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Archiv "Erkrankungen der Pleura durch Asbest und Erionitfaserstaub" (12.03.1993)

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(1)

DIE ÜBERSICHT

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Erkrankungen der Pleura durch Asbest

und Erionitfaserstaub

Fibrogene und maligne Erkrankungen der Pleura gewinnen nicht nur arbeits-, sondern auch umweltmedizinisch zunehmende Bedeutung.

Dies gilt speziell nach inhalativen Einwirkungen biobeständiger mine- ralischer Faserstäube, wie Asbest und Erionit. Das diffuse maligne Pleuramesotheliom sowie fibrogene Pleuraveränderungen stellen La- tenzschäden dar, bei denen ärztlicherseits auch entsprechende außer- berufliche Faserstaub-Einwirkungen zu beachten sind. Besonders zu nennen sind lange zurückliegende Gefährdungen in der Nachbar- schaft der industriellenAsbestgewinnung und -verarbeitung, durch natür- liche Asbest- und Erionitvorkommen im Erdboden, durch Haushaltskon- takte sowie offenbar auch durch Innenraum-Spritzasbestisolierungen.

Karlheinz Großgarten und Hans-Joachim Woitowitz

1. Einleitung und Pathophysiologie

Berufskrankheiten stellen aus der Sicht der medizinischen Ökolo- gie das Paradigma der Umweltkrank- heiten dar. Folgende Asbestinhalati- onsfolgen sind nach der derzeit gülti- gen Berufskrankheiten-Liste, zuletzt novelliert im Dezember 1992, als ärztlich unverzüglich anzeigepflich- tig und entschädigungswürdig ge- setzlich geregelt (60):

> Asbeststaublungenerkrankungen (Asbestose) oder durch Asbeststaub verursachte Erkrankung der Pleura (Nr. 4103 BeKV),

>Lungenkrebs in Verbindung mit Asbeststaublungenerkrankung (As- bestose), in Verbindung mit durch Asbeststaub verursachter Erkran- kung der Pleura oder bei Nachweis der Einwirkung einer kumulativen Asbestfaserstaub-Dosis am Arbeits- platz von mindestens 25 Faserjahren (Nr. 4104 BeKV),

> durch Asbest verursachtes Me- sotheliom des Rippenfelles, des Bauchfelles oder des Perikards (Nr.

4105 BeKV).

Sämtliche früher kommerziell verwendeten Asbestarten, das heißt der zu 94 Prozent eingesetzte Weiß- asbest (Chrysotil) sowie die zu etwa.

sechs Prozent verbrauchten Amphi- bolasbestarten Blauasbest (Krokydo- lith), Braunasbest (Amosit) und der

finnische Antophyllit besitzen im Falle der Einatmung von Fasern kri- tischer Abmessungen (Länge > 5 Durchmesser D < 311m, L: D >

3:1) für den Menschen gesicherte tu- morerzeugende Eigenschaften (21, 61). Daneben ist die fibroseerzeu- gende (fibrogene) Wirkung inhalier- ter Asbestfasern bedeutsam. Sie kann zum klinischen Bild der Lun- gen- und noch häufiger der Pleuraas- bestose führen (36, 63).

Die Lungenasbestose ist eine dis- seminiert verteilte, interstitielle, al- veolarseptale und peribronchioläre Fibrose mit Obliteration des pulmo- nalen Kapillarbettes (73). Als patho- logisch-anatomisch kennzeichnender Befund der Lungenasbestose gilt im Hinblick auf eine Differenzierung gegenüber Lungenfibrosen sonstiger Genese das Vorhandensein von As- bestkörperchen oder Asbestfasern.

Nicht maligne pleurale Asbestin- halationsfolgen treten meist unter dem Bild doppelseitiger diffuser Verdickungen der viszeralen Pleura oder hyaliner bzw. verkalkender Pla- ques der parietalen Pleura auf. Bei asbestverursachten Pleuraergüssen kommt es in der Regel zu folgenloser Medizinisches Zentrum für Ökologie Institut und Poliklinik für Arbeits- und Sozial- medizin (Leiter: Prof. Dr. med. Hans-Joa- chim Woitowitz), Klinikum der Justus-Liebig- Universität Gießen

Ausheilung (23), gelegentlich aber zu bindegewebigen Verschwartun- gen beider Pleurablätter mit erhebli- chen Lungenfunktionseinschränkun- gen (Hyalinosis complicata) (63).

Als Hauptursache des Bronchial- karzinoms ist die Zigarettenrauchin- halation allgemein bekannt. Aus dem Bereich der Arbeitsumwelt ist Asbest jedoch derzeit die diesbezüg- lich wichtigste kanzerogene Noxe.

Pathologisch-anatomisch ließen sich wesentliche Unterschiede zwischen asbestverursachten Bronchialkarzi- nomen und solchen der übrigen Be- völkerung nicht sichern. Dies gilt auch bezüglich der Häufigkeit der verschiedenen histologischen Karzi- nomtypen (57, 73). Das Zusammen- wirken von Asbestfaser- und Ziga- rettenrauchinhalation führt offen- kundig zu einer multiplikativen Stei- gerung der Lungenkrebssterblichkeit (30, 68, 71). Die mediane Latenzzeit zwischen Beginn der Asbestfaser- staub-Einwirkung und dem Erkran- kungsbeginn liegt in der Regel bei etwa 30 Jahren („Dreißigjahresre- gel") (5, 90).

Das durch Asbest verursachte Mesotheliom des Rippenfells und des Bauchfells konnte erst 1977 in die Li- ste der Berufskrankheiten aufge- nommen werden. Die kasuistische Erstbeschreibung im Zusammen- hang mit Asbesteinwirkung am Ar- beitsplatz erfolgte bereits 1938 durch A1-708 (36) Dt. Ärztebl. 90, Heft 10, 12. März 1993

(2)

Tabelle 1: Die Pleura als „sensitives Zielorgan" aus arbeits- und uni -1- weltmedizinischer Sicht*

I. Röngenologische Prävalenz fibrogener Veränderungen

Personengruppe

Diffuse Pleurafibrose - Allgemeinbevölkerung:

CSSR

USA-Mittelwesten, ländlich New Jersey, städtisch Zeolithregion, Türkei

- Asbestfaserstaub-Einwirkung am Arbeitsplatz:

Kanadische Mine Kanadische Mine UK-Asbesttextilfabrik UK-Royal Navy, Werft

USA, Werft (> 20 Jahre Exp.)

Hyaline Pleuraplaques - Allgemeinbevölkerung:

Oldenburg, ländlich DDR, ländlich

Schweden, Männer > 40 Jahre

Autor

Navratil Anderson Anderson Baris

Cordger Gibbs Berry Rossiter Anderson

Hinz Ose Hillerdal

Jahr

1978 8 133 0,44 1978 435 0,9 1978 325 1,2 1982 548 15,0

1984 331 2,4 1979 15 689 3,1 1979 379 8,0 1979 1 200 28,5 1978 996 42,5

1981 10 000 0,03 1972 87 036 0,54 1979 33 011 0,97 - Landbevölkerung in Endemiegebieten:

Bulgarien, Asbest Zolov

CSSR, Asbest Rous

Anatolien, Zeolith Baris Finnland, Antophyllit Hillerdal

3 325 4,7 9 760 6,6 302 8,1 1 090 29,1 1967

1970 1982 1984 - Asbestfaserstaub-Einwirkung

am Arbeitsplatz

UK/Schweden, Werften Magdeburg, Isolierer UK-Royal Navy, Werft

Verkalkte Pleuraplaques - Allgemeinbevölkerung:

Nordfinnland, ländlich Südfinnland, ländlich London (RRU) UK, städtisch/ländlich

Harries Sturm Rossiter

1972 1968 1979

2 442 3,2 994 11,0 1 200 25,0

Raunio Raunio Hourihane BTTA

1966 633 000 0,003 1966 633 000 0,05 1966 ? 0,13 1972 3 868 0,7 - Landbevölkerung türkischer Ende-

miegebiete mit Einwirkung von:

Chrysotil Yazicioglu

Zeolith Baris

Tremolit Yazicioglu

Asbest Hillerdal

- Asbestfaserstaub-Einwirkung am Arbeitsplatz:

Kanadische Mine Gibbs

UK-Royal Navy, Werft Rossiter USA, Werft (> 20 Jahre Exp.) Anderson

1976 1982 1980 1983

15 239 2,6 302 6,2 7 000 6,5 466 22,3

1979 1979 1978

15 689 2,5 1 200 4,9 996 7,5

* Vergleichende Darstellung der röntgenologischen Prävalenz von diffuser Pleurafibrose, hyalinen oder verkalkten Pleuraplaques in Personengruppen aus der Allgemeinbevölkerung, der Landbevölkerung in Endemiegebieten mit entsprechenden Faservorkommen im Erdreich sowie in Personengruppen mit Asbestfaserstaub-Einwirkung am Arbeitsplatz

Teutschländer (78). Das diffuse ma- ligne Mesotheliom ist ein von den Deckepithelien der serösen Körper- höhlen ausgehender, sehr bösartiger Tumor. Betroffen sind vor allem die Pleura, deutlich seltener das Perito- neum, sehr selten auch Perikard und Tunica vaginalis (12). Zur typischen Symptomatik des Pleuramesotheli- oms gehören thorakale Schmerzen, Luftnot, Husten und Auswurf. Häu- fig kommt es zu rezidivierenden Pleuraergüssen (73).

Das Peritonealmesotheliom führt nach zunächst unklarer abdo- mineller Symptomatik zu Aszites und Ileus. Die mediane Überlebens- zeit für Patienten mit Pleura- oder Peritonealmesotheliom liegt bei le- diglich zehn Monaten (26, 34). Alle bekannten Therapieformen der On- kologie haben sich bislang als wenig wirksam erwiesen. Die Erwartungs- häufigkeit für eine Mesotheliomer- krankung in der Allgemeinbevölke- rung liegt sehr niedrig. Angelsächsi- sche Autoren gehen von einem jähr- lichen Neuauftreten im Bereich von 1 bis 8 Mesotheliom-Todesfällen je 1 Million Einwohner aus (9, 18, 54).

Dies entspricht etwa 1 Mesotheliom- Todesfall auf 1000 bis 10 000 Ver- storbene. Demgegenüber werden in Kohorten stark beruflich asbestfa- serstaubgefährdeter Beschäftigter bis zu 20 Mesotheliomerkrankungen je 100 Verstorbener festgestellt (40,

68, 74, 75, 85, 86, 88).

Nach dem derzeitigen Kennt- nissstand sind wesentliche andere Ursachen als Asbest und die ver- gleichbar biobeständige Mineralfa- ser Erionit für die Pleuramesotheli- omentstehung beim Menschen bis- lang nicht gesichert (41). Wegen der hohen Wahrscheinlichkeit einer as- bestbedingten Genese wird dieser Tumor als „Signaltumor" einer be- ruflichen und gegebenenfalls auch umweltbedingten Asbestfaserstaub- gefährdung angesehen (86). Typisch ist ebenfalls die lange Latenzzeit zwischen dem Beginn der Asbestfa- serstaubeinwirkung und dem Beginn der Erkrankung von im Median etwa 30 Jahren („Dreißigjahresregel"). Im eigenen poliklinischen Krankengut mit der Diagnose Pleuramesotheli- om nach beruflicher Asbestfaser- staubgefährdung beträgt die media-

Dt. Ärztebl. 90, Heft 10, 12. März 1993 (37) A1-709

(3)

Tabelle 2a: Die Pleura als „sensitives Zielorgan" aus arbeits- und um- weitmedizinischer Sicht*

11: Erkrankungen an diffusem malignem Mesotheliom 1. Als Berufskrebs:

1938 Kasuistische Erstbeschreibung eines Pleuramesothelioms bei Asbestose durch Teutschländer (Berufskrebs).

1960 Epidemiologische Beziehungen zu Asbest bei 32 von 33 Pa- tienten mit Pleuramesotheliom. Bei 17 der 32 Verstorbe- nen wird von Wagner et al. eine Umwelteinwirkung in der Nachbarschaft der Kapasbest-Gewinnung festgestellt (Be- rufskrebs/Umwelttumor).

1965 Bei US-Isolierern wird erstmals eine proportionale Morta- lität an Mesotheliom von 3,3% gegenüber 0,009% in einer Stichprobe von über 1 Million US-Bürgern durch Selikoff et al. herausgearbeitet (Berufskrebs).

1967-1990 Zahlreiche internationale Kohortenstudien an Arbeitneh- mern in der Asbestgewinnung, Asbestproduktherstellung und -anwendung (Lit. bei Alderson et al. [1986]; Rösler et al. [1992]): Unter anderem ergibt die größte Kohortenstu- die an US-Isolierern von Selikoff et al. (1979) eine propor- tionale Mortalität an Mesotheliom von 7,7%.

1991 Nachweis eines erhöhten Mesotheliomrisikos der Pleura bei ehemaligen Asbestarbeitern mit „Pleuraasbestose"

durch Woitowitz et al.

1992 Die Auswertung der „Berufskrebsstudie Asbest" durch Rösler, Woitowitz et al. ergibt aus einer Kohorte von n = 3988 in verschiedenen Tätigkeitsbereichen asbestgefährde- ten Arbeitnehmern die höchste proportionale Mortalität an Mesotheliom von 20,4% für die weiblichen Kohorten- mitglieder und von 19,1% für Beschäftigte im Asbesttextil- Bereich.

* Tödliche Erkrankungen an Pleuramesotheliom als Berufskrebs (Tabelle 2a) beziehungs- weise als Umwelt- oder Innenraumtumor (Tabelle 2b). Zu den kommerziell verwendeten As- bestarten zählen Chrysotil (Weißasbest), Krokydolith (Blauasbest), Amosit (Braunasbest) und Antophyllit. Aktinolith- und Tremolit-Asbestfasern kommen zum Teil als natürliche Be- gleitmineralien vor.

ne Latenzzeit 32 Jahre mit Extrem- werten zwischen zehn und 60 Jahren

(26). Die Latenzzeit ist ärztlich auch bei der Differenzierung zwischen Umwelt- und beruflich verursachten Pleuramesotheliomerkrankungen bei der Bewertung anamnestischer Daten zu berücksichtigen.

Sowohl die viszerale als auch die parietale Pleura müssen nach Einat- mung von Asbestfasern der genann- ten kritischen Abmessungen als be- sonders gefährdetes und sensitives Zielorgan gewertet werden. Diese Tatsache bereitet pathophysiolo- gisch, toxikologisch und anatomisch zunächst Verständnisschwierigkei- ten. Die Erklärung liegt in der „Pleu- rotropie" primär alveolar deponier- ter biobeständiger Fasern, welche se- kundär zur subpleuralen Faserakku- mulation führt (49, 56, 65). Insbeson- dere das Tiermodell hat unser patho- genetisches Verständnis entschei- dend verbessert. Mittels radioaktiver Tracertechnik konnte im Inhalati- onsversuch bei Ratten autoradiogra- phisch nachgewiesen werden, daß nicht nur der natürliche blaue Am- phibolasbest Krokydolith, sondern auch synthetisch hergestellte Nickel- Chrom-Fluoramphibol-Fasern ver- gleichbarer Abmessungen stark pleuragängig sind. Diese Pleurotro- pie genannte Eigenschaft läßt die Fasern durch die Alveolen und das Lungeninterstitium in Richtung Pleura driften, wo es zur Faserakku- mulation im subpleuralen Bereich kommt (56). Der direkte Kontakt der Fasern mit dem Zielgewebe wird im Pathomechanismus sowohl der Faserkanzerogenese als auch der Fa- serfibrogenese als erforderlich ange- sehen.

2. Umweltbedingte Asbestinhalationsfolgen am Zielorgan Pleura

Nach bisherigen epidemiologi- schen und kasuistischen Erfahrun- gen können offenbar bereits relativ niedrige kumulative Asbestfaser- staub-Dosen zur Mesotheliom-In- duktion führen (67, 84). Auch zahl- reiche epidemiologische Untersu- chungen weisen auf die Entstehung fibrogener Pleuraveränderungen in-

folge Einwirkungen von Asbest oder von faserförmigem Zeolith, dem Erionit, nicht nur aus der Arbeits-, sondern auch aus der allgemeinen Umwelt hin (Tabelle 1). Diese Beob- achtungen gehen zum Teil mit er- höhten Mesotheliominzidenzen ein- her. Die Pleura muß daher als be- sonders sensitives Umweltorgan im Hinblick auf frühere Einwirkungen der genannten biobeständigen mine- ralischen Fasern angesehen werden.

Die als Berufskrebs zunehmend be- kannt werdenden Erkrankungen an asbestverursachtem malignem Me- sotheliom stellen geradezu den Pro- totyp eines Umwelttumors dar (Ta- bellen 2a und 2b).

Die Einwirkung ausreichend ho- her kumulativer Asbestfaserstaubdo- sen, um eine Lungenasbestose oder,

als wesentliche Teilursache, ein Bronchialkarzinom zu verursachen, ist hingegen außerhalb der Arbeits- umwelt kaum zu erwarten. Im Fol- genden sollen die fünf bislang als re- levant erkannten Möglichkeiten ei- ner allgemeinen Umwelt- bezie- hungsweise Innenraumgefährdung durch Freisetzung von Asbest- bzw.

Erionitfasern in die Atemluft mit ih- ren gesundheitlichen Folgen anhand typischer Beispiele dargestellt wer- den (Tabellen 1, 2a und 2b) (24).

2.1 Nachbarschaftsgefährdung bei der industriellen

Asbestgewinnung

Als Nachbarschaftsgefährdung werden Faserstaub-Emissionen in die allgemeine Umwelt durch asbest- AI-710 (38) Dt. Ärztebl. 90, Heft 10, 12. März 1993

(4)

119 43 b) 36 17,6 21 c)

20 13,3

11 14,5

18 Patienten mit Pleuramesotheliom ohne berufliche Asbesteinwirkung, wohnhaft gewesen im Windschat- ten eines Hamburg-Bergedorfer Asbestbetriebes 103 (Verteilung im Stadtgebiet, Schwerpunkt Ham- burg-Bergedorf, einschl. beruflicher Gefährdung)

48 22,2

Nationales Krebsregister: 1960-1990: 48 Mesotheli- om- und 19 Pleuraasbestosefälle mit außerberufli- cher Asbesteinwirkung, davon 15% Anwohner von Asbestbetrieben

DDR

Großbritannien (London)

Newhouse 76

1965 USA

(Pennsylvania)

Lieben 42 8 19

1967 Deutschland

(Stadt Hamburg)

Dalquen 1969 Hain 1969 Bohlig 1970 Hain 1974 Bouche 1974 Konetzke 1990

150 216 a)

a) Asbestverarbeitende Industrie

b) keine oder fragliche berufliche Asbesteinwirkung c) unklar

(Fortsetzung auf der nächsten Seite) Tabelle 2b: A. Erkrankungen an diffusem malignem Mesotheliom

2. Als Umwelttumor infolge:

2.1 Nachbarschaftsgefährdung bei der industriellen Asbestgewinnung Region Einwirkung Erstautor

und Jahr

Beobachtete Er- davon entsprechend krankungsfälle umweltbedingt an Mesotheliom

insgesamt

n n =

32 232 557 138 12

17 76 1

53 32,7

0,18 2,9 16,6 Wagner

1960 Webster 1973 McDonald 1980 Armstrong 1984

McConnochie 1987

Südafrika Krokydolith Südafrika Krokydolith

Kanada Chrysotil

Australien Krokydolith Zypern Chrysotil/

Tremolit

2.2 Nachbarschaftsgefährdung bei der industriellen Asbestverarbeitung

gewinnende und asbestverarbeiten- de Industriebetriebe bezeichnet.

In Finnland befinden sich ausge- dehnte Vorkommen von Anthophyl- lit-Asbest, speziell in Nord-Karelien auch von Tremolitasbest. In der Nä- he zweier großer, im offenen Tage-

bau von 1918 bis 1977 betriebener Asbestminen, konnten röntgenolo- gisch mehrere hundert Fälle von Pleuraverkalkungen bei Einwoh- nern, die nie in der Minenindustrie arbeiteten, nachgewiesen werden.

Auffällig war jedoch lange Zeit, daß

Mesotheliomerkrankungen offenbar nicht gehäuft auftraten (44). Zwi- schenzeitlich wurden in Finnland bei Mesotheliompatienten mit berufli- cher Asbest-Einwirkung in Lungen- staubfaseranalysen auch gehäuft An- thophyllitfasern nachgewiesen (79, A1-712 (40) Dt. Ärztebl. 90, Heft 10, 12. März 1993

(5)

davon entsprechend umwelt-/

innenraumbedingt Tabelle 2b (Fortsetzung)

2.3 Umweltgefährdung durch Asbest- und Erionitvorkommen im Erdboden Region Einwirkung Erstautor Beobachtete Er- I

und Jahr krankungsfälle an Mesotheliom insgesamt

n

Inzidenz: 3-19 Erkrankungsfälle an Pleuramesotheliom

/100 000 Einwohner

Inzidenz: 216 Erkrankungsfälle an Pleuramesotheliom

/100 000 Einwohner

Proportionale Mortalität: 1%

5 Erkrankungsfälle an Pleurame-

' sotheliom ohne berufliche Asbest- gefährdung

Türkei Tremolit/

(Südostanato- Chrysotil lien)

Türkei Erionit (Kappaclokien)

Nordwest- Tremolit Griechenland

(Metsovo)

Korsika Chrysotil/

(Nordosten) Tremolit

Yazicioglu 1980 Baris 1987 Langer 1987 Boutin 1989 2.4. Innenraumgefährdung durch Spritzasbest

Groß- Amosit

britannien

1 Stein `Kasuistik: 54jährige Büroangestellte mit Erkrankung 1989 an Pleuramesotheliom nach 14jähriger Tätigkeit in einem Büro mit Amositspritzasbestisolierung (post-

1

mortale Lungenstaubfaseranalyse: Amosit) i

2.5 Innenraumgefährdung durch Haushaltskontakte Groß-

britannien (London) Australien

USA

(New Jersey) USA

(New York) Kanada/USA

d)

Vater: Asbest- zementfabrik Internationale Fallsammlung

d) Vorwiegend:

häusliche As- bestgefährdung im Kindesalter

Newhouse 1965 Milne 1972 Anderson 1976

Vianna 1978 McDonald 1980

76 9 12

32 1 3,1

37 (Literaturübersicht zu Mesotheliomtodesfällen bei Haushaltsangehörigen von Asbestarbeitern)

52 15

557 1,4

Fortsetzung auf der nächsten Seite

80). Eine mesotheliominduzierende Wirkung von Anthophyllitfasern kann daher nicht ausgeschlossen werden.

Eine gehäufte Inzidenz von Bronchialkarzinomen oder eine As- soziation mit dem alleinigen Vorhan-

densein von Pleuraplaques ließen sich bei den Einwohnern einer Kom- mune der vorgenannten Region (Finnland — Nord-Karelien) nicht nachweisen (45).

Aus Südafrika besitzen die frü- hen epidemiologischen Studien von

Wagner et al. grundlegende Bedeu- tung (81). In den Jahren 1956 bis 1959 konnten bei 32 von 33 histolo- gisch gesicherten Todesfällen an Pleuramesotheliom in der nordwest- lichen Kapprovinz Beziehungen zu einer Blauasbesteinwirkung entwe- A1 -714 (42) Dt. Ärztebl. 90, Heft 10, 12. März 1993

(6)

16 6 d)

Amosit

Ehefrauen von Asbestminen- arbeitern Haushaltsange- hörige mit as- bestgefährden- den Tätigkei- ten

„Haushalts- kontakt"

N = 10 Patien- ten/innen in ei- nem Alter von bis zu 40 Jah- ren, davon n = 5 mit Haus- haltsgefähr- dung über Fa- milienangehö- rige, überwie- gend den Va- ter.

Kohorte von Haushaltsangehörigen (n = 2218): Von n = 663 Todesfällen 3 Mesotheliomtodesfälle unter den Nachkommen von Asbestarbeitern

52 I 2

1633 Patienten mit Erkrankungen an malignem Mesotheliom (n = 48) bzw. Pleuraasbestosen (n = 19): insgesamt 67 Patienten von 1960-1990 mit au- ßerberuflicher Asbestexposition, von 46,3% durch Reinigen der asbestverschmutzten Arbeitskleidung von Familienangehörigen

5 3

USA

(New Jersey)

Zypern

USA

DDR

DDR

USA

Italien

Anderson 1983

McConnochie 1987

1987

Luther 1988 Konetzke

1990

Kane 1990

Dodoli 1992

14 3 21

Wolf 32 6 19

172

262 Tabelle 2b (Fortsetzung)

2.3 Umweltgefährdung durch Asbest- und Erionitvorkommen im Erdboden

d) Vorwiegend: Waschen der Arbeitskleidung von Familienangehörigen (Ehemann, Vater) mit asbestgefährdenden Tätigkeiten

der am Arbeitsplatz oder in der Um- welt nachgewiesen werden. In den Asbestbergen dieser Region wird seit dem Beginn des Jahrhunderts Krokydolith gewonnen. Bei 17 der 32 Verstorbenen fanden sich keine Hin- weise auf eine berufliche Asbestfa- serstaubgefährdung. Die Patienten hatten jedoch als Hausfrauen, Haus- diener, Viehwärter oder Landwirte in der Nachbarschaft der Kapasbest- gewinnung gelebt. Als Kinder hatten sie zum Teil im Haldenabraum ge- spielt.

Eine geographische Untersu- chung der Mortalitätsraten von 1968 bis 1980 in den Krokydolith-Minen- Bezirken Südafrikas ergab im Ver- gleich zu Kontrollbezirken erhöhte Mesotheliom-Todesraten für Män- ner und Frauen in den Minenbezir- ken. Da nur eine vergleichsweise ge- ringe Anzahl Frauen praktisch in den Minen beschäftigt waren und ei- nige Todesfälle in verhältnismäßig frühem Alter eintraten, wurde eine umweltbedingte Krokydolitheinwir- kung als maßgebend angesehen (13).

2.2 Nachbarschaftsgefährdung in der industriellen

Asbestverarbeitung

Aus Sachsen berichtete Anspach bereits 1961 über das gehäufte Vor- kommen von verkalkenden Pleura- plaques in Wohngebieten der Stadt und des Landkreises Dresden. Die Region bildet seit der Jahrhundert- wende einen Schwerpunkt der as- bestverarbeitenden Industrie (4).

Von 244 untersuchten Personen hat- ten 118 an „nicht gefährdeten" Ar- Dt. Ärztebl. 90, Heft 10, 12. März 1993 (43) A1-715

(7)

• •

0•

0

Asbestverarbeitender Betrieb

E

Werft

Wohnsitz von Mesotheliom-Patienten

vorherrschende

Windrichtung • •

0

• •

Wilhelmsburg

Bergedorf ••:::•

Harburg

beitsplätzen in diesen Betrieben ge- arbeitet oder in der Nachbarschaft solcher Betriebe gearbeitet oder ge- wohnt. Die Arbeitsplätze oder Wohn- sitze der Träger der Pleuraplaques wurden in der Hauptwindrichtung 100 m bis 1,8 km von den Asbestbetrieben entfernt lokalisiert. Hingewiesen wird auf die besonderen kleinklima- tischen Bedingungen der Region, die zur Verstärkung der Staubgefähr- dung beigetragen haben sollen. In der Umgebung dieser Fabriken wa- ren Asbeststaubflocken in der Luft mit bloßem Auge zu beobachten.

Die Asbeststaubemissionen sollen insbesondere vor dem Einbau von Entstaubungsanlagen ab Mitte der dreißiger Jahre erheblich gewesen sein.

Aus Hamburg sind die epidemio- logischen Studien der Arbeitsgruppe um Hain, Bohlig und Dalquen beson- ders hervorzuheben. Bereits 1969 wurden Pleuraplaques als „epide- miologisches Leitfossil einer Asbest- gefährdung von Bevölkerungsgrup- pen" beschrieben (20). Die von Dal- quen et al. 1970 veröffentlichte Stu- die weist beispielhaft auf, daß hyali- ne und verkalkte Pleuraplaques nicht nur durch eine berufliche, son- dern auch durch eine endemische domiziliäre und urbane Asbestge- fährdung verursacht werden. Bei 21 von 92 ( = 23 Prozent) untersuchten Pleuraplaques-Trägern ergab sich ei- ne ausschließliche urbane Gefähr- dung. Sie bestand überwiegend im Stadtteil Hamburg-Bergedorf in der Nähe einer dort gelegenen großen Asbestfabrik (20). Einmalig in Deutschland sind bislang die Unter- suchungen von Hain, Dalquen, Bohlig und Bouche zur Nachbarschaftsge- fährdung durch Asbestfabriken im Hamburger Stadtgebiet mit Be- schreibung von Mesotheliom-Todes- fällen einschließlich einer räumli- chen Zuordnung zu industriellen As- bestemittenten (19, 28, 29), Tabelle 2b. Die Auswertung von 48 Pleura- mesotheliomerkrankungsfällen ohne intradomiziliäre oder berufliche As- bestfaserstaubgefährdung ergab eine entfernungsbezogene Verteilung um wichtige Asbest emittierende Betrie- be der Stadt (14). Auch hier fand sich eine auffällige Häufung im Stadtteil Hamburg-Bergedorf (Abbil-

Abbildung 1: Vertei- lung von 103 Todes- fällen an malignem Mesotheliom im Hamburger Stadtge- biet, einschließlich der Patienten mit be- ruflicher Asbestge- fährdung (nach Boh- lig, Dabbert, Dal- quen, Hain, Hinz

1970)

dung 1). Quantitative Aussagen zu den Asbestfaserstaub-Immissionen waren nicht möglich. Patienten be- richteten jedoch, daß der Bergedor- fer Bahndamm durch den freigesetz- ten Asbeststaub „weiß wie Schnee ausgesehen habe" (19). In der As- besttextilindustrie sollen bis etwa 1935 rund fünf Prozent des Asbest- durchsatzes in die Umwelt emittiert worden sein (29).

2.3 Umweltgefährdung durch natürliche Asbest- und Erionit- vorkommen im Erdboden Aus der Türkei berichtete Baris über das endemische Vorkommen von Pleuraplaques und Mesotheli- omerkrankungen durch umweltbe- dingte Einwirkungen von Asbest und Erionit, einem faserförmigen Zeolith (8). Neben großen Vorkommen von.

Chrysotil oder Amphibol-Asbestar- ten in Antakya, Sivas, Erzincan, Bur- sa und Eskisehir finden sich zahlrei- che weitere kleinere natürliche La- gerstätten (Abbildung 2). In diesen zentralanatolischen Regionen konn- ten bei der Bevölkerung hohe Inzi- denzen an Lungen- und Pleuraver- änderungen beobachtet werden, die eine Asbestfaserstaub-Verursachung annehmen lassen. Insbesondere der Gebrauch von asbestkontaminiertem

weißem Erdboden als Babypuder und Verputzmaterial trägt offenbar zu der hohen endemischen Gefähr- dung bei.

Kappadokien zählt zu den be- sonders zeolithreichen Regionen Zentralanatoliens mit den Ortschaf- ten Karain, Tuzköy, Sarihidir. Faser- förmiges Erionit, ein nicht zu den Asbestarten zählendes Zeolith-Mi- neral im dortigen vulkanischen Ge- stein, muß nach den epidemiologi- schen und tierexperimentellen Studi- en als Ursache für die hohe Meso- theliominzidenz in der Bevölkerung angesehen werden (41). Für das For- schungsgebiet der Faserkanzeroge- nese sind diese Beobachtungen aus erkenntnistheoretischen Gründen von erheblicher Bedeutung. In ei- nem der drei „Zeolithdörfer", Tuz- köy, fand sich eine Inzidenz von 216 Erkrankungsfällen an Pleurameso- theliom auf 100 000 Personen. Dieser Befund übertrifft den Erwartungs- wert für die übrige Bevölkerung na- hezu tausendfach. Auch verkalkende Pleuraplaques werden gehäuft beob- achtet. Der Prozentsatz liegt unter 549 untersuchten Personen bei 14,2 Prozent. Daneben konnten gehäuft diffuse Pleurafibrosen (7) diagnosti- ziert werden. In der tremolitreichen Region von Zermik im Südosten der Türkei fanden sich röntgenologisch Ar718 (46) Dt. Ärztebl. 90, Heft 10, 12. März 1993

(8)

Schwarzes Meer Istanbul

Marmara

Elaziö • Maden

?ermik Diyarbakir

• Asbestvorkommen Zeolithvorkom men

Mittelmeer

Abbildung 2: Regionen der Türkei mit endemisch auftretenden asbest- oder erionitverursachten Krankheiten (nach Baris 1987).

erhöhte Prävalenzen für diffuse Pleuraverdickungen und verkalkende Pleuraplaques bei der untersuchten Bevölkerung. Darüber hinaus wurden Inzidenzen von zirka drei bis 19 Pleu- ramesotheliomerkrankungen pro 100 000 Einwohner auf diese Amphi- bol-Asbestart zurückgeführt (93).

2.4 Innenraumgefährdung durch Spritzasbest

Eine Innenraumgefährdung er- gibt sich vor allem durch locker ge- bundenen Krokydolith oder Amosit in allmählich spröde werdenden Spritzasbestisolierungen sowie durch Chrysotil und Amosit in leichten Brandschutzplatten. Dies gilt insbe- sondere bei Stahlskelettbauten.

Besondere Beachtung verdient unter umweltmedizinischen Aspek- ten der 1989 veröffentlichte erste Fall einer an einem Pleuramesotheli- om verstorbenen Büroangestellten infolge Innenraum-Belastung durch Amosit-Spritzasbest an der Büro- decke (Tabelle 2b, 76). Die postmor- tale Lungenstaub-Faseranalyse er- gab eine Konzentration an Amositfa- sern, wie sie bei beruflich Exponier- ten gefunden wurde.

2.5 Innenraumgefährdung durch Haushaltskontakte Haushaltskontakte ergeben sich in erster Linie durch Asbestfaser-

staub, der von asbestgefährdet täti- gen Familienmitgliedern mit der Ar- beitskleidung oder in den Haaren in die Wohnung gebracht wird. Diese Gefährdung der Familienmitglieder, insbesondere der mit der Kleiderrei- nigung beschäftigten Ehefrau, hat durch Regelungen zur Bereitstellung und Reinigung von Arbeitsschutz- kleidung durch die asbestverarbei- tenden Betriebe deutlich abgenom- men. Darauf zurückzuführende Er- krankungen an Pleuramesotheliom sind wegen der jahrzehntelangen La- tenzzeit aber auch heute noch rele- vant (Tabelle 2b). Auch aus der Bun- desrepublik Deutschland liegen uns inzwischen Kasuistiken vor.

2.6 Weitere Gefährdungsmög- lichkeiten durch Asbest in der allgemeinen Umwelt

Durch Abwitterung von Asbestze- mentprodukten aus Dach- oder Fas- sadenkonstruktionen werden As- bestfasern in die allgemeine Umwelt freigesetzt. Dies führt zu einer As- bestfaser-Immissionsbelastung, die nach dem heutigen Wissensstand in der Größenordnung von etwa 100 Fasern/m3 liegt (48). Das Ausmaß ei- nes daraus resultierenden Gesund- heitsrisikos kann bislang nicht abge- schätzt werden (83).

Für asbesthaltige technische Ge- räte muß ebenfalls die Möglichkeit einer Faserfreisetzung in Betracht

gezogen werden. Insbesondere durch die weit verbreiteten asbest- haltigen Nachtspeicheröfen älterer Bauart (vor 1977, 62) wird eine ent- sprechende Innenraumgefährdung erwogen. Auch hierzu wurde bereits an dieser Stelle eine zusammenfas- sende Übersicht veröffentlicht (42).

Den zitierten Messungen zufolge la- gen die Faserkonzentrationen in der Heizluft von Testgeräten, soweit nachweisbar, in einer Größenord- nung entsprechend der Außenluft urbaner Bereiche mit 53 bis 150 Fa- sern/m3 , (Faserlänge > 5µm und Durchmesser < 3 1.1m) (42, 48). Es wurde die Empfehlung ausgespro- chen, mittelfristig die Quellen von Asbestfaserfreisetzungen in Innen- räumen zu beseitigen (62). Repara- turen und nicht sachgemäße Sanie- rungsversuche sollen an diesen Ge- räten unbedingt unterbleiben. Die Angaben des Herstellers, die Entsor- gungshinweise der Branche und die in einigen Ländern herausgegebenen Erlasse sind zu beachten (32, 62).

3. Schlußbemerkung

Für Erkrankungen der Pleura an fibrogenen und malignen Verände- rungen müssen kausalanalytisch nicht nur berufliche, sondern auch weit zurückliegende Einwirkungen von Asbest- oder Erionitfaserstäu- ben aus der allgemeinen Umwelt in A1-720 (48) Dt. Ärztebl. 90, Heft 10, 12. März 1993

(9)

Der Effekt von Finasteride beim Prostata-Adenom

Betracht gezogen werden. Es konn- ten hier nur die umweltmedizinisch bislang offenkundig relevantesten Gefahrenschwerpunkte aufgezeigt werden. Die allgemeine und bau- technische Verwendungsvielfalt von Asbest als dem „Mineral der tausend Möglichkeiten" in der Vergangen- heit ist jedoch nahezu unüberschau- bar. Von einer Dunkelziffer muß im Hinblick auf die häufig anamnestisch zu Lebzeiten nicht zu klärende ar- beitsplatz- und umweltbedingte As- bestfaserstaub-Einwirkung speziell bei Mesotheliom-Patienten ausge- gangen werden. Mesotheliom-Er- krankungen gerade bei Frauen, die erfahrungsgemäß seltener der Ein- wirkung von krebserzeugenden No- xen der Arbeitsumwelt ausgesetzt sind, sowie bei jungen Menschen sollten auf eine umweltbedingte Ge- nese überprüft werden. Zu dem Be- griff der „Nachbarschaftsgefähr- dung" fehlen bisher Konventionen zur relevanten Entfernung vom indu- striellen Asbestemittenden, unter anderem aufgrund unzureichend kalkulierbarer mikroklimatischer Bedingungen.

Nicht nur der umweltmedizini- schen Forschung, sondern auch der Ärzteschaft in Praxis und Klinik bie- tet sich die Chance, Erkenntnisse der arbeitsmedizinischen Onkologie zur Berufskrebsproblematik zukünf- tig in größerem Umfang zu nutzen.

Dt. Ärztebl. 90 (1993) A i -708-723 [Heft 10]

Prof. Dr. Irving, J. Selikoff, t 20. Mai 1992, Division of Environmental and Occupa- tional Medicine, Department of Commun- ity Medicine, Mount Sinai School of Medi- cine of the City University of New York, USA, dem maßgeblichen Wegbereiter der modernen Arbeits- und Umweltmedi- zin zum Gedenken

Die Zahlen in Klammem beziehen sich auf das Literaturverzeichnis im Sonder- druck, anzufordern über die Verfasser.

Anschrift für die Verfasser:

Prof. Dr. med.

Hans-Joachim Woitowitz Institut und Poliklinik für Arbeits- und Sozialmedizin Klinikum der Universität Gießen Aulweg 129/111 • W-6300 Gießen

Die Autoren führten eine plaze- bokontrollierte doppelblinde Studie mit 1 mg und 5 mg Finasteride, täg- lich einmal für zwölf Monate, bei 895 Männern mit Prostata-Adenom durch. Während der Behandlungs- periode wurden Urinfluß, Prostata- volumen und Serumkonzentrationen von Dihydrotestosteron und des pro- stataspezifischen Antigens bestimmt sowie die Symptome der Abflußstö- rung mit einem Score bestimmt. Im Vergleich zur Plazebogruppe hatten die Männer, die mit 5 mg Finasteride am Tag behandelt wurden, einen si- gnifikanten Abfall des Symptom- Scores, eine Zunahme des Urinflus- ses um 22 Prozent (1,6 ml/sec); die- ser Anstieg war signifikant. Ebenfalls signifikant war die Abnahme des Prostatavolumens um 19 Prozent.

Die Männer, die mit 1 mg Finasteri- de am Tag behandelt wurden, hatten keine Abnahme des Symptom- Scores, aber einen Anstieg des Harn- flusses um 1,4 ml/sec (23 Prozent) und eine 18prozentige Abnahme des Prostatavolumens. Die mit einem Plazebo behandelten Männer hatten keine Veränderung des Symptom- Scores, einen Anstieg von 0,2 ml/sec im Urinfluß und eine Abnahme von drei Prozent beim Prostatavolumen.

Bezüglich der Nebenwirkung ist zu bemerken, daß acht Männer von ei- ner weiteren Behandlung im Rah- men der Studie Abstand nahmen we- gen sexueller Dysfunktion (einer in der Plazebogruppe, drei in der Gruppe mit 1 mg Finasteride und vier in der Gruppe mit 5 mg Finaste- ride). Bezüglich der Serummarker nahmen sowohl das prostataspezifi- sche Antigen als auch das Serumdi- hydrotestosteron ab.

Bei dem von der Arbeitsgruppe eingesetzten Finasteride handelt es sich um einen kompetitiven Hemmer der 5-alpha-Reduktase, so daß Te- stosteron nicht in Dihydrotestoste- ron umgewandelt werden kann. Die- ses Medikament, das in den USA be- reits die Zulassung der Food and Drug Administration hat, kann si- cher in absehbarer Zeit die Operati- on nicht ersetzen, bietet sich jedoch vor allem in Fällen an, in denen eine Operation nicht möglich oder nicht

gewünscht ist. Weitere längerfristige Beobachtungen bleiben abzuwarten.

mrl

Gormley, G. I., E. Stoner, R. C. Bruskewitz et al.: The effect of finasteride in men with benign prostatic hyperplasie, New Engl.

Journ. Med., 327 (1992) 1185-1191 Dr. Glenn J. Gormley, Merck Research, Laboratories, P. 0. Box 2000, Rahway, NJ 07065, USA

Propranolol zur

Prävention von Ösophagus- varizenblutungen

Die Verödungstherapie von Ösophagusvarizen nach der ersten Blutung ist heute allgemeiner Stan- dard: Allerdings dauert es etwa drei Monate, bis im Rahmen mehrere Sit- zungen die Ösophagusvarizen skle- rosiert sind. Während dieser Zeit ist das Risiko einer Rezidivblutung re- lativ hoch, nimmt jedoch kontinuier- lich während der Sklerotherapie ab.

Die Autoren untersuchten bei 75 Patienten mit vorwiegend alko- holinduzierter Zirrhose den Einfluß des Beta-Blockers Propranolol auf die Rezidivblutungsrate während der Sklerotherapiephase. Unter dem Be- ta-Blocker, der in einer individuellen Dosierung bis maximal 320 mg gege- ben wurde (Ziel war eine Frequenz- senkung um 25 Prozent), traten si- gnifikant weniger Rezidivblutungen auf als in einer Vergleichsgruppe, bei der auf die Gabe von Propranolol verzichtet wurde. Zwar lag die Leta- lität mit 13 beziehungsweise 14 Pro- zent in beiden Gruppen gleich hoch, doch war der Konservenverbrauch unter (3-Blockade signifikant unter- schiedlich. Die Autoren empfehlen deshalb, während der gesamten Sklerotherapiephase Propranolol zu geben, bis sämtliche Varizenstränge verödet sind.

Vinel, J.-P., H. Lamouliatte, P. Cales et al.:

Propranolol Reduces the Rebleeding Rate During Endoscopic Sclerotherapy Before Variceal Obliteration. Gastroenterology 102: 1760 —1763, 1992

Service d'h6pato-gastro-eneologie and Service de chirurgie genrale et digestive, Centre Hospitalier Universitaire Purpan, Toulouse; Centre Hospitalier Universitaire Saint Andr, Bordeaux, Frankreich

Dt. Ärztebl. 90, Heft 10, 12. März 1993 (51) A1-723

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