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Ist die Hypothese vom Polyphem-Giebel in Ephesos bereits falsifiziert?

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Bernard Andreae, Rom

IST DIE HYPOTHESE VOM POLYPHEM-GIEBEL IN EPHESOS BEREITS FALSIFIZIERT?

Resümee

Die Hypothese, daß die Skulpturen aus dem sog. Pollionymphäum ursprünglich für den Giebel des Tempels auf dem Staatsmarkt bestimmt waren, ist zwar umstritten, aber bisher nicht falsifiziert.

Die von K.R. Krierer aufgenommene Feststellung des Arztes A. Suppan, daß der liegende Gefährte (Selcuk, Efes Müzesi Inv. 1561) an einer Tetanusinfektion stirbt, sollte nicht gegen die Hypothese eingewendet werden, denn der ephesische Bildhauer, der die Figur um 40 v. Chr. schuf, könnte sich einen an Wundstarrkrampf gestorbenen Gefalle­

nen, den er auf einem Schlachtfeld seiner Zeit gesehen hatte, zum Vorbild seines Toten genommen haben, ohne sich zu fragen, ob ein Gefährte des Odysseus auf diese Weise zu Tode gekommen sein konnte. Die Einheitlichkeit dieser Gruppe von Skulpturen, ihre gleichmäßig zur Mitte der Komposition anwachsende Größe, die angeschnittene Schädel­

kalotte des Weinschlauchträgers sowie der kürzlich erneut überprüfte baugeschichtliche Befund des Pollionymphäums lassen die Giebelhypothese nach wie vor als die einfachste und wahrscheinlichste Erklärung aller Probleme der Polyphemgruppe erscheinen.

D i e Frage, ob die Skulpturen aus dem sog. P o l l i o n y m p h ä u m in Ephesos ursprünglich zu einem Giebel gehört haben, ist noch immer umstritten. Nachdem Ekrem Akurgal1 sich die Hypothese zu eigen gemacht und Maria Aurenhammer2 den Stand der Forschung abgewogen dargestellt und meine Hypothese positiv referiert hatte, ist Karl R. Krierer3 dafür eingetreten, einen der beiden Sterbenden zumindest einer weiteren Statuengruppe zuzuweisen, wobei er im Anschluß an Maria Aurenhammer auf die Meinung des Arztes Alfred Suppan hinweist, der in diesem eine an Tetanusinfektion leidende Person gesehen hatte. Krierer möchte eher »in der Person einen Barbaren sehen, was schon durch den kräftigen Schnurrbart nahegelegt wird.«4

D i e medizinische Frage entzieht sich meiner Kompetenz. Wenn die Diagnose richtig sein sollte, ist jedenfalls nicht auszuschließen, daß der ephesische Bildhauer der Zeit u m 40 v. Chr.

einen an Wundstarrkrampf Gestorbenen, den er auf einem Schlachtfeld seiner Zeit sah, z u m Vorbild seines Toten genommen hat, ohne sich die Frage zu stellen, ob ein Gefährte des Odysseus auf diese Weise zu Tode g e k o m m e n sein konnte. Der Schnurrbart spricht in keinem Fall gegen einen Gefährten des Odysseus, denn diese tragen in der Blendungsgruppe v o m Typus Sperlonga auch füllige Schnurrbärte5.

D i e Gefallenen gehören nach Fundort, Größe, stilistischer Ausarbeitung und Form der Plinthen z u m selben D e n k m a l wie die sicher zu einer Polyphem-Gruppe zählenden Figuren, und es ist methodisch unzulässig, sie davon zu trennen.

Entscheidend für die Giebelhypothese ist die Frage der ursprünglichen Aufstellung der Polyphem-Gruppe. A u f g r u n d einer durch A n t o n B a m m e r schon 1980 übermittelten Anregung von Otto D e m u s wurde in einer gründlichen Nachuntersuchung am 20.10.1995, an die sich dreitägige stilistische Studien theodosianischer Bauornamentik in Istanbul anschlössen, über-

1 E. Akurgal, Griechische und römische Kunst in der Türkei (1987) 144 f.; vgl. auch LIMC VI (1992) 956 s. v.

Odysseus Nr. 85 mit Abb. (O. Touchefeu-Meynier).

2 FiEX 1, 1 (1990) 168-177 mit vollständiger Bibliographie.

3 K.R. Krierer, Sieg und Niederlage. Untersuchungen physiognomischer und mimischer Phänomene in Kampf­

darstellungen der römischen Plastik (1995) 111-113.

4 Krierer (Anm. 3) 111 zu Efes Müzesi Selcuk Inv. 1561; A. Suppan, AW 17, 2, 1986, 38-44.

5 AntPl XIV (1974) Abb. 60 Taf. 11 (B. Conticello) sowie ebenda Taf. 55 (B. Andreae); vgl. auch den Steuermann der Skylla-Gruppe: ebenda Abb. 59 Taf. 32 (B. Conticello).

Originalveröffentlichung in: H. Friesinger – F. Krinzinger (Hg.), 100 Jahre Österreichische Forschungen in Ephesos, Akten des Symposiums Wien 1995, Wien 1999, S. 531-533, Taf. 123,1

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prüft, o b die O r n a m e n t i k des K ä m p f e r k a p i t e l l s a m D o m i t i a n s b r u n n e n ( P o l l i o n y m p h ä u m ) in E p h e s o s in frühbyzantinischer Zeit, d. h. nach d e m Erdbeben v o n 368, erneuert w o r d e n ist. D a s Ergebnis war negativ. W ä h r e n d sich in den zur V e r f ü g u n g stehenden Fotos ein deutlicher Stil­

unterschied z w i s c h e n d e m K ä m p f e r k a p i t e l l P K 1 und d e m R a n k e n p f e i l e r P K 26 a b z u z e i c h n e n schien, zeigte sich vor d e m Original, daß es sich nur u m den Unterschied der ausführenden Steinmetzhände, nicht aber u m einen c h r o n o l o g i s c h relevanten Stilunterschied handelt.

A u c h die erneute Untersuchung des halbzylindrischen, sichelförmigen P o d i u m s , auf d e m die Figuren der P o l y p h e m - G r u p p e vor der R ü c k w a n d des Brunnenhauses standen, ergab nur eine einzige einheitliche Bauphase. S c h o n v o r diesen Untersuchungen hatten H e r m a n n Vetters und Werner Jobst i m Jahre 1980 wertvolle H i n w e i s e beigesteuert. In der Tat wirkt das P o d i u m auf den ersten B l i c k so, als sei es nachträglich i m falschen Verband in die aus ziegelgroßen Steinquadern errichtete halbzylindrische R ü c k w a n d eingefügt worden. B e i der erneuten Untersuchung ergab sich j e d o c h , daß der ganze untere Teil der R ü c k w a n d aus unbehauenen Bruchsteinen in opus caementicium gefügt ist und nur der obere Teil oberhalb des sichelförmigen P o d i u m s in relativ regelmäßigen Steinlagen aufgeschichtet ist. D i e K e r a m i k , die sich als Füllung in der M ö r t e l m a s s e findet, ist nach A u s k u n f t v o n Werner Jobst mit K e r a m i k aus datierten Schichten des 1. Jhs. n. Chr.

vergleichbar. A u c h das spricht für eine einheitliche A n l a g e der durch die Dedikationsinschrift7

belegten Jahre 92/93 n. Chr.

A u s der S i c h e l f o r m des P o d i u m s geht eindeutig hervor, daß die ganze A n l a g e v o n vornher­

ein für die A u f s t e l l u n g der P o l y p h e m - G r u p p e bestimmt war. D i e Figuren dieser G r u p p e wurden also in domitianischer Zeit zu Brunnenfiguren umgearbeitet.

D e r Wasserzufuhr diente ein großes, unter d e m Plattenbelag in der E c k e des Staatsmarktes verborgenes B e c k e n , v o n d e m ein K a n a l in die R ü c k w a n d der A p s i s führte. V o n hier wurde das Wasser in Bleirohren zu den Statuen geführt.

M i t diesen Feststellungen ist der zwischenzeitlich aufgrund der A n r e g u n g e n durch O t t o D e m u s verfolgten H y p o t h e s e der B o d e n entzogen, daß der G i e b e l bei der Niederlegung des T e m p e l s auf d e m Staatsmarkt gegen E n d e des 4. Jhs. n. Chr. zur W i e d e r v e r w e n d u n g freigewor­

den sei. D a g e g e n spricht auch die Tatsache, daß die G i e b e l f i g u r e n keinerlei Verdübelungsspuren aufweisen, o b w o h l v o n vier der insgesamt neun Einzelstatuen die Plinthen vollständig und die Plinthe einer weiteren zu e i n e m Drittel erhalten sind. M a n kann daher k a u m u m h i n a n z u n e h m e n , daß die G i e b e l f i g u r e n niemals versetzt waren. In d i e s e m Fall m u ß die zuerst aufgestellte H y p o ­ these wieder in ihr Recht eintreten.

Eine Kette v o n Schlußfolgerungen führt zu e i n e m Ergebnis, das nicht o h n e weiteres v o n der H a n d zu weisen ist.

D i e Figuren waren nach F o r m und Stil ursprünglich für einen ca. 12,50 m lichte Weite messenden Giebel mit 22° Steigung (italische F o r m ) der Zeit zwischen 5 0 und 3 0 v. Chr. bestimmt.

D e r G i e b e l kann w e g e n seiner G r ö ß e nicht ein profanes B a u w e r k geschmückt haben, sondern m u ß für einen T e m p e l bestimmt gewesen sein. A l s Gottheit, der dieser T e m p e l geweiht war, k o m m t w e g e n des T h e m a s , mit d e m die rettende M a c h t des W e i n e s verherrlicht wird, im G r u n d e nur D i o n y s o s in Frage.

In der fraglichen Zeit gab es nur eine historische Persönlichkeit, die den B a u eines D i o n y ­ sostempels in E p h e s o s hätte veranlassen k ö n n e n , n ä m l i c h M a r c u s A n t o n i u s , der sich 41 v. Chr.

hier als N e o s D i o n y s o s feiern ließ.

W e n n M a r c u s A n t o n i u s den B a u eines D i o n y s o s t e m p e l s in E p h e s o s veranlaßt hat, dann gab es dafür nur einen einzigen Platz, n ä m l i c h den Staatsmarkt.

D e r T e m p e l auf d e m Staatsmarkt hatte ein G i e b e l f e l d v o n 12,50 m lichter Weite.

6 A. Bammer, ÖJh 52, 1978-80, 74 f. Abb. 7. 8.

7 H. Engelmann, ZPE 10, 1973, 89 f.

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E i n G r u n d für die Tatsache, daß die G i e b e l f i g u r e n wahrscheinlich nie im G i e b e l versetzt waren, könnte der Untergang des M a r c A n t o n schon zehn Jahre nach seinem dionysischen E i n z u g in E p h e s o s sein. D i e B e m e r k u n g Plutarchs8, daß die Ephesier M a r c A n t o n nicht m i t seinen schmeichelnden B e z e i c h n u n g e n

XapiSÖTnc

u n d M e i A i x t o c , sondern lieber mit den bedrohenden K u l t n a m e n Quncnric; (Verschlinger rohen Fleisches) und ' A y p i c o v i o g ( g r a u s a m - w i l d ) belegt haben, könnte die Erinnerung an einen politischen W i t z enthalten. A n t o n i u s wollte sich m ö g ­ licherweise mit der virtus des O d y s s e u s identifiziert sehen, während die Ephesier ihn lieber mit d e m rohes Fleisch fressenden, g r a u s a m - w i l d e n R i e s e n gleichsetzten. W e n n der Giebel zu L e b ­ zeiten des M a r c u s A n t o n i u s noch nicht versetzt war, so konnte n i e m a n d ein Interesse daran haben, dies nach seinem Untergang zu tun. N i m m t m a n eine Bauzeit des T e m p e l s v o n ungefähr 10 Jahren an, w a s der Bauzeit des etwa gleichzeitigen und gleich großen T e m p e l s des D i v u s Iulius auf d e m F o r u m R o m a n u m9 ungefähr entspricht, so ist sehr w o h l m ö g l i c h , daß der ephesi- sche T e m p e l im Jahr der Schlacht v o n A c t i u m (31 v. Chr.) kurz v o r seiner Vollendung stand, die G i e b e l f i g u r e n aber noch nicht versetzt waren. E s ist auch m ö g l i c h , daß der Tempel auf d e m Staatsmarkt nach d e m T o d e des A n t o n i u s in ein A u g u s t e u m1 0 umfunktioniert wurde, und auch aus diesem G r u n d e die A u f s t e l l u n g der G i e b e l f i g u r e n unterblieb. M a n müßte annehmen, daß diese vorerst in e i n e m D e p o t blieben, bis sie unter D o m i t i a n , als die politische I m p l i k a t i o n der eigentümlichen Giebelskulpturen vergessen war, zu Brunnenfiguren degradiert wurden.

W e r diese in sich schlüssige, w e n n auch nicht o h n e weiteres beweisbare Hypothese ablehnt, m u ß folgende Fragen beantworten:

1. W e m anders als D i o n y s o s kann ein Tempel geweiht gewesen sein, der als G i e b e l s c h m u c k den M y t h o s v o n der Ü b e r w i n d u n g eines Monsters mit H i l f e des W e i n e s zeigte?

2. W e r außer M a r c A n t o n kann in der fraglichen Zeit den B a u eines D i o n y s o s t e m p e l s in E p h e s o s veranlaßt haben?

3. W o h e r hat der Architekt des D o m i t i a n s b r u n n e n i m Jahr 93 n. Chr. Giebelfiguren der Zeit z w i s c h e n 5 0 und 3 0 v. Chr. g e n o m m e n , w e n n diese in e i n e m G i e b e l f e l d versetzt waren?

D a s heißt, w o in E p h e s o s kann ein spätrepublikanischer T e m p e l des D i o n y s o s gelegen haben, der unter D o m i t i a n abgetragen oder dessen Giebelfiguren zumindest aus d e m G i e b e l f e l d h e r a u s g e n o m m e n w o r d e n wären? W i e hätte der domitianische Architekt ein solches Sakrileg verantworten k ö n n e n ?

A l l e diese Fragen führen zu wesentlich schwierigeren P r o b l e m e n als die hier vorgeschla­

gene L ö s u n g , die deshalb nach w i e vor als eine berechtigte H y p o t h e s e gelten muß.

Seit 1986 steht ein Rekonstruktionsvorschlag des P o l y p h e m - G i e b e l s im H o f des E f e s M ü z e s i in Selcuk (Taf. 123, 1) und kann dort unmittelbar mit den Skulpturen aus d e m P o l l i o n y m - p h ä u m verglichen werden. D i e Besucher des M u s e u m s haben die Giebelhypothese in e i n e m M a ß e akzeptiert, daß die M u s e u m s l e i t u n g weder die Originalskulpturen noch den Rekonstrukti­

onsvorschlag für die i m P a l a z z o delle Esposizioni in R o m ( v o n Februar bis September 1996) stattfindende A u s s t e l l u n g >Odysseus. II m i t o e la memoria< ausleihen wollte, weil sie glaubte, auf diese wichtigen E x p o n a t e nicht so lange verzichten zu können. W a s das P u b l i k u m akzeptiert, braucht die W i s s e n s c h a f t n o c h lange nicht für richtig zu halten. D i e Wissenschaft akzeptiert die H y p o t h e s e aber stillschweigend, so lange sie diese nicht falsifiziert. U n d das ist bisher nicht gelungen.

8 Plut., Anton. 24, 10 f.

9 P. Gros, Aurea Templa, BEFAR 231 (1976) 66.

10 W. Jobst, IstMitt 30, 1980, 241-260.

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ANDREAE/AURENHAMMER TAFEL

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[•Ol. IIt.Mli IS TEMffi

1 Rekonstruktionsvorschlag des Polyphem-Giebels von Ephesos. Selcuk, Efes Müzesi

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