Die Information:
Bericht und Meinung
BRIEFE AN DIE REDAKTION
BALINT
Zu den Balint-Treffen in Ascona:
Boden
unter den Füßen
Balint-Arbeit ist für' mich mehr als „eine praktikable Methode, die die tägliche Sprechstunde in aller Stille zu revolutionieren ver-
mag", nämlich eine Schule des Erlebens (B. Luban- Plozza): sich selbst, seine eigene Problematik und seine Gefühle.
Ich bin 61 Jahre, „Schul- psychiater" (H. Bürger- Prinz), habe während mei- ner klinischen Ausbildung bei A. Jores noch erlebt, wie in Vorlesungen seine psychosomatischen Deu- tungen (liegt im Magen – macht Kopfzerbrechen) verlacht wurden. Nach mei- ner Weiterbildung zum Facharzt gründete ich vor 24 Jahren in Bad Nauheim ein Fachkrankenhaus für Psychiatrie. Zunehmend erlebte ich eine mir anfäng- lich nicht begreifbare Un- zufriedenheit. Unserem, mit tiefenpsychologischen und analytischen Metho- den vertrauten Ärzte-Psy- chologen-Team erklärte ich, daß die Integration der Psychotherapie zwar drin- gend erforderlich sei, daß ich selbst aber Angst hätte, den Boden der Schul- psychiatrie unter den Fü- ßen zu verlieren.
Beim 1. Balint-Treffen vor zehn Jahren wurden mir blitzartig meine Zweifel und mein Unbehagen in der Arbeit als Schulpsych- iater bewußt. Mit einem Ge- fühl des Erschreckens er- kannte ich die Einschienig- keit der Arzt-Patient-Bezie- hung: die Allmachtsvorstel- lung des Arztes und die Un- mündigkeit des Patienten.
Durch die Balint-Arbeit fand ich den Weg zu mei- nem therapeutischen Pro- zeß durch tiefe Krisen und durch zwei lebensbedrohli-
che Erkrankungen; ich lernte, Krisen und Krank- heiten als Chance zu nut- zen, mir neuen Boden un- ter meinen Füßen zu erar- beiten. So erlebte ich in- nerlich bewegt das 10. Ba- lint-Treffen 1982 als Jubi- läum der Balint-Bewegung, neuerlich beeindruckt von der Vitalität und der Inten- sität der Balint-Arbeit, von der ständigen Sensibilisie- rung zur Wahrnehmung von Gefühlen in der Arzt- Patient-Beziehung und zur Motivation zum weiteren Lernen: mehr zuhören, mehr erkennen, mehr erle- ben, mehr erfühlen. Es handelt sich nicht um ei- nen Ritus, ein Dogma oder eine Lehre, sondern um ei- ne praxisbezogene Metho- de, besonders für den nicht psychiatrisch ausgebilde- ten Arzt in der Sprechstun- de und Klinik. In der Balint- Gruppe kann der Arzt eige- ne Probleme seiner ärztli- chen Arbeit mit Kollegen besprechen.
In meiner Ausbildung zum Arzt habe ich wenig über das ärztliche Gespräch ge- lernt, noch weniger über
„Beziehungsdiagnostik":
Weswegen kommt der Pa- tient – was erwartet er vom Arzt – was möchte er mir mitteilen und wie reagiere ich als Arzt darauf – wo lie- gen vielleicht meine Schwierigkeiten, meine Konflikte, meine Proble- me? B. Luban-Plozza wies beim Jubiläumstreffen auf die „Sensibilisierungs- gruppen" (früher „Kon- frontationsgruppen" ge- nannt) hin, die als „Asco- neser Modell" anerkannt sowie mit der gemeinsa- men Arbeit von Dozenten, praktizierenden, klinisch tätigen Ärzten und Studen- ten in der Fachwelt einma- lig sind. Ich bin der Über- zeugung, daß die Balint-Ar- beit wesentlich zur Neu- orientierung in der tiefen Krise der Medizin beitragen kann. Dies gilt gerade in bezug auf das von A.
Schipperges geforderte
„grundlegende Reformpro-
gramm zur Kurskorrektur in der Entwicklung der Me- dizin von der Heiltechnik zur Heilkunde", als Weg aus der Krise unseres Ge- sundheitswesens: Krise als Chance.
Beim Vortrag zum Schluß des jetzigen 10. Balint-Tref- fens zitierte B. Luban-Ploz- za eine Inschrift im Parco Giardino Sigurtä, Verona:
„Die Jugend ist nicht ein Abschnitt des Lebens, sie ist ein Zustand der Seele."
Analog hierzu meine ich, daß gesund altern ein stän- diges Bewahren der Flexi- bilität und der Lernfähig- keit bedeutet: Am Anfang war die berechtigte Unsi- cherheit; es folgten das Stadium der unberechtig- ten Sicherheit und der un- berechtigten Unsicherheit als Übergang zur berech- tigten Sicherheit: Jetzt kann ich mich furchtlos in Frage stellen, habe die Freiheit, unsicher zu sein und den Mut zur Unzuläng- lichkeit. (Das nächste Ba- lint-Treffen findet vom 24.
bis 27. März 1983, wieder- um in Ascona, statt. Die Red.)
Dr. med. Hans H. Dickhaut Lutherstraße 10
6350 Bad Nauheim 1
TOD AUF DEM TITEL
Zu dem Farbfoto auf der Titel- seite von Heft 40/1982, das ein Gemälde der Malerin Heike Ruschmeyer wiedergibt:
Respekt- und würdelos
Ich bin bestürzt, mit wel- cher provokativen Respekt- losigkeit und Würdelosig- keit der Tod auf der Titel- seite des DEUTSCHEN ÄRZTEBLATTES plakativ dargestellt wurde. Mag der Urheber des Bildes viel- leicht irgendwelche über- höhenden Interpretationen dieser Schlachthausszene ins Feld führen, so kann ein ethisch irgendwie gebun-
—BLÜTENLESE
Eins und eins
Kein Aufmarsch, bei dem nicht doppelt so viele Beine wie Köpfe kämen. Dr. Fleiß
dener Arzt sicherlich keine Entschuldigung für die Veröffentlichung im und sogar auf der Titelseite des DEUTSCHEN ÄRZTEBLAT- TES finden. Sicherlich mit der überwiegenden Anzahl der Ärzteschaft hoffe ich, daß sich derartige Entglei- sungen nicht mehr wieder- holen.
Dr. Rainer Herboth Scheidtersstraße 135 6600 Saarbrücken
BEAMTE
Zu dem Artikel von Reinhard Groven: „Die heimlichen Bes- serverdiener" in Heft 39/1982:
Leicht komisch
... Der Neid, der gegen- über den beamteten Kolle- gen zum Ausdruck kommt, nimmt sich leicht komisch aus, da er gegenüber einer Gruppe geäußert wird, die erheblich geringere Ein- nahmen hat als der Durch- schnitt der praktizierenden Ärzte. Es steht den nicht im Staatsdienst wirkenden Ärzten jederzeit frei, den Beamtenstatus zu erlan- gen, im staatlichen Ge- sundheitswesen sind ca.
9000 Stellen frei. Diese Kol- legen müßten dann aber auch mit dem sonst als zu gering apostrophierten Einkommen über ca. 40 Be- rufsjahre und der daraus resultierend sicher auch als zu gering empfundenen Altersversorgung zufrieden sein.
Prof. Dr. med.
Martin Herrmann Universität Ulm Oberer Eselsberg 7900 Ulm/Donau
10 Heft 50 vom 17. Dezember 1982 79. Jahrgang DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Ausgabe B