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Verwesende Kadaver und fliegende Walfische. Denkfiguren der literarischen Großstadtutopie in Frankreich

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Verwesende Kadaver und fliegende Walfische Denkfiguren der literarischen Großstadtutopie in Frankreich

Christian Freigang

Das 19. Jahrhundert, Epoche des Eisens und des technischen Optimismus, der Entdeckungsfahrten wie der Geschichtswissenschaften, hat auch das literarische Genre der Science-Fiction entwickelt: eine konsequente Weiterentwicklung der Utopie, bei der aus dem Topos der moralischen und sozialen Perfektibilität der­

jenige des technischen Fortschritts geworden bzw. an deren Seite getreten ist. Im Zusammenhang unseres Themas geht es insbesondere um den naturwissenschaft­

lich­technisch fundierten utopischen Roman, wie er modellhaft vor allem durch die breit rezipierten Werke von Jules Verne und Herbert George Wells begründet wurde. Eben in dieser Vorstellung einer grundsätzlich technologisch fundierten Weltbeherrschung liegt das tertium comparationis zu den Großstadtkonzeptionen der architektonischen Moderne.

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Neben einer in die Zukunft gerichteten Analyse technischer Möglichkeiten schildett das fiktionale Genre vor dem Hintergrund der jeweiligen Erzählung immer auch das Funktionieren menschlicher Gemeinschaften:

Die vielschichtige, detaillierte und instruierte Fiktionalisierung ist in ihrer Auf­

lösungsschärfe selbst das Produkt von positivistischer exakter Naturwissenschaft und enthusiastischer Geschichtsrekonstruktion, also den zwei Grundparadigmen des 19. Jahrhunderts. Wenn der optimistische Historiker des 19. Jahrhunderts gleich­

sam in die Vergangenheit fährt, um zu rekonstruieren, »wie es eigentlich gewesen ist« (Ranke), und der Autor des historischen Romans in diese Folie eine Narration einschreibt,

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so blickt der Science­Fiction­Autor weit in die Zukunft, um detailliert zu schildern, wie es einmal sein könnte. Die beiden Analyseinstrumente von natur­

wissenschaftlicher Prospektion und detaillierter Geschichtsanalyse werden dabei mithilfe verschiedenster Muster derart umgesetzt, dass der Leser in eine lebens­

volle virtuelle Welt involviert wird, diese also nicht nur als Außenstehender zu be­

werten hat. Dieser Zusammenhang findet sich darin bestätigt, dass der Film als das Medium mit dem scheinbar intensivsten Illusionspotential sich seit seinen Anfangen neben historischen Themen gerade auch der Science­Fiction verschrieben hat.

Es ist überraschend, dass dieses Thema bislang wenig im Rahmen der Architektur­

geschichte behandelt worden ist.

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Denn immerhin lassen sich die genannten Grund­

paradigmen Technik und Geschichte gerade auch für das Bauwesen anwenden: Die naturwissenschaftliche Analyse und ihre Umsetzung in ein nachhaltiges, zukunfts­

orientiertes Bauen gehören zum Ethos eines jeden Bauingenieurs, und die historisch detaillierte Rekonstruktion war das Ziel der archäologisch arbeitenden Architekten

Originalveröffentlichung in: Cohen, Jean-Louis ; Frank, Hartmut (Hrsgg.): Metropolen 1850-1950 : Mythen - Bilder -

Entwürfe, Berlin und München 2013, S. 89-108 (Passagen = Passages ; 36)

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C H R I S T I A N F R E I G A N G

des 19. Jahrhundert. Doch anders als in der Science-Fiction sind diese Anspr üche an technisches Wissen und detaillierter Geschichtsrekonstruktion nur selten in Zu­

kunftsvision umgesetzt worden, die beanspruchen, eine Lebenswirklichkeit in ihrer Totalität zu imaginieren. Wenn innerhalb der Architektur darüber hinausgegangen wurde, so häufig nur, um formale oder technische Utopien zu erläutern. Andererseits enthalten Großstadtreformen und ­Visionen implizit auch immer Aspekte von prognostizierter Lebenswirklichkeit und ihrer räumlich­technischen Beherrschung.

Und überdies konnte die Großstadt des späten 19. Jahrhunderts als eine immense, komplex und im weitesten Sinne technologisch zu bedienende Maschine gelten, deren Reformierungper se in den Bereich der Science­Fiction gezählt werden könnte.

Ansätze dafür sind etwa bei Viollet­le­Duc zu finden, der seine Forschungen zur mittelalterlichen Bautechnik sowie zur politischen und sozialen Geschichte auch in die Z u k u n f t projizierte: Seine kühnen Eisenkonstruktionen sind ja zumindest unterschwellig auch immer als Bauleistungen eines idealen demokratischen und republikanischen Frankreichs verstanden worden.

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In anderer Weise gilt dies für eine Reihe utopischer Stadtprojekte, wie zum Beispiel den berühmten Entwurf eines Internationalen Weltzentrums, den der Bildhauer Hendrik Christian Andersen und der Architekt Ernest Hebrard 1913 vorlegten.

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Das Projekt, in der eine nationenüber­

greifende Elite zum Wohle des Weltfriedens wirken sollte, sah eine Reihe technisch anspruchsvoller Monumente mit Signalcharakter vor, so z.B. Kolossalstatuen am Hafeneingang und einen 300 m hohen Kommunikationsturm als Zentrum der Stadt. Obwohl einige Überlegungen der Autoren der funktionalen Stadteinteilung und dem Verkehrssystem gelten, geht es hauptsächlich darum, die architektonischen Monumente für die neue Weltgesellschaft zu entwerfen und sie städtebaulich auf­

einander zu beziehen. Dementsprechend handelt es sich nicht um eine technologisch begründete Reform der Stadt, sondern um die ikonographisch­stadträumliche Komposition einer politischen Utopie.

Abseits von technologischen Erwägungen funktionieren auch die utopischen Stadtentwürfe Bruno Tauts von 1919, also die anarchistische Utopie der Stadt­

krone sowie die pantheistisch­demiurgischen Visionen der Alpinen Architektur und der Auflösung der Städte. Beide Entwürfe gründen auf literarischen Vorlagen vor allem in Form der phantastischen Romane Paul Scheerbarts.

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Aber der Anspruch Tauts, Architektur im Kosmos aufgehen zu lassen, hat als poetische Metapher eines künstlerisch beseelten Kosmos zu gelten, sicher nicht als technologisch fundierte Imagination einer zukünftigen Großstadt. Auch später sind die Verbindungen zwischen Science­Fiction und Großstadtplanungen im »Neuen Bauen« in Deutsch­

land offenbar kaum präsent. Bezeichnenderweise nimmt zwar der Science­Fiction­

Großstadtfilm schlechthin, Fritz Längs Anfang 1927 uraufgeführtes Filmmelodram

Metropolis, zahllose Motive der Amerika­ und der Hochhaustopik sowie der Science-

Fiction­Literatur auf. Aber in seiner vor allem biblisch grundierten Phantastik hat es

keine erkennbaren Auswirkungen auf die Großstadtplanungen in Deutschland gc­

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V E R W E S E N D E K A D A V E R U N D F L I E G E N D E W A L F I S C H E

habt.

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Sicherlich war die Hochhauskonzeption des Ktilissenentwerfers Erich Kettel­

hut auch von der zeitgenössischen Diskussion um das Turmhaus genährt, doch zielte die Szenerie des Films nicht eigentlich auf eine kohärente Großstadtfiktion. Schon die zeitgenössische Kritik bemängelte die offensichtlichen Bildbrüche zwischen religiös konnotierten Symbolen wie gotischen Gebäuden und Höllendarstellungen einerseits und den Bildermustern der Moderne andererseits ­ die im Fall des Hoch­

hauses wiederum überdeutlich mit mythischen Referenzen auf den Turmbau zu Babel verbunden sind. Einen Beitrag zum Thema der Großstadt oder der modernen Gesellschaft lieferte Metropolis gerade nicht.

Im Gegenteil durchzieht den in diesem Zusammenhang wichtigsten Entwurf einer modernen Großstadt, Ludwig Hilberseimers Grozsstadtarchitektur von 1927, eine diametral entgegengesetzte Argumentationsstruktur. Diese gründet eben gerade nicht auf einer mythischen Semantisierung der Großstadt und auch nicht auf dem utopischen Sozialismus, der für Bruno Taut wichtig war. Hilberseimer stützt sich auf eine dezidiert rationale, ökonomisch begründete Kapitalismuskritik und analysiert entsprechend eine Vielzahl moderner Lösungsvorschläge zum Problem der Großstadt.

Vor allem die Einbeziehung von Verkehrskapazitäten lässt ihn zum Entwurf einer übereinander gestaffelten Verwaltungs­ und Wohnstadt gelangen, in der Arbeiten und Wohnen jeweils in einem Superblock konzentriert und somit der Berufsverkehr minimiert werden kann. Das ist keineswegs auf sozialromantischen Utopismus ­ etwa der Vermeidung von Entfremdung ­ bezogen, sondern bleibt eine nüchterne Kategorie der Berechnung von Verkehrsmitteln und Mobilität. Generell enthält sich Hilberseimer jeder fiktional­literarisch ausmalenden Attitüde ­ wohl, weil er um gleichsam wissenschaftliche Objektivität bemüht ist. Damit führt er eine Tradition des Großstadtdiskurses in Deutschland weiter. Dieser hatte insbesondere mit der aus­

führlichen, auf infrastrukturelle und ökonomische Aspekte ausgerichteten Bericht­

erstattung vor allem Werner Hegemanns und Richard Neutras zum amerikanischen Städtebau einen hohen, unparteiisch um Objektivität bemühten Standard erreicht.

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Ähnlich gilt das auch für andere Vertreter des modernen, großstädtischen Wohnungs­

baues in Deutschland, etwa Otto Haesler oder Walter Gropius, die zwar reichlich mit technischen Berechnungen und soziologischen Untersuchungen operieren, aber in auffälliger Weise Anleihen bei fiktionalen Genres meiden. Die selbst auferlegte Ver­

pflichtung auf eine angenommene »Sachlichkeit« hat den Bezug auf die fiktionale Literatur offenbar von vorne herein als unlauter diskreditiert.

In der französischen Debatte stellt sich die Situation etwas anders dar, denn unter­

schwellig spielen immer wieder Elemente der Science­Fiction in die Visionierungen zukünftiger Großstädte hinein. Dies lässt sich etwa an der imaginären Studie ver­

anschaulichen, die Louis Bonnier um 1910 für das Pariser Boulevardsystem entwarf, und die wohl im mittelbaren Zusammenhang mit den eingehenden und konkreten Planungen Bonniers zur Erweiterung von Paris steht (Abb. I).

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Auch wenn der Vogel­

schaublick in diesem Zusammenhang als isolierte Studie ohne weiteren Kontext zu

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92 CHRISTIAN FREIGANG

TSm»

i

rrr*

1 Louis Bonnier, Studie zur Umgestaltung einer modernen Großstadt (Paris), ca. 1910, Zeichnung auf Papier, Paris, Institut francais d'architecture, Fonds Bonnier

gelten hat, sind in i h m aktuelle R e f o r m v o r s t e l l u n g e n u m g e s e t z t : D e r S t r a ß e n r a u m w i r d in verschiedene horizontale Niveaus zerlegt. In s c h l u c h t a r t i g e n S t r a ß e n ver­

k e h r e n die schnellen A u t o m o b i l e , w ä h r e n d auf d e n a u s g e d e h n t e n Niveaus d a r ü b e r zahlreiche M e n s c h e n flanieren, e i n k a u f e n , T e n n i s spielen usw. D a r ü b e r erheben sich die M e h r e t a g e n w o h n h ä u s e r , welche sich n a c h h i n t e n z u r ü c k s t a f f e l n , s o m i t ä h n l i c h wie bei H e n r i Sauvages W o h n h ä u s e r n in der R u e Vavin von 1912 Terrassen voller Licht u n d frischer L u f t e n t s t e h e n lassen. Die S t a f f e l u n g in der H ö h e b e d e u t e t also nicht n u r eine f u n k t i o n a l e T r e n n u n g der V e r k e h r s g e s c h w i n d i g k e i t , s o n d e r n be­

i n h a l t e t eine a n s c h a u l i c h e Polarität zwischen Schnelligkeit u n t e n u n d Stillstand o b e n , zwischen G e s c h ä f t i g k e i t in d e n tiefen S c h i c h t e n u n d R u h e in d e n h o c h ge­

legenen Terrassen, zwischen D u n k e l h e i t u n d Hässlichkeit u n t e n bzw. Licht u n d Er­

g ö t z u n g o b e n . In d e r T a t k o m m t d e m Blick ü b e r d i e Stadt eine zentrale Erlebnis­

q u a l i t ä t zu, wie das g r o ß e Belvedere erweist, das sich ü b e r d a s H ä u s e r m e e r erhebt.

H i e r wird eine literarische D e n k f i g u r u m g e s e t z t , die schon e t w a bei Victor H u g o s

N o t r e ­ D a m e ­ R o m a n zu finden ist: D e r Blick von den K a t h e d r a l t ü r m e n h i n a b auf

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V E R W E S E N D E K A D A V E R U N D F L I E G E N D E W A L F I S C H E

die Stadt ist in einem eigenen Kapitel gefasst - »Paris ä vol d'oiseau«. Detailliert kommentiert der Autor die im Aufstieg auf die Türme sich in seinem Bewusstsein ereignende, atemberaubende Transformation der konkreten Baulichkeiten der Stadt zu abstrakten, glitzernden, rauchenden, verschwindenden Formgebilden, Orna­

menten, Türmen, Dächern. Die räumliche Entfernung vom Erdboden entspricht einer historisch distanzierenden Objektivierung: Ist die pittoreske Silhouette der Stadt im Mittelalter positiv hervorgehoben, verdammt der Erzähler die jüngeren, planlosen Veränderungen der Stadtstruktur, zeigt sich indessen für eine Zukunft optimistisch, in der sich die Stadt als regelhartes Schachbrettmuster zusammenfügen werde.

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Auch in Theophile Gautiers Gedicht Notre-Dame verwandelt sich das banale Leben, das auf dem Erdboden herrscht, im Aufstieg auf die Türme der Kathedrale und mit dem Blick von oben zu einem Spektakel von Farben und Sinnesreizen. Im Blick von oben erweist sich die Riesenstadt als erhaben und schön, von gottähn­

lichen Menschen erschaffen. Die poetologische Qualität des Perspektivwechsels ist dabei nicht zu verkennen: Denn die erhabene Poesie, die aus den Eindrücken im weiten Blick von oben entsteht, verändert sich beim Hinabsteigen wieder in den Moloch, wird banal und alltäglich, einfache Prosa."

So evoziert Bonniers Stadtvision zum einen literarische Topoi und enthält zum anderen aber auch Bezüge zur Science­Fiction: Denn detailgenau ist das Leben in der aufwendig technisch umgebauten Stadt geschildert. Aber mehr noch: Die Staffelung des Boulevardsystems geht zurück auf eine utopische Darstellung der Stadt, die der Arzt Tony Moilin 1869 in seinem Traktat Paris en Van 2000 verfasst hatte.

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Der Autor, 1871 als Communard hingerichtet, war ein engagierter Sozialist mit Kontakten zu Karl Marx. Das urbanistische Endstadium einer klassenlosen Ge­

sellschaft besteht in einer weitgehend verstaatlichten Stadt, die nunmehr als Objekt und Instrument des kollektiven Vergnügens dient. Moilins Häuser im Jahre 2000 stellen nicht allein Neubauten dar, sondern bestehen im wesentlichen aus den zeit­

genössischen Architekturen, also den Mehretagenbauten in Blockrandbebauung.

Allerdings sind sie auf dem ersten Geschoß durch große Passerellen miteinander ver­

bunden, die ein weitläufiges Galeriensystem tragen, das durch die Häuser hindurch führt. Hier, weit oben über dem Straßenniveau, ist das Flanieren einer klassenlosen Gesellschaft möglich, die nur noch wenige Stunden am Tag zu arbeiten hat, sich am Nachmittag dem Schauen und Konsumieren, am Abend dem Tanz und Ver­

gnügen sowie dem Reiz ihrer jungen weiblichen Mitglieder hingibt. Dies findet in den lichten, aber wettergeschützten Passagen auf dem höhergelegenen Niveau statt.

Die glitzernden Geschäfte mit ihren täglich wechselnden Auslagen bieten sich einem zwanglos­alltäglichen Kunstgenuss für alle dar. Unten, auf dem ehemaligen Straßen­

niveau, findet das bloß Nützliche statt: Anlieferungen, Werkstätten, Kanalisation usw. Die Ile de la Cite und die Ile de Saint Louis sind überbaut mit einem riesigen Palais international. In dessen Inneren tagt die sozialistische Regierung. Von zahl­

reichen Galerien hat man einen erhabenen Blick auf die Stadt und vor allem auf ein

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CHRISTIAN FREIGANG

radiales Eisenbahnnetz, dessen Schienen, auf grandiosen Arkaden verlaufend, sich in der Unendlichkeit verlieren.

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Man kann Moilins Schrift in einigen Einzelheiten fast wie die Vorlage zu Bonniers Illustration lesen. Besondere Relevanz erhält dieser Umstand dadurch, dass Moilin die Basis noch für eine andere, in der Zeit um 1900 weithin beachtete Schrift abgab.

Der symbolistische und sozialistische Schriftsteller Gustave Kahn veröffentlichte 1901 das Traktat Esthetique de la rue.

u

Die sich darin äußernde Kritik an den zu rigiden Pariser Fassadenreglementierungen argumentiert mit einem deutlich erotisch konnotierten Hedonismus: Nicht nur im Inneren der Häuser gelte es, für Eicht und Hygiene sowie eine geschmackvolle Einrichtung zu sorgen, sondern auch die Straße solle zu einem farbenprächtigen, vielgestaltigen Salon für alle umgewandelt werden, in dem die Plakate mit Darstellungen eleganter Tänzerinnen die Wanddekorationen für das Volk abgeben sollen. Gleichsam als Zukunftsvision führt Kahn das von Moilin beschriebene Paris auf.

Moilin, Kahn und Bonnier visionieren eine neue Großstadtpolitik, die einem utili­

taristischen, sensualistischen Verschönerungsideal verpflichtet ist. All diesen Utopien gemeinsam ist die Dichotomie zwischen dem Irdisch­Chaotischen der finsteren Erd­

regionen der Großstadt und der gleichsam himmlisch­entfernten Abstraktion in den Zonen darüber, in der sich irdische Mühsal in kontemplatives oder konsumierendes Vergnügen verwandelt. Auch andere gleichzeitige Formulierungen einer neuen großstädtischen Stadtstruktur nehmen derartige Motive auf: Auguste Perret wird seine kühnen Hochhausentwürfe seit 1905 deswegen rühmen, weil sie ­ entfernt von Rauch, Gestank und Eärm am Boden ­ den erhaben Blick in die Ferne er­

möglichen.

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Und noch in den majestätischen Hochhäusern, die Perret 1922 für die Ausfallstraßen von Paris projektiert, sind die Bauten durch Fußgängerpassagen in schwindelnder Höhe verbunden: Der Raum kollektiven Flanierens ist konsequent gereinigt, nicht nur in konkret hygienischer Hinsicht, sondern auch vom banalen Alltäglichen.

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Eine weitere Denkfigur, die in der literarischen Utopie vorbereitet war und in der städtebaulichen Bewältigung der Großstadt in Frankreich Eingang fand, stellen An­

leihen aus der Bibel dar. Davon ist insbesondere die von Zola in seinem 1901 ver­

öffentlichten Roman Travail beschriebene Vision einer neuen Stadt, Beauclair, ge­

prägt:

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Durch den Erfolg eines sozialistisch geführten Unternehmens entsteht ein blühendes Gemeinwesen, das den verfallenden Fabrikmoloch Abimc ersetzt und er­

laubt, für jede Familie ein Haus mit Terrasse und Garten zu errichten. Die weißen

und gesunden Häuser werden ergänzt durch zahlreiche Gemeinschaftseinrichtungen

für Erziehung und Kultur. Eine Kirche zu errichten, lehnen die Einwohner von

Beauclair jedoch ab. Zolas Roman ist Teil der nicht vollendeten Tetralogie Les Quatre

Evangiles, die ein breites Panorama einer sozialistischen Utopie entwirft, in dem

biblische Motive und christliche Tugenden zu den Grundsätzen und Idealen einer

konsequent laizistischen Gesellschah umgeformt werden. Die nach den Evangelisten

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benannten Helden der Romane verwirklichen die Werte, die die Grundpfeiler der neuen Gemeinschaft darstellen und programmatisch auch die Titel der Romane ab­

geben: Fruchtbarkeit, Gerechtigkeit, Wahrheit und Arbeit. Damit wird ein Reform­

konzept wirksam, das eine enthierarchisierte und antiklerikale Gesellschaft vorsieht, die sich unmittelbar in urbanistischen und architektonischen Neustrukturierungen ausdrückt. Erst die antiklerikale Gesellschaft führt zur heilsgeschichtlichen Er­

lösung von Mühsal und Zwist: Am Ende des Romans wird sich die Bevölkerung der neuen Stadt der Verehrung ihres Gründers Luc Froment ­ als Fondateur, Createur, Pere bezeichnet ­ hingeben, und zwar innerhalb eines Festes, bei dem Tausende von elektrischen Lampen einen festlich­feierlichen Glanz spenden. Z u m Abschluss zieht sich einer der Protagonisten auf die Anhöhen von Beauclair zurück, von wo er der Stadt in ihrem elektrischen Glanz ansichtig wird, die mit dem Himmel zu verschmelzen scheint ­ eine geradezu penetrant deutliche Neufassung der Vision des Himmlischen Jerusalems als Erfüllung der christlichen Heilsgeschichte. Die auf städtische Agglomerationen bezogene Polarität von Paradies­ und Höllenmetapher nimmt in mancher Hinsicht Elemente des Städtekrieges auf, den Jules Verne 1879 in Les cinq Cents millions de la Begum entworfen hatte.

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Hier verteidigt sich die Modell­

stadt France­Ville mit einer perfekt funktionierenden kommunalen Infrastruktur gegen die Bedrohung durch die deutsche Großartillerie. 100 000 Einwohner zählt die in den USA in bester Lage angesiedelte Stadt, in der bis zum Exzess die Hygiene regiert und alle Gesundheitseinrichtungen sowie eine riesige Kathedrale vorhanden sind. Die gesunden Häuser verfügen allesamt über Garten und Dachterrassen.

Diese paradiesartige Modellsiedlung wird von Stahlstadt bedroht, einer von dem Minenbesitzer Prof. Schultze angelegte festungsartige Manifestation des Bösen, die militärisch regelmäßig aufgebaut ist und in der Dunkelheit und Schmutz, Despotis­

mus und Unterdrückung herrschen.

Bekanntlich hat der Roman von Zola eine berühmte architektonische Um­

setzung erhalten, nämlich in Form der 1904 konzipierten und 1917 detailliert neu überarbeiteten Che industrielle von Tony Garnier.

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Programmtisch ist hier auf eine Kirche verzichtet, dafür schmücken das zentrale Gebäude Sentenzen aus Zolas Roman. Garnier erzählt den Roman des berühmten Dreyfusards gleichsam weiter: Was bei Zola in architektonisch­städtebaulicher Hinsicht nur angedeutet ist, wird in der Che industrielle konkretisiert und aktualisiert. Grundrisse, Vogel­

perspektiven und Detailansichten vermitteln ein durchaus lebendiges Bild einer gesunden Arbeiterstadt von ca. 3 0 0 0 0 Einwohnern. Garnier denkt durchaus in modernen städtebaulichen Kriterien, wenn er seine Stadt nach funktionalen Kriterien organisiert und dabei Transport, Verkehr, Erholung und Wohnkomfort in seine Planung einfließen lässt. Insgesamt reduziert er seine Kommune aber auf eine Kleinstadt, wie sie in ähnlicher Größe auch für Ebenezer Howards Garten­

städte vorgesehen war. Die emphatische Vision Zolas einer Neustadt aus dem Geist

einer Religion der Arbeit ist bei Garnier zur Vorschau auf die Bequemlichkeiten

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CHRISTIAN FREIGANG

einer sozialistisch geprägten Industriestadt geworden, in der neue Techniken in all­

gemeiner Nützlichkeit umgesetzt sind. Garnier vermeidet damit sowohl, drängende Probleme der Großstadt zu thematisieren, als auch für seine Stadtvorstellung eine transzendente Erlebnisqualität zu formulieren. Dies wird in den zwanziger Jahren der Anspruch der Großstadtvisionen Le Corbusiers werden.

Diesem gehen (zeitlich) drei weitere vielgelesene Science­Fiction­Romane voraus, die mit dem Motiv des Paradieses bzw. der Apokalypse arbeiten. Hier ist zunächst an H. G. Wells' Time Machine von 1895 zu erinnern.

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In diesem Roman begibt sich ein Zeitreisender zunächst in das Jahr 802270, wo ihm eine paradieshafte Natur begegnet: Vereinzelte wunderbare Häuser erheben sich innerhalb einer an­

genehmen Landschaft mit schmackhaften Früchten und sind bewohnt von kindlich naiven Wesen. Kaum kann man bei ihnen geschlechtliche Unterschiede erkennen;

in ihrer Unschuld verbringen sie die Zeit mit Tändeleien. Aggression und Leiden­

schaft, welche in früheren Zeiten konfliktuell und emotionell ausgetragen worden waren, fehlen und haben in dem hier geschilderten Endstadium des Sozialismus notwendigerweise zu physischen und psychischen Rückbildungen geführt. Auch die Kunst gibt es nicht mehr, da ihr ohne die menschlichen Leidenschaften das Naturvorbild als wichtigster Grundstoff künstlerischer Repräsentation fehlt. Dieses Paradies hat aber auch seine schreckliche Kehrseite, denn unter der Erde wohnen bleiche, spinnenartige und aggressiv­furchterregende Mutationen von Angehörigen ehemaliger Proletarierschichten. Die anfänglich so ungetrübte Schilderung des wiederhergestellten paradiesischen Zustands von ewiger Unschuld erweist sich als Trug. Denn auf einer weiteren Zeitfahrt erlebt der Reisende die drohende Erkaltung der fast leblos gewordenen Erde, die offenbar kurz vor ihrem Kollaps steht; und von einer dritten Zeitfahrt wird der Reisende nie zurückkehren.

Die Motive dieser gebrochenen Utopie kehren auch im Werk von Anatole France wieder, der mit Sur La Pierre blanche und L'Ile despingouins zwei Gesellschaftsutopien schuf, in denen auch das Thema der Großstadtvision eine wichtige Rolle spielt.

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Im ersten, 1905 veröffentlichten Werk reflektiert France in drei Abschnitten drei Zeit­

stufen: Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Im letzten Teil »Par la porte de corne ou par la porte d'ivoire« wird eine friedliche sozialistische Gesellschaft im Jahr 2270 geschildert. Nach langen Kriegen im 20. Jahrhundert aus einer Föderation der europäischen Staaten entstanden, kennt sie keine Kriege und Verbrechen mehr. Die Menschen wohnen in weißen Häusern voller Schmuckgegenstände. Kaum kann der verwunderte Erzähler noch geschlechtliche Unterschiede an den Bewohnern feststellen, denn die strikte Trennung von Geschlechtsrollen ist aufgehoben. Die menschlichen Leidenschaften interessieren kaum noch, deswegen gibt es weder Liebe im alltäglichen Leben noch fiktive Dramen in der Kunst. Die Religionen existieren zwar noch, allerdings sind sie belanglos geworden; immerhin gibt es noch einen Papst, Pius XXVII., der aber, wie alle anderen Mitglieder dieser sozialistischen Welt­

ordnung, einem Metier nachgeht. Eine totale Kommunikation über das Telefon und

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V E R W E S E N D E K A D A V E R U N D F L I E G E N D E W A L F I S C H E

eine u m f a s s e n d e M o b i l i tä t d u r c h individuelle F l u g a p p a r a t e ­ fliegende W a l f i s c h e ­ r u n d e t das Bild der o f f e n b a r friedfertigen G e s e l l s c h a f t ab. M i t f e i n e m S a r k a s m u s k o n t e r k a r i e r t France diese s c h e i n b a r heile Welt, in welcher der E r z ä h l e r m i t seiner a u f k e i m e n d e n Liebe zu einer d e r B e w o h n e r i n n e n ­ soweit er sie ü b e r h a u p t als weib­

liches W e s e n identifizieren k a n n ­ n u r auf Ironie stößt. Vollends skeptisch ä u ß e r t sich France indessen in d e m drei J a h r e später e n t s t a n d e n e n satirischen R o m a n L'Ile des pingouins?

2

D i e P i n g u i n e sind eine groteske Satire a u f den M i t t e l k l a s s e b ü r g e r , dessen Z i v i l i s a t i o n s e n t w i c k l u n g in g r o ß e n Z ü g e n rekapituliert w i r d , von d e r A n ­ b e t u n g des G o t t e s M a e l bis h i n zu e i n e m u n g e z ü g e l t e n Liberalismus u n d Kapitalis­

m u s , d e r sich schließlich in der G r o ß s t a d t als M o l o c h A u s d r u c k v e r s c h a f f t :

»Niemals f a n d m a n H ä u s e r , d i e ausreichend h o c h w a r e n , m a n e r h ö h t e sie o h n e U n t e r l a ß u n d b a u t e 3 0 u n d 4 0 Etagen, staffelte Büros, G e s c h ä f t e , B a n k s c h a l t e r u n d U n t e r n e h m e n s s i t z e , u n d m a n g r u b i m m e r tiefer Keller u n d T u n n e l . 15 M i l l i o n e n arbeiteten in der Riesenstadt.« So lauten der A n f a n g wie d a s E n d e des letzten Kapitels, in d e m in k n a p p e n Strichen die vertikale Polarität zwischen d e n sich u n t e n s t a p e l n d e n v e r w e s e n d e n K a d a v e r n d e r im M o l o c h U n t e r g e g a n g e n e n einerseits u n d d e n o b e r e n H o c h h a u s e t a g e n ü b e r d e m R a u c h u n d G e s t a n k der G r o ß s t a d t anderer­

seits gezeichnet ist.

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S t ä n d i g e A t t e n t a t e u n d a n a r c h i s t i s c h e U m t r i e b e a m B o d e n des M o l o c h s k ö n n e n der technisierten, nach kalter Logik f u n k t i o n i e r e n d e n G r o ß s t a d t d e r zynisch profitorientierten M i l l i a r d ä r e in den W o l k e n nichts m e h r a n h a b e n .

D i e diesen S c i e n c e ­ F i c t i o n ­ R o m a n e n g e m e i n s a m e n a r c h i t e k t o n i s c h e n u n d städte­

b a u l i c h e n M o t i v e k o r r e s p o n d i e r e n erstens m i t der Vorstellung, dass H y g i e n e m i t w e i ß e n , g e o m e t r i s c h klaren B a u t e n gleichzusetzen ist. Z u m zweiten d i e n t das H o c h ­ h a u s als M e t a p h e r e x t r e m e r sozialer D i s t i n k t i o n , die sich im u n g e h i n d e r t e n Ü b e r ­ blick von o b e n bzw. in der sozialen E r n i e d r i g u n g in den u n t e r e n Partien zeigt. Z u m d r i t t e n wird eine p e r f e k t e I n f r a s t r u k t u r m i t totaler M o b i l i t ä t u n d K o m m u n i k a t i o n als Versprechen d e r A u f h e b u n g irdischer M ü h s a l i m a g i n i e r t . U n d schließlich w i r d a u ß e r d e m der A n t a g o n i s m u s der G e s c h l e c h t e r d u r c h eine sexuelle A n g l e i c h u n g a u f g e h o b e n u n d d a m i t ein k o n f l i k t f r e i e s L e b e n i n n e r h a l b kollektiver G e m e i n ­ s c h a f t e n prognostiziert. D a m i t ist a u f die R ü c k k e h r in e i n e n paradiesischen Ur­

z u s t a n d angespielt u n d zugleich a u f eine endzeitliche H e i l s e r w a r t u n g als Resultat des t e c h n i s c h e n Fortschritts.

D e r a r t i g e D e n k f i g u r e n u n d rhetorische Strategien finden sich a u c h in Le

G o r b u s i e r s suggestiven S t a d t e n t w ü r f e n der f r ü h e n zwanziger J a h r e , i n s b e s o n d e r e d e r Vi/U' contemporaine pour 3 millions d'babitants.

2

" I m G e g e n s a t z zu G a r n i e r p l a n t Le

C o r b u s i e r in einer G r ö ß e n o r d n u n g , die d a m a l s sicher als G r o ß s t a d t zu b e z e i c h n e n

ist. Paris, zu B e g i n n des 20. J a h r h u n d e r t s eine d e r w e n i g e n G r o ß s t ä d t e d e r Welt,

zählte 1922 ziemlich g e n a u drei M i l l i o n e n E i n w o h n e r u n d g a b s o m i t d e n R a h m e n

f ü r Le Gorbusiers Vision vor. Dieses »neue« Paris ist radikal u n t e r s c h i e d l i c h z u m

alten, wie der A r c h i t e k t ja b e k a n n t e r m a ß e n vor allem im Almanach d'architecture

moderne u n d in Urbanisme r e d u n d a n t v o r f ü h r t (Abb. 2 ­ 4 , 8): A u f d e r F,rdober­

(10)

98 C H R I S T I A N F R E I G A N G

fläche als durchgehender immenser Park konzipiert, von höchster Verkehrsmobilität, konsequent zoniert und radikal geordnet, unbelastet von historischer Erinnerung und auf ein Maximum an physiologischem Wohlergehen seiner Bewohner aus­

gerichtet, ist die Idealstadt der Gipfel einer materialistischen und technologischen Weltauffassung, die auf den Grundpfeilern von Vernunft und Ordnung aufbaut.

In derartigen Termini ist die Großstadtvision immer wieder gelesen worden, mit­

hin als konsequente Reaktion auf die Misere der verdichteten Großstadt des 19.

Jahrhunderts, wie es Le Corbusier auch selbst vorträgt.

25

Der detailliert vorgestellte Idealplan hat bekanntlich eine lange und umfassende Weiterentwicklung über die Ville radieuse und die Charta von Athen erfahren, und ist einer der wesentlichen Bei­

träge zum modernen Städtebau. Die oberflächliche Lesart benennt hierbei vertraute funktionalistische Kriterien, etwa die Differenzierung von Verkehrsgeschwindig­

keiten, die Effizienz von Verkehrswegen, die Zonierung als Grundsatz der Flächen­

nutzung, die Auflockerung statt Blockrandbebauung, die Errichtung von Wolken­

kratzern als Bautyp mit einem Maximum an natürlicher Belichtung bei einem Minimum an Grundfläche (Abb. 3). Auch die hierin liegenden Dysfunktionalitäten sind evident und mehrfach dargelegt worden: Die Funktioneneinteilung erfolgt grob

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2 Le Corbusier, Une ville contemporaine pour 3 millions d'habitants, Gesamtplan, 1922

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V E R W E S E N D E K A D A V E R U N D F L I E G E N D E W A L F I S C H E

und schematisch, die Bewältigung der Verkehrsströme ist nicht geleistet, politische, ökonomische und soziale Erwägungen zur Realisierung der Stadt sind schlichtweg ignoriert. Der Plan relegiert niedrigere Einkommensklassen flugs in die Schlaf­

städte an der Peripherie, und in seiner formalistischen, zentristischen Logik erweist er sich als starr und nicht erweiterbar. All das wird umso deutlicher, als diese De­

fizite Aspekte betreffen, die in der Großstadtdiskussion bereits verhandelt wurden.

Werner Hegemanns Publikationen zum Städtebau in den USA, eine der expliziten Quellen Le Corbusiers, führen etwa lange Berechnungen für Verkehrskapazitäten, Investitionskosten u. ä. auf.

26

Bekanntlich baut die Großstadtvision Le Corbusiers auch auf eigenen eingehenden städtebaulichen Studien auf, die er seit der weit ge­

diehenen, aber letztlich nicht realisierten Veröffentlichung eines Städtebautraktates La Construction des villes von 1910/11 betrieben hatte.

27

Damals ging es ihm um die weitausgreifende Integration neuester Erkenntnisse der pittoresken Stadt und von Gartenstadtkonzepten, so wie sie in den Traktaten von Ebenezer Howard, Camillo Sitte, Josef Stübben, Theodor Fischer oder Albert Erich Brinckmann vor­

formuliert waren. Die in all diesen Entwürfen mehr oder weniger wirksam werdende sensualistische Ästhetik ist auch im Entwurf von 1922 durchaus vorhanden.

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3 Le C o r b u s i e r , Une ville eontemporaine pour 3 millions d'habitants, P e r s p e k t i v e , 1 9 2 2

(12)

CHRISTIAN FREIGANG

4 Le Corbusier, Panorama der Ville contemporaine pour 3 millions d'habitants, 1925

Allerdings hat sie nunmehr einer Ästhetik des Erhabenen platzgemacht, die im Maßstab von Metropolen denkt und dessen wichtigstes Kriterium der radikale Ein­

griff von Gerade und rechtem Winkel als absoluter Ausdruck von O r d n u n g ist. Im älteren Urbanismustraktat von 1910/11 hatte Le Corbusier statuiert, dass Städtebau die komplexeste Ausübung von Kunst sei. Insofern komme es wie in den anderen Gattungen darauf an, Gefühle hervorzurufen ­ mit den Regeln der Angemessen­

heit, des Ausgleichs und der Variation.

28

Diese sensualistische Ästhetik wird nun­

mehr, 1922, auf das erhabene Erlebnis der Höhe in den Wolkenkratzern gewendet, ähnlich, wie das oben anhand der Literatur des 19. Jahrhunderts ausgeführt wurde.

Das Wahrnehmen von Leichtigkeit und Freude, welches sich in der frischen Luft in den oberen Etagen einstelle, verbinde sich mit dem Bewusstsein von Omnipotenz, hier an den Schaltzentralen der Macht zu agieren. Dieses Erlebnis der Höhe, das im Eiffelturm als Besonderheit genossen werden könne, sei in der neuen Stadt zum All­

gemeingut geworden.

29

Das Ausblenden des Pittoresken und kleinteilig Geregelten zugunsten des Erhabenen geht bei Le Corbusier auch mit Anleihen an der Science­

Fiction einher.

Dies zeigt sich zunächst in der performativen Inszenierung der Stadtvorstellung.

Trotz der Vielzahl an Grundrissen, Vogelschauperspektiven und Ansichten ist diese

nur ansatzweise systematisch ausgearbeitet; umso größere Bedeutung kommt der

Schilderung ihrer Erlebnisqualität zu. Ähnlich wie dem verwunderten Zeitreisenden

(13)

V E R W E S E N D E K A D A V E R U N D F L I E G E N D E W A L F I S C H E 1 0 1

aus der Alten Welt in Sur la Pierre blanche, dem alles freundlich-bemüht erläutert werden muss, erklären die Texte im Städtebautraktat in erster Linie, was sich vor den Augen des Betrachters abspielt. Es ist auch bezeichnend, dass 1925 der Entwurf einer Ville contemporaine auf der Exposition des Arts decoratifs auf zwei Dioramen im Pavillon de l'Esprit nouveau präsentiert wurde, und zwar als große Schaubilder aus der Vogelperspektive (Abb. 4).

30

Der Betrachter nähert sich der neuen, fremden Stadt gleichsam aus weiter Entfernung und sollte dabei sogar über ein (letztlich nicht ausgeführtes) Lautsprechersystem über die Dreimillionenstadt und den Umbauplan für Paris, den Plan Voisin, informiert werden. Die gelungene Illusion war auch weiter einsetzbar: Denn als der Bildungsminister Anatole de Monzie den Pavillon besuchte, wurde er zusammen mit dem Architekten vor den Dioramen fotografiert (Abb. 5).

Die dabei entstandene und im »Almanach« veröffentlichte Aufnahme suggeriert, dass die beiden auf einer Anhöhe oder einer Luftschiffgondel weit über der bereits existierenden Stadt stehen.

31

Verstärkt wurde dies natürlich noch dadurch, dass der Pavillon selbst ja ein vollständig eingerichtetes und begehbares Musterappartement war, eine Teilkonkretisierung jener Illusionierung, die in den Dioramen vorgeführt wurde.

In der Veröffentlichung der Stadtplanungsentwürfe wird ebenfalls in hohem Maße Fiktionalität - Imaginierung und Entrückung zugleich - geschaffen: Wiederum

5 Le C o r b u s i e r u n d d e r Blldungs- u n d K u l t u r m i n i s t e r A n a t o l e d e M o n z i e v o r d e m P a n o r a m a d e r V/7/e contemporaine pour 3 millions d'habitants v o n 1 9 2 2 . ausgestellt i m Pavillon d e l'Esprit n o u v e a u , Paris 1 9 2 5

(14)

102 CHRISTIAN FREIGANG

gleitet das Auge des Lesers gleichsam aus der Höhe in die neue Stadt und streicht an den Musterappartements vorbei (Abb. 6, 8). Diesem erlebenden Subjekt wird ein eindringlicher Kommentator zur Seite gestellt, der insbesondere den Tagesablauf der hier lebenden Menschen erläutert: L'heure du travail und L'heure du repos bilden nicht nur die wesentlichen Zäsuren im Tagesrhythmus der Bewohner, sondern auch der Gliederung des Städtebautraktates. Die Arbeit in der neuen Stadt werde begleitet von der Erfahrung des Erhabenen, denn die heroische Kontemplation der Verkehrs­

ströme und des Fernblicks aus den Wolkenkratzern mache die Arbeit zu einem Akt der täglich sich wiederholenden Erbauung (Abb. 7).

32

Natürlich erinnert Derartiges auch an zeitgenössische Werbekampagnen für Immobilien, verwiesen sei etwa auf eine Kampagne für Ferienresidenzen an der Cote d A z u r von 1921, die mit ähn­

lichen Mitteln arbeitet.

33

Doch angesichts der utopischen Projekte und der gleich­

sam metaphysischen Erfahrungsangebote in der Ville contemporaine darf auch der Bezug zur Science­Fiction nicht unterbewertet werden. Wie in der Romanliteratur fällt die selektive Wahrnehmung auf: In der bildlichen Vermittlung schwebt man

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6 Le Corbusier, Vogelschau auf das Pariser Zentrum gemäß dem Plan Voisin, 1929

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V E R W E S E N D E K A D A V E R U N D F L I E G E N D E W A L F I S C H E 1 0 3

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über der Stadtautobahn oder sitzt im Cafe des weiten grünen Zentralparks, an dem sich Flughafen, Bahnhof und Autobahn an­

schließen (Abb. 8). Beides ist als Ausdruck höchsten Stolzes, fierte, gedacht, die sich nach der immensen, Schönheit gebärenden Ordnungsstiftung einstellt. Aber eigen­

artigerweise bleibt der Betrachter immer ein Fremder, gleichsam ein Tourist oder Zeit­

reisender, der nicht in weitere Aspekte des neuen Lebens eindringt. Den erhabenen Eindruck beeinträchtigen keine Elemente des banalen Alltagsgeschäfts.

Die Besonderheit von Le Corbusier liegt also nicht nur in der Konzeption neuer urbanistischer Prinzipien, sondern vor allem im Bestreben ihrer partiellen Fiktiona­

lisierung, die detailliert einige Aspekte einem erstaunten Besucher vor Augen und zu Ohren führt. In dieser Imagination entstehen bestimmte Motive, die eng mit der literarischen Science­Fiction ver­

bunden sind und sich ihrerseits als Topoi der (sozialistischen) Utopie bzw. auch als biblisch inspirierte Endzeitversprechen lesen lassen: Le Corbusiers Stadt ist ähnlich wie die neuen Wohnanlagen in Time Machine

bei Wells und in Sur la Pierre blanche von France gleichsam in einen Garten Eden gesetzt, in dem die Bewohner entspannt ihre Freizeit verbringen bzw. ohne Mühsal arbeiten. Selbst die Anleihen, die die aufgeführten Romane am ersten Menschenpaar im Zustand der Unschuld aufnehmen, sind bei Le Corbusier unterschwellig vor­

handen. Bei Wells und France sind die Frauen den Männern in ihren Geschlechts­

rollen und ihren Bekleidungen angeglichen, die Sexualität auf ein unschuldiges Spiel ohne Leidenschaft reduziert. Diese Annäherung der Geschlechter bildet in den zwanziger Jahren eine umfassend diskutierte Tendenz, die vielfach als kulturelle Dekadenz gebrandmarkt, aber insbesondere in der literarischen Figur der Garconne zum Signum gesellschaftlicher Modernität umgeprägt wurde.

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Victor Margueritte, der Autor des 1922 erschienenen skandalträchtigen Romans La Garconne, in dem der neue Frauentyp literarisch inszeniert wurde, malte 1924 in einem Folgeroman, Le Couple, zudem die Lebensumstände einer zukünftigen Gesellschaft, hier im Jahr

1943 angesiedelt, weiter aus: Ohne bedeutende Unterschiede in ihren Geschlechter­

7 S e i t e a u s Le C o r b u s i e r , Urbanisme, Paris 1 9 2 5 , m i t F o t o a n s i c h t v o m E i f f e l t u r m n a c h u n t e n

(16)

1 0 4 CHRISTIAN FREIGANG

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8 Le Corbusier, Vogelschauansicht des Zentrums der Ville contemporaine, 1922

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' u n d e n t s p r e c h e n d lassen sich in d e n i m a g i n i e r t e n luxuriösen A p p a r t e m e n t s keine genderedSpaces u n t e r s c h e i d e n : B o u d o i r u n d R a u c h e r z i m m e r gibt es hier nicht m e h r ,

u n d eine kollektive B e w i r t s c h a f t u n g ersetzt D o m e s t i k e n u n d E i n z e l k ü c h e n . In der A u f h e b u n g von GeschlechterdifFerenzen u n d irdischer M ü h s a l wirken unter­

schwellig A n k l ä n g e an das Paradies; d a z u f ü g e n sich bei Le C o r b u s i e r e i n d r i n g l i c h e

endzeitliche chiliastische M o t i v e : Vor allem das V o r w o r t zu Urbanisme b e s c h w ö r t

m e h r m a l s d e n T o d des Alten E u r o p a s u n d der chaotischen G r o ß s t a d t . Erst über d e n

U m w e g über die Lehren A m e r i k a s gelinge der Aufstieg Europas, eines d e n k e n d e n

E u r o p a s in einer neuen E p o c h e , die gerade b e g o n n e n habe. M a n muss dies k o n k r e t

beziehen auf die in der T a t a p o k a l y p t i s c h e E r f a h r u n g des Ersten Weltkriegs, in

(17)

VERWESENDE KADAVER UND FLIEGENDE WALFISCHE

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9 Eugene Henard, Profil einer zukünftigen Straße, 1910

(18)

106

CHRISTIAN FREIGANG

dessen Nachfolge allenthalben der Ruf nach Ordnung, Synthese und Konstruktion erschallte. Gleichwohl: Das städtebauliche Neue Jerusalem, das Le Corbusier in diesem Zusammenhang entwirft, verbindet diesen rappel ä Vordre mit biblisch­apo­

kalyptischen Motiven, die insbesondere im Science­Fiction­Roman vorgeprägt waren.

Die Theorien, von denen sich Le Corbusier absetzt, sind auffälligerweise nicht konkurrierende Vertreter der Großstadtvisionen, unter denen im französischen Kontext vor allem Eugene Henard zu nennen wäre.

36

Immerhin beschäftigte sich Henard insbesondere mit einer Modernisierung des großstädtischen Verkehrs (Abb. 9). Doch die eigentliche bete noire, von der sich Le Corbusier implizit und ex­

plizit absetzt, bildet der regionalistische, konservative und monarchistische Architekt Leandre Vaillat, der als Architekturjournalist in dem illustrierten Wochenmagazin L'lllustration einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf Meinungsbildungs­

prozesse hatte. Vaillat setzte sich lebhaft und lautstark für einen dörflich geprägten Städtebau als Bestandteil einer ganzheitlichen Einheit Frankreichs ein. In be­

zeichnender Weise kritisierte er etwa den Village francais, der im Rahmen der Ex­

position des Arts decoratifs als illusionistisches Dorf errichtet worden war: Er sei aus den modernen Ideen der Gartenstadtbewegung konstruiert, nicht aber aus einer gefühlten Einheit aus Leben, Sitten und Nationalität natürlich erwachsen.

37

In die­

selbe Richtung geht ein zur Ausstellung erschienenes, in sehr bezeichnender Weise erzählendes Traktat des Kunstschriftstellers Andre Vera mit dem provozierenden Titel Modernites. Anhand des Tagesablaufs eines modernen Aristokraten wird hier das Ideal einer neuen Elitegeneration, die in dem rechtsextremistischen Neo­

monarchisten Charles Maurras den »Herzog der Jugend« verehre, geschildert.

38

Der Protagonist residiert in einer hellen, geometrisch klar gegliederten und von einem Mansardendach bekrönten Villa mit erlesener, von floralen Mustern gezierter Aus­

stattung. Morgens kontempliert der Gutsbesitzer seine regelmäßig angelegten Gärten und stählt anschließend wie ein griechischer Athlet seine Muskeln. Tagsüber macht er in Begleitung feiner Gesellschaft mit dem Automobil Ausflüge über seine Ländereien. Abends diniert er elegant, um anschließend vor der Nachtruhe die Korrespondenz zu erledigen und sich in die »Imitatio Jesu Christi« zu vertiefen, selbstverständlich in die lateinische Originalfassung. In derartigen Bemühungen — der detaillierten Rekonstruktion eines neuen alten Dorfes wie in der ebenso klein­

teil igen literarischen Schilderung des Lebensumfeldes eines neuen alten Aristo­

kraten ­ haben wir durchaus nicht zu unterschätzenden Anstrengungen zu sehen, in einer ganzheitlichen Vision die verlorene Vergangenheit für die Erneuerung Frank­

reichs zu prognostizieren: ohne Großstadt, Demokratie und Frauenemanzipation.

Dieser ganzheitlichen, rückwärtsgewandten Rekonstruktion Frankreichs antwortet Le Corbusier mit seiner Archäologie der Zukunft, die sich nun nicht mehr als französisch, sondern als international europäisch und gleichzeitig visionär­endzeit­

lich begreift, indem sie vielschichtig Denkfiguren und Inszenierungsformen aus der

Science­Fiction aufgreift.

(19)

V E R W E S E N D E K A D A V E R U N D F L I E G E N D E W A L F I S C H E

107

1 E i n e D i s k u s s i o n d e s k o m p l i z i e r t e n B e g r i f f s d e r S c i e n c e - l i c t i o n k a n n a n d i e s e r S t e l l e n i c h t g e l e i s t e t w e r d e n . D i e h i e r g e s e t z t e n A k z e n t e v e r d a n k e n s i c h i n s b e s o n d e r e R o b e r t A d a m s , The Hhtory of Science Fiction, H o u d m i l l s u n d N e w Y o r k 2 0 0 6 , i n s b . S . ! - 2 0 , w o d i e t e c h n o­

l o g i s c h e F u n d i e r u n g d e s G e n r e s v o r a l l e m m i t H i n w e i s auf 1 l e i d e g g e r s E s s a y » D i e F r a g e n a c h d e r T e c h n i k « ( G e s a m t ­ a u s g a b e , I. A b t . , B d . 7 , F r a n k f u r t a. M . 2 0 0 0 , S . 5 ­ 3 6 ) a u s g e f ü h r t ist. V g l . a u ß e r d e m V i t a F o r t u n a t i u n d R a y m o n d T r o u s s o n ( H r s g . ) , Dictionary ofLiterary Utopias, P a r i s 2 0 0 0 ( D i c t i o n n a i r e s & R c t e r e n c e s ; 5 ) . Z u m w e i t e r e n K o m p l e x d e r U t o p i e v g l . v. a. L y m a n T o w e r S a r g e n r , R o l a n d S c h a e r ( H r s g . ) , Utopie. La quete de Li societe ideale en Occident,

A u s s t . ­ K a t . P a r i s , B i b l i o t h e q u e n a t i o n a l e d e F r a n c e , N e w Y o r k , H u m a n i t i e s a n d s o c i a l s c i e n c e s l i b r a r y , P a r i s 2 0 0 0 . 2 V g l . e t w a O t t o G e r h a r d O e x l e , » D i e G e s c h i c h t s w i s s e n ­ s c h a f t i m Z e i c h e n d e s H i s t o r i s m u s . B e m e r k u n g e n z u m S t a n d o r t d e r G e s c h i c h t s f o r s c h u n g « , i n Historische Zeit­

schrift 2 3 8 , ! 9 8 4 , S . 1 7 ­ 5 5 ; i d e m . , Geschichtswissenschaft im Zeichen des Historismus, G ö t t i n g e n 1 9 9 6 ; i d e m . , J ö r n R ü s e n ( H r s g . ) , Historismus in den Kulturwissenschaften.

K ö l n , W e i m a r u n d W i e n 1 9 9 6 ; J ö r n R ü s e n , Konfigurationen des Historismus. Studien zur deutschen Wissenschaftskultur.

F r a n k f u r t a. M . 1 9 9 3 ; A n n e t t e W i t t k a u , Historismus. Zur Geschichte des Begriffs und des Problems, 2. d u r c h g e s . A u f l . , G ö t t i n g e n 1 9 9 4 ; V i c t o r Z m e g a c , Der europäische Roman.

Geschichte seiner Poetik, T ü b i n g e n 1 9 9 0 , S . 1 0 4 ­ 1 1 0 . 3 G e r d d e B r u y n , Die Diktatur der PhiLinthropen. Ent­

wicklung der Stadtplanung aus dem utopischen Denken,

B r a u n s c h w e i g , W i e s b a d e n 1 9 9 6 ( B a u w e l t F u n d a m e n t e : B d . 1 1 0 ) ; D a v i d J o h n B i n d e r , Visions of the City: Utopianism,

Power, and Politics in Twentieth­century Urhanism,

E d i n b u r g h 2 0 0 5 ; e i n i g e A n d e u t u n g e n a u c h i n IM ville, artet archilecture en Europe, 1870­1993, A u s s t . ­ K a t . P a r i s , C e n t r e G e o r g e s P o m p i d o u 1 9 9 4 .

4 E u g e n e E m m a n u e l V i o l l e t ­ I e ­ D u c , Entretiens sur l'archi­

tecture, B d . 2 , P a r i s 1 8 7 2 , 1 2 ' u n d 1 3 ' e n t r e t i e n s . 5 H e n r i k C h r i s t i a n A n d e r s e n u n d E m e t t M . H e b r a r d , Creation of a World Centre oj Communication, P a r i s 1 9 1 3 ; P a u l A d a m , La Cite future, P a r i s 1 9 1 4 ; A u s s t . ­ K a t . P a r i s 1 9 9 4 ( w i e A n m . 3 ) , S . 1 6 4 ­ 1 6 5 ; C a t h e r i n e C o u r t i a u , » L a C i t e ' i n t e r n a t i o n a l e , 1 9 2 7 ­ 1 9 3 1 « , i n Le Corhusier ä Geneve 1922­1932. Projets et realisations, U t u s a n n e ( P a y o t ) 1 9 8 7 . S . 5 3 ­ 6 9 .

6 M a t t h i a s S c h i r r e n , Bruno laut ­ alpine Architektur: eine Utopie, M ü n c h e n 2 0 0 4 ; P a u l S c h e e r b a r t , » L e s a b e n d i o . E i n A s t e r o i d e n ­ R o m a n « , i n /*///// Scheerbart, Gesammelle Werke,

10 B d e . , h r s g . v o n T h o m a s B ü r k u . a . , B d . 5 , L i n k e n h e i m 1 9 8 8 , S . 2 8 3 ­ 5 4 6 .

7 W o l l g a n g J a c o b s e n u n d W e r n e r S u d e n d o r f ( H r s g . ) , Metropolis. Ein filmisches Laboratorium der modernen Archi­

tektur, S t u t t g a r t u n d L o n d o n 2 0 0 0 .

8 W e r n e r H e g e m a n n , Der Städtebau nach den Ergebnissen der internationalen Staedtebau­Ausstellung Gothenburg. Erster Band: Amerikanische Architektur und Stadtbaukunst, B e r l i n 1 9 2 5 ; R i c h a r d J. N e u t r a , Wie baut Amerika?, S t u t t g a r t 1 9 2 7 ( D i e B a u b ü c h e r ; B d . I).

9 B e r n a r d M a r r e y , Louis Bonnier, 1856­1946, L ü l t i c h 1 9 8 8 , S . 7 5 ­ 8 1 ; A u s s t . ­ K a t . P a r i s 1 9 9 4 ( w i e A n m . 3 ) , S . 1 5 8 ­ 1 5 9 .

1 0 V i c t o r H u g o , Notre­Dame de Paris. 1482 [ 1 8 3 1 ] , P a r i s

1 9 7 5 , S . 1 1 4 ­ 1 3 8 ; F r i e d r i c h W o l f z e t t e l , » F u n k t i o n s w a n d e l e i n e s e p i s c h e n M o t i v s : D e r B l i c k a u f P a r i s « , i n Romanische Zeitschrifi fiir Literaturgeschichte 3 , 1 9 7 7 , S . 3 5 3 ­ 3 7 7 . 11 T h e o p h i l e G a u t i e r , » N o t r e ­ D a m e « , i n Theophile Gautier.

Poesies completes, 3 B d e . , h r s g . v o n R e n e J a s i n s k i , P a r i s 1 9 7 0 , B d . 2 , S . 1 4 7 ­ 1 5 3 .

12 T o n y M o i l i n , Paris en l'an 2000 [ 1 8 6 9 ] , L y o n 1 9 9 8 . 1 3 D i e I d e e d e r h ö h e r g e l e g t e n S c h i e n e n w e g e , a u f d e n e n e i n s a u b e r e r u n d p e r l e k t o r g a n i s i e r t e r P e r s o n e n v e r k e h r d a s F u n k t i o n i e r e n d e r G r o ß s t a d t g a r a n t i e r t , f i n d e t s i c h b e r e i t s in J u l e s V e r n e s J u g e n d w e r k Paris au XX' siede v o n c a . 1 8 6 3 . A l l e r d i n g s w u r d e d i e s e r S c i e n c e F i c t i o n ­ R o m a n e r s t 1 9 9 4 v e r ö f f e n t l i c h t u n d s p i e l t e d e s w e g e n k e i n e R o l l e i n d e r G r o ß ­ s t a d t d e b a t t e .

1 4 G u s t a v e K a h n , Esthetique de Li rue, P a r i s 1 9 0 1 . 1 5 R o b e r t o G a r g i a n i u n d A u g u s t e P e r r e t , La Theorie et l'CEuvre, P a r i s u n d M a i l a n d 1 9 9 4 , S . 2 1 8 ­ 2 2 3 . 1 6 M a u r i c e C u l o t , D a v i d P e y c e r e e t G i l l e s R a g o t ( H r s g . ) , Les freres Perret. L'aeuvre complete. Les archives dAuguste Perret (1874­1954) und Gustave Perret (1876­

1952), architectes­entrepreneurs, P a r i s 2 0 0 0 , S . 1 3 0 ­ 1 3 1 . 1 7 E m i l e Z o l a , » T r a v a i l « , i n Emile Zola. CEuvres completes, B d . 8 , Paris 1 9 6 8 , S . 5 3 1 ­ 9 6 9 ; I v o r F r e d e r i c k C a s e , La Cite ideale dans»Travail'', d'F.mile Zola. T o r o n t o u n d B u f f a l o 1 9 7 4 , S . 1 4 2 ; B r u y n 1 9 9 6 ( w i e A n m . 3 ) , S . 1 8 7 ­ 2 0 2 . 1 8 J u l e s V e r n e , Les cinq cents millions de Li Begum, P a r i s [ 1 8 7 9 ] 1 9 6 6 .

1 9 T o n y G a r n i e r , Une Cite industrielle. Etüde pour Li

construetion des villes, a v e c u n e p r e t a c e d ' H e n r i P o u p e e , P a r i s 1 9 8 8 ; R e n e J u l l i a n , Tony Garnier. Constructeur et Utopiste, P a r i s 1 9 8 9 ; B r u y n 1 9 9 6 ( w i e A n m . 3 ) , S . 2 0 3 ­ 2 3 2 . 2 0 H e r b e r t G e o r g e W e l l , The Time Machine, an Invention, L o n d o n 1 8 9 5 , f r a n z . U b e r s e t z u n g : La machine ä explorer le temps, P a r i s , z w i s c h e n 1 8 9 9 u n d 1 9 0 6 .

2 1 A n a t o l e F r a n c e , » S u r la P i e r r e b l a n c h e « , i n Analole Erance. Qiuvres completes illustrees, 2 5 B d e . , B d . 1 3 , P a r i s 1 9 5 2 , S . 3 5 5 ­ 5 5 7 .

22A n a t o l e F r a n c e ,

»Lue

d e s p i n g o u i n s « , i n Anatole France.

CEuvres completes illustrees, B d . 1 8 , P a r i s 1 9 4 9 , S . 1 ­ 4 2 0 . 2 3 » O n n e t r o u v a i t j a m a i s l e s m a i s o n s a s s e z h a u t e ; o n l e s s u r e l e v a i t s a n s c e s s e , e t l ' o n e n c o n s t r u i s a i t d e t r e n t e ä q u a r a n t e e t a g e s , o ü s e s u p e r p o s a i e n t b u r e a u x , m a g a s i n s , c o m p t o i r s d e b a n q u e s , s i e g e s d e s o c i e t e s ; e t I o n c r e u s a i t

(20)

108

C H R I S T I A N F R E I G A N G

dans le sol toujours plus profondement des caves et des tunnels.« France 1949 (wie Anm. 22), S. 399 und 420.

24 Le Corbusier, Urbanisme, Paris o. J. [1925], S. 1 5 7 - 235.

25 Vgl. etwa Thilo Hilpert, Die Funktionelle Stadt. Le Corbusiers Stadtvisionen - Bedingungen, Motive, Hinter­

gründe, Braunschweig 1978 (Bauwelt Fundamente; Bd. 48).

26 Hegemann 1925 (wie Anm. 8), S . 4 4 - 5 4 und passim.

27 Hierzu die Rekonstruktion: Christoph Schnoor (Hrsg.), La Construction des villes. Le Corbusiers erstes städtebauliches Traktat 1910/11, Zürich 2008.

28 Marc Albert Emery, Charles­Edouard Jeanneret: la Construction des villes, Lausanne 1992, S. 71; Schnoor (Hrsg.) 2008 (wie Anm. 27), S. 77.

29 Le Corbusier o. J. [1925] (wie Anm.24), S. 174-180, 2 2 9 - 2 3 5

30 L[e] Qorbusier] (Hrsg.), Almanach d'architecture mo­

derne, Paris 1925, S. 1 2 9 - 189.

31 Le Corbusier (Hrsg.) 1925 (wie Anm. 30), S. 136.

32 Le Corbusier o. J. [1925] (wie Anm.24), S . 2 2 9 - 2 3 5 und passim.

33 »Une Ville nouvelie en formation sur la Cöte d'Azur.

Kstcrcl plage. La che modele de Luxe, I lygienc ei de Sports«, in Comoedia illustre 8, 1920/21, S. 152 - 153.

34 Amy Lyford, Surrealist Masculinities. Gender Anxiety and the Aesthetics of Post­World War I Reconstruction in France, Berkeley, Los Angeles und London 2007, S. 1 1 5 - 1 6 4 ; Julia Drost, La Garconne. Wandlungen einer literarischen Figur, Güttingen 2003, v. a. S. 7 9 - 8 3 .

35 Flora Samuel, Le Corbusier. Architect and Feminist, Chicester 2004, S. 49.

36 Eugene Henard, Etudes sur les transforrnations de Paris et autres ecrits sur lürbanisme, hrsg. von Jean-Louis Cohen, [1910] Paris 1982.

37 L[eandre] Vaillat, »Le village francais ä l'Exposition«, in Elllustration, 8. August 1925, S. 131 - 134.

38 Andre Vera, Modernites ou exaltations sur la vie contem­

poraine, Paris 1925.

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