A 1728 Deutsches Ärzteblatt
|
Jg. 110|
Heft 38|
20. September 2013 können (10). Der Sachverständigehatte bei der Untersuchung der Klä- gerin wegen einer Schmerzerkran- kung geäußert, diese betreibe
„Arzthopping“. Das Gericht sah darin keine Herabwürdigung der Klägerin, da der Sachverständige in seiner Stellungnahme zum Befan- genheitsantrag der Klägerin darge- legt habe, dass häufige Arztwechsel ein charakteristisches Merkmal ei- ner Schmerzerkrankung seien. Da- mit sei „Arzthopping“ ein rein sachbezogener Begriff, der der Klä- gerin zudem im Verfahren eher zum Vorteil gereiche, so dass die Be- sorgnis der Befangenheit nicht be- stehe. Es dürfte fraglich sein, ob dem ohne weiteres gefolgt werden kann. Zur Nachahmung ist dieser Fall nicht zu empfehlen, zeigt er doch, dass jedenfalls Irritationen bei der zu untersuchenden Klägerin aufgetreten sind, die die weitere Begutachtung empfindlich hätten stören und damit den Gutachten- zweck gefährden können. Sicherer fährt ein Sachverständiger in jedem Fall mit eine jederzeit angemesse- nen Ausdrucksweise, gerade im Rahmen von Untersuchungssitua-
tionen.
▄
Dr. jur. Katrin Meins, Vorsitzende Richterin, Referentin für Sach - verständigenangelegenheiten, Landgericht Kiel Prof. Dr. med. Marcus Schiltenwolf, Departement Orthopädie, Unfallchirurgie und Paraplegiologie, Universitätsklinikum Heidelberg,
Email:marcus.schiltenwolf@med.uni- heidelberg.de
QUELLENNACHWEIS
1. Beschluss vom 22.10.2007, 1 W 51/07, GesR 2008, 618.
2. Beschluss vom 08.03.2012, 13 W 13/12, GesR 2012, 422.
3. Beschluss vom 24.01.2013, 4 W 645/12, RDG 2013, 80.
4. Beschluss vom 12.08.2008, 4 W 38/08, VersR 2009, 1427.
5. Beschluss vom 25.06.2012, L 8 SB 1449/12 B, NZW 2012, 880.
6. Beschluss vom 13.08.2008, 8 O 19/07, IBR 2009, 360.
7. Beschluss vom 13.11.2007, 5 W 133/07, GesR 2008, 163.
8. Beschluss vom 10.06.2008, 12 W 20/08, zitiert nach juris.
9. Beschluss vom 21.03.2006, 4 O 5612/02, GesR 2006, 252.
10. Beschluss vom 05.11.2012, L 2 SB 320/12 B, zitiert nach juris.
D
as mit dem Begriff „Big Data“bezeichnete massenhafte Sammeln und Auswerten von Daten ist derzeit ein beherrschendes Thema in den Medien. Datenschutzskandale wie die weitreichende Ausspähung durch US-amerikanische und britische Geheimdienste oder der Missbrauch personenbezogener Daten beim Han- del mit Rezeptdaten haben daran ei- nen großen Anteil. Auch die Gegner der elektronischen Gesundheitskarte sehen sich durch diese Ereignisse in
ihrer Kritik bestätigt und befürchten
„eine neue Dimension der zentralisier- ten Überwachung“, in der die Karte als
„Zugangsschlüssel für einen bundes- weiten Krankheitsdatenberg“ fungiert.
Naiv wäre jedoch die Annahme, dass sich Big Data stoppen ließe, denn zu groß sind die wirtschaftlichen Potenziale, wie der Erfolg großer IT- Konzerne wie Google, Apple, Facebook oder Amazon belegt. Ebenso interes- sieren sich beispielsweise Kranken- kassen, Versicherungen, Banken und Versandhandelsunternehmen für Mas- sendaten.
Profitieren können aber auch Wis- senschaft und Forschung. So bieten sich beispielsweise im Gesundheits- bereich mit entsprechenden Analyse- werkzeugen neue vielversprechende Ansätze zur Bekämpfung von Krank- heiten und gefährlichen Epidemien.
Das Ausmalen von Katastrophen und diffuser Bedrohungsszenarien hilft somit nicht weiter. Vielmehr geht es um die Frage, wie sich die informati- onstechnischen Chancen nutzen las- sen, ohne dass der Datenschutz und die informationelle Selbstbestimmung dabei auf der Strecke bleiben. „Big Data ist verfassungskonform mög- lich“, meinte dazu Schleswig-Holsteins oberster Datenschützer und Leiter des Unabhängigen Landeszentrums für
Datenschutz (ULD), Dr. Thilo Weichert bei der diesjährigen Sommerakademie des ULD in Kiel. Er beruft sich dabei auf die differenzierte Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, das dem Datenschutz und dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung in vielen Entscheidungen einen grundle- genden Stellenwert für Rechtstaatlich- keit und Demokratie beigemessen hat.
Zwar stehen Datenschutzprinzipien wie Datensparsamkeit und Zweckbin- dung in einem Spannungsverhältnis
zu Big-Data-Anwendungen. Durch ho- he Transparenz- und Verfah rens an for - derungen und den Einsatz daten- schutzfreundlicher Technik etwa zur Anonymisierung lässt sich dieses Spannungsverhältnis Weichert zufolge jedoch auflösen.
Aus Sicht des Datenschützers steht Deutschland – im Vergleich etwa mit den USA – gar nicht mal so schlecht da, weil das deutsche Datenschutz- recht besonders klar und die Daten- schutzaufsicht flächendeckend wie kaum irgendwo sonst sei. Vor diesem Hintergrund empfiehlt Weichert, deut- sche oder europäische E-Mail- und In- ternetdienstleister zu nutzen, da etwa die Nutzer von Google oder Facebook in undurchschaubare Datenschutzbe- stimmungen einwilligen müssen, wenn sie diese Dienste nutzen wollen.
Transparenz ist auch im Zusam- menhang mit dem Projekt der elektro- nischen Gesundheitskarte (eGK) oberstes Gebot: Sie kann dazu beitra- gen, dass Deutschland eine sichere Kommunikationsinfrastruktur für das Gesundheitswesen erhält. Denn die Patientendaten werden so verschlüs- selt, dass sie nur mittels des Schlüs- sels des Patienten, der eGK, wieder entschlüsselt werden können, und für den Zugriff auf die Daten ist zudem ein Heilberufsausweis erforderlich.
KOMMENTAR
Heike E. Krüger-Brand, DÄ-Redakteurin
BIG DATA