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Tipps zu Abklärung und Therapie

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BERICHT

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ARS MEDICI 7 | 2020

Untere Rückenschmerzen (low back pain) sind ein Volks­

leiden. In der Schweiz beträgt die Prävalenz 20 bis 30 Prozent, 80 Prozent der Bevölkerung leiden mindestens einmal im Leben unter Rückenschmerzen (1). Bei der Altersgruppe der 35­ bis 55­Jährigen ist die Inzidenz am höchsten. Gemäss der Schweizerischen Gesundheitsbefragung aus dem Jahr 2017 geben 38 Prozent der Männer und 49 Prozent der Frauen diverse Rückenprobleme an (2). Nach Infekten der oberen Atemwege sind sie der zweithäufigste Grund für eine Arzt­

konsultation (3). Rückenschmerzen sind das häufigste Ge­

sundheitsproblem der Schweiz und der Hauptgrund einer eingeschränkten Arbeitsfähigkeit. Die direkten und indirek­

ten Kosten dürften sich gemäss einer Studie auf 1,6 bis 2,3 Prozent des Bruttoinlandsproduktes belaufen und machen über 6 Prozent der gesamten Gesundheitskosten aus (4).

Das seien gute Gründe, die Behandlung von Rückenschmer­

zen möglichst effizient und zielgerichtet zu gestalten, betonte Gengenbacher. Das beginne beispielsweise mit einer einheit­

lichen Terminologie, damit alle vom Gleichen sprächen: Han­

delt es sich nur um Rückenschmerzen, bezeichnet dies das Lumbovertebralsyndrom (LVS). Ein lumbospondylogenes (Reiz­)Syndrom dagegen erfasst Rückenschmerzen und nicht dermatombezogene Ausstrahlungen in die unteren Extremi­

täten. Bestehen Rückenschmerzen mit dermatombezogenen Austrahlungen mit oder ohne sensomotorischem Ausfallsyn­

drom, spricht man von einem lumboradikulären (Reiz­ und/

oder Ausfall­)Syndrom. Ein radikuläres (Reiz­ oder Ausfall­) Syndrom bezeichnet einen radikulären dermatombezogenen Schmerz. Bei einem radikulären Syndrom können zudem sen­

somotorische Ausfälle auftreten, sie werden in Kraftgraden angegeben (Kasten 1).

Anamnese für weitere Behandlung entscheidend

Rückenschmerzen entstehen am häufigsten (40%) im Bereich der Bandscheiben durch Entwässerung derselben, mit Ent­

wicklung einer degenerativen Kaskade mit verminderter axialer Dämpfung durch die Bandscheiben und Verlagerung der Kraftübertragung auf die Zwischenwirbel­(Facetten­)Ge­

lenke, die überlastet werden. Zwischen 7 und 40 Prozent gehen von Zwischenwirbelgelenken aus. Bis 20 Prozent der unteren Rückenschmerzen kommen von den Iliosakralgelen­

ken (Kreuzbein­Darmbein­Bereich). Grossen Einfluss hat die muskuläre Stabilisierungfähigkeit der tiefen Rücken­ und Rumpfmuskulatur, weshalb ein an die Beschwerden adaptier­

tes Training zentral wichtig ist.

In der Anamnese ist es unter anderem wichtig, nach der Art des Beginns – plötzlich oder schleichend – und auch nach den Einflussfaktoren des Schmerzes zu fragen. Bei persistierenden Rückenschmerzen, die sich weder durch Tageszeit, Aktivität, Stellung oder Belastung verändern, sollte man an eine gefähr­

liche Ursache, sogenannte Red Flags (Kasten 2), denken. Ent­

zündliche Schmerzen werden im Gegensatz zu mechanischen auch in Ruhe aktiviert, wie beispielsweise bei Spondylarthro­

pathien.

Ein normaler Rückenschmerz remittiert nach 4 bis 6 Wochen spontan. Persistiert die Symptomatik länger, müssen bedeut­

same Verletzungen, entzündliche Symptome, internistische Probleme oder neurologische Störungen in Betracht gezogen werden.

Rückenschmerzen können auch chronifizieren. Begünsti­

gende Faktoren für eine Chronifizierung sind beispielsweise eine negative Einstellung, depressive Stimmung sowie ein passives Vermeidungsverhalten. Sozialer Rückzug, fehlende Unterstützung oder eine überprotektive Familie sowie beruf­

liche oder finanzielle Probleme können ebenfalls zur Chroni­

fizierung beitragen.

In manchen Fällen ist es wichtig herauszufinden, ob der Pa­

tient akzentuiert reagiert. Hinweise auf eine nicht organische Pathologie können die Waddell­Zeichen geben, mit denen nicht physiologisch adäquate Druckempfindlichkeit, Schein­

manöver, Neuroanatomie und Überreaktionen überprüft werden können (Tabelle). Seien diese positiv, hiesse das, dass der Patient eine stärkere Reaktion zeigt, als zu erwarten wäre, so der Rheumatologe.

Volksleiden unterer Rückenschmerz

Tipps zu Abklärung und Therapie

Rückenschmerzen können viele Ursachen haben. Eine genaue Abklärung ermöglicht eine zielgerichtete Therapie, die keine Red Flags übersieht. Worauf hierbei zu achten ist, erklärte Dr. Michael Gengen­

bacher, Ärztlicher Direktor und Chefarzt Bewegungsapparat und Innere Medizin, RehaClinic AG, Bad Zurzach, am FOMF Allgemeine Innere Medizin in Basel.

Kasten 1:

Terminologie der unteren Rückenschmerzen

s Lumbovertebralsyndrom (LVS): nur Rückenschmerzen s Lumbospondylogenes (Reiz-)Syndrom: Rückenschmerzen mit

Ausstrahlung in die Extremitäten (nicht dermatombezogen) s lumboradikuläres (Reiz-)Syndrom: Rückenschmerzen mit

dermatombezogener Ausstrahlung, mit/ohne sensomotorisches Ausfallsyndrom

s radikuläres (Reiz-)Syndrom: reine radikuläre dermatombezogene Schmerzen, mit/ohne sensomotorisches Ausfallsyndrom Quelle: Dr. M. Gengenbacher, FOMF AIM Basel 2020

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ARS MEDICI 7 | 2020

Massnahmen je nach Ursache

Erweist sich ein Rückenschmerz als entzündungsbedingt (red flag), sollte keine Mobilisierung durch Physiotherapie ange­

ordnet werden. In diesem Fall sind entzündungshemmende (z. B. retardiertes NSAID während 2 Wochen plus Reserve­

analgetikum) sowie stabilisierende Massnahmen wie Banda­

gen oder Lenden­Becken­Gurte und ein isometrisches Trai­

ning zielführender, bis die Entzündung abgeheilt ist.

Bei Rückenschmerzen myogenen Ursprungs muss durch gezieltes Muskeltraining das Gleichgewicht zwischen Gelenk­

funktion und Muskelaktion wiederhergestellt werden. Ursa­

chen für ein Ungleichgewicht sind beispielsweise stereotypische Fehlbelastungen, muskuläre Dekonditionierung, degenera­

tive Wirbelgelenkveränderungen oder traumatische muskulo­

skelettale Verletzungen.

Bei symptomatischen Diskushernien lohnt es sich, erst mit periradikulären Steroidinjektionen und anschliessendem Sta­

bilisierungstraining zu therapieren. Von dieser Massnahme

profitieren 50 bis 90 Prozent der Patienten mit lumbalen und zervikalen Diskushernien, sie benötigen somit keine Opera­

tion (5, 6).

Ziel einer Behandlung ist die Verbesserung des Schmerzes, der Beweglichkeit, der muskulären und faszialen Funktion. Da­

mit soll eine Verbesserung der Alltagsfunktionen, der Lebens­

qualität sowie eine Vermeidung der Chronifizierung erreicht werden.

Entsprechend sieht der Therapiealgorithmus bei unteren Rückenschmerzen ohne Red Flags aus: An erster Stelle steht die kurzzeitige Verabreichung von NSAR in mittlerer bis ho­

her Dosierung (7). Paracetamol ist aufgrund von fehlender Wirkung nicht indiziert, wie eine Metaanalyse nahelegt (8).

Bei Muskelfunktionsstörungen, myofaszialem Syndrom und empfindlichen Triggerpunkten sind Muskelrelaxanzien in­

diziert (9). Für manuelle Medizin und Bewegungstherapie (aktive und passive Physiotherapie) bestehe gute Evidenz für einen positiven Krankheitsverlauf. Ruhe und Entlastung soll­

ten dagegen nur kurzzeitig während 1 bis 2 Tagen, wenn nötig, verordnet werden, so Gengenbacher abschliessend. s

Valérie Herzog

Quelle: «Rheumatoide Arthritis», FOMF Allgemeine Innere Medizin, 29. Januar bis 1. Februar 2020 in Basel.

Referenzen:

1. Santos-Eggimann B et al.: One-year prevalence of low back pain in two Swiss regions: estimates from the population participating in the 1992–1993 MONICA project. Spine 2000; 25: 2473–2479.

2. Bundesamt für Statistik 2017: Schweizerische Gesundheitsbefragung 2017.

https://www.bfs.admin.ch. Letzter Abruf 6.2.20

3. Carey TS et al.: Cre-seeking among individuals with chronic low back pain.

Spine 1995; 21: 339–344.

4. Wieser S et al.: Cost of low back pain in Switzerland in 2005. Eur J Health Econ 2011; 12: 455–467.

5. Van Helvoirt H et al.: Transforaminal epidural steroid injections followed by mechanical diagnosis and therapy to prevent surgery for lumbar disc her- niation. Pain Med 2014; 15: 1100–1108.

6. Van Helvoirt H et al.: Transforaminal epidural steroid injections influence mechanical diagnosis and therapy (MDT) pain response classification in candidates for lumbar herniated disc surgery. J Back Musculoskelet Rehabil 2016; 29: 351–359.

7. Nationale Versorgungsleitlinie Rückenschmerz, Bundesärztekammer (BÄK), Kassenärztliche Bundesvereinigung (AWMF)

8. Machado GC et al.: Efficacy and safety of paracetamol for spinal pain and osteoarthritis: systematic review and meta-analysis of randomised place- bo-controlled trials. BMJ 2015; 350: h1225.

9. Emrich OMD et al.: Methocarbamol bei akuten Rückenschmerzen: eine ran- domisierte, doppelblinde, placebokontrollierte Studie. MMW Fortschr Med 2015; 157(Suppl 5): 9–16.

Kasten 2:

Red Flags bei unteren Rückenschmerzen

s Alter < 20 oder > 50 Jahre s bedeutsame Verletzung s Therapieresistenz s Entzündliche Symptome:

– Ruheschmerz – nächtlicher Schmerz – Fieber

s Internistische Probleme:

– ungewollter Gewichtsverlust – Krebsanamnese

– Osteoporose

– Alkohol-/Drogen-/Steroidanamnese s Neurologische Störung:

– zunehmende Lähmung – Reithosenanästhesie – Blasen-/Darmdysfunktion

Quelle: Dr. M. Gengenbacher, FOMF AIM Basel 2020 Tabelle:

Waddell­Zeichen

Druckempfindlichkeit Oberflächlich: Schmerz bei Hautberührung über Ausbreitungsgebiet des Spinalnervs hinaus Tief: Druckschmerz über ein weites Gebiet, nicht nur lumbal

Scheinmanöver Stauchung: Kreuzschmerzen bei leichtem Druck auf den Schädel im Stehen

Rumpfdrehung: Kreuzschmerz bei gleichzeitiger Rotation von Becken und Schultergürtel Ablenkung Lasègue-Zeichen: Vergleich liegend und sitzend geprüft

Neuroanatomie Schwäche mehrerer Muskelgruppen, neuroanatomisch nicht zuzuordnen Gefühlsstörung keinem Dermatom zuzuordnen

Überreaktion übertriebenes Stöhnen, schmerzgeplagte Gesichtszüge, Verspannung der Muskeln und Tremor, Abstützen beim Stehen und Gehen, Reiben der schmerzhaften Stelle

Quelle: Dr. M. Gengenbacher, FOMF AIM Basel 2020

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