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Archiv "Wahrheit am Patientenbett: Nicht ob, sondern wie" (31.01.2014)

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A 162 Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 111

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Heft 5

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31. Januar 2014

A

ls Theodor Storm 1887 von seinem Arzt die Diagnose

„Magenkrebs“ bekam, verlor der berühmte Schriftsteller allen Le- bensmut und verfiel in Depressio- nen. Erst als ein anderer Arzt ihn mit Einwilligung seines Hausarztes und seines Bruders, der ebenfalls Arzt war, zum Schein nochmals un- tersuchte und die Diagnose revi- dierte, nahm Storm seine literari- sche Arbeit wieder auf und konnte sein wohl berühmtestes Werk, den

„Schimmelreiter“, vollenden, ehe er etwa ein Jahr später starb.

Begrenztheit der Prognose Die Tradition der sogenannten barmherzigen Lüge reicht in der Medizin weit zurück. „Bereits im Corpus Hippocraticum, eine Sammlung von mehr als 60 antiken medizinischen Texten, die zwischen dem fünften Jahrhundert vor und dem zweiten Jahrhundert nach Christus entstanden sind, steht, dass man als Arzt auf gar keinen Fall über Diagnose und Prognose mit dem Patienten sprechen soll. Denn dadurch würde sich sein Zustand nur zum Schlechten entwickeln“,

erinnerte Prof. Dr. med. Robert Thimme, Ärztlicher Leiter der Kli- nik für Innere Medizin II am Uni- versitätsklinikum Freiburg, beim Workshop Medizinethik der Evan- gelischen Akademie zu Berlin.

Erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wandelte sich all- mählich das Verständnis der Arzt- Patienten-Beziehung grundlegend, indem im Gegensatz zum bis dahin vorherrschenden ärztlichen Pater- nalismus Selbstbestimmung und Autonomie des Patienten immer mehr an Bedeutung gewannen. Im Zuge dieses Wandels setzte sich die Auffassung durch, dass Patienten über ihren Zustand aufgeklärt wer- den und die volle Wahrheit über ih- re Erkrankungen und deren Thera- piemöglichkeiten erfahren sollten.

Was ist aber die Wahrheit, vor al- lem die Wahrheit am Patientenbett?

Gibt es sie überhaupt in der Medi- zin? „Aus naturwissenschaftlicher Sicht ist etwas dann wahr, wenn sich die Ergebnisse reproduzieren lassen. In der Medizin haben wir aber das Problem, dass Krankheits- verläufe sehr individuell sind“, be- tonte Thimme. Die Wahrscheinlich-

keiten, auf die Ärzte in den Patien- tengesprächen häufig zurückgrei- fen, seien eben eine statistische Größe und keine Wahrheit. Erfahre- ne Ärzte wissen um diese Indivi- dualitäten und um die entsprechen- de Begrenztheit ihrer prognosti- schen Fähigkeiten.

Gespräche besser trainieren Nach Ansicht von Thimme existie- ren auch zwei Wahrheiten: die des Arztes und die des Patienten. Diese würden sich allein schon aufgrund des Wissensvorsprungs des Arztes erheblich voneinander unterschei- den. Während es für den Patienten wichtig sei, zu erfahren, wie seine Krankheit entstehen konnte und wie es weitergehen soll, erschöpft sich die Wahrheit des Mediziners nicht darin, sondern reicht viel weiter, zum Beispiel bis hin zu Details der histologischen Untersuchung.

Thimme empfahl deshalb jedem Arzt, seine Wahrheit immer mit der des Patienten abzugleichen.

Gesetzlich wurde die zuvor durch die Rechtsprechung veran- kerte Aufklärungspflicht des Arztes im Patientenrechtegesetz geregelt, WAHRHEIT AM PATIENTENBETT

Nicht ob, sondern wie

Barmherzige Lüge versus Wahrheit am Krankenbett: Diese Kontroverse gibt es seit Bestehen der Heilkunde. Heutzutage lautet die entscheidende Frage in den meisten Fällen nicht ob, sondern wie eine Information dem Patienten übermittelt wird.

Foto: Your Photo Today

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31. Januar 2014 A 163 das im Februar 2013 in Kraft getre-

ten ist. „Die neuen Vorschriften sa- gen unmissverständlich, dass Pa- tienten über alle wesentlichen Um- stände ihrer Befindlichkeit und über das, was möglich an Therapiealter- nativen ist, aufzuklären sind, damit sie selbst die für sie richtige Ent- scheidung treffen können“, betonte Prof. Gunnar Duttge, Abteilung für strafrechtliches Medizin- und Bio- recht an der Universität Göttingen.

Der Umfang der Informationen, die juristisch als aufklärungspflich- tig gelten, sei allerdings sehr groß.

Die Menge an Informationen und das Bedürfnis der Ärzte, sich vor Haftungsprozessen zu schützen, ha- ben dazu geführt, dass ein „Un - wesen der perfektionierten Auf - klärungsformulare“ entstanden sei, kritisierte der Jurist. Er bezeichnete diese als eine Karikatur dessen, was das Recht verlange.

Duttge bezweifelte auch, dass möglichst ausführliche Informatio- nen den Patienten in jedem Fall am ehesten befähigen, eine gute Ent- scheidung zu treffen. Bisher seien aber innerhalb des geltenden Rechts die negativen Auswirkungen von Information und Aufklärung nicht ausreichend reflektiert worden. Al- lerdings sieht auch das Patienten- rechtgesetz vor, dass es keiner Auf- klärung bedarf, falls sie aufgrund be- sonderer Umstände entbehrlich ist,

„insbesondere wenn die Maßnahme unaufschiebbar ist oder der Patient auf die Aufklärung ausdrücklich ver- zichtet hat“. Nach der Gesetzesbe- gründung können auch gewichtige therapeutische Gründe der Informa- tionspflicht entgegenstehen.

Beinhaltet also das Patienten- rechtgesetz das sogenannte thera- peutische Privileg? Nicht ganz.

Denn nach Auffassung von Duttge ist die Vorschrift sehr restriktiv aus- zulegen. „In einem solchen Fall muss zunächst eine Faktengrundla- ge geschaffen werden, dass mit ei- ner Aufklärung dem Patienten ein manifester Schaden zugefügt wird“, erklärte der Jurist. Allein die Be- hauptung, der Patient werde die Diagnose nicht verkraften, sei nicht ausreichend. Informationen vorzu- enthalten sollte also nach wie vor die Ausnahme sein. Nach Auffas-

sung von Duttge ist es weniger die Frage, ob oder ob nicht, sondern vielmehr wie Informationen über- bracht werden.

„Die persönlichen kommunikati- ven Fähigkeiten sind bei jedem Arzt unterschiedlich ausgeprägt. Des- halb müssen Ärzte in der Ge- sprächsführung ausgebildet wer- den“, forderte Dr. med. Christoph Büttner, leitender Oberarzt der In- tensivstation am St. Joseph-Kran- kenhaus in Berlin. Bis vor wenigen Jahren haben Generationen von

Ärzten ihr Medizinstudium absol- viert, ohne jemals das Gespräch mit Patienten extra zu trainieren. Selbst heute gehören praktische Kommu- nikationsübungen nicht überall ver- pflichtend zur Ausbildung.

Und das, obwohl das Überbrin- gen schlechter Nachrichten zu den schwierigsten Aufgaben im Kran- kenhaus gehört. Allerdings gibt es Grundprinzipien, an denen sich Ärz- te orientieren können. „Als Arzt muss man sich vorab Zeit nehmen, das Gespräch vorzubereiten“, er- klärte Thimme. Außerdem müsse ein geeigneter äußerer Rahmen für

dieses für den Patienten schicksal- hafte Gespräch gewählt werden:

Ausreichend Zeit, ein ungestörter Ort, möglichst auch die Anwesenheit enger Angehöriger gehören zu den grundlegenden Voraussetzungen.

Bei der inhaltlichen Vorbereitung sollte ein Arzt versuchen, die Empfehlung des Internisten, den Wissensstands des Patienten im Hinblick auf seine Erkrankung und dessen derzeitiges Bedürfnis nach Wissen und Aufklärung einzuschät- zen. Denn ein subtiles Patientenge-

spräch setzt die sorgfältige Wahr- nehmung verbaler und nonverbaler Signale voraus. Vor allem letztere können dem Arzt Auskunft darüber geben, was der Kranke schon ahnt oder weiß und wie viel er zu diesem Zeitpunkt überhaupt wissen will.

„Das Tempo der Aufklärung sollte davon abhängen, wie der Patient die Informationen verarbeitet“, sag- te auch Büttner. Aus Sicht von Thimme ist eine gute ärztliche Auf- klärung ein Prozess, bei dem unter Umständen auch mehrere Gespräche notwendig sein können.

Aber auch schwere Wahrheit, be- tonte Thimme, dürfe bei Patienten keine Hoffnungslosigkeit hinterlas- sen. Ärzte seien durchaus berech- tigt, im oft breiten und ungewissen prognostischen Spektrum den Ak- zent auf einen günstigen Verlauf zu legen. Für einen Hoffnungsschim- mer könne aber die Zusicherung einer optimalen Palliativ- und Schmerzbehandlung sorgen oder auch das Versprechen, dass der Pa- tient bis zum Schluss nicht im Stich gelassen werde. Thimme empfahl außerdem, bei Patientengesprächen einen Rat von Max Frisch zu beher- zigen. Der berühmte Schriftsteller schrieb in einem Tagebuch: „Man sollte dem anderen die Wahrheit wie einen Mantel hinhalten, daß er hineinschlüpfen kann, und sie ihm nicht wie einen nassen Lappen um die Ohren schlagen.“

Eugenie Ankowitsch Grundprinzipien für ein Patientengespräch

äußeren Rahmen sicherstellen: ausreichend Zeit, geeigneter Raum, Teilnehmer

das Vorwissen des Patienten über seine Erkrankung in Erfahrung bringen

Den derzeitigen Informationsbedarf des Patienten ermitteln: Welche Informationen wünscht der Patient?

Gibt es verbale oder nonverbale Anzeichen, dass der zeit keine Aufklärung erwünscht ist?

Das Tempo der Aufklärung sollte davon abhängen, wie der Patient die Informationen verarbeitet.

den Emotionen des Patienten Zeit und Raum lassen, empathisch auf sie eingehen

Das Gespräch sollte niemals das Gefühl der Hoffnungs- losigkeit beim Patienten hinterlassen.

besprechen des weiteren Vorgehens, eventuell Vereinbarung eines weiteren Gesprächs

WAS SOLL MAN BEACHTEN

Erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts setzte sich die Auffassung durch, dass Patienten über ihren Zustand aufgeklärt und die volle Wahrheit über ihre Erkrankungen erfahren sollten.

T H E M E N D E R Z E I T

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