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Auf neuen Wegen zu alten Weinsorten

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Academic year: 2022

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Rebe sind in der Regel Samen, seltener Beeren, Rosinen, Stielchen oder Holz, aber praktisch nie Blätter (Abb. 1).

Gut erhaltene Funde stammen meist aus grundwasser- feuchten Schichten, zum Beispiel aus Brunnen oder von Fundplätzen bei Flüssen oder Seen. Archäologische Nachweise für den Anbau von Reben und die Weinberei- tung sind neben Pflanzenresten auch Rebmesser, Wein- pressen, Amphoren oder sogar Pflanzlöcher (Alexandre- Bidon et al. 2010).

Alte Methoden bringen kaum neue Einsichten

Die traditionellen Methoden der Archäobotanik werfen jedoch kaum Licht auf die Identität der Reben, ihre phä- notypische, prähistorische/historische und geografische Diversität und Entwicklung. Ebenso wenig wissen wir, ob die klingenden Namen aus schriftlichen Quellen seit der Römerzeit tatsächlich eine Sortenvielfalt widerspiegeln und welche Beziehung zwischen ihnen und den moder- nenVertretern besteht. Genetische Muster von archäolo- gischen Funden können im Idealfall Sortenähnlichkei- ten, die Beerenfarbe oder andere genetisch bestimmte Eigenschaften aufzeigen. Auch eine räumliche und – durch die Datierung der archäologischen Schicht, aus der die Weinfunde stammen – zeitliche Zuordnung ist möglich.

Die interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen zwei relativ neuen Forschungsrichtungen – geometrische Morphometrie in der Archäobotanik und Archäogenetik – mit moderner Rebengenetik können heute entschei- dend dazu beitragen, die Stationen in der Geschichte des Weinbaus aufzuklären. Weil Traubensamen die häufigs- ten archäologischen Funde sind, muss man Samen ver- wenden, um zum Ziel zu gelangen. Individuelle Trau- bensamen werden dazu sowohl geometrisch-morpho- metrisch als auch genetisch untersucht.

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Auf neuen Wegen zu alten Weinsorten

Prähistorische und historische Reste von Weinreben – meist Traubensamen aus archäologischen Grabungen – sind wertvolle Zeugen ihrer jahrtausendealten Geschichte als Sammel- und

Kulturpflanze. Die Formen der Samen können mit denen heutiger Sorten verglichen werden (Archäobotanik, geometrische Morphometrie). Und auch die noch in ihnen erhaltene

Erbinformation (DNA) wird mit modernen molekularbiologischen Methoden (Archäogenetik) entschlüsselt und mit Daten rezenter Reben verglichen. In ihrer Gesamtheit erlauben diese Ansätze neue kulturhistorische Rückblicke in die Vergangenheit der Rebe als bedeutende Kulturpflanze.

Angela Schlumbaum, Universität Basel, Institut für prä- historische und naturwissenschaftliche Archäologie, Basel, Schweiz

Laurent Bouby, CNRS CBAE Institut de Botanique, Univer- sité de Montpellier, Frankreich

angela.schlumbaum@unibas.ch

Pflanzenfunde (Samen, Früchte, Holz oder Pollen) aus archäologischen Grabungen oder Sedimentschichten sind Bioarchive in mehrfacher Hinsicht. Ihre Morpholo- gie erlaubt die Bestimmung von Arten oder Typen und damit eine Rekonstruktion der einstigen Landwirt- schaft, Umwelt und Ernährung. Botanische Zeugen der Abb. 1: In unseren

Breiten sind Pflanzenreste in archäologischen Schichten meist als Überreste von Herd- oder Schad- feuern verkohlt erhalten. In Grundwasser- schichten bleiben sie sehr gut kon- serviert.

Oben: Samen und Rosine aus der rö- merzeitlichen Siedlung bei Oe- denburg-Bies- heim/Kunheim (F).(Fotos: IPNA). Unten: Überreste der Weinprodukti- on aus einem rö- merzeitlichen Gutshof bei Gas- quinoy (F).(Foto:

S. Ivorra, CRNS).

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W E I N B A U

Das Potenzial der geometrischen Morphometrie

Die morphologische Unterscheidung zwischen wilden und domestizierten Samenformen mit Hilfe traditionel- ler Längen- und Breitenmessungen ist nicht immer ein- deutig, geschweige denn die Sortenzuordnung. Die geo- metrische Morphometrie ist eine Methode, mit der die gesamte Form eines Objekts und nicht nur die metri- schen Dimensionen erfasst und mit multivariaten statis- tischen Methoden analysiert werden. Wird sie auf gut er- haltene archäologische Traubensamen angewendet, können wilde und kultivierte Formen klar unterschieden werden. Traubensamen aus einem grossen Fund-En- semble aus einem römischen Gutshof nahe Valros in Südfrankreich konnten zu heute bekannten Sorten – da- runter zum Beispiel Clairette – gruppiert werden (Terral et al. 2010). Dabei zeichnet sich eine Mischung kultivier- ter und wilder Reben innerhalb einer solchen Fundstelle ab. Ob die einzelnen Formtypen archäologischer Trau- bensamen auch tatsächlich genotypisch übereinstim- men, wollen wir anhand archäogenetischer Studien un- ter Einbezug der Erkenntnisse moderner Rebengenetik ermitteln (Abb. 2).

Archäogenetik und Sortenidentifikation

Archäogenetik (Abb. 3) oder die Analyse alter DNA (eng- lisch: ancient DNA = aDNA) untersucht genetische Mar- ker in archäobiologischen Funden (Schlumbaum et al.

2008). In solchen Proben ist die DNA oft stark degradiert.

Das heisst, es sind meist nur noch wenige kurze Frag- mente des Genoms erhalten. Ausserdem haben sich zwi- schenzeitlich einzelne Basen chemisch verändert. Die Kunst besteht darin, die originalen Fragmente zu finden, zu vermehren (in der Regel mittels Polymerase-Ketten- Reaktion = PCR) und ihre Information abzulesen. Gene- rell gilt, dass die DNA umso besser erhalten ist, je kälter und trockener archäobiologische Reste überdauert ha- ben. In gemässigten Zonen sind nach heutigem Stand der Forschung an rund 50% der Funde aDNA Untersu- chungen möglich. Alle aDNA Untersuchungen müssen unter Standardbedingungen ausgeführt und aufwändig bestätigt werden, um zum Beispiel Kontaminationen mit moderner DNA oder Artefakte auszuschliessen, wie sie durch die PCR entstehen können (Schlumbaum et al.

2008).

Moderne Daten bilden die Grundlage für archäoge- netische Studien amWein. Dabei ist die Kenntnis des Ge- noms heutiger Kultivare von grosser Bedeutung (Velasco et al. 2007), um relevante genetische Marker, zum Bei- spiel für die Beerenfarbe, zu finden.

Bis zu 40 Marker zur Typisierung nötig!

Um Herkunft, Abstammung oderVerwandtschaft festzu- stellen, werden sogenannte Mikrosatelliten als Marker verwendet. Mikrosatelliten (oder STR oder SSR) sind ex- trem variable Stellen im Genom, die sich durch unter- schiedlich oft wiederholte Nukleotidabschnitte aus- zeichnen. Mindestens sechs (für eine zuverlässige Cha- rakterisierung aber bis zu 40) dieser Marker sind selbst bei einer heutigen Sorte zur Typisierung nötig (This et al.

2004, Cipriani et al. 2010). Die Zuordnung so vieler SSR Marker in archäologischen Traubensamen ist erst recht eine Herausforderung: Der Same kann selbst- oder fremdbestäubt sein und damit andere genetische Infor- mationen als das Blatt enthalten. Weitere Herausforde- rungen stellen die geringe Qualität der DNA selbst, die Problematik des Ausfalls von Allelen (unterschiedliche Formen eines Gens) oder die Kleinheit des Samens mit entsprechend wenig DNA.

Die Erfahrung zeigt aber, dass es grundsätzlich mög- lich ist, Mikrosatelliten in bis zu 2000 Jahre alten Trau- bensamen zu analysieren. Dabei gab es Hinweise auf ih- re geografische Herkunft oder auf heute nicht mehr be- kannte Sorten. Aber die geringe Zahl der bislang unter- suchten SSR Marker (< 6) erlaubte erwartungsgemäss keine eindeutige Charakterisierung oder Sortenzuord-

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Abb. 2: An archäo- logischen Trau- bensamen werden sowohl geome- trisch-morpho- metrische als auch genetische Unter- suchungen vorge- nommen.(Grafik:

Laurent Bouby)

Abb. 3: Archäolo- gische Traubensa- men zur DNA-Ex- traktion. Alle Oberflächen wer- den mit Javelle- Wasser behandelt und Plastikwaren mit UV-Licht be- strahlt, um Fremd-DNA zu zerstören. Die Ex- traktion erfolgt in einem speziell da- für ausgerüsteten Raum.(Foto:

Angela Schlumbaum)

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W E I N B A U

nung (Manen et al. 2003; Cappellini et al. 2010). Erst kürz- lich wurden jedoch bei deutlich jüngerem Herbarium- material, aber auch in Krusten aus römerzeitlichen Am- phoren unterVerwendung eines Sets von bis zu neun SSR Markern eine erfolgreiche Sortenzuordnungen postu- liert (Malenica et al. 2011; Milanesi et al. 2011).

Neue Methoden und interdisziplinäre

Forschung erlauben Blick in die Vorgeschichte

Die Entwicklung sogenannter SNP Marker (single nu- cleotide polymorphism) für Reben (Cabezas et al. 2011) und neue Sequenziertechniken (Next Generation Se- quencing = NGS) haben ein grosses Potenzial, die He- rausforderungen degradierter Proben in Zukunft besser zu meistern. Die Typisierung von SNPs erfordert nur kur- ze DNA-Fragmente, wie sie für aDNA typisch sind und NGS kann Tausende von Markern gleichzeitig erfassen.

Es bleibt die biostatistische Herausforderung – zumal da in einem archäologischen DNA-Extrakt immer Erbinfor- mation verschiedener Herkunft (zum Beispiel von Mi- kroorganismen) auftritt. Wenn es gelingt, die geome- trisch-morphometrischen Daten mit genetischen Mus- tern zu korrelieren und letztlich dem Phänotyp einen eindeutigen Genotyp und damit einer Sorte (auch einer ausgestorbenen) zuzuordnen, sind wir dem Ziel näher, die Stationen des Weinbaus und der Sorten von den An- fängen bis heute zu verstehen. Die bislang frühesten Funde von Samen in der Schweiz sind übrigens diejeni- gen von Wildreben aus der Grabung an der Mozartstras- se in Zürich und datieren zurück in die Frühbronzezeit (um 1850 v. Chr.). Der gezielte Anbau von Reben begann, zumindest im Wallis, erst tausend Jahre später in der Ei- senzeit (Curdy et al. 2009).

Anmerkung: Dieser Beitrag entstand aus einem Vor- trag am Julius-Kühn-Institut (JKI) für Rebenzüchtung Geilweilerhof in Siebeldingen (D) im April 2010. Unsere Forschung wird vom französischen Forschungspro- gramm ANR Fructimedhis unterstützt.

Literatur

Alexandre-Bidon D., Bouby L., Durand A., Ivorra S. und Mane P. : Les Fruits – culture et consommation. Histoire et Images Medievales 33, 18–38, 2010.

Curdy P., Paccolat O. und Wick L.: Les premiers vignerons du Valais. Archäologie der Schweiz 32, 2–19, 2009.

Manen J.-F., Bouby L., Dalnoki O., Marinval P. und Turgay M.: Mi- crosatellites from archaeological Vitis vinifera seeds allow a ten- tative assignment of the geographical origin of ancient cultivars.

Journal of Archaeological Science 30, 721–729, 2003.

Schlumbaum A., Tensen M. und Jaenicke-Després V.: Ancient plant DNA in archaeobotany. Vegetation History and Archaeobo- tany 17, 233–244, 2008.

Terral J.-F., Tabard E., Bouby L,. Ivorra S. und Pastor T.: Evolution and history of grapevine( Vitis vinifera)under domestication:

new morphometric perspectives to understand seed domestica- tion syndrome and reveal origins of ancient European cultivars.

Annals of Botany 105, 443–455, 2010.

This P., Boccacci P., Borrego J. und Botta R., L. C.: Development of a standard set of microsatellite reference alleles for identifica- tion of grape cultivars. Theoretical and Applied Genetics 109, 1448–1458, 2004.

Weitere Literaturhinweise sind bei der korrespondie-

renden Autorin erhältlich. I

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R É S U M É

Décrypter les cépages anciens par des nouvelles techniques

Des grains de raisins trouvés sur le site de fouilles archéologiques, des outils et d’autres restes de la vini- fication sont autant de témoins du passé historique et préhistorique de la vigne. Cependant, les méthodes analytiques courantes de l’archéobotanique ne suf- fisent pas pour reconstruire la richesse variétale et le dé- veloppement de la vigne et de la viticulture dans toute leur diversité. Le recours à la géomorphométrie per- met désormais de définir statistiquement la morpholo- gie globale des vestiges végétaux trouvés et à partir de là, de procéder par exemple à la différenciation entre grains de vignes sauvages et de vignes cultivées. Cette

technique, combinée avec la typification d’ADN pré- servée à l’aide de nombreux microsatellites et de mar- queurs SNP ainsi que de techniques de séquentation les plus récentes, ouvre de nouvelles perspectives analytiques qui compensent les lacunes des appro- ches traditionnelles et permettent finalement l’attri- bution du phéno- et du génotype, autrement dit, l’identification variétale rétroactive. Par la même occa- sion, on a progressé d’un grand pas vers la récapitula- tion complète des principales étapes dans l’évolution de la vini-viticulture.

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