgeklammert. Ist dieser Verzicht auf eine Regulierung gerechtfertigt?

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1. EINLEITUNG UND FRAGESTELLUNG

Proxy Advisors1 werden einerseits als «echtes Problem»2 dargestellt, andererseits als die Hüter der «Good Corporate Governance». Der Markt bewegt sich in einem Spannungsverhältnis. Ein Faktum ist, dass die Stimmrechtsberatungsindustrie in den letzten Jahren rasant gewachsen ist und heute eine wichtige, mitunter dominante Rolle beim Stimmverhalten von Aktionären kotierter Gesellschaften spielt3. Auslöser dieses Trends war in erster Linie die Veränderung der Aktionärsstrukturen kotierter Gesellschaften, wo heute institutionelle Investoren dominant sind4. Von den lokalen institutionellen Investoren wird erwartet, dass sie ihre Stimmrechte wahrnehmen5. Für Pensionskassen sieht Art. 95 Abs. 3 lit. a der Bundesverfassung (BV) vor, dass sie im Interesse ihrer Versicherten abstimmen, und Art. 22 Abs. 1 der Verordnung gegen übermässige Vergütung bei börsenkotierten Aktiengesellschaften (VegüV) bestimmt, dass die Pensionskassen bei bestimmten wichtigen Traktanden einem direkten Stimmzwang unterliegen. Die Globalisierung des Marktes ist eine weitere Ursache für das Wachstum der Branche6. Daraus folgt ein verstärktes Vordringen ausländischer Investoren, denen die Kenntnisse über den ihnen fremden Markt fehlen und die Gepflogenheiten ihrer Heimmärkte auch hier in der Schweiz erwarten oder ganz generell ein Benchmarking gegenüber Standards der Weltmärkte vornehmen7.

Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob sich eine Regulierung der Stimmrechtsberater aufdrängt und wenn ja, ob die Aktienrechtsrevision die Gelegenheit dazu wäre.

2. KRITIK UND PROBLEMATIKEN

Der Ruf nach Regulierung der Proxy Advisors folgt auf ihre zunehmende Bedeutung und die damit verbundene Kritik. Diese Kritik umfasst ein breites Spektrum, etwa Stimmmacht ohne Tragung eines Risikos, unzureichende Kommunikation zwischen den Proxy Advisors und den Emittenten sowie mangelhafte Stimmempfehlungsberichte, intransparente Arbeitsmethoden und potenzielle

1 In diesem Aufsatz werden die Begriffe Proxy Advisor(s), Stimmrechtsberater und Berater synonym verwendet.

2 Vgl. Forstmoser/Häusermann, «Stimmrechtsberater sind ein Problem», Streitgespräch, Plädoyer 2012, S. 8: Forstmoser bezeichnete bereits 2012 die Proxy Advisors als «ein viel grösseres Problem [als der Bestand der Dispoaktien]».

3 Gustinetti-Henz, Die Rolle und Rechtsstellung von Stimmrechtsberatungsunternehmen (Proxy Advisors) im schweizerischen Recht, unter besonderer Berücksichtigung der Regulierungsfrage, Rz. 38.

4 Belinfanti, The Proxy Advisory and Corporate Governance Industry: The Case for Increased Oversight and Control, S. 393.

5 Zum Ganzen: Hubacher, Gewerbsmässige Stimmrechtsvertretung und -beratung bei Aktiengesellschaften, Vertrags-, aktien- und börsenrechtliche sowie regulatorische Aspekte, Rz.

73.

6 Hitz/Lehmann, Does proxy voting advisory matter in a European context? – Empirical evidence from German annual general meetings, S. 5 f.

7 Vgl. Vogt, Vernehmlassung zur Teilrevision der Richtlinie betreffend Informationen zur Corporate Governance von SIX Swiss Exchange, S. 2 f., https://www.six-exchange- regulation.com/dam/downloads/publication/consultations/2014-04-17-revision-directive- corporate-governance/2017/2017-06-02-vogt.pdf; 82,2% der 30 grössten an der Schweizer Börse kotierten Aktien sind in ausländischem Besitz: Rasch, Wem gehört der Schweizer Aktienmarkt, NZZ vom 21. 8. 2015.

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Interessenkonflikte8. Eine staatliche Regulierung sollte gemäss den Kritikern Ordnung und Klarheit schaffen9. Während in der EU die Stimmrechtsberater in Zukunft einer direkten staatlichen Regulierung unterworfen werden, sind in der Schweiz noch keine konkreten regulatorischen Entwicklungen im Gang.

3. EUROPÄISCHE REGULIERUNGSTENDENZEN

Ursprünglich waren die Stimmrechtsberater in keinem Staat einer direkten Regulierung unterstellt, sondern lediglich indirekt oder über Selbstregulierungsmassnahmen erfasst.

Bisher sprachen insbesondere drei Gründe gegen eine Regulierung: die internationale Ablehnung gegen eine staatliche Regulierung, die Komplexität der Materie und die Schwierigkeiten in der Umsetzung einer wirkungsvollen Regulierung10.

Im Jahr 2017 kam es in der EU jedoch zum Wendepunkt – weg von der Selbstregulierung, hin zu einer staatlichen Regulierung.

Die Europäische Kommission veröffentlichte bereits im April 2014 einen Vorschlag zur Änderung der Richtlinie 2007/36/EG. Die revidierte Richtlinie soll u. a. dazu dienen, die Transparenz im Prozess der Stimmrechtsberatung zu verbessern. Um dieses Ziel zu verwirklichen, müssen die Stimmrechtsberater während mindestens dreier Jahre auf

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ihrer Homepage veröffentlichen, welche Methoden und Modelle sie anwenden, welches ihre Hauptinformationsquellen sind und ob bzw. wie sie die regionalen Gegebenheiten einzelner Märkte berücksichtigen.

4. AKTUELLE SITUATION IN DER SCHWEIZ?

Im Zuge der Aktienrechtrevision wurde eine direkte staatliche Regulierung der Stimmrechtsberatung erwogen, schliesslich jedoch verworfen. So wird in der Botschaft 2016 zwar auf die diesbezügliche Änderung im EU-Recht Bezug genommen11, der Bundesrat kam jedoch zum Schluss, dass ein Handlungsbedarf des Gesetzgebers nicht erkennbar sei. Er argumentiert, dass ein Regulierungsbedarf allenfalls dann zu bejahen wäre, wenn die Stimmrechtsberater die Beschlussfassung der Generalversammlung (GV) in einer Art und Weise beeinflussen würden, welche die unverfälschte Willenskundgabe der Aktionäre gefährden würde. Der Bundesrat bleibt dann aber eine Erklärung schuldig, weshalb eine solche Gefährdung nicht zu erkennen sei, und appelliert stattdessen an die Selbstverantwortung der Investoren. Diese sollen nicht ohne sachliche Gründe den Empfehlungen der Proxy Advisors folgen12.

8 Bertschinger, Proxy Advisors – Fluch oder Segen in der Corporate Governance, SZW 2015, S.

507 f.; Reutter, Regulierung und Haftung von Proxy Advisors, Kapitalmarkt – Recht und Transaktionen XI, S. 244 ff.; European Securities and Markets Authority, Final Report, Feedback statement on the consultation regarding the role of the proxy advisory industry, Rz. 36.

9 Belinfanti, The Proxy Advisory and Corporate Governance Industry: The Case for Increased Oversight and Control, S. 406; Gericke, Von der Fremdbestimmung der Beschlussfassung durch Vermögensverwalter und Stimmrechtsberater, Entwicklungen im Gesellschaftsrecht, S. 90.

10 Hubacher, Gewerbsmässige Stimmrechtsvertretung und -beratung bei Aktiengesellschaften, Vertrags-, aktien- und börsenrechtliche sowie regulatorische Aspekte, Rz. 635.

11 Vgl. Botschaft zur Änderung des Obligationenrechts (Aktienrecht) vom 23. November 2016, S.

471 ff.

12 Vgl. Botschaft zur Änderung des Obligationenrechts (Aktienrecht) vom 23. November 2016, S.

472 f.

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Ob die unverfälschte Willenskundgabe13 jedoch tatsächlich nicht gefährdet ist, wird in der Folge noch weiter analysiert.

Sistiert wurde auch das Projekt der SIX Exchange Regulation, welche eine neue Bestimmung ihrer Corporate-Governance-Richtlinie vorsah. Damit wären die kotierten Gesellschaften verpflichtet worden, die Namen der Proxy Advisors zu veröffentlichen, welche sie mit anderen Dienstleistungen als der Stimmempfehlung betraut haben.

Insbesondere aufgrund des Drucks der Banken wurde auf diese Revision schliesslich verzichtet. Die Banken argumentierten, das Problem sei bei den Stimmrechtsberatern selbst und nicht bei den Emittenten anzugehen14.

4.1 Vereinbarkeit der Proxy-Advisory-Industrie mit den Zielen der Aktienrechtsrevision. Der Bundesrat nennt in der Botschaft 2016 als zentrale Ziele der Aktienrechtsrevision u. a. die Stärkung der Aktionärsrechte, die Verbesserung der Corporate Governance sowie die Gewährleistung der grösstmöglichen Flexibilität für die Gesellschaften15. Die Stärkung der Aktionärsrechte und Verbesserung der Corporate Governance verlangt nach einer Erweiterung der Kompetenzen der GV sowie der Informationsrechte der Aktionäre. Insbesondere Letzteres dient der unverfälschten Willensbildung durch die Aktionäre16.

Vor dem Hintergrund dieser Zielsetzungen sind folgende Kritikpunkte an der Arbeit der Proxy Advisors von besonderem Interesse: die angebliche Mangelhaftigkeit der Stimmempfehlungsberichte, die fehlende Transparenz bei der Ausarbeitung der Empfehlungsberichte sowie die potenziellen Interessenkonflikte.

Analysen über die Vorgehensweise der Erstellung von Stimmempfehlungsberichten lassen erkennen, dass die Kritik an der Mangelhaftigkeit der Berichte teilweise berechtigt ist: Aufgrund des Zeit- und Kostendrucks, welchem die Berater ausgesetzt sind, besteht das Risiko lediglich oberflächlicher und unvollständig ausgeführter Arbeiten17, welche überdies den lokalen Gegebenheiten zu wenig Rechnung tragen.

Hinzu kommt, dass die GV zeitlich sehr konzentriert stattfinden und die Berater während kurzer Zeit einer intensiven Arbeitslast ausgesetzt sind, welche sie kaum bewältigen können18.

In diesem Zusammenhang ist auch der Vorwurf des standardisierten Vorgehens mittels Checklisten zu sehen. Den Beratern spart das Zeit, den individuellen Gegebenheiten wird es aber nicht gerecht19.

Für die institutionellen Investoren und die Emittenten ist es schwierig, die Richtigkeit der den Stimmempfehlungsberichten zugrunde liegenden Informationen nachzuprüfen, da die Stimmrechtsberater wesentliche Schritte ihres Arbeitsprozesses nicht

13 Wobei sich hier die Frage stellt, ob der Bundesrat nicht eher die unverfälschte Willensbildung anstatt Willenskundgabe meinte.

14 https://www.nzz.ch/wirtschaft/boersenaufsicht-krebst-bei-transparenzregeln-zurueck-ld.1322242.

15 Botschaft zur Änderung des Obligationenrechts (Aktienrecht) vom 23. November 2016, S. 401 f.

16 Zum Ganzen: Vogt, Aktionärsdemokratie – Über die Möglichkeiten und Grenzen der Verwirklichung eines politischen Leitbildes im Aktienrecht, mit besonderer Berücksichtigung der Revision des schweizerischen Aktienrechts, S. 143.

17 Gustinetti-Henz, Die Rolle und Rechtsstellung von Stimmrechtsberatungsunternehmen (Proxy Advisors) im schweizerischen Recht, unter besonderer Berücksichtigung der Regulierungsfrage, Rz. 322.

18 Zum Ganzen: Gustinetti-Henz, Die Rolle und Rechtsstellung von Stimmrechtsberatungsunternehmen (Proxy Advisors) im schweizerischen Recht, unter besonderer Berücksichtigung der Regulierungsfrage, Rz. 322 ff.

19 Zum Ganzen: Böckli, Proxy Advisors: Risikolose Stimmenmacht mit Checklisten, SZW 2015, S.

216.

20 European Securities and Markets Authority, Discussion Paper, An overview of the proxy advisory industry. Consinderations on possible policy options, Rz. 83.

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offenlegen20. Publiziert sind normalerweise nur die abstrakten Richtlinien, an denen sich die Stimmrechtsberater bei ihren Analysen orientieren21.

Die Arbeitsweise der Proxy Advisors lässt somit – trotz gegenteiliger Ansicht des Bundesrats – Zweifel darüber aufkommen, ob die unverfälschte Willensbildung – ein dem Aktienrecht grundlegendes Prinzip – gewahrt ist. Die unverfälschte Willensbildung ist gefährdet, wenn der Aktionär über allfällige Interessenkonflikte des Beraters nicht informiert wird. Der Aktionär hätte die Ergebnisse und Analysen allenfalls anders interpretiert bzw. nicht befolgt, wenn er Kenntnis von potenziellen Konflikten gehabt hätte22. Dass gerade der weltweit grösste Anbieter ISS eine solche Doppelrolle (Berater für die Emittenten und Proxy Advisor für die institutionellen Investoren) ausübt23, scheint im Hinblick auf die unverfälschte Willensbildung und die Sicherstellung einer von Interessenkonflikten freien Entscheidung bedenklich.

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Dass der Bundesrat dieses Risiko der verfälschten Willensbildung so tief gewichtet und allein auf die Selbstverantwortung der Involvierten verweist, erscheint widersprüchlich. Die Nichtoffenlegung der Arbeitsweise, Mängel in den Stimmempfehlungsberichten und potenzielle Interessenkonflikte schwächen die Stellung der Aktionäre und können die Entscheidfindung der Aktionäre beeinflussen.

In diesem Sinne gäbe es durchaus Argumente, die Regulierung der Proxy Advisors in die laufende Aktienrechtsrevision mit Blick auf die Stärkung der Aktionärsrechte aufzunehmen.

Dem kann teilweise entgegnet werden, dass Stimmrechtsberater bereits heute auch positive Auswirkungen auf die Stellung der Aktionäre und Corporate Governance haben. Erwähnt seien die Senkung der Kosten durch Auslagerung des Analyse- und Informationsbeschaffungsprozesses an die Berater, oder aber auch die Bedeutung der Proxy Advisors im Rahmen der «Checks & Balances»-Diskussion. Stimmrechtsberater können ein gewisses Gegengewicht zum Verwaltungsrat und zum Management herstellen und einem ansonsten relativ machtlosen und zersplitterten Aktionariat zu mehr Einheit verhelfen24. Solche Aspekte relativieren den Bedarf nach zusätzlicher Regulierung bzw. müssen im Hinblick auf die Einhaltung des Verhältnismässigkeitsprinzips berücksichtigt werden.

4.2 Regulierung als mögliches Handlungsinstrument. In unserem Rechtssystem sind Regulierungsmassnahmen nur gerechtfertigt, wenn tatsächlich ein gewichtiges Problem vorliegt, für welches die Rechtsordnung noch keine Lösung bereithält25 und der freie Markt kein befriedigendes Gleichgewicht herzustellen vermag. Es muss deshalb geklärt werden, ob das Recht überhaupt das geeignete Mittel ist, um allfällige Missstände zu beheben, und ob der Erlass von einschränkenden Normen zudem verhältnismässig ist.

4.2.1 Haftungsrechtliche Grundlagen als Argument gegen eine direkte Regulierung.

Als Argument gegen die direkte staatliche Regulierung von Stimmrechtsberatern wird gelegentlich vorgebracht, der Stimmrechtsberater hafte bereits aus Auftragsrecht gemäss Art. 398 Abs. 2 OR, wenn der Stimmempfehlungsbericht nicht sorgfältig erstellt sei. Aufgrund dieses Disziplinierungsmechanismus sei es nicht notwendig, eine

21 Volonté/Zaby, Stimmrechtsberatung – Eine kritische Betrachtung, ST 2013/8, S. 503.

22 Vgl. Hubacher, Gewerbsmässige Stimmrechtsvertretung und -beratung bei Aktiengesellschaften, Vertrags-, aktien- und börsenrechtliche sowie regulatorische Aspekte Rz. 504.

23 Vgl. Li, Outsourcing Corporate Governance: Conflicts of Interest within the Proxy Advisory Industry, S. 1.

24 Tagouo, L’influence des agences de vote sur les assemblèes gènèrales des sociétés cotées: Quo vadis, AJP 2015, S. 1131.

25 Hubacher, Gewerbsmässige Stimmrechtsvertretung und -beratung bei Aktiengesellschaften, Vertrags-, aktien- und börsenrechtliche sowie regulatorische Aspekte, Rz. 475.

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zusätzliche aktienrechtliche Regulierung zu implementieren26. M. E. ist aber fraglich, ob die auftragsrechtlichen Bestimmungen genügen, um dem Problem von qualitativ mangelhaften Berichten entgegenzuwirken. Die Bestimmung des konkreten Schadens sowie der Nachweis des Kausalzusammenhanges zwischen dem Empfehlungsbericht und dem Schaden des Investors bereiten Probleme. Stimmt der Investor an der GV in einer Weise ab, die nicht im Unternehmensinteresse liegt, stellt sich die Frage, ob erst ein Vermögensschaden beim Investor eingetreten ist, wenn auch die übrigen Aktionäre in dieser (falschen) Weise stimmen, oder ob unabhängig vom Ausgang der Abstimmung (Annahme oder Ablehnung des Antrags) eine Verminderung des Börsenwerts der Aktien und somit ein Schaden beim Aktionär eintritt. Dies weil z. B.

die Reputation der Gesellschaft bei tieferen Zustimmungsquoten leidet und deshalb der Aktienkurs sinkt27.

Die vertraglichen Ansprüche aus Auftragsrecht lösen auch das Problem zwischen Stimmrechtsberater und Emittent nicht, falls Letzterer aufgrund einer negativen und fehlerhaften Abstimmungsempfehlung einen Reputationsschaden erleidet.

Im Verhältnis Stimmrechtsberater und Emittent greift nur die ausservertragliche Haftungsgrundlage gemäss Art. 41 OR. Hier stellt sich aber dieselbe Problematik wie bei der Haftung aus Auftragsrecht: Der Nachweis des Schadens und der Kausalität ist schwierig. Zudem liegt es am Emittenten, die Widerrechtlichkeit zu beweisen, was ihm aber i. d. R. nicht gelingen wird, da ein Vermögensschaden allein keine Schädigung eines absoluten Rechtsguts ist und auch keine Schutznorm besteht, welche den Emittenten vor fehlerhaften Stimmempfehlungsberichten schützen würde28.

Daraus folgt, dass weder die auftragsrechtlichen Haftungsregeln noch die ausservertragliche Haftungsgrundlage ein taugliches Argument gegen eine staatliche Regulierung von Stimmrechtsberatern darstellen.

4.2.2 Umsetzungs- und Durchsetzungsschwierigkeiten als mögliches Argument gegen eine direkte Regulierung. Eine Regulierung muss, um dem Erfordernis der Verhältnismässigkeit zu genügen, geeignet sein, den verfolgten Zweck, der im öffentlichen Interesse liegt, auch tatsächlich zu verwirklichen29.

Die Hauptproblematik liegt in der Durchsetzung einer Regulierung allen Beratern gegenüber. Anders als in der EU, wo sämtliche mächtigen Stimmrechtsberater eine Zweigniederlassung haben, an welche eine rechtliche Unterstellung anknüpft, haben gewisse ausländische Berater keinen direkten Anknüpfungspunkt in der Schweiz30. Eine Regulie-

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rung im Mutterland führt somit u. U. zur ungleichen Behandlung von einheimischen Beratern gegenüber ausländischen31.

26 Zum Ganzen: Hubacher, Gewerbsmässige Stimmrechtsvertretung und -beratung bei Aktiengesellschaften, Vertrags-, aktien- und börsenrechtliche sowie regulatorische Aspekte, Rz.

524 ff; Vgl. ferner die Stellungnahme der Bank Vontobel AG zur in der Zwischenzeit sistieren Teilrevision der SIX-Richtlinie betreffend Informationen zur Corporate Governance, https://www.six-exchange-regulation.com/dam/downloads/publication/consultations/2014-04-17- revision-directive-corporate-governance/2017/2017-06-02-bank-vontobel.pdf.

27 Zum Ganzen: Rioult, Regulierung von Stimmrechtsberatern, AJP 2014, S. 1188.

28 Zum Ganzen: Rioult, Regulierung von Stimmrechtsberatern, AJP 2014, S. 1188.

29 Zum Ganzen: Gustinetti-Henz, Die Rolle und Rechtsstellung von Stimmrechtsberatungsunternehmen (Proxy Advisors) im schweizerischen Recht, unter besonderer Berücksichtigung der Regulierungsfrage, Rz. 628 f.

30 Auch der Bundesrat nannte die Schwierigkeit der Durchsetzung von nationalem Recht als ein Argument gegen die Regulierung: Vgl. Botschaft zur Änderung des Obligationenrechts (Aktienrecht) vom 23. November 2016, S. 473.

31 Hofstetter, Corporate Governance in der Schweiz, Bericht im Zusammenhang mit den Arbeiten der Expertengruppe «Corporate Governance», S. 6.

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Um ein sogenanntes Level Playing Field herzustellen, müsste die Regulierung sowohl die heimischen als auch die im Ausland ansässigen Stimmrechtsberater erfassen. Das Territorialitätsprinzip steht aber in einem gewissen Widerspruch zu einer direkten Unterstellung ausländischer Anbieter unter schweizerisches Recht, welche in der Schweiz keinen qualifizierten Anknüpfungspunkt aufweisen32. Nach der völkerrechtlichen Doktrin soll eine extraterritoriale Wirkung jedoch zulässig sein, sofern ein genügender und überwiegender Anknüpfungspunkt vorliegt und der regelnde Staat ein erhebliches Interesse an der Regulierung hat33. Feste Regeln, wann der Bezug genügend hergestellt ist, bestehen aber nicht, sondern werden situationsbezogen unterschiedlich gewertet34.

Umstritten ist insbesondere die Tragweite des sogenannten Auswirkungsprinzips, welches sich auf die Konsequenzen von Verhalten im Ausland auf einheimische Märkte bezieht. Es handelt sich hierbei um Verhalten, die einen inländischen Regelungszweck berühren und eine territorial geschlossene Ordnung stören35. Das Bundesgericht anerkennt die Anwendung des Auswirkungsprinzips, wenn sich die Sachverhalte «in einem ausreichenden Mass auf dem Territorium der Schweiz auswirken»36. Folgt man der Ansicht Reutters, so vermag das Auswirkungsprinzip zwar im Bereich der Beeinträchtigung des Wettbewerbs völkerrechtlich anerkannt genug sein, um eine nationale Gesetzgebung zu rechtfertigen, im Bereich der Stimmrechtsberatung hingegen nicht37.

Verfolgt man die Entwicklungen im Finanzmarktrecht, so zeigt sich aber ein Trend in Richtung Ausdehnung des Auswirkungsprinzips. Anleger- und Marktschutz gewinnen an Bedeutung38. M. E. könnte dieser Trend auch die Stimmrechtsberatung umfassen.

Zwar gilt die Stimmrechtsberatung gemäss Entwurf des Finanzdienstleistungsgesetzes (E-FIDLEG) nicht als eine der Finanzmarktaufsicht (Finma) unterstellte Finanzdienstleistung39. Parallelen der Stimmrechtsberatung zu Finanzdienstleistungen wie z. B. der Vermögensverwaltung und der Anlageempfehlung sind aber vorhanden.

Im einen wie im anderen Fall sind der heimische Börsenmarkt, die Interessen der Shareholder, der Stakeholder und schliesslich der Volkswirtschaft als Ganzes wesentlich von der Dienstleistung betroffen40. Während unter geltendem Recht Finanzdienstleister, die in der Schweiz kein Personal beschäftigen, grundsätzlich ohne regulatorische Einschränkungen ihre Dienstleistungen anbieten können, unterstehen diese neu gemäss Art. 3 lit. d E-FIDLEG einer Bewilligungspflicht.

32 Zum Ganzen: Reutter, Regulierung und Haftung von Proxy Advisors, Kapitalmarkt – Recht und Transaktionen XI, S. 265.

33 Bär, Extraterritoriale Wirkung von Gesetzen, S. 14.

34 Merkli, XII. Treffen der obersten Verwaltungsgerichtshöfe Österreichs, Deutschlands, des Fürstentums Liechtenstein und der Schweiz, Landesbericht der Schweiz, Internationales Verwaltungsrecht: Das Territorialitätsprinzip und seine Ausnahmen, S. 20.

35 Zum Ganzen: Merkli, XII. Treffen der obersten Verwaltungsgerichtshöfe Österreichs, Deutschlands, des Fürstentums Liechtenstein und der Schweiz, Landesbericht der Schweiz, Internationales Verwaltungsrecht: Das Territorialitätsprinzip und seine Ausnahmen, S. 7 f.

36 BGE 133 II 331 E. 6.1.

37 Reutter, Regulierung und Haftung von Proxy Advisors, Kapitalmarkt – Recht und Transaktionen XI, S. 265.

38 Zum Ganzen: Merkli, XII. Treffen der obersten Verwaltungsgerichtshöfe Österreichs, Deutschlands, des Fürstentums Liechtenstein und der Schweiz, Landesbericht der Schweiz, Internationales Verwaltungsrecht: Das Territorialitätsprinzip und seine Ausnahmen, S. 13.

39 Reutter, Regulierung und Haftung von Proxy Advisors, Kapitalmarkt – Recht und Transaktionen XI, S. 266; a. M. Wohlmann/Gerber, Der Dialog der Aktiengesellschaft mit den Stimmrechtsberatern, SZW 2014, S. 295.

40 Wohlmann/Gerber, Der Dialog der Aktiengesellschaft mit den Stimmrechtsberatern, SZW 2104, S. 296.

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In der Vergangenheit wurde gegen eine staatliche Regulierung der Stimmrechtsberater zudem ins Feld geführt, dass ein schweizerischer Alleingang nicht zielführend sei41. Davon kann aber in Anbetracht der aktuellen Entwicklungen im Ausland nicht mehr die Rede sein.

Anhand der erläuterten Gegebenheiten respektive der zunehmenden Ausdehnung des Auswirkungsprinzips im Finanzmarktrecht sowie des Erlasses der EU-Richtlinie 2017/828 zeigt sich ein Wertewandel. Offensichtlich findet in Sachbereichen, die systembedingt einen grenzüberschreitenden Bezug aufweisen, eine gewisse Abkehr vom starren Territorialitätsprinzip statt. Gleichzeitig zeigt die Rechtsentwicklung in der EU, dass sich die Auffassung wandelt, die Stimmrechtsberatung der Selbstregulierung zu überlassen. In dem Sinne relativiert auch Reutter seine Aussage und führt aus, dass

«erst wenn die EU oder die USA tätig würden, [...] auch hierzulande eine Regulierung realistisch [erschiene]»42.

4.3 Das Aktienrecht als geeignetes Gesetz? Schliesslich stellt sich aber die Frage, ob das OR der richtige Ort ist, um die Stimmrechtsberater zu regulieren. Bei den Stimmrechtsberatern handelt es sich offensichtlich nicht um ein Organ der Aktiengesellschaft, weshalb eine Regelung im OR zweifelhaft erscheint. Vorzuziehen wäre eine spezialgesetzliche Regulierung, welche im Zuge der Revision parallel ausgearbeitet und auf die angestrebten Ziele und Verbesserungen der Aktienrechtsrevision abgestimmt ist.

Zu denken ist dabei an aufsichtsrechtliche Regelungen. Ähnlich wie die Rating- Agenturen könnten die Stimmrechtsberater einer Anerkennungspflicht der Finma unterworfen werden. Die Stimmrechtsberater würden damit gemäss Art. 3 lit. a FinmaG der Aufsicht der Finma unterstehen. Um inländische Stimmrechtsberater gegenüber ausländischen nicht zu benachteiligen, würde die Anerkennungspflicht auch für Letztere gelten bzw. könnte – ebenfalls analog der Rating-Agenturen – von einer Anerkennung abgesehen werden, sofern sie in ihrem eigenen Sitzstaat einer ausreichenden Regulierung unterstellt sind. Vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklungen in der EU können damit sämtliche Anbieter erfasst werden, ohne dass es zu aufwendigen und kostenintensiven Anerkennungsverfahren ausländischer Stimmrechtsberater kommt.

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5. FAZIT

Einerseits gilt, dass die Stimmrechtsberater bereits heute positive Wirkungen entfalten, die im Einklang mit den Zielen der Aktienrechtsrevision stehen. Sie stärken die Stellung der Aktionäre und verbessern die Corporate Governance. Andererseits zeigen sich aber auch gravierende Unvereinbarkeiten. Die fehlende Transparenz bei der Ausarbeitung der Stimmempfehlungsberichte, deren teilweise mangelhafte Qualität und die potenziellen Interessenkonflikte laufen dem Ziel, den Aktionärsschutz weiter zu stärken und die Corporate Governance zu verbessern, entscheidend entgegen. Die Aktienrechtsrevision scheint somit in sich inkonsistent, wenn die zunehmende Bedeutung der Stimmrechtsberatung und die damit zusammenhängenden potenziellen Konflikte zwar angetönt, aber letztlich ausgeklammert werden. Insbesondere kann der bundesrätlichen, nicht weiter begründeten Auffassung, dass die unverfälschte Willenskundgabe durch den Beizug von Proxy Advisors nicht gefährdet sei, nicht beigestimmt werden.

41 Reutter, Regulierung und Haftung von Proxy Advisors, Kapitalmarkt – Recht und Transaktionen XI, S. 267.

42 Reutter, Regulierung und Haftung von Proxy Advisors, Kapitalmarkt – Recht und Transaktionen XI, S. 267.

(9)

Aus dieser Analyse ergibt sich ein Bedarf für eine verhältnismässige Regulierung der Stimmrechtsberatung. Die Rechtsentwicklung in der EU, die im Finanzmarktrecht zu beobachtende Ausdehnung des Auswirkungsprinzips und das Fehlen adäquater haftungsrechtlicher Normen im geltenden Recht stützen diese Aussage.

Wünschenswert wäre eine aufsichtsrechtliche Regelung, welche parallel zur laufenden Aktienrechtsrevision ausgearbeitet würde. Damit könnte für die Zukunft sichergestellt werden, dass potenzielle Interessenkonflikte offengelegt würden und die angebotenen Dienstleistungen im Einklang mit dem Reformziel einer verbesserten Corporate Governance und verstärktem Schutz des Aktionariats erfolgen.

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