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Antike Äußerungen zur ägyptischen Schrift

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An t ike Äußerungen zur ägyp t ischen Schr if t

I . Sch r i f t a ls Au fze ichnung von Sp rach lau ten : P la ton

1 .P la ton , Ph i lebo s

Nachdem man nämlich zuerst den Laut als ein Unendliches aufgefaßt hatte, war es nun ein Gott oder irgendeingöttlicher Mensch, wie denn inÄgypten eine Sage geht, welche sagt, es sei dies ein gewisser Theuth gewesen, welcher zuerst die Selbstlauter indiesem Unendlichen unterschied, nicht als eines, sondernals mehrere, und dann wiederum andere, die zwar keinen Laut eigentlich, wohl aber ein gewisses Geräusch geben, und wie diese ebenfalls eine gewisse Zahl ausmachen, und der endlich noch eine dritte Art der Buchstaben unterschied, die wir jetztstummenennen; nächstdem aber sonderteer sowohldie laut-und geräuschlosen einzeln ab, als auch die Selbst- lauterund die mittleren aufdieselbe Weise, bis er ihreZahl zusammenfassend jeden einzeln und alle insgesamtBuchstaben nannte. Und da er sah,daß niemand von uns auch nicht einen fürsichallein ohne sie insgesamtverstehen kann, so faßteer wie- derum dieses ihrBand als eines zusammen und als diese alle vereinigend und be- nannte es daher als das eine zu diesen die Sprachkunst.1

2 .P la ton , Pha id ro s

Ichhabe also gehört (erzähltSokrates), zu Naukratis inÄgypten sei einer von den dortigen alten Göttern gewesen, dem auch der Vogel, welcher Ibisheißt, geheiligt war, er selbstaber, der Gott, habe Theuth geheißen. Dieser habe zuerst Zahl und Rechnung erfunden, dann die Meßkunst und die Sternkunde, fernerdas Brett- und Würfelspiel, und soauch die Buchstaben. Als König von ganz Ägypten habe damals Thamus geherrscht inder großen Stadt des oberen Landes, welche die Hellenen das ägyptische Theben nennen, den Gott selbstaber Ammon. Zu dem sei Theuth gegan- gen, habe ihmseineKünste gewiesen, und begehrt, sie möchten den anderen Ägyp- ternmitgeteilt werden. Jenerfragte,was doch eine jedefürNutzen gewähre, und je nachdem ihm,was Theuth darüber vorbrachte, richtigoder unrichtig dünkte, tadelte er oder lobte.Vieles nun sollThamus dem Theuth über jedeKunst dafür und dawi- der gesagthaben, welches weitläuftig wäre alles anzuführen.Als er aber an die Buch- stabengekommen, habe Theuth gesagt: Diese Kunst, o König, wird die Ägypter wei- sermachen und gedächtnisreicher, denn als ein Mittel fürden Verstand und das Ge- dächtnis istsie erfunden. Jeneraber habe erwidert: O kunstreichster Theuth, einer weiß, was zu den Künsten gehört, ans Licht zu gebären; ein anderer zu beurteilen, wieviel Schaden und Vorteil sie denen bringen, die sie gebrauchen werden. So hast auch du jetztals Vater der Buchstaben aus Liebe das Gegenteil dessen gesagt, was sie bewirken. Denn diese Erfindung wird der Lernenden Seelen vielmehr Vergessen-

Plato, Philebus 18b-d, Übers. F. Schleiermacher.

Originalveröffentlichungin: Aleida Assmann, Jan Assmann (Hg.), Hieroglyphen. Stationen einer anderen abendländischen Grammatologie (Archäologie derliterarischen Kommunikation 8), München 2003, S. 27-35

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28 Antike Äußerungen zurägyptischenSchrift

heit einflößen aus Vernachlässigung des Gedächtnisses, weil sie imVertrauen auf die Schrift sichnur von außen vermittels fremderZeichen, nicht aber innerlichsich selbstund unmittelbar erinnern werden. Nicht also fürdas Gedächtnis, sondernnur fürdie Erinnerung hast du ein Mittel erfunden, und von der Weisheit bringst du dei- nen Lehrlingen nur den Schein bei, nicht die Sache selbst.Denn indemsie nun vieles gehört haben ohne Unterricht, werden sie sichauch vielwissend zu seindünken, da sie doch unwissend größtenteils sind,und schwerzu behandeln, nachdem sie dün- kelweise geworden stattweise.2

I I . Sch r i f t a ls symbo l i sche Ikonog raph ie

3 . P lu t a rch (2 . Jh . n . Ch r . )

Pythagoras ahmte das Verschlüsselte und Mysterienhafte ihrer(derägyptischen Priester) Äußerungen nach und verband seineLehrsätze mit Rätseln. Denn den so- genannten ,hieroglyphischenBuchstaben“ stehendie pythagoräischen Sprüche im allgemeinen nicht fern,zum Beispiel „Iß nicht auf einemStuhl“, „Sitze nicht aufei- nem Scheffel“, „Pflanze keine Palme“ und „Schüre nicht mit einem Schwert das Feuer imHaus“. Mir scheintauch, wenn die Pythagoräer die Eins „Apollon“ nennen und die Zwei „Artemis“, die Sieben „Athena“ und die erste Kubikzahl „Poseidon“, soistdas vergleichbar mit dem, was inHeiligtümern, inMonumenten, jaauch insa- kralen Handlungen und Schriften dargestellt wird. So schreibensie den König und Herrn Osiris mit einem Auge und einem Szepter; einige übersetzen den Namen auch mit „vieläugig“, weil os inägyptischer Sprache „viel“ bedeutet und iri„Auge“. Den Himmel schreibensie, insoferner nicht altert — er istjaewig — mit einer Uräus- schlange;den Zorn mit einem Herzen, unter dem sich ein Feuerbecken befindet. In Theben waren Bildnisse von Richtern ohne Hände aufgestellt; das Bild des Ober- richtershatte geschlossene Augen, insoferndie Gerechtigkeit unbestechlich und unerbittlich ist.Die Angehörigen des Kriegerstandes hatten einen Mistkäfer zur Gravierung ihresSiegels, denn es gibt keinen weiblichen Mistkäfer, sondernsie sind alle männlich. Sie erzeugen Nachkommen, indemsie den Samen abgeben, während sie ihreKugeln formen,womit sie nicht sosehrNährstoff als einen Raum fürdas Werden des Embryos schaffen.3

4 . P lo t in (3 . Jh . n . Ch r . )

Die ägyptischen Weisen [...]verwendeten zur Darlegung ihrerWeisheit nicht die Buchstabenschrift, welche die Wörter und Prämissen nacheinander durchläuft und auch nicht die Laute und das Aussprechen der Sätze nachahmt, vielmehr bedienten sie sichder Bilderschrift, sie gruben inihrenTempein Bilder ein, deren jedesfürein bestimmtes Ding das Zeichen ist:und damit, meine ich,haben sie sichtbargemacht, daß es dort oben [beiden Göttern] kein diskursives Erfassen gibt, daß vielmehr je- nes Bild dort oben Weisheit und Wissenschaft istund zugleich deren Vorausset- zung, daß es ineinem einzigen Akt verstanden wird und nicht diskursives Denken und Planen ist.

/ 2 Plato, Phaedrus 273c-274b, Übers. F. Schleiermacher. 3 De Isideet Osiride, Kap. 10, Übersetzung H. Görgemanns.

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Antike Äußerungen zurägyptischenSchrift 29 ...Und erst als ein Späteres entspringtvon dieser Weisheit, welche nur mit einem einzigen Akt erfaßtwird, ein Abbild ineinem anderen Ding, und dies istnun entfal- tetund legtseinWesen selberimeinzelnen dar und macht die Ursachen ausfindig, warum ein Ding sobeschaffen ist;wenn nun jemanddies Abbild sieht,darf er wohl, da das Ergebnis sichso gegen die Logik verhält, sagen,daß er sichüber die Weisheit verwundert, wieso sie, ohne selberdie Ursachen insichzu tragen,weshalb das Ding so beschaffen ist,doch dem nach ihrerRichtschnur geschaffenen die Ursachen dar- gibt.4

5 . Po rphy r io s (Ende 3 . Jh . )

Ein Mistkäfer mag verabscheut werden von unwissenden Leuten, die keine Ahnung von göttlichen Dingen haben, aber die Ägypter verehrten ihnals das lebendeAbbild der Sonne. Denn jederKäfer istmännlich und legtseirienSamen inLehm ab, den es zu einer Kugel formtund mit seinenHinterbeinen hochstemmt wie die Sonne im Himmel, und dann wartet er eine Mondperiode vön 28 Tagen ab. Inder gleichen Weise philosophieren sie über den Widder, das Krokodil, den Geier, den Ibis,und überhaupt über alle Tiere, denn ihreWeisheit und tiefeTheosophie führtesie zur Verehrung auch der Tiere.5

6 . Jamb l ich (Ende 3 . Jh . n . Ch r . )

So vernimm auch du, nach dem Verständnis der Ägypter, die vernunftgemäße Deu- tungder Symbole, und mach dich dabei freivon der Vorstellung der Symbole, die von der Imaginationund vom Hören kommt, um dich zu der geistigen Wahrheit zu erheben. Betrachte z. B. [dasSymbol des Kindes aufder aus dem Schlamm auftau- chenden Lotosblüte] und verstehe unter dem Schlamm alles Körperhafte und Mate- rielle,das Zeugende und Nährende oder überhaupt jedeErscheinungsform der Na- tur,die mit dem unsteten Fluß der Materie inBewegung ist,alles was den Fluß des Werdens empfängt und mit ihmzurücksinkt, oder endlich das führendePrinzip und Fundament der zeugenden Elemente und aller indiesen Elementen wirkenden En- ergien. Über diesen Grundlagen nun der Schöpfer allen Werdens, der gesamten Na- turund aller Elementarkräfte, erder sie alle überragt und sichoffenbart hat indem, was aus ihmhervorgegangen und wieder inihnzurückkehrt: immateriell,unkörper- lich,übernatürlich, ungezeugt, führter alles Seiende an und umschließt insichdie Gesamtheit der Wesen. Und weil er alle umfängt und sichallem inder Welt Seien- dem mitteilt, kommt er aus ihnenzum Vorschein; weil er aber auch alles überragt und unabhängig von allem insichselbstruht,erscheint er als abgesondert, transzen- dent, erhaben und einfach insichselbstverharrend über den kosmischen Kräften und Elementen. Beweis dafür istdas folgendeSymbol. Das Sitzen aufdem Lotos symbolisierteine Distanz (hyperoche) gegenüber dem Schlamm, die jedenKontakt mit ihmausschließt, und bezeichnet eine geistige und ätherische (empyrion) Überlegen- heit; denn alle Teile der Lotusblüte zeigen sichkreisförmig und die Formen seiner Blätter und Früchte; nun istaber die Tätigkeit des Geistes genau dieser kreisförmi- gen Bewegung kongenial, die sichals dauerhaft identischinder Einheit der Ord-

4 Plotin, Enneades, V, 8, 5, 19 und V, 8, 6, 11. Übersetzung von Richard Harder: Plotins Schriften, Bd. III,Hamburg 1964, 49-51.

Porphyrios, De abstinentiaIV9.

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30 Antike Äußerungen zurägyptischenSchrift

nung und Vernunft erweist. So ruhtnun auch der Gott selbstinsichund noch ober- halb dieser Führung und Energie (sowie die Lotusblüte über dem Schlamm), erha- ben und heilig inseinertranszendentenEinfachheit, insichruhend:das besagt die sitzendeSteilung.

Was nun [dasSymbol] dessen betrifft, der inseinerBarke fährt:es deutet die Herr- schaftan, die den Weltlauf steuert.Denn so,wie der Steuermann, vom Schiff unter- schieden,das Steuerruder führt,ebenso regiertauch der Sonnengott das Steuerruder des Weltalls, von ihmselbstunterschieden. Und so,wie der Pilot oben vom Bug aus das Ganze lenkt,indemer aus sichselbsteinen kleinen Anstoß gibt, der die Bewe- gung bestimmt, so bestimmt auch die Gottheit von oben her, nämlich von den er- stenPrinzipien der Natur aus, die ersten Antriebe und Ursachen der Bewegungen. Das und noch viel mehr bezeichnet das Fahren inder Barke.

Da fernerjederHimmelsabschnitt, jedesTierkreiszeichen, der gesamte Him- melsumschwung und die ganze Zeit, inder sichder Himmel bewegt, und überhaupt alle Wesen imKosmos von der Sonne die Kräfte empfangen, die sie aussendet, von denen die einen sichmit dem Weltganzen verflechten, die anderen aber füreine sol- che Vermischung zu groß sind,so wird das inder symbolischenDarstellungsweise dadurch wiedergegeben, daß sie dem Wortlaut nach zwar anzeigt, daß sichder Gott injedemTierkreiszeichen anders gestaltet und somitseineErscheinungsform stündlichverändert, zugleich aber zeigt, daß er selbstsichunveränderlich, beständig und unaufhörlich, vollständig und zugleich inseinerganzen Wesenheit dem gesam- tenWeltall mitteilt. Denn da die Wesen, die ihnempfangen, sichan verschiedenen Orten um ihnbewegen und inunterschiediichen Formen die Sonnenenergien auf- nehmen, will die symbolischeLehre (symbolikedidache) den Einen Gott inder Vielfalt seinerWirkungen zeigen und inden verschiedenartigen Kräften seineeinzigartige und einheitliche Kraft darstellen. Deshalb lehrtsie,daß er einheitlich und immer derselbe ist;den Grund aber fürdie Veränderungen seinerGestalt und fürdie Ver- wandlungen verlegt sie indas, was ihninsichaufnimmt.6

7 . C lemen s von A lexand r ien (3 . Jh . )

Die Geheimnisse der Ägypter stehendaher hinsichtlich der Geheimhaltung denen der Hebräer innichts nach. Einige Ägypter zeichnen die Sonne ineinem Schiff, an- dere aufeinem Krokodil. Dabei bedeuten sie, daß die Sonne, wenn sie durch die süßeund feuchteLuft fährt,die Zeit hervorbringt, die zufolge einer anderen prie- sterlichenÜberlieferung durch das Krokodil bezeichnet wird. InTheben wird über- dies aufeinem Pylon, genannt ,derHeilige1, ein Kind als Symbol der Geburt und ein Greis als Symbol des Verfalls dargestellt. Ferner istdas Symbol für,Gott‘ ein Falke wie der Fisch für,Abscheu‘ und, einer anderen Symbolik zufolge, das Krokodil für ,Schamlosigkeit‘. Das ganze Symbol scheintdann, zusammengenommen,folgendes zu lehren:„Ohihr,die ihrgeboren werdet und sterbt,Gott haßt die Schamlosig- keit!“ Andere bilden Ohren und Augen aus kostbaren Materialien und weihen sie den Göttern, indemsie sie inden Tempeln ablegen, um damit natürlich zu bedeuten, daß Gott alles siehtund alles hört. Darüber hinaus istder Löwe fürsie ein Symbol der Stärke und Macht wie der Stier fürdie Erde selbst,fürAckerbau und Nahrung,

6 Jamblichos,Brief anAbammon („DeMysteriis Aegyptiorum“),VII 3, nach Jam- blique, Les mysteres d’Egypte, hrsg. von Ed. des Places, Collection Bude, Paris 1989, 189-191.

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Antike Äußerungen zurägyptischenSchrift 31 und das Pferd fürMut und Vertrauen, und die Sphinx, andererseits, fürStärke ver- bunden mit Einsicht, da sie einen Löwenkörper und Menschenkopf hat. Gleicher- weise zeichnen sie für,Verstand‘,,Gedächtnis‘ und ,Macht‘ einen Menschen inden Tempeln.7

8 . Amm ianu s Ma rce l l inu s (Ende 4 . Jh . )

Man siehtdort überall eine ungeheure Vielfalt von Gestalten oder Symbolen eingra- viert, die wir Hieroglyphen nennen und die das geheimnisvolle Wissen der Urzeit bewahren: Figuren von Vögeln, Vierfüßlern, auch Wesen einer anderen Welt, dazu bestimmt, künftigen Zeitaltern das Gedächtnis der Taten und der gelobten oder er- fülltenGelübde der Herrscher zu überliefern. Denn nicht wie heute eine bestimmte und einfache Reihe von Buchstaben ausdrückt, was der menschliche Geist verstehen kann, schriebendie alten Ägypter, sonderneinzelne Zeichen dienten ihnenfür Haupt- und Zeitwörter. Bisweilen bedeuten sie sogarganze Sätze. Zwei Beispiele genügen, um davon einen Eindruck zu geben. Ein Geier bezeichnet den Begriff

„Natur“, denn diese Gattung kennt keine Männchen. Eine mit der Honigproduktion beschäftigte Biene bedeutet das Wort „König“,um anzudeuten,daß die Süße das Wesen der Herrschaft ist,aber die Gegenwart des Stachels doch bewußt bleibt. Und vieles dergleichen mehr.8

Da sindauch ,Syringen‘, unterirdische und gewundene Gänge, die, wie erzählt wird, von den inden alten Riten Erfahrenen an vielen Orten mit vieler Mühe indie Erde gegraben wurden, da sie das Kommen einer Sintflut vorhersahen und fürchte- ten,das Gedächtnis der Zeremonien könnte zerstörtwerden. Und indie Wände die- serHöhlen gravierten sie viele Arten von Vögeln und Tieren und zahllose Arten von Lebewesen, was sie ,hierographischeSchriftzeichen“ nannten.9

9 . Tze tze s (12 . Jh . ) , I l ia skommen ta r , zu A 97 : nach Cha i remon (1 . Jh . )

„Erwird seinekraftvollen Hände fernhalten“: die Sonne und die Elemente und alle derartigen Dinge haben keine Bogen, Waffen, Hände, Glieder, Teile oder geistige Intentionen.Homer aber, hochbewandert inallen Wissensgebieten, sagtdas nach dem Prinzip der äthiopischen Schriftzeichen (grammata). Die Äthiopier benutzen nämlich nicht Buchstaben (stoicheia) als Schriftzeichen, sondernstattdessen alle Ar- tenvon Lebewesen und ihreKörperteile. Weil nämlich die ältesten Schriftgelehrten (hierogrammateis) die natürliche Theologie (tön peri thednphysikon logon) geheimhalten wollten, überlieferten sie diese Dinge ihreneigenen Kindern inForm solcheralle- gorischer Symbole und Schriftzeichen, wie der Schriftgelehrte Chairemon sagt. Sie schrieben

Stromata V 7, 41.2-43.2.

Ammianus Marcellinus, Historiae, XVII.4, nach P. Marestaing, Les ecritures

®8yptiennes et l’antiquite classique, Paris 1913, 110 f.

Ammianus Marcellinus, Historiae, XXII 15.30, nach P. W. van der Horst, Chae- remon.Egyptian Priest and Stoic Philosopher, Etudes preliminaires aux religions orientales dans l’Empire Romain, Leiden 1984, 44 f. Fragm. 28 D.

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32 Antike Äußerungen zurägyptischenSchrift

(Signifikat) (Signifikant)

für,Freude‘: eine Frau, die die Trommel schlägt für,Kummer‘: einen Mann, der sichans Kinn faßtund

sichzur Erde niederbeugt für,Unglück‘: ein weinendes Auge

für,Osten‘ oder ,Sonnenaufgang‘ eine Schlange, die aus einem Loch kommt für,Westen‘ oder ,Sonnenuntergang‘ eine Schlange, die inein Loch kriecht für,Wiederaufleben” (.Anabiosis) einen Frosch

für,Seele‘ einen Falken für,Sonne‘ oder ,Gott‘ desgleichen für,Weibchengebärende‘

oder ,Mutter‘ oder ,Zeit‘

oder ,Himmel‘ einen Geier für,König‘ eine Biene für,Geburt‘

oder ,Selbstgewachsenes‘

oder ,Männchen‘ einen Käfer für,Erde‘ einen Stier (Signifikant) (Signifikat)

Das Vorderteil eines Löwen bedeu- alle Arten von ,Stärke‘ und ,Gewahrsam‘ tetihnenzufolge

Das Hinterteil eines Löwen bedeutet ,Notwendigkeit‘ (ananke) Ein Hirsch bedeutet ,DasJahr‘

Eine Palme (bedeutet)ebenfalls ,DasJahr‘ Ein Kind bedeutet ,DasWachsende“

Ein Greis bezeichnet ,DasVergehende“

Ein Bogen bezeichnet ,leidenschaftlicheMacht*

...und unzählige solcherZeichen. Auf der Grundlage solcherDinge sagteHomer das.10

10 . Ho rapo l lon (An fang 5 . Jh . ) , d ie e r s ten d re i Ze ichene rk lä rungen

Wenn sie .EWIGKEITbezeichnen, schreibensie Sonne und Mond, weil es die ewi- gen Elemente sind.

Wenn sie .EWIGKEIT“ aufandere Weise schreibenwollen, malen sie eine Schlan- ge, deren Schwanz unter dem restlichenKörper verborgen ist;die Ägypter nennen sie ,Uräus‘, das entspricht,Basilisk‘ imGriechischen. Sie fertigensie aus Gold und 10 P. W. van der Horst, Chaeremon. Egyptian Priest and Stoic Philosopher, Etudes

preliminaires aux religionsorientales dans l’Empire Romain, Leiden 1984, 24 Nr. 12.

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Antike Äußerungen zurägyptischenSchrift 33 legensie den Göttern um. ,Ewigkeit‘, so sagendie Ägypter, werde durch ebendieses Tier dargestellt, da von den drei Arten dieser Schlangen, die es gibt, die übrigen zwei sterblichsind,diese allein jedochunsterblich ist;zudem tötetsie, ohne auch nur zu beißen, jedesandere Tier, indemsie es anfaucht. Sie istaugenscheinlich Herr über Leben und Tod, aus diesem Grunde plaziert man sie aufden Kopf der Götter.

Wenn sie ,WELT‘ schreibenwollen, malen sie eine Schlange, die ihrenSchwanz frißtund die mit mannigfachen Schuppen markiert ist;durch diese Schuppen deuten sie die Sterne imWeltall an. Das Tier istganz gewichtig wie die Erde und ganz glatt wie das Wasser. JedesJahrstreiftdie Schlange ihrAlter ab, sowie sichauch imUni- versum der Zeitraum eines Jahres,einen Wechsel vornehmend, erneuert.Daß es sei- nen eigenen Körper als Nahrung gebraucht, bedeutet, daß alles, was durch die gött- licheVorsehung inder Welt hervorgebracht wird, auch wieder inihrverschwindet.

Wenn sie das ,JAHR‘ bezeichnen wollen, malen sie Isis,d. h. eine Frau; ebenso bezeichnen sie auch die Göttin. Isisistbei ihnenein Stern, ägyptisch ,Sothis‘, grie- chisch ,Astrokyon‘ (Hundsstern)genannt, der offenbar über die übrigen Sterne herrscht; er erscheint manchmal größer, manchmal kleiner, manchmal heller und manchmal nicht sohell. Weil wir beim Aufgang der Sonne alles angedeutet bekom- men, was imVerlauf eines JahresinErfüllung gehen soll,nennen sie das Jahraus gutem Grund „Isis“.

Sie schreiben,Jahr‘ auch anders: Sie malen eine Palme. Dieser Baum nämlich bringt als einziger beim Aufgang des Mondes einen Zweig hervor, sodaß mit zwölf Zweigen das Jahrvollendet wird."

I I I . D ie V ie lhe i t ägyp t i sche r Sch r i f ten und Sch r i f t funk t ionen

11 . D iodo r (1 . Jh . v . Ch r . )

Die Figuren der Standbilder nun und die Formen der Schriftzeichen haben die Ägypter von den Äthiopiern übernommen. Die Ägypter besitzen nämlich zwei Schriften: die eine, „demotisch“ genannt, lernenalle; die andere wird die „heilige“

genannt. Bei den Ägyptern verstehen sie allein die Priester, die sie von den Vätern in den Mysterien lernen.Bei den Äthiopiern aber benutzen alle diese Schriftzeichen.

Wir müssen jetztvon den äthiopischen Schriftzeichen (grammata) reden,die die Ägypter „Hieroglyphen“ nennen, damit wir nichts inbezug aufdie alten Dinge aus- lassen.Es ergibt sichnun, daß die Schriftzeichen (typoi) allen Arten von Tieren, Gliedmaßen des menschlichen Körpers, Werkzeugen, vor allem denen des Zimmer- manns gleichen. Bei ihnendient die Schrift (he grammatikl) nicht dazu, durch Ver- bindung von Silben das zugrundeliegende Wort (logos oder „Rede“) wiederzugeben, sondernum aufmetaphorische Weise die Bedeutungen der gezeichneten Objekte auszudrücken, die imGedächtnis gespeichert werden. So zeichnen sie etwa einen 11

11 Horapollon Nilotes, Hieroglyphica §§ 1-3 nach H. J.Thissen, Des Niloten Hor- apollon Hieroglyphenbuch, Band 1: Text und Übersetzung, Leipzig 2001, 3-5. Es handelt sichum die ersten drei von insgesamtsiebzigähnlich aufgebauten Lem- mata des erstenHieroglyphenbuchs. Das zweite Buch hat einen anderen Verfas- serund geht anders vor.

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34 Antike Äußerungen zurägyptischenSchrift

Sperber, ein Krokodil, eine Schlange oder irgendeinGlied des menschlichen Kör- pers wie z. B. ein Auge, eine Hand, das Gesicht oder etwas Entsprechendes. Der Falke bedeutet Schnelligkeit, da er der schnellstealler Vögel ist.Das läßtsichdann metaphorisch aufalles anwenden, was mit Schnelligkeit begabt ist,und wie Wörter verstehen. Das Krokodil bedeutet Bosheit. Das Auge bezeichnet den Hüter der Ge- rechtigkeitund den Wächter des Körpers. Von den Körperteilen bezeichnet die Hand mit ausgestreckten Fingern die Notwendigkeit zum Erwerb des Lebensunter- halts, die geschlossene linkeHand bezeichnet die Bewahrung und Bewachung der Güter. So verhält es sichauch mit den anderen Zeichen inGestalt von Körperteilen und Werkzeugen und anderem. Indemsie nun sichanstrengen, die indiesen Formen verborgenen Bedeutungen zu entdecken, gelangen sie durch jahrelangeÜbung und Gedächtnistraining dahin, alles Geschriebene zu lesen.12

12 . C lemen s von A lexand r ien (3 . Jh . n . Ch r . )

Diejenigen, die bei den Ägyptern unterrichtet werden, lernenzuerst von allem die Verwendungsart der ägyptischen Schrift, die den Namen Briefschrift führt,als zwei- tesodanndie hieratische, die von den heiligen Schreibern (Hierogrammaten)ange- wendet wird, zuletzt und als Vollendetste (teletl:als letzteStufe der Einweihung) die Hieroglyphenschrift, die teils„vermittels der elementaren Buchstaben” (dia tön prötön stoicheiön) etwas unmittelbar benennt (kyriologeisthai),teilssymbolischist.Von der symbolischenSchrift gibt es drei Arten: die eine bezeichne etwas unmittelbar (kyriologeisthai),indemsie seineForm imBilde wiedergibt (katamimesin), die andere wird inder Weise geschrieben, daß ein Zeichen aufein anderes Gebiet übertragen wird (tropikös),die dritte schließlichverfährt allegorisch und gibt gewissermaßen Rätsel auf (katatinasainigmous). Wenn sie z. B. das Wort „Sonne“ schreibenwollen, malen sie einen Kreis, und fürdas Wort „Mond“ zeichnen sie eine mondähnliche Fi- gur; das istdie „kyriologische“ Schreibweise (dieetwas durch einfache Abbildung unmittelbar bezeichnet). Übertragung aber istes, wenn sie ein Schriftzeichen auf ein anderes verwandtes Gebiet überführen oder auch vertauschen oder inmannigfacher Weise abwandeln und soschreiben.So verzeichnen sie z. B. durch Reliefbilder die Lobsprüche aufihreKönige, indemsie dieselben durch Göttersagen überliefern. Ein Beispiel fürdie dritte Art, die mit Rätseln arbeitet, sollfolgendessein. Die übri- gen Gestirne stellensichnämlich wegen ihresgewundenen Laufes bildlich durch Schlangenkörper dar, die Sonne aber durch den Mistkäfer, weil er aus Rindermist eine Kugel formtund sie vor sichher rolit.Sie sagenauch, daß dieses Tier sechs Monate unter und sechsMonate über der Erde lebt,und daß es seinenSamen indie Kugel ergießt und sichsofortzeugt,und daß es keine weiblichen Mistkäfer gibt.13

13 . Po rphy r io s (Ende 3 . Jh . n . Ch r . )

Und inÄgypten war Pythagoras mit den Priestern zusammen, studierte(exemathe) die Weisheit und die Sprache der Ägypter, sowiedie drei Arten (trissasdiaphoras) der Schriftzeichen (grammatön), die epistolographischen,die hieroglyphischen und die

12 Diodorus Siculus, Bibliotheca Historica III,3—4, nach P. Marestaing, Les ecri- turesegyptiennes et l’antiquite classique, Paris 1913, 48 f.

13 Stromata, V, 4, 20.3-21.3. Nach P. W. van der Hoorst (1994)handelt es sich hier um ein Exzerpt aus Chairemon (1. Jh.),vgl. Nr. 7.

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Antike Äußerungen zurägyptischenSchrift 35 symbolischen,von denen die einen (dasGemeinte) durch Abbildung direkt bezeich- nen (kyriologoumenon), die anderen es durch bestimmte Rätsel umschreiben (allegorou- menon), und er lernteeine Menge über die Götter.14

Auswahl und Übersetzung (wonicht anders angegeben) von JanAssmann

14 Porphyrios, Vita Pythagorae §§ 11-12 ed. Ed. des Places, Porphyre, Vie de Pytha- gore, lettreä Marcella, Collection Bude, Paris 1982, 41.10-15.

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