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Redebeitrag Dorothea Hoffmann, Betreuerin

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Academic year: 2022

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Liebe Freunde, liebe Gemeinschaft!

Wir haben uns hier gemeinsam zusammengefunden, um eines jungen Menschen zu gedenken, der auf eine tragische und furchtbare Weise sein Leben mit nur 19 Jahren verlor.

Als ich Aman kennenlernte, wohnte er noch in einer Inobhutnahme und war zu dem Zeitpunkt als unbegleiteter minderjähriger

Asylsuchender, registriert. Er lebte damals mit 80 weiteren Jugendlichen in einer Turnhalle, in der sich mit Holzwänden

voneinander getrennte Räume befanden, die in den meisten Fällen von zwei Jugendlichen bewohnt wurden. Diese Räume waren sehr hellhörig und besaßen weder eine Zimmerdecke, noch einen

Zimmerschlüssel.

Wenn man nachts die konstruierten Gänge betrat, sprangen durch einen Bewegungsmelder grelle Lichter an, die nicht nur den Gang erhellten, sondern auch alle angrenzenden Zimmer. Chronische Unruhe bei den jungen Menschen, die große Probleme hatten schon tagsüber Ruhe zu finden, war längerfristig die Folge.

Sie können sich vorstellen, was diese Art zu leben von einem jungen Menschen abverlangen kann, der seiner Integrations- und

Schulpflicht nachkommen muss. Viele Jugendliche litten unter Schlafmangel, Antriebsstörungen und schlechter Laune…

...Nicht so Aman! Wenn andere mit Freunden unterwegs waren, um altersgemäß ihren Aktivitäten nachzugehen, machte Aman seine Hausaufgaben, auch wenn es bedeutete, dass er die Betreuer bis 1 Uhr morgens mit Hausaufgaben quälte. Wenn andere Jugendliche sich gegenseitig neckten und Scherze miteinander machten, beobachtete Aman die Gruppen. Wenn jemand traurig aus der

Scherzerei in sein Zimmer ging, ging Aman ihm nach und redete mit ihm.

Aman half seinen Freunden wo er nur konnte; bei Schularbeiten, aber auch beim malen und singen. Er war eben ein Naturtalent!

Hochbegabt und hochintelligent mit einem Einfühlungsvermögen, dass für sein Alter ungewöhnlich stark ausgeprägt war.

Dabei war Aman auch konsequent und ließ sich nicht beirren. Wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, musste man ihm schon kluge Argumente liefern, die ihn beeindruckten.

Aman wirkte immer, als habe er den absoluten Überblick und könne Hebel in Bewegung setzen, von denen keiner auch nur einen

blassen Schimmer hatte.

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Und das tat er auch, innerhalb von wenigen Monaten lernte er die deutsche Sprache fließend, er war ein absolutes Ass in Mathe und hatte vor allem für die Naturwissenschaft ein ausgezeichnetes Talent.

Umso mehr treibt mich und auch andere Bezugspersonen die Frage um, ob wir ihm nicht zu viel „Erwachsensein“ zugemutet haben. Wir haben das Bild eines reifen und abgeklärten Erwachsenen

wahrgenommen. So wollte Aman auch wahrgenommen werden, nur war er grade mal 17/18 Jahre alt!

Aman funktionierte in diesem Konstrukt auffallend gut. Er war nun mal geschickt in den Dingen, die er anpackte! Er erledigte seine Aufgaben und vermittelte zwischen den Menschen, das war eben eine gute Sache, so etwas war gewollt und gewünscht.

Ich habe Aman niemals über SEINE Sorgen und Nöte sprechen hören!

Er war ja immer so bescheiden!

Ich habe Aman auch niemals über seine verstörenden Erfahrungen reden hören! Er war sehr vorsichtig und zurückhaltend. Seine

Verletzlichkeit, seine Angst, seine Trauer und seinen chronischen seelischen Schmerz behielt er für sich.

Er war eben ein Macher, ein Mensch, der nach vorne blickt und Dinge in die Hand nahm.

Er funktionierte eben!

Dass Aman unter einer schweren psychischen Erkrankung litt, dass er mit all den vergangenen Traumata eben so wie die anderen zu kämpfen hatte, trat nicht in sein Erscheinungsbild.

Ich appelliere in erster Linie an die Menschlichkeit, die Menschlichkeit, die uns sensibilisieren kann.

Ich appelliere an die gegenseitige Wertschätzung, eine

bedingungslose Wertschätzung, die es möglich macht, seinem Gegenüber angemessen und offen zu begegnen.

Ich appelliere an eine gegenseitige Achtung, eine Achtung vor dem wahren Wesen des Menschen.

Dazu gehört Vertrauen, Mut und Wertschätzung, für das, was der Mensch mit seinen Möglichkeiten leisten kann.

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Wenn all das ein fester Bestandteil unseres Systems ist, wäre es dann nicht denkbar, menschenverachtende Systeme, im Keim zu ersticken?

Also Menschlichkeit, Achtung und Wertschätzung als täglichen Begleiter anzunehmen; dafür appelliere ich an jeden von uns und vor allem an die, die Positionen einnehmen, die ein hohes Maß an Empathiefähigkeit abverlangen!

Diejenigen, die mit Menschen tagtäglich zu tun haben, die Leid tagtäglich sehen.

Denn wir sind alle Teil des Systems und haben Verantwortung in jeder Sekunde unseres Seins, Verantwortung uns und unserem Nächsten gegenüber; das ist Nächstenliebe

Danke!

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