Deutsches Ärzteblatt
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Jg. 107|
Heft 33|
20. August 2010 A 1587 CHRONISCHER RÜCKENSCHMERZTapentadol mit synergistischem Wirkansatz
Der erste Vertreter einer neuen Substanzklasse reduziert aufsteigende Schmerz - impulse und verstärkt die deszendierenden inhibitorischen Kontrollmechanismen.
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ei der chronischen Lum- boischialgie sind Mischfor- men aus nozizeptivem und neuropa- thischem Schmerz nicht selten. Wie Prof. Dr. med. Ralf Baron (Univer- sitätsklinikum Kiel) am Beispiel der degenerierten Bandscheibe ausführ- te, kommt es durch die Entzündung zur Einwanderung von Makropha- gen, die über den Botenstoff TNF- alpha die Einsprossung von Ner- venfasern in den Nucleus pulposus triggern. Die Kompression der „lä- dierten“ Bandscheibe bewirkt dann zusätzlich zum nozizeptiven einen neuropathischen Schmerz in den neu gebildeten Nervenfasern.Mit seinem synergistischen Wirk - prinzip verspricht der erste Vertre- ter einer neuen Substanzklasse eine Reduktion beider Schmerzentitä- ten: Der Wirkstoff Tapentadol re - duziert als µ-Opiatrezeptor-Agonist die aufsteigenden Schmerzimpulse und verstärkt die deszendierende inhibitorische Kontrolle über eine parasynaptische Hemmung der Nor - adrenalin-Transporter (Noradrena- lin-Wiederaufnahmehemmung).
Wie Dr. med. Ulrich Jahnel als Leiter der präklinischen Entwick- lung des Unternehmens Grünenthal darlegte, sind beide Mechanismen an der analgetischen Wirkung der Substanz gleichermaßen beteiligt.
Die Serotonin-Wiederaufnahme wird nicht inhibiert. Die Substanz bildet bei der Verstoffwechselung keine aktiven Metabolite, was das Inter- aktions- und Nebenwirkungspoten- zial vermindert.
Der Wirkstoff, der bereits in den USA zugelassen sei, werde in Kür- ze auf den deutschen Markt kom- men und vermutlich betäubungs- mittelpflichtig werden, erklärte Horst Weber als Leiter der Global Medical Services. Tapentadol wur-
de geprüft bei Patienten mit chroni- schem mittlerem bis schwerem Rü- ckenschmerz. In der dreiarmigen Studie ergab sich eine signifikante Überlegenheit gegenüber Placebo und ein besseres Verträglichkeits- profil als unter Oxycodon.
Von ursprünglich 981 randomi- sierten Patienten ist im Verlauf der Studie (dreiwöchige Titrationspha- se mit Tapentadol retardiert, maxi- mal 250 mg/bid; Oxycodon maxi- mal 50 mg/bid; anschließend The- rapie über zwölf Wochen) circa die Hälfte wegen fehlender Wirkung (Placebo) oder unerwünschter Ne- benwirkungen (Verumarme) ausge- schieden. Verglichen mit Placebo zeigten beide Wirkstoffe eine ra- sche und effektive Schmerzlinde- rung. Bei der Verträglichkeit schnitt der neue Wirkstoff Weber zufolge deutlich günstiger ab als das Ver- gleichspräparat:
Bei den opioidtypischen Neben- wirkungen wurden Übelkeit mit 20 versus 34 Prozent ebenso wie Obsti-
pation (14 versus 27 Prozent) merk- lich seltener dokumentiert, was sich auch in der günstigeren Abbruchra- te niederschlug (17 versus 35 Pro- zent). Bei der Stuhlsymptomatik hätten die Tapentadol-Patienten eben - falls besser abgeschnitten, sagte der Referent.
Ähnlich positive Resultate be- richtete Weber von der einjährigen Langzeitstudie bezüglich der Sicher- heit. Eingeschlossen wurden 1 117 Patienten mit Rückenschmerzen so- wie Arthroseschmerz in Knie und Hüfte. Auch hier lag die Abbruch - rate unter Oxycodon höher als unter der neuen Wirksubstanz (37 versus 23 Pro zent) – laut Weber überwie- gend bedingt durch unerwünschte gastrointestinale und zentralnervöse Wirkungen. Im Prüfzeitraum wurde keine Tachyphylaxie beobachtet. ■
Dr. rer. nat. Renate Leinmüller
Symposium „Epidemie Rückenschmerz:
Relevanz – Diagnostik – Therapie“, Frankfurt/M., im Rahmen „Deutscher Schmerz- und Palliativtag“, Veranstalter: Grünenthal
Reisen unter Opioidtherapie – Viele Patienten fragen sich, was sie im Ur- laub in Bezug auf ihre Schmerzmedi- kamente beachten müssen. Die neue Ratgeberkarte „Mit Opioiden auf Rei- sen: Lebensqualität im Urlaub“ enthält Informationen über Formalien bei Aus- landsreisen, Transport und Besonder- heiten bei Flugreisen. Sie ist abrufbar unter www.schmerzmessen.de, kann aber auch per Post oder E-Mail ange- fordert werden: Initiative Schmerz messen, c/o Deutsche Schmerzliga, Adenauer Allee 18, 61440 Oberursel, E-Mail: info@schmerzliga.de.
Vertrieb von Nipolept® wird einge- stellt – Nipolept wird zur Behandlung von Psychosen aus dem schizophre- nen Formenkreis eingesetzt. Zum 1. September wird der Vertrieb des atypischen Neuroleptikums mit dem Wirkstoff Zotepin eingestellt, da der Hersteller (Sanofi-Aventis GmbH) kei- nen Rohstoff mehr beziehen kann, der den Qualitätsanforderungen gerecht wird. Ärzte sollten ihre Patienten früh- zeitig über die Vertriebseinstellung informieren, da die medikamentöse Umstellung einige Zeit in Anspruch
nehmen kann. EB