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Pflicht zum Verzicht

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IP Mai 2007 Internationale Politik 89

Gerhard Mangott und Martin Senn | Was kann die internationale Staatengemein- schaft tun, um die nukleare Aufrüstung autoritärer oder totalitärer Regime zu verhindern? Die Beispiele Nordkorea und Iran zeigen deutlich: Sinnvol- ler als ein militärisches Eingreifen ist die Förderung eines längerfristigen, evolutionären Regimewechsels.

Staatlich verordnete oder geduldete massive Verletzungen der Menschen- rechte der eigenen Bürger durch Völ- kermord, Kriegsverbrechen oder Ver- brechen gegen die Menschlichkeit kön- nen die internationale Sicherheit be- drohen. Diese Ansicht hat sich in der internationalen Debatte seit mehr als einem Jahrzehnt etabliert, wenn auch selektiv umgesetzt – mit weitreichen- den Folgen. Denn hieraus erwächst moralisch verantwortlichen – und/

oder rechtlich mandatierten – Staaten das Recht, die innere und äußere Sou- veränität eines „devianten Regimes“

zu verletzen. Als „deviantes Regime“

wird dabei ein autoritäres oder totalitä- res Regime verstanden, das in seinem Innen- und Außenverhalten von inter- nationalen Rechtsnormen abweicht.

Die Souveränitätsnorm wird verwirkt, wenn der souveräne Staat die Wohl-

fahrts- und Sicherheitsinteressen der eigenen Bürger verletzt. Die nachhalti- ge Weigerung eines Staates, das Wohl- ergehen seiner Bürger zu bewahren, stellt somit einen gerechten Grund für eine Intervention dar.

Die nukleare Provokation durch Nordkorea und den Iran sollte – auch hinsichtlich des Modellcharakters für andere nukleare Schwellenländer – zu einer nüchternen Debatte darüber an- regen, inwieweit nicht auch die An- eignung von nuklearen Waffen und deren Trägermitteln einen gerechten Grund zur Intervention darstellt.

Nicht nur die „responsibility to pro- tect“ in Bezug auf Grund- und Men- schenrechte wäre als zentrale Völker- rechtsnorm einzurichten, sondern auch die „responsibility to deny“ im Falle einer Aneignung und möglichen Weitergabe nuklearer Waffen.

Pflicht zum Verzicht

Kriterien für den Umgang mit potenziellen Nuklearstaaten

Prof. Dr. GERHARD MANGOTT, geb. 1966, ist Professor für Politik- wissenschaft an der Universität Innsbruck.

MARTIN SENN, geb. 1978, Diplompolitologe, ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Politikwissenschaft der Universität Innsbruck.

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90 Internationale Politik IP Mai 2007

90 Internationale Politik IP Mai 2007

90 Internationale Politik IP Mai 2007

90 Internationale Politik IP Mai 2007

90 Internationale Politik IP Mai 2007

Wenn deviante Regime nachweis- lich an einer nuklearen Waffenoption arbeiten oder über ein Arsenal an nuk- learen Waffen verfügen, sollten diese Regime in ihrer souveränen Existenz massiv beschnitten und internationa- lem Druck ausgesetzt werden. Dieses Konzept der legitimen „Entmachtung“

devianter Regime, die ihre Souveräni- tät durch die Entwicklung von Nukle- arwaffen und deren Trägermit- teln verwirken, wäre aber nicht nur als Recht, son- dern – zumindest auf der normativen, wenn auch un- wahrscheinlich auf der operativen Ebene – geradezu als universelle Pflicht zur Intervention anzusehen. Wenn die Aneignung einer militärischen Nukle- arkapazität zum allseits anerkannten Bedingungsgrund legitimer externer Intervention wird, kann die bislang geltende Deutung des Besitzes dieser Waffen als Instrument zur Existenzsi- cherung sowie als Verhandlungskapital nachhaltig in Frage gestellt werden.

Nuklearwaffen würden somit – wie im Falle Libyens – als existenzielles Risiko und nicht als Garant von Souveränität wahrgenommen werden.

Zuckerbrot und Peitsche

Die „Verantwortung zur Untersagung“

ist keinesfalls eine rein militärische Verpflichtung. Ein devianter Staat, der ein Nukleararsenal erwirbt oder ent- wickelt, muss vorrangig durch eine anreizgeleitete Strategie oder durch es- kalierende, aber intelligente Sanktio- nen zum Verzicht auf die nukleare Be- waffnung bewogen werden. Durch materielle, finanzielle und wirtschaftli- che Hilfe könnte damit die Legitimität

des Regimes gegenüber der eigenen Bevölkerung gestärkt und das Regime damit intern abgesichert werden. Si- cherheits- und Nichtangriffsgarantien durch die regionalen Großmächte geben dem Regime eine externe Exis- tenzgarantie. Wie Nordkoreas Bruch des Agreed Framework verdeutlicht, ist die zentrale Problematik dieser Stra- tegie, dass ein deviantes Regime sie zum verdeckten Ausbau der Nuklear- fähigkeit nutzen kann. Nicht zuletzt deshalb müssen Anreizstrukturen von Sanktionsdrohungen begleitet oder stufenweise von Sanktionsregimen er- setzt werden.

Erst wenn durch Anreize keine Verhaltensänderung erzielt werden kann, muss als ultima ratio ein Wech- sel des Regimes angestrebt werden.

Eine Variante ist dabei die Unterstüt- zung eines evolutionären Regimewech- sels bei gleichzeitigen strikten Maß- nahmen, mit denen eine horizontale Proliferation verhindert wird. Derarti- ge Regime können langfristig ge- schwächt, ausgehöhlt und schließlich beseitigt werden. Geeignete Maßnah- men dafür sind die nachhaltige Stär- kung internen Widerstands und die Durchbrechung der Informationsho- heit mit extraterritorialen elektroni- schen Medien bei gleichzeitiger finan- zieller und wirtschaftlicher Aushunge- rung der diktatorischen Führungseli- ten durch restriktive, aber intelligente Sanktionen. Diese Variante der langsa- men Regimezersetzung kann aber scheitern. Die zeitintensive Aushöh- lung kann trotz – legaler – Blockade und Isolation zudem fallweise nicht verhindern, dass nukleares Wissen ausgebaut und proliferiert wird. Auch steigt das Risiko, dass ein in die Agonie getriebenes Regime zu einem nuklea- Wenn Anreize nichts

bewirken, muss als ultima ratio ein Regimewechsel angestrebt werden.

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IP Mai 2007 Internationale Politik 91

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IP Mai 2007 Internationale Politik 91

ren Verzweiflungsschlag ausholen könnte. Zudem könnten restriktive Sanktionen zu hohen Humankosten führen.

Umstritten und äußerst sorgfältig abzuwägen ist schließlich die gewalt- same Intervention durch verantwort- liche Staaten, die mehrere kritische Faktoren berücksichtigen muss.

Grundsätzlich müssten derartige In- terventionen an ein Mandat des UN- Sicherheitsrats gebunden werden, um Missbrauch zu vermeiden. Die Beu- gung dieses Interventionsgebots durch die Blockade einer der Vetomächte würde aber die Abschreckungsmacht dieses Gebots aushöhlen. Daher muss letztlich auch die nicht mandatierte Gewaltanwendung durch verantwort- liche Staatenkoalitionen als legitim begriffen werden.

Aber auch wenn auf legaler oder legitimer Basis militärisch interveniert wird, ist das Ziel des Regimewechsels gegen die möglicherweise immensen Humankosten einer militärischen In- tervention abzuwägen. Sollte eine „chi- rurgische Enthauptung“ des Regimes nicht möglich sein, muss im Fall massi- ver Bodenoperationen jedenfalls die Lage nach der Intervention bedacht werden. Die nach einem Gewalteinsatz erforderlichen Mittel zur Stabilisierung der Gesellschaft würden immense fi- nanzielle und materielle Stabilisie- rungsleistungen erfordern und hätten ungesicherte Erfolgsaussichten. Darü- ber hinaus müssten die intervenieren- den Staaten fähig sein, die Unterstüt- zung dieser kostenintensiven Operati- onen in der eigenen Bevölkerung nach- haltig aufrechtzuerhalten. Und schließlich ist ein wie immer gearteter Regimewechsel kein Garant eines Ver- zichts auf die nukleare Option, da exo-

gene Faktoren ein neues Regime eben- falls wieder zur Aneignung einer Nuk- learkapazität veranlassen könnten.

Der militärische Regimewechsel kann auch dann bereits zwingend wer- den, wenn die zeitintensive Verfolgung der ersten beiden Strategien die Chan- cen auf einen erfolgreichen Militär- schlag drastisch vermindert. In jedem Fall aber muss die Abwägung der In- terventionskosten und der Gewinne im Sinne der Nonproliferation einge- halten werden.

Eine weitere militärische Option wäre die Entwaffnung ohne Regime- wechsel. Doch auch diese Variante ist risikobehaftet. Ein Angriff auf die mili- tärischen Fähigkeiten könnte von einem devianten Regime als unmittel- bare Existenzbedrohung erachtet wer- den, wodurch es zu einer dramatischen Eskalation kommen könnte. Zudem könnte ein Angriff aufgrund ungenau- er Standortkenntnis zur Härtung der

Bevor man den „lieben Führer“ Kim Jong Il zum Abrüsten bewegen kann, gilt es zu fragen: Ist sein Nukleararsenal überhaupt verhandelbar?

© dpa / bildfunk

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92 Internationale Politik IP Mai 2007

92 Internationale Politik IP Mai 2007

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92 Internationale Politik IP Mai 2007

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92 Internationale Politik IP Mai 2007

92 Internationale Politik IP Mai 2007

Anlagen oder zu massiven Kontamina- tionen führen. Auch bleibt trotz der Zerstörung nuklearer Anlagen das nu- kleare Wissen erhalten. Der Fortbe- stand des Regimes ermöglicht daher grundsätzlich eine neuerliche (und sogar beschleunigte) Aufrüstung.

Somit erscheint der Angriff auf die nuklearen Fähigkeiten eines devianten Regimes als die wohl unbrauchbarste Option.

Alle vier diskutierten Optionen sind mögliche, legitime und zwingende Antworten verant- wortlicher Staaten auf den unerträgli- chen Zustand nuk- learer Bewaffnung devianter Staaten.

Alle bergen Eskala- tionsrisiken und können scheitern, aber alle lehnen die Akzeptanz von zerstörerischen Waffen im Arsenal de- vianter Regime ab und verwehren die- sen die Berufung auf staatliche Souve- ränität. Nukleare Schwellenstaaten müssen durch abgestufte Maßnahmen zur Beschneidung der Souveränität von dem Erwerb nuklearer Waffen ab- gehalten werden: Anreizgeleitete Ver- zichtsstrategien sind dabei immer das erste Mittel. Diese können schrittweise durch Sanktionsregime begleitet oder ersetzt werden.

Militärische Strategien, um Regime zu entwaffnen oder zu enthaupten, sind erst in einer dritten Eskalations- stufe zu erwägen, wenngleich sie auch vorher nicht explizit ausgeschlossen werden sollten. Die dritte Stufe ist die Schlüsselebene: Sollte der zu erwarten- de Nutzen einer Intervention mit mili- tärischen Mitteln für die Proliferati- onssicherheit nicht ausreichend sein, um die zu erwartenden Humankosten

einer möglichen militärischen Eskala- tion vertretbar scheinen zu lassen, kann die „Verantwortung zur Untersa- gung“ nicht militärisch umgesetzt wer- den. Fatal aber wäre es, wenn die ver- antwortlichen Staaten dann resignie- rend oder aus instrumentellen Grün- den einen neuen Nuklearwaffenstaat akzeptieren würden – wie dies im Falle Indiens und Pakistans geschehen ist.

Auch wenn die militärische Option nicht umsetzbar ist, Anreiz- und Sank- tionsstrukturen zunächst wirkungslos bleiben, muss das Bekenntnis zum evo- lutiven Regimewechsel aufrechterhal- ten und operativ umgesetzt werden.

Die Hauptverantwortung für die Durchsetzung dieses Konzepts liegt natürlich bei den offiziellen Nuklear- waffenstaaten. Zugegeben: Da diese Staaten ihren im Nichtverbreitungs- vertrag (NPT) kodifizierten Abrüs- tungsverpflichtungen nur begrenzt nachkommen, können sie nuklearen Verzicht von anderen Staaten nur unter Beugung eigener Verpflich- tungsnormen einfordern. Das er- scheint aber gegenüber der Normen- verletzung durch nukleare Schwel- lenländer für die internationale Si- cherheit zunächst nachrangig.

Beispiel Nordkorea

Die nordkoreanische Führung hat ihre nuklearen Rüstungsprogramme in den letzten Jahren radikal ausgebaut. Japan und Südkorea sind die verletzlichsten Akteure der durch eine Nuklearisie- rung Nordkoreas veränderten Sicher- heitslage in Ostasien. Die USA drän- gen als deren Bündnispartner und aus eigenen Sicherheitsinteressen auf eine energische Gegenreaktion, da sie eine langfristige Gefährdung amerikani- scher Küstenregionen im Westen, vor Japan und Südkorea sind die

verletzlichsten Akteure der durch eine Nuklearisierung Nordkoreas veränderten Sicherheitslage in Ostasien.

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IP Mai 2007 Internationale Politik 93

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allem jedoch die kurz- und mittelfristi- gen Risiken der Proliferation an ande- re Staaten, aber auch an nichtstaatliche Akteure befürchten.

Das Arsenal an Gegenreaktionen durch die US-Regierung ist grundsätz- lich breit gefächert. Das neokonservati- ve Lager bietet einen normativ-ideolo- gisch begründeten Regimewechsel an.

Dieses Ziel wird zwar nicht offiziell verfolgt, aber als optimales Szenario angesehen. Ein militärisch erzwunge- ner Regimewechsel von außen ist aber nicht zu erwarten: Die amerikanischen Streitkräfte sind in Afghanistan und im Irak gebunden; die verbliebenen militärischen Kräfte reichen für einen effektiven Feldzug nicht aus. Zudem ist das Vergeltungsarsenal Nordkoreas beträchtlich. Vor allem Südkorea und Japan müssten mit massiven Zerstö- rungen rechnen. Ein militärisches Ein- greifen würde auch die von den USA gegen Nordkorea geschmiedete Koaliti- on sprengen: Russland, die Volksrepu- blik China und Südkorea lehnen einen Waffengang entschieden ab. Präzisi- onsschläge zur Zerstörung der nuklea- ren Anlagen und des Raketenarsenals wären eine weitere militärische Ver- haltensoption, die jedoch aus den be- reits angeführten Gründen wenig Aus- sicht auf Umsetzung und Erfolg hat.

Das realistische Lager in Washing- ton lehnt eine militärisch erzwungene Regimeänderung ab. Die konservative Fraktion möchte durch harte multila- terale Sanktionen den Zusammen- bruch des Regimes erreichen, was je- doch weder in Südkorea noch in China Unterstützung findet. Beide Staaten fürchten die Implosion Nordkoreas wegen der massiven Flüchtlingsströ- me und der immensen finanziellen Kosten einer sozioökonomischen Sta-

bilisierung Nordkoreas. Zudem be- fürchtet China ein Vorrücken von US- Streitkräften an die eigene Grenze.

Das progressive realistische Lager be- tont daher, angesichts dieser Vorbehal- te müsse das Ziel vielmehr darin beste- hen, in multilateralem Zusammenwir- ken die Absichten

und das Verhalten Nordkoreas zu än- dern. Dies kann durch harte Sanktio- nen versucht werden, ist aber durch beglei- tende Verhandlungen

vermutlich leichter zu erreichen.

Letztlich entschied man sich für durch gezielte Sanktionen abgestützte Verhandlungen als einzige realisti- sche Option. Die UN-Resolution 1718 vom 14. Oktober 2006 etablierte ein deutlich härteres Sanktionsregime als die vorherige Resolution 1695. Doch dieses Sanktionsregime war nur be- grenzt wirksam, weil China die Durchsuchung von nordkoreanischer Seefracht ablehnte und der Landweg für den nordkoreanischen Handel weitgehend offen blieb. Auch Südko- rea konnte sich nicht gänzlich durch- ringen, die „Sonnenscheinpolitik“ – nunmehr „policy for peace and pros- perity“ genannt – abzubrechen.

Durch Sanktionen abgestützte und erzwungene Verhandlungen sahen sich aber einer entscheidenden Frage aus- gesetzt: Ist das Atomar- und Rakete- narsenal für Nordkorea überhaupt ver- handelbar? Ist Nordkorea tatsächlich bereit, seine atomare Rüstung im Tausch für umfassende Unterstüt- zungs- und Hilfsleistungen sowie Sicherheitsgarantien für seine innere Herrschaftsordnung aufzugeben? Oder sieht Nordkorea die nukleare Bewaff-

China fürchtet

ein Vorrücken von US- Streitkräften an die eigene Grenze.

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94 Internationale Politik IP Mai 2007

94 Internationale Politik IP Mai 2007

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94 Internationale Politik IP Mai 2007

nung als dauerhaft unverzichtbare Existenzgarantie?

Wandel durch Verhandlung?

Hielte Nordkorea an der nuklearen Bewaffnung fest, wären Verhandlun- gen nutzlos. Letztlich bliebe dann nur die faktische (vorübergehende) Aner- kennung Nordkoreas als Nuklearstaat bei gleichzeitiger Unterbindung der Proliferation nuklearer und Raketen- technologie an andere Staaten und nichtstaatliche Akteure sowie die Hoff- nung auf einen evolutionären Regime- wechsel. Neben der Förderung eines solchen Wechsels müssten dann die Verteidigungsleistung Südkoreas und Japans gestärkt und regionale Raketen- abwehrsysteme beschleunigt ausgebaut werden. Wenn die nukleare Rüstung für das nordkoreani- sche Regime aber verhandelbar wäre, würden sich drei zentrale Fragen stel- len: Die Frage nach den Anreizen für einen umfassenden Nuklearverzicht Nordkoreas, die nach der Vertrauens- bildung und jene nach dem Verhand- lungsformat.

Nordkorea zielte auf direkte Sicher- heitsgarantien der USA ab, die jedoch nur zur Abgabe multilateraler Garanti- en bereit waren. Zudem verlangte Nordkorea umfassende Energie-, Wirt- schafts- und Finanzhilfe zur inneren Stabilisierung. Für die USA und Japan aber waren diese Zusagen ohne eine umfassende, überprüfbare und irrever- sible Abrüstung des Raketen- und Nu- klearprogramms und den Wiederein- tritt Nordkoreas in den NPT undenk- bar. Der Betrug Nordkoreas im Rah- men des Agreed Framework diente

dabei als Warnung: Ein betrügerisches Regime ökonomisch zu unterstützen wäre ein verheerendes Ergebnis.

Letztlich war klar, dass die Formel wohl lauten müsste: „freeze, deliver and dismantle“. Nordkorea müsste sich verpflichten, seine Waffen- und Rake- tenprogramme nachweislich und über- prüfbar einzufrieren, um die geforder- ten Gegenleistungen zu erhalten. Dar- auf müsste ein international kontrol- lierter und überwachter vollständiger Abrüstungsprozess erfolgen. Kritiker bezweifelten die grundsätzliche Ver- handlungsbereitschaft Nordkoreas.

Dabei blieb aber oft unberücksichtigt, dass die nordkoreanische Führung ihr zentrales Ziel der Regimeabsicherung nicht aus den Augen verlieren durfte.

Die nukleare Bewaffnung kann das Regime nach außen absichern, inter- nationale Sanktionsregime als Bestra- fung aber können das Regime durch die sozioökonomische Verwahrlosung mittelfristig von innen gefährden.

Eine weitere drängende Frage war die nach dem Verhandlungsformat.

Nordkorea hielt an seiner Forderung nach direkten Gesprächen mit den USA fest. Das multilaterale Format blieb letztlich trotz der bilateralen Be- gegnungen zwischen den Vertretern der USA und Nordkoreas am Rande der Sechser-Gespräche ergebnisarm.

Angesichts der Beharrlichkeit Pjöng- jangs war daher eine Haltungsände- rung der USA letztlich unabdingbar, um zumindest die Möglichkeit einer Verhandlungslösung auszuloten. Bila- terale Konsultationen des US-Emissärs Christopher Hill mit dem nordkoreani- schen Diplomaten Kim Kye-gwan in Berlin ermöglichten das am 13. Febru- ar 2007 in Peking erzielte Verhand- lungsergebnis über den stufenweisen Die nukleare Bewaffnung

kann das Regime nach außen absichern, Sanktionen aber können es von innen gefährden.

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IP Mai 2007 Internationale Politik 95

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Beginn eines Lösungsprozesses der Nuklearfrage.

Dieses Abkommen sieht vor, dass Nordkorea innerhalb von 60 Tagen den Reaktor in Yongbyon herunter- fährt und versiegelt. Nordkorea erhält nach erfolgter Verifikation dieser ers- ten Schritte im Gegenzug eine Liefe- rung von 50 000 Tonnen Schweröl.

Daneben sollen sechs Arbeitsgruppen eingerichtet werden, in denen die zen- tralen offenen Fragen getrennt behan- delt werden sollen. In einem zweiten Schritt wird von Nordkorea die voll- ständige Offenlegung aller Kompo- nenten des Nuklearprogramms und deren Stilllegung verlangt.

Obwohl dieses Abkommen einen Schritt in Richtung des Zieles der De- nuklearisierung darstellt, lassen Pro- bleme in der ersten Phase bereits er- kennen, dass ein Erfolg des Abkom- mens fraglich ist. So sind etwa das Be- harren Nordkoreas auf den Transfer von Geldern von der Banco Delta Asia in Macao nach Nordkorea und das Scheitern der bilateralen Gespräche mit Japan über die Frage durch Nord- korea entführter Japaner symptoma- tisch für das starke Misstrauen, das zwischen Nordkorea, Japan und den USA herrscht. Dieses Vertrauensdefi- zit könnte insbesondere in der zweiten Phase des Abkommens zu erheblichen Problemen führen. Eine zentrale Frage ist hierbei, ob Nordkorea wirklich alle Komponenten des Nuklearprogramms offenlegt und danach deaktiviert, also nicht nur den ohnehin veralteten und daher verzichtbaren Nuklearkomplex in Yongbyon, sondern auch die vermu- tete Urananreicherung.

Auf der anderen Seite ist der Erfolg des Abkommens auch vom Vertrauen der USA in die Offenlegung Nordko-

reas und die Verifikation durch die IAEA abhängig. Ein zu starkes Behar- ren auf Beweisen für ein nordkoreani- sches Urananreicherungsprogramm könnte Nordkorea wiederum zum Ausstieg aus dem Abkommen bewe- gen. Jedenfalls lässt sich noch nicht mit Sicherheit sagen, ob

Nordkorea wirklich zum Verzicht auf das Atomarsenal und militärische Nukle- artechnologie bereit ist. Wenn die nuklea-

re Bewaffnung Nordkoreas aufrechter- halten bliebe, würden nicht nur eine regionale Eskalation und massive nuk- leare Aufrüstung drohen, sondern auch eine erhebliche Belastung des NPT-Re- gimes. Die Entscheidung zur notfalls alle Optionen ausschöpfenden „re- sponsibility to deny“ ist damit ange- messen. Auf operativer Ebene wird – parallel zur nachhaltigen Unterbin- dung horizontaler Proliferation – nur der evolutionäre Regimewechsel als Option bleiben.

Beispiel Iran

Das nicht auszuschließende Streben des Iran nach einer militärischen Nuk- learoption ist ein strategisches Sicher- heitsrisiko im Nahen und Mittleren Osten. Grundsätzlich wird die Wahl der eingangs beschriebenen Strategien gegen deviante Regime mit einer nuk- learen Schwellenoption wesentlich vom Zeitfaktor und von der Bewertung der Absichten bestimmt.

Im Fall des Iran ist der Zeitfaktor kein vorrangiges Argument. Nach den meisten Schätzungen ist das Land noch mindestens drei bis fünf Jahre von der Entwicklung eines nuklearen Spreng- satzes entfernt; der Bau eines nuklea-

Das Abkommen fordert die vollständige Offenlegung aller Komponenten des Nuklear- programms und deren Stilllegung.

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96 Internationale Politik IP Mai 2007

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ren Sprengkopfs, der auf Trägermittel montiert werden kann, dauert noch sehr viel länger. Daraus leitet sich ab, dass für die internationale Staatenkoa- lition zwar Handlungs-, aber derzeit noch kein Eskalationsdruck besteht.

Wird die iranische Führung als rati- onaler kollektiver Akteur verstanden, ist der Einsatz nuklearer Waffen etwa gegen Israel oder Staaten des Golf-Koo- perationsrats äußerst unwahrschein- lich, weil diese entweder selbst Nukle- arwaffen besitzen und auch im Zweit- schlag vergeltungsfähig bleiben (Israel) oder aber unter dem (nuklear-)militä- rischen Schutzschirm der USA stehen.

Auch wenn die nukleare Bewaffnung

des Iran dessen regionalen Status er- heblich verbessert, ist ein System regi- onaler Abschreckung – mit der kaum mehr zu verhindernden nuklearen Op- tion Ägyptens, Syriens und der Türkei – möglich und wahrscheinlich. Sichere Konsequenz aber ist die partielle Neu- tralisierung der konventionellen

Schlagkraft Israels – etwa gegen Syri- en, wenn der Iran dem syrischen Re- gime den Nuklearschirm anbietet. Ein weiteres vorrangiges Sicherheitsrisiko ist wiederum die Weitergabe von nuk- learem Wissen, Material und Waffen an (nicht-)staatliche Akteure.

Die anreizgeleitete Verzichtsgaran- tie ist die naheliegendste Handlungs- option: Die Einbindung des Iran in einen – von der EU und den USA ab- gelehnten – vorbedingungslosen multi- lateralen Verhandlungsprozess mit einem Mix aus intelligenten Sanktio- nen, massiven ökonomischen, techni- schen und politischen Anreizen und der Bereitschaft, das Atomprojekt auch als Prestigevorhaben der iranischen Eliten anzuerkennen, ist der risiko- ärmste Zugang. Keineswegs sicher ist, dass der Iran damit zu einem völligen Verzicht auf einen eigenständigen Brennstoffkreislauf bewegt werden kann, wohl aber zur Zustimmung zu einem dichten Netz an Überwachungs- möglichkeiten und zu gegenseitiger Vertrauensbildung. Der Iran könnte unterhalb der nuklearen Waffen- schwelle gehalten werden und sich mit einer ausbaubaren nuklearen Waffen- option begnügen. Die Einbindung des Iran bietet zugleich die besten Aussich- ten auf einen langsamen inneren Regi- mewechsel, wenn durch den Wegfall des äußeren Druckes die nationalisti- schen Geschlossenheitsbezeugungen ab- und die Artikulation sozialer Un- zufriedenheit zunehmen werden.

Die umfassende Anreizstrategie der EU-3, die auch von den USA unter- stützt wird, konnte die iranische Füh- rung bislang nicht dazu bewegen, die Vorbedingung für den Eintritt in die Verhandlungen über das EU-3-Paket – die Aussetzung der Urananreicherung

Im Umgang mit Achmadinedschads Nuklearpolitik zeigt die nüchterne Betrachtung: Militärschläge sind zu riskant, strategisch klüger ist Dialog

© dpa / report

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IP Mai 2007 Internationale Politik 97

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und der Wiederaufbereitung – zu erfül- len. Die Resolutionen 1737 und 1747 konnten die iranische Führung bislang ebenfalls nicht zum Einlenken bewe- gen. Auch die harten Finanzsanktio- nen durch die USA haben bislang zu keiner erkennbaren Haltungsänderung beigetragen. Allerdings bestehen Hin- weise auf wachsende Meinungsdiffe- renzen innerhalb der iranischen Füh- rungseliten, wenn auch deren Vehe- menz aufgrund der intransparenten Führungsstrukturen nur schwer ein- zuschätzen ist.

Grundsätzlich aber ist der Iran durch ein Sanktionsregime verletzli- cher als Nordkorea. Die iranische Wirt- schaft ist auf offene Außenhandels- märkte angewiesen, vor allem aber auf finanzielle Direktinvestitionen und Technologietransfer – insbesondere in der Erdöl- und Erdgasförderung. Daher ist der mittelfristige Erfolg von Sankti- onsregimen nicht unwahrscheinlich.

Die militärische Entwaffnung, also die zielgerichtete bewaffnete Zerstö- rung iranischer Nuklearanlagen, ist eine risikobehaftete, nur beschränkt wirksame und auf keinen Fall eine zwingende Option. Angreifer kennen vermutlich nicht alle Standorte des nuklearen Brennstoffkreislaufs, und die Anlagen dürften stark verbunkert sein. Zudem ist eine militärische Inter- vention jedenfalls nicht in der Lage, nukleares Wissen und die Beherr- schung der Anreicherungstechnologie zu zerstören. Die militärischen Eskala- tionsrisiken hingegen sind sehr hoch, die wirtschaftlichen Konsequenzen der Unterbrechung der Öllieferungen durch die Straße von Hormuz sowie die terrorismusinduzierenden Schock- wellen wären vermutlich beträchtlich.

Der militärische Regimewechsel be-

darf einer massiven Bodenoperation, wofür derzeit sowohl ausreichender politischer Wille als auch militärische Schlagkraft fehlen. Wichtiger noch, in- tervenierende Streitkräfte würden ver- mutlich heftigen Widerstand in der iranischen Bevölkerung bewältigen müssen, wodurch auch eine längerfris- tige Stabilisierung nahezu unmöglich wäre.

Die nüchterne Analyse ist damit klar: Die nukleare Bewaffnung des Iran steht noch lange nicht bevor, die unmittelbare Bedrohung durch einen nuklear bewaffneten Iran ist vermut- lich nur in der horizontalen Prolifera- tion und der Auswirkung auf das NPT-System, aber

nicht in einem nuk- learen Erstschlag etwa gegen Israel ge- geben. Militärische Entwaffnungs- und Enthauptungsschlä-

ge sind mit immensem Risiko behaf- tet. Strategisches Kalkül sollte damit die Einbindung des iranischen Re- gimes in einen Dialog- und Verhand- lungsprozess sein, der Sicherheitsrisi- ken minimiert, Vertrauensbildung er- möglicht, den Iran in ein regionales Sicherheitskonzept einbettet und den evolutionären Regimewandel erleich- tert. Scheitert dieser Ansatz, bleibt die Pflicht zur Beseitigung des Regimes.

Die Verantwortung zur Untersagung darf nicht aufgegeben werden. Letzt- lich bleibt – wie im Falle Nordkoreas – nur der längerfristige, evolutionäre Regimewechsel als zwingende und zielführende Option im Umgang mit der Islamischen Republik Iran, sofern diese auf eine nukleare Waffenoption setzen sollte.

Intervenierende Streitkräfte würden vermutlich auf heftigen Widerstand in der iranischen Bevölkerung stoßen.

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