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n offenen Fragen mangelt es der Branche nicht. Da- zu gehören beispielsweise:Wie schnell wird sich der Bild- schirm als Lesemedium durch- setzen? Welche Veränderun- gen kommen in den nächsten Jahren auf die Bibliotheken zu? Wie wird sich die Rolle von Verlagen, Autoren und Buchhändlern wandeln? Wie werden Verlage und Autoren in einem elektronischen Um- feld künftig entlohnt? Im Mit- telpunkt der Konferenz stan- den dabei weniger definitive Antworten und Lösungen als eine Analyse der Probleme sowie ein Ausblick auf die Formen und Funktionen der Lektüre von morgen.
Problemfeld E-Books
Für das Lesen am Bildschirm beispielsweise stehen inzwi- schen verschiedene Lesegerä- te zur Verfügung: PDA (Per- sonal Digital Assistant), PC, E-Book oder Handy. Doch wird sich das Lesen am Bild- schirm so lange nicht durch- setzen, wie die Lesegeräte nicht handlicher und preis- werter werden. Verbreitet ist die Ansicht, dass der Bild- schirm Papiercharakter er- halten muss, damit er akzep- tiert wird: Er soll leicht, kon- trastreich, flexibel und von je- dem Blickwinkel aus zugäng- lich sein. Erste Entwicklun- gen eines elektronischen Pa- piers auf der Basis millimeter- dünner Kunststofffolie gibt es bereits. Gegenwärtig fehlen darüber hinaus geeignete In- frastrukturen für den Ver- trieb von E-Books. Hier kön- nen öffentliche Bibliotheken eine neue Aufgabe als Aus- leihstelle für elektronische Le- segeräte übernehmen, wie er- folgreiche Projekte in Schwe- den und Finnland gezeigt ha- ben. Ein weiteres Hemmnis besteht im Mangel an Con- tent, weil die Verleger Angst vor Raubkopien haben und befürchten, die Kontrolle über ihre Inhalte zu verlieren. Als Negativbeispiel gilt zudem die Musikbranche: Internet- Tauschbörsen von Musikstük- ken (Napster, Gnutella und an- dere) haben diese das Fürch-
ten gelehrt. Dennoch gibt es auch in der Verlagsbranche inzwischen den Ansatz, das Buch nicht länger als „stati- sches Produkt“ zu betrach- ten, sondern als multimedia- len, dynamischen „Service“,
für den die traditionellen Ver- triebs- und Abrechnungsmo- delle allerdings ungeeignet sind.
Das betrifft vor allem Pu- blikationen in elektronischer Form und weniger den elek- tronischen Handel mit „phy- sischen Produkten“, der nach wie vor das Logistik-Problem zu bewältigen hat. Der Ver- trieb digitaler Formate er- möglicht dagegen einen kapi- telweisen und zeitbezogenen Verkauf sowie die sofortige Lieferung (ohne Zwischen- händler) aus der Sicht des Anbieters – und den direkten Konsum auf der Seite des Käufers. Dies bedeutet, dass nicht lediglich ein physisches Produkt durch ein elektroni- sches ausgetauscht wird, son- dern dass ein neues Produkt entsteht. Experten erwarten,
dass vor allem die Fachlitera- tur und das Segment E-Lear- ning für die Distribution von E-Content eine Vorreiterrol- le spielen werden, bevor auch im fiktionalen Bereich eine entsprechende Entwicklung einsetzen wird.
Ähnlich wie in der Musikindu- strie sind künftig intelligente Such- maschinen denk- bar, die eine Recherche nach Genre, Titel und anderen Kriteri- en ermöglichen.
Ein Bereich, der für elektro- nische Innovatio- nen besonders ge- eignet erscheint, ist beispielsweise die Reiselitera- tur. Künftig wird es möglich sein, sich den Landesführer aktu- ell und maßgeschneidert auf die eigenen Bedürfnisse per Mausklick zusammenzustel- len. Das Ergebnis kann bei- spielsweise als „Book on De- mand“ bestellt, auf dem ei- genen Drucker ausgedruckt oder per E-Book auf die Rei- se mitgenommen werden.
Digitaler Druck „on Demand“
Eine andere Vision, die zur- zeit erste Umsetzungen er- fährt, sind weltweit verteil- te „Point-of-Sale“-Verkaufs- stellen für – bei Bedarf indi- viduell zusammengestellte – elektronische Zeitungen, Zeit- schriften und andere Publi- kationen. Diese werden via Internet übermittelt und kön- nen über dezentrale Produk- tionsstätten, etwa Automaten
in Kiosken, Bahnhöfen, Flug- häfen und Hotels, abgerufen und ausgedruckt werden.
So erstellt zum Beispiel die Süddeutsche Zeitung seit drei Jahren eine „Global Edition“
für die Länder außerhalb Eu- ropas, die sich die Leser im PDF-Format über das Inter- net herunterladen und rund um die Uhr auf dem Drucker ausdrucken können. Auch die Tageszeitung „Die Welt“
soll künftig als elektronische Ausgabe an 2 000 Standorten weltweit „on Demand“ ab- rufbar sein. Dieses Distribu- tionsverfahren spart Fracht- und Vertriebskosten, ist auch bei kleinen Mengen rentabel, aktueller und gegebenenfalls schneller beim Leser als auf herkömmlichen Vertriebs- wegen.
Zugang schaffen
Wie lässt sich der freie Zu- gang zu elektronischen In- halten und Wissensfortschritt weltweit – auch für wirt- schaftlich nicht entwickelte Länder – gewährleisten? Hier könnten Büchereien künftig eine wichtige Rolle als or- ganisierte Zugangsvermittler auch zu digitalen Inhalten übernehmen, da sie offen für jeden sind und frei oder zu- mindest kostengünstig zur Verfügung stehen. Allein in Europa gibt es mehr als 200 000 öffentliche Bibliothe- ken, die als „information gas station“, wie ein finnisches Projekt heißt, fungieren kön- nen. Das „Electronic Infor- mation for Libraries Direct“- Programm (www.eifl.net) bei- spielsweise verschafft rund 3 000 Büchereien weltweit ei- nen freien oder kostengünsti- gen Zugang zu Zeitschriften, vorwiegend aus den Sozial- und Humanwissenschaften.
Ziel der Initiative ist es, die Wirtschaftskraft vieler Biblio- theken, etwa beim Erwerb von Lizenzen, zu bündeln und eine Infrastruktur für die Ver- mittlung digitaler Inhalte auf- zubauen, damit auch ärmere Länder am Informationsfort- schritt in Wissenschaft und Forschung partizipieren kön- nen. Heike E. Krüger-Brand M E D I E N
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A2842 Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 98½½½½Heft 44½½½½2. November 2001
Neue Medien
Vom statischen Buch zum dynamischen Service
Auf der „Frankfurter Big Questions Conference“ anlässlich der Buchmesse diskutierten Experten darüber, wie sich die internationale Verlagswelt durch die elektronischen Medien in den nächsten Jahren verändern wird.
Die Zeitung auf elektronischem Papier Foto: IBM