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Spiritueller Impuls beim Tag der Diakone bei den Barmherzigen Brüdern Linz.

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Das Evangelium leben: Ein franziskanischer Impuls

Spiritueller Impuls beim Tag der Diakone 2. Oktober 2016, Barmherzige Brüder Linz

Jesus, der Mensch für andere

„Es ist nicht das Wohlwollen des Fleischers, des Brauers und Bäckers, von dem wir ein gutes Essen erwarten, sondern davon, dass sie ihre eigenen Interessen verfolgen.“1 Ist Eigennutz, gar Egoismus die Grundlage der Gesellschaft? Adam Smith wollte zeigen, wie der Egoismus des Einzelnen eine notwendige Voraussetzung für den Wohlstand aller ist. Solidarität, Nächs- tenliebe sind nicht nur Störfaktoren auf dem freien Markt, sondern dort schlechterdings sinnlos.

Das neoliberale Wirtschaftsdenken setzt alle positive Hoffnung auf eine wundersame Wohltä- tigkeit individueller Sünden. Die privaten Laster der einzelnen – Habgier, Geiz und Neid – sol- len zum Wohlstand aller führen.

Die Liebe hingegen ist insgesamt in den Verdacht geraten, dass sie nicht wirklich menschlich sei, dass es wirkliche, echte Liebe gar nicht gäbe, dass sie letztlich krank sei. Das gilt für Liebe im Zusammenhang von Eros und Sexualität. Da steht Liebe oft im Zusammenhang von Sucht und Selbstzerstörung. Krank ist die Liebe aber auch schnell im Zusammenhang von Selbstlo- sigkeit und Nächstenliebe, z. B. wenn von hilflosen HelferInnen die Rede ist, von der notwen- digen Abgrenzung und Professionalität. Als gesund wird meist der Egoismus hingestellt. Der gesunde Egoismus bewahrt vor Pleiten und Pannen, er lässt sich nicht ausnützen und unter- drücken. Er ist mit Selbstliebe, mit Selbstwertschätzung und mit einem guten Körpergefühl verbunden. Gesunder Egoismus macht Kinder erfolgreich. Er gilt als Tipp für Führungskräfte („Ich lebe für mich, nicht für andere“) und wird erschöpften HelferInnen geraten, aber auch für das Zusammenleben in der Familie.

Benedikt XVI. hingegen bei einer Ansprache an die FAO: „Armut, Unterentwicklung und Hun- ger sind oft Ergebnis von Egoismus, der sich – ausgehend vom Herzen des Menschen – in seinem Sozialverhalten, im wirtschaftlichen Austausch, den Marktbedingungen (…) und der Verweigerung des menschlichen Grundrechtes auf Ernährung und Freiheit von Hunger zei- gen.“2 Jesus Christus ist der „Mensch für andere“. Sein Leben ist ‚Dasein-für-andere’3, geprägt von Solidarität und Dienst. Von Jesus her steht der selbstlose Dienst des Diakons nicht auf der Opferliste eines dämonischen Gottes. Von Jesus her realisiert sich gelungenes menschli- ches Leben in der Schwebe und auch in der dramatischen Spannung zwischen Freiheit, Selbstannahme und Selbstlosigkeit. Selbstverwirklichung, Nächstenliebe und Gottbegegnung sind christlich gesehen sicher unterschieden, aber ein einziger Vorgang. Die Wahrheit dieses Vorgangs steht und fällt, ob alle drei Aspekte realisiert werden (Mk 12,28-34; Mt 22,34-40; Lk

1 Adam Smith, Der Reichtum der Nationen; von Adam Smith. Nach d. Übers. Von Max Stirner und der englischen Ausgabe von Cannan (1904); Hg.: Heinrich Schmidt (Jena); Band 1 Leipzig (1910), 9.

2 Benedikt XVI., Das Grundrecht auf Nahrung darf nie verweigert werden. Ansprache an die Teilnehmer der 37.

Konferenz der FAO 1. Juli 2011, in: L’ Osservatore Romano (d) 22. Juli 2011, 7.

3 Dietrich Bonhoeffer, Widerstand und Ergebung (1944): Briefe und Aufzeichnungen aus der Haft, hg. von Eberhard Bethge, München 1970, 414.

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10,25-28). An Jesus glauben heißt: an das „Für“ glauben; im Wort Gottes leben heißt: im „Für“

leben. Dasein für den Vater und Dasein für uns, „pro nobis“.

Das Evangelium leben

„Das ist die Regel und das Leben der Minderen Brüder: das heilige Evangelium unseres Herrn Jesus Christus zu beobachten durch ein Leben in Gehorsam, ohne Eigentum und in Keusch- heit. (Bullierte Regel 1) Franz von Assisi war bestrebt, das heilige Evangelium in allem und durch alles zu beobachten. Vor allem war es die Demut der Menschwerdung Jesu, die seinen ganzen Eifer, seine Wachsamkeit, die Sehnsucht seines Geistes und die ganze Glut des Her- zens ergriffen. So feierte er 1223 in Greccio Weihnachten: „Ich möchte nämlich das Gedächt- nis an jenes Kind begehen, das in Bethlehem geboren wurde, und ich möchte die bittere Not, die es schon als kleines Kind zu leiden hatte, wie es auf Heu gebettet wurde, so greifbar als möglich mit leiblichen Augen schauen.“ Greccio wurde ein neues Bethlehem. Weihnachten wurde für Franz von Assisi und auch für die Menschen und Tiere um ihn herum zu einem Tag der Freude und zu einer Zeit des Jubels. Das Kind von Bethlehem war in vielen Herzen ver- gessen, es wurde durch Franziskus wieder erweckt. Von diesem Geschehen ging damals Hei- lung aus für Mensch und Tier.

Franz von Assisi wollte ganz einfach das Evangelium leben. Das Evangelium und die Nach- folge Jesu sind für ihn Norm und Kriterium aller Spiritualität. - In der gegenwärtigen Gesell- schaft und Kirche gibt es seit einigen Jahren so etwas wie eine schleichende „Entchristologi- sierung“ des allgemeinen Glaubensbewusstseins, der Glaubens- Gebets- und Liedsprache in- nerhalb der kirchlichen Frömmigkeit, d.h. es steht nicht mehr Jesus im Zentrum unserer Be- ziehung zu Gott. Gott gilt vielleicht als universal bergende, schützende und segnende Macht;

er ist die Natur, die den Kosmos beseelt. Manche sehen im Göttlichen eine heilende Kraft- und Energiequelle. Oder Religion wird auf Ethik, Glaube auf einen moralischen Imperativ reduziert.

Franz von Assisi und mit ihm die Franziskaner sind eine konkrete und lebendige Erinnerung an Jesus. Diese Christozentrik ist heilsamer Kontrapunkt gegenüber der Jesusvergessenheit in vielen Varianten der Spiritualität. Die evangelischen Räte sind die Lebensform Jesu, also des armen, keuschen und gehorsamen Jesus, die im Mysterium der Menschwerdung, des Sterbens und der Auferstehung gipfelt.

Option für die Armen und Brüderlichkeit

Franz von Assisi schreibt in der ‚Früheren Regel’ aus den Jahren 1210-1221: „Regel und Le- ben dieser Brüder ist so: … zu leben und der Lehre und Spur unsres Herrn Jesu Christi zu folgen. Der sagt: Willst du vollkommen sein, geh hin und verkaufe alles, was du hast, und gib' s den Armen, so wirst du einen Schatz im Himmel haben; und komm, folge mir. Und: Wenn jemand mir nachkommen will, verleugne er sich selbst und nehme sein Kreuz und folge mir.

Ferner: Will einer zu mir kommen und er hasset nicht Vater und Mutter, Gattin und Söhne und Brüder und Schwestern, ja auch noch seine Seele, so kann er mein Jünger nicht sein. Und:

Ein jeder, der Vater und Mutter, Brüder und Schwestern, Gattin und Söhne, Häuser und Äcker verlassen hat um meinetwillen, hundertfach wird er's empfangen und das ewige Leben besit- zen.“

Franz von Assisi will arm und nackt dem armen und nackten Christus nachfolgen. Die Armut spannt im Leben Jesu den Bogen von der Krippe bis zum Kreuz. In einer Bettelexistenz ohne etwas Eigenes (sine proprio) weiß Franz sich hautnah und ausgesetzt in allem auf Gott und die Nächsten angewiesen und von diesen beschenkt. Franz kennt die Verpflichtung zur Arbeit,

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jedoch ohne einen Anspruch auf einen (gerechten) Lohn. Er lebt aus der Freude des Empfan- gens und des Verschenkens. Ziel dieser Armut als totalem Freiwerden für Gott ist die Gleich- förmigkeit mit dem geliebten Christus.

„Nunmehr, wenn der Genannte dies Leben annehmen will, verkaufe er all das Seine, wenn er kann, dem Geiste zulieb, uneingeschränkt, und streb, es den Armen zu spenden.“ (Nicht bul- lierte Regel 2)

Der erste Evangelische Rat ist die Armut: Ich denke hier an die Armutserlebnisse, wie sie zu unserem Alltag gehören. Jede Art von Entbehrung, von Enttäuschung, von Verzicht; jeder Mangel an Angenommen-, Mangel an Geliebt- und Geachtet-Sein; jedes Zu-kurz-Kommen;

jedes Vergessen und Übersehen-Werden. Auch die Erfahrungen der Armut an bestimmten Lebensgestalten: wie behinderten, kranken und alten Menschen und Notleidenden. Dabei er- fahren wir die Gebrochenheit. Angesicht solcher Erfahrungen werden Besitz, Geld und Macht relativiert. Die Frage lautet: Wie können wir anders leben? Wir müssen zum heute geltenden Lebensstil eine wirkliche Alternative finden.

Franziskus war damals der Auffassung, dass Habgier und Geiz die Beziehungen des Men- schen zu Gott stören und dass Ehrgeiz und Konkurrenzdenken den Sinn für die Geschwister- lichkeit unter den Menschen zunichtemachen. Er wollte das evangelische Ideal der Liebe und Brüderlichkeit in seiner ganzen Fülle leben. Darum hat er mit seinen ersten Gefährten eine Lebensform gefunden, die sich im damaligen Kontext mutig für ein Leben in Armut entschied.

Heute ist unsere Welt gekennzeichnet durch verschiedenartige Formen von Herrschaft und Gewalt: ungerechte Konzentration des Volksvermögens bei wenigen; Überheblichkeit; nar- zisstische Beschäftigung mit der eigenen Selbstverwirklichung; Machtmissbrauch zum eige- nen Nutzen, was zur Ausgrenzung der Armen und zur Zerstörung der Umwelt führt; Verhält- nisse, die von Herrschaft und sozialer Schichtung dominiert sind; Ethnozentrismus und religi- öse Intoleranz, eine Kultur, die soziale Veränderungen mit Gewalt herbeiführen will.

Der zweite Evangelische Rat ist der Gehorsam. Der Gehorsam meint, wachsam den jeweiligen Heilsanruf Gottes zu erkennen und ihm gehorchen. Durch den Gehorsam werden wir frei vom Haben und somit werden wir offen für das Bleibende im Leben. Unser Wirken in der Welt ist nur dann fruchtbar, wenn wir persönlich offen sind auf Gott hin in Betrachtung und Gebet, das nicht zu kurz kommen darf. Hier gilt es auch auf eine gute Brüdergemeinschaft zu achten. Auf alles, was wir Zeichen der Zeit nennen oder Bedürfnisse der Zeit, ist hörend gehorsam zu reagieren.

Seelsorge im franziskanischen Geist meint nicht einfach Autonomie im Sinne von Selbstbe- stimmung oder Selbstverfügung. Pastoral funktioniert auch nicht nach einer Marktlogik, nach dem Gesetz von Angebot und Nachfrage. Vielmehr ist Jesu der „Mensch für andere“, die Pro- existenz ist die zentrale Grundbewegung seines Lebens. Nicht Aufstieg, Karriere und Macht sind die Kategorien. Franziskus sucht mit Jesus eine Karriere nach unten, die für andere nütz- lich ist, andere aufbaut und die Kirche aufbaut

Der dritte Evangelische Rat ist die keusche Ehelosigkeit: Franziskus spricht im Sonnengesang vom keuschen Wasser: „Gepriesen sei, du mein Herr, durch Schwester Quelle. Ihr Wasser ist nützlich und keusch, demütig und helle.“ Es geht um zärtlichen und ehrfürchtigen Umgang mit Schöpfung und auch mit Menschen, also um alles andere als um Beziehungsunfähigkeit und Isolation. „Und sie mögen in Werken der Liebe erzeigen, die sie einander schulden, wie der Apostel sagt: „Nicht mit Wort und Zunge lasst uns lieben, sondern in Werk und Wahrheit!“

(Nicht-bullierte Regel 11) Es geht also um eine Person, die intakt ist, sich selbst angehört und aus der eigenen Mitte heraus offen ist für andere und für Gott. Dabei ist es die Liebe, die zu einem fruchtbaren Leben führt. Nur durch eine gelungene Lebensreifung können menschliche

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Beziehungen gelingen. Nur wenn wir uns zu den Verschiedenheiten der je konkreten Men- schen bekennen und eine unterschiedliche Nähe und Distanz zu leben wagen, bekommt Liebe als diskrete Liebe ein Gesicht. Alle gleich zu lieben, würde letztlich Unnahbarkeit und Kälte bedeuten. Die Echtheit unseres Gebetes und unseres Gottesdienstes ist abzulesen an der Fähigkeit, sich dem anderen zuzuwenden.

Geschwisterlichkeit

Geschwisterlichkeit hat einen guten Klang. Man verbindet damit Kommunikation auf Augen- höhe, herrschaftsfreie Beziehungen, vielleicht auch die Absetzung der Eltern, die Überwindung eines Gefälles zwischen den Generationen, Freiheit und nicht Gehorsam. Freilich schaut die Wirklichkeit anders aus als die Idee. Die Heilige Schrift kennt neben der Bruderliebe auch die Geschwisterrivalität, Egoismus, Begehrlichkeit und Gier: Kain und Abel, Jakob und Esau, Jo- sef und seine Brüder, der verlorene Sohn und sein Bruder (Lk 15). Bekannt ist auch, dass Romulus seinen Bruder Remus umbringt. Zwischen Kain und Abel ist es der Hass auf den Bruder, der Neid auf dessen Vorzug und der Zorn über die Benachteiligung.

Papst Franziskus spricht in seiner Enzyklika „Laudato si“4 von einer universalen Gemeinschaft und Geschwisterlichkeit. Gleichgültigkeit oder die Grausamkeit gegenüber den anderen Ge- schöpfen dieser Welt spiegeln viel von dem wider, wie wir die anderen Menschen behandeln.

Jegliche Grausamkeit gegenüber irgendeinem Geschöpf „widerspricht der Würde des Men- schen.“5 „Friede, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung sind drei absolut miteinander verbundene Themen, die nicht getrennt und einzeln behandelt werden können.“6 Alles ist auf- einander bezogen, und alle Menschen sind als Brüder und Schwestern gemeinsam auf einer wunderbaren Pilgerschaft, miteinander verflochten durch die Liebe, die Gott für jedes seiner Geschöpfe hegt und die uns auch in zärtlicher Liebe mit „Bruder Sonne“, „Schwester Mond“, Bruder Fluss und Mutter Erde vereint.“ (Nr. 92) Der Dialog zwischen den Religionen, mit der Wissenschaft und zwischen den Ökologiebewegungen muss „auf die Schonung der Natur, die Verteidigung der Armen und den Aufbau eines Netzes der gegenseitigen Achtung und der Geschwisterlichkeit ausgerichtet sein. Die Schwere der ökologischen Krise verlangt von uns allen, an das Gemeinwohl zu denken und auf einem Weg des Dialogs voranzugehen, der Ge- duld, Askese und Großherzigkeit erfordert. (Nr. 201)

Achtung

Jules Isaac beschäftigte sich in seinen Werken „Jésus et Israel“ (Paris, 1946)7 und „L’enseig- nement du mépris“ (Paris 1962) beschäftigte sich intensiv mit dem Verhältnis von Verachtung und Gewalt. Schrittweise rechtfertigt Verachtung Gewalt und dann den Krieg. Isaac meint, dass die Verachtung in Wertschätzung und Dialog verwandelt werden muss. An der Wurzel von Terror und Barbarei stand nicht selten die Anmaßung absoluter Macht über Leben und Tod, stand die Verachtung des Menschen, in der Nazizeit die Verachtung von Behinderten und

4 Papst Franziskus, Enzyklika Laudato si. Über die Sorge für das gemeinsame Haus, Vatikan Juni 2015.

5 Katechismus der Katholischen Kirche Nr. 2418

6 Konferenz des Dominikanischen Episkopats, Carta pastoral sobre la relación del hombre con la naturaleza (21.

Januar 1987)

7 Dt. Jules Isaac, Jesus und Israel, Wien/Zürich 1968.

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Zigeunern, die Verachtung von politischen Gegnern, die Verachtung von Traditionen, die im jüdischen Volk lebten und leben, die Verachtung der ‚anderen’. Diese Verachtung hat sich aller Kräfte, auch die der Wissenschaften, der Medizin, der Ökonomie und sogar der Religion be- dient. Von der Medizin her wurde lebenswertes und lebensunwertes Leben definiert und se- lektiert, es gab eine ökonomische Kosten-Nutzen Rechnung im Hinblick auf die Ermordung von Behinderten. Verachtung signalisiert: Du bist für mich überflüssig, reiner Abfall und Müll, den es verwerten und dann zu entsorgen gilt, eine Null, ein Kostenfaktor, den wir uns nicht mehr leisten wollen.

Für Papst Franziskus ist „echte menschliche Entwicklung … moralischer Art und setzt die voll- kommene Achtung gegenüber der menschlichen Person voraus, muss aber auch auf die Welt der Natur achten und der Natur eines jeden Wesens und seiner Wechselbeziehung in einem geordneten System Rechnung tragen“. Daher muss sich die Fähigkeit des Menschen, die Wirklichkeit umzugestalten, auf der Grundlage der ersten Ur-Schenkung der Dinge von Seiten Gottes entwickeln.“ (Nr. 5) In der Familie werden die ersten Gewohnheiten der Liebe und Sorge für das Leben gehegt, wie zum Beispiel der rechte Gebrauch der Dinge, Ordnung und Sauberkeit, die Achtung des örtlichen Ökosystems und der Schutz aller erschaffenen Wesen.

Die Familie ist der Ort der ganzheitlichen Erziehung, wo sich die verschiedenen Momente der persönlichen Reifung ausformen, die eng miteinander verbunden sind. In der Familie lernt man, um Erlaubnis zu bitten, ohne andere zu überfahren, „danke“ zu sagen als Ausdruck einer aufrichtigen Wertschätzung dessen, was wir empfangen, Aggressivität oder Unersättlichkeit zu beherrschen und um Verzeihung zu bitten, wenn wir irgendeinen Schaden angerichtet ha- ben. Diese kleinen Gesten ehrlicher Höflichkeit helfen, eine Kultur des Zusammenlebens und der Achtung gegenüber unserer Umgebung aufzubauen. (Nr. 213)

Freude und Kreuz

„Diese … Männer waren einander verbunden in überaus großer Fröhlichkeit und Freude des Heiligen Geistes. … Von solcher Freude waren sie erfüllt, als hätte sie den große Schatz auf dem evangelischen Grundstück der Herrin Armut gefunden, der zuliebe sie alle zeitlichen Gü- ter wie Unrat freien Herzens und gern verlassen hatten. (3 Gefährtenlegende 32f)

Was aber ist wahre und vollkommene Freude? Franziskus weiß sich zur Freude berufen, ja sogar zur vollkommenen Freude, nicht primär zur Askese, zu einer asketischen Peitschenknal- lerei, nicht zu rein professioneller Arbeit, auch nicht zum Frust. Es ist die Freude, die von den Seligpreisungen her zu deuten und zu leben ist. „Wie Sankt Franziskus auf einer Wanderung mit Bruder Leo ihn über das Wesen der vollkommenen Glückseligkeit belehrte: Bruder Leo, wenn auch die Minderbrüder allenthalben ein rechtes Beispiel der Frömmigkeit und Erbauung geben, das ist noch nicht völlige Glückseligkeit. … Wenn auch der Minderbruder die Blinden sehend macht, die Krummen aufrichtet, die Dämonen austreibt, den Tauben Gehör, den Stum- men Kraft zum Reden und den Lahmen zum Geben verleiht, und was noch mehr ist, wenn er die Toten nach vier Tagen erweckt, auch das ist noch nicht völlige Glückseligkeit. … Wenn auch der Minderbruder alle Sprachen, alle Wissenschaften und alle Schriften verstünde, ja könnte er selbst prophezeien und nicht nur künftige Dinge, sondern auch die Geheimnisse der Gewissen und der Seelen kundtun, auch das ist noch nicht völlige Glückseligkeit … Wenn auch der Minderbruder mit Engelszungen redete und sich auf den Lauf der Sterne und die Kraft der Kräuter verstünde, wenn die Erde ihm ihre Schätze preisgäbe, die Vögel ihn ihren Flug lehrten und er die Art der Fische, ja alle Tiere und noch der Menschen, der Bäume, Steine, Wurzeln und Meere erkannt hätte, auch das ist noch nicht die volle Glückseligkeit! … Wenn wir nun nach Santa Maria degli Angeli kommen, vom Regen durchnässt, von Kälte durchfro-

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ren, mit Kot bespritzt, von Hunger gequält, und wenn wir dann an die Pforte des Klosters klop- fen und der Pförtner kommt zornig heraus und spricht: Wer seid ihr? Und wenn wir dann ant- worten: Wir sind zwei von euren Brüdern! Er aber entgegnet: Ihr redet die Unwahrheit, ihr seid zwei Strauchdiebe, die ihr die Welt betrügt und die Armen ihrer Almosen beraubt, fort mit euch!

– und wenn er uns nicht einlässt, sondern uns nötigt, draußen in Schnee und Regen, hungernd und frierend bis in die Nacht hinein zu bleiben – dann – wenn wir solch Unrecht, solche Grau- samkeit, so harte Zurückweisung geduldig und ohne Zorn und Murren tragen werden, dann, wenn wir in Demut und Liebe bedenken, dass der Pförtner uns zwar kennt, dass Gott ihm aber die Worte wider uns eingibt – o Bruder Leo, schreib’ es dir auf, das ist völlige Glückseligkeit!“8 – Franziskus strahlt Freude aus und vermittelt Freude. Es ist aber eine Freude, die durch das Kreuz geht. „Regel und Leben dieser Brüder ist so: … Und: wenn jemand mir nachkommen will, verleugne er sich selbst und nehme sein Kreuz und folge mir.“ (Nicht bullierte Regel 1) Franziskus ist der durch die Wundmale des Gekreuzigten Gezeichnete.

An die Ränder des Denkens

Die „Selbstbezogenheit der Kirche“, so Papst Franziskus, sei der Grund für das Übel in ihren Institutionen. Jorge Bergoglio kritisierte eine um sich selbst kreisende Kirche, die sich selbst genug sei und die in „theologischen Narzissmus“ verfalle. Zweck der Kirche sei die Verkündi- gung des Evangeliums. Daher müsse sie sich an die Grenzen menschlicher Existenz vorwa- gen. „Evangelisierung setzt apostolischen Eifer“ und „kühne Redefreiheit voraus, damit sie aus sich selbst herausgeht“, „nicht nur an die geographischen Ränder, sondern an die Grenzen der menschlichen Existenz: die des Mysteriums der Sünde, des Schmerzes, der Ungerechtig- keit, der Ignoranz, der fehlenden religiösen Praxis, des Denkens und jeglichen Elends“. Eine egozentrische Kirche „beansprucht Jesus für ihr Eigenleben und lässt ihn nicht nach außen treten“. So eine Kirche glaube, dass sie schon das eigentliche Licht sei, höre auf, „das Ge- heimnis des Lichts“ zu sein und lebe nur noch, „um die einen oder anderen zu beweihräu- chern“.

Lob der Schöpfung

„Höchster, allmächtiger, guter Herr, Dein sind die Lobgesänge, die Herrlichkeit und die Ehre und jegliche Preisung. Dir allein, Höchster, gebühren sie, Und kein Mensch ist würdig, dich zu nennen. (2) Gelobt seist du, mein Herr, mit allen deinen Geschöpfen, Besonders Herrn Bruder Sonne; Der ist Tag, und du gibst uns Licht durch ihn, Und schön ist er und strahlend mit gro- ßem Glanze; Von dir, Höchster, gibt er Eindruck. (3) Gepriesen seist du, mein Herr, für Schwester Mond und die Sterne: Am Himmel hast du sie geschaffen, hell, kostbar und schön.

(4) Gelobt seist du, mein Herr, für Bruder Wind Und für Luft und Wolke und heiteres und jedes Wetter, Durch das du deinen Geschöpfen Erhaltung gibst. (5) Gelobt seist du, mein Herr, für Schwester Wasser, Die gar nützlich ist und bescheiden und kostbar und keusch. (6) Gelobt seist du, mein Herr, für Bruder Feuer, Durch den du die Nacht erleuchtest, Und er ist schön und erfreulich und stark und kräftig. (7) Gelobt seist du, mein Herr, für unsere Schwester Mutter Erde, Die uns erhält und leitet Und mannigfache Früchte hervorbringt und bunte Blumen und Kräuter. (8) Gelobt seist du, mein Herr, für die, welche vergeben um deiner Liebe willen, Und die Krankheit und Trübsal ertragen; Selig, die sie in Frieden ertragen werden, Denn von dir, Höchster, werden sie gekrönt werden. (9) Gepriesen seist du, mein Herr, für unsere Schwester leiblichen Tod, Vor der kein lebender Mensch entrinnen kann. Weh denen, die in den Todsün- den sterben! Selig, die sie in deinem allerheiligsten Willen findet, Denn der zweite Tod wird

8 Franz von Assisi, Die Werke, Zürich 1979, 93f.

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ihnen nichts anhaben. (10) Lobet und preiset meinen Herrn Und danket und dienet ihm mit großer Demut!

Der Sonnengesang ist nicht einfach eine Naturschwärmerei. Sein Jubel ist die Reaktion auf die innere Gewissheit der Erlösung in einer der finstersten Nächte, die ein Mensch durchleben kann. Der Sonnengesang ist ein Gebet, ein Lob Gottes durch die Natur, durch die Fülle der Schöpfung. Franziskus positioniert sich in diesem Lied nicht zur Natur, sondern zu Gott. In diesem Sinne ist der Sonnengesang aber auch ein klares Bekenntnis zur Natur als einer Schöpfung Gottes.

„Der selige Franziskus … sagte… der Bruder Gärtner solle ein … schönes Gärtchen anlegen [das schöne Blumen hervorbringt] damit sie zu ihrer Zeit all ihre Betrachter zum Lob Gottes einladen würden. Denn jedes Geschöpf sagt und ruft: „Gott hat mich deinetwegen gemacht, o Mensch.“ (Legenda Perusina 88)

Positiv sind Haltungen gefragt, die Freude an der Schöpfung und am Leben fördern: „Wer vom Glanz der geschaffenen Dinge nicht erleuchtet wird, ist blind; wer durch dieses laute Rufen der Natur nicht erweckt wird, ist taub; wer von diesen Wundern der Natur beeindruckt, Gott nicht lobt, ist stumm; wer durch diese Signale der Welt nicht auf den Urheber hingewiesen wird, ist dumm. Öffne darum die Augen, wende dein geistliches Ohr ihnen zu, löse deine Zunge und öffne dein Herz, damit du in allen Kreaturen deinen Gott entdeckest, hörest, lobest, liebest ..., damit nicht der ganze Erdkreis sich anklagend gegen dich erhebe!“9 Geistliches Leben braucht die Begegnung mit der Natur. Diese Begegnung kann verschüttete Dimensionen der Lebensfreude, der Ehrfurcht, des Staunens und des Lobes freisetzen.

+ Manfred Scheuer Bischof von Linz

9 Bonaventura, Itinerarium I,15 = Opera omnia V, 299.

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