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Studiengangsgestaltung im Spannungsfeld von Disziplin, Bologna und Hochschule: Empirische Analysen zu disziplinären Veränderungsprozessen der Erziehungswissenschaft

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Academic year: 2022

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Katja Ludwig

Studiengangsgestaltung im Spannungsfeld von Disziplin, Bologna und Hochschule

Empirische Analysen zu disziplinären Veränderungsprozessen der Erziehungswissenschaft

Dissertation

Kultur- und

Sozialwissen-

schaften

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Studiengangsgestaltung im Spannungsfeld von Disziplin, Bologna und Hochschule

Empirische Analysen zu disziplinären Veränderungsprozessen der Erziehungswissenschaft

Dissertation

zur Erlangung des akademischen Grades einer Doktorin der Philosophie (Dr.in phil.)

an der Fakultät für Kultur- und Sozialwissenschaften der FernUniversität in Hagen

vorgelegt von:

Katja Ludwig

Erstgutachterin: Prof. Dr. Cathleen Grunert Zweitgutachterin: Prof. Dr. Nicolle Pfaff

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Danke.

Ohne die Unterstützung verschiedener Personen ist eine konzentrierte wissenschaftliche Arbeit kaum denkbar. Dies ist ein Ort, an dem ich die Möglichkeit habe, zwar nicht allen, aber doch einigen Personen zu danken, die mich darin unterstützt haben, mein wissenschaftliches Denken zu entfalten und die vorliegende Dissertationsschrift zu einem Abschluss zu bringen.

Mein besonderer Dank gilt Frau Prof. Dr. Cathleen Grunert, die mich nicht nur seit vielen Jahren auf meinem wissenschaftlichen Weg begleitet, sondern mir auch im Rahmen ihres DFG- Projektes „Erziehungswissenschaft im Bologna-Prozess“ die Möglichkeit gegeben hat, die vor- liegende Dissertation zu erarbeiten. In intensiven Diskussionen hat sie mir Mut gemacht, meinen Gedanken einen Ausdruck zu verleihen und in meine wissenschaftliche Arbeit vertraut.

Ohne dieses Vertrauen und den gemeinsamen Denkraum hätte die vorliegende Arbeit nicht zustande kommen können. Mein ausdrücklicher und herzlicher Dank geht an dich!

Frau Prof. Dr. Nicolle Pfaff möchte ich für die Betreuung meiner Arbeit, die anregenden inhaltlichen und vor allem methodischen Diskussionen im Zuge der Auswertung der Gruppen- diskussionen sowie die hilfreichen Hinweise zum Umgang mit der ausführlichen Darstellung des wissenschaftlichen Zusammenhangs der vorgelegten Publikationen herzlich danken.

Prof. Dr. Heinz-Hermann Krüger danke ich sehr für die Gespräche über die Entwicklungen der Erziehungswissenschaft als Disziplin und für seine kritischen Nachfragen, die eine sehr wichtige Unterstützung zur Schärfung meiner Argumentationen waren. Auch Prof. Dr. Ivo Züchner hat mir im Kontext eines Workshops wichtige und hilfreiche Anregungen gegeben, für die ich ihm sehr dankbar bin. Mit Dr. Nora F. Hoffmann konnte ich ausführliche und kontro- verse Diskussionen zur Dokumentarischen Methode und den Gruppendiskussionen führen und auch in schwierigen Phasen der Arbeit an der Dissertation hatte sie ein offenes Ohr für mich.

Ein besonderer Dank gilt auch den Teilnehmenden der Gruppendiskussionen, ohne die die vorliegende Arbeit nicht möglich gewesen wäre.

Ausdrücklich möchte ich auch Dr. Maja S. Maier danken, die mir nicht nur im Zuge des Korrekturlesens, hilfreicher Kommentare und Diskussionen zur Seite stand, sondern mir auch außerhalb des wissenschaftlichen Arbeitens Ausdauer, Kraft, Zuversicht und Freude ermöglicht hat. Liebe Maja, für deine Unterstützung möchte ich dir ganz besonders herzlich danken!

Meine Familie und Freunde begleiten und unterstützen mich schon lange und haben mir wichtige Freiräume für die Dissertation sowie einen Ausgleich zur wissenschaftlichen Arbeit ermöglicht. Vielen herzlichen Dank dafür!

Katja Ludwig Halle, im Januar 2019

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Inhaltsverzeichnis

Verzeichnis der Publikationen der kumulativen Dissertation ... III

Ausführliche Darstellung des wissenschaftlichen Zusammenhangs der Publikationen .... 1

1 Disziplin, Hochschule und Studiengänge – Theoretische Annäherungen ... 2

1.1 Studiengänge als Form disziplinärer Selbstreproduktion ... 3

1.2 Erziehungswissenschaft zwischen Erziehungs- und Wissenschaftssystem ... 5

1.3 Sozial- und Machtbeziehungen im Kontext von Disziplinen ... 9

1.4 Disziplinäre Charakteristika und ‚Boundary Work‘ ... 11

1.5 Zwischenfazit I: Studiengänge und disziplinäre Veränderungsprozesse ... 16

1.6 Die Hochschule als Organisation ... 17

1.7 Die Bologna-Reform: Kompetenzorientierung, Modularisierung und Akkreditierung ... 21

1.8 Neo-institutionalistische Perspektiven auf Handeln in organisationalen Kontexten . 25 1.9 Zwischenfazit II: Studiengangsgestaltung zwischen Disziplin und Organisation ... 29

2 Disziplinäre Kommunikation über Mindeststandards von Studiengängen – Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft (DGfE) ... 30

2.1 Historische Entwicklungslinien der Empfehlungen der DGfE ... 31

2.2 Kontinuitäten der fachgesellschaftlichen Grenzziehungen ... 33

2.3 Kritiken an den fachgesellschaftlichen Empfehlungen ... 36

2.4 Fachgesellschaftliche Empfehlungen im Kontext der Bologna-Reform ... 37

2.5 Ein fächervergleichender Blick: Empfehlungen der Fachgesellschaften für Soziologie und Psychologie ... 42

3 Forschungsstand... 44

4 Fragestellungen und methodisches Vorgehen ... 50

4.1 Quantitativ-inhaltsanalytische Dokumentenanalyse ... 51

4.2 Gruppendiskussion und Dokumentarische Methode ... 54

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5 Disziplinäre Veränderungsprozesse – Empirische Befunde ... 62 5.1 Die erziehungswissenschaftlichen Hauptfachstudiengänge

und ihre Besonderheiten im Fächervergleich zur Soziologie ... 63 5.2 Studienfachbezeichnung und Handlungsfeldbezug – die (Neu-)Verhandlung

disziplinärer Grenzziehungen... 68 5.3 Umgang mit disziplinären und organisationalen Orientierungsproblematiken

bei der Studiengangsgestaltung – Sinngenetische Typenbildung(en) ... 71 6 Ausblick und offene Fragen ... 75 Literaturverzeichnis ... 78

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Verzeichnis der Publikationen der kumulativen Dissertation

Grunert, Cathleen/Ludwig Katja/Radhoff, Melanie/Ruberg, Christine (2016): Studiengänge und Standorte. In: Koller, Hans-Christoph/Faulstich-Wieland, Hannelore/Weishaupt, Horst/Züchner, Ivo (Hrsg.): Datenreport 2016. Opladen u.a.: Barbara Budrich, S. 19–69.

Grunert, Cathleen/Ludwig, Katja (2016): Disziplinen im Wandel? Erziehungswissenschaft und Soziologie im Bologna-Prozess. In: Zeitschrift für Pädagogik, (62)6, S. 886–908.

Grunert, Cathleen/Ludwig, Katja (2016): Labels matter!? Erziehungswissenschaftliche Studi- engänge in der Bologna-Reform. In: Bildung und Erziehung, (69)4, S. 449–465

Ludwig, Katja/Grunert, Cathleen (2018): Erziehungswissenschaft und pädagogische Hand- lungsfelder – Neue Verhältnisbestimmungen im Zuge der Bologna-Reform? In: Der pädagogische Blick. Zeitschrift für Wissenschaft und Praxis in pädagogischen Berufen, (26)4, S. 202–216.

Ludwig, Katja/Grunert, Cathleen/Hoffmann, Nora F. (2018): Herausforderungen rekonstruk- tiver Forschung an Hochschulen am Beispiel der Studiengangsentwicklung in der Erziehungswissenschaft. In: Zeitschrift für qualitative Forschung, (18)2, S. 297–314.

Ludwig, Katja/Grunert, Cathleen (2018): „Über die Früchte […]“ der Bologna-Reform. Re- konstruktionen zur Gestaltung erziehungswissenschaftlicher Hauptfachstudiengänge zwischen Disziplin und Hochschule. In: Vogel, Katharina/Bers, Christina/Brauns, Jo- hanna/Hild, Anna/Stisser, Anna/Horn, Klaus-Peter (Hrsg.): Wendungen und Windungen in der Erziehungswissenschaft. Empirische Studien. Bad Heilbrunn: Klinkhardt, S. 83–105.

Ludwig, Katja (2019): „Es war ein Ringen“ – Zum Umgang mit disziplinärer Heterogenität im Kontext der Entwicklung erziehungswissenschaftlicher Hauptfachstudiengänge. In: Zeit- schrift für Erziehungswissenschaft, 22(2), S. 461–479.

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Ausführliche Darstellung des wissenschaftlichen Zusammenhangs der Publikationen

Die hier zur kumulativen Dissertationsschrift zusammengestellten sieben Publikationen sind im Zusammenhang des DFG-Projektes ‚Erziehungswissenschaft im Bologna-Prozess‘, das von Prof. Dr. Cathleen Grunert geleitet wurde, entstanden. Alle Beiträge stehen dabei in einem sys- tematischen Verweisungszusammenhang, der im Folgenden entfaltet wird.

Das DFG-Forschungsprojekt setzte insgesamt an der Frage an, wie sich im Zuge der Bo- logna-Reform die Studiengänge verändern und damit auch möglicherweise die Erziehungswissenschaft als Wissenschaftsdisziplin. Theoretisch und empirisch standen daher nicht die Bologna-Reform selbst und ihre intendierten Ziele (vgl. Schubarth et al. 2012; Teich- ler 2016; Walter 2006), sondern die Erziehungswissenschaft als Disziplin im Spiegel ihrer – zunächst in formaler Hinsicht – neuen Bachelor- und Master-Hauptfachstudiengänge im Zent- rum des Forschungsprojektes. Verbunden sind damit zwei Erkenntnisinteressen: Erstens richtete sich der Blick auf die strukturelle und inhaltliche Beschreibung der aktuellen1 Studien- gangslandschaft (vgl. Grunert et al. 2016; Grunert/Ludwig 2016a). In dieser auf einer quantitativen Dokumentenanalyse beruhenden Perspektive wurden die Profile und inhaltlichen Ausrichtungen der Studiengänge fokussiert. Eingebettet in eine Diskussion des bisherigen For- schungsstandes zur erziehungswissenschaftlichen Studiengangslandschaft sowie einem eigenen empirischen Vergleich mit soziologischen Hauptfachstudiengängen stand dabei die Frage im Mittelpunkt, wie sich darüber disziplinäre Dynamiken und Veränderungsprozesse der Erziehungswissenschaft genauer beschreiben lassen. Zweitens wurde in einer qualitativen, ak- teursbezogenen Perspektive danach gefragt, entlang welcher Strategien und kollektiven Orientierungen seitens der FachvertreterInnen die Studiengänge hervorgebracht wurden und welche Rolle die jeweiligen Hochschulen und Akteurskonstellationen bei der Studiengangsge- staltung spielen (vgl. Grunert/Ludwig 2016b; Ludwig/Grunert 2018a, 2018b;

Ludwig/Grunert/Hoffmann 2018; Ludwig 2019). In der Zusammenführung beider Perspektiven lassen sich Auswirkungen der flächendeckenden Umstellung der Studiengänge auf das Ba- chelor- und Mastersystem (vgl. HRK 2016) auf die disziplinären Entwicklungen innerhalb der Erziehungswissenschaft konturieren.

Diesen Erkenntnisinteressen folgend wird in der Darstellung des Zusammenhangs der ein- gereichten Artikel zunächst die theoretische Perspektive auf die Verknüpfung von Erziehungswissenschaft als Disziplin, Hochschule als Organisation und Studiengängen im Kontext der Bologna-Reform entfaltet und präzisiert (vgl. Kap.1). Im Anschluss werden die fachgesellschaftlichen Empfehlungen zur Studiengangsgestaltung, die hier als Substrate der

1 Die Erhebungen fanden für das Wintersemester 2013/14 (vgl. Grunert/Ludwig 2016a) und nochmals aktua- lisiert für das Wintersemester 2014/15 (vgl. Grunert et al. 2016) statt.

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disziplinären Kommunikation über Mindeststandards disziplinärer Hauptfachstudiengänge in den Blick gerückt werden, in ihrer historischen Entwicklung und gegenwärtigen Verfasstheit diskutiert (vgl. Kap. 2). Deutlich wird darüber, dass die Erziehungswissenschaft von Beginn an von kontroversen Diskussionen über ihr Selbstverständnis und damit verbunden über ihre dis- ziplinäre Selbstreproduktion in Form von Studiengängen gekennzeichnet ist. Dieser Aspekt wird in der Darstellung des Forschungsstandes (vgl. Kap. 3) zu disziplinären Veränderungspro- zessen und der erziehungswissenschaftlichen Studiengangslandschaft nochmals aufgegriffen und anhand der bisher wenigen Studien zum Verhältnis von Disziplin und Hochschule im Feld der Studiengangsgestaltung das Forschungsdesiderat herausgearbeitet, das die vorliegenden Publikationen bearbeiten. Daran anknüpfend werden die Fragestellungen und das methodische Vorgehen (vgl. Kap. 4) diskutiert und die zentralen Befunde (vgl. Kap. 5) der Studie dargestellt.

Insoweit der Forschungsstand, das methodische Vorgehen und die Befunde der Studie zentraler Bestandteil der publizierten Artikel sind, werden diese gegenüber den theoretischen Bezügen und fachgesellschaftlichen Empfehlungen knapper und vor allem hinsichtlich ihres komplexen Zusammenhangs thematisch fokussiert. Im Ausblick (vgl. Kap. 6) werden offene Fragen im Anschluss an die empirischen Befunde zum Forschungsgegenstand skizziert.

1 Disziplin, Hochschule und Studiengänge – Theoretische Annäherungen

Studiengänge werden in diesem Kapitel als ein Element der disziplinär-organisatorischen Infra- struktur gefasst und zugleich als eines der (Selbst-)Reproduktion wissenschaftlicher Diszipli- nen (Kap. 1.1). Um Studiengangsgestaltung im Schnittfeld von Hochschulstrukturen, Disziplinentwicklung und lokalen Akteurskonstellationen als empirischen Forschungsgegen- stand fassen zu können, ist es notwendig, die theoretischen Bezugslinien in ihrem Zusammenspiel zu entfalten. Für die Erziehungswissenschaft lassen sich zunächst im An- schluss an systemtheoretische Perspektiven einige Besonderheiten erkennen, die vor dem Hintergrund ihrer Hybridstellung zwischen Erziehungs- und Wissenschaftssystem diskutiert werden (Kap. 1.2). Diese systemtheoretische Analyse wird in einem zweiten Schritt erweitert, in dem der Fokus auf die disziplinären Veränderungsprozesse und Dynamiken gerichtet wird.

Dazu wird an feld- und habitustheoretische Überlegungen angeschlossen und auf Sozial- und Machtbeziehungen in disziplinären Kontexten fokussiert (Kap. 1.3). Dass in wissenschaftsthe- oretischer Perspektive Disziplinen auch unterschiedlich charakterisiert werden, z.B. hart/weich oder fragmentiert/einheitlich, wird in Weiterführung handlungsbezogener Perspektiven als Ausdruck historisch wandelbarer symbolischer Grenzziehungen gefasst (Boundary Work).

Diese heuristische Sensibilisierung ermöglicht es, die komplexen Dynamiken disziplinärer Kommunikationsräume in differenzierter Weise in den Blick zu nehmen (Kap. 1.4). In einem Zwischenfazit wird dann herausgestellt, dass sich somit über Studiengänge immer auch diszip- linäre Grenzziehungs- und Veränderungsprozesse ausdrücken, die den Blick auf die disziplinären Akteure lenken (Kap. 1.5). Studiengangsgestaltung ist jedoch nicht allein an dis- ziplinäre Aushandlungen gebunden, sie ist immer schon in spezifische Rahmenbedingungen

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eingebettet. Daher wird in einer zweiten, organisationstheoretischen Perspektive entwickelt, in- wiefern Hochschulen – nicht zuletzt in Anbetracht der Etablierung von New-Public- Management-Strategien – zunehmend als Akteur der Studiengangsgestaltung betrachtet werden müssen (Kap. 1.6). Die Bologna-Reform wird daran anschließend hinsichtlich ihrer zentralen Prämissen skizziert, die sowohl in Hochschulen als auch in Disziplinen im Zuge der Studien- gangsgestaltung gesteigerte dezentrale Wettbewerbsdynamiken in Gang setzen (Kap. 1.7). Mit neo-institutionalistischen Theorien wird die Bologna-Reform daher vor allem als ‚exogene Er- schütterung‘ (Fligstein/McAdam 2012) gefasst und der Fokus auf das Handeln in organisationalen Kontexten gerichtet (Kap. 1.8). Abschließend werden die wissenschafts- und organisationstheoretischen Überlegungen verbunden und die FachvertreterInnen als zentrale disziplinäre Akteure der Studiengangsgestaltung an den jeweiligen Hochschulen perspektiviert.

Daran konturiert sich die Frage, wie die FachvertreterInnen mit den Rahmenbedingungen, An- forderungen und Möglichkeiten der Studiengangsentwicklung umgehen (Kap. 1.9).

1.1 Studiengänge als Form disziplinärer Selbstreproduktion

Erziehungswissenschaft als Disziplin lässt sich zunächst mit Rudolf Stichweh als eine Form der Binnendifferenzierung des Wissenschaftssystems fassen. Wissenschaftsdisziplinen werden da- bei als spezifische Forschungs- und Kommunikationsgemeinschaften verstanden, die über gemeinsame Problemstellungen und Gegenstände zusammengehalten werden (vgl. auch Stich- weh 1993, S. 241).

„Disziplinen sind Formen sozialer Institutionalisierung eines mit vergleichsweise unklare- ren Grenzziehungen vorlaufenden Prozesses kognitiver Differenzierung der Wissenschaft.

Zur Identifizierung und Charakterisierung einer »Disziplin« verweisen wir typischerweise:

1) auf einen hinreichend homogenen Kommunikationszusammenhang von Forschern – eine »scientific community«; 2) auf einen Korpus wissenschaftlichen Wissens, der in Lehr- büchern repräsentiert ist, d.h. sich durch Kodifikation, konsentierte Akzeptation und prinzipielle Lehrbarkeit auszeichnet; 3) eine Mehrzahl je gegenwärtig problematischer Fra- gestellungen; 4) einen »set« von Forschungsmethoden und paradigmatischen Problem- lösungen; 5) eine disziplinenspezifische Karrierestruktur und institutionalisierte Sozialisa- tionsprozesse, die der Selektion und »Indoktrination« des Nachwuchses dienen.“ (Stichweh 1994, S. 17)

Mit einem solchen heuristisch-idealtypischen Disziplinbegriff sind verschiedene Annahmen verbunden, die gerade für eine empirische Forschung im Feld der Erziehungswissenschaft, in der die auf Dauer gestellten disziplinären Selbstvergewisserungsdebatten nicht selten in Szena- rien der Bedrohung disziplinärer Identität verhandelt werden (vgl. z.B. Mollenhauer 1980;

Roeder 1990; Heid 1994; Rieger-Ladich 2007; Keiner/Tenorth 2007; Horn 2014), von grund- legender Bedeutung sind. So werden mit der Definition von Stichweh sowohl Prozess- als auch Strukturperspektiven aufgriffen, die es ermöglichen, genauer nach disziplinären Dynamiken zu

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fragen und disziplinäre Bestimmungen, die immer auch disziplinäre Identifikationen ermögli- chen, zu identifizieren. Zugleich wird darin eine Zurückhaltung dahingehend deutlich, was die notwendige Eindeutigkeit disziplinärer Strukturen angeht: die Perspektive auf einen „hinrei- chend homogene[n] Kommunikationszusammenhang“ mit einer „Mehrzahl“ von Frage- stellungen und einer ebenfalls im Plural gefassten Methodenvielfalt geht bereits im Ansatz von einem disziplinären Modell aus, das sich nicht in Vorstellungen von einer einheitlichen Wis- senschaft auflösen lässt und damit immer schon auf die Entwicklung wissenschaftlicher Disziplinen verweist.

Solche Dynamiken können auf verschiedene Aspekte verweisen: so etwa auf die „soziale Bedingtheit“ (Fleck 1935/2017, S. 121) von Wissenschaftsdisziplinen; auf die Praktiken und Sozial- und Machtbeziehungen innerhalb wissenschaftlicher Felder (vgl. Bourdieu 1992; Kap.

1.3) oder auch auf die internen Dynamiken, die über Abspaltungen und Neubestimmungen auch neue Disziplinen oder Teil- und Subdisziplinen entstehen lassen (vgl. Stichweh 1994, S. 19f.;

Abbott 2001, S. 10ff.; Kuhn 1967/1989; Kap. 1.4).

Hinsichtlich der Nachwuchsproduktion eröffnet Rudolf Stichweh (1994) jedoch eine Per- spektive, die auf gemeinsam akzeptierte Wissensbestände in Form Lehrbüchern und geteilte institutionalisierte Formen der disziplinären Sozialisation abstellt (ähnlich Fleck 1935/2017, S.

136f.; Kuhn 1967/1989, S. 198ff.). Vor diesem Hintergrund eröffnet sich ein Spannungsver- hältnis, in dem Differenzen und Dynamiken in den Fragestellungen und Methoden innerhalb einer Disziplin normalisiert werden, zugleich aber eine Aufhebung von Differenzen mit Blick auf die Nachwuchsreproduktion nahegelegt wird. Oder mit anderen Worten: Disziplinäre Dy- namiken erscheinen im Kontext von Studiengangsgestaltung paradox, da Vielfalt in Forschung und Kommunikation auf der einen Seite und die Festlegung eines gemeinsames ‚Korpus‘ im Sinne disziplinärer Selbstreproduktion auf der anderen Seite in ein Verhältnis gesetzt werden.

Offen bleibt dabei jedoch, wie Disziplinen mit diesem Spannungsverhältnis umgehen und was sich darüber über die Dynamiken wissenschaftlicher Forschungs- und Kommunikationsge- meinschaften – und in der vorliegenden Studie insbesondere der Erziehungswissenschaft – verstehen lässt.

In sensibilisierend-heuristischer Absicht („sensitizing concepts“, Blumer 1954, S. 7) ist es dafür notwendig, danach zu fragen, wo und wie wissenschaftliche Kommunikationsgemein- schaften ihren Ausdruck finden und wie sich disziplinäre Dynamiken theoretisch genauer rahmen lassen. Zunächst kann entlang systemtheoretischer Perspektiven davon ausgegangen werden, dass Disziplinen „auf stabile sozialstrukturelle Arrangements [angewiesen sind], in denen das Interesse an Wissenschaft institutionelle Gestalt gewinnt“ (Stichweh 1984, S. 62) und die eine je spezifische Basis für Forschung und Kommunikation innerhalb der Wissenschaft ermöglichen. Disziplinen als Kommunikationsgemeinschaften sind demnach auch grundsätz- lich nicht als handlungsmächtige Akteure zu verstehen und Universitäten nicht als die einzigen Orte solcher ‚stabilen Arrangements‘ (vgl. auch Manhart 2014, S. 265). Vielmehr ist von einer

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Pluralität wissenschaftlicher Organisationen auszugehen, zu denen beispielsweise auch wissen- schaftliche Fachgesellschaften, Redaktionen wissenschaftlicher Fachzeitschriften oder intermediäre Organisationen wie z.B. die Hochschulrektorenkonferenz, der Wissenschaftsrat oder die Kultusministerkonferenz zählen (Lentsch 2012). Das wissenschaftliche Feld ist mithin von verschiedenen Akteuren besetzt, die um die Deutungshoheit und Relevanz von Wissen- schaft ringen (vgl. z.B. Münch 2007). Gerade die Universität „als organisatorische Infrastruktur fortschreitender Disziplinendifferenzierung“ (Stichweh 1984, S. 74) eröffnet hier nicht nur Möglichkeitsräume für Forschung, sondern auch für Lehre. Disziplinen sind damit immer auch in organisationale Kontexte eingebettet, sodass Studiengänge als eine Form der institutionellen Organisation von Disziplinen verstanden werden können, über die die disziplinäre Selbstrepro- duktion abgesichert wird, indem der Nachwuchs strukturiert – und gerade nicht zufällig – rekrutiert und ausgebildet wird (vgl. ebd., S. 90).

Hochschulen sind aber nicht nur Organisationen des Wissenschaftssystems, sondern auch des Erziehungssystems (vgl. auch Kap. 1.6). Sie ermöglichen wissenschaftlichen Disziplinen über die Einrichtung von Lehre in Form von Studiengängen eine „universelle Relevanz im Ge- sellschaftssystem […], weil jedes Gesellschaftsmitglied […] damit zumindest potentiell auch in Tertiärerziehung als letzte Stufe der Institutionalisierung von Erziehung mit einbezogen wer- den kann“ (Stichweh 1984, S. 86). Im Kontext von Studiengängen, die in der vorliegenden Arbeit im Zentrum stehen, überschneiden sich demnach auch gesellschaftliche Teilsysteme: das Wissenschaftssystem im Sinne der disziplinären Reproduktion einerseits und das Erziehungs- system im Sinne der Hochschulerziehung, das eine mögliche Integration in professionelle, berufliche Handlungsfelder sichert, andererseits (vgl. Stichweh 1994, S. 190; Stichweh 1993).

Aus dieser Überschneidung ergeben sich somit in struktureller Hinsicht Bedingungen für dis- ziplinäre Kontinuität sowie ihren Wandel bzw. für die Stabilisierung und Etablierung von Disziplinen. Studiengangsgestaltung lässt sich insofern auch als ein Ausdruck dieser Prozesse in den Blick nehmen.

1.2 Erziehungswissenschaft zwischen Erziehungs- und Wissenschaftssystem

Im Fall der Erziehungswissenschaft stellen sich die Prozesse der disziplinären Etablierung und Positionierung noch einmal in besonderer Weise dar, gilt sie doch für Stichweh als Prototyp

‚sekundärer Disziplinbildungsprozesse‘ (Stichweh 1994, S. 326f.). Bezeichnet wird damit der historische Prozess, in dem sich die Disziplin erst im Anschluss an bereits bestehende Berufs- felder an den Universitäten etabliert hat. Die auf diese Weise entstehende „Bearbeitung der fortdauernden Probleme der Profession“ (ebd.) mit wissenschaftlichen Mitteln führt dazu, dass zunächst die Lehrerbildung akademisiert wird; später entstehen dann auch zunehmend institu- tionalisierte, universitäre Strukturen für die Sozialpädagogik und die Erwachsenbildung und weitere, sich bis heute ausdifferenzierende Felder (vgl. z.B. Krüger 2010). Darüber werden ei- nerseits zunehmend Stellen für die Disziplin geschaffen, die eine lokale „Einteilung in Fächer

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als einer überlokal vermittelten Zurechnung wissenschaftlicher Kommunikationen auf Perso- nen“ (Manhart 2014, S. 261) ermöglicht und andererseits werden ab den späten 1960er-Jahren Hauptfachstudiengänge eingerichtet. So wurden schließlich „vielfältige neue Berufsmöglich- keiten für universitätsausgebildete Fachkräfte“ (Otto/Rauschenbach 2002, S. 21; vgl. auch Krüger et al. 2003; Krüger/Rauschenbach 2012) entdeckt und geschaffen und – aus der Diszip- lin heraus – weitere sekundäre Professionalisierungsprozesse vorangetrieben, die zum einen

„als eine der wesentlichen Bedingungen des akademischen Wachstums einer Disziplin“ gelten und zum anderen als „eine der Stabilitätsbedingungen von Disziplinbildungsprozessen“ ver- standen werden können (Stichweh 1994, S. 327; für die Kindheitspädagogik z.B. Züchner 2012;

Stock 2013). Mit der Implementation von erziehungswissenschaftlichen Studienfachanteilen in der Lehrerbildung bzw. der Etablierung von eigenständigen erziehungswissenschaftlichen Hauptfachstudiengängen, die außerschulische Berufe mithervorbringen, ist die Disziplinent- wicklung insofern entscheidend mit den gesellschaftlichen Bedarfen und Erwartungen verbunden, die ihr allererst Kontinuität und Wachstum ermöglichen. Zugleich resultieren dar- aus für die Disziplin spezifische Dynamiken, die sich sowohl auf ihren Gegenstandsbereich – Fragestellungen und Probleme im Feld von Erziehung und Bildung – als auch auf ihre eben skizzierte Etablierung als Disziplin an Universitäten auswirken. Die Erziehungswissenschaft oszilliert in dieser Hinsicht in doppelter Weise zwischen dem Erziehungs- und Wissenschafts- system (vgl. Fuchs 2007), was ihr im Kontext der Studiengangsgestaltung von Beginn an abverlangt, eine Balance von „fachlich-disziplinären“ und „professionell-tätigkeitsbezogenen Wissensformen“ (Otto/Rauschenbach 2002, S. 26) zu finden.

Dies spiegelt sich jedoch nicht nur in der Studiengangsgestaltung, sondern auch in den kog- nitiven Strukturen der Disziplin selbst, was sich in historischer Perspektive exemplarisch an den unterschiedlichen wissenschaftstheoretischen Strömungen zeigt und bis in gegenwärtige Diskurse über das Selbstverständnis der Disziplin hineinragt. So beispielsweise in historischer Perspektive in den unterschiedlichen wissenschaftstheoretischen Strömungen, die sich wie etwa die Geisteswissenschaftliche Pädagogik stärker einer Handlungsperspektive öffnen, wie im Fall der Empirischen Erziehungswissenschaft stärker auf eine Beobachterperspektive verpflichten, oder wie die Kritische Erziehungswissenschaft auf die Verbindung ideologiekritischer Reflexi- onen von Handlungsperspektiven mit empirischen Beobachterperspektiven richten (vgl. Krüger 2012; Tenorth 1994; Vogel 2010, 2016). In systemtheoretischer Perspektive etabliert sich die Disziplin als „Reflexionsinstanz des Erziehungssystems“ (Fuchs 2007, S. 69; vgl. auch Luh- mann/Schorr 1979/2015). Was aber bedeutet das für die Wissenschaft bzw. im Spiegel der je unterschiedlichen Wissenschaftsverständnisse innerhalb der Disziplin? Für die Geisteswissen- schaftliche Pädagogik ist es selbstverständliches Anliegen wissenschaftlicher Theoriebildung gewesen, über hermeneutische Methoden der Praxis „ein klareres Bewußtsein von ihrer Situa- tion [zu] vermitteln“ und zugleich „auf der Basis solcher Klärungen [auch] an der Formulierung neuer Lösungsmöglichkeiten teil[zu]haben“ (Klafki 1998, Abschnitt 2, o.S.). Darüber ist die

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Erziehungswissenschaft dann aber auch zwangsläufig mit den moralischen und normativen Fra- gen des Erziehungssystems verbunden, die dem Code von Wahrheit des Wissenschaftssystems tendenziell entgegenstehen und ihr damit einen prekären Status als Wissenschaft verleihen (vgl.

Fuchs 2007, S. 75). Auch die Empirische Erziehungswissenschaft hält grundsätzlich an der Auseinandersetzung mit normativen Bezugspunkten fest (vgl. z.B. die Idee der Mündigkeit bei Roth 1971, S. 180), forderte jedoch ihrem Paradigma entsprechend eine klare Trennung nor- mativer und empirischer Fragestellungen. In Wolfgang Brezinkas (1971) Überlegungen spiegelt sich dies dann auch in dem Vorschlag einer strikten Trennung differenter Theorietypen, mithin Wissensformen, nämlich der Praktischen Pädagogik, der Philosophie der Erziehung und der Erziehungswissenschaft. Wissenschaftlichkeit, die sich am Postulat der Werturteilsfreiheit orientiert und sich in nomologischer Absicht deskriptiven, beobachtend-empirischen Perspek- tiven und eben nicht normativen Zielorientierungen oder Handlungsorientierungen für die Praxis widmet, schreibt er metatheoretisch im engeren Sinn nur der Erziehungswissenschaft zu (vgl. auch Krüger 2012, S. 49f.; zur Kritik der heuristischen Trennung auch Prange 2009, S.

209). Mit der Kritischen Erziehungswissenschaft zeichnet sich in historischer Perspektive eine dritte Variante des Umgangs mit normativen Fragestellungen ab, insofern aus der verbürgten Notwendigkeit empirischer Forschungsmethoden und damit einer Verankerung der Beobach- terperspektive keine Enthaltsamkeit gegenüber normativen, handlungsbezogenen Perspektiven abgeleitet wird. Insbesondere in der Verbindung pädagogischer und gesellschaftskritischer Fra- gestellungen wird die Aufgabe der Wissenschaft mit emanzipatorischen Charakter versehen, der darin gesehen wird, dass Erziehung „in der heranwachsenden Generation das Potenzial ge- sellschaftlicher Veränderung hervorzubringen“ (Mollenhauer 1973, S. 67) habe.

Erziehungswissenschaftliche Forschung müsse sich demnach auf die gesellschaftskritische Analyse derjenigen Ausschnitte der Wirklichkeit konzentrieren, die ein so verstandenes Ziel von Erziehung und Bildung ermöglichen, aber auch begrenzen oder verhindern. Erziehungs- wissenschaftliche Forschung könne sich dabei jedoch nicht allein auf das method(olog)ische

„Beschreiben, das Rekonstruieren, das Explizieren zurückziehen“, insoweit eine Konzentration auf diese Perspektiven auch ein „Ausweichmanöver“ darstelle, „sich der Normativitätsproble- matik pädagogischer Fragestellungen nicht mehr ernsthaft zu stellen“ (Mollenhauer 1980, S.

100). Mit dem emanzipatorischen Moment der kritischen Erziehungswissenschaft, der gesell- schaftlich verankerten Perspektive auf Mündigkeit und Selbstbestimmung als Ziele von Erziehung und Bildung, geht dann auch einher, dass „Zukunft die integrale pädagogische Ka- tegorie ist, von der alles abhängt“ (ebd.). Erziehungswissenschaftliche Forschung würde demnach erst in der Verbindung von analytischer Gesellschaftskritik und empirischer For- schung ihre spezifische Relevanz und Kontur gewinnen. Normative Perspektiven würden in dieser Weise nicht dem Forschungsprozess deduktiv vorgelagert oder nachträglich im Kontext der Bewertung der Befunde eingebettet sein, sondern als sensibilisierende Konzepte den ge- samten Forschungsprozess begleiten, den es argumentativ zu plausibilisieren gelte (vgl. ebd., S. 110f.).

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Neben diesen drei, hier nur beispielhaft und sehr knapp skizzierten wissenschaftstheoretischen Strömungen der Erziehungswissenschaft haben sich bis heute weitere Strömungen etabliert, die in jeweils spezifischer Weise den zu beobachtenden Ausschnitt der Erziehungs- und Bildungs- wirklichkeit wissenschaftstheoretisch zu begründen versuchen (vgl. Benner 2001; Prange 2009;

Krüger 2012). Der gemeinsame Ankerpunkt dieser Auseinandersetzungen – das sollte mit die- sem kurzen wissenschaftshistorischen und -theoretischen Exkurs verdeutlicht werden – ist die Normativitätsproblematik, die Verortung der Erziehungswissenschaft zwischen Beobachtungs- und Handlungsperspektive (vgl. schon König/Zedler 1983; Vogel 2010, 2016) und den jeweils different ausgemachten Möglichkeiten einer Verortung innerhalb des Wissenschaftssystems, in dem die Orientierung an Wahrheit nicht nur als eine „Stätte permanenter Konkurrenz“ (Bour- dieu 1992, S. 11) betrachtet werden kann, sondern in der sich gegenstandsbezogen im Feld von Erziehung und Bildung auch gesteigerte Anforderungen an die intersubjektive Nachvollzieh- barkeit der wissenschaftlichen Erkenntnis stellen. Denn die gemeinsamen Problem- und Fragestellungen sind selbst mit einem Gegenstand verbunden, der in hohem Maß von morali- schen und normativen Aspekten durchdrungen ist, sodass sich die Erziehungswissenschaft als

„Reflexionsinstanz des Erziehungssystems“ (Fuchs 2007, S. 69) von diesen „Systemoperatio- nen“ (ebd., S. 75) nicht gänzlich lösen kann:

„Die Konsequenz ist, daß Erziehungswissenschaft zur gleichen Zeit mehrere Codes in Be- trieb halten muß und keinen dieser Codes ignorieren kann. […] Sie können sich nicht wechselseitig stützen, sondern nur sich wechselseitig jeweils überschreiben. [...] Erwartbar wäre dann eine Reihe von deutlich markierbaren Problemen: 1. Die Erziehungswissen- schaft bildet keine scharfe Grenze aus. Sie oszilliert zwischen ihren Funktionen und kann deshalb nicht trennscharf zwischen sich (als Wissenschaft) und sich (als Reflexionsinstanz) unterschieden. 2. Damit zusammenhängend, wird sie mit massiven Autonomieproblemen konfrontiert.“ (Fuchs 2007, S. 76)

Was in den systemtheoretischen Überlegungen von Peter Fuchs zum Ausdruck kommt, ist, dass die Erziehungswissenschaft in besonderer Weise mit Fragen der Autonomie und der Grenzzie- hung konfrontiert ist und insofern auch eine besonders hohe interne Dynamik aufweist.

Bezogen auf das Verhältnis von Disziplin und dem wissenschaftlich reflektierten Handlungs- feld wird dies innerhalb der Erziehungswissenschaft beispielweise als Theorie-Praxis-Problem (vgl. z.B. Tenorth 1999; Vogel 1999a, 2002, 2016) oder als Verhältnis von Disziplin und Pro- fession diskutiert (vgl. Stichweh 1994; Tenorth 1994; Keiner 2011; Horn 1999a; Drieschner 2015). Diese in unterschiedlicher Weise theoretisierte komplexe Beziehung zu Praxis respek- tive Profession schlägt sich indes auch in der Diskussion um die Gestaltung von Studiengängen nieder. Denn diese dienen sowohl der disziplinären Selbstreproduktion als auch der pädagogi- schen Ausbildung für beruflich-professionelle Handlungsfelder (vgl. DGfE 1968, 2010;

Otto/Rauschenbach/Vogel 2002). An dieser Stelle gilt es jedoch zunächst einmal zu betonen, dass sich diese Doppelreferenz für die Erziehungswissenschaft nicht nur im Kontext von Stu- diengängen stellt, sondern sie ist zugleich integraler Bestandteil ihres disziplinären Forschungs- und Kommunikationszusammenhangs, indem immer auch die Grenzziehungen (vgl. Stichweh

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1994, S. 17) des disziplinären Feldes gegenüber eher praxisbezogenen Anforderungen verhan- delt werden. Dass sich dies für die Erziehungswissenschaft als spezifische Herausforderung darstellt, zeigt sich dann auch daran, dass die Differenzierung verschiedener Wissensformen des Pädagogischen und damit die Hervorhebung der Begründungs- und Legitimierungslogik des erziehungswissenschaftlichen Wissens dauerhaft aktualisiert werden (vgl. Vogel 1999a, 2016; Keiner 2011). Bezogen auf die Frage der Autonomie der Disziplin stellen sich aber nicht nur Fragen vor dem Hintergrund des Verhältnisses von Disziplin und Profession, sondern auch mit Blick auf ihre Verankerung im wissenschaftlichen Feld selbst.

1.3 Sozial- und Machtbeziehungen im Kontext von Disziplinen

Vor dem Hintergrund der systemtheoretisch beschreibbaren Spezifik unscharfer Grenzen der Erziehungswissenschaft als Disziplin, ist es wichtig, danach zu fragen, wie diese zum Bezugs- punkt der disziplinären Aushandlungen werden (können). Wissenschaftstheoretische Ansätze, in denen das wissenschaftliche Feld als Feld von Sozial- und Machtbeziehungen gefasst wird, eignen sich zu einer Schärfung dieser Perspektive. Gerade wenn disziplinäre Veränderungspro- zesse im Spiegel von Studiengängen zum Untersuchungsgegenstand werden, muss sich der Blick dafür sensibilisieren, welchen Stellenwert Studiengänge und ihre Gestaltung im Kontext disziplinärer Sozial- und Machtbeziehungen erhalten.

Insbesondere habitus- und feldtheoretische Perspektiven im Anschluss an Pierre Bourdieu (1992, 1998) können in diesem Sinne auf die relationale Prozesshaftigkeit wissenschaftlicher Felder hinweisen. Disziplinäre Forschungs- und Kommunikationsgemeinschaften können in dieser Hinsicht auch als Teil des wissenschaftlichen Feldes verstanden werden, der durch eine gemeinsame ‚illusio‘ – im Fall der Erziehungswissenschaft die Wahrheitssuche im Kontext von Erziehung und Bildung – zusammengehalten wird und innerhalb dessen um Reputation und Macht gerungen wird. Das bedeutet, dass nach Innen immer auch ein Kampf um knappe Res- sourcen ausgetragen wird und Prozesse disziplinärer Ausdifferenzierung damit nicht nur als logische Folge funktionaler Differenzierung, sondern auch als Ergebnis von Machtkämpfen be- trachtet werden können (vgl. Heilbron 2005, S. 25). Daher ist die relative Autonomie von Disziplinen gegenüber anderen Teilen des wissenschaftlichen Feldes (wie z.B. anderen Diszip- linen, Hochschulen oder Wissenschaftspolitik) aber auch anderen gesellschaftlichen Feldern (wie z.B. Professionen) eng verbunden mit der „Brechungsstärke“ bzw. der „Übersetzungs- macht“ (Bourdieu 1998, S. 19), mit der externe Zwänge und Anforderungen in die eigene disziplinäre Logik überführt werden. Die „Heteronomie eines Feldes“ zeige sich demgegenüber

„durch die Tatsache, daß dort äußere Fragestellungen, namentlich politische, halbwegs unge- brochen zum Ausdruck kommen“ (ebd.). Mit unterschiedlichen disziplinären Dynamiken gehen insofern auch Hierarchisierungen im Wissenschaftssystem einher (vgl. Stichweh 1994, S.

31ff.), die den Disziplinen auch im Kampf um knappe Ressourcen – wie etwa Stellen oder Drittmittel – unterschiedliche Positionen ermöglichen. Verbunden ist damit auch die Frage, welche Problematiken sich vor dem Hintergrund der Übersetzung äußerer Anforderungen in

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die disziplinären Eigenlogiken ergeben, die letztlich auch den Grad der disziplinären Autono- mie konturieren (vgl. Bourdieu 1998).

In dieser machttheoretischen Perspektive erscheint die Erziehungswissenschaft mit ihrem oszillierenden Charakter zwischen Erziehungs- und Wissenschaftssystem, aber auch mit den politischen, praxisfeldbezogenen und gesellschaftlichen Erwartungen als ein starken Kräften ausgesetztes wissenschaftliches Feld. Dies hat Folgen für die allgemeine Entwicklung der Dis- ziplin, die sich einerseits als Forschungs- und Kommunikationsgemeinschaft im Umgang mit externen Kräften bewähren muss (vgl. Heilbron 2005, S. 25; Rieger-Ladich 2009, S. 162). An- dererseits hat dies auch Folgen für die Auseinandersetzungen innerhalb der Disziplin, in denen die individuellen und kollektiven Akteure nicht nur um Inhalte ringen, sondern auch – mit Hilfe von unterschiedlichen Mitteln – um Machtpositionen kämpfen, die ihnen zugleich eine höhere Durchsetzungsmacht der jeweiligen Interessen versprechen.

Die jeweilige Position im wissenschaftlichen Feld ist mit Bourdieu schließlich auch an symbolisches Kapital gebunden. Für das wissenschaftliche Feld differenziert er hier zwei spe- zifische Formen. Das reine wissenschaftliche Kapital, das der ‚illusio‘ des Feldes um die Suche objektiver Realitäten entspricht (vgl. Bourdieu 1992), wird vorrangig über Publikationen „ins- besondere in hochselektiven prestigereichen Organen“ (Bourdieu 1998, S. 32) akkumuliert.

Von Bedeutung ist hier, dass die Akkumulation dieses Kapitals (und mithin die wissenschaftli- che Reputation) an peerbezogene Anerkennungsdimensionen gebunden ist. Diese Ressource, etwa in Form peer-reviewter Zeitschriftenartikel, verweist damit primär auf wissenschaftsim- manente Konkurrenzen.

Das institutionalisierte wissenschaftliche Kapital drückt sich demgegenüber in „der Beset- zung herausgehobener Stellen in wissenschaftlichen Institutionen […] und die dadurch eingeräumte Macht über Produktionsmittel (Verträge, Posten, Gelder usw.) und Reprodukti- onsmittel (über Karrieren zu entscheiden und Karrieren zu machen)“ (Bourdieu 1998, S. 31) aus. Die Anhäufung dieses Kapitals erfolgt etwa über die Positionierung in Fachgesellschaften oder im Kontext von Universitäten (vgl. universitäres Kapital, Bourdieu 1992). Auch hier ver- weist der Kampf um Ressourcen auf wissenschaftsimmanente Konkurrenzen – zumindest solange Universitäten lediglich als „organisatorische Infrastrukturen“ (Stichweh 1984, S. 62) disziplinärer Gemeinschaften betrachtet werden – dazu jedoch an späterer Stelle (vgl. Kap. 1.6).

Studiengänge können an dieser Stelle bereits als Formen institutionalisierten wissenschaftli- chen Kapitals gefasst werden und die Gestaltung von Studiengängen folglich als Arena, in der inhaltliche Auseinandersetzungen auch mit dem Erhalt oder der Vermehrung individueller und kollektiver Machtressourcen verbunden sind.

Die Anhäufung wissenschaftlichen Kapitals verweist nicht nur auf das Netz „objektiver Relationen“ (Bourdieu/Wacquant 1996, S. 127) in einem Feld und damit auch auf die konflikt- hafte Durchsetzungsmacht jeweiliger Positionen, sondern auch darauf, dass Bewegungen und Praktiken im Feld immer mit Habitusformen als deren „Erzeugungs- und Ordnungsgrundlage“

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(Bourdieu 1993, S. 98) verbunden sind. Im Sinne von „Wahrnehmungs-, Denk- und Handlungs- schemata“ (ebd., S. 101) bringen sie nicht nur rationale, objektiv nachvollziehbare Strategien hervor, die für das wissenschaftliche Feld und die als notwendig akzeptierte Konkurrenz um die illusio der Wahrheit von zentraler Bedeutung sind, sondern sind zugleich auch „strukturierte Strukturen“ (ebd., S. 98), die das Erkennen allererst ermöglichen. Die „Logik der Praxis“ zeige sich „in einer Art Einheitlichkeit des Stils, die zwar unmittelbar wahrnehmbar ist, aber nichts von der strikten und überraschungslosen Schlüssigkeit aufeinander abgestimmter Erzeugnisse eines Plans hat“ (ebd., S. 187). Wenn vor diesem Hintergrund Wissenschaft als soziale Praxis betrachtet wird, lassen sich wissenschaftsimmanente Konflikte auch als Ausdruck differenter Denkstile fassen. Bereits bei Ludwik Fleck (1935/2017) werden diese als eine „Bereitschaft für gerichtetes Wahrnehmen und entsprechendes Verarbeiten des Wahrgenommenen definiert“

(ebd., S. 187, vgl. auch S. 139f.) oder bei Thomas S. Kuhn als differente wissenschaftliche Schulen mit „konkurrierende[n] Paradigmen“ (Kuhn 1967/1989, S. 122), die innerhalb eines disziplinären Systems nicht zwangsläufig „einheitlich dargestellt“ werden können (ebd., S.

194). Für die wissenschaftliche Praxis, die sich an der Wahrheitssuche orientiert, ist die Diffe- renz und Konkurrenz durchaus funktional, und „entspricht ein[em] erfahrungs- wissenschaftlichen Habitus de[r] radikalen Geltungsüberprüfung“ (Helsper 2016, S. 92). Die Pluralität differenter Positionen, Denkstile und Paradigmen ist jedoch nur solange innerhalb eines disziplinären Feldes funktional, wie diese auch aufeinander Bezug nehmen (können) und entsprechend als geteilte Forschungs- und Kommunikationsgemeinschaften gegenseitig wahr- nehmbar sind (vgl. Oelkers 2014). Studiengänge und deren Gestaltungspraxis als eine Variante der disziplinären Selbstreproduktion, die sich mit Rudolf Stichweh (1994) auf einen gemeinsam akzeptierten Wissenskorpus bezieht, zu fassen, wirft daher auch die Frage auf, wie darin inhalt- liche Ausdifferenzierungen und konkurrierende Paradigmen zum Tragen kommen und inwiefern sich angesichts dessen „nicht vielleicht eine zugrundeliegende gemeinsame Logik“

(Vogel 2014, S. 111) konturieren lässt. Studiengangsgestaltung stellt insofern für die Wissen- schaft auch ein Feld allgemeiner disziplinärer Herausforderungen dar. Dass dies innerhalb der Erziehungswissenschaft jedoch eine stark umkämpfte und prekäre Herausforderung ist, dafür können nachfolgend noch einmal Differenzierungen disziplinärer Formen und Grenzziehungs- praktiken sensibilisieren.

1.4 Disziplinäre Charakteristika und ‚Boundary Work‘

Für einen differenzierteren Blick auf die Art und Weise disziplinärer Kommunikation sind in heuristischer Absicht auch jene theoretischen Überlegungen hilfreich, die zunächst auf unter- schiedliche Kommunikationsformen verweisen. In den wissenschaftstheoretischen Überlegungen finden sich hierfür häufig dichotome Klassifizierungen, die nicht umhin kom- men, die jeweils zum Ausdruck kommenden Formen zu bezeichnen. Diese Bezeichnungen haben häufig implizite normative Annahmen, die bei Thomas S. Kuhn (1967/1989) im Begriff

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der ‚Normalwissenschaft‘ am deutlichsten und besonders gesteigert sind2. Die unterschiedli- chen Klassifikationen und Bezeichnungen lassen sich jedoch für die Erarbeitung einer heuristischen Folie nutzen, vor deren Hintergrund es möglich ist, für differente disziplinäre Grenzziehungspraktiken zu sensibilisieren, die ihrerseits sowohl vor dem Hintergrund wissen- schaftsimmanenter als auch wissenschaftsexterner Dynamiken zu verstehen sind.

Rudolf Stichweh (1994) unterscheidet in dieser Hinsicht etwa harte und weiche Diszipli- nen. Ganz ähnlich wie in der Figur von Kuhns ‚Normalwissenschaft‘ konturiert er damit harte Disziplinen über ein hohes „Konsensniveau“, „ein relativ geringes Ausmaß der Berücksichti- gung der Literatur anderer Disziplinen“ oder auch über „die Nichtexistenz von konkurrierenden Schulen“ (ebd., S. 23). Je näher Disziplinen diesem idealtypischen Modell kommen, desto eher können die eigene Relevanz und damit auch die Autonomie gesichert werden. Einher geht dies jedoch mit einer linearen Ausdifferenzierung, die die jeweils gegenstandsbezogene Komplexi- tät reduzieren. Als „Indikator kognitiver Reife“ (ebd., S. 32) wird dieser Mechanismus zum Erfolgskonzept innerhalb der hochschulischen „Prestigehierarchie“ (ebd.) differenter Diszipli- nen.

„Generell“ könne man annehmen, „daß das Bewusstsein, einer harten Disziplin anzugehö- ren, wissenschaftliches Selbstbewusstsein und disziplinäre Identifikation stärkt, während umgekehrt Wissenschaftler weicher Disziplinen in Gefahr sind, ständig an einer mit Män- geln behafteten Identität zu leiden und tendenziell jeden Schritt am Ziel der Annäherung an die harten Wissenschaften ausrichten“ (ebd., S. 32f.).

Auch wenn Stichweh einräumt, dass dieser Prozess letztlich davon abhängt, inwieweit die Pres- tigehierarchie überhaupt „orientierungs- und handlungswirksam wird“ (ebd.), nimmt er diese Perspektive kaum näher in den Blick. Demgegenüber zeichnet er nach, dass weiche Disziplinen einerseits offen für die Integration von ‚Konzepten‘ harter Disziplinen sind und die Ausdiffe- renzierungsprozesse in Subdisziplinen zwar weniger linear, aber doch entlang des Musters der Reduktion von Komplexität des Gegenstands als auch der Etablierung gemeinsamer Paradig- mata strukturiert sind. Die Bezugnahme auf das Konzept harter Disziplinen wird von Stichweh dabei jedoch gesetzt und darüber auch schlüssig an die Idee funktionaler Differenzierung ange- schlossen.

Dass in der Erziehungswissenschaft immer wieder binnendisziplinäre Konflikte in skepti- schen Selbstvergewisserungen und Positionierungen zur Disziplin hervortreten, kann jedoch kaum bestritten werden. So betont Klaus Mollenhauer (1980), dass „heute wohl kaum mehr eigens explizier[t]“ werden müsse, „daß die Erziehungswissenschaft in eine kritische Situation geraten“ sei (Mollenhauer 1980, S. 99), dass sie über „eine häufig unverbundene Vielzahl be- sonderer Gegenstände“ (Mollenhauer 1982, S. 260) kaum mehr gemeinsame Konturen

2 Für die vorliegenden Arbeiten ist es daher wichtig, dass diese hier als heuristische Folien dienen und sich von der Vorannahme einer notwendigen ‚Einheitswissenschaft‘ als ‚Normalwissenschaft‘ abgrenzen und damit insofern auch keine „Homogenitätsvisionen“ (Terhart 2016, S. 85) einhergehen.

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aufweise. Auch Helmut Heid (1994) hebt hervor, dass Pluralität im Sinne einer „vergewisse- rungs-instrumentellen Funktion“ (ebd., S. 125) zunehmend durch das Nebeneinanderstellen verschiedener Argumente suspendiert würde, womit Erziehungswissenschaft vor allem eine

„Sammelbezeichnung für wissenschaftliche Aktivitäten außerordentlich unterschiedlicher, ja teilweise geradezu unvereinbarer Art“ (Heid 1987, S. 226) sei. Ähnlich skeptisch werden auch die gegenwärtigen, sich weiterhin fortsetzenden Ausdifferenzierungen der Disziplin diskutiert, die sich nicht nur auf die Ebene der Gesamtdisziplin beziehen und die „Frage nach dem Ge- meinsamen auf[bringen]“ (Horn 2014, S. 27; ähnlich schon Macke 1992 oder Grunert 2012), sondern die sich auch in stärker teildisziplinbezogenen Diskussionen abbilden. So etwa bezo- gen auf die Frage, inwieweit die Allgemeine Erziehungswissenschaft an Bedeutung verliert und darüber ein integrierender Modus der Disziplin in Frage gestellt sei (vgl. Krüger 1994; Winkler 1994; Prondczynsky 2002; Masschelein/Ricken 2002; Kauder 2010; Hoffmann 2010) oder auch in der aktuellen Kritik der gegenseitigen Bezugnahme der quantitativen und qualitativen empirischen Bildungsungleichheitsforschung im Kontext der Schule (vgl. Helsper 2016; Bau- mert/Tillmann 2016).

Für die in der vorliegenden Arbeit eingenommene Perspektive geht es nun weniger darum, zu entscheiden, ob man sich in Zukunft „an plurale, heterogene, fluide und inkompatible The- orie- und Methodenlandschaften gewöhnen“ muss (Terhart 2016, S. 85) und insofern auch die Perspektive auf die Verfasstheit der Disziplin Erziehungswissenschaft als Kommunikationszu- sammenhang verlassen werden müsste, sondern es geht in Übereinstimmung mit Reinhard Fatke und Jürgen Oelkers (2014, S. 8) um die Frage, wie die Erziehungswissenschaft als Wis- senschaft in ihren disziplinären Eigenlogiken verstanden werden kann. Dass sich dabei durchaus besondere Problematiken herauskristallisieren, zeigen nicht zuletzt die eben skizzier- ten Selbstvergewisserungsdiskussionen. Sie deuten überdies an, dass Prozesse disziplinärer Differenzierung nicht nur als Ausdruck funktionaler Differenzierung verstanden werden kön- nen. In ‚Chaos of disciplines‘ zeichnet Andrew Abbott am Beispiel der Soziologie in diesem Sinne auch nach, dass disziplinäre Veränderungsprozesse als mehrfach wiederholte Unterschei- dungen abstrahiert werden können. Mit dem Begriff der fraktalen Distinktion nimmt er Ausdifferenzierungsprozesse insofern als komplexe Verschachtelungen unterschiedlicher Pa- radigmen (hier Sinne von Theorien und Methoden) und Gegenstände in den Blick, über die eine inner- und zugleich interdisziplinäre Kommunikation möglich wird (vgl. Abbott 2001, S. 10ff.).

Gerade weil dies nicht mehr zwangsläufig in den institutionalisierten Strukturen nach außen und innen sichtbar wird, ist es demnach wichtig, die Perspektive auf die Praxis der Hervorbrin- gung von Differenzierungen zu richten.

Ein weiterer Aspekt, die Verwobenheit disziplinärer Dynamiken mit gesellschaftlichen Fel- dern respektive Berufsfeldern, bleibt hier jedoch weitestgehend außer Acht. Für die Erziehungswissenschaft ist – wie bereits weiter oben mit systemtheoretischen Ansätzen heraus- gestellt wurde – genau diese Perspektive relevant, folgen die Dynamisierungsmomente hier

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doch auch berufsfeldbezogenen, politischen und administrativen Logiken (vgl. Hofstet- ter/Schneuwly 2010, S. 679). Hier können die Arbeiten von Don Ambrose et al. (2010) ein wichtiger Bezugspunkt sein, in denen die Praxis explizit mitgedacht wird (ähnlich auch Be- cher/Trowler 2001; Harty/Shove 2004). Im Anschluss an die Studien von Thomas Bender und Carl E. Schorske (1997), die ebenfalls harte und weiche Disziplinen unterscheiden, differenzie- ren Don Ambrose et al. (2010) entlang der Verwobenheit von Philosophie, Theorie, Forschung und Praxis zwischen „unified, insular, firmly policed“ auf der einen und „fractured, porous, contested“ Disziplinen auf der anderen Seite (ebd., S. 471). Die Erziehungswissenschaft wird in diesen Bezügen auch im innerdisziplinären Diskurs den ‚weichen‘ bzw. ‚fragmentierten‘

Disziplinen zugerechnet (vgl. Keiner/Schauffler 2014; Keiner 2015). Während einheitliche Dis- ziplinen über starke Grenzziehungen gekennzeichnet sind, die über kohärente und konsensuale philosophische, theoretische und methodische Perspektiven hergestellt werden und die auf in sich geschlossene praxisbezogene Felder treffen, zeichnen sich fragmentierte Disziplinen über schwache Grenzziehungen aus, insofern plurale Positionen zwischen philosophischen, theore- tischen und methodischen miteinander konkurrieren und auf unscharf konturierte professionelle Berufsfelder treffen. Dabei heben Don Ambrose et al. (2010) den idealtypischen Charakter die- ser Differenzierung hervor und betonen, dass beide Pole für die disziplinäre wie professionelle Dynamik problematisch erscheinen. So tendieren einheitliche Disziplinen im Extremfall zu ei- nem Stillstand wissenschaftlicher Erkenntnis, die sich ebenso auf die professionelle Praxis auswirkt:

„[E]xcessive unification, insularity, and policing is counterproductive because it traps a discipline within tired, old assumptions, and leads professionals to engage in inefficient or counterproductive practices that otherwise could be replaced or corrected with exposure to more promising, innovative theory, research, or practical application. (ebd., S. 471)

Andererseits tendieren fragmentierte Disziplinen in ihrer Zuspitzung zu Ungewissheit und Chaos in einem disziplinären Feld, die auch in der Praxis zu zugespitzter Verunsicherung bei- tragen, „because there is no firm ground for solid footing“ (ebd.).

Im Sinne einer Vertiefung des Aspektes differenter disziplinärer Grenzziehungen können diese im Anschluss an die Überlegungen von Thomas F. Gieryn (1983) in Verbindung mit feld- theoretischen Ansätzen auch als Ergebnis sozialer Aushandlungsprozesse verstanden werden.

Grenzen, mithin disziplinäre Grenzen, sind damit einmal mehr nicht als etwas einmal Gegebe- nes zu verstehen, sondern als Produkt fortwährender Aushandlungsprozesse3 über Differenzlinien, die Felder voneinander unterscheiden (ähnlich Abbott 2001). Grenzziehungen sind in dieser Weise „ambigous, flexible, historically changing, contextually variable, internally inconsistent, and sometimes disputed“ (Gieryn 1983, S. 792). Ein so verstandenes ‚Boundary Work‘ (ebd.) ist insofern immer auch prekär und an Dynamiken in einem Feld gebunden, die

3 Ähnlich auch Andrew Abbott (1995, S. 860): „Boundaries come first, then entities“.

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sich auf jeweils als relevant wahrgenommene Differenzierungsnotwendigkeiten beziehen.

Diese können sich in Abgrenzungen gegenüber anderen Disziplinen, der Abgrenzung von Wis- senschaft und Nicht-Wissenschaft oder in innerdisziplinären Differenzierungen in Sub- und Teildisziplinen zeigen (vgl. Gieryn 1983; Abbott 2001). Disziplinen und disziplinäre Grenzzie- hungen sind insofern immer auch in ihrer Geschichtlichkeit zu verstehen (vgl. Kap. 1.2); ihre Grenzen sind variabel und flexibel. ‚Boundary Work‘ als Machtkampf um „credibility, prestige, power, and material ressources“ (Gieryn 1994, S. 405) verweist dann – ähnlich wie in den Überlegungen Bourdieus – auf die konflikthafte Durchsetzung von Interessen und Deutungs- hoheit in einem wissenschaftlichen Feld. Grenzziehungen sind in diesem Sinne Ausdruck eines

„social interest in claiming, expanding, protecting, monopolizing, usurping, denying, or re- stricting the cognitive authority of science“ (ebd.).

Symbolische Grenzziehungen können dabei als „conceptual distinctions“ gefasst werden,

„made by social actors to categorize objects, people, practices, and even time and space. They are tools by which individuals and groups struggle over and come to agree upon definitions of reality“ (Lamont/Molnár 2002, S. 168). Diese auf Codes oder Repräsentationen bezogenen Grenzziehungspraktiken werden also auch eng mit sozialen Grenzziehungspraktiken verwoben, die, insoweit sie mit symbolischen Grenzziehungen in eine stabile relationale Beziehung ge- bracht werden (können), Unterschiede etwa in Form von Zugangsbarrieren oder Ressourcenverteilung strukturell manifestieren und darüber auch kollektive Einheiten erzeu- gen. Mit dieser Überlegung lässt sich z.B. die Entwicklungsdynamik zwischen Profession und Disziplin (vgl. Gieryn 1983; Abbott 1995), die Dynamik zwischen bzw. innerhalb von Diszip- linen (vgl. Abbott 2001; Beer/Koenig 2009 für die Kulturwissenschaft) oder auch die Relation verschiedener hochschulpolitischer Akteure zueinander (vgl. Münch 2007, 2011) betrachten4.

‚Boundary Work‘ und die damit verbundenen historisch wandelbaren Grenzziehungen dienen insoweit auch als ein Orientierungssystem für Wahrnehmung, Deutung und Handlungsausrich- tung, das von sozial bedingten Kämpfen und Verhandlungen um Differenzierungen und Klassifizierungen abhängig ist und für fragmentierte Disziplinen in besonders hohem Maß von Dynamiken gekennzeichnet ist.

Für die Erziehungswissenschaft zeigen sich diese Dynamiken auch in den verschiedenen Bezeichnungen für die Disziplin, für die sich neben Erziehungswissenschaft und Pädagogik auch zunehmend der Begriff Bildungswissenschaft (vgl. Liebau 2002; Terhart 2012; Keiner 2015) sowie jeweils Plural- und Singularvarianten davon finden (vgl. ausführlich hier zu Grunert et al. 2016; Grunert/Ludwig 2016a, 2016b). Auch wenn gegenwärtig davon ausgegan- gen werden kann, dass die Bezeichnungen für die Disziplin innerhalb des disziplinären Diskurses variieren und die Benennung von Instituten oder Fachbereichen bzw. Fakultäten

4 Selbstverständlich ist diese Überlegung auch für viele weitere Felder außerhalb der Wissenschaftsforschung relevant, die hier nur kurz angedeutet werden können. So etwa bezogen auf die Ungleichheitsforschung, bei Andreas Wimmer (2008) im Kontext ethnischer Grenzziehungspraktiken oder bei Michèle Lamont und Virág Molnár (2002) bezogen auf soziale und genderbezogene Ungleichheit.

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„zum Teil mit Bedacht, zum Teil ohne weiteres Nachdenken“ (Horn 2014, S. 14) erfolgt ist, sind mit den unterschiedlichen Bezeichnungen – zumindest in wissenschaftshistorischer Per- spektive betrachtet –, Grenzziehungen zwischen wissenschaftstheoretischen Strömungen verbunden (vgl. auch Kap. 1.2; Vogel 2015). So wurde im Kontext der geisteswissenschaftli- chen Ausrichtung der Disziplin der Begriff der Pädagogik verwendet (vgl. Böhm 2005) und im Zuge der ‚realistischen Wende‘ und einer stärker empirisch-sozialwissenschaftlichen Ausrich- tung der Disziplin der Begriff Erziehungswissenschaft (vgl. Roth 1963; Flitner 1957/1989) etabliert, auf den sich sowohl die Empirische als auch die Kritische Erziehungswissenschaft beziehen und den auch die 1964 gegründete Fachgesellschaft (vgl. Berg/Herrlitz/Horn 2004) als ‚Deutsche Fachgesellschaft für Erziehungswissenschaft‘ (DGfE) verwendet. Mit der Ein- führung der Hauptfachstudiengänge und der Rahmenordnung von 1969 (vgl. KMK 1969) wird die Differenz der Begriffe auch für die Studiengänge relevant: So wird die Rahmenordnung

„für die Diplomprüfung in Erziehungswissenschaft“ genannt und der zu erreichende Diplom- grad als „Diplom-Pädagogik“ (ebd., §2) bezeichnet – während man Erziehungswissenschaft studiert, wird man also PädagogIn.

1.5 Zwischenfazit I: Studiengänge und disziplinäre Veränderungsprozesse

Studiengänge als eine institutionalisierte Form disziplinärer Selbstreproduktion können vor dem Hintergrund der wissenschaftstheoretischen Perspektiven die soziale Identität der Diszip- lin sicherstellen (vgl. Beer/Koenig 2009, S. 5) und sie können Auskunft darüber geben, wie sich Disziplinen auf ein gemeinsames disziplinäres Wissen beziehen, das an den Nachwuchs wei- tergegeben und so tradiert wird (vgl. Stichweh 1994, S. 17; Grunert et al. 2016; Grunert/Ludwig 2016a) – sie können aber auch immer im Kraftfeld symbolischer Grenzziehungen disziplinäre Veränderungen bewirken.

In dieser Perspektive sind auch die Prozesse der Studiengangsgestaltung und damit die Festlegung von Modulinhalten, Modulgrößen, die Relationierung von Inhalten sowie die Wahl der Fachbezeichnung keineswegs „trivial“ (Beer/Koenig 2009, S. 15), sondern sie können als ein Produkt symbolischer Grenzziehungspraktiken verstanden werden, die „selektiv an Unter- scheidungen an[knüpfen], die im Feld wissenschaftlicher Praxis vorhanden sind“ (ebd.). Beer und Koenig verweisen in diesem Zusammenhang am Beispiel der Kulturwissenschaft(en) auf unterschiedliche, miteinander konkurrierende Grenzziehungsdynamiken, die sich in der Wahl einer Fachbezeichnung von Studiengängen ausdrücken. So zum Beispiel auf Prozesse des

‚boundary making‘ als Praxis, „der Etablierung einer neuen Einheit im System wissenschaftli- cher Disziplinen“ (ebd., S. 7) oder des ‚boundary blurring‘ als Praxis der „Aufhebung gegebener disziplinärer Grenzen in einem übergreifenden, neu etikettierten Fächerkollektiv“

(ebd.).

Über die Studiengangslandschaft einer Disziplin ist es im Anschluss an die dargestellten theoretischen Überlegungen möglich, einen Ausschnitt des disziplinären Feldes und damit ei- nen Ausschnitt seiner ‚objektiven Relationen‘ (Bourdieu/Wacquant 1996, S. 127)

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systematischer in den Blick zu nehmen. Die jeweilige Struktur und auch die Praxis der Gestal- tung der Studiengänge sind dann ein Ausdruck jeweiliger Kämpfe um die Identität und mithin die Grenzen eines disziplinären Feldes. Der Ausschnitt der Studiengänge einer Disziplin ist zugleich ein spezifischer, denn über sie kommt anders als im Fall von Promotionen und Habi- litationen der erste Schritt der disziplinären Sozialisation in den Blick und damit jene

„Lehrlingszeit“ (Fleck 1935/2017, S. 136), in der die disziplinären Strukturen „dem Neuling vollkommen unverständlich“ sind. Studiengänge geben der „Wissenschaft die Möglichkeit, den Nachwuchs nach eigenen Kriterien zu formen“ (Stichweh 1984, S. 87), sie ermöglichen damit eine „Aneignung eines Denkstiles“ (Fleck 1935/2017, S. 137) oder die Tradierung wissen- schaftlicher Schulen (vgl. Kuhn 1967/1989) und symbolisieren als institutionalisiertes, wissenschaftliches Kapital auch die Macht über die Reproduktionsmittel einer Disziplin (vgl.

Bourdieu 1998, S. 31). Mit der Gestaltung von Studiengängen können damit auch umkämpfte disziplinäre Grenzziehungen, die gerade für fragmentierte Disziplinen besonders instabil er- scheinen, einen institutionalisierten Ausdruck erhalten. Gerade im Falle weit auseinandergehender Positionen über die disziplinären Grenzen können Studiengänge damit auch ein Rahmen sein, Konflikte darüber, „was ein Problem und was eine Lösung ist“ (Kuhn 1967/1989, S. 122) außerhalb der forschungsbezogenen Kommunikation zu bearbeiten. Mit der Einführung und Gestaltung von Hauptfachstudiengängen geht dann nicht nur die Möglichkeit einher, dass sich die Erziehungswissenschaft zunehmend aus sich selbst heraus reproduzieren und damit im Kanon der Bezugs- und Nachbardisziplinen zunehmend etablieren kann (vgl.

Keiner/Tenorth 2007, S.157), sondern in binnendisziplinärer Perspektive sind sie auch eine Machtressource konkurrierender wissenschaftlicher Schulen (vgl. Kuhn 1967/1989). Vor die- sem Hintergrund können disziplinäre Veränderungs- und Grenzziehungsprozesse immer auch über die Gestaltung von Studiengängen zum Ausdruck kommen, sind doch die kollektiven Ak- teure der Studiengangsgestaltung primär die FachvertreterInnen an den jeweiligen Hochschulen (vgl. Manhart 2007, 2014; Vogel 2014; vgl. Kap. 1.7 bis 1.9), die dann auch in den vorliegenden Arbeiten empirisch in den Blick genommen werden, um danach zu fragen, wie und woran sie sich im Zuge der curricularen Gestaltung der Studiengänge orientieren (vgl. Grunert/Ludwig 2016b; Ludwig/Grunert 2018a, 2018b; Ludwig/Grunert/Hoffmann 2018; Ludwig 2019).

1.6 Die Hochschule als Organisation

Bislang wurden vorrangig wissenschaftsimmanente Dynamiken diskutiert, die in die Studien- gangsgestaltung hinein wirken, aber auch durch sie beeinflusst werden können. Der Entwicklung und Gestaltung von Studiengängen empirisch nachzugehen, lenkt den Blick aber nicht nur auf die Prozesse der Stabilisierung oder der Dynamisierung von Disziplinen, sondern auch auf die Rahmenbedingungen, in die sie eingebettet sind. So findet Studiengangsentwick- lung immer in Hochschulen als Organisationen statt. Als Organisationen sind Hochschulen zunächst mit Rudolf Stichweh (2010) wie folgt zu fassen:

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„Sie weisen Mitgliedschaftsstrukturen auf, und sie führen Kommunikationsprozesse auf Entscheidungen hin (z.B. Entscheidungen über die Aufnahme von Studierenden; das Be- stehen von Prüfungen; die Förderung und Durchführung von Forschungsprojekten etc.).

Mitgliedschaft und Entscheidungen sind zwei Gesichtspunkte, anhand deren Universitäten sich als formale Organisationen identifizieren lassen.“ (ebd., S. 13)

Gleichzeitig sind Hochschulen als besondere Organisationen zu verstehen, die sich in mehrfa- cher Hinsicht von anderen Organisationen unterscheiden: Hierarchische Strukturen, formalisierte Abläufe der Entscheidungsfindung sowie Sanktionsbefugnisse gegenüber den Or- ganisationsmitgliedern, die der Organisation eine weitestgehend autonome Selbstregulierung ermöglichen würden (vgl. Luhmann 2011), sind nur begrenzt vorhanden. So beruhen beispiels- weise hochschulinterne Entscheidungen maßgeblich auf der Idee der Selbstverwaltung und damit auf dem Kollegialitätsprinzip (vgl. auch Cohen/March/Olsen 1972); die Verbeamtung von ProfessorInnen schränkt die Entscheidungsmacht der Organisation über die Sanktionierung von Mitgliedern ein und ein Ausschluss ist nur unter erschwerten Bedingungen möglich; hin- sichtlich der Aufnahme von neuen Mitgliedern – beispielsweise wissenschaftlichen MitarbeiterInnen – sind maßgeblich die Lehrstuhlinhaber mit Personalmacht ausgestattet5 (vgl.

Hüther/Krücken 2012; Weick 1976). In systemtheoretischer Perspektive lässt sich die Beson- derheit der Organisation Hochschule auch darüber fassen, dass sie zwischen Erziehungs- und Wissenschaftssystem verortet ist (vgl. Stichweh 1994, S. 175ff. und 2010, S. 17f.) und dement- sprechend über keine dominante Systemzuordnung verfügt (vgl. auch Huber 2012, S. 240;

Hechler/Pasternack 2012, S. 15). Gerade die Idee der Verknüpfung von Forschung und Lehre in Universitäten (Ricken/Koller/Keiner 2014) „wirft für die Organisation Steuerungsprobleme auf, da die Herstellung des Neuen durch organisatorische Routinen […] nicht abgesichert wer- den kann“ (Huber 2012, S. 242). Insofern die Hochschule für das Wissenschaftssystem „nur [als] eine Organisation unter vielen Organisationen“ (Stichweh 2010, S. 22) gilt und Wissen- schaftlerInnen als disziplinäre VertreterInnen „viel potentere Akteure sind, als es die dem Anschein nach um so vieles größere Organisation ist“ (ebd.) kann auch davon ausgegangen werden, dass die Zuständigkeit der Organisation für das Wissenschaftssystem nur vermittelt und asymmetrisch möglich ist (vgl. Hechler/Pasternack 2012). Bezogen auf das Erziehungssys- tem kann die Organisation jedoch wirksamer werden, ist sie doch direkt für die Bereitstellung von Studiengängen und deren personelle und infrastrukturelle Ausstattung verantwortlich. Dass dies jedoch für die inhaltlich-curriculare Ausgestaltung, als „funktionale[m] Kern der Univer- sität“ (Huber 2012, S. 249), ebenfalls nur bedingt gilt, liegt im Anspruch der Einheit von

5 Auch im Fall der Neuberufung von professoralen KollegInnen sind die LehrstuhlinhaberInnen einer jeweili- gen Hochschule maßgeblich in Form von Berufungskommissionen beteiligt, auch wenn sich die Frage der Personalmacht hier etwas komplizierter zeigt. Denn Berufungskommissionen haben hier formal erst einmal Vorschlagsrecht, das durch die Gremien der Hochschule legitimiert aber auch verändert werden kann – die Einstellungsentscheidung obliegt dann jedoch letztlich je nach Bundesland den Hochschulleitungen bzw. Mi- nisterien. Deutlich wird hier jedoch auch: von einer umfassenden, hierarchischen Personalmacht der Hochschule als Organisation kann nicht ungebrochen ausgegangen werden.

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Forschung und Lehre begründet, der inhaltlich-fachliche Aspekte vornehmlich der Domäne des Wissenschaftssystems zurechnet (vgl. Huber 2012). In diesem Sinne spricht auch Christine Musselin (2007) von Universitäten als „Specific Organisations“:

„In universities, formal rules and structures weakly support hierarchical power. […] Formal rules and structures may impose constraints, increase the bureaucratic burden, slow down the production process, etc. but they have little effect on content and even less on cooper- ation. To put it crudely: being part of the same unit, being managed by the same rules and having the same status does not increase the level of cooperation among the members of the unit.“ (ebd., S. 75)

Diese Perspektive auf die Organisation Hochschule, in der ihre Besonderheit genau darin gese- hen wird, dass der Einfluss der Hochschulen auf die Inhalte und die Art der kollegialen Kooperation begrenzt sind, weil sich WissenschaftlerInnen eher mit ihrer Disziplin als mit der Organisation identifizieren würden, teilen auch jene AutorInnen, die Hochschulen als Exper- tInnenorganisation (vgl. z.B. Pellert 1999; vgl. auch Hechler/Pasternack 2012, S. 37) fassen.

Verständlich wird dies zunächst auch darüber, dass fachliche Anerkennung und wissenschaft- liche Reputation sehr viel stärker über die Akteure des wissenschaftlichen Feldes verliehen werden als über die hochschulinterne Prestigehierarchie bzw. die Stellung in der Hochschule als Organisation (vgl. Kap. 1.3, 1.4). Dabei wird jedoch die Annahme vorausgesetzt, dass etwa auch für die Studiengangsgestaltung disziplinäre Kulturen orientierungswirksamer seien als lo- kale Fachkulturen (vgl. z.B. schon Huber 1991; Langewand/Prondczynsky 1999; Rothland 2008) oder hochschulbezogene Vorgaben und Zielvorstellungen.

Hinzu kommt, dass sich parallel und teilweise verzahnt mit der Bologna-Reform weitere Veränderungen der Hochschule als Organisation ausmachen lassen, von denen wohl die Ein- führung des New-Public-Managements als neue Verwaltungsstrategie die bedeutendste ist (vgl.

z.B. Schimank/Volkmann 2017, S. 75ff.; Münch 2009, S. 74ff.; Lohr/Hilbrich/Peetz 2015, S.

126). Ihre Bedeutsamkeit liegt insbesondere darin, dass sich die Hochschule im Zuge dessen zunehmend zum „korporativen Akteur“ (Meier 2009, S. 222) mit „verantwortlicher Handlungs- trägerschaft“ (ebd., S. 242), zur „unternehmerischen Universität“ (Huber 2012, S. 247; Münch 2011, S. 68ff.) oder – anders pointiert – zu „einer normalen Organisation“ (Heinze/Krücken 2012, S. 8) entwickelt. Hochschulen werden in diesem Zusammenhang in ihrer Autonomie ge- genüber dem Staat gestärkt (z.B. auch in einigen Bundesländern bezogen auf die Personalmacht bei Berufungsverfahren) und zugleich einem stärkeren Wettbewerb und damit auch einer je- weiligen Profilbildung ausgesetzt (vgl. ebd.; auch Teichler 2016, S. 516ff.; Hüther 2012).

Einher geht dies einerseits mit veränderten Beziehungen der Hochschulen nach außen, indem zum Beispiel die pauschale Finanzierung der Hochschulen durch die Länder durch einen ziel- vereinbarungsbezogenen Modus ersetzt, die Grundfinanzierung reduziert und durch andere Anreizsysteme ergänzt wurden (z.B. an die Exzellenzinitiative des Bundes, Gemeinsame Wis- senschaftskonferenz 2016 oder den ‚Qualitätspakt Lehre‘, BMBF 2010; vgl. auch Teichler 2016, S. 517; Hüther 2012). Die hier nur ansatzweise markierbaren Veränderungen deuten an,

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